Eine gefaßte Hypothese giebt uns Luchsaugen für alles sie
Bestätigende und macht uns blind für alles ihr
Widersprechende.
Schopenhauer.
i491
Schopenhauer’s Aesthetik ist begründet:
1) auf den transscendenten Objektivationen des Willens zum Leben,
2) auf dem vom Willen gänzlich gesonderten Intellekt (reines, willenloses Subjekt des Erkennens),
3) auf die Eintheilung der Natur in physikalische Kräfte und Gattungen,
und erhellt schon hieraus hinlänglich, daß sie fehlerhaft ist. Wir werden indessen sehen, daß er sehr oft diese Grundlegung vergißt und sich auf realen Boden stellt, wo er dann meistens das Richtige erkennt. Ueber alles Lob erhaben, jeden Freund der Natur und Kunst tief ergreifend, sind aber seine Schilderungen der aesthetischen Freude, die laut verkündigen, daß er die überwältigende Macht des Schönen voll und ganz und oft an sich erfahren hat und ein hochbegnadeter Geist gewesen ist.
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Die uns bekannten Objektivationen des Einen Willens zum Leben nehmen, in der Aesthetik Schopenhauer’s, den Namen Ideen an, und zwar sollen sie die Ideen Plato’s sein, was wir später untersuchen werden. Schon in der Welt als Wille heißt es:
Die Stufen der Objektivation des Willens sind nichts Anderes als Platon’s Ideen.
(W. a. W. u. V. I. 154.)
Durch die Kritik der Objektivationen könnte ich mich nun der Ideenlehre für überhoben halten; ich will sie jedoch nicht unterlassen, da Schopenhauer in der Aesthetik genöthigt ist, auf die Natur der Objektivation viel spezieller einzugehen als in seiner Physik. Er sagt:
Die Platon’sche Idee ist nothwendig Objekt, ein Erkanntes, eine Vorstellung, und eben dadurch, aber auch nur dadurch, vom Ding an sich verschieden. Sie hat bloß die untergeordneten |
i492 Formen der Erscheinungen, welche alle wir unter dem Satz vom Grunde begreifen, abgelegt, oder vielmehr ist noch nicht in sie eingegangen; aber die erste und allgemeinste Form hat sie beibehalten, die der Vorstellung überhaupt, des Objektseins für ein Subjekt. Die dieser untergeordneten Formen (deren allgemeiner Ausdruck der Satz vom Grunde ist), sind es, welche die Idee zu einzelnen und vergänglichen Individuen vervielfältigen, deren Fahl, in Beziehung auf die Idee, völlig gleichgültig ist.
(W. a. W. u. V. I. 206.)
Was ist diese erste Form der Erscheinungen, die der Vorstellung überhaupt, des Objektseins für ein Subjekt? Hat sich Schopenhauer wirklich Etwas dabei gedacht? Oder haben wir nur eine völlig sinnlose Phrase vor uns, eine verwegene Zusammenstellung von bloßen Worten? So ist es in der That:
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
(Goethe.)
Es giebt nur reale Dinge an sich; sie werden zu Objekten, wenn sie durch die Formen eines Subjekts gegangen sind. Diese ihre Spiegelung in einem Subjekt ist ihr Objektsein für ein Subjekt: das Objektsein von den subjektiven Formen, Raum, Zeit und Materie, trennen wollen, ist einfach nicht möglich. Versuche ich es dennoch in Gedanken, so komme ich zu keinem anderen Resultate, als daß ich, als Individuum, nicht identisch bin mit den Objekten, oder mit anderen Worten, ich erkenne einfach, daß es vom Subjekt unabhängige Dinge an sich giebt.
Objektsein für ein Subjekt besagt also nichts Anderes, als Eingegangensein in die Formen eines Subjekts, und ein Objektsein für ein Subjekt ohne die untergeordneten Formen der Erscheinung ist sinnlos. Q. e. d.
Hören wir jetzt, wie Schopenhauer das Objektsein für ein Subjekt an Beispielen erläutert.
Wann die Wolken ziehen, sind die Figuren, welche sie bilden, ihnen nicht wesentlich, sind für sie gleichgültig: aber daß sie als elastischer Dunst, vom Stoß des Windes zusammengepreßt, weggetrieben, ausgedehnt, zerrissen werden: dies ist ihre Natur, ist |
i493 das Wesen der Kräfte, die sich in ihnen objektiviren, ist die Idee: nur für den individuellen Beobachter sind die jedesmaligen Figuren. – – – –
Dem Bach, der über Steine abwärts rollt, sind die Strudel, Wellen, Schaumgebilde, die er sehen läßt, gleichgültig und unwesentlich: daß er der Schwere folgt, sich als unelastische, gänzlich verschiebbare, formlose, durchsichtige Flüssigkeit verhält, dies ist sein Wesen.
(W. a. W. u. V. I. 214.)
Die Beispiele sind insofern glücklich gewählt, als zum Wesen der Dünste und Flüssigkeiten eine bestimmte Form nicht gehört. Aber beweisen sie irgendwie das fragliche Objektsein für ein Subjekt? Durchaus nicht. Ich kann den elastischen Dunst und die durchsichtige Flüssigkeit überhaupt nur wahrnehmen, wenn sie in die Formen des Subjekts eingegangen, d.i. wenn sie irgend wie ausgedehnt und irgend wie materiell sind. Durch das bloße dürftige Bewußtsein des Künstlers, daß er nicht die Wolke, nicht der Bach ist, erkennt er doch nie und nimmer das Wesen des Wassers und des Dunstes. Er erkennt es immer nur in Formen und giebt es wieder in Formen.
Ich frage im Allgemeinen jeden denkenden Menschen, ob ein Ding anders für ihn vorstellbar ist, denn als Objekt, d.h. als räumlich und materiell, und frage im Besonderen jeden Landschaftsmaler, ob er, bei der Darstellung einer Eiche z.B., von dem, etwa durch wunderbare Eingebung erkannten raumlosen und immateriellen Wesen der Idee Eiche ausgeht, oder ob er lediglich beabsichtigt, die wahrgenommene Form und Farbe des Stammes, der Blätter, der Zweige, in gewisser Weise wiederzugeben? Den Unterschied im innersten Wesen zwischen einer Buche und einer Eiche hat noch Niemand erfaßt; dieser Unterschied aber, wie er sich im Aeußeren ausdrückt, also in Raum und Materie, ist der Anhaltspunkt für die Phantasie des Künstlers.
Die erste und allgemeinste Form der Vorstellung, die des Objektseins für ein Subjekt, ist also, ich wiederhole es, nichts Anderes, als das Eingegangensein in die Formen des Subjekts, nichts von ihnen Getrenntes und Selbständiges.
Schopenhauer konnte auch bei der grundlosen Behauptung |
i494 nicht stehen bleiben. Schon das angeführte Beispiel des Bachs schließt mit den Worten:
dies ist sein Wesen, dies ist, wenn anschaulich erkannt, die Idee.
woran ich noch folgende Stellen knüpfe:
Die Erkenntniß der Idee ist nothwendig anschaulich, nicht abstrakt.
(W. a. W. u. V. I. 219.)
Die Idee des Menschen vollständig ausgedrückt in der angeschauten Form.
(ib. 260.)
Die Ideen sind wesentlich ein Anschauliches.
(ib. II. 464.)
Die Platonischen Ideen lassen sich allenfalls beschreiben als Normal-Anschauungen, die nicht nur, wie die mathematischen, für das Formale, sondern auch für das Materiale der vollständigen Vorstellungen gültig wären, also vollständige Vorstellungen.
(4fache W. 127.)
und die außerordentlich charakteristische Stelle:
Die Idee ist der Wurzelpunkt aller dieser Relationen und dadurch die vollständige und vollkommene Erscheinung .... Sogar Form und Farbe, welche, in der anschauenden Auffassung der Idee, das Unmittelbare sind, gehören im Grunde (!) nicht dieser an, sondern sind nur das Medium ihres Ausdrucks; da ihr, genau genommen (!) der Raum so fremd ist, wie die Zeit.
(W. a. W. u. V. II. 415.)
Ich habe hierzu Nichts zu bemerken!
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Jetzt wollen wir Schopenhauer auf anderen, ebenso seltsamen Schleichwegen begleiten.
Die Vielheit der Individuen ist durch Zeit und Raum, das Entstehen und Vergehen durch Causalität allein vorstellbar, in welchen Formen allen wir nur die verschiedenen Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkennen, der das letzte Princip aller Endlichkeit, aller Individuation und die allgemeine Form der Vorstellung, wie sie in die Erkenntniß des Individuums als solchen |
i495 fällt, ist. Die Idee geht hingegen in dieses Prinzip nicht ein: daher ihr weder Vielheit, noch Wechsel zukommt.
(W. a. W. u. V. I. 199.)
Wie fein führt er hier nur die Vielheit und den Wechsel auf Zeit und Raum zurück und läßt die Gestalt aus dem Spiele. Ferner:
Das reine Subjekt der Erkenntniß und sein Correlat, die Idee, sind aus allen jenen Formen des Satzes vom Grunde herausgetreten: die Zeit, der Ort, das Individuum, welches erkennt, und das Individuum, welches erkannt wird, haben für sie keine Bedeutung.
(ib. 211.)
Der Ort, wie fein! Von der Gestalt ist nicht die Rede. Es ist allerdings einerlei, ob ich einen und denselben Chinesen in Hongkong oder in Paris oder in London sehe, aber die immaterielle gestaltlose Idee eines Chinesen kann ich weder in Hongkong, noch irgendwo in der Welt erblicken.
Die Auffassung einer Idee erfordert, daß ich bei Betrachtung eines Objekts, wirklich von seiner Stelle, in Raum und Zeit, und dadurch von seiner Individualität, abstrahire.
(Parerga II. 449.)
Im ersten Theile dieses Satzes spielt Schopenhauer geradezu mit Raum und Zeit. Die Idee, als Aeußeres, muß räumlich sein, die Idee, als tiefstes Inneres, insofern es zugänglich ist, kann sich nur durch Succession offenbaren. Hierauf beruht ja der große Unterschied zwischen den bildenden Künsten und der Musik und Poesie. Er klammert sich an die Stelle in Raum und Zeit, wo doch nur von Gestalt und realer Succession die Rede sein kann. – Der zweite Theil der Stelle ist dagegen völlig falsch und absurd. Die Individualität, die wir als etwas durch und durch Reales kennen lernten, zu dessen Erkenntniß uns ja nur die subjektiven Formen gegeben wurden, soll von der Stelle in Raum und Zeit abhängen. Unverzeihliche Logik!
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Gehen wir weiter!
Nicht allein der Zeit, sondern auch dem Raum ist die Idee enthoben: denn nicht die mir vorschwebende räumliche Gestalt, |
i496 sondern der Ausdruck, die reine Bedeutung, ihr innerstes Wesen, das sich mir aufschließt und mich anspricht ist eigentlich (!) die Idee und kann ganz das Selbe sein, bei großem Unterschied der räumlichen Verhältnisse der Gestalt.
(W. a. W. u. V. I. 247.)
In diesem Satze spiegelt sich ein confuses Denken. Das Aeußere der Idee muß vom Innern derselben, wie ich bereits sagte, gesondert werden. Der individuelle Wille, die Idee, geht in die Verstandesformen Raum und Materie ein und wird zum Objekt. Nehmen wir einen Menschen zum Beispiel, so steht jetzt ein Objekt von bestimmter Gestalt, bestimmter Haut-, Haar- und Augenfarbe vor mir – mit einem Worte: ich habe sein Aeußeres. In dieses Aeußere scheint das innere Wesen des Menschen in bestimmter Weise herein. Es offenbart sich an der Gestalt. Die Gestalt ist seine nicht von ihm zu trennende Grundlage. Denken wir uns zwei Menschen von gleicher Herzensgüte, so ist allerdings gleichgültig, ob »der Unterschied der räumlichen Verhältnisse« ein großer oder kleiner ist, ob der Eine ein Vollmonds-, der Andere ein reines griechisches Gesicht hat. Die Gesichtszüge Beider werden wohlwollend sein, in den Augen Beider wird das milde Licht freundlicher Güte strahlen. Aber kann ich denn ihren Leib wegdenken und das Wohlwollen und die Herzensgüte allein anschauen? Immer sind es die Augen, die strahlen, immer die Gesichtszüge, in denen sich das Wohlwollen ausdrückt.
Von diesem Aeußern und Hereinscheinen des Innern ist nun das reine Innere total verschieden. Es giebt nur ein Versenken des Menschen in das Innere, nämlich in sein eigenes. Taucht der Mensch in die eigene Tiefe hinab, so wird, wie wir wissen, der Verstand ausgehängt. Von einem Objektsein für ein Subjekt kann jetzt gar nicht mehr die Rede sein. Wir haben den innersten Kern unseres Wesens unmittelbar im Selbstbewußtsein. Hier erfaßt der Mensch unmittelbar Bosheit, Verruchtheit, Edelmuth, Tapferkeit, Neid, Barmherzigkeit u.s.w., die Willensqualitäten, und Freude, Trauer, Liebe, Haß, Frieden etc., die Zustände des Willens. Diesen Weg in’s Innere schlagen Dichter und Tonkünstler ein, und da der Kern ihres Wesens Wille zum Leben ist, wie der aller anderen Menschen, so haben sie, unterstützt von ihren objektiven Beobachtungen in der Welt, die Fähigkeit, ihrem Willen vorüber|gehend
i497 die individuelle Qualität eines von ihnen verschiedenen Charakters zu geben und dessen Zustände zu empfinden. Shakespeare’s Herz hat gewiß, beim Dichten des Richard III., so düster frohlockt, wie das Herz des lebenden Bösewichtes, und hat alle Qualen der Desdemona gleichfalls empfunden.
Und trotzdem ist die Macht der anschaulichen Erkenntniß so groß, daß geniale Poeten und Tonkünstler, die es also mit dem gestaltlosen innersten Wesen des Willens zu thun haben, stets umwogt sind von Gestalten und Bildern. Der echte dramatische Dichter sieht seinen Helden, unter irgend einem Phantasiebilde, leibhaftig jubeln, oder unter der Wucht der Schicksalsschläge zusammenbrechen, ebenso wie dem Componisten Gruppen seliger oder verzweifelter Menschen, unschuldige Kinderschaaren, sonnige und sturmbewegte Landschaftsbilder in selten unterbrochener Reihe, auf den Tonwellen dahingleiten.
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Das Resultat dieser Untersuchung ist, daß die Ideen so unhaltbar sind, wie die Objektivationen. Ich habe die Unmöglichkeit einer ersten Form der Vorstellung, des Objektseins für ein Subjekt unabhängig von den unteren subjektiven Formen, nachgewiesen und gezeigt, daß Schopenhauer selbst schließlich bekennen mußte, die Idee sei wesentlich ein Anschauliches. Jedes Anschauliche ist eingegangen in die subjektiven Formen, ist Objekt. Die Idee ist also gleichbedeutend mit der Erscheinung des individuellen Willens und deshalb sind die Schopenhauer’sche Idee und Objekt Wechselbegriffe.
Da die Idee ein Anschauliches ist, so kann sie ferner, als solche, dem Dichter nur nebenbei und gar nicht dem Tonkünstler dienen; denn Beide haben es mit dem Willen unmittelbar zu thun. Die Idee reicht demnach für die Begründung der Aesthetik bei Schopenhauer gar nicht einmal aus. Auch habe ich oben von einem Aeußern und Innern der Idee nur im Sinne meiner Philosophie gesprochen; denn bei mir ist die Idee gleichbedeutend mit dem Einzelwillen. Die Idee, von außen aufgefaßt, ist Objekt, von innen erfaßt individueller Wille.
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i498 Ehe wir die Ideen verlassen, wollen wir kurz untersuchen, ob sie Schopenhauer mit Recht Platonische Ideen genannt hat.
Das Merkmal der Ideen bei Plato ist nicht die natürliche Ursprünglichkeit; denn auch Artefakte sind Ideen, und Plato spricht von den Ideen des Stuhls, des Tisches u.s.w. Es ist auch nicht die Anschaulichkeit, denn Plato spricht von Ideen des Guten, der Gerechtigkeit u.s.w. Die Ideen sind also zunächst Begriffe. Daneben sind sie auch die Urbilder alles Seienden, die unvergänglichen zeitlosen Urformen, von denen die realen Dinge der Welt nur mangelhafte, vergängliche Nachbilder sind. Hier ist wohl zu merken, daß Plato diese Ideen nur aus der realen Entwicklung gänzlich herausnimmt. Dem Raume enthebt er sie theilweise (Vielheit): die Gestalt, die Form läßt er ihnen.
Ferner erklärt Plato ausdrücklich (De Rep. X), daß das Vorbild der Kunst nicht die Idee, sondern das einzelne Ding sei.
Was hat nun Schopenhauer aus dieser Lehre gemacht? Er beklagt sich über die letztere Erklärung des Plato (W. a. W. u. V. I 250) und über die Begriffs- (Vernunft-) Ideen.
Manche seiner Beispiele von Ideen und seine Erörterungen über dieselben sind bloß auf Begriffe anwendbar.
(ib. 276.)
und hält sich nur an die Urformen, welche immer sind und nie werden, noch vergehen. Indessen läßt er diese Formen nicht wie sie sind, sondern modelt sie nach Bedarf um. Plato nahm sie nicht ganz aus dem Raume. Er sprach ihnen nur Vielheit, sowie Entstehen und Vergehen ab, und ließ ihnen Gestalt. Schopenhauer sagt nun:
In diesen beiden verneinenden Bestimmungen ist aber nothwendig als Voraussetzung enthalten, daß Zeit, Raum und Causalität für sie keine Bedeutung noch Gültigkeit haben, und sie nicht in diesen da sind.
(W. a. W. u. V. I. 202.)
was, in Beziehung auf den Raum, grundfalsch ist. Man sieht klar: Schopenhauer hat sich aus der Ideenlehre Plato’s herausgenommen, was ihm paßte, und diesem Wenigen einen neuen Sinn untergelegt, so daß die Platonischen Ideen Schopenhauer’s nicht Platonische Ideen, sondern Schopenhauer’sche heißen müssen.
Die Platonischen Ideen werden gewöhnlich als Begriffe auf|gefaßt,
i499 und ging jedenfalls Plato bei seinen beiden Erklärungen davon aus, daß Vieles unter eine Einheit zu subsumiren ist. Dies ist jedoch nur bei Begriffen statthaft, denn jedes Einzelwesen hat volle und ganze Realität. Schopenhauer’s Ausspruch:
Die Idee ist die, vermöge der Zeit- und Raumform unserer intuitiven Apprehension, in die Vielheit zerfallene Einheit, hingegen der Begriff ist die, mittelst der Abstraktion unserer Vernunft, aus der Vielheit wiederhergestellte Einheit.
(W. a. W. u. V. I. 277.)
ist nichts weiter, als eine im ersten Augenblicke blendende, aber nicht stichhaltige hohle Phrase.
Schließlich mache ich noch auf einen Widerspruch aufmerksam. W. a. W. u. V. II. 414 ist zu lesen:
Eine so aufgefaßte Idee ist nun zwar noch nicht das Wesen des Dinges an sich selbst, eben weil sie aus der Erkenntniß bloßer Relationen hervorgegangen ist; jedoch ist sie, als das Resultat der Summe aller Relationen, der eigentliche Charakter des Dinges, und dadurch der vollständige Ausdruck des sich der Anschauung als Objekt darstellenden Wesens.
Zehn Seiten weiter steht dagegen:
Was wir nun dergestalt erkennen, sind die Ideen der Dinge: aus diesen aber spricht jetzt eine höhere Weisheit, als die, welche von bloßen Relationen weiß.
Welche Confusion!
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Wir stehen jetzt vor dem reinen, willenlosen Subjekt der Erkenntniß.
Das Verhältniß, in welches Schopenhauer den Willen zum Intellekt setzt, ist uns bekannt. Der Intellekt ist ein zum Willen Hinzugetretenes, das dem Willen völlig dienstbar ist, um ein »vielfache Bedürfnisse habendes Wesen« zu erhalten.
Der Intellekt ist, von Hause aus, ein saurer Arbeit obliegender Manufakturlöhnling, den sein vielfordernder Herr, der Wille vom Morgen bis in die Nacht beschäftigt hält.
(Parerga II. 72.)
Die Gegenstände der Welt haben nur insofern ein Interesse |
i500 für den Willen, als sie in irgend einer Beziehung zu seinem bestimmten Charakter stehen.
Daher erkennt denn auch die dem Willen dienende Erkenntniß von den Objekten eigentlich nichts weiter, als ihre Relationen, erkennt die Objekte nur, sofern sie zu dieser Zeit, an diesem Ort, unter diesen Umständen, aus diesen Ursachen, mit diesen Wirkungen dasind, mit einem Wort, als einzelne Dinge.
(W. a. W. u. V. I. 208.)
Diese Erkenntniß ist eine wesentlich mangelhafte, oberflächliche. Haben wir einem Objekt diejenige Seite abgewonnen, welche für unsere persönlichen Zwecke förderlich oder hinderlich sein kann, so lassen wir sämmtliche anderen Seiten desselben fallen: sie haben kein Interesse für uns.
Dem Dienste des Willens bleibt nun die Erkenntniß in der Regel immer unterworfen, wie sie ja zu diesem Dienste hervorgegangen, ja dem Willen gleichsam so entsprossen ist, wie der Kopf dem Rumpf. Bei den Thieren ist diese Dienstbarkeit der Erkenntniß gar nie aufzuheben.
(ib. 209.)
Dagegen (ich befinde mich noch immer ganz im Gedankengange Schopenhauer’s) kann bei den Menschen eine solche Aufhebung eintreten, indem die gewöhnliche Betrachtungsart einzelner Dinge verlassen wird und der Intellekt sich zur Erkenntniß der in den einzelnen Dingen sich offenbarenden Ideen erhebt.
Wenn man auf diese Weise die Dinge aus ihren Relationen heraushebt und
die ganze Macht seines Geistes der Anschauung hingiebt, sich ganz in diese versenkt und das ganze Bewußtsein ausfüllen läßt durch die ruhige Contemplation des gerade gegenwärtigen natürlichen Gegenstands, sei es eine Landschaft, ein Fels, ein Gebäude, oder was auch immer; indem man, nach einer sinnvollen deutschen Redensart, sich gänzlich in diesen Gegenstand verliert, d.h. eben sein Individuum, seinen Willen vergißt und nur noch als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts bestehend bleibt; – – – dann ist, was also erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches; sondern es ist die Idee, die ewige Form, die unmittelbare Objektität des Willens auf dieser Stufe: und eben dadurch ist zugleich der in dieser Anschauung Begriffene nicht |
i501 mehr Individuum: denn das Individuum hat sich eben in solche Anschauung verloren: sondern es ist reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntniß.
(W. a. W. u. V. I. 210.)
Hieraus erhellt, daß in der aesthetischen Contemplation der Wille gänzlich aus dem Bewußtsein eliminirt ist und der Intellekt sich völlig vom Willen, zur Führung eines selbständigen Lebens, losgerissen hat. Schopenhauer drückt dieses Verhältniß noch schärfer in dem Satze aus:
Die Idee schließt Objekt und Subjekt auf gleiche Weise in sich, da solche ihre einzige Form sind: in ihr halten sich aber beide ganz das Gleichgewicht: und wie das Objekt auch hier nichts als die Vorstellung des Subjekts ist, so ist auch das Subjekt, indem es im angeschauten Gegenstande ganz aufgeht, dieser Gegenstand selbst geworden, indem das ganze Bewußtsein nichts mehr ist, als dessen deutlichstes Bild.
(ib. 211.)
Es ist mit einem Worte eine mystische intellektuale Gemeinschaft.
Vom Standpunkte meiner Philosophie aus muß ich den geschilderten Vorgang verwerfen und kann nur den Ausgangspunkt richtig finden, den schon Kant gewählt hatte:
Geschmack ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstands, oder eine Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen, ohne alles Interesse.
(Kritik der Urtheilskraft 52.)
Die Bedingung der Möglichkeit einer aesthetischen Auffassung überhaupt ist, daß der Wille des erkennenden Subjekts in keiner interessirten Beziehung zum Objekt steht, d.h. schlechterdings kein Interesse an ihm hat, es weder begehrt, noch fürchtet. Es ist dagegen nicht nöthig, daß das Objekt aus seinen sonstigen Relationen herausgetreten sei. Ich halte die oben angeführte erste Erklärung Schopenhauer’s, welche die zweite ganz aufhebt, nämlich, daß die Idee, als das Resultat der Summe aller Relationen, der eigentliche Charakter des Dinges sei, fest. In seinen Relationen offenbart sich das Wesen eines Dinges an sich am klarsten. Der Charakter eines Tigers z.B. ist zwar in seiner ruhenden Gestalt ausgedrückt, aber nur theilweise. Weit vollkommener erkenne ich ihn, wenn ich das Thier in seiner Erregtheit, namentlich im Kampf mit anderen Thieren, sehe, kurz, in seinen Relationen zu anderen Dingen.
i502 In Betreff des willenlosen Erkennens habe ich nun Folgendes zu sagen. Ich erinnere daran, daß der Intellekt, meiner Philosophie gemäß, nichts Anderes ist, als die Function eines Organs, also ein Theil der dem Willen wesentlichen Bewegung. Die ganze Bewegung eines Dinges ist sein Leben und ist das dem Willen wesentliche Prädicat. Wille und Leben sind nicht zu trennen, nicht einmal in Gedanken. Wo Leben ist, ist Wille, wo Wille, da ist Leben. Die Bewegung des Willens ist nun eine unbedingt rastlose. Er will immerfort das Dasein auf seine individuelle Weise, aber die gerade Richtung wird immer abgelenkt durch den Einfluß der übrigen Individuen, und jeder Lebenslauf einer höheren Individualität ist eine Linie im Zickzack. Jeder befriedigte Wunsch erzeugt einen neuen Wunsch; kann dieser nicht befriedigt, werden, so entsteht sofort ein neuer neben ihm, dem, wenn er befriedigt wird, wieder ein anderer folgt. So eilt jedes Individuum, in unstillbarer Begierde nach Dasein, rast- und ruhelos weiter, herumgeworfen zwischen Befriedigung und Begierde, immer wollend, lebend, sich bewegend.
Tritt mithin während des Lebens nie ein Stillstand ein, so ist doch ein großer Unterschied zwischen den Bewegungen; nicht nur zwischen der Bewegung des einen und des anderen Individuums, sondern auch zwischen den Bewegungen eines und desselben Individuums. Kann auch kein Wesen dem allgemeinen Weltlauf voraneilen, so erfüllt es doch den Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart mit einer verschiedenartigen Intensität des Wollens. Bald ist es leidenschaftlich erregt, bald müde, schlaff, träge.
In diesen letzteren Zuständen ist die Bewegung des Willens nach außen fast Null und nur die innere geht ihren stetigen Gang fort. Trotzdem liegt in solchen Zuständen kein Glück; denn der erschlaffte Wille beschäftigt sich unaufhörlich mit seinen Beziehungen zur Außenwelt, kurz, tritt aus seinen Relationen zu den Dingen, die irgend ein Interesse für ihn haben, nie ganz heraus.
Wie mit einem Schlage ändert sich aber das Verhältniß und der herrlichste Friede, die reinste Freude durchdringt die ruhig fließende Woge des Willens, wann das Subjekt, veranlaßt durch ein einladendes Objekt, in die aesthetische Betrachtung fällt und sich ganz interesselos in das Wesen des Objekts versenkt.
Es ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut und als den Zustand der Götter pries; denn wir sind, für |
i503 jenen Augenblick, des schnöden Willensdrangs entledigt, wir feiern den Sabbath der Zuchthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht still.
wie Schopenhauer wunderschön sagt. (W. a. W. u. V. I. 231.) Der Wille ist nicht aus dem Bewußtsein eliminirt; im Gegentheil, sein durch den Gegenstand hervorgerufener seliger Zustand erfüllt es ganz. Der Wille ruht auch nicht: er lebt ja, folglich bewegt er sich, aber alle äußere Bewegung ist gehemmt und die innere fällt nicht in’s Bewußtsein. So glaubt der Wille, er ruhe ganz, und aus dieser Täuschung entspringt seine unaussprechlich beglückende Befriedigung: ihm ist wohl wie den Göttern.
Der Intellekt an und für sich kann kein selbständiges Leben führen, wie Schopenhauer will; er empfindet weder Lust, noch Unlust, sondern durch ihn wird sich der Wille nur seiner Zustände bewußt. Es giebt nur Ein Princip und dieses Eine ist der individuelle Wille. Der Wille ist in der aesthetischen Contemplation ebenso Alles, wie im höchsten Zorn, der leidenschaftlichen Begierde. Der Unterschied liegt in seinen Zuständen allein.
Dieser glückliche Zustand des Willens in der aesthetischen Relation hat nun zwei Stufen.
Die erste ist die reine Contemplation. Das Subjekt, das sich seines Fortgangs in der Zeit nicht bewußt wird, betrachtet das aus der realen Entwicklung gleichsam herausgehobene Objekt. Das Objekt ist für das Subjekt und das Subjekt sich selbst, durch Täuschung, zeitlos. Dagegen wird das Subjekt weder zum Objekt (wie Schopenhauer lehrt), noch ist das Objekt frei von Raum und Materie. Die reine Contemplation wird am häufigsten hervorgerufen durch die Natur. Ein Blick in sie, und träfe er nur Felder, Wälder und Wiesen, erhebt sofort ein Individuum mit zarten Nerven über die schwüle Atmosphäre des gewöhnlichen Lebens. Ein Mensch von derberem Schlage wird seine persönlichen Zwecke durch einen solchen Blick schwerlich vergessen; aber ich wage zu sagen: stellt den rohesten und begehrlichsten Menschen auf das Felsenufer von Sorrento und die aesthetische Freude wird über ihn kommen wie ein schöner Traum. –
In zweiter Linie wird die aesthetische Contemplation erzeugt durch die Werke der Baukunst, Skulptur und Malerei, vorzugsweise durch monumentale Bauten und durch solche Bilder und plastische |
i504 Werke, die, als Ganzes, rasch erfaßt werden können und keine heftige Erregung ausdrücken. Sind die Figuren eines Bildes oder einer plastischen Gruppe zahlreich, oder dramatisch bewegt, so wird sich das Subjekt seiner Synthesis bewußt und dadurch selbst leicht unruhig, so daß die reine Contemplation nicht lange anhalten kann. Den Zeus von Otricoli, die Venus von Milo, die Danaide im Braccio Nuovo des Vaticans, oder eine Raphael’sche heilige Familie, kann man stundenlang betrachten, den Laokoon nicht.