Ehe wir das tiefste und großartigste Dogma, das der christlichen Dreieinigkeit (die kostbarste Perle des Geistes, aber eben als Perle undurchsichtig) vornehmen, um es zum durchsichtigen blitzenden Diamant zu machen, wollen wir uns in einem wunderbar klaren und balsamisch duftenden Elemente baden: wir wollen uns in das schönste Märchen des Morgenlandes – und das heißt doch in das schönste Märchen, das es überhaupt giebt – versenken. Es ist die Legende von Budha’s Leben.
ii116 Indem ich sie erzähle, behandle ich Spence Hardy’s vortreffliches compilatorisches Werk bald frei, bald übersetze ich nur wortgetreu.
Wie ich bereits bemerkte, fing das Karma Budha’s, sein innerstes Wesen, nicht mit der historischen Persönlichkeit Sidhartta an; es war aber auch nicht einfache Erbschaft von den Eltern. Es hatte vor Budha bereits in unzähligen Formen gelebt. Natürlich erlosch es in Budha, der esoterischen Lehre gemäß; denn Budha befand sich auf dem Wege zu Nirwana. Budha mußte ferner überzeugt sein, daß auch mit seinem Tode die ganze Welt, welche doch nur Schein, Zauberei seines allmächtigen Karma’s war, untergehen würde. Exoterisch jedoch lehrte er, daß die Welt nach seinem Tode fortbestehe (was er übrigens lehren mußte) und daß nach ihm noch ein Lehrer der Menschheit (Maitrí Budha) erscheinen werde.
Ehe er als Prinz Sidhartta geboren wurde, war er gewesen: 83 Mal ein Büßer, 58 Mal ein König, 43 Mal der Lichtgott eines Baumes; 26 Mal ein Priester; 24 Mal ein Höfling; 24 Mal ein Prinz; 24 Mal ein Brahmane; 23 Mal ein Edelmann; 22 Mal ein Gelehrter; 20 Mal der Lichtgott Sekra; 18 Mal ein Affe; 13 Mal ein Kaufmann; 12 Mal ein sehr reicher Mann; 10 Mal ein Hirsch; 10 Mal ein Löwe; 6 Mal eine Schnepfe; 6 Mal ein Elephant; 5 Mal ein Singvögelein; 5 Mal ein Sklave; 5 Mal ein Adler; 4 Mal ein Pferd; 4 Mal ein Stier; 4 Mal ein Pfau; 4 Mal eine Schlange; 3 Mal eine Fischotter; 3 Mal ein Paria; 3 Mal eine Eidechse; 2 Mal je ein Fisch, ein Elephantentreiber, eine Ratte, ein Schakal, eine Krähe, ein Specht, ein Dieb und ein Schwein; 1 Mal je ein Hund, ein Arzt für Schlangenbisse, ein Spieler, ein Maurer, ein Schmied, ein Teufelsbeschwörer, ein Schüler, ein Silberschmied, ein Zimmermann, ein Frosch, ein Hase, ein Hahn. Diese Liste ist jedoch sehr lückenhaft.
Wir haben zu unterscheiden:
1) den Bódhisat.
2) den Prinzen Sidhartta.
3) Budha.
Budha war Bódhisat von dem Augenblicke an, wo er sich entschlossen hatte, ein Erlöser der Menschheit zu werden, bis zu seiner Geburt als Prinz Sidhartta. Die Zeit, wann er diesen Entschluß faßte, ist nicht in Zahlen auszudrücken, so weit zurück |
ii117 denken sich die Budhaisten den großen Moment. Als Prinz Sidhartta wurde er im Jahre 623 vor Christus geboren. Bis zu seinem neunundzwanzigsten Jahre lebte er seinem hohen Stande gemäß. Dann zog er sich sechs Jahre lang als Einsiedler in die Wüste zurück, that daselbst das Letzte, was nöthig war, um ein Erlöser der Menschheit zu werden, und als er es vollbracht hatte, war er Budha, d.h. eben ein Erlöser der Menschheit. In diesem Lebenslauf wurde er achtzig Jahre alt. Er lehrte mithin fünfundvierzig Jahre lang. Sein Tod erfolgte 543 v. Chr.
Sehr sinnig sind die hervorragenden guten Handlungen ausgewählt, welche Bódhisat, beseelt von glühendem Verlangen die Menschheit zu erlösen, ausgeführt haben soll, um des hohen Amtes würdig zu werden. Er gab in seinen unzähligen Wiedergeburten nach und nach als Almosen: seine Augen, seinen Kopf, sein Fleisch, sein Blut, seine Kinder, sein geliebtes Weib. Er verschenkte sodann ungeheure Reichthümer, Schätze von Gold, Silber und Edelsteinen, zahllose Sklaven und Viehheerden. Er verrichtete weiterhin die mühseligsten Heldenthaten, welche einen absoluten Muth voraussetzen. Ingleichen ertrug er mit größter Gelassenheit die Verfolgung ungerechter Menschen. Er nahm ferner die Sorgen Anderer ab und legte sie sich auf. Schließlich ertrug er mit derselben Ruhe und Gelassenheit sowohl die Grausamkeit seiner Feinde als die Güte und Liebe seiner Freunde. Diesen vollständigen Gleichmuth in Allem und Allem halten die Inder für das Höchste, weil Schwerste, was der Mensch thun kann. Diesen Gleichmuth feierte auch Shakespeare mit den schönen Worten:
For thou hast been
As one, in suffering all, that suffers nothing;
A man, that fortune’s buffets and rewards
Has ta’en with equal thanks.
(Denn du warst
Als littst du Nichts, indem du Alles littest;
Ein Mann, der Stöß’ und Gaben vom Geschick
Mit gleichem Dank genommen.)
Die herrlichen Eigenschaften Budha’s, welche er schon als Bódhisat bethätigen mußte, werden in dem, am Anfang dieses Essays bereits erwähnten Buch der 550 Geburten, in sehr schönen geistreichen und phantasievollen Erzählungen gepriesen. Ich wähle |
ii118 drei Erzählungen aus, die ich verkürze, und welche die unerschütterliche Entschlossenheit und glaubensvolle Ausdauer, den großen Scharfsinn und praktischen Sinn und die grenzenlose Herzensgüte des Candidaten für das Erlöseramt behandeln.
1.
Von dem Augenblicke an, wo Bódhisat die Gewißheit in sich empfunden hatte, daß er ein Budha werden würde, neigte sich seine Seele immer nach der Tugend, während sie tiefen Ekel vor der Sünde empfand. Stieg in seinem Geiste einmal ein schlechter Gedanke auf, so wurde er ruhelos wie eine Flaumfeder, die man über eine Flamme hält; erglühte er dagegen für das Gute, so dehnte sich seine Brust selig aus, wie reines Rosenöl, das man auf den ebenen Spiegel eines Sees gießt. Nie war er faul oder furchtsam, sondern übte jederzeit die größte Entschlossenheit und Festigkeit. Weder Brahma, Vishnu, Iswara (Schiwa), noch irgend ein anderer Gott hatte einen gleichen Muth, wie aus folgender Geschichte hervorgeht.
Einmal wurde Bódhisat wegen einer vor der Candidatschaft begangenen Sünde als ein Eichhörnchen geboren. Er lebte in einem Walde und pflegte sorgsam seine Jungen. Plötzlich erhob sich ein furchtbares Unwetter, die Flüsse und Bäche traten aus und der entwurzelte Baum, worauf sich das Nest der Eichhörnchen befand, wurde weit hinaus in’s Meer getragen. Bódhisat faßte den festen Entschluß seine Jungen zu retten. Er tauchte zu diesem Zweck seinen buschigen Schwanz in’s Wasser und schwang diesen dann mit solcher Kraft aus, daß das Wasser auf das Ufer fiel. Dieses Verfahren setzte er im Glauben, es gelänge ihm endlich das Meer auszutrocknen, ohne zu ermüden fort. Immer tauchte er den Schwanz in’s Wasser und immer schleuderte er das aufgesogene Wasser auf’s Land. Nachdem er sieben Tage unaufhörlich in dieser Weise gearbeitet hatte, bemerkte ihn der Lichtgott Sekra, und dieser sagte: »Aber Eichhörnchen, was für ein dummes Thierchen du bist! Glaubst du denn wirklich, daß du das Meer austrocknen kannst?«
Das Eichhörnchen antwortete: »Mit deiner Bemerkung hast du mir zugleich deinen erbärmlichen Muth und deine Dummheit offenbart. Hätte ich deinen Muth und deinen Verstand, so würde ich allerdings mein Ziel nicht erreichen. Uebrigens habe ich |
ii119 gar keine Zeit, mich mit solchen Einfaltspinseln zu unterhalten wie du einer bist. Scheer’ dich zum Kukuk.«
Sekra war sehr vergnügt über die Antwort des Eichhörnchens und voll Bewunderung seines Muths, befahl er alsbald seinen dienenden Geistern, den Baum mit dem Eichhörnchen und seinen Jungen auf’s Land zu tragen.
2.
Als Brahmadatta König von Benares war, wurde Bódhisat in einer reichen Familie geboren und Sujáta, genannt. Sein Großvater starb und sein Vater trauerte derartig über den Verlust, daß er die Asche wieder ausgraben und dicht bei seinem Hause beisetzen ließ. Dann ging er dreimal täglich an’s Grab und weinte bitterlich. Der Schmerz übermannte ihn vollständig; er aß und trank nichts mehr. Bódhisat sah ein, daß er versuchen müsse, seines Vaters Gram zu lindern. Er verschaffte sich deshalb einen tobten Büffel, steckte ihm Gras in’s Maul, stellte Wasser neben den Leichnam und rief: »Ach! lieber, guter Büffel, iß und trink.«
Die Vorübergehenden verwunderten sich über das unsinnige Gebahren des Knaben und fragten ihn: »Sujáta, was soll Das? Kann ein todter Büffel essen und trinken?« Aber Bódhisat kümmerte sich nicht um sie und fuhr fort, den Leichnam aufzufordern zu essen und zu trinken. Man benachrichtigte endlich seinen Vater von Allem und dieser vergaß aus Liebe zu seinem Sohne den Schmerz um den Tod des theuren Angehörigen. Er ging zu Sujáta und fragte ihn bekümmert, was er mache? Sujáta antwortete: »Der Büffel hat noch seine Füße und seinen Schwanz; auch sind seine inneren Theile noch nicht verwest; wenn es nun thöricht von mir ist, einem todten aber noch nicht verwesten Büffel Wasser und Gras zu geben, wie soll ich dann dein Verfahren nennen, daß du meinen Großvater beweinst, von dem doch Nichts mehr zu sehen ist?« Der Vater antwortete: »Du hast Recht, mein Sohn. Was du gesagt hast, war wie Wasser, das man auf glühende Kohlen schüttet: es hat meinen Kummer ausgelöscht. Ich danke dir von Herzen.«
3.
Ein anderes Mal war Bódhisat der Prinz Wessantara, der in glücklichster Ehe mit Madrí-déwi lebte. Beide beschlossen, sich mit |
ii120 ihren zwei liebreizenden Kindern in die Einsamkeit zurückzuziehen und vertheilten deshalb all ihren Reichthum unter die Armen.
Als sie von ihren Eltern Abschied nehmen wollten, versuchte die Königin-Mutter nochmals, Madrí-déwi zu bewegen, bei ihr zu bleiben, da die Mühseligkeiten im Walde zu groß für sie seien. Sie antwortete aber, daß sie lieber mit ihrem Gatten in der Wüste, als ohne ihn in der Stadt leben wolle. Der Prinz unterstützte seine Schwiegermutter und machte sein Weib auf die Gefahren aufmerksam, die ihr von Schlangen und wilden Thieren drohten, aber sie blieb standhaft. Da bat er sie, wenigstens die Kinder zurückzulassen, welche anstatt schwellender Betten die felsige Erde zum Lager haben würden, anstatt mit Fächern gekühlt zu werden, der glühenden Sonne und den Winden ausgesetzt sein würden, und anstatt köstliche Speise zu haben, von Baumfrüchten leben müßten. Aber sie antwortete, daß sie so wenig ohne ihre Kinder wie ohne ihren Gatten leben könne. So zogen sie denn in die Wüste.
Um diese Zeit lebte ein alter Brahmane, Jújaka, mit einem faulen und keifenden Weibe zusammen. Als diese hörte, daß Wessantara mit den Seinen in der Wüste lebe, quälte sie ihren Mann so lange, bis er zu dem mildthätigen Prinzen ging, um denselben zu bitten, ihm seine beiden Kinder als ein Almosen zu geben. Als der Brahmane an den Ort kam, wo Wessantara lebte, war es Mittag. Er glaubte, daß der Prinz im Walde sei, um Nahrung zu holen und Madrí-déwi ihm die Kinder nicht geben werde; so beschloß er denn bis zum anderen Morgen zu warten. In dieser Nacht hatte die Prinzessin einen bösen Traum: Ein schwarzer Mann schnitt ihr beide Arme ab und riß ihr das Herz aus dem Busen. Als sie ihrem Gatten den Traum erzählte, ward er voll heimlicher Freude; denn er ahnte, daß ihm jetzt eine, für die Erlangung des Erlöseramts nothwendige Prüfung nahe. Er schickte Madrí-déwi in den Wald und sie ging, nachdem sie ihm die Kinder übergeben hatte. Jetzt kam der Brahmane herbei. Wessantara empfing ihn auf’s Liebevollste und fragte ihn, womit er ihm dienen könne. Der Brahmane antwortete, daß er gekommen sei, um ein Almosen zu erflehen; der Prinz sollte ihm seine beiden Kinder als Sklaven schenken. Wessantara antwortete: »Du bist der beste Freund, dem ich je begegnet bin. Ich erfülle demüthig deine Bitte; aber es kann nicht jetzt sein, da die Mutter abwesend ist und es Unrecht wäre, die Kinder ohne Abschied von ihr |
ii121 ziehen zu lassen.« Als die beiden Kinder Jáliya und Krishnájiná, diese Unterhaltung hörten, ergriffen sie in größter Angst die Flucht und verbargen sich unter den Blättern einer Lotosblume, welche in einem dicht an der Höhle gelegenen Gewässerchen stand.
Inzwischen hatte Wessantara beschlossen, die Kinder ohne weiteren Verzug zu verschenken; aber als er sie rief, kamen sie nicht. Da wurde der Brahmane, der ein schlaues Spiel vermuthete, zornig und nannte den Prinzen einen Lügner und Betrüger. Der Prinz eilte hierauf in den Wald und rief laut und oft den Namen des Knaben Jáliya. Als Jáliya die Stimme seines Vaters hörte, sagte er: »Mag der Brahmane mich lieber mitnehmen! Ich kann meinen Vater nicht länger ängstlich rufen hören.« Darauf zerriß er die Blätter des Lotus, sprang an’s Land und lief weinend zu seinem Vater. Wessantara fragte ihn, wo die Schwester sei, und als ihm Jáliya gesagt hatte, daß sie beide aus Furcht geflohen seien und sich versteckt hätten, rief er auch sie. Sie verließ die Blume wie ihr Bruder und wie er, umklammerte sie, Thränenströme vergießend, die Kniee des Vaters. Wessantara wollte das Herz brechen; aber als er bedachte, daß er ohne dieses Opfer kein Budha werden und somit nicht alle lebenden Wesen von den Qualen und dem Elend des Lebens befreien könne, führte er sie zur Höhle und indem er Wasser auf die Hände des Brahmanen goß und sagte: »Möge ich durch dieses Opfer der Allwissende werden!« schenkte er ihm die liebreizenden Kinder.
Der Brahmane nahm sie und eilte fort. Er stolperte jedoch unterwegs und fiel auf’s Angesicht. Die Kinder benutzten die günstige Gelegenheit und entflohen. Sie eilten zu ihrem Vater zurück, warfen sich ihm zu Füßen und erinnerten ihn seufzend und schluchzend an den Traum der Mutter. Jáliya schilderte seine und seiner Schwester Sehnsucht nach ihrer Mutter und bat, wenn es durchaus nothwendig sei, daß er und sein Schwesterchen verschenkt werden müßten, sie einem anderen Brahmanen zu geben, der nicht so häßlich und alt wie Jújaka sei; ferner bat er, der Vater möge doch Krishnájiná, die zarte feine Schwester, die keine groben Arbeiten verrichten könne, bei der Mutter lassen und ihn allein weggeben. Wessantara antwortete nicht, und als ihn Jáliya fragte, warum er so still sei, kam gerade der Brahmane an. Er blutete von seinem Falle und sah aus wie ein Scharfrichter, der eben einem Verbrecher |
ii122 den Hals abgeschnitten hat. Die Kinder zitterten wie Espenlaub. Er ergriff sie, band sie mit einem Strick aneinander und trieb sie mit einem Stock an, schnell zu gehen. Sie sahen ihren Vater mit brechenden Augen an und flehten, sie zu befreien. Wessantara überlegte: Wenn meine Kinder vor meinen Augen so grausam behandelt werden, was werden sie da erst fern von mir zu leiden haben? Wie können sie über Dornen und spitze Steine tagelang wandern? Wenn sie hungrig sind, wer wird sie nähren? Wenn ihre Füße geschwollen sind, wer wird sie kühlen? Wie wird die Mutter trauern, die sie unter dem Herzen getragen hat, wenn sie nach Hause kommt und die Kinder nicht findet?
Da hielt er es nicht länger aus und beschloß, dem Brahmanen die Kinder wieder abzunehmen.
Als diese an ihren schattigen Spielplätzen vorüberkamen, wo sie Figuren aus Lehm geknetet hatten und immer so vergnügt gewesen waren, riefen sie schmerzlich: »Lebt wohl, ihr Bäume mit den schönen Blüthen: und ihr Bäche, in denen wir so fröhlich plätscherten; auch ihr Vögelein, mit den süßen Gesängen; sagt Alle unserer guten Mutter, daß wir euch einen Abschiedsgruß für sie gegeben haben. Ihr lieben Thiere, Hirsche, Antilopen und Hunde, beschreibt unserer Mutter, wie traurig wir hier vorbeigegangen sind.«
Als Madrí-déwi zurückkehrte und die fröhlichen Stimmen ihrer Kinder nicht wie gewöhnlich hörte, fiel ihr der Traum wieder ein und es wurde ihr sehr bang zu Muthe. Sie fragte Wessantara ängstlich, wo sie seien, aber er blieb stumm. Sie erschrak um so mehr, als sie bemerkte, daß er nicht, wie gewöhnlich, für Wasser und Brennholz gesorgt hatte. Endlich sagte Wessantara: »Sie sind, weil du so lange ausgeblieben bist, dich zu suchen gegangen;« denn er befürchtete, daß sie das Leben sofort verlöre, wenn er ihr die Wahrheit sagte. Als die Prinzessin dies hörte, eilte sie in den Wald zurück und suchte alle Spielplätze der Kinder auf: hinter jedem Baum, unter jedem Strauch spähte sie nach denselben. Als sie nicht zum Vorschein kamen, fiel sie ohnmächtig zu Boden. Wessantara war ihr aus der Ferne gefolgt. Er eilte herbei und sprengte Wasser in ihr Gesicht. Sie erholte sich und ihre erste Frage war: »Wo sind die Kinder?«
Jetzt theilte ihr der Prinz mit, daß er sie als Almosen hingegeben habe, damit er ein Budha werden könne. Da wurde Ma|drí-déwi
ii123 ruhig und sprach: »Du hast wohl daran gethan, denn das Lehramt der Menschheit ist kostbarer als hunderttausend Kinder,« und indem sie den Lohn für diese That erwog, wünschte sie von Herzen, daß er auch allen anderen Wesen in der Welt zu Theil werden möge.
Als der Lichtgott Sekra bemerkte, daß Wessantara wirklich seine Kinder geopfert habe, dachte er, daß wenn jetzt die Reihe auch an die Prinzessin käme, diese nicht in so grausamer Weise wie die Kinder von Wessantara getrennt werden dürfe. Er nahm deshalb selbst die Gestalt eines alten Brahmanen an und ging zu dem Prinzen. Dieser fragte ihn ehrerbietig, was er wolle. Der Brahmane antwortete: »Ich bin alt und schwach und ganz hülflos; ich bitte dich deshalb, mir dein Weib als Sklavin zu geben.«
Der Prinz blickte in die Augen Madrí-déwi’s und sie, seine Gedanken errathend, erklärte bereit zu sein, dem Brahmanen zu folgen. Er übergab sie ihm hierauf, damit das Opfer den verheißenen Lohn bringe. Als der Brahmane ihre Hand ergriffen hatte, sagte er: »Die Prinzessin gehört jetzt mir; was mir gehört, darfst du nicht weggeben; wahre sie deshalb gut, bis ich wiederkomme.«
Darnach nahm Sekra wieder seine ursprüngliche Gestalt an und versicherte Wessantara, daß alle déwas und brahmas vor Freude über seine Opfer gezittert hätten: Dann fuhr er fort: »Du wirst ganz bestimmt ein Budha werden; in sieben Tagen werden ferner deine Angehörigen mit deinen Kindern zu dir kommen und man wird dich zum König ausrufen.«
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Ich kann den Ausruf hier nicht unterdrücken: Und zu einem Volke, das solche tiefsinnigen reizenden Märchen hat, werden von den englischen Pfaffen Missionäre mit »Tractätchen« über bekehrte Zuchthausleute und bußfertige Lustdirnen geschickt! Proh pudor! und for shame!
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Jetzt will ich die eigentliche Legende erzählen.
Als Wessantara gestorben war, wurde Bódhisat im Paradiese, das Tusita genannt wird, wiedergeboren, wo er den Namen Santusita erhielt. Er lebte daselbst 576 Millionen Jahre (57 kótis und 60 lacs) in himmlischen Freuden. Als diese Zeit abgelaufen war, wurde im Paradiese verkündigt, daß ein allmächtiger Erlöser der Menschheit auf Erden erscheinen werde und alle déwas |
ii124 und brahmas versammelten sich, um zu erfahren wer der Herrliche sei. Als sie entdeckten, daß es Santusita war, gingen sie zu diesem und baten ihn inständigst, das Lehramt anzunehmen, damit die verschiedenen Arten fühlender Wesen von dem Elend befreit würden, das mit der Wiedergeburt verknüpft ist. Santusita antwortete nicht, sondern versank in tiefes Nachdenken, damit er entdecken möge:
1) welchen Charakter die Zeitperiode trage, in der er geboren werden solle;
2) sein Vaterland;
3) die Provinz desselben;
4) seine Familie;
5) den Tag seiner Geburt.
Er fand, daß in der Periode seiner Geburt das durchschnittliche Alter der Menschen hundert Jahre betrüge, daß es deshalb eine sehr günstige Zeit sei; daß das Land Jambudwipa, die Provinz Magadha, die Familie das königliche Geschlecht Sákya sei. Zugleich bemerkte er, daß sein Vater der König von Kapilawastu, Sudhódana, und seine Mutter die Königin Mahamáya sein werde. Da er schließlich wußte, daß die Mutter eines Budhas sieben Tage nach der Entbindung sterben müsse, so sah er in Betreff des Tages, daß die Empfängniß der Mahamáya 307 Tage vor dem bestimmten Tage ihres Todes stattfinden werde.
Wann ein déwa das Himmelreich verläßt, so ereignet sich Folgendes. Zuerst verlieren seine Gewänder ihren Glanz, dann verwelken die Blumenkränze, die er trägt; ferner bedeckt eine Art Schweiß seinen ganzen Körper, so daß er wie ein Baum im Morgenthau aussieht; endlich verliert sein Palast alle Schönheit und Herrlichkeit. Als die déwas diese Zeichen wahrnahmen, umdrängten sie Santusita, und brachten ihm ihre Glückwünsche dar. Er verschwand darauf und wurde von Mahamáya empfangen. Das geschah im Monat Juli, am Tage des Vollmonds, am frühesten Morgen, als die Morgenröthe aufflammte.
Die Empfängniß der Königin aber fand in folgender Weise statt.
Die Bewohner von Kapilawastu pflegten vom 7ten bis zum 14ten Tage des Monats Juli ein großes Fest zu feiern. Sie veranstalteten während dieser Zeit alle Arten Festlichkeiten, tanzten, sangen, freuten sich und schmückten die Häuser, so daß als Sidhartta empfangen wurde, die ganze Stadt wie ein Garten der |
ii125 Seligen aussah. Am letzten Tage des Festes nahm Mahamáya ein Bad in wohlriechendem Wasser, schmückte sich mit Blumen und Edelsteinen, ließ große Schätze als Almosen vertheilen und legte sich dann auf einem mit königlicher Pracht ausgestatteten Ruhebette nieder. Während sie dort ruhte, hatte sie einen Traum. Sie sah wie die vier göttlichen Wächter des Himmelreichs das Lager ergriffen, auf dem sie ruhte und es in einem Wald des Himalaya-Gebirges unter einen prachtvollen Sala-Baum trugen; sie stellten sich dann in ehrerbietiger Entfernung davon auf. Die Gemahlinnen der vier Götter brachten demnächst heiliges Wasser, wuschen die Königin, zogen ihr die schönsten Kleider an und salbten sie mit Rosen- und Jasminöl. Die vier Himmelswächter ergriffen hierauf die Königin und trugen sie in einen goldenen Palast, der auf einem silbernen Felsen erbaut war, und nachdem sie ein göttliches Lager bereitet hatten, legten sie die Königin darauf nieder: den Kopf gegen Osten. Da erschien ihr Bódhisat wie eine Wolke im Mondlicht. Er kam von Norden und trug in der Hand eine Lotosblume. Als er auf den Felsen herabgeschwebt war, umging er dreimal das Lager der Königin. In diesem Augenblick verließ Santusita, welcher den Verlauf des Traumes verfolgt hatte, das Paradies und wurde in der Welt der Menschen empfangen; Mahamáya fühlte sofort, daß der Bódhisat in ihrem Leibe lag wie das Kind unter dem Herzen der Mutter.
Am Morgen, als die Königin erwacht war, erzählte sie dem König ihren Traum. Er berief sofort 64 Veda-kundige Brahmanen und ließ ihnen ein Mahl auf goldenen Schüsseln auftragen, welche er ihnen nach beendigter Mahlzeit zum Geschenke machte. Hierauf ließ er sich von ihnen den Traum der Königin auslegen. Sie erklärten, daß sie einen Sohn empfangen habe; ferner, daß dieser Sohn, wenn er ein Laie bliebe, ein Beherrscher der ganzen Welt (Chakrawartti), wenn er dagegen der Welt entsage, ein allmächtiger Erlöser der Menschheit (Budha) werden würde. Sie empfahlen schließlich dem König ein Fest wegen des frohen Ereignisses zu veranstalten und zogen sich zurück.
Zur Zeit der Empfängniß begaben sich 32 große Wunder. Das Weltall erzitterte; alle Welten wurden plötzlich gleichzeitig von einem übernatürlichen Licht erleuchtet; alle Blinden wurden sehend; alle Tauben vernahmen eine liebliche Musik; alle Stummen sangen süße Lieder; alle Lahmen tanzten; die Krummen wurden gerade; |
ii126 die Gefangenen verloren ihre Ketten; das Feuer in allen Höllen erlosch, so daß die letzteren kühl wie Wasser wurden und die Sünder wie Säulen von Eis darin aussahen; Durst und Hunger aller Wesen hörten auf; die Furcht wich von allen Geängstigten; die Kranken wurden gesund; die Menschen vergaßen alle Feindschaft; Stiere und Büffel brüllten vor Freude; alle Pferde wieherten; die Elephanten schwenkten fröhlich die Rüssel; die Löwen erschütterten die Luft mit gewaltiger Stimme; sämmtliche musikalischen Instrumente singen von selbst zu spielen an; die déwas legten ihre kostbarsten Gewänder an; alle Lampen auf der Erde entzündeten sich von selbst; die Lüfte waren von Wohlgerüchen erfüllt; Wolken zogen durch die Luft, obgleich es keine Regenzeit war, und überall fiel ein erquickender Regen nieder; die Erde öffnete sich und es brachen unzählige Springbrunnen hervor; die Vögel blieben unbeweglich in der Luft schweben; die Flüsse hörten auf zu fließen, als ob sie auf den Bódhisat blicken wollten; die Wogen des Meeres wurden spiegelglatt und sein Wasser süß; die ganze Oberfläche des Weltmeeres war mit Blumen bedeckt; alle Blütenknospen auf dem Land und auf dem Wasser erschlossen sich; alle Schlingpflanzen und Bäume bedeckten sich mit Blumen von der Wurzel bis zur Krone; die nackten Felsen trugen plötzlich die sieben Arten Wasserlilien; sogar gefälltes Holz trieb Lotosblumen, so daß die Erde wie ein einziger großer herrlicher Garten war; der Himmel glich einer aufgeblühten Rose und es regnete Blumen über die ganze Welt.
Der gebenedeite Leib, der einen Budha austrägt, ist wie ein kostbarer Schrein, der eine Reliquie umschließt; kein anderes Wesen kann in der nämlichen Hülle empfangen werden; die gewöhnlichen Absonderungen finden nicht statt und von der Stunde der Empfängniß ab war die Königin Mahamáya frei von aller Leidenschaft und lebte in absoluter Enthaltsamkeit von geschlechtlichem Genuß.
Während der ganzen Schwangerschaft der Königin blieben die vier göttlichen Himmelshüter in ihrer Nähe; außerdem wachten noch 40,000 déwas mit Schwertern in der Hand über sie. Mutter und Embryo waren gegen jede Krankheit gefeit. Der Körper der Königin war durchsichtig und man sah das Kind deutlich: es saß aufrecht auf einem Throne wie ein Priester, welcher den Segen spricht oder wie ein goldnes Bild, das in einer krystallnen Vase eingeschlossen ist; man sah es von Tag zu Tage wachsen.
ii127 Die Königin bewegte sich mit der größten Vorsicht wie Jemand, der eine bis zum Rand gefüllte Schale köstlichen Oeles trägt und einen Tropfen davon zu verschütten fürchtet; sie nahm weder heiße, noch bittere oder starkgewürzte Nahrung zu sich; sie legte sich nicht auf ihr Gesicht, noch auf ihre linke Seite, sie hütete sich vor jeder heftigen Anstrengung und Aufregung und lebte ganz eingezogen und still.