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Aesthetik. 4 page

i533 Kann er dieses nicht haben, so resignirt er fast immer und begnügt sich mit dem Leben in irgend einer Form. So sieht man täglich Menschen zu Dutzenden in Verhältnissen athmen, die in keiner Weise ihrem Charakter entsprechen; aber sie wollen, mit unersättlicher Begierde, zunächst und vor Allem Dasein, Leben, Leben, Dasein, und hoffen dabei unablässig, daß ihnen dieses Leben auch einmal in einer Form, die ihnen zusagt, durch Kampf oder Glück gegeben werde.

Deshalb auch widmet kein Mensch einer Sache größeren Ernst, als dem Zeugungsgeschäfte, und zur Besorgung keiner anderen Geschäfte verdichtet und concentrirt er in so auffallender Weise die Intensität seines Willens, wie im Zeugungsakt. Es ist, als ob sich seine Energie verdreifacht, verzehnfacht habe. Kein Wunder! Es handelt sich ja um die Fortdauer seines Wesens, vorerst für die Dauer der folgenden Generation, durch diese aber für eine unbestimmt lange Zeit. Weil die Aeußerung der Kraft in der Geschlechtsliebe eine so gewaltige ist, glaubte man annehmen zu müssen, nicht das Individuum, sondern die ganze Gattung sei bei der Zeugung thätig. Die Kraft Dieser nehme gleichsam vorübergehend Besitz vom Individuum, erfülle es mit überschwänglichen Gefühlen und zersprenge fast das schwache Gefäß. Dem ist aber nicht so. Es geschieht kein Wunder! Man betrachte doch nur den Menschen im höchsten Zorne. Seine Kraft ist verzehnfacht. Er hebt Lasten, die er im ruhigen Zustande nicht bewegen kann. Ist vielleicht auch in seinem Zorne der Geist der Gattung, auf wunderbare Weise, über ihn gekommen? Dr. Schrader, Direktor der N. Ö. Landesirrenanstalt, veranstaltete kürzlich in Wien eine Ausstellung solcher Gegenstände, welche seine armen Geisteskranken, in Anfällen von Raserei, bearbeitet hatten. Man sah zolldicke Eisenstangen, die krumm gebogen, Thürangeln und Klammern, die aus den Mauern gerissen, metallene Geräthe und Gefäße, die zerbissen und platt gedrückt worden waren und, unter anderem mehr, auch einen Becher aus Bessemer Stahl in sechs Theile zerrissen. War vielleicht auch in solcher Raserei der Geist der Gattung thätig gewesen, oder war es gar der Eine ungetheilte Wille, der hier seine »unendliche« Kraft producirte? Leider ist das Wort nur zu wahr:

Man versteht die Sprache der Natur nicht, weil sie zu einfach ist. –

i534 Die Begattung ist das einzige Mittel, um uns im Leben zu erhalten.

Die Genitalien sind der eigentliche Brennpunkt des Willens.

(W. a. W. u. V. I. 390.)

Der Geschlechtstrieb ist der Kern des Willens zum Leben, mithin die Concentration alles Wollens.

(ib. II. 586.)

Der Geschlechtstrieb ist die vollkommenste Aeußerung des Willens zum Leben, sein am deutlichsten ausgedrückter Typus.

(ib. 587.)

Wenn der Wille zum Leben sich nur darstellte als Trieb zur Selbsterhaltung; so würde dies nur eine Bejahung der individuellen Erscheinung auf die Spanne Zeit ihrer natürlichen Dauer sein. – – Weil hingegen der Wille das Leben schlechthin und auf alle Zeit will, stellt er sich zugleich dar als Geschlechtstrieb, der es auf eine endlose Reihe von Generationen abgesehen hat.



(W. a. W. u. V. II. 649.)

Vom Gipfelpunkt meiner Philosophie aus gesehen concentrirt die Bejahung des Willens zum Leben sich im Zeugungsakt und dieser ist ihr entschiedenster Ausdruck.

(Parerga II. 444.)

Einzig und allein mittelst der fortwährenden Ausübung einer so beschaffenen Handlung besteht das Menschengeschlecht.

(W. a. W. u. V. II. 651.)

Jener Akt ist der Kern, das Kompendium, die Quintessenz der Welt.

(ib. 652.)

Durch die Zeugung sind wir, durch die Zeugung werden wir sein. Wenden wir uns jetzt zum Tode. Der Tod ist vollkommene Vernichtung. Die vom Typus sich unterworfenen chemischen Kräfte werden wieder frei: er selbst verlöscht wie ein Licht, das kein Oel mehr hat. –

Das Ende des Individuums durch den Tod bedarf eigentlich keines Beweises, sondern wird vom gesunden Verstande als Thatsache erkannt und als solche bekräftigt durch die Zuversicht, daß die Natur so wenig lügt, als irrt, sondern ihr Thun und Wesen offen darlegt, sogar naiv ausspricht, während nur wir selbst es |

i535 durch Wahn verfinstern, um herauszudeuten, was unserer beschränkten Ansicht eben zusagt.

(W. a. W. u. V. I. 382.)

Was wir im Tod fürchten, ist in der That der Untergang des Individuums, als welcher er sich unverhohlen kundgiebt, und da das Individuum der Wille zum Leben selbst in einer einzelnen Objektivation ist, sträubt sich sein ganzes Wesen gegen den Tod.

(ib. 334.)

Daß die vollkommenste Erscheinung des Willens zum Leben, die sich in dem so überaus künstlich komplicirten Getriebe des menschlichen Organismus darstellt, zu Staub zerfallen muß und so ihr ganzes Wesen und Streben am Ende augenfällig der Vernichtung anheim gegeben wird, – dies ist die naive Aussage der allezeit wahren und aufrichtigen Natur, daß das ganze Streben dieses Willens ein wesentlich nichtiges sei.

(Parerga II. 308.)

Meinungen wechseln nach Zeit und Ort: aber die Stimme der Natur bleibt sich stets und überall gleich, ist daher vor Allem zu beachten. – In der Sprache der Natur bedeutet Tod Vernichtung.

(W. a. W. u. V. II. 529.)

Ich fasse zusammen:

1) Das Wesen des Menschen ist das verjüngte Wesen seiner Eltern;

2) der Mensch kann sich nur durch Zeugung im Dasein erhalten;

3) der Tod ist absolute Vernichtung;

4) der individuelle Wille, welcher sich nicht im Kinde verjüngt, sich nicht in ihm die Fortdauer gesichert hat, ist unrettbar im Tode verloren;

5) der Schwerpunkt des Lebens liegt im Geschlechtstrieb und folglich ist nur der Begattungsstunde Wichtigkeit beizulegen;

6) die Todesstunde ist ohne alle und jede Bedeutung.

Nennen wir nun das Streben des Menschen, sich im Dasein zu erhalten, mit Schopenhauer: Bejahung des Willens zum Leben; sein Streben dagegen, das Dasein abzuschütteln, seinen Typus zu zerstören, d.h. sich von sich selbst zu befreien, Verneinung des Willens zum Leben, so bejaht

i536 1) der Mensch am deutlichsten und sichersten seinen Willen im Zeugungsakt;

2) kann er sich nur sicher vom Leben, von sich selbst befreien, sich erlösen, wenn er den Geschlechtstrieb unbefriedigt läßt. Virginität ist die conditio sine qua non der Erlösung und die Verneinung des Willens zum Leben ist unfruchtbar, wenn der Mensch sie erst dann ergreift, wann er bereits seinen Willen in der Erzeugung von Kindern bejaht hat.

Mit jener Bejahung über den eigenen Leib hinaus, und bis zur Darstellung eines neuen, ist auch Leiden und Tod, als zur Erscheinung des Lebens gehörig, auf’s Neue mitbejaht und die durch die vollkommenste Erkenntnißfähigkeit herbeigeführte Möglichkeit der Erlösung diesmal für fruchtlos erklärt. Hier liegt der tiefe Grund der Scham über das Zeugungsgeschäft.

(W. a. W. u. V. I. 388.)

—————

Ich habe in dieser ganzen Darstellung den Gedankengang meiner Philosophie wiederholt und ihn überall mit Stellen aus den Werken Schopenhauer’s belegt. Diese Stellen befinden sich unter anderen, welche das gerade Gegentheil sagen: gemäß dem bereits citirten Goethe’schen Wort:

es ist ein fortdauerndes Setzen und Aufheben, ein unbedingtes Aussprechen und augenblickliches Limitiren, so daß zugleich Alles und Nichts wahr ist.

Schopenhauer hat sie geschrieben als klarer, nüchterner, unbefangener Beobachter der Natur; die anderen aber, welche ich jetzt anführen werde, als transscendenter Philosoph, der sich mit geballten Händen vor die Wahrheit stellte und dann sich an der hehren Göttin vergriff. Es muß sich in solchen Momenten ein dichter Schleier vor seinen sonst so durchdringenden geistigen Blick gelegt haben, und erscheint sein Gebahren in diesem Zustande wie das eines im Finstern Herumtappenden, der aus den Daten des Tastsinns die Farben der Gegenstände bestimmt. Seine geniale Kraft zeigt sich alsdann nur in der bewunderungswürdigen kunstreichen Aneinanderfügung des Heterogenen und in dem sorgfältigen Verbergen aller Risse und Sprünge.

i537 Seine sämmtlichen Grund- Irrthümer, die wir bereits kennen, treten in der Ethik als eine Rotte von Brandstiftern auf, die sein Werk vernichten. Ehe ich sie jedoch einzeln vorführe, will ich ihn selbst das Nachfolgende verurtheilen lassen. Er sagt (Parerga I. 202):

Es läßt sich nichts Unphilosophischeres denken, als immerfort von Etwas zu reden, von dessen Dasein man erwiesenstermaßen keine Kenntniß und von dessen Wesen man gar keinen Begriff hat.

—————

An der Spitze der Grundirrthümer stehen die Gelegenheitsursachen. Sie verdichten sich in der Ethik zum crassesten Occasionalismus, den Kant mit den Worten brandmarkt:

Man kann voraussetzen, daß Niemand dieses System annehmen wird, dem es irgend um Philosophie zu thun ist.

(Kk. d. U. 302.)

Schopenhauer aber beachtete die Warnung nicht und schrieb:

Die Zeugung ist in Beziehung auf den Erzeuger nur der Ausdruck, das Symptom, seiner entschiedenen Bejahung des Willens zum Leben; in Beziehung auf den Erzeugten ist sie nicht etwa der Grund des Willens, der in ihm erscheint, da der Wille an sich weder Grund noch Folge kennt; sondern sie ist, wie alle Ursache, nur Gelegenheitsursache der Erscheinung des Willens zu dieser Zeit, an diesem Ort.

(W. a. W. u. V. I. 387.)

Der Tod giebt sich unverhohlen kund als das Ende des Individuums, aber in diesem Individuum liegt der Keim zu einem neuen Wesen.

(Parerga II. 292.)

Der Sterbende geht unter: aber ein Keim bleibt übrig, aus welchem ein neues Wesen hervorgeht, welches jetzt in’s Dasein tritt, ohne zu wissen, woher es kommt und weshalb es gerade ein solches ist, wie es ist.

(ib.)

Das frische Dasein jedes neugeborenen Wesens ist bezahlt durch das Alter und den Tod eines Abgelebten, welches untergegangen ist, aber den unzerstörbaren Keim enthielt, aus dem dieses neue entstanden ist: sie sind ein Wesen.

(W. a. W. u. V. II. 575.)

i538 Danach leuchtet uns ein, daß alle in diesem Augenblick lebenden Wesen den eigentlichen Kern aller künftig leben werdenden enthalten, diese also gewissermaßen schon jetzt da sind.

(Parerga II. 292.)

Dies heißt in dürren Worten: Im Tod irgend eines Organismus bleibt dessen Wesen unangetastet. Es sinkt in den Einen Willen zurück und dieser legt es, als wirkende Kraft, in irgend einen Samen oder ein Ei. Was Mensch war, kann zu einer Eiche, einem Wurm, einem Tiger etc. werden, oder auch das Wesen eines sterbenden Bettlers wird zu einem Königssohn, der Tochter einer Bajadere u.s.w. Man kann es gar nicht fassen, daß ein Mann, der das glänzende Kapitel »über die Erblichkeit der Eigenschaften« geschrieben hat, solche Gedanken haben konnte. Es ist, als ob ein Brahmane einen Vortrag über Metempsychose, oder ein budhaistischer Priester einen solchen über Palingenesie hielte. Aber nein! Beide Lehren sind tiefsinnige, zur Stütze für die Moral erfundene religiöse Dogmen. Schopenhauer dagegen kennt ja keine Vergeltung nach dem Tode, und das Leben in dieser Welt ist die einzig mögliche Strafe für den Willen. – Allerdings ist es wahr, daß alle künftig leben werdenden Wesen schon jetzt sind; aber dies ist doch nur so zu verstehen, daß alle künftigen Eichen von jetzigen Eichen, alle künftigen Menschen von gegenwärtigen Menschen, auf ganz natürliche Weise abstammen werden. Ich habe allen Grund anzunehmen, daß Schopenhauer seinen absurden Occasionalismus der außerordentlich wichtigen Karma-Lehre Budha’s entlehnte, die ich in der Metaphysik besprechen werde. –

Nach den Gelegenheitsursachen kommt die unstät und flüchtig umherirrende reale Materie und schüttelt ihre Locken.

»Wie?« wird man sagen, »das Beharren des bloßen Staubes, der rohen Materie, sollte als eine Fortdauer unseres Wesens angesehen werden?« Oho! Kennt ihr denn diesen Staub? Wißt ihr, was er ist und was er vermag? Lernt ihn kennen, ehe ihr ihn verachtet.

(W. a. W. u. V. II. 537.)

Wie kläglich!

Der Materie folgt die geleugnete Individualität.

Individualität kannte ich als Eigenschaft jedes Organischen, und daher, wenn dieses ein selbstbewußtes ist, auch des Bewußt|seins.

i539 Jetzt zu schließen, daß dieselbe jenem entwichenen, Leben ertheilenden, mir völlig unbekannten (!) Princip inhärire, dazu ist kein Anlaß vorhanden; um so weniger, als ich sehe, daß überall in der Natur jede einzelne Erscheinung das Werk einer allgemeinen, in tausend gleichen Erscheinungen thätigen Kraft ist.

(W. a. W. u. V. II. 536.)

Daß der Wille in uns den Tod fürchtet, kommt daher, daß hier die Erkenntniß ihm sein Wesen bloß in der individuellen Erscheinung vorhält, woraus ihm die Täuschung entsteht, daß er mit dieser untergehe, etwa wie ein Bild im Spiegel, wenn man diesen zerschlägt, mit vernichtet zu werden scheint.

(ib. I. 569.)

Nach der geleugneten Individualität kommt die geleugnete reale Succession und die fatale Verquickung der realen Entwicklung mit der »unendlichen« Zeit.

Eine ganze Unendlichkeit ist abgelaufen, als wir noch nicht waren: aber das betrübt uns keineswegs. Hingegen, daß nach dem momentanen Intermezzo eines ephemeren Daseins eine zweite (!) Unendlichkeit folgen sollte, in der wir nicht mehr sein werden, finden wir hart, ja unerträglich.

(W. a. W. u. V. II. 531.)

Es giebt keinen größeren Contrast, als den zwischen der unaufhaltsamen Flucht der Zeit, die ihren ganzen Inhalt mit sich fortreißt, und der starren Unbeweglichkeit des wirklich Vorhandenen, welches zu allen Zeiten das eine und selbe ist.

(ib. 548.)

In jedem gegebenen Zeitpunkt sind alle Thiergeschlechter, von der Mücke bis zum Elephanten, vollzählig beisammen. Sie haben sich bereits viel tausend Mal erneuert und sind dabei dieselben geblieben.

(ib. 546.)

Der Tod ist das zeitliche Ende der zeitlichen Erscheinung: aber sobald wir die Zeit wegnehmen, giebt es gar kein Ende mehr und hat dies Wort alle Bedeutung verloren.

(ib. 551.)

Anfangen, Enden und Fortdauern sind Begriffe, welche ihre Bedeutung einzig und allein von der Zeit entlehnen und folglich nur unter der Voraussetzung dieser gelten.

(ib. 562.)

Hier kann man nur sagen: wie naiv!

i540 Hinter der Zeit steht die Gattung.

Die Löwen, welche geboren werden und sterben, sind wie die Tropfen des Wasserfalls; aber die leonitas, die Idee, oder Gestalt, des Löwen, gleicht dem unerschütterlichen Regenbogen darauf.

(W. a. W. u. V. II. 550.)

Die Gattungen, d.h. die durch das Band der Zeugung verbundenen Individuen.

(ib. 582.)

Dem Individuum sind die Angelegenheiten der Gattung als solcher, also die Geschlechtsverhältnisse, die Zeugung und Ernährung der Brut, ungleich wichtiger und angelegener, als alles Andere.

(ib. 582.)

Durch die Genitalien hängt das Individuum mit der Gattung zusammen. (–)

Die in der Zeit, zur Menschenreihe ausgedehnte ewige Idee Mensch erscheint durch das sie verbindende Band der Zeugung auch wieder in der Zeit als ein Ganzes.

(ib. II. 719.)

Was zuletzt zwei Individuen verschiedenen Geschlechts mit solcher Gewalt ausschließlich zu einander zieht, ist der in der ganzen Gattung sich darstellende Wille zum Leben, der hier eine seinen Zwecken entsprechende Objektivation seines Wesens anticipirt in dem Individuo, welches jene Beiden zeugen können.

(ib. II. 612.)

Das Individuum handelt hier, ohne es zu wissen, im Auftrag eines Höheren, der Gattung.

(ib. 627.)

Dieses Forschen und Prüfen ist die Meditation des Genius der Gattung über das durch sie Beide mögliche Individuum und die Kombination seiner Eigenschaften. (–)

Die Gattung allein hat unendliches Leben und ist daher unendlicher Wünsche, unendlicher Befriedigung und unendlicher Schmerzen fähig.

(ib. 630.)

Dies ist grundfalsch. Das Band der Zeugung verbindet die Eltern mit den Kindern, d.h. die Zeugenden mit sich selbst, nicht die Individuen zu einer erfaselten Gattung. – Wenn sich Individuen begatten, so stehen sie im eigenen Dienst und handeln nicht im Auftrag einer transscendenten höheren Macht. Durch die |

i541 Genitalien sichert sich das Individuum das Dasein über den Tod hinaus. So spricht

die anschaulich vorliegende Welt, das eigentlich und wahrhaft Gegebene, das Unverfälschte und an sich selbst dem Irrthum nicht Ausgesetzte, durch welches hindurch wir daher in das Wesen der Dinge einzudringen haben.

(Parerga I. 177.)

Nächst der Gattung steht die geleugnete Erkennbarkeit des Dinges an sich.

Es ist unmöglich etwas nach Dem, was es schlechthin an und für sich sei, zu erkennen. – Insofern ich also ein Erkennendes bin, habe ich selbst an meinem eigenen Wesen eigentlich (!) nur eine Erscheinung: sofern ich hingegen dieses Wesen selbst unmittelbar bin, bin ich nicht erkennend.

(W. a. W. u. V. II. 664.)

woraus (weil nur die Erscheinung in der Zeit ist, nicht das Ding an sich) Schopenhauer den Schluß zieht, daß der Tod unser innerstes Wesen gar nicht treffen könne. Sehr deutlich spricht er dies Parerga II. 334 aus:

Gegen gewisse alberne Einwürfe bemerke ich, daß die Verneinung des Willens zum Leben keineswegs die Vernichtung einer Substanz besage, sondern den bloßen Actus des Nichtwollens: das Selbe, was bisher gewollt hat, will nicht mehr.

Es handelt sich also um einen Willen, welcher nicht mehr will, d.h. um etwas

von dessen Wesen man gar keinen Begriff haben kann.

Ich habe oben die Verneinung des Willens zum Leben definirt als das Streben des Willens, sich von sich selbst zu befreien. Der Wille will in dieser Welt das reinste Leben, die edelste Bewegung, und im Tode Vernichtung, und dieses Wollen ist nunmehr bis zu seinem letzten Athemzuge sein Leben, seine Bewegung. Fassen wir nun die Verneinung des Willens zum Leben weniger scharf, und definiren wir sie als das Streben des Willens, zu leben, aber in einer Form, die nur negativ zu bestimmen ist, als toto genere von den Formen des Lebens in der Welt verschieden, so müßte er doch immer dieses nicht vorstellbare Leben wollen, da er überhaupt etwas wollen muß; denn ein Wille, der nicht will, kann gar nicht ge|dacht

i542 werden. Von einer ununterbrochenen Reihe bewußter Willensakte ist hier gar nicht die Rede, sondern von dem Willen zum Leben schlechthin.

Der angeführte Satz ist also jedes Sinnes bar. Schopenhauer spricht übrigens an anderen Orten ganz kühn und zuversichtlich von einem Dasein, welches nicht das Dasein des Einen Willens ist. So sagt er:

Die Schrecknisse auf der Bühne halten dem Zuschauer die Bitterkeit und Werthlosigkeit des Lebens, also die Nichtigkeit alles seines Strebens entgegen: die Wirkung dieses Eindrucks muß sein, daß er, wenn auch nur im dunklen Gefühl, inne wird, es sei besser, sein Herz vom Leben loszureißen, sein Wollen davon abzuwenden, die Welt und das Leben nicht zu lieben; wodurch dann eben, in seinem tiefsten Innern, das Bewußtsein angeregt wird, daß für ein anderartiges Wollen es auch eine andere Art des Daseins geben müsse.

(W. a. W. u. V. II. 495.)

Die sich hier von selbst aufwerfende Frage: in welcher Welt denn eine solche andere Art des Daseins geführt werden könne, beantwortet er barsch mit den Worten:

Wenn ich sage: »in einer anderen Welt,« so ist es großer Unverstand zu fragen: »wo ist denn die andere Welt?« Denn der Raum, der allem Wo erst einen Sinn ertheilt, gehört eben mit zu dieser Welt: außerhalb derselben giebt es kein Wo. – Friede, Ruhe und Glückseligkeit wohnt allein da, wo es kein Wo und kein Wann giebt.

(Parerga II. 47.)

Die Absurdität dieses geradezu komischen Satzes bedarf keiner Beleuchtung.

Wie dachte sich wohl Schopenhauer den Einen Willen zum Leben? Ich glaube (da man von einem mathematischen Punkt keine Vorstellung haben kann) als ein Meer, von dem der eine Theil in endloser Bewegung, der andere in ewiger absoluter Ruhe ist. Die Wellen, welche nicht mehr Wellen sein wollen, fallen in den ruhigen Theil zurück; diejenigen hingegen, welche sich bejahen, fallen im Tode in den bewegten Theil, der sie sofort wieder, als neue Wellen, an die Oberfläche erhebt. Es ist das Meer der Mystiker, eingetheilt in Gott als Gottheit und Gott als Gott.

i543 Jetzt kommt der vom Willen grundverschiedene Intellekt.

Der Wille ist metaphysisch, der Intellekt physisch.

(W. a. W. u. V. II. 225.)

Der Intellekt wird, als bloße Function des Gehirns, vom Untergang des Leibes mitgetroffen; hingegen keineswegs der Wille.

(ib. 306.)

Das Subjekt des Erkennens ist die Laterne, welche ausgelöscht wird, nachdem sie ihren Dienst geleistet hat.

(ib. 570.)

Es ist gewiß nicht nöthig, daß ich das Verhältniß zwischen Willen und Geist nochmals klarstelle. Ich erinnere an Gesagtes und daran, daß Schopenhauer selbst schließlich widerrufen und bekennen mußte, daß der Intellekt der Wille zu erkennen sei, wie der Magen der Wille zu verdauen u.s.w. Ich will nur ganz einfach fragen: was lehrt uns ein Leichnam? Er lehrt uns, daß nicht nur das Selbstbewußtsein, die Vernunft, der Verstand etc. erloschen sind, sondern auch der Wille. Die ganze Idee Mensch,

d.h. dieser bestimmte Charakter mit diesem bestimmten Intellekt

(Parerga II. 246.)

ist todt. –

Dem Intellekt folgt die bevorzugte intuitive Erkenntniß.

Daß nur eine Erscheinung ihr Ende finde, ohne daß das Ding an sich selbst dadurch angefochten werde, ist eine unmittelbare, intuitive Erkenntniß jedes Menschen.

(Parerga II. 287.)

Hat sich Schopenhauer hierbei irgend etwas Deutliches gedacht? Wie soll der genialste Mensch intuitiv erkennen können, daß er unsterblich ist? Und mehr noch: jeder Mensch soll es können! Fürwahr, die Irrthümer Schopenhauer’s treten zuweilen mit einer Dreistigkeit und Unverschämtheit auf, welche das sanfteste Blut in Wallungen versetzen. In mystischer Verzückung, hervorgerufen durch Fasten und Kasteien, mag sich mancher fromme heilige Büßer in einem verklärten Bilde gesehen haben, welche Vision ihm die Gewißheit, daß seine Seele unsterblich sei, eingeflößt haben mag; aber daß jeder Mensch anschaulich seine Unsterblichkeit erkennen kann, das übersteigt doch alle Begriffe. Auch eilt Schopenhauer diese intuitive Erkenntniß auf das Gefühl zurückzuführen, denn nur vier Zeilen weiter ist zu lesen:

i544 Jeder fühlt, daß er etwas Anderes ist, als ein von einem Anderen einst aus Nichts geschaffenes Wesen.

Schließlich möge der Hauptfehler Schopenhauer’s, sein metaphysischer Hang, ex tripode reden:

Hinter unserem Dasein steckt etwas Anderes, das uns erst dadurch zugänglich wird, daß wir die Welt abschütteln.

(W. a. W. u. V. I. 479.)

Ich glaube, wir werden im Augenblick des Sterbens inne, daß eine bloße Täuschung unser Dasein auf unsere Person beschränkt hatte.

(ib. II. 689.)

Tod und Geburt sind die stete Auffrischung des Bewußtseins des an sich end- und anfangslosen Willens, der allein gleichsam die Substanz des Daseins ist (jede solche Auffrischung aber bringt eine neue Möglichkeit der Verneinung des Willens zum Leben).

(ib. II. 571.)

Das Hin- und Herschwanken Schopenhauer’s zwischen einem immanenten Gebiete und einem mit demselben zugleich existirenden transscendenten (ein Oscilliren, dem kein Philosoph seither entgehen konnte, und welchem erst durch meine Philosophie ein jähes Ende bereitet worden ist), und sein vergebliches Bemühen, beide Gebiete in Einklang zu bringen, zeigen sich in keiner Stelle so deutlich wie in dieser:

Man kann auch sagen: Der Wille zum Leben stellt sich dar in lauter Erscheinungen, welche total zu Nichts werden. Dieses Nichts mitsammt den Erscheinungen bleibt aber innerhalb des Willens zum Leben, ruht auf seinem Grunde.

(Parerga II. 310.)

Er ist wenigstens so ehrlich, hinzuzufügen:


Date: 2014-12-29; view: 526


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