Ehe wir weitergehen, mache ich darauf aufmerksam, daß, dem eben Erörterten zufolge, neben die Synthesis der Einbildungskraft eine andere Synthesis, die des Verstandes, getreten ist. Kant nennt sie intellektuelle Synthesis,
welche in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen Kategorie gedacht würde und Verstandesverbindung (synthesis intellectualis) heißt.
(Kk. 141.)
Die Synthesis der Einbildungskraft ist
als figürlich von der intellektuellen Synthesis ohne alle Einbildungskraft bloß durch den Verstand unterschieden.
(Kk. 142.)
Ich setze ferner eine von den vielen Definitionen der Kategorien hin, welche da, wo wir eben stehen, sehr verständlich lautet, nämlich:
Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, giebt den reinen Verstandesbegriff.
(Kk. 109.)
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i376 Und nun wollen wird einen kurzen Blick auf die Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen werfen. Hierbei haben wir uns zunächst mit dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe zu beschäftigen. Schopenhauer nennt die Abhandlung darüber: »wunderlich und als höchst dunkel berühmt, weil kein Mensch je hat daraus klug werden können«, und läßt sie allerdings die verschiedenartigsten Deutungen zu. Kant sagt:
Reine Verstandesbegriffe sind, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen ganz ungleichartig und können niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden.
(Kk. 157.)
Da nun in allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren gleichartig sein muß, so muß es
ein Drittes geben, was einerseits mit der Kategorie, anderseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit steht und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht.
(Kk. 158.)
Kant nennt dieses vermittelnde Dritte das transscendentale Schema und findet das, was er sucht, in der Zeit, so daß jedes Schema eines Verstandesbegriffs eine Zeitbestimmung a priori nach Regeln ist.
Eine transscendentale Zeitbestimmung ist so fern mit der Kategorie gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber anderseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist.
(Kk. 158.)
Die Schemata gehen nun, nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich auf den Zeitinbegriff.
Ich kann in dem »wunderlichen« Hauptstück nichts Anderes finden, als daß die Synthesis eines Mannigfaltigen einer Anschauung nicht möglich wäre ohne Succession, d.h. ohne die Zeit, was, etwas modificirt, seine volle Richtigkeit hat, wie ich zeigen werde. Aber welche große Dunkelheit und Unklarheit mußte Kant über dieses einfache Verhältniß legen, weil seine Kategorien Begriffe sind, die aller Erfahrung vorhergehen. Ein empirischer Begriff hat natürlich Gleichartigkeit mit den von ihm repräsentirten Gegenständen, da er nur ihre Abspiegelung ist, aber ein Begriff a priori |
i377 ist selbstverständlich ganz ungleichartig mit empirischen Anschauungen, und es wird ein Verbindungsglied geliefert, das natürlich Niemanden befriedigen kann.
Wir wollen indessen mit Kant annehmen, daß es befriedige, und jetzt zur Anwendung der Kategorien übergehen.
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Die Regeln des objektiven Gebrauchs der Kategorien sind die Grundsätze des reinen Verstandes, welche in
1) Axiome der Anschauung,
2) Anticipationen der Wahrnehmung,
3) Analogien der Erfahrung,
4) Postulate des empirischen Denkens überhaupt zerfallen.
Kant theilt die Grundsätze in mathematische und dynamische ein und rechnet zu ersteren die unter 1 und 2, zu letzteren die unter 3 und 4 angeführten, nachdem er zuvor denselben Schnitt durch die Kategorien gemacht hat. Sein Gedankengang hierbei ist bemerkenswerth:
Alle Verbindung (conjunctio) ist entweder Zusammensetzung (compositio) oder Verknüpfung (nexus). Die erstere ist die Synthesis des Mannigfaltigen, was nicht nothwendig zu einander gehört ..... und dergleichen ist die Synthesis des Gleichartigen in Allem, was mathematisch erwogen werden kann. ... Die zweite Verbindung ist die Synthesis des Mannigfaltigen, sofern es nothwendig zu einander gehört, wie z.B. das Accidens zu irgend einer Substanz, oder die Wirkung zu der Ursache, – mithin auch als ungleichartig doch a priori verbunden vorgestellt wird, welche Verbindung, weil sie willkürlich ist, ich darum dynamisch nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft.
(Kk. 174.)
In der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf mögliche Erfahrung ist der Gebrauch ihrer Synthesis entweder mathematisch oder dynamisch; denn sie geht theils bloß auf die Anschauung, theils auf das Dasein einer Erscheinung überhaupt. Die Bedingungen a priori der Anschauungen sind aber in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus nothwendig, die des Daseins der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen |
i378 Gebrauchs unbedingt nothwendig, d.h. apodiktisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charakter einer Nothwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt bei sich führen, folglich diejenige unmittelbare Evidenz nicht enthalten (ob zwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeschadet), die jenen eigen ist.
(Kk. 173.)
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Das Princip der Axiome der Anschauung ist nun:
Alle Anschauungen sind extensive Größen.
Wir treten hier wieder den Theilvorstellungen gegenüber, von denen wir im Anfang meiner Analyse der transscendentalen Analytik ausgegangen sind. Es handelt sich um die Zusammensetzung der gleichartigen Theilanschauungen und das Bewußtsein der synthetischen Einheit dieses Gleichartigen (Mannigfaltigen).
Nun ist das Bewußtsein des mannigfaltigen Gleichartigen in der Anschauung überhaupt, sofern dadurch die Vorstellung eines Objekts zuerst möglich wird, der Begriff einer Größe (quanti). Also ist selbst die Wahrnehmung eines Objekts, als Erscheinung, nur durch dieselbe synthetische Einheit des Mannigfaltigen der gegebenen sinnlichen Anschauung möglich, wodurch die Einheit der Zusammensetzung des mannigfaltigen Gleichartigen im Begriff einer Größe gedacht wird, d.i. die Erscheinungen sind insgesammt Größen, und zwar extensive Größen.
(Kk. 175.)
Das Princip der Anticipationen der Wahrnehmung ist:
In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d.i. einen Grad.
Wie wir in der transscendentalen Aesthetik gesehen haben, macht Kant den strengsten Unterschied zwischen den Anschauungen und bloßen Empfindungen. Jene sind Einschränkungen der vor aller Erfahrung in uns liegenden reinen Anschauungen (Raum und Zeit), so daß wir, ohne je einen Gegenstand gesehen zu haben, a priori mit voller Gewißheit aussagen können, er habe eine Gestalt und stehe nothwendigerweise in einem Verhältniß zur Zeit. Die bloßen Empfindungen dagegen, wie Farbe, Temperatur, Geruch u.s.w. ermangeln eines ähnlichen transscendentalen Grundes; denn |
i379 ich kann nicht vor aller Erfahrung die Wirksamkeit eines Gegenstandes bestimmen. Ueberdem nennt, wie die Erfahrung täglich lehrt, der Eine warm, was der Andere kalt nennt, Dieser findet schwer, was Jener leicht findet, und nun gar Geschmack und Farbe! Des goûts et des couleurs il ne faut jamais disputer.
Somit irren alle diese bloßen Empfindungen heimathlos in der transscendentalen Aesthetik herum, gleichsam als Bastarde, im unreinen Ehebette der Sinnlichkeit gezeugt, weil Kant keine Form unserer Sinnlichkeit auffinden konnte, die sie schützend unter sich genommen hätte, wie der unendliche Raum alle erdenklichen Räume, die unendliche Zeit alle erdenklichen Zeiten.
Aber diese Empfindungen, so verschiedenartig sie auch in verschiedenen Subjekten sein mögen, sind nun einmal mit den Erscheinungen untrennbar verbunden und lassen sich nicht wegleugnen. Ja, sie sind die Hauptsache, da die Wirksamkeit, welche sie hervorruft, nur als solche einen Theil des Raumes und der Zeit erfüllt; denn es ist klar, daß ein Gegenstand nicht weiter ausgedehnt ist, als er wirkt. In der transscendentalen Aesthetik durfte noch Kant die bloßen Empfindungen cavalièrement abfertigen, aber nicht mehr in der transscendentalen Analytik, wo es sich um eine durchgängige Verbindung der Erscheinungen, unter Berücksichtigung aller ihrer Eigenthümlichkeiten, handelte, um sie dann unter die verschiedenen reinen Verstandesbegriffe, nach Regeln, zu subsumiren. Kant vereinigt sie unter den Kategorien der Qualität und nennt die Regel, wonach dies geschieht, Anticipation der Wahrnehmung.
Nun sollte man meinen, daß sich doch das am wenigsten anticipiren (a priori erkennen und bestimmen) lasse, was nur auf empirischem Wege wahrzunehmen ist, und daß die Axiome der Anschauung allein mit Recht Anticipationen der Wahrnehmung genannt werden könnten. Oder mit Worten Kant’s:
Da an den Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird und welches daher auch den eigentlichen Unterschied des Empirischen von der Erkenntniß a priori ausmacht, nämlich die Empfindung (als Materie der Wahrnehmung), so folgt, daß diese es eigentlich sei, was gar nicht anticipirt werden kann. Dagegen würden wir die reinen Bestimmungen im Raum und der Zeit, sowohl in Ansehung der Gestalt, als Größe, Anticipationen der Erscheinungen nennen können, weil sie dasjenige |
i380 a priori vorstellen, was immer a posteriori in der Erfahrung gegeben werden mag.
(179.)
Aber Kant ist nicht verlegen. Da er die Schwierigkeit nicht mit Gründen aus dem Wege räumen kann, so überspringt er sie. Er sagt:
Die Apprehension, bloß vermittelst der Empfindung, erfüllt nur einen Augenblick (wenn ich nämlich nicht die Succession vieler Empfindungen in Betracht ziehe). Als etwas in der Erscheinung, dessen Apprehension keine successive Synthesis ist, die von Theilen zur ganzen Vorstellung fortgeht hat sie also keine extensive Größe; der Mangel der Empfindung in demselben Augenblicke würde diesen als leer vorstellen, mithin =0. Was nun in der empirischen Anschauung der Empfindung correspondirt, ist Realität (realitas phaenomenon); was dem Mangel derselben entspricht, Negation =0. Nun ist aber eine jede Empfindung einer Verringerung fähig, so daß sie abnehmen und so allmählich verschwinden kann. Daher ist zwischen Realität in der Erscheinung und Negation ein continuirlicher Zusammenhang vieler möglichen Zwischenempfindungen, deren Unterschied von einander immer kleiner ist, als der Unterschied zwischen der gegebenen und dem Zero oder der gänzlichen Negation. Das ist: das Reale in der Erscheinung hat jederzeit eine Größe.
(Kk. 180.)
Nun nenne ich diejenige Größe, die nur als Einheit apprehendirt wird und in welcher die Vielheit nur durch die Annäherung zur Negation =0 vorgestellt werden kann, die intensive Größe.
(Kk. 180.)
Kant verlangt demnach, daß ich, bei jeder empirischen Empfindung, von der Negation derselben, von Zero, ausgehe und sie in allmählicher Steigerung allererst erzeuge. Auf diese Weise findet ein Fortgang in der Zeit und eine Synthesis der einzelnen Momente zur ganzen Empfindung statt, welche jetzt erst eine intensive Größe hat, d.h. jetzt erst bin ich mir bewußt, daß sie einen bestimmten Grad habe.
Dies ist indessen immer nur ein empirischer Vorgang; er erklärt nicht, wie eine Anticipation möglich sei. Hier ist nun die Erklärung.
Die Qualität der Empfindung ist jederzeit bloß empirisch und |
i381 kann a priori gar nicht vorgestellt werden (z.B. Farben, Geschmack etc.). Aber das Reale, was den Empfindungen überhaupt correspondirt, im Gegensatz mit der Negation =0, stellt nur etwas vor, dessen Begriff an sich ein Sein enthält und bedeutet Nichts als die Synthesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt ..... Alle Empfindungen werden daher, als solche, zwar nur a posteriori gegeben, aber die Eigenschaft derselben, daß sie einen Grad haben, kann a priori erkannt werden.
(Kk. 185.)
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweist euch: es müßt’ so sein.
(Goethe.)
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Halten wir hier einen Augenblick ein und orientiren wir uns.
Wir haben, in Gemäßheit der Axiome der Anschauung und Anticipationen der Wahrnehmung, extensive und intensive Größen, d.h. ganze, vollständige Objekte, die wir mit Bewußtsein begleiten, die wir als solche denken. Die Theilanschauungen sind verbunden und die Welt liegt ausgebreitet vor uns. Wir sehen Häuser, Bäume, Felder, Menschen, Thiere etc. Doch ist hierbei zweierlei zu bemerken. Erstens sind diese Objekte reine Schöpfungen des Verstandes. Er allein hat die Daten der Sinnlichkeit verbunden und die entstandenen Objekte sind sein Werk. Die Synthesis ist nur im Verstande, durch den Verstand, für den Verstand und Nichts im Erscheinenden zwingt den Verstand, in einer bestimmten Weise zu verbinden.
Wir können uns Nichts als im Objekte verbunden vorstellen, ohne es vorher selbst verbunden zu haben und unter allen Vorstellungen ist die Verbindung die einzige, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann.
(Kk. 128.)
Die Analysis setzt die Synthesis stets voraus; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nur durch ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können.
(Kk. 128.)
Zweitens stehen sich diese Objekte isolirt, getrennt, einander fremd gegenüber. Soll Erfahrung im eigentlichen Sinne entstehen, so müssen diese Objekte unter einander verknüpft werden. Dies |
i382 bewerkstelligen die Kategorien der Relation, nach Regeln, welche Kant die Analogien der Erfahrung nennt.
Das Princip der Analogien der Erfahrung im Allgemeinen ist:
Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer nothwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich. –
Der Grundsatz der ersten Analogie ist:
Bei allem Wechsel der Erfahrungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert.
Ich werde mich bei diesem Grundsatze jetzt nicht aufhalten, da ich ihn bei einer späteren Gelegenheit besprechen werde. Ich erwähne nur, daß er die Substanz zu einem gemeinschaftlichen Substrat aller Erscheinungen macht, in welchem diese somit sämmtlich verknüpft sind. Alle Veränderungen, alles Entstehen und Vergehen trifft mithin nicht die Substanz, sondern nur ihre Accidenzien, d.i. ihre Daseinsweisen, ihre besonderen Arten zu existiren. Die Corollarien aus diesem Grundsatze sind die bekannten, daß die Substanz weder entstanden ist, noch vergehen kann, oder wie die Alten sagten: Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse reverti. –
Der Grundsatz der zweiten Analogie ist:
Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung.
Haben wir in der ersten Analogie das Dasein der Gegenstände vom Verstande reguliren sehen, so haben wir jetzt das Gesetz zu erwägen, nach welchem der Verstand ihre Veränderungen ordnet. Ich kann hierbei kurz sein, da ich in der Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie alle Causalitätsverhältnisse untersuchen werde. Ich beschränke mich deshalb auf die einfache Wiedergabe des Kant’schen Beweises der Apriorität des Causalitätsbegriffs.
Ich nehme wahr, daß Erscheinungen auf einander folgen, d.i. daß ein Zustand der Dinge zu einer Zeit ist, dessen Gegentheil im vorigen Zustande war. Ich verknüpfe also eigentlich zwei Wahrnehmungen in der Zeit. Nun ist Verknüpfung kein Werk des bloßen Sinns und der Ansehung, sondern hier das Produkt eines synthetischen Vermögens der Einbildungskraft, die den inneren Sinn in Ansehung des Zeitverhältnisses bestimmt. Diese kann aber gedachte zwei Zustände auf zweierlei Art verbinden, so daß |
i383 der eine oder der andere in der Zeit vorausgehe; denn die Zeit kann an sich selbst nicht wahrgenommen und in Beziehung auf sie gleichsam empirisch, was vorhergehe und was folge, am Objekte bestimmt werden. Ich bin mir also nur bewußt, daß meine Imagination eines vorher, das andere nachher setze, nicht daß im Objekt der eine Zustand vor dem anderen vorhergehe, oder mit anderen Worten, es bleibt durch die bloße Wahrnehmung das objektive Verhältniß der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt. Damit diese nun als bestimmte erkannt werden, muß das Verhältniß zwischen den beiden Zuständen so gedacht werden, daß dadurch als nothwendig bestimmt wird, welcher derselben vorher, welcher nachher, und nicht umgekehrt müsse gesetzt werden. Der Begriff aber, der die Nothwendigkeit einer synthetischen Einheit bei sich führt, kann nur ein reiner Verstandsbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt, und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung, wovon die erstere die letztere in der Zeit, als die Folge, und nicht als etwas, was bloß in der Einbildung vorhergehen könnte, bestimmt.
(Kk. 196, 197.)
Demnach liegt in den Erscheinungen selbst nicht die Nöthigung für den Verstand, die eine vor die andere als Ursache einer Wirkung zu setzen, sondern der Verstand bringt erst die beiden Erscheinungen in das Causalitätsverhältniß und bestimmt endgültig, welche von beiden der anderen in der Zeit vorhergeht, d.i. welche die Ursache der anderen ist. –
Der Grundsatz der dritten Analogie lautet:
Alle Substanzen, sofern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung.
Dieser Grundsatz bezweckt die Ausdehnung der Causalität auf sämmtliche Erscheinungen in der Weise, daß jede Erscheinung auf alle übrigen eines Weltganzen direkt und indirekt wirkt, sowie alle Erscheinungen ihrerseits direkt und indirekt auf jede Einzelne wirken, und zwar immer gleichzeitig.
In diesem Sinne hat die Gemeinschaft oder Wechselwirkung ihre volle Berechtigung, und wenn der Begriff Wechselwirkung in keiner anderen Sprache als in der deutschen vorkommt, so beweist dies nur, daß die Deutschen am tiefsten denken. Schopenhauer’s |
i384 Stellung dieser Kategorie gegenüber wird am passenden Orte von mir berührt werden. Daß Kant die Verknüpfungen der Erscheinungen zu einem Weltganzen im Auge hatte, in dem keine einzige ein durchaus selbständiges Leben führen kann, ist für jeden Unbefangenen klar. Das, was die Kategorie der Gemeinschaft erkennt, drückt am besten der dichterische Ausruf der Bewunderung aus:
Wie Alles sich zum Ganzen webt!
Eins in dem Andern wirkt und lebt!
(Goethe.)
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Die Kategorien der Modalität tragen Nichts dazu bei, die Erfahrung zu vervollständigen.
Die Kategorien der Modalität haben das Besondere an sich, daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältniß zum Erkenntnißvermögen ausdrücken.
(Kk. 217.)
Ich führe deshalb nur der Vollständigkeit wegen die Postulate des empirischen Denkens nach ihrem Wortlaut an.
1) Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.
2) Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.
3) Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existirt) nothwendig.
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Indem wir uns jetzt zu den Analogien der Erfahrung zurückwenden, wirft sich uns zunächst die Frage auf: was lehren sie uns? Sie lehren uns, daß, wie die Verbindung der Theilvorstellungen zu Objekten ein Werk des Verstandes ist, auch die Verknüpfung dieser Objekte unter einander von dem Verstande bewerkstelligt wird. Die drei dynamischen Verhältnisse: der Inhärenz, der Consequenz und der Composition, haben nur eine Bedeutung durch und für den menschlichen Verstand.
i385 Die sich hieraus ergebenden Consequenzen zieht Kant kaltblütig und gelassen.
Alle Erscheinungen stehen in einer durchgängigen Verknüpfung nach nothwendigen Gesetzen und mithin in einer transscendentalen Affinität, woraus die empirische die bloße Folge ist.
(Kk. I. Aufl. 649.)
Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüths, ursprünglich hineingelegt.
(ib. 657.)
So übertrieben, so widersinnisch es auch lautet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, so richtig und dem Gegenstande, nämlich der Erfahrung angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung.
(ib. 658.)
Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.
(Proleg. 240.)
Und so stehen wir, am Ende der transscendentalen Analytik, noch niedergeschlagener da, als am Schlusse der transscendentalen Aesthetik. Diese lieferte dem Verstande die Theilvorstellungen eines Erscheinenden =0, in jener verarbeitete der Verstand diese Theilvorstellungen zu Scheinobjekten, in einem Scheinnexus. In den Schein der Sinnlichkeit trägt der Verstand, durch Verbindung, neuen Schein. Die Gespensterhaftigkeit der Außenwelt ist unaussprechlich grauenhaft. Das fieberfreie denkende Subjekt, das der Urheber der ganzen Phantasmagorie sein soll, stemmt sich mit aller Kraft gegen die Beschuldigung, aber schon betäuben es die Sirenentöne des »Alleszermalmers«, und es klammert sich an den letzten Strohhalm, sein Selbstbewußtsein. Oder ist auch dieses nur ein Schein und Blendwerk?
Die transscendentale Analytik sollte als Motto den Vers über dem Thor der Hölle tragen:
Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate.
Doch nein! Schopenhauer sagte: »Kant ist vielleicht der originellste Kopf, den jemals die Natur hervorgebracht hat«; ich streiche aus voller Ueberzeugung das »vielleicht« und Viele werden das Gleiche thun. Was ein solcher Mann, mit so großem Aufwand von Scharfsinn, geschrieben hat, das kann durch und durch, |
i386 bis in die Wurzeln hinab, nicht falsch sein. Und so ist es in der That. Man mag irgend eine Seite der transscendentalen Analytik aufschlagen, so wird man immer die Synthesis eines Mannigfaltigen und die Zeit finden: sie sind die unzerstörbare Krone auf dem Leichnam der Kategorien, wie ich zeigen werde.
Jetzt ist mein dringendstes Geschäft, aus Stellen der transscendentalen Analytik, die ich absichtlich unberührt gelassen habe, nachzuweisen, daß der unendliche Raum und die unendliche Zeit keine Formen unserer Sinnlichkeit sein können.
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Zunächst haben wir uns aus dem Vorhergehenden in das Gedächtniß zurückzurufen, daß Verbindung eines Mannigfaltigen niemals durch die Sinne in uns kommen kann, daß sie hingegen:
allein eine Verrichtung des Verstandes ist, der selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperception zu bringen.
(Kk. 131.)
Kann ich nun mit Sätzen Kant’s nachweisen, daß der unendliche Raum und die unendliche Zeit nicht ursprünglich als wesentlich einige, allbefassende, reine Anschauungen in der Sinnlichkeit liegen, sondern die Produkte einer in’s Unendliche fortschreitenden Synthesis des Verstandes sind, so ist zwar nicht der Stab darüber gebrochen, daß Raum und Zeit den Dingen an sich nicht zukommen – diese glänzendste philosophische Errungenschaft! – wohl aber sind Kant’s Raum und Kant’s Zeit, als reine Anschauungen a priori, völlig unhaltbar, und je früher man sie aus unseren apriorischen Formen herausnimmt, desto besser.
Es fällt mir nicht schwer, den Beweis zu liefern. Ich führe nur die prägnantesten Stellen an, wobei ich nicht unerwähnt lassen will, daß Kant die beiden ersten in der zweiten Auflage der Kritik ausgemerzt hat: aus guten Gründen und mit Absicht.
Stellen aus der 1. Auflage der Kritik.
Die Synthesis der Apprehension muß nun auch a priori, d.i. in Ansehung der Vorstellungen, die nicht empirisch sind, ausgeübt werden. Denn ohne sie würden wir weder die
Vorstellungen des Raumes, noch der Zeit a priori haben |
i387 können, da diese nur durch die Synthesis des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Receptivität darbietet, erzeugt werden können.
(640.)
Es ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich nothwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der anderen fassen müsse. Würde ich aber die vorhergehende (die ersten Theile der Linie, die vorhergehenden Theile der Zeit, oder die nach einander vorgestellten Einheiten), immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduciren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung und keiner aller vorgenannten Gedanken, ja, gar nicht einmal die reinsten und ersten Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können.
(641.)
Stellen aus der 2. Auflage der Kritik.
Erscheinungen als Anschauungen im Raume oder der Zeit müssen durch dieselbe Synthesis vorgestellt werden, als wodurch Raum und Zeit überhaupt bestimmt werden.
(175.)
Ich denke mir mit jeder, auch der kleinsten Zeit nur den successiven Fortgang von einem Augenblick zum andern, wo durch alle Zeittheile und deren Hinzuthun endlich eine bestimmte Zeitgröße erzeugt wird.
(175.)
Die wichtigste Stelle ist diese:
Der Raum, als Gegenstand vorgestellt, (wie man es wirklich in der Geometrie bedarf,) enthält mehr als bloße Form der Anschauung, nämlich Zusammenfassung des Mannigfaltigen, nach der Form der Sinnlichkeit Gegebenen in eine anschauliche Vorstellung, so daß die Form der Anschauung bloß Mannigfaltiges, die formale Anschauung aber Einheit der Vorstellung giebt.
(147.)
Man glaubt zu träumen! Ich ersuche Jeden, neben diese Sätze die aus der transscendentalen Aesthetik angeführten zu halten, besonders jenen mit dem Gepräge der größten Bestimmtheit versehenen:
Der Raum ist eine reine Anschauung. Man kann sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen |
i388 redet, so versteht man darunter nur Theile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Theile können auch nicht vor dem einigen, allbefassenden Raume, gleichsam als dessen Bestandtheile (daraus seine Zusammensetzung möglich sei) vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. –
Man wird mir gern zugestehen, daß es unmöglich ist, einen reineren, vollständigeren Widerspruch zu denken. In der transscendentalen Aesthetik ist Form der Anschauung mit reiner Anschauung stets identisch; hier dagegen werden sie auf das Schärfste gesondert, und Kant erklärt nachdrücklich, daß der Raum, als reine Anschauung, mehr sei als der Raum als bloße Form, nämlich Zusammenfassung eines Mannigfaltigen, vermittelst der Synthesis des Verstandes, der nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden.
Hieraus erhellt zunächst auf das Unwiderleglichste, daß die unendliche Zeit und der unendliche Raum, als solche, keine Formen der Sinnlichkeit, sondern Verbindungen eines Mannigfaltigen sind, die, wie alle Verbindungen, ein Werk des Verstandes sind, mithin in die transscendentale Analytik gehören und zwar unter die Kategorien der Quantität. Auch spricht dies Kant verblümt in den Axiomen der Anschauung aus: