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Aesthetik. 3 page

(W. a. W. u. V. I. 238.)

Im Objekte sind Beide nicht wesentlich unterschieden: denn in jedem Falle ist das Objekt der aesthetischen Betrachtung nicht das einzelne Ding, sondern die in demselben zur Offenbarung strebende Idee.

(ib. 246.)

Hiernach ist, wie ich oben sagte, das Objekt, welches uns in den erhabenen Zustand versetzt, jedesmal schön, weil Alles, was willenlos erkannt wird, schön ist. Dies bedarf der Einschränkung dahin, daß ein Objekt, welches mich erhaben stimmt, schön sein kann, aber nicht schön sein muß.

Es ist sehr gleichgültig, durch welche Hülfsmittel der Mensch sich über sich selbst erhebt; die Hauptsache bleibt: daß er erhaben gestimmt wird. Kant sowohl, als Schopenhauer, gingen entschieden zu weit, als sie die Möglichkeit der Erhebung an einen ganz bestimmten Gedankengang knüpften. Sie bedachten nicht, daß dies ja die Kenntniß ihrer Werke voraussetzen würde, während doch Viele das Erhabene in sich empfinden, ohne je auch nur den Namen Kant oder Schopenhauer gehört zu haben. So sagt Kant in Betreff des Mathematisch- Erhabenen:

Diejenige Größe eines Naturobjekts, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos verwendet, führt den Begriff der Natur auf ein übersinnliches Substrat (welches ihr und zugleich unserem Vermögen zu denken zum Grunde liegt), welches über allen Maßstab der Sinne groß ist.

(Kk. d. U. 106.)

und läßt das gedemüthigte Subjekt sich an den »Ideen der Vernunft« erheben. Schopenhauer dagegen schreibt die Erhebung dem unmittelbaren Bewußtsein zu,

daß alle Welten ja nur in unserer Vorstellung da sind, nur als Modifikation des ewigen Subjekts des reinen Erkennens, als welches wir uns finden, sobald wir die Individualität vergessen, und welches der nothwendige, der bedingende Träger aller Welten und aller Zeiten ist.

(W. a. W. u. V. I. 242.)

In Betreff des Dynamisch- Erhabenen sagt Kant:

i518 Die Natur heißt hier erhaben, bloß weil sie die Einbildungskraft zur Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in welchen das Gemüth die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung, selbst über die Natur sich fühlbar machen kann.

(Kk. d. U. 113.)

und Schopenhauer:

Der unerschütterte Zuschauer empfindet sich zugleich als Individuum, als hinfällige Willenserscheinung hülflos gegen die gewaltige Natur, abhängig, dem Zufall Preis gegeben, ein verschwindendes Nichts, ungeheuren Mächten gegenüber; und dabei nun zugleich als ewiges ruhendes Subjekt des Erkennens.

(W. a. W. u. V. I. 242.)

Natürlich blickt Schopenhauer mitleidig auf die Erklärungen Kant’s herab, welche sich

auf moralische Reflexionen und Hypostasen aus der scholastischen Philosophie

stützten. Die Wahrheit ist, daß Jeder (von seinem Standpunkte) Recht hat, daß aber auch andere Erklärungen richtig sind. Ich verweise auf meine Aesthetik und frage, ob nicht ein gläubiges Gottvertrauen dasselbe leistet? Ein frommer Christ, der einen Sturm auf offener See erlebt und das Schauspiel contemplativ genießt, zu sich sprechend: »ich stehe in des Allmächtigen Hand, Er wird es wohl machen«, ist gewiß nicht in einer weniger erhabenen Stimmung, als Schopenhauer je in einer gewesen ist.



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Das Erhabene ist also ein Zustand des Subjekts, der durch die Natur hervorgebracht wird, und es giebt kein erhabenes Objekt. Ist jedoch das Erhabene durch die Abhandlungen Kant’s und Schopenhauer’s erschöpft worden? Keineswegs! Es giebt erhabene Charaktere.

Schopenhauer gedenkt zwar des erhabenen Charakters, giebt aber eine Definition desselben, welche die ganze Sphäre des Begriffs nicht ausfüllt; zudem läßt er die Sache gleich wieder fallen. Auch Kant nennt einen Menschen, der sich selbst genug ist, erhaben, aber ohne befriedigende Begründung.

Ich habe in meiner Aesthetik das Gefühl des Erhabenen auf |

i519 die Ueberzeugung des Menschen, im Momente der Erhebung, zurückgeführt, daß er den Tod nicht fürchtet, wobei es Nebensache ist, ob er sich täuscht, oder nicht. Diese Erklärung schließt alle anderen möglichen in sich, denn alle führen, auf vielfach gewundenen Wegen, zu dem einen Ziele: Todesverachtung. Es ist ganz gleich, ob der eine Mensch sagt: meine Seele ist unsterblich, der andere: ich stehe in Gottes Hand, ein Dritter: die ganze Welt ist ja nur Schein und das ewige Subjekt des Erkennens ist der bedingende Träger aller Welten und Zeiten – immer wird der Tod nicht gefürchtet: simplex sigillum veri.

Diese Todesverachtung beruht fast immer auf Täuschung. Man weiß sich in voller, wenigstens in so gut wie voller Sicherheit und glaubt fest, man würde auch contemplativ bleiben, wenn die Gefahr das Leben wirklich bedrohte. Wird es aber Ernst, so stürzt das Individuum gewöhnlich aus seiner erträumten Höhe und denkt nur noch an die Rettung des lieben theuren Ich.

Bleibt nun im Willen die Todesverachtung auch dann, wann die Gefahr nahe tritt, wird das Leben geradezu auf’s Spiel gesetzt, so ist ein solcher Wille an und für sich erhaben. Diejenigen Soldaten, welche in der Schlacht die Furcht überwinden und im dichten Kugelregen ruhig ihre Beobachtungen machen, sind nicht nur im erhabenen Zustand, sondern ihr Charakter ist wesentlich erhaben: es sind Helden. Ingleichen sind Helden alle Diejenigen, welche willig ihr Leben in die Schanze schlagen, um ein bedrohtes anderes zu retten, sei es bei Feuersbrünsten, bei Seestürmen, Ueberschwemmungen u.s.w. Solche Individuen sind vorübergehend erhaben, denn man kann nicht wissen, ob sie zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, wieder ihr Leben einsetzen werden. Die Erhabenheit zeigt sich hier als eine Willensqualität, welche nur als Keim im Menschen liegt und nach ihrer Bethätigung wieder bloßer Keim wird.

Beim echten Weisen dagegen bleibt sie entfaltet. Er hat die Nichtigkeit des Lebens erkannt und sehnt sich nach der Stunde, wo er in die Ruhe des Todes eingehen wird. Bei ihm ist die Todesverachtung, besser Lebensverachtung, zur Grundstimmung des Willens geworden und regulirt seine Bewegung.

Aber im höchsten Grade erhaben ist der weise Held, der kämpfende Mann im Dienste der Wahrheit. Er ist auch dasjenige |

i520 Objekt, welches leichter als alle anderen das Subjekt in die erhabene Stimmung versetzen kann; denn er ist, oder war, ein Mensch, und Jeder glaubt, für die höchsten Ziele der Menschheit sein Leben, wie er, einsetzen zu können. Darauf beruht auch der tiefergreifende Zauber, den das Christenthum auf Atheisten ausübt: das Bild des gekreuzigten, für die Menschheit willig in den Tod gegangenen Heilands wird strahlen und die Herzen erheben bis an das Ende der Zeit.

Wie die schöne Seele, so scheint auch der erhabene Wille in das Objekt. Er offenbart sich am deutlichsten in den Augen. Dieses Hereinscheinen hat kein Maler so vollendet wiedergegeben, als Correggio in seinem Schweißtuch der Veronica (Berliner Museum). Das Bild macht selbst auf ein rohes Gemüth einen tiefen Eindruck und kann zu den kühnsten Thaten entflammen. Auch glaube ich, daß schon manches Selbstgelöbniß vor ihm abgelegt worden ist.

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Das Komische hat Schopenhauer sehr mangelhaft abgehandelt, und zwar an einem Orte, wo es offenbar nicht hingehört, nämlich in der Erkenntnißtheorie. Er kennt nur das Abstrakt-Komische, nicht das Sinnlich- (Anschaulich-) Komische.

Tritt der beschauliche Geist, momentweise oder für immer, aus dem dichten Menschenstrome heraus und blickt auf ihn herab, in ihn hinein, so wird bald ein Lächeln, bald zwergfellerschütterndes Lachen ihn ergreifen. Wie ist dies möglich? Im Allgemeinen läßt sich sagen: er hat an irgend eine Erscheinung einen Maßstab angelegt und sie ist kürzer oder länger als dieser. Aus dieser Diskrepanz, Incongruenz, entspringt das Komische.

Es ist klar, daß der Maßstab keine bestimmte Länge haben kann. Sie hängt von Bildung und Erfahrung der Einzelnen ab, und während der Eine eine Erscheinung in Ordnung findet, entdeckt der Andere eine Diskrepanz an ihr, die ihn in die größte Heiterkeit versetzt. Die subjektive Bedingung des Komischen ist also irgend ein Maßstab; das Komische selbst liegt im Objekt.

Schopenhauer behauptet, daß bei allen Arten des Lächerlichen immer mindestens ein Begriff zur Hervorbringung der Diskrepanz nöthig sei, was falsch ist. Als Garrick über den Hund im Par|terre

i521 lachte, dem sein Herr die Perrücke aufgesetzt hatte, ging er nicht vom Begriff Zuschauer, sondern von der Gestalt eines Menschen aus.

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Dagegen ist Schopenhauer’s Behandlung des Humors, wenn auch unvollständig, vortrefflich. Der Humor ist ein Zustand, wie das Erhabene, und mit diesem sehr enge verbunden. Der Humorist hat erkannt, daß das Leben überhaupt, es trete unter was immer für einer Form auf, nichts werth und Nichtsein dem Sein entschieden vorzuziehen sei. Er hat jedoch nicht die Kraft, dieser Erkenntniß gemäß zu leben. Immer wird er wieder in die Welt zurückgelockt. Ist er dann wieder allein und erhebt er sich selbst durch die Verachtung des Lebens, so ironisirt er sein Treiben und das Treiben aller Menschen mit dem Bewußtsein, daß er es doch, wie sie, nicht lassen kann – also mit blutendem Herzen; und unter Witzen und Scherzen liegt der bitterste Ernst. Humoristisch im höchsten Grade sind die letzten Worte des unvergeßlichen Rabelais:

Tirez le rideau, la farce est jouée;

denn er starb nicht gern und doch wieder so gern.

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Auf die Künste übergehend, kann ich sehr kurz sein. Weil Schopenhauer einem jeden Menschen eine eigene Idee zusprach und der Mensch vorzugsweise Objekt der Kunst ist, so stellt er sich nur selten, auf dem Boden der Plastik, Malerei und Poesie, gegen die Wahrheit. Was er dort sagte, ist fast durchgängig vortrefflich und gehört zum Durchdachtesten und Besten, was je über Kunst geschrieben worden ist.

Hingegen mußte ihn seine falsche Eintheilung der Natur die Architektur und die Musik unrichtig beurtheilen lassen.

Ich habe schon oben eine Stelle angeführt, aus der hervorgeht, daß die Architektur die Ideen der untersten Naturstufen, also Starrheit, Schwere, Cohäsion etc. offenbaren soll, und habe ferner gerügt, daß das Artefakt die Idee seines Materials ausdrücke. Das Bauwerk ist das größte Artefakt; was also vom Artefakt gilt, gilt auch von allen Werken der Architektur. Die Form ist beim Artefakt |

i522 die Hauptsache, die Symmetrie, die Proportion der Theile, kurz das Formal-Schöne des Raumes. Das Material steht in zweiter Linie, und zwar nicht um die Schwere und Undurchdringlichkeit zu offenbaren, sondern um das Formal-Schöne der Materie durch Farbe, Glätte, Korn etc. auszudrücken. Denken wir uns zwei gleiche griechische Tempel – etwa den Theseustempel bei Athen, wie er gewesen ist – und eine Copie aus Holz, oder Eisen oder Sandstein. Letztere zeige auch genau dieselbe Farbe wie Pentelikon-Marmor. Nun ist klar, daß beide denselben schönen Eindruck hervorbringen würden. Der Eindruck bliebe auch bestehen, wenn man erführe, daß die Copie von Holz und angestrichen ist, man würde nur dem anderen aus praktischen Rücksichten den Vorzug geben.

Hieraus ergiebt sich ohne Zwang der Grund, warum sowohl Bauwerke, deren Hauptlinien illuminirt sind – wie dies in Italien bei Festlichkeiten sehr oft zu sehen ist –, als auch gemalte Architektur, ein so großes aesthetisches Wohlgefallen in uns erwecken. Dasselbe wird sofort wesentlich beeinträchtigt, wenn einige Lichter eines erleuchteten Bauwerks erlöschen, weil wir die ganze Form nicht mehr haben. Nun frage ich, wie kann erleuchtete Architektur die Ideen der Schwere etc. offenbaren?

Die Erklärung Schopenhauer’s in Betreff gemalter Architektur ist ganz verfehlt. Er meint, daß wir bei ihrem Anblick

eine Mitempfindung und das Nachgefühl der tiefen Geistesruhe und des gänzlichen Schweigens des Willens erhalten, welche nöthig waren, um die Erkenntniß so ganz in jene leblosen Gegenstände zu versenken und sie mit solcher Liebe d.h. hier mit solchem Grade der Objektivität, aufzufassen.

(W. a. W. u. V. I. 258.)

Wie geschraubt!

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Schopenhauer’s Schriften über die Musik sind genial, geistreich und phantasievoll, aber sie verlieren das Wesen dieser herrlichen Kunst nur zu oft aus den Augen und werden phantastisch. Der die Musik betreffende Abschnitt im 2. Bande der W. a. W. u. V. ist überaus treffend: »Zur Metaphysik der Musik« überschrieben, denn Schopenhauer überfliegt darin alle Erfahrung und durchsegelt frisch und munter den uferlosen transscendenten Ocean.

i523 Er sagt:

Die Musik ist keineswegs, gleich den andern Künsten, das Abbild der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst.

(W. a. W. u. V. I. 304.)

Da es inzwischen derselbe Wille ist, der sich sowohl in den Ideen, als in der Musik, nur in jedem von Beiden auf ganz verschiedene Weise, objektivirt; so muß, zwar durchaus keine unmittelbare Aehnlichkeit, aber doch ein Parallelismus, eine Analogie sein zwischen der Musik und (zwischen) den Ideen, deren Erscheinung in der Vielheit und Unvollkommenheit die sichtbare Welt ist.

(ib. 304.)

Und nun werden die tiefsten Töne der Harmonie, im Grundbaß, mit den niedrigsten Stufen der Objektivation des Einen Willens, (mit der unorganischen Natur, der Masse der Planeten); die höheren Töne der Harmonie mit den Ideen des Pflanzen- und Thierreichs; die Melodie mit dem besonnenen Leben und Streben des Menschen verglichen. Ferner heißt es:

Die Tiefe hat eine Grenze, über welche hinaus kein Ton mehr hörbar ist: dies entspricht dem, daß keine Materie ohne Form und Qualität wahrnehmbar ist.

(ib. 305.)

Die unreinen Mißtöne, die kein bestimmtes Intervall geben, lassen sich den monstrosen Mißgeburten zwischen zwei Thierspecies, oder zwischen Mensch und Thier vergleichen.

(ib.)

u.s.w. Ich habe hingegen anzuführen, daß die Musik nur in einem Verhältniß zum menschlichen individuellen Willen steht. Sie läßt die Qualitäten dieses Willens, wie Bosheit, Neid, Grausamkeit, Barmherzigkeit etc., welche noch das Thema der Poesie sind, ganz fallen und giebt nur seine Zustände wieder, d.h. seine Schwingungen in der Leidenschaft, der Freude, der Trauer, der Angst, des Friedens etc. Sie versetzt durch die Schwingungen der Töne den Willen des Zuhörers in ähnliche Schwingungen und erzeugt in ihm, ohne daß er in der Aeußerung einer Willensqualität begriffen sei, denselben Zustand des Wohls oder Wehs, der damit verknüpft ist, und doch wieder so ganz anders, so eigenthümlich. Hierin liegt das Geheimniß ihrer wunderbaren Macht über das menschliche Herz und auch über Thiere, namentlich Pferde.

i524 Schopenhauer selbst sagt sehr richtig:

Sie drückt nicht diese oder jene einzelne und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübniß, oder Schmerz, oder Entsetzen, oder Jubel, oder Lustigkeit, oder Gemüthsruhe aus, sondern die Freude, die Betrübniß etc. selbst.

(W. a. W. u. V. I. 309.)

Wenn er aber trotzdem sagt: die Musik offenbare unmittelbar das Wesen des Willens, so ist dies falsch. Das Wesen des Willens, seine Qualitäten, offenbart nur die Poesie vollkommen. Die Musik giebt lediglich seine Zustände wieder, d.h. sie beschäftigt sich mit seinem wesentlichen Prädicat, der Bewegung. Sie ist deshalb nicht die höchste und bedeutendste, aber die ergreifendste Kunst. –

Ich kann hier eine Bemerkung nicht unterdrücken. Goethe, von dem Witzworte »Architektur sei erstarrte Musik« sprechend, nannte die Architektur verstummte Tonkunst. Schopenhauer greift das Witzwort auf und meint, die einzige Analogie zwischen beiden Künsten sei die, daß, wie in der Architektur die Symmetrie, so in der Musik der Rhythmus das Ordnende und Zusammenhaltende sei. Der Zusammenhang liegt jedoch tiefer. Die Musik beruht, ihrer Form nach, ganz auf der Zeit, deren Succession sie schön durch Rhythmus und Takt offenbart, die Architektur auf dem Raume, dessen Verhältnisse sie schön durch die Symmetrie zeigt. Halte ich die Uebergänge von Gegenwart zu Gegenwart fest, so gewinne ich eine Linie von erstarrten Momenten, ein Nacheinander, welches ein räumliches Nebeneinander ist. Der fließende Rhythmus wird so zur starren Symmetrie, und deshalb liegt in dem kecken Witzwort mehr Sinn, als Schopenhauer annehmen zu dürfen glaubte. (Schopenhauer behauptet bekanntlich, daß die Zeit fließe, nicht stillstehe). Man vergesse auch nicht, daß in der Zahl Raum und Zeit vereinigt sind, und daß Musik sowohl, als Architektur, auf Zahlenverhältnissen beruhen, und man wird einsehen, daß der formale Theil der einen Kunst mit dem der anderen verschwistert ist. Man könnte sie mit Licht und Wärme vergleichen und den formalen Theil der Musik die Metamorphose des formalen Theils der Architektur nennen.

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Ehe ich die Aesthetik verlasse und zur Ethik übergehe, muß ich von dem Vorzug sprechen, den Schopenhauer der anschaulichen |

i525 (intuitiven) Erkenntniß vor der abstrakten gab. Diese Vorliebe wurde eine neue Quelle von Irrthümern, welche seine Ethik ruiniren halfen, und ist deswegen sehr bedauerlich.

Nur was anschaulich erkannt wird, sagt er, hat einen Werth, eine wahre Bedeutung.

Alle Wahrheit und alle Weisheit liegt zuletzt in der Anschauung,

(W. a. W. u. V. II. 79.)

mit anderen Worten: der Verstand ist die Hauptsache, die Vernunft ist Nebensache.

Vernunft hat jeder Tropf: giebt man ihm die Prämissen, so vollzieht er den Schluß.

(4fache W. 73.)

Er vergaß hierbei ganz, daß die Vernunft auch die Prämissen bilden muß, und daß

Schließen leicht, urtheilen schwer ist.

(W. a. W. u. V. II. 97.)

Diese Verachtung der Vernunft entsprang wesentlich daraus, daß er die Vernunft nur Begriffe bilden und solche verbinden und den Verstand allein die Anschauung herstellen ließ; ferner daraus, daß er die idealen Verbindungen der Vernunft (Zeit, mathematischen Raum, Substanz, Causalität und Gemeinschaft) nicht kannte; schließlich auch daraus, daß er zwischen Begriffen und Anschauung eine viel zu tiefe Kluft legte. Sämmtliche Erkenntnißvermögen sind fast immer in voller Thätigkeit und unterstützen sich gegenseitig.

Schopenhauer muß auch sehr oft klein beigeben. So sagt er:

Verstand und Vernunft unterstützen sich immer wechselseitig.

(W. a. W. u. V. I. 27.)

Die Platonische Idee, welche durch den Verein von Phantasie und Vernunft möglich wird etc.

(ib. I. 48.)

und verweise ich ferner auf W. a. W. u. V. I. §. 16, II. Kap. 16, wo er der Wahrheit die Ehre geben und die Vernunft sehr hoch stellen muß. Trotzdem bleibt ihm die intuitive Erkenntniß die höhere und sagt er a.a.O.

Die vollkommenste Entwicklung der praktischen Vernunft, im wahren und ächten Sinne des Worts, der höchste Gipfel, |

i526 zu dem der Mensch durch den bloßen Gebrauch seiner Vernunft gelangen kann, und auf welchem sein Unterschied vom Thier sich am deutlichsten zeigt, ist das Ideal, dargestellt im Stoischen Weisen.

Ich werde nachweisen, daß der Mensch mit seiner Vernunft einen viel höheren Gipfel erklimmen kann, und daß die Erlösung überhaupt nur möglich ist durch Vernunft, nicht durch eine erträumte, wunderbare, unaussprechliche intellektuelle Anschauung.

 

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Ethik.

 

i527

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Der denkende Mensch hat die wunderliche Eigenschaft,

daß er an der Stelle, wo das unaufgelöste Problem liegt, gerne

ein Phantasiebild hinfabelt, das er nicht los werden kann, wenn

das Problem auch aufgelöst und die Wahrheit am Tage ist.

Goethe.

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Man versteht die Sprache der Natur nicht, weil sie zu

einfach ist.

Schopenhauer.

i529

Es ist die schwerste, aber auch die schönste Aufgabe für den Philosophen: die in ihren Forderungen strengste Ethik nur auf Daten der Erfahrung, auf die Natur allein zu gründen. Die Stoiker versuchten es, konnten aber auf halbem Wege nicht weiter; Kant versuchte es gleichfalls, endigte aber mit einer Moraltheologie; Schopenhauer ging ebenfalls von Thatsachen der inneren und äußeren Erfahrung aus, versank jedoch am Ende seines Weges in ein mystisches Meer.

Es ist klar, daß ein philosophisches System nur dann eine Ethik ohne Metaphysik liefern kann, wenn es in der Erkenntnißtheorie und in der Physik unerschütterliche, felsenfeste Pfeiler aufgerichtet hat, welche den schweren Oberbau tragen können. Das kleinste Versehen im Fundament würde den prachtvollsten Palast, über kurz oder lang, zum Zusammensturze bringen.

Wir haben uns deshalb zunächst damit zu beschäftigen, diejenigen Grundpfeiler in der Physik, welche die Ethik tragen, nochmals zu prüfen, und sammeln zu diesem Zwecke die in den Werken Schopenhauer’s zerstreut liegenden Wahrheiten. Demnächst wollen wir mit dem Lichte derselben die Fehler Schopenhauer’s beleuchten.

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Die Ethik hat es lediglich mit dem Menschen und seiner Handlungsweise, d.h. mit dem menschlichen individuellen Willen und seiner Bewegung zu thun. Wie wir wissen, sprach Schopenhauer jedem Menschen eine besondere Idee zu und ließ auch in guter Stunde die Individualität dem Willen inhäriren. Dies muß unser Ausgangspunkt sein.

Jeder Mensch ist ein geschlossenes Ganzes, strenges Fürsichsein von einem ganz bestimmten Charakter. Er ist Wille zum Leben, wie Alles in der Natur, aber er will das Leben in einer besonderen |

i530 Weise, d.h. er hat eine eigene ursprüngliche Bewegung. Sein Grundsatz ist:

Pereat mundus, dum ego salvus sim!

und seine Individualität im innersten Kern ist Egoismus.

Der Egoismus ist, im Thiere, wie im Menschen, mit dem innersten Kern und Wesen desselben auf’s Genaueste verknüpft, ja, eigentlich identisch.

(Ethik 196.)

Der Egoismus ist, seiner Natur nach, grenzenlos: Der Mensch will unbedingt sein Dasein erhalten, will es von Schmerzen, zu denen auch aller Mangel und Entbehrung gehört, unbedingt frei, will die größtmögliche Summe von Wohlsein, und will jeden Genuß, zu dem er fähig ist, ja, sucht womöglich noch neue Fähigkeiten zum Genusse in sich zu entwickeln.

(ib.)

Alles, was sich dem Streben seines Egoismus entgegenstellt, erregt seinen Unwillen, Zorn und Haß: er wird es als seinen Feind zu vernichten suchen. Er will womöglich Alles genießen, Alles haben; da aber dies unmöglich ist, wenigstens Alles beherrschen: »Alles für mich, und Nichts für die Andern«, ist sein Wahlspruch. Der Egoismus ist colossal: er überragt die Welt. Denn, wenn jedem Einzelnen die Wahl gegeben würde zwischen seiner eigenen und der übrigen Welt Vernichtung, so brauchte ich nicht zu sagen, wohin sie, bei den allermeisten, ausschlagen würde.

(ib.)

Vorderhand halten wir hiervon nur fest, daß der Mensch unbedingt sein Dasein erhalten will.

Von wem hat er sein Dasein? Von seinen Eltern, durch Begattung derselben.

Sie fühlen die Sehnsucht nach einer wirklichen Vereinigung und Verschmelzung zu einem einzigen Wesen, um alsdann nur noch als dieses fortzuleben, und diese erhält ihre Erfüllung in dem von ihnen Erzeugten, als in welchem die sich vererbenden Eigenschaften Beider, zu einem Wesen verschmolzen und vereinigt, fortleben.

(W. a. W. u. V. II. 611.)

Daß dieses bestimmte Kind erzeugt werde, ist der wahre, wenngleich den Theilnehmern unbewußte Zweck des ganzen Liebesromans.

(ib.)

i531 Schon im Zusammentreffen ihrer (der Eltern) sehnsuchtsvollen Blicke entzündet sich sein neues Leben, und giebt sich kund als eine künftig harmonische, wohl zusammengesetzte Individualität.

(ib.)

Das, was durch alle Liebeshändel entschieden wird, ist nichts Geringeres, als die Zusammensetzung der nächsten Generation.

(ib. 609.)

Die dramatis personae, welche auftreten werden, wann wir abgetreten sind, werden hier, ihrem Dasein und ihrer Beschaffenheit nach, bestimmt durch diese so frivolen Liebeshändel.

(ib. 609.)

Daß bei der Zeugung die von den Eltern zusammengebrachten Keime nicht nur die Eigenthümlichkeiten der Gattung, sondern auch die der Individuen fortpflanzen, lehrt die alltäglichste Erfahrung.

(ib. 590.)

Warum hängt der Verliebte mit gänzlicher Hingebung an den Augen seiner Auserkorenen und ist bereit, ihr jedes Opfer zu bringen? Weil sein unsterblicher Theil es ist, der nach ihr verlangt.

(ib. 640.)

Der letztere Satz muß genauer gefaßt werden und lauten: weil er sich im Dasein erhalten, weil er unsterblich sein will.

Diese Stellen sind klar und rein und jede trägt das Gepräge der Wahrheit. Jeder Mensch hat die Existentia und die Essentia von seinen Eltern. Diese erhalten sich durch die Kinder im Dasein, welche sich ihrerseits genau auf dieselbe Weise im Dasein erhalten werden.

Die Liebenden sind die Verräther, welche heimlich darnach trachten, die ganze Noth und Plackerei zu perpetuiren, die sonst ein baldiges Ende erreichen würde, welches sie vereiteln wollen, wie ihres Gleichen es früher vereitelt haben.

(W. a. W. u. V. II. 641.)

Zwischen Eltern und Kindern ist kein Unterschied. Sie sind Eines und dasselbe.

Es ist derselbe Charakter, also derselbe individuelle bestimmte Wille, welcher in allen Descendenten eines Stammes, vom Ahnherrn bis zum gegenwärtigen Stammhalter, lebt.

(ib. 603.)

i532 In dem vortrefflichen, schönen Abschnitt: »Erblichkeit der Eigenschaften« führt Schopenhauer aus, daß das Kind vom Vater den bestimmten Willen, von der Mutter den bestimmten Intellekt erbt. Auf Grund sorgfältiger und vieler Beobachtungen, habe ich diese Lehre dahin zu modificiren, daß meistens die Willensqualitäten des Vaters und der Mutter, dagegen meistens von der Mutter allein die intellektuellen Fähigkeiten auf das Kind übergehen. Die Mischung hängt wesentlich von dem Zustande der Zeugenden ab. Willensqualitäten der Mutter werden von entgegengesetzten des Vaters gleichsam gebunden (neutralisirt) und umgekehrt, andere geschwächt, andere gehen rein auf das neue Individuum über. So viel ist sicher, daß im Kinde lebt, was in den Eltern war. Ein neues Sein ist kein neues, sondern ein verjüngtes altes.

Auf den untersten Stufen des Thierreichs folgt sehr häufig der Tod unmittelbar auf die Begattung, was das wahre Verhältniß zwischen Eltern und Kindern sehr schön offenbart. Insekten, welche man von der Begattung fern halt, leben bis zum nächsten Jahre. (Burdach, Physiologie I. § 285.) Bei den höheren Thieren, und besonders den Menschen, ist das Verhältniß verdunkelter, weil die Eltern gewöhnlich weiterleben. Indessen wird es wieder hell wenn man bedenkt, 1) daß ein Kind nur entstehen kann aus einem Ei, welches die Quintessenz des weiblichen Willens ist; 2) daß dieses Ei Nichts ist, wenn es nicht durch den Samen, welcher die Quintessenz des männlichen Willens ist, befruchtet wird. Die Befruchtung überhaupt giebt dem im Ei schlummernden Keime erst die wahre Existentia; die Energie der Befruchtung giebt dem Keime die Essentia, die bestimmten Willensqualitäten, nach obiger Regel.

Im Veda giebt der Sterbende seine Sinne und gesammten Fähigkeiten einzeln seinem Sohne, in welchem sie fortleben sollen. Die Wahrheit ist, daß er sie ihm schon in der Zeugungsstunde übergeben hat. Das Leben eines Menschen, der nicht mehr zeugen kann, ist, wie die Inder sagen, die Bewegung eines Rades, das sich eine Weile noch umdreht, nachdem die bewegende Kraft es verlassen hat.

Hieraus ergiebt sich, daß der Schwerpunkt des menschlichen Lebens im Geschlechtstrieb liegt. Er allein sichert dem Individuum das Dasein, welches es vor Allem will. Der Mensch ist schlechthin Wille zum Leben; erst in zweiter Linie will er ein bestimmtes Leben. |


Date: 2014-12-29; view: 522


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