Nach Verlauf der zehn Monate gab die Königin den Wunsch zu erkennen, ihre Eltern zu besuchen. Der König gewährte ihn und befahl, daß der ganze Weg zwischen Kapilawastu und Koli geebnet, mit reinem Sand bestreut, an beiden Seiten mit schattigen Bäumen bepflanzt und reichlich mit Brunnen versehen werde. Man brachte dann eine goldne Sänfte mit weichen Kissen und ein Gefolge von tausend Edelleuten in reichster Kleidung stellte sich auf, um die Königin abwechselnd zu tragen. Mahamáya badete in krystallhellem Wasser, legte dann Kleider von unschätzbarem Werthe an und schmückte sich mit ihrem kostbarsten Geschmeide, so daß sie wie eine Göttin aussah. Als sie die Sänfte bestieg, ertönte liebliche Musik, die nicht mehr aufhörte.
Zwischen beiden Städten befand sich ein Garten mit Sala-Bäumen, Lumbini genannt, worin die Bewohner beider Städte zu lustwandeln pflegten. Um diese Zeit standen alle Bäume in Blüthe; unzählige Bienen umschwärmten die duftenden Kelche und sogen fröhlich summend ihren süßen Saft ein; auch wiegten sich Vögel mit prachtvollem Gefieder auf den Zweigen und sangen entzückend. Als die Fürstin dem Garten nahte, kam ihr wie eine Gesandtschaft, welche einen König begrüßt, ein himmlischer Wohlgeruch entgegen und sie beschloß eine kurze Weile in dem wundervollen Garten zu rasten. In Begleitung von tausend Hofdamen betrat sie ihn. Sie bewunderte seine mannigfachen Schönheiten und vor einem herrlichen Sala-Baume stillstehend, streckte sie die Hand nach einem seiner blühenden Zweige aus; aber der Zweig neigte sich von selbst zu ihr und als sie ihn ergriffen hatte, begann die Geburt des Prinzen. Die Hofdamen errichteten in Eile ein von allen Seiten geschlossenes Zelt um sie her und zogen sich dann auf eine kurze Entfernung davon zurück. Sobald dies geschehen war, kamen alle déwas auf die Erde herab und umstellten als Wächter das Zelt. Ohne Wehen und ohne die geringste Unreinheit wurde Bódhisat geboren. Das Antlitz der |
ii128 Königin war selig lächelnd nach Osten gewandt und Maha Brahma fing das Kind in einem goldnen Netze auf. Als er es der glücklichen Mutter reichte, sagte er: »Freue dich; denn der Sohn, den du geboren hast, wird die Welt erlösen.«
Obgleich Kind und Mutter ganz rein waren, so sandten die Götter doch zwei absolut klare, wie Silber glänzende Ströme, welche alsbald wieder verschwanden, nachdem die Waschung vollzogen war. Maha Brahma übergab das Kind auf einem außerordentlich werthvollen, gefleckten Tigerfell den Wächtern des Himmels; diese übergaben es dann den Edelleuten, welche es in die feinsten und weichsten Gewebe wickelten. Aber plötzlich sprang das Kind aus ihren Händen auf die Erde herab und der Stelle, die es mit diesem ersten Schritt in die Welt berührt hatte, entblühte sofort eine Lotosblume.
Der Prinz sah nach Osten und in einem Augenblick gewahrte er die ganze Welt, die in dieser Richtung liegt. Alle déwas und Menschen dieser Weltgegend legten Blumen und andere Geschenke zu seinen Füßen nieder und riefen: »Du bist das größeste Wesen; mit dir kann Niemand verglichen werden; Niemand ist größer als du: Du bist der Erhabenste.« Und wie er nach Osten gesehen hatte, so blickte er nach Südosten, Süden, Südwesten, Westen, Nordwesten, Norden und Nordosten, auch nach oben und unten; und in jeder Richtung erkannten Götter und Menschen seine Allmacht an. Als Bódhisat nach Norden sah, machte er sieben Schritte in dieser Richtung und unter jedem seiner Schritte erblühte eine Lotosblume. Dann blieb er stehen und rief begeistert aus: »Ich bin der Höchste im Weltall; ich bin Herr der Welt; ich bin der Vortrefflichste in der Welt; wenn ich sterbe, werde ich nicht wiedergeboren werden; ich habe mir Nirwana, das Nichtsein verdient!« – Als er diese Worte mit einer Stimme gesprochen hatte, welche derjenigen eines furchtlosen Löwen glich und bis in den Himmel hinauf ertönte, kamen alle Götter und huldigten dem jungen Prinzen. Und wieder ereigneten sich die zweiunddreißig Wunder, welche bei der Empfängniß stattgefunden hatten.
Die Königin setzte den Weg nach Koli nicht weiter fort, sondern kehrte mit ihrem Gefolge nach Kapilawastu zurück.
An demselben Tag, an dem der Prinz geboren wurde, traten ferner in’s Dasein: Yasódhará-déwi, die später sein Weib wurde, das Pferd Kantaka, auf dem er aus der Stadt in die Wüste |
ii129 entfloh; der Edelmann Channa, welcher ihn auf der Flucht begleitete; Ananda, sein treuer Diener; der Edelmann Kaluda, der später von seinem Vater zu ihm gesandt wurde, um ihn zu bewegen, seine Geburtsstadt zu besuchen; der Bodhi-Baum (Baum der Erkenntniß), unter dessen Laubdach er Budha (d.h. der Erweckte oder Erleuchtete) wurde.
König Sudhodana’s Vater Singhahanu hatte einen Weisen zum Minister, Namens Kaladewala gehabt; dieser hatte auch Sudhodana in den Wissenschaften unterrichtet. Als Singhahanu starb, bat der Minister, sein Amt niederlegen und Einsiedler werden zu dürfen; als ihm aber der König zu bedenken gab, daß er ohne ihn nicht regieren könne, willigte er darein, in einem einsamen Garten in der Nähe des Palastes zu leben. Durch harte Kasteiungen erlangte er übernatürliche Kräfte. Diese befähigten ihn in die Zukunft zu blicken und so sah er, daß der Sohn Sudhodana’s im 35ten Jahre ein Budha werden würde. Er wünschte das Kind zu sehen und es wurde ihm gebracht. Sudhodana forderte das Prinzchen auf, den Heiligen zu verehren; der ehrwürdige Weise hinderte ihn aber daran, indem er sich erhob; denn wenn ein Budha sich vor irgend einem Wesen verneigen wollte, so würde dessen Kopf sofort in sieben Stücke zerspringen. Der Greis umarmte den Kleinen, berührte mit der Stirne die Füßchen desselben und betete ihn an. Der König, der überfloß von väterlicher Zärtlichkeit, that dasselbe. Dann sagte der Einsiedler: »Ich huldige nicht dem Maha Brahma oder Sekra; wollte ich, daß Sonne und Mond stille stünden, so würden sie stille stehen; aber dieses Kind habe ich angebetet.« Hierauf untersuchte er den Körper des Kindes, ob er auch die sämmtlichen Merkmale eines allmächtigen Budha trüge. Er fand sie alle und vor Freude lächelnd wie ein Gefäß voll klaren Wassers, erklärte er, daß der Prinz ganz bestimmt ein Budha werden würde.
Fünf Tage nach der Geburt des Prinzen veranstaltete der König, um dem Sohne einen Namen zu geben, ein großes Fest, wozu 108 gelehrte Brahmanen eingeladen wurden. Nachdem sie auf das Köstlichste bewirthet worden waren, fragte sie der König nach dem Schicksal des Kindes. Sie erklärten: »Bleibt der Prinz ein Laie, so wird er der Kaiser der Welt (Chakrawartti); wird er dagegen ein Einsiedler, so wird er ein Budha (Lehrer der Menschheit). Er wird jedenfalls ein Segen für die Welt (sidhatta) sein.«
ii130 Diesem Ausspruche gemäß erhielt das Kind den Namen Sidhartta.
Am siebenten Tage nach der Geburt des Prinzen starb seine Mutter Mahamaya und die Schwester derselben, die nachmalige Königin Prajapati und zweite Gemahlin des Königs Sudhodana, nahm sich mit der größten Liebe und Sorgfalt des verwaisten Knäbleins wie ihres eigenen Kindes an.
Fünf Monate nach der Geburt des Prinzen fand ein großes Erntefest statt, bei welchem der König nach herrschendem Gebrauche eine Furche zu pflügen hatte. Man nahm das Prinzlein mit auf’s Feld, wo unter einem schattigen Baume ein prachtvolles Lager für dasselbe hergerichtet worden war. Der König hatte seine kostbarsten Gewänder an und ein Gefolge von tausend Edelleuten begleitete ihn. Dem Feste wohnte das ganze Volk in Feiertagskleidern und mit dem fröhlichsten Herzen bei. Ungefähr tausend Pflüge werden zu gleicher Zeit in Bewegung gesetzt; von denselben sind 108 aus Silber gemacht, die Zugstiere haben versilberte Hörner und sind mit Weißen Blumen geschmückt. Der Pflug des Königs aber ist von Gold und die Hörner der Stiere sind vergoldet. Der König ergreift mit der linken Hand den Pflug, während die Rechte die Peitsche (Stachelstock) erfaßt. Der König pflügt eine Furche von Osten nach Westen; die Adeligen pflügen je drei Furchen, während die anderen Pflüger in einen Wettstreit darüber gerathen, wer die schönsten und meisten Furchen ziehe. Als König Sudhodana das Feld betrat, bot sich ihm ein entzückendes Bild dar: alle Pflüger und Treiber trugen Kleider von lebhaften Farben; überall wehten Fahnen und Banner und das Feld sah aus wie der hellste Sternenhimmel. Die einhundert Wärterinnen, welche den kleinen Königssohn zu beaufsichtigen hatten, standen vor dem Lager des Kindes, richteten jedoch alle ihre Aufmerksamkeit auf die Herrlichkeiten des seltenen Schauspiels um sie her und waren ganz verloren in seliger Contemplation. Sobald das Prinzlein bemerkte, daß es unbewacht sei, schwang es sich, wenige Fuß über der Erde, in die Luft, wo es frei schwebend, ohne irgend einen Stützpunkt verblieb. Als die Wärterinnen seiner ansichtig wurden, liefen sie zum König und benachrichtigten ihn von der herrlichen Erscheinung. Der König eilte herbei und verwunderte sich zuerst darüber, daß der Baum keinen Seitenschatten hatte, den er doch, dem Stand der Morgensonne nach, hätte |
ii131 werfen müssen: es war, als ob die Sonne im Zenith stünde, denn der Baum warf nur einen ganz senkrechten Schatten. Als dann der König seinen Sohn in diesem Schatten frei schwebend erblickte, vergoß er Freudenthränen, berührte mit der Stirne die Füßchen des Kindes und betete es zum zweiten Male an. Dabei sagte er schmerzlich: »Ach! wenn deine königliche Mutter noch lebte und dich sähe, sie würde willig ihr Leben zum Opfer für dich bringen; warum verrichtest du solche Wunder vor deinem vereinsamten Vater?«
Wie der Mond allmälig zunimmt, so gedieh der Prinz bis zu seinem siebenten Jahre. Um diese Zeit sandte der Lichtgott Sekra den Architekten der Götter auf die Erde herab, damit er dem Prinzen ein herrlich stärkendes Bad mit eiskaltem Wasser herrichte.
Als Sidhartta zwölf Jahre alt war, berief der König seine weisen Brahmanen und befragte sie, wie zu verhindern sei, daß der Prinz ein Büßer werde.
(Ich mache hier auf folgende sehr merkwürdige Aehnlichkeiten im Leben Christi aufmerksam:
1) Christus wurde Jesus genannt,
denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.
(Matth. 1, 21.)
Der Name Jesus ist also synonym mit Sidhartta.
2) Als Christus zwölf Jahre alt war, saß er im Tempel und ließ den Grund in seinem Geiste für das spätere asketische Leben legen.
Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem.
Und es begab sich, nach drei Tagen, fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, daß er ihnen zuhörte und sie fragte.
Und er sprach zu ihnen: Was ist es, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?
(Luc. 2, 42. 46. 49.))
Die Brahmanen hielten dann einen Rath und theilten dem König mit, daß der Prinz vier Dinge nicht sehen dürfe, wenn er ein Laie bleiben solle:
1) einen alten siechen Mann;
2) einen Kranken;
ii132 3) einen Leichnam;
4) einen Einsiedler.
Der König befahl sofort, daß drei Paläste (für jede indische Jahreszeit einen) für den Prinzen erbaut werden sollten. Sie waren alle gleich hoch; der eine hatte jedoch neun Stockwerke, der andere sieben und der dritte fünf. In einem viermeiligen Umkreis jedes Palastes wurden Wachen aufgestellt, welche verhindern sollten, daß ihm eines der genannten vier Dinge jemals nahe käme.
Als der Prinz sechzehn Jahre alt war, schickte sein Vater Sudhodana zu dem seiner Dynastie verwandten Könige von Koli, um dessen Tochter Yasodhara-dewi für seinen Sohn zur Gemahlin zu begehren. Allein der König von Koli verweigerte ihm die Hand der Prinzessin, weil er glaubte, daß Prinz Sidhartta ein Einsiedler und seine Tochter deshalb bald eine Wittwe werden würde. Die Prinzessin hingegen erklärte entschieden, daß sie keinen Anderen als den Prinzen Sidhartta heirathen würde, sollte er sie auch schon am ersten Tage nach der Hochzeit verlassen, um ein Büßer zu werden. Da jedoch Sudhodana das Haupt des Sakya- Geschlechts war, so beachtete er die Weigerung des Königs von Koli nicht, sondern holte die Prinzessin in Koli gegen den Willen ihres Vaters. Als er in Kapilawastu mit ihr angekommen war, ernannte er sie zum vornehmsten Weibe des Prinzen. Darauf ließ er sie und den Prinzen auf eine Ruhebank von Silber niedersitzen, goß heiliges Oel aus drei Muscheln über beide aus, band um ihre Stirnen das königliche Diadem und übergab ihnen die Herrschaft über sein ganzes Reich. Zugleich ließ er einen Befehl an alle Prinzessinnen von Kapilawastu und Koli ergehen, in den Palast des Prinzen als dessen Nebenweiber und Dienerinnen der Königin zu kommen. Die männlichen Verwandten der Prinzessinnen antworteten jedoch: »Der Prinz ist sehr zart; er ist auch noch sehr jung, ganz unerfahren. Sollte irgend ein Krieg ausbrechen, so würde er dem Feinde unterliegen; wir können ihm mithin unsere Töchter und Schwestern nicht geben.«
Als der Prinz dies erfuhr, beschloß er, seine Kraft zu zeigen. Er ließ Trommler durch beide Reiche ziehen und Alle einladen zu kommen, um seine Stärke beurtheilen zu können. Am festgesetzten Tage wurde ein ungeheurer Pavillon im Hofe des Palastes errichtet, woselbst sich nach und nach eine große Menschenmenge ansammelte |
ii133 und dichtgedrängt, Kopf an Kopf, das seltene Schauspiel erwartete. Der Prinz ergriff einen Bogen, den tausend Menschen mit vereinten Kräften nicht zu spannen vermocht hätten. Er setzte, ohne aufzustehen, das eine Ende des Bogens auf den Nagel seiner großen Zehe und spannte ihn nur mit dem Nagel des Zeigefingers ohne die geringste Anstrengung. Der Schall der erzitternden Sehne war so laut, daß er 10,000 Meilen weit gehört wurde. Alle glaubten, es habe gedonnert und weil es nicht Regenzeit war, so erschraken sie sehr. Dann stellte der Prinz an die vier Ecken eines Quadrats vier Bananenbäume und durchbohrte sie alle vier mit einem einzigen Pfeil. Er bewies ferner, daß er auch im Dunklen ein Haar mit dem Pfeile spalten könne. Schließlich zeigte er klar, daß er den Inhalt sowohl als die Bedeutung aller heiligen Bücher kenne, obgleich er niemals einen Lehrer dazu gehabt hatte.
Die Verwandten gaben hierauf willig die Prinzessinnen her; ihre Anzahl war 40,000.
Nun führte Sidhartta ein Leben voll Lust und Freude und war sehr zufrieden damit. König Sudhodana glaubte hoffen zu dürfen, daß der Prinz nie ein Einsiedler werde. Aber es wachten die Götter.
Eines Tages befahl Sidhartta seinen schönsten Wagen um auszufahren. Vor den Wagen waren vier lilienweiße Pferde gespannt. Auf dieser Spazierfahrt nun begegnete dem Prinzen plötzlich ein alter Mann. Derselbe war siech und verfallen, hatte keine Zähne mehr und spärliches weißes Haar, und ging gekrümmt und schwankend auf einen Stock gestützt. Die Götter hatten nämlich bemerkt, daß die Zeit für die Uebernahme des Lehramts für Sidhartta herbeigekommen war und einer von ihnen hatte deshalb die Gestalt eines Greises angenommen. Der Prinz erschrak und fing heftig zu zittern an. Er hatte noch niemals eine so bejammernswerthe Gestalt gesehen und wurde vom tiefsten Mitleid ergriffen. Endlich fragte er den Greis: »Giebt es viele solcher Wesen wie du in der Welt?« Der Greis antwortete: »Viele, Ew. Hoheit.«
»Werde ich auch so alt und gebrechlich werden?« fragte der Prinz weiter. »Ja,« antwortete der Greis. »Es ist das Loos aller Menschen, welche nicht jung sterben.«
Der Prinz verfiel in tiefes Nachdenken und zum ersten Male stieg der Gedanke in ihm auf, daß man ein Leben nicht lieben solle, |
ii134 das zu einem solchen sicheren Ziele führe. Er befahl dem Wagenlenker umzukehren und betrat traurig und bekümmert seinen Palast.
Als König Sudhodana den Prinzen so bald von seiner Ausfahrt zurückkehren sah, fragte er ihn nach der Ursache und der Prinz theilte ihm die gehabte Begegnung mit. Zugleich erklärte er seinem Vater, daß er entschlossen sei, ein Büßer zu werden. Der König erschrak und beschwor den Sohn, solche einfältigen Gedanken fahren zu lassen und sich mit seinen schönen Frauen zu vergnügen. Zugleich verdoppelte er die Wachtmannschaft und erweiterte den bewachten Kreis auf acht Meilen um die Stadt herum, damit der Prinz nicht entfliehen könne.
Vier Monate waren seitdem vergangen. Da fuhr der Prinz wieder in demselben Wagen mit dem weißen Viergespann durch seine Gärten und traf unter einem Baume einen Aussätzigen. (Ein anderer Gott hatte diese Gestalt angenommen.)
Der Prinz fragte, auf’s Aeußerste bestürzt, seinen Wagenlenker: »Was ist das dort?« Da antwortete dieser, d.h. ein Gott in seinem Munde: »Es ist ein kranker Mann und krank kann jeder Mensch werden, auch du, mein Prinz.«
Den Prinzen erstickte die Wehmuth fast. Er weinte und konnte seiner Bewegung gar nicht Herr werden. Er befahl sofortige Umkehr und bat, im Palast angekommen, seinen Vater inständig, ihn in die Wüste ziehen zu lassen. Aber der König beschwor ihn zu bleiben und befahl, daß die Wachtmannschaft abermals vermehrt werden und der bewachte Kreis einen Halbmesser von zwölf Meilen erhalten solle.
Nach einem weiteren Verlauf von vier Monaten fand der Prinz eines Tages im Garten einen Leichnam. Derselbe war schon in Verwesung übergegangen; aus dem faulenden Fleische krochen unzählige Würmer.
Sidhartta war einer Ohnmacht nahe. Er fragte mit bebender Stimme seinen Wagenlenker: »War das je ein Mensch?« und erhielt die Antwort: »Er war einst jung, frisch, blühend wie du, mein Prinz. Auch du wirst einst ein Leichnam werden, den die Würmer verspeisen.«
Diese Antwort zündete. Glühender als jemals stieg im Herzen des Jünglings der Wunsch auf, sich von einem solchen Dasein zu befreien. Der bekümmerte König konnte ihn von jetzt an nur noch mit Gewalt zurückhalten. Dem bewachten Kreis wurde ein Halb|messer
ii135 von sechzehn Meilen gegeben und die Wachtmannschaft verzehnfacht.
Und nach weiteren vier Monaten sah endlich Sidhartta einen Einsiedler. Derselbe saß ruhig unter einem Baume und in seinem ehrwürdigen Antlitz spiegelte sich der innere Frieden, die höchste Ruhe und Seligkeit. Sidhartta fragte, in Wonne erbebend, ob jeder Mensch ein solches beneidenswerthes Wesen werden könne und die Antwort lautete: »Ja, es ist in die Macht eines Jeden gegeben, dieses Glückes, des einzigen echten Glückes auf Erden, theilhaftig zu werden; zugleich ist die Weltentsagung das einzige Mittel, sich vom Dasein zu befreien.«
Dieses Mal kam der Prinz in eine ganz andere Stimmung. Sein Herz jubelte; aber der Mund blieb stumm. Er kehrte nicht in den Palast zurück, sondern nahm ein Bad und ließ seine reichsten Kleider holen. Die Hofleute brachten die 64 Zeichen der königlichen Macht und Sidhartta legte sie an, – zum letzten Male, denn sein Entschluß, der Welt zu entsagen, stand nunmehr unwiderruflich fest.
In diesem Augenblicke erglühte der Thron des Lichtgottes Sekra. Der Gott suchte die Ursache davon und fand, daß der größte Moment im Leben des Prinzen herbeigekommen sei. Er befahl sofort dem Architekten der Götter, den Prinzen einzukleiden. Der Architekt schwebte zur Erde nieder und hüllte den Leib des Prinzen in ein himmlisches Gewand, wogegen sein prachtvoller irdischer Anzug wie Schmutz aussah. Der Prinz ließ ihn gewähren. Das Kleid war ein so feines Gewebe, daß es, obgleich 192 Meilen lang und breit, doch nicht, wenn zusammengelegt, die Höhlung einer Hand ausfüllte. Es umhüllte ihn in tausend Falten. Dann setzte der Architekt eine Krone mit hühnereigroßen Diamanten auf sein Haupt und die süßeste himmlische Musik ertönte, indeß die dewas und brahmas den Siegesgesang anstimmten.
Während der Prinz noch im Garten verweilte, gebar seine Gemahlin Yasodhara einen Sohn. Der überglückliche König Sudhodana ertheilte sofort den Befehl, ein großes Fest zu veranstalten, und ließ dem Prinzen die frohe Botschaft bringen. »Jetzt,« rief der König, »wird mein Sohn gewiß nicht mehr entfliehen; nun ist er durch ein unzerreißbares Band an uns gefesselt.«
Als Sidhartta die Nachricht erhielt, kämpfte in ihm Freude mit Schmerz. Aber schließlich rief er doch aus: »Es ist mir etwas |
ii136 höchst Liebenswerthes geboren worden!« (Rahula-jato). Als dem König dieser Ausruf des Prinzen mitgetheilt wurde, gab er dem Enkel den Namen Rahula.
Der Prinz beschloß, wegen der Geburt des Sohnes, seine beabsichtigte Flucht an diesem Tage noch zu unterlassen. Er wollte erst sein Kind sehen.
Er fuhr nach dem Palast zurück und kam gerade an, als das Fest seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die Prinzessin Kisagotami, eine Verwandte von ihm, erblickte ihn zuerst. Sie trat zum Fenster, um ihn besser zu sehen und es war ihr bei seinem Anblick zu Muthe, als erschiene der Vollmond in einer lichtblauen Wolke. In ihrem Entzücken begrüßte sie den Prinzen mit der gesungenen Strophe:
Sidhartta ist der schönste Prinz;
Wer kann ihn seh’n und widerstehn?
Kein Weib, kein Mann, kein Ding, Nichts, Nichts,
Und nochmals Nichts kann widerstehn!
Als der Prinz dies hörte, dachte er: »Dieses Weib mahnt mich durch das in ihrem Gesang mehrmals wiederkehrende Wort »Nichts« an das selige Nichts (Nirwana) nach meinem Tode; ich will ihr dankbar sein für diese Stärkung zu so passender Zeit und sie belohnen.« Er nahm deshalb eine Perlenschnur von unschätzbarem Werthe von seinem Halse ab und sandte sie der Prinzessin. Als Kisagotami das kostbare Geschenk empfing, war sie voll Freude, denn sie glaubte nicht anders, als daß sie Gnade vor Sidhartta gefunden habe und er sie zu seiner Königin erheben werde.
Im Palaste angekommen, den unzählige, mit duftendem Oel gefüllte Lampen taghell erleuchteten, ließ sich der Prinz auf einem prachtvollen Ruhebette nieder und überschaute von hier aus das strahlende Festgewoge, das sich vor ihm entfaltete. Die 40,000 Prinzessinnen waren um ihn her versammelt: einige derselben tanzten vor ihm, andere spielten auf Flöten, Harfen und Cymbeln und Jede bemühte sich, dem Prinzen zu gefallen. Er aber beachtete sie nicht und schlief nach einer Weile ein.
Seinem Beispiele folgten nach und nach auch alle Uebrigen.
Als Sidhartta erwachte, fiel sein Blick auf ein ganz anderes Bild: Einige gähnten, Andere knirschten mit den Zähnen oder schrieen laut im Traume auf; der Mund Vieler war mit Schaum bedeckt; die Kleider Aller waren in größter Unordnung; wieder |
ii137 Andere wälzten sich unruhig hin und her und nahmen unzüchtige Stellungen ein, so daß der Saal, der kurz vorher einem Paradiese geglichen hatte, nunmehr wie ein Bordell aussah. Der Prinz erhob sich ekelerfüllt und fühlte sich zur Thätigkeit angespornt wie ein Mann, der hört, daß sein Haus in Flammen steht. Er faßte den Entschluß, sofort zu entfliehen und sich willig jeder Prüfung und Kasteiung zu unterwerfen, welche der von ihm ersehnte Beruf eines Lehrers der Menschheit verlange.
Das bemerkte Wasawartti Mara, der mächtige Beherrscher eines dewa-loka. Er erschien in der Luft nahe dem Palaste und sagte zum Prinzen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen: »Glücklicher, in sieben Tagen von heute an wirst du den Zauberwagen, die göttlichen Pferde, das Juwel der Juwelen und alle anderen Zeichen der höchsten irdischen Macht (Chakrawatti) erhalten. Deiner Herrschaft wird die ganze Erde unterworfen sein. Wirf die trüben Gedanken deshalb von dir und stehe davon ab, ein Einsiedler werden zu wollen.«
Diese Worte brachten aber eine ganz andere Wirkung als die beabsichtigte auf den Prinzen hervor; anstatt seinen Geist zu beruhigen, erregten sie ihn so, als ob ein weißglühendes Eisen in sein Ohr gestoßen worden sei: sie waren für seine Aufregung dasselbe, was ein Haufen dürres Holz für ein Feuer ist. Eher wäre das Meer vertrocknet, eher hätte sich der Himmel wie ein Stück Tuch zusammengerollt, als daß der Prinz auf das Lehramt verzichtet hätte.
Darauf ging Sidhartta zum goldnen Thore und fragte, wer die Wache habe. Als er hörte, daß es Channa sei, befahl er diesem Edlen, seinen Prachthengst Kantaka geziemend gesattelt und gezäumt vorzuführen. Es war Nacht und als deshalb das herrliche Roß den Sattel fühlte, dachte es: ein Fest kann zu dieser Zeit nicht stattfinden; gewiß ist die Stunde gekommen, wo der Prinz auf meinem Rücken in die Wüste fliehen will. Dieser Gedanke erfüllte das edle Thier mit großer Freude und es wieherte so laut, daß alle Götter es hörten; aber sie verhinderten alsbald, daß das Gewieher von Menschen gehört wurde.
Während Channa das Pferd sattelte, ging der Prinz in die Gemächer seiner Gemahlin Yasodhara, um seinen Sohn zu sehen. Er öffnete leise die Thüre des Schlafgemachs und erblickte die Prinzessin auf einem blumenüberstreuten Lager ruhend. Sie schlief und |
ii138 hielt den Arm fest um ihr Kind geschlungen, das gleichfalls schlummernd an ihrem Busen lag. Sidhartta überlegte, daß er, wollte er seinen Sohn Rahula an die Brust drücken, erst den Arm der Mutter von ihm wegnehmen müßte, was diese sehr wahrscheinlich erwecken würde; ferner, daß sie in diesem Falle mit ihm sprechen und hierdurch möglicherweise seinen Entschluß wankend machen könne. So blieb er denn auf der Schwelle stehen, indem er sich mit der Hand an dem Thürpfosten festhielt und nicht weiter vorwärts zu gehen getraute. Er dachte: Ich kann mein Kind herzen, nachdem ich ein Budha geworden bin; wenn ich hingegen jetzt, von väterlicher Zärtlichkeit getrieben, den Empfang des Lehramts gefährden wollte, wie könnten da die verschiedenen Arten lebender Wesen vom Elend des Daseins befreit werden?
Mit eiserner Entschlossenheit zog er hierauf seinen Fuß wieder vom Eingang zurück und begab sich hinunter in den Hof des Palastes. Das Pferd Kantaka hob und senkte stolz den Kopf, als er sich ihm näherte: es zitterte vor freudiger Aufregung. Der Prinz strich mit sanfter Hand über die prachtvolle Mähne des edlen Thieres und sagte: »Schön, Kantaka, du mußt mir jetzt mit deiner ganzen Kraft beistehen, damit ich in den Stand gesetzt werde, Alles, was Leben hat, von den Gefahren des Daseins zu befreien.« Dann schwang er sich behende auf den Rücken des Pferdes. Kantaka war schneeweiß ohne einen Flecken und glänzte wie die reinste Perlmutter. Er flog wie ein Pfeil dahin. Der Edle Channa, welcher den Prinzen begleitete, setzte sich auf die Croupe und ergriff den Schweif des Pferdes, dessen Hufschlag die Götter unhörbar machten.
Genau um Mitternacht kam Sidhartta an das äußerste Thor der Stadt. Dort hatte der König, um jedem Fluchtversuche seines Sohnes wirksam vorzubeugen, Tag und Nacht tausend Krieger als Wächter aufgestellt, und das Thor selbst war so schwer, daß es nur mit den vereinten Kräften von tausend Männern zu öffnen und zu schließen war. Channa hatte, ehe sie zum Thore kamen, erklärt, er werde, falls es geschlossen sei, das Pferd auf die linke Schulter und den Prinzen auf die rechte nehmen und alsdann über die Mauer hinwegsetzen; das Pferd hatte sich gleichfalls gelobt, das Thor um jeden Preis zu überspringen. So fest entschlossen, thatenmuthig und ohne Furcht waren sie alle. Aber als sie sich dem Thore näherten, flog dieses, von den Göttern geöffnet, weit vor ihnen auf, |