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Weh, was ist Gott?

Die Dichtung ist auf jeden Menschen anwendbar, der einen ethischen Läuterungsprozeß durchmacht oder bereits vollendet hat. Ihr größter Werth aber liegt, wie schon bemerkt, in ihrer speziellen Anwendung auf den weisen Helden. Wir Deutschen haben noch keinen weisen Helden hervorgebracht. Als Indo-Germanen participiren wir nur an dem Ruhme Budha’s. Die Juden haben den ihrigen: sie dürfen ihn aber nicht anerkennen, weil sie sonst aufhören würden, Juden zu sein. Als Volk dürfen sie sich seiner auch nicht rühmen, |

ii254 weil bei den Juden Nationalität und Judenthum zusammenfällt: sie sind eine theokratische Nation. Dagegen haben wir Deutschen den weisen Helden in der Dichtung, in der tiefsinnigsten Dichtung der Welt, eben im Parzival, und entspricht dies ganz unserem gemüthstiefen, idealen, aber wesentlich unpraktischen, unbeholfenen, blöden, querköpfigen, vierschrötigen, eckigen, plumpen Volkscharakter. Der deutsche Michel ist ein schläfriger Geselle und wird als solcher von allen anderen Nationen bespöttelt; dafür aber ist er mit gar keiner anderen Volkspersonification auch nur entfernt zu vergleichen, wenn er, ganz eingesponnen in seine zaubervollen Träume und lichten Märchen, contemplativ wird. Vor diesem Michel haben sich, seit er eine Geschichte hat, alle Nationen gebeugt und sind zu ihm gezogen wie die Königin von Saba zum weisen Schlomo von Jerusalem. In neuester Zeit hat der Michel etwas mehr Beweglichkeit und Tournüre bekommen: er hat die Hausknechtsschürze ausgezogen und einmal versucht, den Herrn zu spielen und zu commandiren. Er war maßlos verblüfft, als er sah, daß feine große Herren ihm gehorchten und wurde ganz schamroth darüber. Seitdem studirt er im Frack – natürlich in einem Zimmer, dessen Thüren verschlossen und dessen Fenster verhängt sind – vor dem Spiegel ein graciöses, nobles, ungenirtes, sicheres Auftreten. Die Bewegungen sind allerdings noch linkisch; die Worte, die er spricht, sind herzensgut gemeint, aber sie klingen so rauh und grob, kurz: er gewinnt noch immer nicht die Menschen beim ersten Begegnen. Aber er ist auf dem besten Wege, eine sympathische Persönlichkeit zu werden.

Sollte wirklich aus dem deutschen Michel ein Weltmann werden: glatt, vornehm, fein, taktvoll, sicher, mit einem Herzen voll Gerechtigkeit und Menschenliebe? Viele mögen es nicht für möglich halten; Andere werden es hoffen; ich glaube es, ja, ich spreche es geradezu aus: ich weiß es.

Ich kann mir nicht versagen, nochmals – zum dritten Male – den Charakter des weisen Helden an der Hand Wolfram’s zu entwickeln, eben weil es sich um einen deutschen weisen Helden handelt.

Es ist sehr bezeichnend für den deutschen weisen Helden, daß seine Mutter »Herzeleide« heißt und er in der Wüste erzogen wird. Natürlich ist er ein Prinz, der Sohn eines edlen Königs und einer minnesüßen Königin. Budha war auch ein Prinz und Christus sagte stolz: Ich bin ein König. Wer in der Welt sollte |



ii255 denn auch höher stehen dürfen als ein Genialer? Ein Kaiser? ein König? ein Herzog? – »Possen, Possen, Possen, lieber Herr!«

Die Königin war in die Wüste, welche selbstverständlich für einen deutschen Dichter lediglich die Einsamkeit bedeutet, geflüchtet, damit ihr schönes unschuldiges Kind nicht in der Berührung mit der bösen Welt Schaden an seiner Seele nehmen möge. Das war sehr schön gedacht, aber außerordentlich naiv und unpraktisch; denn die verlockende Welt kann nur von Dem überwunden werden, der in ihr gelebt und in ihre letzte Falte geblickt hat.

Alle getroffenen Vorsichtsmaßregeln der Königin Herzeleide nützten auch so wenig, wie die Wächter, welche der König Sudhodana für Budha bestellte. Wie Budha einen Greis, einen Kranken, einen Todten und einen Büßer dennoch sah, so begegnete auch der Knabe Parzival plötzlich mehreren strahlenden Rittern.

Drei Ritter in der Rüstung Glanz,

Von Haupt zu Fuß gewappnet ganz.

Der Knappe wähnte sonder Spott,

Jeglicher wär’ ein Herregott.

Man merke hier den Unterschied zwischen dem deutschen Epos und der indischen Legende. In letzterer ist es die Welt von ihrer traurigen Seite (Greis, Kranker, Todter), welche Budha schüttelt und rüttelt, im Parzival ist es ihre schöne Seite (Glanz, Ruhm, Ehre, Macht), welche den Knaben verwirrt. Das Leben des Parzival ist das umgekehrte Leben Budha’s. Im Leben Budha’s folgte auf die Genüsse dieser Welt die Einsamkeit, im Leben Parzival’s dagegen folgte auf die Einsamkeit der weltliche Genuß. Budha klärte sich fern von der Welt, Parzival im Strudel der Welt. Dieser Unterschied ist aus dem Charakter beider Völker zu erklären: die Inder sind mild und contemplativ; die Deutschen thatkräftig und thatendurstig.

Die Königin wurde ohnmächtig, als ihr der geliebte Sohn seine Begegnung erzählte. Sie ahnte, was kommen würde. Und es kam. Die im Blut der Deutschen liegende Sehnsucht nach der blauen Ferne war im Herzen des Jünglings erwacht.

Der einfält’ge Knappe werth

Bat die Mutter um ein Pferd.

»Ach! Mutter, Mutter! laß mich zieh’n!« Es ist der alte Ruf der deutschen Jugend und auch das ist die »alte Geschichte, die immer neu« bleibt:

ii256 Sie küßt’ ihn oft und lief ihm nach.

Das größte Herzleid ihr geschah,

Da sie den Sohn nicht länger sah.

Im Schmerz und schließlich im Tod der Königin drückt aber der tiefsinnige Dichter noch etwas viel Rührenderes aus: den Schmerz und das Herzeleid der Angehörigen eines weisen Helden, der, getrieben vom göttlichen Athem, die dunkle, dornige, einsame Bahn betritt, deren Ziel allein in goldenem Lichte erstrahlt. Indem er sie betritt, muß er Veilchen und Rosen zertreten: am Fuße des Kreuzes auf Golgatha lag Maria mit dem zweischneidigen Schwert in der Seele, und Yasodhara-dewi, die sanfte Gemahlin Budha’s, hatte keinen Tag der Freude mehr, nachdem er sie und ihr Kind verlassen, bis sie, nach Jahren des Leids und unablässiger Trauer, sich auf dem Wege der vollkommenen Weltentsagung wieder mit ihm zusammenfand.

Parzival zieht in die Welt und erwirbt sich Ruhm, Ehre, Macht. Er freut sich des Sonnenscheins, ist glücklich in seinem natürlichen Egoismus und vergißt in seinem Jubel, die jammervolle Menschheit zu fragen, was sie bedrücke.

In diesem Theil des Parzival ist Monsalväsche (mont sauvage, mons silvaticus, Bergwildniß, Waldberg) identisch mit der Welt. Anfortas ist, – oder besser: Anfortas, seine Ritter (Templeisen) und übrigen Diener – sind identisch mit der Menschheit. Der Gral, d.h. die heilige Erlösungskraft oder auch die Stätte des Friedens (Herzensfriedens) oder auch die city of peace, Nirwana, das Neue Jerusalem wird hier lediglich vom Dichter eingeführt: er will nur die Leser aufmerksam machen, daß es etwas Besseres als die Welt und ihre Freuden giebt, weshalb er auch den Gral nicht erklärt.

Indem er jedoch die Burg des Gral in der Bergwildniß liegen läßt, deutet er feinsinnig an, daß der echte Seelenfrieden schon in dieser Welt zu finden ist, obgleich man in die Burg des Gral erst nach dem Tode kommen kann.

Monsalväsch ist nicht gewöhnt,

Daß ihm wer so nahe ritt,

Es sei denn, daß er siegreich stritt

Oder solche Buße bot

Die sie vor dem Walde heißen Tod.

Man kann dieser wunderschönen Stelle verschiedenartige Deutung geben. Versteht man nämlich unter »Tod vor dem Walde« den |

ii257 Tod Adam’s und die damit verbundene geistige Wiedergeburt, so ist die Burg des Gral lediglich der Herzensfriede. Faßt man dagegen den Tod als leiblichen Tod auf, so ist eben die Burg des Gral das Himmelreich, das bessere Jenseits, Nirwana, und Monsalväsche in diesem Sinne mons salvationis (Berg des Heils, Erlösungsberg).

Parzival fragt also die Menschheit nicht, er geht theilnahmlos an ihr vorbei, die flehentlich die Arme ihm entgegenstreckt. Warum soll er sich um Andere bekümmern? Ist ihm nicht wohl, unaussprechlich wohl? Was fehlt ihm? Nichts. Er hat eine herrliche Individualität und süße Ruhe. Er braucht Niemand, er genügt sich vollkommen. Soll er sein geschütztes, helles, warmes Plätzchen verlassen und unter jene Jammervollen treten, welche immer ihre Helfer, zum Dank für ihre Hülfe, an’s Kreuz geschlagen haben? Er müßte doch ein Thor sein, wie die Kinder der Welt sagen, er müßte unaussprechlich dumm sein, wenn er unter den Pöbel träte und ihm helfen wollte, wenn er sich treten, stoßen und in den Staub werfen lassen wollte, er, der klare, helle, reine Ritter, die Blume der Ritterschaft,

»aller Mannesschöne Blumenkranz.«

Warum, warum soll er helfen? Warum um Gotteswillen soll er denn seine reinen feinen Finger an den rebellischen, harten Menschenstoff legen? — — — —

Er zieht vorbei. — — —

Aber er hat in jammervolle müde Augen gestarrt, er hat knieende Bettler gesehen, die ihre Arme flehentlich ihm entgegenstreckten, er hat Worte aus ihrem Munde gehört, die ihm im Ohre gellen, entsetzlich gellen. Und da – da plötzlich erwacht etwas in seinem Herzen, macht es anschwellen, macht es bis zum Halse schwellen, würgt ihn, erstickt ihn, preßt ihm glühende Thränen wie geschmolzenes Blei aus den Augen: das Mitleid mit der Menschheit ist in ihm erwacht, wie in Christus und Budha. Jetzt ertönt mit einem Male eine Stimme in ihm, die der Dichter, genial gestaltend, aus einer der schönsten Figuren, welche die Dichtkunst aufzuweisen hat, aus dem Munde der Zauberin und Gralsbotin Kondrie ertönen läßt:

Verflucht sei euer lichter Schein

Und eures Wuchses Männlichkeit.

Herr Parzival, nun saget mir

Wie sich das begeben hat:

Da ihr den traurigen Fischer saht,

ii258 Freudlos sitzen, ungetröstet,

Daß ihr des Leids ihn nicht erlöstet?

Er zeigt’ euch seines Jammers Last:

O ihr ungetreuer Gast!

Da sollt’ euch seine Noth erbarmen.

Ihr Glücksverwies’ner, Heilverbannter,

Vom Preis Verlass’ner, Ungekannter,

Ihr seid der Ehre lahm und schwank

Und an der Würdigkeit so krank,

Euch kann kein Arzt mehr Heil gewähren.

Gab euch nicht der Wirth das Schwert,

Deß ihr niemals wurdet werth?

Ehrloser Mann, Herr Parzival!

Trug man nicht vor euch hin den Gral,

Schneidendes Silber, blutigen Speer?

Ihr Freudenziel, des Leids Gewähr!

O weh mir, hätt’ ich’s nie vernommen,

Daß der Sohn von Herzeleiden

Sich vom Preise mochte scheiden.

»Weh!« ruft sie endlich überlaut,

»Weh, Monsalväsch, du Jammers Ziel,

Weh, daß dich Niemand trösten will!« –

Wie tief! welche Weisheit im lichtesten, schönsten Gewand der Poesie!

Gab euch nicht der Wirth das Schwert,

Deß ihr niemals wurdet werth?

Ja, ihm allein hatte die Natur das Schwert gegeben, das helfen kann: den klaren Geist und den Enthusiasmus der Seele, das große, glühende, kräftige Herz und die holdselige Rede, der Niemand widerstehen kann. Nur dieser bestimmte Mensch, nur dieser Parzival kann helfen, er allein hat das Schwert, welches das Leid der Menschheit zerstören kann – und dieser Parzival läßt das Schwert an der Wand hängen, sonnt sich in seinem Glanz, dehnt und reckt sich behaglich und spricht: bin ich nicht glücklich? Was geh’n mich die Anderen an, diese Anderen, deren »Freudenziel und Leids Gewähr«


Date: 2015-01-02; view: 1196


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