Zwei Ihrer Heldenthaten auf psychologischem Gebiete habe ich bereits beleuchtet: Sie machten den Willen wieder zu einem psychischen Princip und erklärten das Bewußtsein
für das Stutzen des Willens über die Auflehnung gegen seine bisher anerkannte Herrschaft, für das Aufsehen, das der Eindringling von Vorstellung im Unbewußten macht.
(405.)
Dieser unsterblichen Erklärung setzten Sie die Krone mit der Bemerkung auf:
Das Bewußtsein als solches ist mithin, seinem Begriffe nach, frei von der bewußten Beziehung auf das Subjekt, indem es an und für sich nur auf das Objekt geht, und wird nur dadurch Selbstbewußtsein, daß ihm zufällig die Vorstellung des Subjekts zum Objekt wird.
(400.)
Auch diese Stelle, Herr von Hartmann, rechne ich zu denjenigen, welche Sie tief, tief bereuen. Es kann auch nicht anders |
ii554 sein. Hätte ich diese Stelle, wie überhaupt Ihre Philosophie des Unbewußten geschrieben, so würde ich über’s Meer eilen und mich selbst im menschenleersten Urwald Brasiliens schämen.
Haben Sie denn nicht, einen ganz kurzen Augenblick lang, an einen Menschen gedacht, dessen sämmtliche Sinne todt sind, der also gar keine lebenswarmen Vorstellungen mehr haben könnte, und der dennoch seine inneren und körperlichen Zustände spiegeln, d.h. Selbstbewußtsein haben würde? Er würde Lust und Unlust (Zustände des Dämons), Schmerz und Wollust (Zustände der Organe) empfinden und sich derselben vollständig bewußt sein. Ist denn das Innere des Menschen Objekt für ihn? Im Selbstbewußtsein fällt ja eben Subjekt und Objekt zusammen, und wir erfassen uns unmittelbar im Gefühl; nur im abstrakten Denken wird uns dieses Gefühl gegenständlich, d.h. objektiv.
Herr von Hartmann! Ich hoffe, daß ich mit philosophischer Ruhe diese Kritik beendigen kann. Ich hoffe es. Mit Bestimmtheit kann ich es nicht sagen, und deshalb bitte ich Sie schon hier, mir nicht übel zu nehmen, wenn ich manchmal die Geduld verliere, ja zornig werden sollte.
Wie lassen Sie nun zunächst die Außenwelt in einem erkennenden Subjekt entstehen?
In Ihrer Schrift: »Das Ding an sich«, auf deren Titelblatt ich, als ich sie gelesen hatte, das Goethe’sche Wort:
»Das Knabenvolk ist Herr der Bahn«
setzte, kommen Sie zu einer transscendenten Causalität, welche identisch sein soll mit der apriorischen Kategorie der Causalität (Seite 77). Sie sagen:
Das Bewußtsein denkt in seiner subjektiven Kategorie der Ursache dasjenige discursiv nach, was in dem unbewußten ideal-realen Causalprozeß intuitiv vorgedacht ist.
(76.)
In Folge dieser Identificirung behaupten Sie mit anderen Worten: Ohne Subjekt würden die Dinge dieser Welt doch in einem realen Causalnexus stehen.
Auch hier, Herr von Hartmann – das werden Sie gleich sehen, wenn Sie es nicht schon »bewußt« oder »unbewußt« wissen sollten – hier, beim ersten Schritt in die Philosophie, reden Sie, als ob Kant und Schopenhauer noch nicht auf der Welt gewesen |
ii555 wären oder besser: Sie glauben mit einem Hauch aus Ihrem »göttlichen« Munde die wie mit Felsen aufgebauten Gedankensysteme unserer philosophischen Heroen, als seien es Kartenhäuser, umblasen zu können. Es wird Ihnen aber nicht gelingen.
Das apriorische Gesetz der Causalität, d.h. der Uebergang von der Wirkung im Sinnesorgan auf ihre Ursache, ist, wie Schopenhauer mit höchster menschlicher Besonnenheit gefunden hat, die ausschließliche Function des Verstandes.
Als bahnbrechendes Genie durfte er, im Erstaunen über seine herrliche That, die Besonnenheit wieder verlieren. Die Besonnenheit durfte im Jubel über eine wahrhaft große Errungenschaft untergehen, denn Schopenhauer war ein Mensch, kein Gott. So blieb er denn hier stehen; ja, er erklärte: die Ursache der Veränderung im Sinnesorgan sei, wie diese selbst, subjektiv. (Bekanntlich hat er diese absichtliche (?) Vermengung von Wirksamkeit und Ursache später widerrufen.)
Kant hatte die Causalität, d.h. das Verhältniß der Ursache und Wirkung, in welchem alle Objekte, alle Erscheinungen immer in Paaren zu einander stehen – (unterscheiden Sie, bitte, diese Causalität vom Schopenhauer’schen Causalitätsgesetz) – für eine apriorische Kategorie oder Denkform erklärt, und hinzugefügt, daß von dieser idealen Affinität der Erscheinungen die empirische eine bloße Folge sei oder mit anderen Worten: Nimmt man den idealen Causalnexus fort, so stehen die Dinge an sich in gar keiner Affinität zu einander.
Beiden großen Denkern ist also gemeinsam:
1) daß ohne Subjekt von Causalität gar nicht gesprochen werden dürfe, daß ohne Subjekt ein Causalnexus gar nicht existire, daß Ursache und Wirkung Worte sind, welche mit dem Subjekt stehen und fallen;
2) daß die Causalität nicht zum Ding an sich führen könne.
Wie Ihnen bekannt ist, hat Kant sich trotzdem mit der idealen Causalität das Ding an sich erschlossen; wie Ihnen aber gleichfalls bekannt ist, muß man sein Verfahren verurtheilen, und deshalb bleibt es bei Dem, was ich unter 2 gesagt habe.
In Betreff nun der Sätze unter 1, so werden sie niemals umgestoßen werden können; es steht felsenfest, daß mit dem Subjekt die Worte Ursache und Wirkung stehen und fallen. Nur |
ii556 für ein erkennendes Subjekt giebt es einen Causalnexus: unabhängig vom Subjekt ist keine Veränderung in einem Ding an sich die Wirkung einer Ursache.
Ich habe indessen nachgewiesen, daß eben das Schopenhauer’sche apriorische Gesetz der Causalität Anweisung auf eine vom Subjekt unabhängige Kraft giebt, auf eine Wirksamkeit des Dinges an sich, welche auf realem, d.h. vom Subjekt unabhängigen Gebiete lediglich Kraft oder Wirksamkeit, nicht Ursache ist.
Es wird Ihnen klar sein, daß es sich auch hier nicht um eine erbärmliche Wortklauberei oder um die Bezeichnung einer und derselben Sache mit zwei verschiedenen Wörtern, sondern um eine durchaus nothwendige Auseinanderhaltung zweier grundverschiedenen Begriffe in der Philosophie handelt, welche, wenn mit einander vermengt, den Weg zur Wahrheit immer versperren.
Es giebt auf realem Gebiete zunächst ein Verhältniß zwischen zwei Dingen an sich, d.h. die Kraft des einen bringt in der Kraft des anderen eine Veränderung hervor; ferner stehen sämmtliche Dinge der Welt in einer realen Affinität. Das erstere Verhältniß ist aber nicht das Verhältniß der Ursache zur Wirkung und die letztere ist kein Causalnexus. Die reale Affinität ist der dynamische Zusammenhang der Welt, der auch ohne ein erkennendes Subjekt vorhanden wäre, und das reale Verhältniß, in dem zwei Dinge an sich stehen, ist das reale Erfolgen, das gleichfalls ohne ein erkennendes Subjekt vorhanden wäre. Erst wenn das Subjekt an beide Zusammenhänge herantritt, bringt es das reale Erfolgen in das ideale Verhältniß der Ursache zur Wirkung und hängt alle Erscheinungen in einen Causalnexus oder besser: es erkennt mit Hülfe der idealen Causalität ein reales Erfolgen und mit Hülfe der idealen Gemeinschaft (Wechselwirkung) den realen dynamischen Zusammenhang der Dinge.
Es giebt also, Herr von Hartmann, ganz gewiß keine transscendente Causalität, sondern nur eine ideale, im Kopf des Subjekts.
Dem idealen Causalnexus steht vollkommen unabhängig auf realem Gebiete nicht ein »realer Causalproceß« gegenüber, wie Sie sich trotz Kant und Schopenhauer zu sagen erdreisteten, sondern eine verhakte Wirksamkeit der Dinge an sich, welche |
ii557 wir mit Hülfe der rein idealen Causalität und der rein idealen Gemeinschaft buchstabiren und erkennen.
Ich habe ferner in meiner Psychologie (Analytik des Erkenntnißvermögens) gezeigt, daß nur das Schopenhauer’sche Gesetz der Causalität apriorisch ist. Die Kant’schen Kategorien der Relation: Causalität und Wechselwirkung, sind Verbindungen a posteriori der Vernunft auf Grund dieses apriorischen Gesetzes. Sie sind mithin keine Urbegriffe, Begriffe a priori, Kategorien, wie Kant lehrte, aber sie sind, wie er sehr richtig für alle Zeiten feststellte: rein subjektiv, rein ideal, sind nur in unserem Kopfe, sind Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt und haben nur einen Sinn und eine Bedeutung in ihrer Anwendung auf Erfahrung. An und für sich, ohne den Stoff von außen, sind sie todt und gar Nichts.
Sie aber kommen mit eiserner Stirne in die Welt und sagen barsch: »Kant ist ein einfältiger Träumer gewesen. Es giebt auch ohne ein erkennendes Subjekt Ursache und Wirkung in der Welt.« Ferner haben Sie die Verwegenheit zu sagen: »es giebt keine Wechselwirkung.« Und warum sagen Sie Das? Weil Schopenhauer auf Grund eines Mißverständnisses (wie ich zu seiner Ehre annehme) es gesagt hat. Ich behaupte zuversichtlich, daß das Verhältniß, das Kant mit der Kategorie der Wechselwirkung oder Gemeinschaft, also mit der dritten Analogie der Erfahrung, bezeichnen wollte, die kostbarste Perle seiner transscendentalen Analytik ist. Sie aber erklären die Gemeinschaft für
»eine in sich verfehlte Conception.« (D. a. s. 81.)
Sie geistiger Riese, vor dem sich sogar der große Königsberger beugen muß!
Von den Kant’schen Kategorien lassen Sie, überaus gnädig und herablassend, nur folgende bestehen:
der Quantität Qualität Relation Modalität
Einheit Realität Subsistenz Dasein
Vielheit Causalität Nothwendigkeit
d.h. Sie philosophirten wieder, als ob Schopenhauer, dessen Fehler und Irrthümer Sie sich doch mit so viel Geschick angeeignet haben, gar nicht gelebt hätte.
Wie man, nachdem Schopenhauer’s fehlerhafte, aber immerhin brillante, großartige Kritik der Kant’schen Philosophie er|schienen
ii558 ist, noch im Ernste von Begriffen a priori sprechen kann, ist mir unbegreiflich. Es ist wirklich zu traurig, zu sehen, wie langsam die Wahrheit vorankommt, während die Lüge überall freie Bahn findet.
Sie lassen also die oben angeführten Denkformen bestehen und erklären kaltblütig,
daß dieselben ebensowohl Daseinsformen des an sich Seienden seien, wie Denkformen des Gedachten.
(D. a. s. 89.)
oder mit anderen Worten: Sie vermengen wieder die Formen des Dinges an sich mit den subjektiven Formen, wie bei der Causalität, d.h. Sie
gießen Alles, was seltene Geister wie Locke und Kant mit unglaublichem Aufwand von Scharfsinn und Nachdenken gesondert hatten, nun wieder zusammen in den Brei einer absoluten Identität.
(Schopenhauer, Parerga, I. 104.)
Nein, Herr von Hartmann! Die Wahrheit hat noch treue Templeisen, die, wenn es sein muß, ihr Leben für die hehre Göttin lassen, und diese Gralsritter werden nie gestatten, daß unreife Knaben mit den wenigen Errungenschaften der seltensten Geister wie mit Bohnen und Erbsen spielen und sie zerbrechen oder in’s Feuer werfen.
Die von Ihnen in der Kant’schen Tafel gelassenen Kategorien sind weder Denkformen, noch Formen des Dinges an sich. Einstweilen haben wir nur – wie Sie sich erinnern werden – zwei ideale Verknüpfungen, die man unter die Kategorien der Relation bringen kann, nämlich:
1) die Causalität, von mir allgemeine Causalität genannt;
2) die Gemeinschaft.
Beide sind aber keine Urbegriffe a priori, sondern – wie ich Ihnen nicht oft genug sagen kann – Verknüpfungen a posteriori der Vernunft auf Grund des apriorischen Causalitätsgesetzes (Uebergang von der Wirkung im Sinnesorgan auf die Ursache).
Wir wollen jetzt weiter gehen.
Sind Raum und Zeit ideal, nur in unserem Kopf, der Lehre Kant’s gemäß, oder sind diese Formen ideal und real?
Sie behaupten das Letztere und sehen vornehm und mit der Miene genialer Ueberlegenheit auf das ebenso geistig kleine wie kör|perlich
ii559 kleine Männchen, das man Kant nannte, herab. Was Kant! Was dieser Hohlkopf geschrieben hat,
muß endlich einmal mit der gebührenden Nichtachtung behandelt werden.
(D. a. s. 97.)
Sie sagen:
Raum und Zeit sind ebenso gut Formen des Daseins als Denkformen.
(290.)
Das Ding an sich ist seiner Existenz nach zeitlich.
(D. a. s. 90.)
Auf Seite 114 (D. a. s.) sprechen Sie von einem »realen Raum« und auf Seite 602 Ihres Hauptwerkes ist zu lesen:
Nach meiner Auffassung sind Raum und Zeit ebensowohl Formen der äußeren Wirklichkeit als der subjektiven Hirnanschauung.
Wäre Dem so, Herr von Hartmann, so würde Kant allerdings nichts Anderes, als ein naseweises Bürschchen und höchstens ein talentvoller Kopf, aber kein bahnbrechendes Genie gewesen sein; denn wenn man Kant’s Philosophie über den menschlichen Intellekt allen Werth abspricht, was bleibt dann wohl noch Werthvolles in seinen Werken übrig? Etwa seine Ethik, welche in einer Moraltheologie endigte? Etwa seine Aesthetik, welche, einzelne gute Gedanken abgerechnet, nichts Positives, sondern nur Kritisch- Negatives enthält? Sein Angriff auf Gott, der mit dem Postulat eines Gottes endigte?
Diese klare Thatsache, Herr von Hartmann, hätte Sie sehr, sehr stutzig machen sollen; denn wer immer auch zum ersten Male, was immer für eine Seite der Kritik der reinen Vernunft liest, hat sofort die Ahnung, daß ein überlegener Geist redet. Dieses dunkle Gefühl verwandelt sich in Dem, welcher Kant studirt, zum klaren Urtheil, daß
Kant vielleicht der originellste Kopf ist, den je die Natur hervorgebracht hat. (Schopenhauer.)
Auch Sie, Herr von Hartmann, mußten dies spüren, denn Ihr Todfeind müßte Ihnen lassen, daß Sie sehr talentvoll sind. Und dennoch haben Sie es gewagt, Kant auf die Stufe, auf der Sie stehen, herabzuziehen, indem Sie die transscendentale Aesthetik und transscendentale Analytik, die wunderbarsten Blüthen des größten menschlichen Tiefsinns, für müßig ersonnene Märchen erklärten.
ii560 Ach, Herr von Hartmann! Nicht für die Schätze beider Indien, wie man zu sagen pflegt, nicht für die Cakrawartti-Krone, d.h. die cäsarische Herrschaft über die ganze Erde, möchte ich Ihr Urtheil über den »Alleszermalmer« gefällt haben. Und hätte ich kein anderes erhebendes Bewußtsein als Das, Kant verstanden zu haben, so würde ich dennoch mit Niemand in der ganzen Welt tauschen. Ich würde mich, wie Hamlet, ein König dünken, ob ich gleich nur in einer Nußschale säße.
Trotzdem kann ich Sie, mit Absicht auf Raum und Zeit, nicht ganz verdammen, und mögen Sie schon hieraus entnehmen, daß ich sine ira et studio Ihre Schriften kritisire. Was man mir von Ihnen erzählt hat, namentlich daß Sie bereuen, Ihr Hauptwerk so früh der Oeffentlichkeit übergeben zu haben, ingleichen Ihr Pessimismus, haben sogar, ohne daß ich Sie persönlich kenne, eine gewisse Sympathie für Sie in mir erweckt, so daß ich von der Vernunft gar nicht an Gerechtigkeit und nur Gerechtigkeit gemahnt werden muß. Ich bin bestrebt, Ihren Schriften gute Seiten abzugewinnen und nur, wo Sie das vorhandene Gute in der Philosophie in blauen Dunst hüllen oder den Geist auf alte oder neue Abwege leiten wollen, muß ich, als Streiter für die Wahrheit, der Lüge in Ihren Werken – nicht Ihrer Person – einen Kürassierhieb geben.
Das Problem der wahren Natur des Raumes und der Zeit war ein so außerordentlich schwieriges, daß es von Einem Denker allein gar nicht gelöst werden konnte, Scotus Erigena sprengte ein Stück der Schale der harten Nuß ab; Spinoza biß sich einen Zahn daran aus; Locke nahm seine ganze Denkkraft zusammen, um den Kern zu enthüllen; Berkeley sprengte dann wieder ein Stück Schale ab und Kant schließlich legte den halben Kern bloß. Schopenhauer ist nicht zu nennen, da er ohne Weiteres die Ergebnisse der transscendentalen Aesthetik Kant’s seiner »Welt als Vorstellung« einverleibte.
Auch Sie, Herr von Hartmann, haben das Problem recht sorgfältig untersucht und halte ich Ihre Studie: »Das Ding an sich und seine Beschaffenheit« trotz der durch und durch falschen Resultate derselben für das Beste, was Sie geschrieben haben. Diese Studie und Ihre Abhandlung über das Elend des Daseins werden Ihren Namen auf die Nachwelt bringen, wenn auch nicht |
ii561 auf die ganze Nachwelt, so doch auf mehrere Generationen, und Sie dürfen sich getrost sagen: Ich habe nicht umsonst gelebt, die »Spur von meinen Erdentagen« wird sich nicht so bald verlieren.
In der erwähnten Schrift mühten Sie sich redlich ab, das Problem endgültig zu lösen. Aber was haben Sie erreicht? Sie kamen schließlich dahin, die von Scotus Erigena, Berkeley und Kant abgesprengten Schalstücke zusammenzuleimen und wieder auf den offenen halben Kern zu stülpen. Sie erklärten, wie oben: Raum und Zeit sind subjektive und Ding-an-sich-Formen. Sie gossen wieder alles Errungene, wie Ihr großes Vorbild Schelling, »in den Brei der absoluten Identität.« (Schopenhauer.)
Und Sie waren so nahe an der Wahrheit! – so nahe, daß ich gar nicht begreifen kann, wie es kam, daß Sie keinen Freudeschrei ausstießen und, wie Archimedes, riefen: /eýrhka!) Ich hab’s gefunden! Denn Ihr guter Genius hatte Sie stutzen lassen vor der Polemik Kant’s mit dem kleinen Kläffer Eberhard und Sie hatten bereits, wie Kant selbst, genau die Anschauungsform von der reinen Anschauung unterschieden. Da war nur noch ein ganz kleiner Schritt zu machen und die andere halbe Schale wäre vor dem fascinirenden Forscherblick von selbst in tausend Stücke zersprungen.
So überließen Sie mir denn, die letzte Arbeit zu thun, und ich danke Ihnen für diese Ihre »unbewußte« Großmuth.
Ich habe nachgewiesen, daß die apriorische Form der Zeit die Gegenwart, die apriorische Form des Raums der Punkt-Raum ist. Zeit und (mathematischer) Raum sind Verbindungen a posteriori der Vernunft, aber trotzdem rein ideal, wie Kant richtig lehrte: sie sind nur nicht apriorisch, was ein großer Unterschied ist. Oder mit anderen Worten: außerhalb des Kopfes giebt es weder einen Raum, noch eine Zeit, so wenig wie es außerhalb des Kopfes eine Causalität und causale Affinität der Dinge giebt.
Was entspricht aber auf realem Gebiete den idealen Formen Raum und Zeit? Dem Punkt der Gegenwart entspricht der reale Punkt der Bewegung; der Zeit die reale Bewegung, der Fluß des Werdens; dem Punkt-Raum die Ausdehnung eines Individuums, seine Kraftsphäre, seine Individualität; und |
ii562 dem mathematischen Raume (der reinen Anschauung a posteriori, nicht a priori, wie Kant lehrte) das – absolute Nichts.
Alle diese apriorischen und aposteriorischen (aber rein idealen) Formen sind uns bloß gegeben, um die Außenwelt, d.h. die Dinge an sich und ihre Bewegung (Entwicklung) zu erkennen. Der Punkt-Raum verleiht den Objekten nicht die Ausdehnung, so wenig als ihnen die Zeit die Bewegung verleiht, sondern der Punkt-Raum erkennt nur die Ausdehnung, die Zeit erkennt nur die Bewegung, die Entwicklung der Dinge.
Es wird Ihnen vollkommen klar sein, Herr von Hartmann, daß es sich auch hier wieder nicht um kleinliche Silbenstecherei und gewaltsames Auseinanderhalten identischer Begriffe, sondern um grundverschiedene Begriffe handelt. Dem gemeinen Manne, d.h. dem philosophisch Rohen, mag es wohl ganz einerlei lauten, ob ich sage: jedes Ding ist räumlich oder jedes Ding ist ausgedehnt; jedes Ding ist zeitlich oder jedes Ding hat innere Bewegung, ist belebt, entwickelt sich; aber Sie haben über Raum und Zeit nachgedacht, sehr lange und mit Ernst nachgedacht, und Sie wissen ganz genau, welche großartigen Folgen aus dieser nothwendigen Auseinanderhaltung des Idealen und Realen auf philosophischem Gebiete entstehen. Ich werde mich deshalb hier nicht länger aufhalten und lenke nur Ihre Aufmerksamkeit zum Schlusse auf eine einzige Consequenz, welche aus unseren bisherigen Untersuchungen mit logischer Nothwendigkeit fließt:
Daß die Unendlichkeit nur im Kopfe des Menschen, nicht auf realem Gebiet zu finden ist. Nur den subjektiven Formen kommt das Prädicat »unendlich« zu, weil die synthetische Thätigkeit der Vernunft und ihre idealen Producte, die idealen Formen, nothwendig schrankenlos sein müssen, sollen sie überhaupt zur Erkenntniß tauglich sein. Mithin darf dieses Prädicat »unendlich« nie auf die Kraft selbst, resp. auf eine Composition individueller Kräfte freventlich übertragen werden.
Wollen Sie dies festhalten, Herr von Hartmann? Thun Sie es, so werden sich unsere weiteren Untersuchungen sehr glatt abwickeln.
Raum und Zeit gehören mithin auf der Kant’schen Tafel der Kategorien unter die Kategorien der Quantität, und ich bitte |
ii563 Sie, die von Ihnen stehen gelassenen »Urgedanken a priori«, Einheit und Vielheit, gefälligst fortzuwerfen. Zugleich ersuche ich Sie anzumerken, daß aber Raum und Zeit keine Kategorien und auch keine reinen Anschauungen a priori, sondern anschauliche Verbindungen a posteriori sind.
Da die Kategorien der Modalität, wie Sie sehr wohl wissen, Nichts, gar Nichts zur Erfahrung beitragen (Kk. d. r. Vernunft, 217), so verlangt also nur noch die von Ihnen unter der Rubrik »Qualität« belassene Kategorie der Realität eine Besprechung.
Auch hier, Herr von Hartmann, steh’ ich verwundert und kann es gar nicht fassen, daß Sie nicht die Wahrheit erkannt haben. Sie waren ihr auch in dieser Richtung so nahe, daß Sie, um bildlich zu reden, schon den Nagel Ihres Zeigefingers darauf gesetzt hatten. Und auch hier danke ich Ihnen für Ihre »unbewußte« Freundlichkeit, mir überlassen zu haben, eine süße Frucht zu pflücken.
Sie haben sehr genau Das untersucht, was man im gewöhnlichen Leben Stoff nennt und haben wie Locke gefunden, daß Alles, was wir über die Qualitäten eines Gegenstands, also über den Stoff, die Materie, aussagen können, subjektive Empfindung, Reaction in unseren Organen ist: wie Farbe, Glätte, Geschmack, Festigkeit, Temperatur, Härte u.s.w.; kurz, daß sich unsere Bekanntschaft mit der Materie auf die von Locke unter den Begriff »sekundäre Eigenschaften« gebrachten Qualitäten der Objekte beschränkt, welche Qualitäten alle nachweislich in uns, in unserem Kopfe entstehen. Daß es von uns unabhängige Kräfte sind, welche in uns die sekundären Eigenschaften erzeugen, hatte Locke gleichfalls schon nachgewiesen.
Aber wie er, so wußten auch Sie nicht das Ei auf den Tisch zu stellen. Wie er, nahmen auch Sie trotz Allem und Allem neben der Kraft noch eine vom Subjekt unabhängige Materie an.
Es ist wirklich unglaublich, daß so viele Denker schon sich sagen mußten: »Alles, was man von der Materie kennt, ist subjektive Verarbeitung eines vom Subjekt unabhängigen Wirkens einer Kraft«, und dennoch nicht, was so einfach gewesen wäre, zur Schlußfolgerung kamen: »Demnach ist die Kraft allein real und was wir Materie nennen, ist rein ideal.«
Dies habe ich nun gethan. Ich habe bewiesen, daß die Materie durch und durch ideal, die Kraft durch und durch real ist: |
ii564 aus der Vermählung beider in den Sinnen des Subjekts entsteht Das, was wir materielles Objekt, Stoff nennen.
Die wichtigen Folgerungen, welche sich aus der Idealität der Materie, resp. der auf Grund der apriorischen Materie durch Verknüpfung a posteriori gewonnenen Substanz, ergeben, werden Ihnen, wie ich hoffe, aus meinem Hauptwerk bekannt sein, weshalb ich die Untersuchung hier abbreche.
Die Resultate aus allem Bisherigen sind die, daß Raum und Zeit keine reinen Anschauungen a priori sind, und daß es keine Kant’schen Kategorien giebt. Benutzt man aber die Tafel der Kategorien als einfaches Schema, so haben wir folgende idealen Verbindungen und Verknüpfungen:
Quantität Qualität Relation
Raum Substanz allgemeine Causalität
Zeit Wechselwirkung,
mit deren Hülfe wir die ganze Außenwelt erkennen.
Diese Verbindungen sind ein unbewußtes Werk des Geistes, wie der Magen seinen Saft unbewußt für uns absondert. Sie werden uns aber bewußt, wenn wir darüber nachdenken und sie im hellen Punkte des Bewußtseins entstehen lassen, wie der Anatom sich bei einer Vivisection der Functionen der Organe bewußt wird.
Kant, Das werden Sie jetzt einsehen, ist also nicht ein naseweises Bürschchen gewesen, sondern ist der tiefste Denker der Deutschen: ein bahnbrechendes Genie.
An den Kategorien, wie sie Kant definirte und entwickelte, darf man keinen allzu großen Anstoß nehmen. Die Sache, um die es sich dabei handelte, muß man allein im Auge haben, und thut man dies, so wird man sich demüthig und doch stolz vor dem großen Königsberger beugen: demüthig, weil gerade die eminenten Köpfe genau so vor dem Kant, wie er in seinen Werken lebt, stehen, wie die heilige Cäcilie auf dem Bilde Raphael’s vor den musicirenden Engeln steht; stolz, weil alle Diejenigen, welche das Licht seiner Weisheit in sich aufnehmen, Theil an seinem Geiste haben und von ihm auf die erhabene Stelle gezogen werden, die er einnimmt. Kant gehört der Menschheit an, und er ist eine Freude oder wie die Minnesänger gesagt haben würden: eine »süße, klare Augenweide« der Menschheit; aber wir Deutschen werden uns trotz|dem
ii565 immer bis an das Ende unserer Nation sagen, daß er ein Deutscher war, was eine zweite Quelle des Stolzes für Den ist, welcher Kant’sche Weisheit in seinem Blute spürt.
Man darf nicht einem früheren Philosophen vorwerfen, daß er die absolute Wahrheit nicht voll und ganz gefunden habe. Wie Alles in der Welt, hatte und hat noch immer der allgemeine menschliche Geist eine Entwicklung. Der letzte Philosoph wird die Wahrheit allerdings berühren und voll und ganz in die Hand nehmen, aber doch nur deshalb, weil er auf so und so viel aufeinanderstehenden Riesen als letzter steht.
So konnte auch Kant nicht Alles finden. Namentlich ließ er das Ding an sich ganz unbestimmt, ja, er mußte es unbestimmt lassen, da es, seiner Lehre zufolge, noch weniger als x: die reine Null ist.
Sämmtlichen oben angeführten idealen Verbindungen und Verknüpfungen stehen, wie ich in meinem Werke gezeigt habe, echte Formen des Dinges an sich gegenüber, aber nicht die von Ihnen aufgestellten identischen, sondern toto genere von den idealen verschiedene Formen:
der Zeit – die Bewegung,
der Substanz – das Weltall als Collectiv-Einheit,
der allgemeinen Causalität – das reale Erfolgen,
der Gemeinschaft – der dynamische Zusammenhang der Dinge.
Dem mathematischen Raume steht das leere Nichts, das nihil negativum, gegenüber, das allerdings keine Form des Dinges an sich ist, dem aber auch im mathematischen Raume keine Erkenntnißform entspricht, weil der mathematische Raum gar Nichts zur Erkenntniß der Dinge beiträgt: er gehört gar nicht zum formalen Netz, worin wir die Welt erkennen.
Ich will diese Betrachtung nicht schließen, ohne Ihnen noch eine Bemerkung gemacht zu haben.
Indem Sie eine transscendente (!) Causalität, einen realen Raum und eine reale Zeit annahmen, bestehen für Ihre Philosophie noch immer die hier in Betracht kommenden Kant’schen Antinomien in voller Kraft, obgleich Sie dieselben
mit der gebührenden Nichtachtung behandelt ... und Nachsicht gegen diesen Theil der Kant’schen Philosophie üben gelernt haben.
(D. a. s., 97.)
ii566 Sie mögen sich drehen und wenden wie Sie wollen – immer wird dieser Zopf der Antinomien an Ihnen hängen und wird Sie zu einer unfreiwilligen komischen Figur machen; denn merken Sie wohl, was ich Ihnen sage: der Causalität, dem Raum und der Zeit ist die Unendlichkeit wesentlich, d.h. die Bewegung des Subjekts in diesen Formen ist unbeschränkt.
Sie natürlich, mit großer Dreistigkeit, welche der Unreife ebenso wesentlich ist wie dem Raume die Unendlichkeit, setzen sich über den betäubenden Dunst philosophischen Dünkels und erklären ex tripode:
Ich will nicht unterlassen zu bemerken, daß selbst diese subjektiv- potentielle Unendlichkeit nur von dem subjektiven Vorstellungsraum gilt, wo die Grenzenlosigkeit des räumlichen Fortgangs allerdings durch Nichts als den zu früh eintretenden Tod des Individuums gestört wird. Anders bei dem realen Raum, welcher zwar noch eine potentielle Unendlichkeit als Grenzenlosigkeit möglicher realer Bewegung besitzt, welchen ich aber nicht nach subjektiver Willkür durch Bewegung des Gedankens erweitern kann, und den ich genöthigt bin (als transscendentes Correlat, auf das ich meinen subjektiven Vorstellungsraum transscendental beziehe), begrifflich als jederzeit endlich zu supponiren, da er nicht weiter reicht als die materiellen Dinge an sich, deren Daseinsform er ist, und die materielle Welt nothwendig endlich sein muß.
(D. a. s., 114.)
Herr von Hartmann! Haben Sie auch diese Stelle bereut? Gewiß! Ich bedaure Sie von Herzen und leide geradezu mit Ihnen.
Sie sagen sehr richtig, daß die Welt endlich sei, aber haben Sie diese Endlichkeit beweisen können? Die Endlichkeit der Welt läßt sich nur aus der Annahme realer Individuen beweisen, welche von Ihnen geleugnet werden. Gesetzt übrigens, Sie hätten die Endlichkeit der Welt bewiesen, was Sie nicht gethan haben, hätten wir dann nicht, Ihrer Philosophie gemäß,
eine endliche Welt in einem realen unendlichen Raume?
Denn – ich sage es Ihnen noch einmal und Sie werden es nie, nie widerlegen können – dem Raume, gleichviel ob realem oder idealem Raume, ist die Unendlichkeit wesentlich. Fragen Sie den ersten Besten, er sei der Genialste oder der Dümmste – |
ii567 immer wird er Ihnen sagen: »der Raum ist unendlich.« Hier giebt es gar kein Entrinnen: jeder Ausweg ist Ihnen verschlossen. Wollen Sie trotzdem Widerstand leisten, so werden Sie wieder komische Figur und da muß Ihnen doch wohl die kalte Vernunft empfehlen, das kleinere von zwei Uebeln zu wählen, d.h. ruhig Ihre Hände fesseln zu lassen.