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Pflanzen haben kein Karma.

(M. o. B., 443.)

Also nicht die esoterische buddhistische Ethik, wie Herr von Hartmann sagte, – eine solche giebt es überhaupt nicht – beruht auf diesem allertiefsten Grunde, den ich absurd, bodenlos absurd nennen muß, sondern die exoterische buddhistische Ethik beruht darauf.

Aus diesem einen großartigen Fundamental- Widerspruch entwickeln sich nun alle anderen des Systems, die ich jedoch als unwesentlich nicht berühren werde. Wir wollen uns dagegen an den erfreulichen Seiten der milden schönen Religion Budha’s erquicken.

Zunächst haben wir die exoterische Ethik und ihr Fundament: das Dogma der Wiedergeburt zu betrachten.

Eine esoterische budhaistische Ethik kann es, wie ich schon bemerkte, gar nicht geben. Im esoterischen Theil nämlich hat das |

ii97 Eine Karma nur einen einzigen Zweck im Auge: das Nichtsein und gestaltet sich das Mittel zum Zwecke durch die Incarnation und ihr Schicksal auf nothwendige unabänderliche Weise. Dies ist außerordentlich wichtig und muß sehr fest gehalten werden.

Dagegen mußte Budha, als er als Lehrer unter das Volk trat, eine Ethik mitbringen, denn nun handelte es sich darum, den vielen Menschen Motive für gute Thaten zu geben.

Die Ethik Budha’s ist mithin Tugendlehre: das Mittel zum Zweck der Erlösung ist jetzt nicht mehr die bloße Incarnation und ihr nothwendiges Schicksal, dieses sei nun Das eines Ruchlosen oder eines Heiligen (in beiden Fällen wird die Kraft abgetödtet), sondern das Mittel ist jetzt nur noch ein reines, lichtvolles, gutes; es umfaßt bestimmte Tugenden, die ausgeübt werden müssen, wenn sich das Individuum erlösen will: Menschenliebe und Keuschheit.

Die bloße Existenz Karma’s im esoterischen Theil, d.h. das einfache Hinderniß der Erlösung, welches gar kein besonderes Gepräge trägt, wird ferner im exoterischen Theil zur Sünde.

Und nun wird von Budha die Sünde einfach identisch gemacht mit Begierde nach Leben, mit der Leidenschaft des Menschen.

Aus dieser einzigen Quelle fließen die von Budha gelehrten besonderen Sünden:

1) Mord Ö

2) Diebstahl × Sünden des Leibes.

3) Ehebruch Ø

4) Lügen Ö

5) Verläumden, Lästern × Sünden der Zunge.

6) Unnützes Sprechen Ø

7) Habsucht Ö

8) Zweifelsucht Ø Sünden des Geistes.

9) Trunksucht Ö

10) Spiel Ü

11) Faulheit × geringere Sünden.

12) Schlechte Gesellschaft Ü

13) Hurerei Ø

(Man. o. Bud., 460.)

Wer die Schriften des Budhaismus nicht gelesen hat, kann sich keinen Begriff von der scharfsinnigen und zugleich tief poetischen, künstlerisch gestaltenden Sprache Budha’s machen. Seine Bilder, |

ii98 seine Vergleiche rücken oft die dunkelsten Probleme in das hellste Licht. So hat auch Keiner wie er die Macht der Leidenschaft, die glühende Begierde nach Leben in der menschlichen Brust geschildert. Ich kann mir nicht versagen, einige betreffende Stellen anzuführen.



Budha erklärte, daß Derjenige, welcher das Elend der Hölle (Daseinspein) schildern wollte, mehr als 100,000 Jahre dazu nöthig hätte.

Die Wesen in der Hölle stehen schwere Pein aus; sie leiden entsetzlich; jedes Glied ihres Leibes, jede Muskelfaser wird geröstet; sie weinen und wimmern; ihr Mund und ihr ganzes Gesicht ist mit Speichel bedeckt; der Schmerz krümmt sie; sie sind vollständig hülflos; ihr Elend hat kein Ende; sie leben in der Mitte eines Feuers, das, intensiver als Sonnengluth, nie verlöscht und seine Flammen nach allen Seiten 1000 Meilen (100 yojanas) weit ausstreckt.

Und dennoch fürchten diese Wesen den Tod. – – Würde man ihnen die Wahl lassen zwischen einem solchen Leben der Qual und völliger Vernichtung, so würden sie das erstere wählen.

(M. o. B., 60.)

Kann man den Hunger nach Dasein, die Liebe zum Leben prägnanter charakterisiren?

Der Geschlechtstrieb ist schärfer als der Haken, womit man wilde Elephanten zähmt; heißer als Flammen: er ist wie ein Pfeil, der in den Geist des Menschen getrieben wird.

Die Leidenschaft ist unglückselig, grausam, thierisch und unzähmbar: sie ist die Ursache aller Gefahr und alles Leids.

(M. o. B., 91.)

Das Verhältniß nun der Thaten des Individuums zu seinem Karma gestaltet sich auf Grund dieser exoterischen Ethik folgendermaßen:

Alle schlechten Thaten, alle Sünden, welche der Mensch trotz der ihm von Budha gegebenen Gegenmotive aus der Quelle in seiner Brust, der leidenschaftlichen Begierde nach Leben fließen läßt, nimmt Karma in sein Wesen auf. Jede begangene Sünde verändert die Natur des Karma. Ebenso geht jede tugendhafte Handlung in die Natur Karma’s über. Und wie eine Sünde nothwendigerweise mit Strafe verbunden ist, so folgt jeder guten |

ii99 Handlung nothwendig eine Belohnung. Mit der Sünde ist die Strafe und mit der guten That die Belohnung so innig verknüpft wie die Hitze mit dem Feuer.

Denken wir uns also ein erstes Karma, das nicht indifferent sein kann, sondern durch und durch begierdevoll nach Leben sein muß, so ist es am Ende des ersten individuellen Lebenslaufs entweder dasselbe wie am Anfang, da eine schlechte Handlung seine Schlechtigkeit nicht vermehren kann, oder es ist besser als am Anfang, weil es durch die guten Handlungen im ersten Lebenslauf verändert worden ist.

Dieses im Tod des ersten Individuums frei werdende Karma verleiblicht sich sofort seiner Beschaffenheit gemäß (transscendenter Occasionalismus). Am Ende des zweiten Lebenslaufs ist es nun wieder entweder so schlecht, wie es ursprünglich war, weil seine Verbesserung im ersten Lebenslauf durch Sünde im zweiten wieder aufgehoben wurde, oder es ist durch gute Thaten wiederum besser. In dieser Weise verändert sich Karma unaufhörlich und immer wird das individuelle Schicksal der besonderen Natur Karma’s ganz genau entsprechen. Jedes individuelle Leben ist der adäquate Ausdruck des ihm zu Grunde liegenden besonderen Karma.

Karma schließt in sich ein: Verdienst und Schuld; es ist Das, was das Schicksal jedes fühlenden Wesens allein gestaltet.

(M. o. B., 445.)

Der Budhaismus kennt zwei Strafen und drei Belohnungen:

1) Strafe und Belohnung in dieser Welt.

2) Belohnung im Himmel (déwa-lóka, brahma-lóka).

3) Strafe in der Hölle (naraka).

4) Nirwana – Nichtsein.

Die Strafen und Belohnungen in dieser Welt wurden von Budha auf den verschiedenen Arten fühlender Wesen und den verschiedenen socialen Lebensformen der Menschen begründet. Hierbei ist zu bemerken, daß der geniale Königssohn, der, wie wir später deutlich sehen werden, einen ebenso praktischen, als scharfen, subtilen, dialektischen Geist hatte, das Gesetz der natürlichen Vererbung aus praktischem Bedürfniß mit kühner Hand zerbrach und an seine Stelle den transscendenten Occasionalismus setzte, was ich ihm als Religionsstifter nicht hoch genug anrechnen kann. Die Philosophie ist von der Religion, so lange nicht alle Menschen für die erstere |

ii100 reif sind, streng gesondert zu halten. Erstere ist, so lange beide Formen nebeneinander bestehen bleiben müssen, wesentlich theoretisch, letztere wesentlich praktisch, und kann letztere durch Etwas, was in der Philosophie absurd ist, einen großen praktischen Erfolg erringen, so muß sie beherzt zugreifen. Das haben auch alle großen Religionsstifter ohne Ausnahme gethan, denn sie waren alle sehr praktische Leute.

Blicken wir in die Welt, so sehen wir unorganische Stoffe, Pflanzen, Thiere und Menschen. Wie wir schon oben gesehen haben, gab Budha nur den sentient beings, fühlenden Wesen, Karma: unorganische Stoffe und Pflanzen sind also aus seiner Ethik ausgeschlossen. Sie sind für die fühlenden Wesen Das, was für die Schauspieler die Bühne ist: bloße Decoration. Betrachten wir nun die fühlenden Wesen, so werden wir, wenn wir den Menschen ausnehmen, solche finden, die wir ganz gerne einmal sein möchten, und solche, gegen die wir einen ganz unüberwindlichen Abscheu empfinden. Wer möchte nicht einmal ein Vögelein sein?

O könnt’ ich, Vöglein, mit dir ziehn!

Wir wollten über die Berge fliehn,

Durch die blauen schönen Lüfte zumal,

Zu baden im warmen Sonnenstrahl.

(Volkslied.)

Auch hätte ich Nichts dagegen einzuwenden, wenn mein Karma nach meinem Tode in einem lebhaften Pferde, oder in einem stolzen freien Löwen, oder in einem Hirsch sich verkörperte. Aber ich glaube, daß kein Mensch ein Schwein, eine Schlange, eine Ratte, eine Spinne, ein Wurm, eine Made werden möchte.

Warum das Eine, warum das Andere nicht? Weil wir in die Thierexistenz unseren Ekel legen, weil wir gleichsam die Vorstellung dabei nicht verlieren, als ob wir in solchen Lebensformen unseren reflectirenden und vergleichenden, den Gegensatz empfindenden Geist behielten. Sonst könnte ja gar kein Unterschied zwischen den Lebensformen bestehen; denn bin ich eine Ratte oder eine Made ohne zu wissen, daß ich vorher ein Mensch war, so kann meine Existenz als Ratte oder als Made mich gar nicht unglücklich machen. Ebenso: bin ich ein Vögelein, das sich durch die Lüfte schwingt, und besitze ich nicht zugleich den menschlichen Geist, der allein fähig ist, die Seligkeit einer solchen freien Bewegung zu empfinden, so ist meine Existenz als Vögelein ganz werthlos.

ii101 Diese Eigenthümlichkeit des menschlichen Geistes, die Vorstellung einer Thierexistenz, wenn sie als Strafe angedroht wird, mit dem menschlichen Bewußtsein sich verknüpft zu denken, der Ekel, der unüberwindliche Abscheu feinerer Naturen – »Gefühl ist Alles!« (Goethe) – vor gewissen Thieren ist der erste Grundpfeiler der budhaistischen Wiedergeburt, welches Dogma ebenso wichtig und wesentlich im exoterischen Theil des Budhaismus ist, als wir es nebensächlich und unwesentlich für den esoterischen gefunden haben.

Nur dieser Ekel und Abscheu war es, der die edle Stief- und Pflegemutter Budha’s, die Königin Prajápati veranlaßte, sich zu Budha’s Lehre zu bekennen und eine Nonne zu werden. In dem wunderschönen Bericht darüber sagt nämlich die Königin zu Budha:

Ich behütete deine Kindheit und du hast mich in einer Weise dafür belohnt, wie noch kein Sohn eine Mutter; ich habe dich vor Sturm und Sonnengluth bewahrt und du hast mich dafür vor den Gefahren des Daseins beschützt; die Mütter der Beherrscher dieser Welt müssen die Qual des Lebens erdulden und vom Thron herabsteigen, um Vieh, Ameisen und andere niedrige Wesen zu werden; aber ich bin die Pflegemutter eines Lehrers der Menschheit gewesen und werde deshalb nicht wieder geboren werden.

(M. o. B., 313.)

So groß war also die Macht dieses Motivs allein, daß eine Königin, ihm erliegend, der Welt entsagen konnte. Die Erzählung, wie die verwöhnte Fürstin und ihr zartes, feines Gefolge den Palast verließen, um zu Budha zu eilen, ist ergreifend. Ich muß einen Theil derselben hersetzen:

Die Königin sagte zu den Prinzessinnen: »Kinder, Budha hat dreimal verweigert, uns das Ordensgelübde abzunehmen; wir wollen es uns jetzt selber auferlegen und dann zu ihm gehen: er wird uns aufnehmen müssen.« Als sie diesen Vorschlag vernahmen, freuten sie sich sehr und Alle schnitten ihr Haar ab, zogen das vorgeschriebene Gewand an und indem sie irdene Almosentöpfe an ihren Arm hingen, schickten sie sich an, ihre Heimat zu verlassen. Die Königin-Mutter hielt es für unpassend, zu Budha zu fahren, da es den asketischen Regeln nicht entspräche; sie sah ein, daß man auf eine Weise kommen |

ii102 müsse, welche mühevoll war und sie gingen deshalb zu Fuß. Früher hatten sie es für etwas Großes gehalten, wenn sie vom oberen Stockwerk des Palastes in das untere herabgestiegen waren; sie waren gewöhnt, nur auf Fußböden zu gehen, welche so glatt wie Spiegel waren; als Brennstoff, wenn es kalt war, hatten sie immer nur seidene, mit Oel getränkte Stoffe benutzt, weil gewöhnliches Holz zu heiß gemacht, das kostbare Sandelholz aber Rauch verursacht hätte; selbst wenn sie zum Bade gegangen waren, hatten große Baldachine sie beschirmen und schützende Vorhänge sie umgeben müssen; überhaupt waren sie in jeder Hinsicht auf die zarteste Weise großgezogen worden. Sie hatten mithin noch keine hundert Schritte gemacht, als bereits ihre feinen Füßchen mit Blasen bedeckt waren. Das Volk strömte von allen Seiten herbei, sie zu sehen; einige bereiteten Nahrung, andere boten Sänften und Wagen an; aber die Prinzessinnen verweigerten standhaft jede Erleichterung. Am Abend kamen sie zum Tempel, wo Budha lehrte. Als Ananda (der Diener Budha’s) sie sah: die blutenden Füße, den Staub, der sie bedeckte, ihre tödtliche Erschöpfung, – wollte ihm das Herz brechen: seine Augen füllten sich mit Thränen und er fragte: Warum kommt ihr? Warum habt ihr euch diese harte Buße auferlegt? Haben euch Feinde aus der Stadt vertrieben? Wie kann die Mutter Budha’s an einem Ort, wie dieser ist, verweilen?

(M. o. B., 310 u. 311.)

Die socialen Verhältnisse, die Kasten Indiens sind bekannt. Die Kasten waren zur Zeit Budha’s durch noch höhere und dickere Mauern geschieden als heutzutage. Hält man neben das Verhältniß eines griechischen Sklaven zu seinem Herrn das Verhältniß eines Brahmanen zum Paria, so erscheint ersteres so mild wie ein geschwisterliches. Die glühende Sehnsucht nun einerseits des aus der Gesellschaft Ausgestoßenen nach dem arbeitslosen, behaglichen, angesehenen Leben eines Brahmanen oder Kriegers und auf der anderen Seite die Furcht eines Königssohnes z.B. ein Paria zu werden, waren zwei weitere Grundpfeiler des Dogmas der Wiedergeburt.

Hätte nun Budha die natürliche Vererbung bestehen lassen, so würde er sämmtliche besprochenen drei Grundpfeiler: den Ekel vor gewissen Arten der Thierexistenz, die Sehnsucht nach einer besseren Lebensform und die Furcht, in eine schlechtere herabgestoßen zu |

ii103 werden, haben entbehren müssen; denn erstens lehrte die Natur, daß Würmer immer nur Würmer, Löwen immer nur Löwen, Menschen immer nur Menschen gebären und mithin ein Mensch z.B. auf natürlichem Wege nie ein Löwe werden kann. Zweitens waren die Kastenunterschiede so streng und die Staatsverfassung überhaupt so felsenfest, daß die etwa angedrohte Strafe einer Herabstürzung vom Throne durch Revolution baarer Unsinn gewesen wäre.

Budha als Religionsstifter mußte also an die Stelle des Naturgesetzes den wunderbaren Occasionalismus setzen. Das Kind ist nicht die verjüngten Eltern, sondern die Begattung ist nur die Gelegenheitsursache für die Incarnation Karma’s, oder mit anderen Worten: findet irgendwo Begattung statt, so legt sich irgend ein durch den Tod eines Individuums frei gewordenes Karma von ganz eigenthümlicher Beschaffenheit in das befruchtete Ei und bildet dessen ganze Natur.

Alle fühlenden Wesen haben ihr eigenes individuelles Karma oder der eigenthümliche Charakter aller Wesen ist ihr Karma; Karma vererbt sich, aber es stammt nicht von Eltern ab, sondern aus einem ganz anderen früheren Dasein.

(M. o. B., 446.)

Jetzt erst, auf Grund dieser Lehre, dieses wunderbaren Occasionalismus konnte Budha die angeführten drei mächtigen Motive auf die Menschenbrust einfließen lassen. Es war ein genialer Gewaltstreich, voll praktischen Scharfsinns. Jeder Budhaist muß beim Anblick einer Made denken, daß er nach dem Tode ein solches ekelhaftes Thier werden kann, wenn er nicht tugendhaft lebt; jeder Reiche und Angesehene muß unter der gleichen Bedingung denken, daß er ein Tagelöhner nach dem Tode werden kann, und jeder Arme, Niedrige, Verachtete muß beim Anblick eines in Gold und Edelsteinen strahlenden, auf prachtvollem Pferde dahersprengenden Fürsten sich sagen: Solch ein herrlicher Mensch kannst auch du werden, wenn du tugendhaft bist. Welche Motive voll treibender Kraft!

Nachdem Budha einmal den wunderbaren Pfad des Occasionalismus betreten hatte, kam es ihm auf ein Bischen mehr Wunder nicht an. (Indessen bleibt hier doch fraglich, ob wir es nicht mit Gedanken seiner Nachfolger zu thun haben). So lehrte er denn neben der Gelegenheitsursache der natürlichen Zeugung noch acht Arten von Urzeugung:

ii104 1) durch die bloße äußere Hautfriction zweier Individuen von verschiedenem Geschlecht;

2) durch Nabelreibung (umbilical attrition);

3) durch langes Blicken in das Gesicht eines Mannes;

4) durch den Gebrauch von Blumen und Wohlgerüchen, die sich vordem im Besitze eines Mannes befunden haben;

5) durch das Essen von Nahrung, die ein Mann übrig gelassen hat;

6) durch das Anlegen von Kleidern, die ein Mann getragen hat;

7) durch günstige meteorologische Verhältnisse, wie z.B. bei großer Hitze;

8) indem ein Weib selig der süßen Stimme eines Mannes lauscht (by listening wantonly to the sweet voice of a man).

(M. o. B., 443.)

Aber Budha waren die angedrohten Strafen und Belohnungen in dieser Welt nicht genügend. Er lehrte deshalb ferner einen übersinnlichen Aufenthaltsort für die Erzsünder (Hölle, naraka) und Gärten für die Tugendhaften (Himmelreich, déwa-lóka, brahma-lóka).

Bei der Hölle wollen wir uns nicht aufhalten. Meine Leser kennen sie genügend aus mündlichen und schriftlichen Berichten fanatischer Theologen und ich für meine Person erachte die dunkle Brust, das zerfleischte Herz eines Bösewichts als genügende Strafe für die schrecklichsten Verbrechen. Die weltliche Gewalt kann die Strafe eines Erzschelms, die er in sich trägt, durch die schwerste äußerliche Strafe nur ein wenig verschärfen.

Dagegen wollen wir uns an den herrlichen Beschreibungen der déwa- und brahma-lókas ergötzen. Sie enthalten die schönsten Blumen der orientalischen Phantasie.

Budha beschreibt die Wohnungen der Seligen sehr kurz, weil er natürlich nicht viel darüber sagen konnte; aber jedes Wort, das er gebrauchte, übt eine Wirkung auf das menschliche Herz aus wie der Magnet auf das Eisen.

Die déwa-lókas sind Welten, wo die reinsten geistigen Freuden, das höchste bewußte Glück empfunden wird. Es giebt deren sechs.

Die brahma-lókas sind dagegen Welten, wo – was sehr bezeichnend für den Budhaismus ist – vollständige Ruhe herrscht und die Bewohner völlig bewußtlos sind. Es giebt deren sechzehn.

ii105 Die brahma-lókas stehen über den déwa-lókas.

Die feineren Unterschiede zwischen den Seligkeiten in den einzelnen déwa-lókas einerseits und den brahma-lókas andererseits übergehe ich. Die budhaistischen Schriften widersprechen sich in dieser Hinsicht: ein Beweis dafür, daß wir es mit Verschlimmbesserungen der Lehre zu thun haben. Einige behaupten sogar, in den déwa-lókas würden den Seligen körperliche Freuden wie im Paradies des Muhammed zu Theil, was dem Geiste des Budhaismus gänzlich zuwider ist. Ich bin der Meinung, daß Budha nur Ein déwa-und Ein brahma-Paradies lehrte, mit Abtheilungen jedoch wegen der Dauer des Aufenthaltes; denn von der Wollust abgesehen, giebt es nur zwei begehrenswerthe Zustände: die tiefe aesthetische Contemplation und die Bewußtlosigkeit.

Da in den brahma-lókas Bewußtlosigkeit herrscht, so beschreibt sie Budha überhaupt gar nicht. Sehr natürlich. Wenn ich bewußtlos bin, so kann es mir gleich sein, ob ich in einem Palast oder in einem Pferdestall liege. Die déwa-lókas dagegen werden aus dem schönsten Material erbaut.

Das déwa-lóka Cháturmaharájika befindet sich 420,000 Meilen über der Erdoberfläche. Die vier Hüter dieses Paradieses: Dhrataráshtra, Wirúdha, Wirúpaksha, und Waisráwana haben Paläste, welche hoch auf Felsen gelegen sind.

Der Palast des ersten Hüters, Dhrataráshtra, ist im Osten. Seine Diener sind die gandhárwas, 10 Millionen, an der Zahl. Sie tragen weiße Gewänder mit weißen Verzierungen, haben Schwert und Schild von weißem Krystall und reiten auf weißen Rossen. Der Hüter ist ähnlich gekleidet und bewaffnet und schimmert wie zehn Millionen (kela-laksha) silberne Lampen.

Der Palast des zweiten Hüters, Wirúdha, ist im Süden. Seine zehn Millionen Gehülfen heißen kumbhándas. Sie tragen blaue Gewänder, haben Schwert und Schild von Saphir, und reiten auf blauen Rossen. Der Hüter ist ähnlich gekleidet und bewaffnet und funkelt wie zehn Millionen Edelsteine.

Der Palast des dritten Hüters, Wirúpaksha, ist im Westen. Seine zehn Millionen Gehülfen heißen nágas. Sie tragen rothe Gewänder, haben Schwert und Schild aus Korallen und reiten rothe Pferde. Der Hüter ist ähnlich gekleidet und bewaffnet und leuchtet mit dem Licht von zehn Millionen Fackeln.

ii106 Der Palast des vierten Hüters, Waisráwana ist im Norden, Seine zehn Millionen Gehülfen sind die yakás. Sie tragen golddurchwirkte Gewänder, haben Schild und Schwert von Gold und reiten Pferde, welche wie Gold blitzen. Der Hüter ist ähnlich gekleidet und bewaffnet und strahlt wie zehn Millionen goldene Lampen.

(M. o. B. 24.)

In einem unserer Jahre athmen die Seligen 216 Mal, also achtzehn Mal im Monat und ein Mal in vierzig Stunden.

In hundert unserer Jahre essen sie ein Mal.

(ib., 50.)

Kann man schöner und anschaulicher den Glanz, die Bedürfnißlosigkeit, die Ruhe und den tiefen Frieden des Paradieses schildern?

Das Karma eines Individuums wandert aus einer dieser großen Formen der Palingenesie in die andere, da es in keiner derselben dauernd verweilen kann. Der hauptsächlichste Grund dafür ist der, daß sich Niemand in der Welt rein erhalten kann mit Ausnahme Desjenigen, welcher dem Leben voll und ganz entsagt, seinen Willen zum irdischen Leben ganz in sich ertödtet hat. Demgemäß kann ein Wurm, zur Belohnung für eine außerordentlich verdienstvolle That in einem früheren Leben nach dem Tode direct in einer brahma-Welt wiedergeboren werden oder auch umgekehrt, ein déwa kann, wann die Aufenthaltszeit im Paradies abgelaufen ist, wegen einer schlechten früheren Handlung, direct ein Wurm werden. Ein König kann als Bettler, ein Bettler als König, eine stolze Königin als ein Freudenmädchen und eine Bajadere als eine Prinzessin wiedergeboren werden. Alle diese Wandlungen sind mit den guten und schlechten Handlungen untrennbar verknüpft.

Der exoterische Budhaismus verschärft die Strafen und erhöht die Freuden außerdem noch dadurch, daß er einerseits die Möglichkeit, aus der Hölle herauszukommen, verschwindend klein, andererseits die Dauer der Freuden im Paradies sehr lang, bis zu 9216 Millionen Jahre macht.

Die verschwindend geringe Möglichkeit für das Individuum, aus den Qualen der Hölle herauszukommen, versuchte Budha in folgendem artigem Gleichniß der Fassungskraft näher zu rücken:

Ein Mann wirft eine Schlinge in’s Meer: Der Ostwind treibt sie nach Westen, und der Westwind nach Osten; der Nord|wind

ii107 treibt sie nach Süden und der Südwind nach Norden. Im Meer befindet sich eine blinde Schildkröte, welche je nach Verlauf von 100 oder 1000 oder 100,000 Jahren einmal an die Oberfläche kommt. Wird je der Fall eintreten, daß die blinde Schildkröte gerade so in die Höhe steigt, daß ihr Kopf in die Schlinge kommt? Es ist möglich: aber die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses wäre nicht zu berechnen. Und ebenso unwahrscheinlich ist es für einen Sünder, der sich in einer der großen Höllen befindet, daß er als ein Mensch wiedergeboren werde.

(M. o. B., 442.)

Da nun außerdem ein Individuum nur als Mensch sich vom Dasein befreien kann, so springt aus allem Dem die erschütternde Ermahnung, die kostbare Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen.

Die größte Verheißung des Budhaismus für den Tugendhaften, die schwerwiegendste Belohnung ist Nirwana, das Nichts, die völlige Vernichtung.

Ich habe in meinem Hauptwerk Nirwana kurz, aber erschöpfend besprochen und verweise darauf. Hier will ich nur bemerken, daß Nirwana schon deshalb das absolute Nichts ist, weil sonst die brahma-lókas keinen Sinn hätten. Denn als Steigerung einer völlig unbewußten Existenz, welche doch in den brahma-lókas gelehrt wird, giebt es nur die völlige Vernichtung des Wesens. Die Erklärung, daß Nirwana ein Ort und doch kein Ort, das Leben in ihm ein Leben und doch kein Leben sei, daß es sich also um einen Ort, der nur ein relatives Nichts, als bloßer Gegensatz zur Welt und um ein Leben handle, wovon wir uns keine Vorstellung machen könnten, ist auf die Rechnung der spitzfindigen Schüler des großen Meisters zu setzen, wie so manches Andere, das keine Beachtung verdient, das aber von jeher von unberufenen Kritikern des Budhaismus zur Hauptsache gemacht worden ist.

Wir wollen jetzt noch eine kleine Nachlese auf dem Gebiete des exoterischen Budhaismus halten, welche sehr interessante Resultate liefern wird.

Zunächst will ich zwei Hauptpunkte der Lehre selbst berühren: die Weltentsagung und den Selbstmord.

Wer der Welt entsagt, absolut entsagt, ist ein ráhat und der ráhat findet im Tode absolute Vernichtung: er ist voll und ganz |

ii108 erlöst (final emancipation). Budha hat nun ausdrücklich gelehrt, daß von dem Augenblicke an, wo die absolute Weltentsagung beginnt, es ganz gleichgültig ist, welchen Charakter das Individuum zeigt, ob es ernst oder heiter, liebevoll oder hart ist. Nirwana ist ihm unter allen Umständen gesichert.

Der Prinz Sumana sagte zu Budha: Herr, du hast zwei Schüler von gleicher Reinheit, Weisheit und von gleichem Gehorsam: aber der eine theilt seinen Reis mit den Hungrigen, der andere ißt ihn allein. Wie wird es mit ihnen werden, wenn sie gestorben sind?

Budha antwortete: Es wird kein Unterschied zwischen beiden sein: Jeder wird Nirwana erlangen.

(Eastern Monachism, 293.)

In Betreff des Selbstmords nimmt Budha eine durchaus einzige Stellung ein. Das Höchste, wozu sich nachsichtige, milde, liebevolle Menschen im Occident aufschwingen können, ist Das, daß sie den Leichnam des Selbstmörders nicht steinigen und das Leid des »armen, gewiß wahnsinnig gewesenen« Nächsten in sich empfinden. Budha erklärte dagegen kühn den Selbstmord, dem Geist seiner genialen Lehre gemäß, für außerordentlich verdienstvoll und rieth ihn unbedingt an. Nur seinen Priestern verbot er, sich selbst zu tödten, weil die Welt sonst nicht erlöst werden könnte. Er verlangte mithin von ihnen den Verzicht auf Selbstvernichtung als ein schweres Opfer.

If thou didst ever hold me in thy heart,

Absent thee from felicity awhile.

(Shakespeare.)

(Wenn du mich je in deinem Herzen trugst,

Verbanne noch dich von der Seligkeit.)

Spence Hardy berichtet darüber wie folgt:

Budha erklärte bei einer Gelegenheit, daß sich die Priester nicht von Felsen herabstürzen dürften. Bei einer anderen Gelegenheit sagte er dagegen, daß er predige, damit seine Zuhörer vom Leben und seiner Plage befreit würden; er erklärte ferner, daß Diejenigen seine echten Jünger seien, welche sich sofort vom Leben befreiten. Die Lösung dieses Widerspruchs liegt in Folgendem. Die Glieder der Priesterschaft sind die Arznei, die allein in allen lebenden Wesen das Lebensprincip zerstören kann; das Wasser das allein vom Schmutz der Begierde reinigt; der |

ii109 Zauberstab, der das höchste Gut bringt; das Schiff, in dem allein das Meer fleischlicher Gelüste überfahren werden kann; der Häuptling, der die Karawane der Menschheit allein durch die Wüste des Daseins zur Erlösung führen kann; der Wind, der allein die Flamme der Unwissenheit und Rohheit ausblasen kann; der Regen, der allein irdische Liebe auslöschen kann; der Lehrer, der allein den Weg nach Nirwana zeigen kann. Deshalb befahl Budha seinen Priestern, aus Mitleid mit den Menschen sich noch einige Zeit vom Frieden des Todes fern zu halten.

(M. o. B., 464.)

Was soll ich hier sagen? Bedenkt man das Unglück, das Menschen empfinden müssen, deren Religion ihnen den Weg aus der Welt hinaus versperrt, so kann man gewiß hier nur ausrufen: Du gütiger, milder, theurer und – genialer Inder!

Bewundern wir jetzt den praktischen Sinn des edlen Mannes.

Schon oben führte ich das unnütze Geschwätz als eine von Budha gelehrte Sünde auf. Vortrefflich! Wie anders sähe es in der Welt aus, wenn jeder Europäer, ehe er die Zunge in Bewegung setzt,

»das unruhige Uebel voll tödtlichen Gifts,«

wie sie der Apostel Jacobus (Cap. 3, 8.) nennt, oder ehe er die Feder ergreift, sich vorhielte, daß unnützes Geschwätz eine Sünde ist, die ihm unter Umständen nach dem Tode die Leiblichkeit einer Klapperschlange eintragen kann! Schade, daß man heutzutage keine neue Religion mehr stiften kann: sonst würde sich empfehlen, eine solche zu gründen, worin das unnütze Geschwätz direct hinter dem Diebstahl, ja, neben diesem, gleichwerthig als Todsünde erschiene. Der praktische Sinn Budha’s erscheint hier im hellsten Lichte.

Als Málunka den Lehrer der Menschheit fragte, ob die Welt eine unendliche oder endliche Dauer habe, antwortete ihm dieser nicht. Der Grund war der, daß Budha eine solche Frage für unnützlich hielt. Es sei nicht die Gewohnheit der Weisen, Fragen zu beantworten, deren Zweck nicht auf die eine oder andere Weise in Verbindung mit dem Streben stehe, das Leben zu überwinden und das Nichts zu erlangen.

(M. o. B., 375.)

Ferner erklärte er ein für alle Male, daß nur ein Budha (Lehrer der Menschheit) den Kern der Wahrheit verstehe.

ii110 Die absolute Wahrheit kennt nur ein Budha; selbst den déwas und brahmas ist sie verschleiert.

(M. o. B., 299.)

Sie ist über alle Maaßen fein und verhüllt wie der Theil eines Haars, der hundertmal gespalten ist oder ein Schatz, den ein großer Felsen bedeckt.

(ib. 380.)

Ebenso erklärte er:

Es giebt vier Dinge, welche nur ein Budha begreift:

1) Karma-wisaya, d.h. wie Karma wirkt.

2) Irdhi-wisaya, d.h. wie es möglich war, daß Budha in einem Augenblick aus dieser Welt in’s Paradies gelangen konnte (womit wohl der sofortige und, so oft er wollte, stets auch erreichte Uebergang in die tiefe aesthetische Contemplation gemeint ist).

3) Lóka-wisaya, d.h. die Größe des Weltalls und seine Entstehung.

4) Budha-wisaya, d.h. die Allmacht und Weisheit Budha’s.

(M. o. B., 8 u. 9, Anm.)

Sehr praktisch! Denn was hätten denn seine Zuhörer gesagt, wenn er ihnen den esoterischen Theil seiner Lehre enthüllt hätte? Sie hätten ihn verlacht, wenn nicht gar gesteinigt. So aber lenkte er sie liebevoll von philosophischen Problemen ab, denen sie nicht gewachsen waren und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen, von denen allein ihre Erlösung abhing.

Sein praktischer Sinn bethätigte sich ferner darin, daß er auf Grund des Dogmas der Palingenesie das Volk mit Ketten der Dankbarkeit an sich fesselte.

Ein großer Theil der Liebe, welche das Volk für Budha empfindet, entspringt dem Glauben, daß er während unzähliger Jahrtausende in allen möglichen Lebensformen die härtesten Entbehrungen, das schwerste Leid ertrug, um die Kraft zu erlangen, fühlende Wesen vom Elend des Daseins zu befreien. Es wird gelehrt, daß Budha, wenn er gewollt hätte, schon Millionen von Jahren vor seiner Erscheinung als Budha (Lehrer der Menschheit) Nirwana hätte erlangen können; aber er verzichtete freiwillig auf seine Erlösung und stürzte sich in den Strom der Wiedergeburten, um die Welt erlösen zu können.

(Man. o. Bud., 98.)

ii111 Am meisten aber muß man Budha’s Milde und seinen praktischen Sinn in Betreff alles Aeußerlichen bewundern, was namentlich dann der Fall sein wird, wenn man mit dem Brahmanismus und seinem Formelkram bekannt ist. Er gebot geradezu, sich nicht zu kasteien und machte die Nichtkasteiung zu einer Bedingung für das sacerdotale Amt.

Zwei Dinge müssen von Dem vermieden werden, welcher ein Priester werden will: schlechte Begierde und die Selbstpeinigungen, die sich (brahmanische) Büßer zufügen.

(M. o. B., 187)

Er trat energisch allen Lehren der Brahmanen entgegen, welche das Heil des Individuums von der Beobachtung unnütz gewordener Satzungen abhängig machten.

Diejenigen, welche meine Gebote halten, sind Alle meine Kinder, gleichviel ob sie in einem Dorf oder in einer Höhle oder auf einem Felsen oder in einem Loch wohnen.

(M. o. B., 326.)

Diejenigen, welche Thiere tödten, sündigen, aber nicht Der, welcher Fleisch ißt. Meine Jünger haben die Erlaubniß, jede Nahrung zu essen, welche in irgend einer Stadt oder irgend einem Land gegessen wird.

(ib. 327.)

Wollte ich ein einziges strenges (äußerliches) Gesetz aufstellen, so würde ich Manchem den Weg zur Seligkeit versperren, während es doch die alleinige Aufgabe der Lehrer der Menschheit ist, diesen Weg Allen zu eröffnen.

(ib. 328.)

Ich wünsche von Herzen, daß es Allen, welche dies lesen, so zu Muthe sein möge wie mir. O, dieser Budha! Wie wußte er sich Tempel in der Brust der Menschen zu erbauen!

Man bedenke auch, welcher Muth dazu gehörte, solche Lehren in einer Zeit auszusprechen, wo der Brahmanismus, sein Ceremoniell und seine hunderttausend strengen äußerlichen Satzungen noch eisernen Bestand hatten. Jeder Brahmane verläßt noch heutzutage nicht seine Wohnung ohne einen Besen, womit er den Weg vor sich her reinigt, damit sein Fuß auch nicht das kleinste Insect zertrete!

Den höchstmöglichen moralischen Muth hat aber Budha dadurch gezeigt, daß er es wagte, er allein, gegen die Staatsverfassung Indiens anzukämpfen.

ii112 Sein Vater, der alte König Sudhódana, weicher zuerst mit Entsetzen die Laufbahn seines Sohnes verfolgt hatte, später aber seine Lehre annahm, sagte einmal stolz:

Mein Sohn sieht nicht auf Herkunft, auf Abstammung von Brahmanen, Fürsten, Beamten, Kaufleuten oder von Sklaven: er sieht nur auf ein gutes Herz, auf Wahrheit und Tugend, woran er seine innige Freude hat.

(M. o. B. 78.)

Allein, mutterseelenallein warf sich der sociale Reformator allem felsenfest Bestehenden, allem Inhalt der drei großen und weiten höheren Kastenformen entgegen und – siegte. So groß ist die Macht der Wahrheit. Zwar gelang es den Brahmanen, mit Feuer und Schwert den Budhaismus wieder auf der Halbinsel auszurotten, aber dafür drang er in Tibet, China, Cochinchina und die Inseln ein und er zählt jetzt noch ca. 369 Millionen Bekenner, – mehr als die Christuslehre.

Und gegen eine solche Lehre, die vollständig ebenbürtig neben dem Christenthum steht, senden die bornirten englischen Geistlichen jahraus, jahrein Schaaren von Missionären: ein Unverstand, den Schopenhauer in heiligem Zorne gebührend gebrandmarkt hat als eine »Dreistigkeit Anglikanischer Pfaffen und Pfaffenknechte«. Uebrigens kostet jeder Budhaist, der zum Christenthum übertritt, (gewöhnlich aus Hunger, nie aus Ueberzeugung) den Missions- Gesellschaften Tausende von Sovereigns und die Convertiten kann man in einer Stunde zählen. Ja, wie ich schon erwähnte, werden die geistig freieren Missionäre, wenn sie in Indien sind, gewöhnlich schwankend und müssen sich an das Kreuz anklammern. Zu den Kaffern und Hottentotten sendet Missionäre, ihr »Pfaffen und Pfaffenknechte,« aber nicht zu den milden Indern, die schon durch Budha’s Lehre Das geworden sind, was ihr erst aus ihnen machen wollt, wenn ihr überhaupt (was ich bezweifle) diesen Zweck im Auge habt: nämlich milde, sanfte, gute Menschen.

Am Ende dieses Theiles des Essays, d.h. am Ende der Besprechung aller Hauptsysteme des Realismus und Idealismus stehend, muß ich noch eine Bemerkung machen.

Wir haben gesehen, daß das Welträthsel, weil seine zwei Sätze sich widersprechen, sehr viele Lösungen im abgelaufenen Theil der Bewegung der Menschheit gefunden hat. Immer kreisten objektive |

ii113 Geister um die Wahrheit wie die Erde um die Sonne, aber kein reiner Idealist oder reiner Realist hat sie erreicht. Zwar haben wir gefunden, daß der esoterische Budhaismus im Centrum der Wahrheit steht, aber nur sein Kern. Als ganzes System ist er zwar unangreifbar, aber er kann den Menschen nicht voll befriedigen, weil es wohl trotz Allem und Allem keinen Vernünftigen geben kann, der die Außenwelt für reinen Schein nimmt.

Sonach mag in Manchem meiner Leser die Ahnung aufgestiegen sein, ob nicht in einer richtigen Verbindung des Realismus und Idealismus ein System zu erzeugen sei, das in allen seinen Theilen befriedige. Und so ist es auch. Das Christenthum enthält die volle und ganze Wahrheit im Gewand der Mythe: es steht zwischen absolutem Idealismus und absolutem Realismus als nackte Wahrheit, als Verklärung der geläuterten naiven Wahrheit, die in David’s Religion lag.

Der esoterische Theil des Budhaismus (Blüte des Idealismus), der absolute Wahrheit ist, kann gar nicht mit dem Pantheismus (Blüte des Realismus), welcher halbe Wahrheit ist, verglichen werden. Dagegen ist der exoterische Budhaismus, wie ich schon in meinem Hauptwerk hervorgehoben habe, gleichwerthig mit dem Pantheismus, d.h. gleichfalls halbe Wahrheit und zwar stehen sie zu einander als Gegenpole, was man sich in folgendem Bilde veranschaulichen kann.

Nordpol – Pantheismus

Südpol – exoterischer Budhaismus

Der Pantheismus macht nämlich, die Individuen tödtend, eine einfache Einheit in der Welt allmächtig, der Budhaismus dagegen macht das Individuum allmächtig, den Zusammenhang der Individuen tödtend.

Der Eine ruht auf der Wahrheit, daß die Welt eine einzige Grundbewegung, ein einziges Schicksal hat, der andere auf der Wahrheit, daß in der Welt nur Individuen anzutreffen sind. Oder mit anderen Worten: der Eine steht voll und ganz auf dem ersten Satz des |

ii114 Welträthsels, der andere voll und ganz auf dem zweiten Satz, der dem ersteren widerspricht.

Faßt man dieses Verhältniß allein in’s Auge, so ist obiges Bild sehr richtig: der Budhaismus ist gleichweit von der Wahrheit entfernt wie der Pantheismus.

Erwägt man dagegen, daß der Pantheismus das Allerrealste, ja das einzig Reale, das individuelle Ich, ganz verloren hat, während der Budhaismus auf diesem einzigen Realen steht und es nie verläßt, so verschiebt sich das Verhältniß sehr zum Vortheil des Budhaismus, resp. Nachtheil des Pantheismus. Dann ergiebt sich folgendes Bild:

d.h. dann gleicht der Budhaismus dem Planeten Merkur, der sich in einer Ellipse am nächsten der Sonne um diese bewegt, der Pantheismus dagegen einem Kometen, der sich nur einmal der Sonne näherte und sich dann im Weltraum verlor, um nie mehr in die Nähe der Sonne zu kommen: ein in einer Hyperbel hinsausender verirrter Stern.

Es ist die höchste Zeit, daß das Abendland dem Morgenland folgt und gegen den Pantheismus, er trete auf in welcher Form er wolle, energisch Front macht; und zwar um ihn, weil die abendländischen Geister kritisch geschulter sind als die phantasievollen Orientalen vollständig aus der Welt zu schaffen. Der Pantheismus ist der crasseste Realismus. Der Pantheist läßt zu Gunsten der schein|baren

ii115 Uebermacht der Außenwelt, welche letztere doch nur eine mittelbare Realität hat, das Allerrealste, das individuelle Ich, und schließlich dennoch die Realität der Außenwelt, von der er ausgegangen ist, zu Schein werden: er bringt also einer erträumten lebenden, noch existirenden Einheit in der Welt aus übertriebenem Realismus alle Resultate seiner Erkenntniß und sich selbst zum Opfer. Das ist reiner Wahnsinn: eine Verirrung, welche nur dadurch in die Erscheinung treten konnte, weil sie von dem nicht abzuleugnenden innigen Zusammenhang aller Dinge ausging. Aber dieser Zusammenhang soll uns ja nicht verloren sein. Nehmen wir denselben, der ein werthvoller Diamant ist, vom Halse des hölzernen Götzen ab und verbrennen wir diesen, als völlig werthlos, mit kaltem Blute.

Den Kampf gegen den Pantheismus habe ich schon als Jüngling für den Kern meiner Lebensaufgabe angesehen und wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird noch in dieser Generation das Götzenbild, das nothwendig für die geistige Entwicklung der Menschheit war, aber jetzt nur noch schlechtes Holz ist, zerstört werden.

 


Date: 2015-01-02; view: 816


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II. Der exoterische Theil der Budhalehre. | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 1 page
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