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Schneidendes Silber, blutiger Speer

ist?

O Wolfram, begnadeter Sänger! Ich fühle dir nach, was du empfunden hast, als du die Rede der Kondrie dichtetest! |

ii259 Was war all dein Ruhm gegenüber dem Glück, das damals in deiner Brust geleuchtet haben mag?

Schneidendes Silber, blutiger Speer,

Ihr Freudenziel, des Leids Gewähr!

Um diese Verse richtig zu verstehen, muß man die Geschichte des Anfortas, überhaupt die Bedeutung des Gral und der ihm nach der Sage innewohnenden heiligenden und belebenden Kräfte kennen.

Diese Geschichte ist sehr wahrscheinlich die schönste gedachte Verbindung des Heidenthums mit dem Christenthum, geradeso wie das Weihnachtsfest mit seinem grünen lichtstrahlenden Baum – die Wonne jedes Deutschen – die schönste anschauliche Verbindung der beiden ist.

Dem Gralsmythus liegt die uralte heidnische Symbolisirung der aufeinanderfolgenden Jahreszeiten, bezw. der beiden Hälften des Jahres zu Grunde, welche durch die Sonnenwenden geschieden sind: die schöne Jahreszeit, der Sommer, das lebenspendende und -weckende Licht, wie es vom Frühling bis Mittsommer herrscht, muß entfliehen, und nach seinem Untergange (der durch die Sommersonnenwende bezeichnet wird, von welcher an die Tage abnehmen) besteigt der Winter, die »Nacht des Jahres,« und die Kälte den Thron; dann werden diese vertrieben und der Sommer kehrt mit dem wiedergeborenen, täglich wachsenden und höher aufsteigenden, siegreichen Lichte wieder.

Dieser auf einem alljährlich wiederkehrenden Schauspiel beruhende Naturmythus durchzieht wie eine gemeinsame Familien- Ueberlieferung die frühesten religiösen Vorstellungskreise fast aller Völker der westlichen Hälfte der alten Welt. Nur die Einzelheiten ihrer weiteren Ausgestaltung gehen auseinander, insofern ein jedes Volk wieder seine besonderen Götterbegriffe, seine religiöse Weltanschauung in diese symbolische Deutung des Jahres- Kreislaufs und der ihn begleitenden Naturerscheinungen hineintrug, genauer: ihr das Gepräge seiner nationalen Eigenthümlichkeit aufdrückte. Der Grundgedanke, der Kern, das kosmische Element der Sage sind die gleichen an den Ufern des Nils, wie an den Küsten der Nordsee, in den Eichenwäldern und Druidenhainen Galliens und Germaniens, wie auf den cedernbestandenen Berghöhen des Libanon, unter der leuchtenden Sonne des heiteren schönheitstrunkenen Hellas, wie unter dem nebelumschleierten Himmel Skandinaviens, der Heimat der Edda.

Osiris, der Sonnengott, erliegt seinem neidischen feindseligen Bruder Typhon, und wird von seiner, vor dem Letzteren mit ihren |

ii260 Kindern flüchtenden, treuen Gemahlin Isis über die ganze Erde gesucht. (Aelteste, egyptische Sage.)

Adonis, (auch Attys, phrygische Sage,) das Sinnbild der jugendlich blühenden und grünenden Natur im Lenze, fällt, von einem grimmigen Eber tödtlich verwundet, auf der Jagd, und aus den niederrieselnden Blutstropfen des geliebten Leichnams, den die trauernde Aphrodite in ihren Armen hält, entsprießen Anemonen und Veilchen. (Phönizische Sage.)



Persephone, die liebliche Repräsentantin des vegetativen Lebens, wird von Pluto, dem finsteren Beherrscher des Todtenreichs, gewaltsam entführt, und ihrer Mutter, der wehklagend alle Länder nach der geliebten Tochter durchsuchenden Demeter, nur unter der Bedingung zurückgegeben, daß sie nicht mehr als die eine Hälfte des Jahres auf der lichten, sonnigen Oberwelt verweile, die andere im dunklen Schooß der Erde, an der Seite des ungeliebten Gemahls verbringe. Oder auch Orion, der kühne Jäger, wird von einem Skorpion in die Ferse gestochen, stirbt, und wird von der Eos beweint, deren in der Zeit von Mitternacht bis Tagesanbruch niederfallende Thränen der erquickende Thau des Morgens sind. (Griechische Sage.)

Odhin verfolgt als Sturmgott (oder »wilder Jäger«) die Freyja, oder auch die Freyja weint ihrem Gatten Odhur, der sie böswillig verließ, goldene Thränen nach. Oder Baldur, der reine hehre Lichtgott und Liebling aller Götter und Menschen, wird von dem Geschosse seines blinden Bruders Hödur (der lichtarmen Jahreshälfte) welcher das ahnungslose Werkzeug in der Hand des tückischen schadenfrohen Loki ist, durchbohrt, und muß in das Schattenreich der Hel, der fürchterlichen Todesgöttin, niederfahren. (Germanische Sage.) u.s.w., u.s.w.

Das Blut aller dieser Götter und Helden (auch die Thränen der Freyja, Isis, Eos u.s.w.) ist köstliches, wunderthätiges Blut. Man kann es einfach Licht, Weisheit, Erkenntnißkraft nennen.

Dieser uralten, auf heidnischem Boden erwachsenen Vorstellungen und Sagen bemächtigte sich nun das Christenthum, indem es zunächst das wunderkräftige Blut zum Blute des enthaupteten Johannes des Täufers machte, und die Schüssel, auf welcher das Haupt des Johannes lag, als man es der Herodias brachte, zur Quelle allen Segens und Ueberflusses erhob, welche die schöpferische Kraftfülle der Natur um die schönste Zeit des Jahres über die Erde |

ii261 ausgießt. In Uebereinstimmung hiermit wurde die heidnische Feier der Sommersonnenwende in das Fest des Johannes umgewandelt, als solches in den christlichen Kalender aufgenommen, und unter Beibehaltung (oder nur geringer Modification) der bis dahin herrschend gewesenen Gebräuche als christliches Fest begangen. (Johannisfeuer – Sonnenwendfeuer: Erinnerung an Baldur’s brennendes Schiff, das unter den Klagen der Götter mit der Leiche des gemordeten Jugend- und Frühlingsgottes in’s offne Meer hinausstößt.)

Aus dieser Mischung christlicher Sage und heidnischer Mythe entstand dann die im Geiste des christlichen Mittelalters umgebildete und verinnerlichte, tiefsinnige Sage vom heiligen Gral. Indem man unter der Gralsschüssel (altfranzösisch gréal, provenzalisch grazal: Schale, Schüssel, Gefäß) jetzt die kostbare Schale verstand, deren sich Christus beim letzten Abendmahl bedient hatte, als er das Brod brach, d.h. seinen Leib den Jüngern darreichte, und in welcher Joseph von Arimathia bei der Kreuzigung des Heilands das Blut auffing, welches zur Erlösung der Menschheit vergossen worden war (sanguis realis, königliches, heiliges Blut, sang réalsan gréal), knüpfte man in tiefbedeutsamer Allegorie den Gedanken der Welterlösung nicht nur an den Inhalt, sondern auch an das durch diesen geheiligte Gefäß selbst. Denn man sieht leicht, daß die Schüssel, die in der ältesten Form der Sage auch nur als ein Stein, ein kostbares Kleinod von wunderbarem Glanze und unschätzbarem Werthe gedacht war, das seinem Besitzer die höchsten Güter des Lebens verlieh (Stein der Weisen), und das Blut nunmehr identisch sind, und mit einem einzigen Worte bezeichnet werden können: Weisheit oder Erlösungskraft, d.h. die erlösende Kraft des Evangeliums.

Hieran knüpft sich die Geschichte des Anfortas. Anfortas war Herr des Grals, des wunderbaren, mit den Kräften des ewigen Lebens ausgestatteten Gefäßes, dessen bloßer Anblick schon genügend war, den darauf Hinschauenden vor den Leiden des Alters und den Schmerzen des Todes zu schützen. Er sündigte aber, d.h. er verfiel plötzlich in den natürlichen Egoismus, suchte nur sein individuelles Wohl und wurde dadurch furchtbar gestraft. (Hierin wieder liegt eine Spielart des persischen Sündenfalls.)

Er verließ die reine, helle, lichte Burg des Grals, die Stätte des Herzensfriedens, und jagte nach Besitz, Ehre, Ruhm, Macht, welches Alles Wolfram im Begriff »schneidendes Silber« zusammen|faßt.

ii262 Aber nicht nur Dies, sondern Anfortas unterdrückte auch den Geschlechtstrieb nicht: er opferte seine Keuschheit, er minnte.

Herr, ein König einst den Gral besaß

Der hieß und heißet Anfortas.

Immerdar erbarmen

Soll Euch und mich Armen

Seine bittre Herzensnoth,

Die Hochfahrt ihm zu Lohne bot.

Seine Jugend und sein reiches Gut

Verlockten ihn zum Uebermuth,

So daß er warb um Minne

Mit ungezähmtem Sinne,

Dem Gral ist solcher Brauch nicht recht.

—————

Als Herr des Grals nach Minne streben,

Ist sträfliche Vermessenheit,

Die Seufzer bringt und Herzeleid.

Wolfram ist hier ein echter Christ: er erkennt als solcher die Virginität als Kern des Christenthums und verherrlicht sie unverzagt und unentwegt.

Namentlich weil Anfortas die Keuschheit verlor, verlor er den Seelenfrieden. Oder wie der Dichter sagt:

Mit einem gift’gen Speer

Ward er in einer Tjost so wund,

Daß er nimmermehr gesund

Wird, der süße Oheim dein.

Getroffen ward sein Schambein.

— — — — des Speeres Eisen

Führt’ er in seinem Leib hindann.

Und diese Qual sucht Anfortas dadurch zu lindern, daß er immer wieder in die Arme der Wollust taumelt. Deshalb heilt er die Wunde, die der erste Speer verursachte, immer wieder mit dem

blutigen Speer.

Seine Strafe dafür ist Kälte und Frost, worin wieder der heidnische Mythos anklingt (der kalte dunkle Winter überwindet den milden Licht- und Frühlingsgott, den sonnenhellen Sommer). Klar ausgedrückt aber ist die Strafe: die Kälte und Oede, welche der natürliche Egoist in seiner Brust empfindet. Also

ii263 Schneidendes Silber, blutiger Speer,

Ihr Freudenziel, des Leids Gewähr!

oder mit anderen Worten: Das, was die Menschheit leidend macht, ist die Habsucht und die Wollust. –

O, wie die Worte der Zauberin Kondrie, d.h. die vorwurfsvolle Stimme des Gewissens dem Parzival das Herz zerriß! Wie er rang und rang, stöhnte und sich wand! Da wurde es Nacht in ihm und er fing an, mit Gott zu hadern, daß er ihn aus dem hellen Paradies der individuellen Genügsamkeit trieb und ihm einen Wurm, erstickendes Mitleid, in die Seele gesetzt hatte, das ihn hinausstieß in die Wüste der Bettler und Leidvollen.

Weh, was ist Gott?

Aber schon fing es wieder an, in ihm zu tagen.

Was half ihm kühnen Herzens Rath,

Und wahre Zucht und Mannheit?

Der Beschämung blieb er nicht befreit,

All seines Thuns gereut ihn jetzt,

und es war eine ganz andere Sonne, die jetzt auf den Flügeln der Morgenröthe für ihn aufging:

In Frieden sieht mich Niemand mehr,

Ersah ich nicht den Gral vorher,

Es währe kurz oder lang.

Mich jagt dahin der Seele Drang;

Auch wendet Nichts mir den Entschluß,

So lang ich bin und leben muß.

—————

Man warf mir eine schwere Schuld

Hier mit strengen Worten vor.

— — — — Hin zu dem Orte,

Wo meine grüne Freude dorrte!

Da war der Sturmwind geboren, der göttliche Athem hatte ihn ergriffen und wirbelte ihn willenlos fort, wie er Budha und Christus erfaßt und hinaus in die Wogen der Welt getrieben hatte:

Ihn, den wir wohl hießen Felsen

Aller mannlichen Kraft.

Er, Wettersturm der Ritterschaft,

Dem Falschheit nie im Herzen lag.

Aber Parzival würde kein echter weiser Held gewesen sein, wenn ihn |

ii264 nicht, als er seine schwere Mission erkannt hatte, Verzagen ergriffen und er nicht, als echter Fatalist, einen Ausweg erzwungen hätte. Weder in ihm ertönte eine süße Trostesstimme, noch wurde zuversichtlich von außen zu ihm geredet. Da schuf er sich, wie Christus und wie Budha, eine Causalität: er zwang die Außenwelt zu sprechen.

Er sprach: Ist Gottes Kraft so groß,

Daß sie beide, Mann und Roß,

Mag rechte Wege weisen,

Seine Hülfe will ich preisen.

Zaum und Zügel legt’ er beide

Frei zu des Rosses Ohren

Und trieb es mit den Sporen.

So kam er wieder in die Nähe der Gralsburg und zum Einsiedler Trevrezent. Dort wuchsen ihm Schwingen, dort schöpfte er die Kraft zum Kampfe, und die Siegesgewißheit, das unerschütterliche, göttliche Vertrauen zog in sein Herz ein, um es nicht mehr zu verlassen.

Schildesamt um den Gral

Uebt nun der Held, den mit Qual

Einst Frau Herzeleid gebar,

Der auch des Grals Anerbe war.

Jetzt wußte er, daß er und kein Anderer der Herr des Grals sein und die Menschheit leidlos machen werde. Sein innerer Mensch stand von nun an unbeweglich: der war zeitlos geworden und stand in der Ewigkeit.

Herr, ich weiß gar keine Zeit,

An welchem Ziel das Jahr nun steht

Und wie der Wochen Zahl vergeht.

Wie die Tage sind benannt,

Das ist mir Alles unbekannt.

Dagegen leidet der äußere Mensch schwer:

Hin reitet Herzeleidens Frucht.

Den lehrte mannliche Zucht

Demuth und Barmherzigkeit.

Dem die junge Herzeleid

Angeboren Treu und Güte,

Traurig ward sein Gemüthe.

Oder wie er selbst sagte:

Mir ist mein mannlich Herz so wund!

Wie wär’ es wohl auch heil und ganz,

ii265 Da Trübsal ihren Dornenkranz

Mir drückt auf alle Würdigkeit.

Hätte es anders sein können? Welcher Edle kann auf’s Volk sehn, ohne daß sein Herz zerrissen wird? Wohin man blickt, trifft man Seelenverdummung, Ungerechtigkeit, schamlosen natürlichen Egoismus, Habsucht, Lug, Betrug, Unreinheit, Finsterniß und namenlose Qual in allen Ständen. Sind es Menschen, die sich dort wie eine trübe Flut hinwälzen, die Zähne fletschen, tödtlichen Haß in den funkelnden Augen zeigen und sich zerfleischen? Thiere sind es, wilde Bestien, die wohl einen Docht im Gehirn tragen, aber keinen brennenden Docht. O! daß ein Parzival aufstünde, ein »Inmittendurch«*[2], der mit dem göttlichen Feuer des Grals den Docht anzünde, damit es hell würde in der öden Hirnschale und das erschütternde Wort des Predigers:

Und meine Seele suchet noch, und hat es nicht gefunden. Unter tausend habe ich Einen Menschen gefunden, aber kein Weib habe ich unter denen Allen gefunden,

(Koheleth 7, 29.)

so verändert werden könnte, daß es lautete:

Unter tausend habe ich tausend Menschen gefunden und Hunderte von Weibern habe ich unter denen gefunden.

Stünde ein solcher »Inmittendurch« auf, so würde er seinen Lohn finden, wie der Held der tiefsinnigen, herrlichen Dichtung des fränkischen Sängers. Dieser Lohn wäre eine leidlose Menschheit, d.h. die Spiegelung davon in seiner Seele. Wir wollen denselben an der Hand des Dichters jetzt betrachten.

ii266 Endlich findet Parzival die Gralsburg wieder. Sein Bruder, der Heide Feirefiß begleitet ihn, womit der geniale Dichter sehr feinsinnig andeutet, daß allen Menschen, nicht nur den Christen, der Frieden der heiligen Statte zu Theil werden wird. Anfortas, die Menschheit, steht unsagbare Qual aus. Könnte er sich entschließen, die Augen vom Gral abzuwenden, so würde er den Tod finden.

Die Farbe bleibt Dem klar und rein,

Der täglich schauet auf den Stein,

Wie in seiner besten Zeit

Einst als Jüngling oder Maid.

Säh’ er den Stein zweihundert Jahr’,

Ergrauen würd’ ihm nicht sein Haar.

Solche Kraft dem Menschen giebt der Stein.

Aber er kann es nicht. In dieser schönen Sage liegt die Wahrheit, daß der göttliche Athem jeden Menschen, auch den Rohesten, unaufhörlich berührt und Sehnsucht nach einem Leben unter dem heiligen Gesetz erweckt. So muß denn auch Anfortas immer wieder den Blick auf den Gral werfen, wenn seine Kraft am Erlöschen ist, und aus der Wunderkraft des heiligen Gefäßes neues Leben schöpfen.

Ihr habt wohl schon vernommen, daß

Er lehnte und gar selten saß.

Die Zwei empfing Anfortas, zwar

Fröhlich, doch mit Kummers Klage:

»Mit Schmerz erharrt’ ich’s lange Tage,

Werd’ ich künftig von euch froh.

Bittet, daß man mir den Tod

Vergönnt, so endet meine Noth.

Ist euer Name Parzival,

So entziehet meinem Blick den Gral.«

Aber über Parzival schwebte der Erlösungsgedanke, die Taube lag mit ausgebreiteten Flügeln brütend auf seiner erglühenden Seele.

Da warf er betend sich zur Erden

Dreimal zur Dreifaltigkeit,

Daß des traurigen Mannes Leid

Jetzt ein Ende möcht’ empfahn.

Und das Wunder geschah! Es war vollbracht: Parzival sah eine leidlose Menschheit.

ii267 Was der Franzose nennt Florie

Den Glanz er seiner Haut verlieh.

Parzivals Schönheit war nun Wind,

Und Absalons, Davidens Kind,

So Aller, die wie Vergulacht

Die Schönheit erblich hergebracht.

Auch Gahmuretens Schönheitspreis,

Als er dort zu Kanvoleis

Einzug hielt so wonniglich –

All ihre Schönheit dieser wich,

Die Anfortas aus Siechheit trug.

Gott hat der Künste noch genug.

Und Parzival? –

Parzival wurde zwar anerkannt als König und Gebieter in der Burg des Grals, aber was konnte ihm Das sein? Sein Lohn war der Reflex des Glücks, das er der Menschheit gebracht, in seiner hellen Brust. Jetzt kam auch die Zauberin Kondrie wieder, aber ganz anders.

Sie fiel zu seinen Füßen

Und bat ihn weinend um sein Grüßen,

Daß er ihr die Schuld verzeihe,

Ohne Kuß die Huld ihr wieder leihe.

Dann sagte sie:

Nun sei demüth’gen Sinnes froh

Des dir beschied’nen Theiles:

Der Krone menschlichen Heiles!

Und wär’ kein ander Heil dir kund

Als daß dein wahrhafter Mund

Den unsel’gen, süßen

Mit Freude soll begrüßen!

Den König Anfortas erlöst

Die Frage deines Munds und flößt

Ihm Freud’ in’s Herz, dem Jammerreichen.

Wer mag an Seligkeit dir gleichen?

An dir hat Sorge nicht mehr Theil.

Was des Planetenlaufes Eil’

Umkreist, ihr Schimmer überdeckt,

Soweit ist dir das Ziel gesteckt,

Da sollst du Macht erwerben.

ii268 Dein Kummer muß verderben.

Unenthaltsamkeit allein

Soll dir nicht gestattet sein:

So wehrt dir auch des Grales Kraft

Der Sündigen Genossenschaft.

Du hattest junge Sorg’ erzogen:

Nun dir Freude naht, ist sie betrogen.

Du hast der Seele Ruh’ erworben,

Dir Freud erharrt im Drang der Sorgen.

—————

Zum Schlusse frage ich: Was schwebte wohl vor dem trunkenen Auge des fränkischen Dichters, als er seinen Parzival schuf und sein Ideal eines christlichen Heldenthums darin niederlegte? Dasselbe, was Plato vorschwebte, als er seinen »Staat« schrieb. Während Dieser aber (obgleich selbst ein großer Dichter) mehr auf nüchterne philosophische Weise und in den Anschauungen des griechischen Volksgeistes das Glück der Menschheit erwog, erfaßte es der edle Wolfram als farbenreiches lichtes Dichtergebilde und zugleich in der Anschauungsweise der mittelalterlichen Ritterschaft.

Er wollte ein geistliches Ritterthum der edelsten Art, einen Orden reiner Ritter, einen Orden von Templeisen, welche der ganzen Menschheit Das seien, was die damaligen Ritterorden, vornehmlich der Templerorden, nur für Theile der Menschheit waren. Wolfram’s umfassender Geist konnte kein bestimmtes Volk im Auge haben: die Menschheit war’s, die sein glühendes großes Herz umfaßte. Das erhellt deutlich aus den Worten:

Die Menschheit trägt den höchsten Werth,

Die zum Dienst des Grales wird begehrt.

Er dachte sich unter dieser ritterlichen Verbrüderung zum Dienste des heiligen Grals Ritter des göttlichen Gesetzes, die ihr ganzes Leben diesem Gesetze weihten, nachdem sie vollständig der Welt entsagt haben.

Der Gral ist streng in seiner Kür:

Sein sollen Ritter hüten

Mit entsagenden Gemüthen.

—————

Frauenminne muß verschwören

Wer zur Gralsschaar will gehören.

Diese reine Ritterschaar wäre dazu bestimmt gewesen, die Völker |

ii269 zu regieren und glücklich zu machen, gerade so wie Plato nur Philosophen die Königswürde verliehen wissen wollte.

Neffe, nun bericht’ ich dir

Von der Templeisen Leben.

Sie empfangen und sie geben.

Sie nehmen junge Kinder an,

Von hoher Art und wohlgethan,

Auserwählt von Gottes Hand.

Wird dann herrenlos ein Land,

Das eines Königes begehrt,

Aus der Schaar des Grals wird Der gewährt.

Wohl wird des Volks ein Solcher pflegen,

Denn Ihn begleitet Gottes Segen.

Ich füge hinzu: Nur ein Solcher wird des Volkes pflegen; denn von ihm sind alle Bande, welche den Menschen an die Welt fesseln, abgenommen und sein inneres Leben ist die Verkörperung des göttlichen Gesetzes. Er schwebt über dem Volke wie ein lichter klarer Genius und führt es treu. Wolfram war sich wohl bewußt, daß seine reinen sündlosen Templeisen viel leiden müßten; aber er wußte auch, daß sie dem äußeren Leiden, den Wunden im Kampfe, keinerlei Bedeutung beilegen würden.

Neugierig nahte Kiots Schaar:

Sie nahmen der Templeisen wahr.

Von Hieb und Stoß zerschlagen

Sah man sie Helme tragen;

Ihr Schild hatt’ Lanzenstöß’ erlitten,

Von Schwertern war er auch zerschnitten.

Außerordentlich bedeutungsvoll im Orden Wolfram’s ist, daß seine Templeisen nicht Gott, nicht Christus, sondern dem Heiligen Geist geweiht sind. Sollte der geniale Dichter das Dogma der Dreieinigkeit durchschaut haben? Es ist möglich, ja es ist sehr wahrscheinlich und wäre gar nicht zu bewundern: zu bewundern ist nur die Genialität, die mächtige Erkenntnißkraft, welche aus den Werken des theuren Landsmanns so beredt spricht.

Die Taube, das Sinnbild des heiligen Geistes, ist das Princip des ganzen Ordens, sowohl seiner Organisation, als auch seiner Ziele und des Wesens seiner Glieder, ja sie giebt auch allen Aeußerlichkeiten der ihm geweihten Genossenschaft das bezeichnende Gepräge.

ii270 Die Taube ist es, welche dem Gral alljährlich die Kraft bringt, die ihm eigenthümlich ist:

Eine Taube sich vom Himmel schwingt,

Die dem Stein heiniederbringt

Eine Oblate weiß und klein.

Die Gabe legt sie auf den Stein:

Dann hebt mit glänzendem Gefieder

Die Taube sich zum Himmel wieder.

Alle Karfreitage

Bringt sie, was ich euch sage.

Die Taube ist auf die Kleider der Templeisen gestickt, sie befindet sich auf den Schilden und am Sattel, sie ist das Wappen der Templeisen.

Ihr brachtet zu dem Stalle mein

Ein Roß, den Rossen völlig gleich,

Die sie reiten in des Grales Reich.

Auf dem Sattel steht die Turteltaube:

Das Wappen gab Anfortas ihnen,

Als ihm noch alle Freuden schienen.

Sie führten’s früher schon im Schilde.

—————

Bei dem traurigen Anfortas

Alle Schilde, die ich hangen fand,

Waren gemalt wie euer Gewand:

Viel Turteltauben tragt ihr dran.

—————

Kiot erkannte doch genau

Des Grales Wappen an der Schaar:

Sie führten Turteltauben klar.

—————

Es sind jetzt beinahe siebenhundert Jahre, daß der selige Traum das geistige Auge des großen Franken trunken machte. Sollte die Zeit gekommen sein, wo der heilige Traum in Fleisch und Blut sich verwirklichen kann? Oder irrte ich, als ich eben fern, fern von mir am stammenden Abendhimmel die glänzend gefiederte Taube sah?

 

—————

 

*[1] Die Citate aus Wolfram’s Parzival sind der Uebersetzung von Simrock entnommen.

*[2]Parza, par: durch, und val, tal: Furche.

Als sich sîn name diutet,

wan parza sprichet durch,

val ein tal oder eine Furch:

als hât in unser zunge

sîn name die diutunge.

Heinrich von dem Türlin.

»Fürwahr, du heißest Parzival.

Der Name sagt: Inmitten durch.

Die Liebe schnitt wohl solche Furch’

In deiner Mutter treues Herz:

Dein Vater hinterließ ihr Schmerz.«

 

II.
Der Socialismus.

 

ii271

Drei Essays.

—————

Thue deinen Mund auf für die Stummen, und für die Sache

Aller, die verlassen sind.

Thue deinen Mund auf, und richte recht, und räche den

Elenden und Armen.

Spr. Sal. 31, 8. 9.

Wat frag ick na de Lü –

Gott helpet mi.

Niedersächsisches Trutzwort.

ii273

II.

Der Socialismus.

Drei Essays.

8. Essay: Der theoretische Socialismus.

1) Einleitung.

2) Der Communismus.

3) Die Freie Liebe.

4) Die allmälige Realisation der Ideale.

5) Höhere Ansicht.

9. Essay: Der praktische Socialismus.

Drei Reden an die deutschen Arbeiter.

1) Rede: Das Charakterbild Ferdinand Lassalle’s.

2) Rede: Die sociale Aufgabe der Gegenwart.

3) Rede: Das göttliche und das menschliche Gesetz.

10. Essay: Das regulative Princip des Socialismus.

Der Gralsorden.

—————

 

Achter Essay.
Der theoretische Socialismus.

 

ii275

Den höheren Schichten des deutschen Volkes gewidmet.

—————

Es redet trunken die Ferne

Von künftigem großem Glück.

Eichendorff.

————

Es hat nur so wollen behagen:

Heiter und ernst die Wahrheit zu sagen.

Simplicius Simplicissimus.

—————

I. Einleitung.

II. Der Communismus.

III. Die freie Liebe.

IV. Die allmälige Realisation der Ideale.

V. Höhere Ansicht.

—————

 


Date: 2015-01-02; view: 897


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