i401 aber büßen die Vorstellungen ihre Anschaulichkeit ein, gewinnen jedoch dafür an Uebersichtlichkeit und Leichtigkeit der Handhabung. – Dies also, und dies allein, ist die Thätigkeit der Vernunft: hingegen Stoff aus eigenen Mitteln liefern kann sie nimmermehr.
(4fache W. 110.)
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Ehe wir weiter gehen, habe ich eine Bemerkung zu machen. Schopenhauer ist, von Kant abgesehen, meiner Ueberzeugung nach, der größte Philosoph aller Zeiten. Er hat der Philosophie eine ganz neue Bahn gebrochen und sie kräftig weitergeführt, beseelt vom redlichen freien Streben, das Menschengeschlecht der Wahrheit näher zu bringen. Aber in seinem System liegen die unvereinbarsten Widersprüche in solcher Menge, daß es schon eine große Aufgabe ist, sie nur flüchtig zu beleuchten. Wesentlich erschwert wird diese Arbeit dadurch, daß er sich nicht streng an seine eigenen Definitionen hält und dieselbe Sache erst richtig, dann falsch bezeichnet. Da wir jetzt wissen, was er unter Verstand und Vernunft versteht, und gerade bei diesen Erkenntnißvermögen sind, so wird es gut sein, ihre Functionen von ihren Formen zu sondern, welche Schopenhauer ganz willkürlich vermengt.
Vierfache Wurzel Seite 51 ist der Verstand selbst eine Function und das Causalitätsgesetz seine einzige Form; S. 57 ist dagegen das Causalitätsgesetz die einfache Function des Verstandes; W. a. W. u. V. I. 535 ist das Causalitätsgesetz Form und Function. Das Richtige ist, daß das Causalitätsgesetz die Function, Raum und Zeit die Formen (Schopenhauer’s Lehre gemäß) des Verstandes sind. Ebenso macht er es bei der Vernunft. W. a. W. u. V. I. 531 ist die einzige Function der Vernunft die Bildung des Begriffs, während es ebenda S. 539 heißt:
Die ganze reflektive Erkenntniß hat nur eine Hauptform und diese ist der abstrakte Begriff.
Nur das Erstere ist richtig, die Form der Vernunft fehlt in seinem System.
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Der Verstand also, vermittelst seiner Function (Causalitätsgesetz) und seiner Formen (Raum und Zeit) bringt, auf Grund der Veränderungen in den Sinnesorganen, die anschauliche Welt hervor, |
i402 und die Vernunft zieht aus diesen empirischen Anschauungen ihre Begriffe. Schopenhauer mußte hiernach die ganze Analytik Kant’s verwerfen. Vom Standpunkte des Verstandes aus durfte er die Synthesis des Mannigfaltigen nicht gelten lassen, weil der Verstand, ohne Hülfe der Vernunft, die Anschauung zu Wege bringt; vom Standpunkte der Vernunft mußte er die Kategorien angreifen, weil Begriffe nur auf der empirischen Anschauung beruhen und deshalb ein Begriff a priori eine contradictio in adjecto ist. Die Synthesis aber und die Kategorien bilden den Inhalt der Analytik.
Der Verwerfung der Kategorien, als reiner Begriffe a priori, schließe ich mich unbedingt an: ein Begriff a priori ist unmöglich; dagegen ist es falsch, daß der Verstand, ohne Hülfe der Vernunft, die anschauliche Welt construiren kann.
Ehe ich diese Ansicht begründen kann, welche den unumstößlich richtigen Theil der transscendentalen Analytik, die Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, auf ihrer Seite hat, muß ich die Vernunft und überhaupt sämmtliche Erkenntnißvermögen erklären.
Die Vernunft hat eine Function und eine Form. Schopenhauer giebt ihr keine Form und eine Function, welche ihr Wesen nicht ganz umfaßt. Er setzt ihre Function in die Bildung des Begriffs; ich sage dagegen: die Function der Vernunft ist schlechtweg Synthesis, ihre Form die Gegenwart.
Sie hat drei Hülfsvermögen. Erstens das Gedächtniß. Seine Function ist: Bewahrung aller Eindrücke auf den Geist, so lange als möglich. Das zweite Hülfsvermögen ist die Urtheilskraft. Ihre Function ist: Zusammenstellung des Zusammengehörigen. Wir haben also 1) Zusammenstellung der zusammengehörigen Theilvorstellungen des Verstandes, 2) Zusammenstellung gleichartiger Objekte, 3) Zusammenstellung von Begriffen, den Denkgesetzen gemäß. Das dritte Hülfsvermögen ist die Einbildungskraft. Ihre Function ist lediglich, das verbundene Anschauliche als Bild festzuhalten.
Sämmtliche Erkenntnißvermögen, also Sinn, Verstand, Urtheilskraft, Einbildungskraft, Gedächtniß und Vernunft laufen in einem Centrum zusammen: dem Geiste (von Kant reine ursprüngliche Apperception und von Schopenhauer Subjekt des Erkennens genannt) dessen Function das Selbstbewußtsein ist. Alles läuft in seinem Centrum zusammen, und dagegen durchkreist er alle seine Vermögen |
i403 mit seiner Function und giebt ihnen zu ihren Handlungen Bewußtsein. Die Tafel des Geistes ist hiernach:
Aus den verschiedenen Abstufungen des Geistes ergiebt sich, daß die Aufstellung einzelner Erkenntnißvermögen durchaus kein müßiges Verfahren ist. Wo Sensibilität ist, da ist auch Geist, aber wie will man denn den Unterschied zwischen dem Geiste eines Thieres und dem eines Menschen besser bezeichnen als dadurch, daß man ganz bestimmte Geistesthätigkeiten jenem abspricht? Ohne Zerlegung des Geistes in seine einzelnen Thätigkeiten (Vermögen) wäre man auf ganz nichtssagende allgemeine Ausdrücke beschränkt, etwa, daß die Intelligenz dieses Thieres geringer sei als die eines anderen. Adoptirt man die Zerlegung, so kann man das Fehlende viel genauer bezeichnen und, so zu sagen, den Finger auf den Quellpunkt des Unterschiedes legen. Kant hatte mithin Recht, den Geist zu zerlegen; auch ist die Zerlegung geradezu nothwendig für die kritische Philosophie.
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Die Vernunft schreitet nun auf dem Gebiete des Verstandes zu zwei ganz verschiedenen Arten von Verbindungen, was Schopenhauer ganz übersehen hat. Er kennt nur die eine Art: Bildung des Begriffs; er kennt nicht die andere: Verbindung von Theilvorstellungen zu Objekten und Verknüpfung der Objekte unter einander.
Die zweite Art ist ursprünglich die erste, wir wollen aber die Bildung des Begriffs zuerst betrachten.
Daß die Bildung von Begriffen nur auf Synthesis beruht, wird Jeder nach kurzem Nachdenken zugestehen. Die Urtheilskraft reicht der Vernunft ein gleichartiges Mannigfaltiges dar, welches diese zusammenfaßt und mit einem einzigen Worte bezeichnet. Die Urtheilskraft stellt nur das Zusammengehörige zusammen: in diesem Verfahren liegt die Trennung von selbst. Die Vernunft vereinigt |
i404 nun sowohl das Zusammengestellte, als das Fallengelassene. Alle Pferde z.B. vereinigt sie im Begriff Pferd und das Getrennte (Ochsen, Esel, Insekten, Schlangen, Menschen, Häuser u.s.w.) im Begriff Nicht-Pferd. Immer tritt sie synthetisch auf.
Ihr Verfahren ist auch stets dasselbe, ob sie zahllose, oder nur wenige Objekte, oder Eigenschaften, Thätigkeiten, Verhältnisse u.s.w. derselben unter einen Begriff zu bringen hat. Nur die Sphären der Begriffe sind verschieden. Ferner: je mehr ein Begriff unter sich hat, desto leerer ist er, trotz der Fülle, und je weniger in ihm enthalten ist, desto voller ist er, trotz der Leere.
Auf diese Weise wird die ganze Erfahrung des Menschen, äußere und innere, in Begriffen reflektirt. Die Vernunft bethätigt sich dann weiter in der Verbindung der Begriffe zu Urtheilen und in der Verbindung von Urtheilen (Prämissen), um ein neues, in ihnen vertheilt liegendes Urtheil herauszuziehen, wovon die Logik und Syllogistik handelt.
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Indem wir jetzt die Vernunft auf ihrem anderen Wege begleiten, kommen wir zunächst mit ihr auf ein Gebiet, das dem Verstande ganz entzogen ist, und welches wir, nach Kant, so lange das Gebiet des inneren Sinnes nennen wollen, bis wir es näher kennen lernen. Wir haben es bereits bei der vorläufigen Besprechung der Zeit gestreift. Wir fanden dort, daß erfüllte Augenblicke verbunden werden. Wie verfährt aber die Vernunft dabei? Ihre eigene Form, die Gegenwart, wird ihr zum Problem. Sie ist sich eines Wechsels im inneren Sinn, durch das Gedächtniß, bewußt und hat doch nur die Gegenwart, die beständig wird und trotzdem immer ist. Jetzt lenkt sie immer größere Aufmerksamkeit auf den gleichsam fortrollenden Punkt der Gegenwart und läßt die Einbildungskraft die entschwindenden Punkte festhalten: so erhält sie den ersten erfüllten Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart, d.i. den ersten erfüllten Augenblick, dann einen zweiten, dritten u.s.f. und dadurch das Bewußtsein der Succession oder den Begriff der Zeit. Der fortrollende Punkt der Gegenwart beschreibt in der Einbildungskraft gleichsam eine Linie. Die Vernunft verband Augenblick mit Augenblick, und die Einbildungskraft hielt immer nur das Verbundene fest. Diese selbst verbindet nicht, wie Kant will.
i405 Die Vernunft, die sich des ungehinderten Fortgangs ihrer Synthesis und des unaufhörlich die Gegenwart berührenden inneren Zustandes bewußt ist, verbindet auch den vergehenden Augenblick mit dem kommenden. Auf diese Weise entsteht das Urbild der Zeit: ein Punkt inmitten zweier Augenblicke, zwei verbundene Flügel.
Die von der Vernunft construirte Zeit ist also wohl zu unterscheiden von der apriorischen Form Gegenwart. Sie ist eine Verbindung a posteriori. Die ihr zu Grunde liegende Einheit ist der erfüllte Augenblick.
Die Synthesis der Vernunft hängt von der Zeit nicht ab. Die Vernunft verbindet im Fortrollen der Gegenwart und läßt von der Einbildungskraft das Verbundene in jede neue Gegenwart voll und ganz hinübernehmen. Deshalb ist auch die Zeit nicht Bedingung der Wahrnehmung der Objekte, die stets voll und ganz in der Gegenwart sind. Aber die Zeit ist Bedingung der Wahrnehmung der Bewegung.
Wie die Welt immer nur eine auf unseren Augen liegende gefärbte Fläche wäre, ohne den Raum, so würde sich, ohne die Zeit, jede Entwicklung unserer Erkenntniß entziehen; denn, mit Worten Kant’s, ohne die Zeit wäre
eine Verbindung contradictorisch entgegengesetzter Prädikate in einem und demselben Objekt nicht begreiflich zu machen.
(Kk. 71.)
Aber es wäre ein schwerer Irrthum, anzunehmen, die Entwicklung selbst stände unter Bedingungen der Zeit: nur die Erkenntniß der Entwicklung, nicht diese selbst, ist von der Zeit abhängig.
Kant und Schopenhauer sind in Betreff der Zeit, weil sie dieselbe erstens zu einer apriorischen Form machten, dann weil sie die reale Bewegung von ihr abhängen ließen, in der seltsamsten Täuschung befangen.
Ferner läßt Kant die Zeit bald verfließen, bald still stehen:
Das Zugleichsein ist nicht ein modus der Zeit selbst, als in welcher gar keine Theile zugleich, sondern alle nach einander sind.
(Kk. 191.)
i406 Die Zeit, deren Continuität man besonders durch den Ausdruck des Fließens (Verfließens) zu bezeichnen pflegt.
(Kk. 181.)
Dagegen:
Die Zeit, in der aller Wechsel der Erscheinungen gedacht werden soll, bleibt und wechselt nicht.
(Kk. 190.)
An diesem letzteren Satze nimmt Schopenhauer großen Anstoß; aber setzt er die rastlose Zeit in ein besseres Licht dadurch, daß er ihr ihren Boden, die reale Succession, nimmt, mit der sie steht und fällt? Er sagt, an die letzte Stelle anknüpfend:
Daß dies grundfalsch sei, beweist die uns allen inwohnende feste Gewißheit, daß, wenn auch alle Dinge im Himmel und auf Erden plötzlich stille ständen, doch die Zeit, davon ungestört, ihren Lauf fortsetzen würde.
(Parerga. I. 108.)
Und warum würde sie in diesem Falle ihren Lauf fortsetzen? Doch nur, weil eben ein Ding auf Erden, das diese feste Gewißheit hat, nicht stille steht, sondern, in unaufhörlicher Bewegung begriffen, die Zeit continuirlich erfüllt.
Um in einem Bilde den Sachverhalt klarer darzulegen, ist der Punkt der Gegenwart einem Korkkügelchen zu vergleichen, das auf einem gleichmäßig sich fortbewegenden Strome schwimmt. Die Welle, die es trägt, ist der innere Zustand, eine Welle unter unzähligen anderen, die alle denselben Lauf haben. Geben wir dem Kügelchen Bewußtsein und lassen dieses hie und da schwinden, so bleibt es inzwischen nicht im Strome zurück, sondern schwimmt weiter. Geradeso der Mensch. In Ohnmachten und im Schlaf ist unser Bewußtsein total erloschen und die Zeit ruht; aber unser Inneres ruht nicht, sondern bewegt sich unaufhaltsam weiter. An unserem Stande inmitten der allgemeinen Entwicklung merken wir erst, beim Erwachen, daß eine gewisse Zeit verflossen ist und construiren sie nachträglich. Nehmen wir an, ein Individuum habe 50 Jahre ununterbrochen geschlafen und sich inzwischen naturgemäß verändert; es fühle jedoch nicht die Gebrechen des Alters, und sein Zimmer befände sich in derselben Ordnung, wie zur Zeit des Entschlafens, so wird es, erwachend, zunächst glauben, es habe nur eine Nacht geschlafen. Ein Blick durch das Fenster, ein Blick in den Spiegel ändert aber sofort seine Ansicht. An seinen greisen Haaren und |
i407 Gesichtszügen wird es »ungefähr« die Zeit berechnen können, die inzwischen verflossen ist; bessere Mittel werden es ihm auf die Minute sagen, d.h. der zurückgelegte Weg des ganzen Weltstroms bestimmt die Zeit, welche unterdessen vergangen ist.
Die Zeit steht allerdings still. Sie ist eine gedachte feste Linie, deren Stellen unverrückbar sind. Das vergangene Jahr 1789 und das zukünftige Jahr 3000 nehmen einen ganz bestimmten Platz auf ihr ein. Was aber fließt, immer fließt, rastlos fließt, das ist die Gegenwart, getragen vom Punkte der Bewegung.
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Wir müssen jetzt vor Allem untersuchen, ob der Verstand, gesetzt die Vernunft trage wirklich Nichts zur Anschauung bei, mit seiner Function (Causalitätsgesetz) und seinen Formen (Raum und Zeit) allein die ganze reale Welt, wie sie vor unseren Augen liegt, herstellen kann: gemäß der Schopenhauer’schen Theorie.
Zuvörderst stoßen wir auf den ganz unverzeihlichen Mißbrauch, den Schopenhauer mit dem Causalitätsgesetz treibt. Es ist ihm »ein Mädchen für Alles«, ein Zauberpferd, auf dessen Rücken er sich zum Ritt in’s Blaue schwingt, wenn im Denken die Hindernisse unüberwindlich werden.
Wir erinnern uns, daß das Causalitätsgesetz nichts weiter bezeichnet, als den Uebergang von der Sinnesempfindung zu ihrer Ursache. Es drückt also nur die causale Beziehung zwischen der Außenwelt und dem Subjekt, oder besser: dem Schopenhauer’schen »unmittelbaren Objekt«, dem Leibe, aus, und diese Einschränkung wird noch eine engere dadurch, daß der Uebergang immer von der Wirkung zur Ursache, niemals umgekehrt stattfinden kann. Hat der Intellekt zur Veränderung im Sinnesorgan die Ursache gefunden und hat er sie räumlich gestaltet, sowie in ein Verhältniß zur Zeit gebracht (ich halte mich hier noch streng im Gedankengange Schopenhauer’s), so ist seine Arbeit beendigt.
Die Erkenntniß des Vorganges selbst ist kein Werk des Verstandes. Sie beruht auf dem Denken und war eine späte reife Frucht der Vernunft, denn erst Schopenhauer durfte sie pflücken.
Den obigen klaren Sachverhalt verdunkelt nun Schopenhauer zuerst, indem er dem Intellekt auch den Uebergang von der Ursache zur Wirkung zuspricht. Er sagt nämlich:
i408 Der Verstand hat überall dieselbe einfache Form: Erkenntniß der Causalität, Uebergang von Wirkung auf Ursache und von Ursache auf Wirkung.
(W. a. W. u. V. I. 24.)
Dies ist nach zwei Richtungen hin falsch. Erstens erkennt, wie ich oben sagte, der Verstand nicht den Uebergang von Wirkung auf Ursache, da dies ausschließlich Sache des Denkens ist (der Verstand erkennt so wenig seine Function, wie der Magen erkennt, daß er verdaut); zweitens ist seine Function ausschließlich Uebergang von Wirkung zu Ursache, niemals umgekehrt. Schopenhauer muthet hier dem Verstande Unmögliches zu, d.h. das Denken und erwirbt sich dadurch den schweren Vorwurf, den er Kant gemacht hat, nämlich das Denken in die Anschauung gebracht zu haben.
Bei dieser Verdunkelung bleibt er indessen nicht stehen; sie ist ihm nicht intensiv genug, es muß eine totale Finsterniß eintreten. Er sagt:
Die Leistung des Verstandes besteht im unmittelbaren Auffassen der causalen Verhältnisse, zuerst zwischen dem eigenen Leibe und den anderen Körpern; dann zwischen diesen objektiv angeschauten Körpern unter einander.
(4fache W. 72.)
Dies ist grundfalsch, und dem einfachen apriorischen Causalitätsgesetz wird die denkbar größte Gewalt angethan, um es den Zwecken Schopenhauer’s dienstbar zu machen. Es bedarf keines besonderen Scharfsinns, um die Motive, welche ihn dabei leiteten, einzusehen; denn es ist klar, daß nur dann auf dem Verstande allein die Erkenntniß der objektiven Welt beruht und man der Hülfe der Vernunft nicht bedarf, wenn der Verstand das ganze causale Netz, in welchem die Welt hängt, »unmittelbar auffaßt.« Ist Letzteres nicht möglich, so muß die Vernunft in Anspruch genommen werden. Hierdurch aber käme (wie Schopenhauer völlig grundlos annimmt), das Denken in die Anschauung und außerdem würde die Causalität nicht durch und durch apriorisch sein, sondern nur das causale Verhältniß zwischen dem eigenen Leibe und den anderen Körpern wäre apriorisch, was die Grundlinien des Schopenhauer’schen Systems ausgewischt hätte.
Es wird Jeder einsehen, daß Schopenhauer auch hier thatsächlich das Denken in die Anschauung gebracht hat. Der Verstand geht nur von der Wirkung im Sinnesorgan auf die Ursache. |
i409 Er führt diesen Uebergang ohne Hülfe der Vernunft aus, denn er ist seine Function. Aber erkannt wird dieser Uebergang nur durch Denken, d.h. durch die Vernunft. Dieselbe erkennt ferner den Uebergang von der Ursache zur Wirkung im Sinnesorgan und schließlich erkennt sie den Leib als ein Objekt unter Objekten und gewinnt erst hierdurch die Erkenntniß vom causalen Verhältniß zwischen den Körpern unter einander.
Hieraus erhellt, daß die Causalität, welche das ursächliche Verhältniß zwischen Objekt und Objekt ausdrückt, nicht identisch ist mit dem Causalitätsgesetz. Jene ist ein weiterer Begriff, der das Gesetz als engeren unter sich hat. Die Causalität im Kant’schen Sinne, welche ich allgemeine Causalität genannt habe, ist also nicht zu verwechseln mit dem Schopenhauer’schen Causalitätsgesetz. Dieses drückt nur die Beziehung eines bestimmten Objekts (meines Leibes) zu den anderen Körpern aus, welche in mir Veränderungen bewirken, und zwar, wie ich wiederholt betonen muß: die einseitige Beziehung der Wirkung auf die Ursache.
Der Beweis für die Apriorität der Causalität, welcher Kant total mißlungen ist, wie Schopenhauer glänzend ausführte, ist demnach auch nicht von Schopenhauer erbracht worden, da das Causalitätsgesetz zwar vor aller Erfahrung in uns liegt, aber die Causalität nicht deckt. Indessen thut Schopenhauer, als ob er die Apriorität der Causalität wirklich bewiesen habe; ferner, als ob der Verstand sämmtliche causalen Verhältnisse unmittelbar auffasse. Das Letztere ist, wie wir gesehen haben, eine Erschleichung, indem diese Verhältnisse nur durch das Denken erkannt werden können und der Verstand nicht denken kann.
Wenn wir also im Nachfolgenden Schopenhauer von der Causalität, die ich weiter unten nochmals berühren werde, reden hören, so wissen wir erstens, daß sie nicht identisch mit dem Causalitätsgesetz ist, und zweitens, daß dessen Apriorität ihr nicht den gleichen Charakter geben kann. Sie ist eine Verknüpfung a posteriori.
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Nach dieser Vorerörterung wende ich mich zu unserer eigentlichen Untersuchung zurück, ob wirklich die Formen Raum und Zeit ausreichend sind, um die anschauliche Welt hervorzubringen.
i410 Von der Zeit können wir absehen; denn sie ist, wie ich gezeigt habe, keine Anschauungsform, sondern eine Verbindung a posteriori der Vernunft. Gesetzt übrigens, sie sei Anschauungsform, so ist einleuchtend, daß sie nur das fertige Objekt in ein Verhältniß zu sich bringen könnte, indem sie seinen Zuständen eine Dauer giebt. Zum Ueberfluß erinnere ich an Kant’s treffenden Ausspruch:
Die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein; sie gehört weder zu einer Gestalt noch Lage.
Es verbleibt mithin bloß der Raum und er giebt allerdings dem Objekt Gestalt und Lage, indem er genau die Kraftsphäre begrenzt und ihren Ort bestimmt. Ist aber das Objekt fertig, wenn ich seinen bloßen Umriß habe, wenn ich weiß, daß es sich nach Länge, Breite und Tiefe so und so weit erstreckt? Gewiß nicht! Die Hauptsache: seine Farbe, Härte, Glätte oder Rauhigkeit etc. kurz, die Summe seiner Wirksamkeiten, der der Raum doch nur die Grenze setzen kann, kann durch den Raum allein nicht bestimmt werden.
Es ist uns im Gedächtniß, wie Kant sich mit diesen Wirkungsarten der Körper auseinander gesetzt hat. In der transscendentalen Aesthetik fertigte er sie verächtlich, als bloße Sinnesempfindungen, ab, die auf keinem transscendentalen Grunde in der Sinnlichkeit beruhten, und in der Analytik brachte er sie mit Hängen und Würgen unter die Kategorien der Qualität, nach der Regel der Anticipationen der Wahrnehmung, wofür er den wunderlichen Beweis lieferte.
Schopenhauer behandelte sie mit noch größerer Härte. In seinen ersten Schriften nennt er sie die spezifischen Sinnesempfindungen, auch die besondere und speziell bestimmte Wirkungsart der Körper, von der er aber sofort wieder abspringt, um zur bloßen abstrakten Wirksamkeit überhaupt zu gelangen. Erst in seinen späteren Abhandlungen tritt er der Sache näher. Er sagt: W. a. W. u. V. II. 23:
Verleihen die Nerven der Sinnesorgane den erscheinenden Objekten Farbe, Klang, Geschmack, Geruch, Temperatur etc., so verleiht das Gehirn denselben Ausdehnung, Form, Undurchdringlichkeit, Beweglichkeit etc. Kurz Alles, was erst mittelst Zeit, Raum und Causalität vorstellbar ist; – –
i411 ferner Parerga I. 93:
Ich habe es geradezu ausgesprochen, daß jene Formen (Raum, Zeit und Causalität) der Antheil des Gehirns an der Anschauung sind, wie die spezifischen Sinnesempfindungen der der respektiven Sinnesorgane.
Wie unser Auge es ist, welches Grün, Roth und Blau hervorbringt; so ist es unser Gehirn, welches Zeit, Raum und Causalität (deren objektivirtes Abstraktum die Materie ist) hervorbringt. Meine Anschauung eines Körpers ist das Produkt meiner Sinnen- und Gehirn-Function mit x.
Jeden Freund der Schopenhauer’schen Philosophie werden diese Sätze mit Unwillen erfüllen; denn durch sie erhält die Intellektualität der Anschauung eine tödtliche Wunde. Wie wir wissen, läßt er ursprünglich die Funktion der Sinne nur darin bestehen, dem Verstande den ärmlichen Stoff zur Anschauung zu liefern; die Sinne sind »Handlanger des Verstandes« und in dem, was sie ihm darreichen, liegt nie »etwas Objektives.« Eben deshalb ist unsere Anschauung durch und durch intellektual, nicht sensual. Wie ändert sich aber mit einem Mal der Vorgang, wenn wir obige Stellen berücksichtigen! Jetzt schaut theils der Verstand, theils schauen die Sinnesorgane an: die Anschauung ist also theils sensual, theils intellektual, und die reine Intellektualität der Anschauung ist unwiederbringlich verloren. (Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß, nach meiner Erkenntnißtheorie, die Anschauung nicht intellektual, sondern spiritual: ein Werk des ganzen Geistes ist. Das Verdienst Schopenhauer’s liegt darin, daß er den Sinnen die Fähigkeit, anzuschauen, in der 4fachen Wurzel, absprach.)
Warum verfiel nun Schopenhauer in diesen bedauerlichen Widerspruch mit sich selbst? Offenbar weil er so wenig, wie Kant, eine Verstandesform finden konnte, auf welche die in Rede stehenden besonderen Wirkungsarten der Körper sämmtlich zurückzuführen sind. Hier haben er und Kant eine große Lücke in der Erkenntnißtheorie gelassen, die mir auszufüllen vergönnt gewesen ist. Die Form nämlich, welche der Verstand zu Hülfe nimmt, ist die Materie.
Auch sie haben wir uns als einen Punkt zu denken mit der Fähigkeit, die spezielle Wirkungsart eines Körpers (die Summe seiner Wirkungen) zu objektiviren. Ohne diese apriorische Form des |
i412 Verstandes wäre die Anschauung unmöglich. Selbst der Raum würde ohne sie unnütz in uns liegen, da er ja nur einer bestimmten Wirksamkeit die Grenzen setzen kann. So wenig das umgekehrte Bildchen eines Hauses z.B. auf unserer Netzhaut, ohne das Causalitätsgesetz und den Raum, je zu einem aufrecht stehenden Objekt werden könnte, so wenig könnte die im Sinnesorgan erzeugte blaue Farbe z.B. je auf ein Objekt übertragen werden, ohne den Verstand und seine zweite Form Materie. Die Materie ist also die Bedingung der Wahrnehmung von Objekten und als solche apriorisch.
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Und jetzt muß ich ein ganzes Gewebe von Widersprüchen aufweisen, in welches sich Schopenhauer in Betreff der Materie verwickelt hat. Die Materie ist das schwere Philosophen-Kreuz gewesen, das er während seines langen Lebens tragen mußte, und an ihr zerrieb sich seine bedeutende Denkkraft zu Zeiten so vollständig, daß Wortverbindungen entstanden, bei denen sich schlechterdings Nichts denken läßt. Schon oben ist uns eine solche begegnet. Dort war die Materie
»das objektivste Abstraktum von Raum, Zeit und Causalität«
was lebhaft an die Hegel’sche »Idee in ihrem Anderssein« erinnert.
Schopenhauer auf seinem vielfach verschlungenen Irrgang begleitend, finden wir zunächst mannigfache Erklärungen der Materie auf subjektivem Boden. Die Hauptstellen sind folgende:
1) Raum und Zeit werden nicht bloß jedes für sich von der Materie vorausgesetzt; sondern eine Vereinigung beider macht ihr Wesen aus.
(W. a. W. u. V. I. 10.)
2) Nur als erfüllt sind Raum und Zeit wahrnehmbar. Ihre Wahrnehmbarkeit ist die Materie.
(4ache W. 28.)
3) Die Materie offenbart ihren Ursprung aus der Zeit an der Qualität (Accidenz) ohne die sie nie erscheint, und welche schlechthin immer Causalität, Wirken auf andere Materie, also Veränderung (ein Zeitbegriff) ist.
(W. a. W. u. V. I. 12.)
4) Die Form ist durch den Raum, und die Qualität oder Wirksamkeit, durch die Causalität bedingt.
(W. a. W. u. V. II. 351.)
i413 5) Unter dem Begriff der Materie denken wir das, was von den Körpern noch übrig bleibt, wenn wir sie von ihrer Form und allen ihren specifischen Qualitäten entkleiden, welches eben deshalb in allen Körpern ganz gleich, Eins und dasselbe sein muß. Jene von uns aufgehobenen Formen und Qualitäten nun aber sind nichts anderes, als die besondere und speciell bestimmte Wirkungsart der Körper. Daher ist, wenn wir davon absehen, das dann noch Uebrigbleibende die bloße Wirksamkeit überhaupt, das reine Wirken als solches, die Causalität (!) selbst, objektiv gedacht, also der Wiederschein unseres eigenen Verstandes, das nach außen projicirte Bild seiner alleinigen Function (!), und die Materie ist durch und durch lautere Causalität. Daher eben läßt sich die reine Materie nicht anschauen, sondern bloß denken: sie ist ein zu jeder Realität als ihre Grundlage Hinzugedachtes.
(4fache W. 77.)
6) Wirklich denken wir unter reiner Materie das bloße Wirken in abstracto, also die reine Causalität selbst: und als solche ist sie nicht Gegenstand, sondern Bedingung der Erfahrung, eben wie Raum und Zeit. Dies ist der Grund, warum die Materie, auf der Tafel unserer reinen Grunderkenntnisse a priori die Stelle der Causalität hat einnehmen können, und neben Zeit und Raum als das dritte rein Formelle und daher unserem Intellekt Anhängende figurirt.
(W. a. W. u. V. II. 53.)
Ich werde mich nicht damit aufhalten, nochmals den Mißbrauch zu beleuchten, den Schopenhauer wieder in der einen Stelle mit der Causalität treibt, welche ganz gewiß nicht die Function des Verstandes ist; aber protestiren muß ich gegen die neue Behauptung, die Causalität sei mit der Wirksamkeit identisch. So wenig ein allgemeines Naturgesetz identisch ist mit der Kraft, die dem Gesetze gemäß wirkt, so wenig ist die Causalität und die Wirksamkeit Eines und Dasselbe. Die Causalität besagt nur: Jede Veränderung in der Natur muß eine Ursache haben. Was hat nun dieses formale Gesetz mit der Wirksamkeit an und für sich zu thun? Die Wirksamkeit eines Körpers ist seine Kraft und diese hat Schopenhauer auf den Willen zurückgeführt, mit dem sie identisch ist. Er möchte zwei total verschiedene Begriffe verschmelzen, das Formale mit dem |