| Uuml;bersetzer im Gespräch Agnieszka Kowaluk „Wo Geist und Witz des Originals nicht zu retten sind, muss man sich mit dem Verlust abfinden. Doch muss und kann man das an anderen Stellen wett machen, wo das Polnische größere Möglichkeiten bietet. Der Übersetzer muss deshalb wohl wachsamer sein als der Autor, der sich bisweilen einfach vom Sprachstrom mitreißen lässt.“
In welchen von Ihnen aus dem Deutschen übersetzten Text haben Sie die kulturelle Distanz am deutlichsten gespürt?
Die kulturelle Distanz spielt bei meiner Arbeit – und auch beim Leben in dem fremden Land – eindeutig eine geringere Rolle als die Distanz aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschafts- oder Altersgruppe. Denn diese Trennlinien verlaufen durch alle Sprachen. Wir in Polen und Deutschland sind uns ähnlicher, als wir glauben. Vermutlich deshalb, weil ich schon so lange in Deutschland lebe, empfinde ich diese Kultur als meine eigene. Das hieße aber, dass ich zwei Kulturen habe, die „meine“ sind. Oft habe ich beim Übersetzen den Eindruck, dass unsere Sprachen – auf den ersten Blick so unterschiedlich – über die gleichen Metaphern verfügen, mit den gleichen Bildern operieren und ähnliche Sprichwörter haben. Besonders die Sprache meiner österreichischen Autorinnen schien mir bis in die fernsten Winkel meines Sprachempfindens ungewöhnlich vertraut. Ob diese Gemeinsamkeit vom Katholizismus unserer Länder herrührt? Vom jüdischen Witz, der in beiden Kulturen präsent ist? Von der gewissen „barocken“ Fülle des Polnischen und der „Redseligkeit“ des Österreichischen?
Wodurch unterscheiden sich Ihre journalistischen Beiträge für deutsche und polnische Medien?
In meinen Zeitungstexten und Rundfunkfeuilletons für polnische Medien will ich dem polnischen Leser und Zuhörer Ausschnitte der deutschen Wirklichkeit nahe bringen: wichtige Kultur- und Politikereignisse, öffentliche Debatten, charakteristische Momente des deutschen Alltags. All das aus der Sicht einer in Deutschland lebenden Polin, die ein Gespür für polnisch-deutsche Themen und für polnische Gefühlszustände hat. Meine Texte sind anders als die der festen Korrespondenten. Ich habe keine Pflichtthemen, ich greife das auf, was mich aus persönlichen Gründen bewegt. In den Feuilletons für die Süddeutsche Zeitung unternehme ich scheinbar das gleiche: ich beschreibe die deutsche Wirklichkeit mit den Augen einer Polin. Nur darf ich dem deutschen Leser keine banalen Beobachtungen servieren, ich muss ihm seine Wirklichkeit wirklich aus einer fremden Sicht vorführen. Unvermeidlich in solchen Texten sind Vergleiche mit Polen, die Sicht auf Polen aus der Fremde, aber das ist es, was den deutschen Leser wohl am meisten interessiert. Dadurch kann ich dann unbesorgt über polnische Angelegenheiten schreiben, ohne Gefahr zu laufen, ein gereiztes „Ach, schon wieder über Polen“ von meinen Freunden und meiner deutschen Familie zu hören. Denn wenn ich für die Deutschen über Deutschland schreibe, schreibe ich oft gleichzeitig über Polen. Wie könnte es auch anders sein.
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Date: 2015-12-24; view: 1048
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