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Analytik des Erkenntnißvermögens. 25 page

Komm, folge mir in’s dunkle Reich hinab.

— — — — — — — —

Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!

Goethe.

i319

1.

Die immanente Philosophie, welche im Bisherigen nur aus zwei Quellen: der Natur im weitesten Sinne und dem Selbstbewußtsein, geschöpft hat, betritt nicht ihre letzte Abtheilung, die Metaphysik, um, aller Fesseln ledig, »mit Vernunft rasen« zu können. – In der Metaphysik stellt sie sich einfach auf den höchsten immanenten Standpunkt. Sie hat seither den für jede Disciplin höchsten Beobachtungsort, von wo sie das ganze abgesteckte Gebiet überschauen konnte, eingenommen; wollte sie jedoch den Blick jenseit der Abgrenzung schweifen lassen, so nahmen ihr höhere Berge die Fernsicht. Nun aber steht sie auf dem höchsten Gipfel: sie steht über allen Disciplinen, d.h. sie blickt über die ganze Welt und faßt Alles in einen Gesichtspunkt zusammen.

Die Redlichkeit des Forschens wird uns also auch in der Metaphysik nicht verlassen.

Weil nun die immanente Philosophie in den einzelnen Lehren zwar stets einen richtigen, aber immerhin einseitigen Standpunkt einnahm, so mußte auch manches Resultat einseitig sein. Wir haben demnach nicht nur in der Metaphysik der Pyramide den Schlußstein aufzusetzen, sondern auch halben Resultaten die Ergänzung zu geben und eckig vorspringende zu glätten. Oder genauer: wir haben, vom höchsten immanenten Standpunkte aus, das ganze immanente Gebiet, von seiner Entstehung an bis zur Gegenwart, nochmals zu betrachten und seine Zukunft kalt zu beurtheilen.

 

2.

Wir haben schon in der Analytik, die Entwicklungsreihen der Dinge (an der Hand der Zeit) a parte ante verfolgend, eine einfache vorweltliche Einheit gefunden, vor welcher unser Erkenntnißvermögen vollständig erlahmte. Wir bestimmten sie, nach den einzelnen Erkenntnißvermögen, negativ als unthätig: ausdehnungslos, unter|schiedslos,

i320 unzersplittert, bewegungslos, zeitlos. Dann stellten wir uns nochmals in der Physik vor diese Einheit, hoffend, sie im Spiegel der inzwischen gefundenen Principien, Wille und Geist, zu erblicken, aber auch hier waren unsere Bemühungen vollständig erfolglos: Nichts zeigte sich in unserem Spiegel. Wir mußten sie deshalb auch hier wieder nur negativ bestimmen: als einfache Einheit in Ruhe und Freiheit, die weder Wille noch Geist, noch ein Ineinander von Willen und Geist war.

Dagegen erlangten wir drei außerordentlich wichtige positive Resultate. Wir erkannten, daß diese einfache Einheit, Gott, sich in eine Welt zersplitternd, vollständig verschwand und unterging; ferner, daß die aus Gott entstandene Welt, eben wegen ihres Ursprungs aus einer einfachen Einheit, in einem durchweg dynamischen Zusammenhang steht, und in Verbindung damit, daß die continuirlich aus der Wirksamkeit aller Einzelwesen sich erzeugende Bewegung das Schicksal sei; endlich, daß die vorweltliche Einheit existirte.



Die Existenz war das dünne Fädchen, welches den Abgrund zwischen immanentem und transscendentem Gebiete überbrückte, und an sie haben wir uns zunächst zu halten.

Die einfache Einheit existirte: mehr können wir von ihr in keiner Weise prädiciren. Welcher Art diese Existenz, dieses Sein, war, ist uns ganz verhüllt. Wollen wir es dennoch näher bestimmen, so müssen wir wieder zur Negation unsere Zuflucht nehmen und aussagen, daß es keine Aehnlichkeit mit irgend einem uns bekannten Sein hat, denn alles Sein, das wir kennen, ist bewegtes Sein, ist ein Werden, während die einfache Einheit bewegungslos, in absoluter Ruhe, war. Ihr Sein war Uebersein.

Unsere positive Erkenntniß, daß die einfache Einheit existirte, bleibt dadurch völlig unberührt; denn die Negation trifft nicht die Existenz an sich, sondern nur die Art der Existenz, welche wir uns nicht faßlich machen können.

Aus dieser positiven Erkenntniß, daß die einfache Einheit existirte, fließt nun von selbst die andere, sehr wichtige, daß die einfache Einheit auch ein bestimmtes Wesen haben mußte, denn jede Existentia setzt eine Essentia und es ist schlechterdings undenkbar, daß eine vorweltliche Einheit existirt habe, aber an sich wesenlos, d.h. Nichts gewesen sei.

i321 Aber von dem Wesen, der Essentia Gottes, können wir uns, wie von seiner Existentia, auch nicht die allergeringste Vorstellung machen. Alles, was wir in der Welt als Wesen der Einzeldinge erfassen und erkennen, ist untrennbar mit der Bewegung verbunden, und Gott ruhte. Wollen wir dennoch sein Wesen bestimmen, so kann dies nur negativ geschehen, und wir müssen aussagen, daß das Wesen Gottes ein für uns unfaßbares, aber in sich ganz bestimmtes Ueberwesen war.

Auch unsere positive Erkenntniß, daß die einfache Einheit ein bestimmtes Wesen hatte, bleibt durch diese Negation ganz unberührt.

So weit ist Alles klar. Aber es scheint auch, als ob die menschliche Weisheit hier ein Ende habe und der Zerfall der Einheit in die Vielheit schlechterdings unergründlich sei.

Wir stehen indessen nicht ganz hülflos da. Wir haben eben den Zerfall der Einheit in die Vielheit, den Uebergang des transscendenten Gebietes in das immanente, den Tod Gottes und die Geburt der Welt. Wir stehen vor einer That, der ersten und einzigen That der einfachen Einheit. Auf das transscendente Gebiet folgte das immanente, es ist etwas geworden, was vorher nicht gewesen ist: sollte hier nicht die Möglichkeit vorliegen, die That selbst zu ergründen, ohne phantastisch zu werden und uns in elenden Träumereien zu ergehen? Wir wollen recht vorsichtig sein.

 

3.

Allerdings stehen wir vor einem Vorgang, den wir nicht anders auffassen können, denn als eine That; auch sind wir durchaus berechtigt, denselben so zu nennen, denn wir stehen ja noch ganz auf immanentem Gebiete, das nichts Anderes, als eben diese That ist.

Fragen wir jedoch nach den Factoren, welche diese That hervorbrachten, so verlassen wir das immanente Gebiet und befinden uns auf dem »uferlosen Ocean« des transscendenten, welcher uns verboten ist, deshalb verboten, weil alle unsere Erkenntnißvermögen auf ihm erlahmen.

Auf immanentem Gebiete, in der Welt sind uns die Factoren (an sich) irgend einer That immer bekannt: wir haben stets einerseits einen individuellen Willen von ganz bestimmtem Charakter und andererseits ein zureichendes Motiv. Wollten wir nun diese unumstößliche Thatsache in der vorliegenden Frage benutzen, so müßten |

i322 wir einfach die Welt als eine That bezeichnen, welche einem göttlichen Willen und einer göttlichen Intelligenz entsprungen ist, d.h. wir würden uns in vollständigen Widerspruch mit den Ergebnissen der immanenten Philosophie setzen; denn wir haben gefunden, daß die einfache Einheit weder Wille, noch Geist, noch ein Ineinander von Willen und Geist war; oder, mit Worten Kant’s, wir würden immanente Principien, auf die willkürlichste und sophistischeste Weise, zu constitutiven auf transscendentem Gebiete machen, welches toto genere vom immanenten verschieden ist.

Aber hier öffnet sich uns auch mit einem Male ein Ausweg, den wir ohne Bedenken betreten dürfen.

 

4.

Wir stehen, wie gesagt, vor einer That der einfachen Einheit. Wollten wir diese That schlechthin einen motivirten Willensact nennen, wie alle uns bekannten Thaten in der Welt, so würden wir unserem Berufe untreu werden, die Wahrheit verrathen und einfältige Träumer sein; denn wir dürfen Gott weder Willen, noch Geist zusprechen. Die immanenten Principien, Wille und Geist, können schlechterdings nicht auf das vorweltliche Wesen übertragen werden, wir dürfen sie nicht zu constitutiven Principien für die Ableitung der That machen.

Dagegen dürfen wir dieselben zu regulativen Principien für »die bloße Beurtheilung« der That machen, d.h. wir dürfen uns die Entstehung der Welt dadurch zu erklären versuchen, daß wir sie auffassen, als ob sie ein motivirter Willensact gewesen sei.

Der Unterschied springt sofort in die Augen.

Im letzteren Falle urtheilen wir nur problematisch, nach Analogie mit den Thaten in dieser Welt, ohne über das Wesen Gottes irgend ein apodiktisches Urtheil, in toller Anmaßung, abzugeben. Im ersteren Falle dagegen wird ohne Weiteres behauptet, das Wesen Gottes sei, wie das des Menschen, eine untrennbare Verbindung von Willen und Geist gewesen. Ob man dies sagt, oder sich verschleierter ausdrückt und den Willen Gottes potentia-Willen, ruhenden, unthätigen Willen, den Geist Gottes potentia-Geist, ruhenden, unthätigen Geist nennt – immer schlägt man den Resultaten redlicher Forschung in’s Gesicht: denn mit dem Willen ist die Bewegung gesetzt und der Geist ist ausgeschiedener Wille mit einer |

i323 besonderen Bewegung. Ein ruhender Wille ist eine contradictio in adjecto und trägt das Brandmal des logischen Widerspruchs.

 

5.

Wir betreten demnach keinen verbotenen Weg, wenn wir die That Gottes auffassen, als ob sie ein motivirter Willensact gewesen sei, und mithin dem Wesen Gottes vorübergehend, lediglich zur Beurtheilung der That, Willen und Geist zusprechen.

Daß wir ihm Willen und Geist zusprechen müssen, und nicht Willen allein, ist klar, denn Gott war in absoluter Einsamkeit, und Nichts existirte neben ihm. Von außen konnte er mithin nicht motivirt werden, sondern nur durch sich selbst. In seinem Selbstbewußtsein spiegelte sich nur sein Wesen und dessen Existenz, nichts weiter.

Hieraus ergiebt sich mit logischem Zwang, daß die Freiheit Gottes (das liberum arbitrium indifferentiae) sich nur in einer einzigen Wahl geltend machen konnte: nämlich entweder zu bleiben, wie er war, oder nicht zu sein. Wohl hatte er auch die Freiheit, anders zu sein, aber nach allen Richtungen dieses Andersseins mußte die Freiheit latent bleiben, weil wir uns kein vollkommeneres und besseres Sein denken können, als das einer einfachen Einheit.

Es war mithin Gott nur eine einzige That möglich, und zwar eine freie That, weil er unter keinerlei Zwang stand, weil er sie ebenso gut unterlassen, wie ausführen konnte, nämlich einzugehen in das absolute Nichts, in das nihil negativum, d.h. sich vollständig zu vernichten, zu existiren aufzuhören.

Wenn nun dies seine einzig mögliche That war und wir dagegen vor einer ganz anderen That, der Welt, stehen, deren Sein ein beständiges Werden ist, so wirft sich uns die Frage entgegen: warum zerstoß nicht Gott, wenn er das Nichtsein wollte, sofort in Nichts? Ihr müßt Gott Allmacht zusprechen, denn seine Macht war durch Nichts beschränkt; folglich, wenn er nicht sein wollte, so mußte er auch sofort vernichtet sein. Anstatt dessen entstand eine Welt der Vielheit, eine Welt des Kampfes. Dies ist ein offenbarer Widerspruch. Wie wollt ihr ihn lösen?

Hierauf ist zunächst zu erwiedern: Es ist allerdings einerseits logisch feststehend, daß der einfachen Einheit nur eine einzige That |

i324 möglich war: sich vollständig zu vernichten; andererseits beweist die Welt, daß diese That nicht stattfand. Aber dieser Widerspruch kann nur ein scheinbarer sein. Beide Thaten: die logisch allein mögliche und die wirkliche, müssen auf ihrem Grunde zu vereinigen sein. Wie aber?

Es ist klar, daß sie nur dann zu vereinigen sind, wenn nachgewiesen werden kann, daß durch irgend ein Hinderniß die sofortige Vernichtung Gottes unmöglich war.

Wir haben also das Hinderniß zu suchen.

In der obigen Frage hieß es: »ihr müßt Gott Allmacht zusprechen, denn seine Macht war durch Nichts beschränkt.« Dieser Satz aber ist in seiner Allgemeinheit falsch. Gott existirte allein, in absoluter Einsamkeit, und es ist folglich richtig, daß er durch nichts außer ihm Befindliches beschränkt war; seine Macht war also in dem Sinne eine Allmacht, als nichts außer ihm Liegendes sie beschränkte. Aber sie war keine Allmacht seiner eigenen Macht gegenüber, oder mit anderen Worten, seine Macht war nicht durch sich selbst zu vernichten, die einfache Einheit konnte nicht durch sich selbst aufhören zu existiren.

Gott hatte die Freiheit, zu sein wie er wollte, aber er war nicht frei von seinem bestimmten Wesen. Gott hatte die Allmacht, seinen Willen, irgendwie zu sein, auszuführen; aber er hatte nicht die Macht, gleich nicht zu sein.

Die einfache Einheit hatte die Macht, in irgend einer Weise anders zu sein, als sie war, aber sie hatte nicht die Macht, plötzlich gar nicht zu sein. Im ersteren Falle verblieb sie im Sein, im letzteren Falle sollte sie nicht sein: da war sie sich aber selbst im Wege; denn wenn wir auch nicht das Wesen Gottes ergründen können, so wissen wir doch, daß es ein bestimmtes Ueberwesen war, und dieses bestimmte Ueberwesen, in einem bestimmten Uebersein ruhend, konnte nicht durch sich selbst, als einfache Einheit, nicht sein. Dies war das Hinderniß.

Die Theologen aller Zeiten haben unbedenklich Gott das Prädikat der Allmacht gegeben, d.h. sie legten ihm die Macht bei, Alles, was er wollte, ausführen zu können. Keiner jedoch dachte hierbei an die Möglichkeit, daß Gott auch wollen könne, selbst zu Nichts zu werden. Diese Möglichkeit hat Keiner je erwogen. Erwägt man sie aber ernstlich, so sieht man, daß in diesem einzigen |

i325 Falle Gottes Allmacht, eben durch sich selbst, beschränkt, daß sie keine Allmacht sich selbst gegenüber war.

Die eine That Gottes, der Zerfall in die Vielheit, stellt sich hiernach dar: als die Ausführung der logischen That, des Entschlusses nicht zu sein, oder mit anderen Worten: die Welt ist das Mittel zum Zwecke des Nichtseins, und zwar ist die Welt das einzig mögliche Mittel zum Zwecke. Gott erkannte, daß er nur durch das Werden einer realen Welt der Vielheit, nur über das immanente Gebiet, die Welt, aus dem Uebersein in das Nichtsein treten könne.

Wäre es übrigens nicht klar, daß das Wesen Gottes das Hinderniß für ihn war, sofort in Nichts zu zerfließen, so könnte uns die Unkenntniß des Hindernisses in keiner Weise beunruhigen. Wir müßten dann ein unerkennbares Hinderniß auf transscendentem Gebiete einfach postuliren; denn es wird sich im Weiteren, auf rein immanentem Gebiete, vollkommen überzeugend für Jeden ergeben, daß sich das Weltall thatsächlich aus dem Sein in das Nichtsein bewegt. –

Die Fragen, welche man hier noch aufwerfen könnte, nämlich warum Gott nicht früher das Nichtsein wollte, und warum er überhaupt das Nichtsein dem Uebersein vorgezogen hat, sind ohne alle Bedeutung; denn was die erstere betrifft, so ist »früher« ein Zeitbegriff, der in der Ewigkeit ohne allen und jeden Sinn ist, und die letztere beantwortet die Thatsache der Welt genügend. Es muß wohl das Nichtsein vor dem Uebersein den Vorzug verdient haben, sonst würde es Gott in seiner vollkommenen Weisheit nicht erwählt haben. Und dies um so mehr, wenn man die Qualen der uns bekannten höheren Ideen, der uns am nächsten stehenden Thiere und der Menschen erwägt, mit welchen Qualen das Nichtsein allein erkauft werden kann.

 

6.

Wir haben nur vorübergehend Willen und Geist dem Wesen Gottes beigelegt und die That Gottes aufgefaßt, als ob sie ein motivirter Willensakt gewesen sei, um ein regulatives Princip zur bloßen Beurtheilung der That zu gewinnen. Wir sind auch auf diesem Wege zum Ziele gelangt, und die speculative Vernunft darf zufrieden sein.

i326 Wir dürfen jedoch unseren eigenthümlichen Standpunkt zwischen immanentem und transscendentem Gebiete (wir hängen am dünnen Fädchen der Existenz über dem bodenlosen Abgrund, der beide Gebiete trennt) nicht eher verlassen, um die feste Welt, den sicheren Boden der Erfahrung, wieder zu betreten, als bis wir nochmals laut erklärt haben, daß das Wesen Gottes weder eine Verbindung von Willen und Geist, wie das des Menschen, noch ein Ineinander von Willen und Geist gewesen ist. Den wahren Ursprung der Welt wird deshalb nie ein menschlicher Geist ergründen können. Das Einzige, was wir thun können und dürfen – von welcher Befugniß wir auch Gebrauch gemacht haben – ist, uns den göttlichen Act nach Analogie mit den Thaten in der Welt zu erschließen, aber immer eingedenk der Thatsache und sie nie aus den Augen verlierend, daß

wir durch einen Spiegel in einem dunklen Wort sehen

(1. Cor. 13.)

und uns nach unserer Fassungsgabe stückweise einen Act zurechtlegen, der, als einheitlicher Act einer einfachen Einheit, nie vom menschlichen Geiste erfaßt werden kann.

Das Resultat der stückweisen Zusammensetzung befriedigt jedoch. Vergessen wir auch nicht, daß wir gleichfalls befriedigt sein könnten, wenn es uns verwehrt wäre, die göttliche That dunkel zu spiegeln; denn das transscendente Gebiet und seine einfache Einheit ist spurlos verschwunden in unserer Welt, in welcher nur individuelle Willen existiren und neben oder hinter welcher Nichts mehr existirt, gerade so wie vor der Welt nur die einfache Einheit existirte. Und diese Welt ist so reich, sie antwortet, redlich befragt, so deutlich und klar, daß der besonnene Denker sich leichten Herzens vom »uferlosen Ocean« abwendet und freudig seine ganze geistige Kraft dem göttlichen Act, dem Buche der Natur, widmet, das zu jeder Zeit offen vor ihm liegt.

 

7.

Ehe wir weitergehen, wollen wir die Resultate zusammenfassen:

1) Gott wollte das Nichtsein;

2) sein Wesen war das Hinderniß für den sofortigen Eintritt in das Nichtsein;

3) das Wesen mußte zerfallen in eine Welt der Vielheit, |

i327 deren Einzelwesen alle das Streben nach dem Nichtsein haben;

4) in diesem Streben hindern sie sich gegenseitig, sie kämpfen mit einander und schwächen auf diese Weise ihre Kraft;

5) das ganze Wesen Gottes ging in die Welt über in veränderter Form, als eine bestimmte Kraftsumme;

6) die ganze Welt, das Weltall, hat Ein Ziel, das Nichtsein, und erreicht es durch continuirliche Schwächung seiner Kraftsumme;

7) jedes Individuum wird, durch Schwächung seiner Kraft, in seinem Entwicklungsgang bis zu dem Punkte gebracht, wo sein Streben nach Vernichtung erfüllt werden kann.

 

8.

Von diesen Resultaten müssen diejenigen, welche sich auf das immanente Gebiet beziehen, jetzt einer Prüfung unterworfen werden.

Im unorganischen Reich haben wir Gase, Flüssigkeiten und feste Körper.

Das Gas hat nur ein Streben: nach allen Seiten auseinanderzutreten. Könnte es dieses Streben ungehindert ausüben, so würde es nicht vernichtet, aber immer schwächer und schwächer werden; es würde sich immer mehr der Vernichtung nähern, aber sie nie erreichen, oder: das Gas hat das Streben nach Vernichtung, aber es kann sie nicht erlangen.

In diesem Sinne haben wir uns auch den Zustand der Welt in ihren ersten Perioden zu denken. Die Individuen dehnten, als ein feuriger Urnebel in der schnellsten Rotation, ihre Kraftsphäre, die wir, auf subjektive Weise, räumlich nicht bestimmen können, im absoluten Nichts immer weiter aus, unaufhörlich mit einander kämpfend, bis die Ermattung Einzelner so groß wurde, daß sie sich nicht mehr im gasförmigen Zustand erhalten konnten und tropfbar flüssig wurden. Die Physiker sagen: sie verloren im kalten Weltraume einen Theil ihrer Wärme: welche dürftige Erklärung! Sie waren durch ihr Streben selbst und durch den Kampf so geschwächt, daß, wäre ein erkennendes Subjekt gegenwärtig gewesen, es ihr Streben, ihr Wesen, nur noch als Flüssigkeit hätte objektiviren können. –

Die Flüssigkeit hat nur ein Streben: sie will, horizontal |

i328 nach allen Seiten auseinanderfließend, nach einem idealen, außer ihr liegenden Punkte. Daß aber das Streben nach einem idealen Punkte ein ganz offen liegendes Streben nach dem Nichtsein ist, ist klar; denn jede Flüssigkeit, der es gelänge, das Ziel ihres Strebens zu erreichen, wäre sofort vernichtet.

In den Perioden der Welt, wo sich gasförmige Individuen in flüssige umänderten, begann die Bildung der Welt-Körper. Sämmtliche Flüssigkeiten hatten immer nur das Streben nach irgend einem bestimmten Mittelpunkte, den sie aber nicht erreichen konnten. Fassen wir unser Sonnensystem allein in’s Auge, so war eine einzige ungeheure Gaskugel allseitig eingehüllt in ein feurig- flüssiges Meer (ähnlich einer Seifenblase). Jedes Gas im Inneren hatte das Streben, das Meer zu durchbrechen und nach allen Seiten auseinander zu treten; das Meer dagegen hatte das Streben nach dem Mittelpunkte der Gaskugel. Hieraus resultirte eine außerordentlich große Spannung, ein gewaltiger Druck und Gegendruck, ohne anderes Resultat, als eine allmähliche Schwächung der individuellen Kräfte, bis sich zuletzt eine feste Schale um das Ganze bildete. –

Jeder feste Körper hat nur ein einziges Streben: nach einem außer ihm liegenden idealen Punkt. Auf unserer Erde ist dieser Punkt der ausdehnungslose Mittelpunkt derselben. Könnte irgend ein fester Körper ungehindert bis zum Mittelpunkte der Erde gelangen, so wäre er im Moment, wo er anlangt, vollständig und für immer todt.

Die nächsten Perioden der Welt, welche auf jene folgten, in denen sich um die Weltkörper feste Hüllen gebildet hatten, wurden von großen Umbildungen ausgefüllt. Da die ganze Welt, von Anfang an, in rotirender Bewegung war, so lösten sich die (wohl wenig dichten) festen Körper ab und kreisten, als Ringe, um die Centralsonne, bis sie sich, in weiterer Umbildung, zu Planeten gestalteten, während der Centralkörper, der Kant-Laplace’schen Hypothese gemäß, in continuirlicher weiterer Abkühlung und Zusammenziehung (Schwächung der Kraft) fortfuhr, sich zu verdichten.

 

9.

Der Urzustand der Welt stellt sich unserem Denken dar: als eine ohnmächtige Sehnsucht der Individuen nach dem absoluten Tode, welche nur theilweise Erfüllung in der immer mehr zunehmenden Schwächung der bestimmten Kraftsumme fand.

i329 Es spiegelt sich in der damaligen Welt, wie auch in jedem Gase unserer heutigen Welt, das transscendente Hinderniß, das Gott an seinem Wesen fand, als er nichtsein wollte, oder auch das retardirende Moment: aus jedem Gase blickt der Reflex des transscendenten Verhängnisses, daß Gott nichtsein wollte, aber nicht sofort Erfüllung finden konnte.

In den nachfolgenden Perioden zeigen sich uns einzelne Individuen, denen wohl die volle und ganze Befriedigung ihrer Sehnsucht geworden wäre, wenn sie ungehindert ihr Ziel hätten erreichen können.

Das jetzige Weltall aber ist gar nicht anders denkbar, denn als eine endliche, aber für unseren Geist unermeßlich große Kugel, mit einer flüssigen oder außerordentlich leichten festen Schale, innerhalb welcher jedes unorganische Individuum gehemmt ist, das Ziel seines Strebens zu erreichen, oder, mit anderen Worten, das Weltall wird durchgängig in einer gewaltigen Spannung erhalten, welche continuirlich die bestimmte Kraftsumme schwächt.

 

10.

Im ganzen unorganischen Reich des Weltalls ist nichts Anderes vorhanden, als individueller Wille mit einem bestimmten Streben (Bewegung.) Er ist blind, d.h. sein Ziel liegt in seinem Streben, ist in der Bewegung schon von selbst enthalten. Sein Wesen ist reiner Trieb, reiner Wille, immer folgend dem Impulse, den er im Zerfall der Einheit in die Vielheit erhielt.

Wenn wir demnach sagen: das Gas will in indefinitum auseinander treten, die Flüssigkeiten und festen Körper wollen nach einem, außer ihnen liegenden idealen Punkt, so drücken wir damit nur aus, daß ein erkennendes Subjekt, die Richtung des Strebens verfolgend, zu einem bestimmten Ziele kommt. Unabhängig von einem erkennenden Subjekt, hat jeder unorganische Körper nur eine bestimmte Bewegung, ist reiner echter Trieb, ist lediglich blinder Wille.

Und nun frage ich: wie muß sich jetzt der Wille der chemischen Idee im Geiste des Menschen spiegeln? Als Wille zum Leben? In keiner Weise! Allem Bisherigen nach ist er reiner Wille zum Tode.

Dies ist ein sehr wichtiges Ergebniß. Im unorganischen Reich durchweg wird das Leben nicht gewollt, sondern die Vernichtung; |

i330 der Tod wird gewollt. Wir haben es überhaupt nur deshalb mit einem Willen zu thun, weil etwas erlangt werden soll, was noch nicht ist, weil ein retardirendes Moment vorhanden ist, das die sofortige Erreichung unmöglich macht. Das Leben wird nicht gewollt, sondern ist nur Erscheinung des Willens zum Tode, und zwar im Urzustande der Welt und in jedem Gase der Gegenwart: Erscheinung des retardirenden Moments im Individuum, und in jeder Flüssigkeit und jedem festen Körper: Erscheinung eines von außen verhinderten Strebens. Deshalb ist auch im unorganischen Reich das Leben des Individuums nicht Mittel zum Zweck, sondern der Kampf überhaupt ist Mittel, resp. die ihn bedingende Vielheit. Das Leben im unorganischen Reich ist immer nur Erscheinung, ist die allmähliche Bewegung der chemischen Ideen zum Tode.

So lange es gasförmige Ideen in der Welt giebt, (und sie überwiegen jetzt noch alle anderen), so lange ist die in der Welt vorhandene Kraftsumme nicht reif für den Tod. Alle Flüssigkeiten und festen Körper sind reif für den Tod, aber das Weltall ist ein festes Ganzes, eine durchweg in dynamischem Zusammenhang stehende Collektiv-Einheit mit einem einzigen Ziele: dem Nichtsein, und deshalb können die Flüssigkeiten und festen Körper nicht eher die Erfüllung ihres Strebens erlangen, als bis sämmtliche Gase so weit geschwächt sind, daß auch sie fest oder flüssig werden, oder mit andern Worten: das Weltall kann nicht eher zu Nichts werden, als bis die ganze in ihm enthaltene Kraftsumme reif für den Tod ist.

Von hier aus nun, mit Absicht auf das Ganze, erscheint das Leben der Flüssigkeiten und festen Körper, also ihr von außen gehemmtes Streben, als Mittel, nämlich als ein Mittel zum Zwecke des Ganzen.

In der Physik haben wir demnach den chemischen Ideen gegenüber einen zu niedrigen Standpunkt eingenommen und nur ein halbes Resultat erlangt. Wir haben das gehemmte Streben aller Ideen ganz richtig als Leben erkannt, aber, da wir dabei stehen blieben, oder besser: ohne Metaphysik dabei stehen bleiben mußten, so irrten wir in der Erklärung des Willens. Die chemische Idee will den Tod, kann ihn jedoch nur durch den Kampf erlangen, und deshalb lebt sie: sie ist in ihrem innersten Kern Wille zum Tode.

i331

11.

Wir treten in das organische Reich. Aus der Physik haben wir uns dabei zu erinnern, daß dasselbe nichts Anderes ist, als eine Form für die Schwächung der im Weltall liegenden Kraftsumme. Jetzt nennen wir es besser: die vollkommenste Form für die Abtödtung der Kraft. Dies genügt uns an dieser Stelle. Im Weiteren werden wir einen Ort finden, wo wir uns nochmals in die Organisation vertiefen und ihre ganze Bedeutung erfassen können.

Die Pflanze wächst, zeugt (auf irgend eine Weise) und stirbt (nach irgend einer Lebensdauer). Sehen wir von allem Besonderen ab, so springt aus hier zuerst hell die große Thatsache des wirklichen Todes in’s Auge, der im unorganischen Reich nirgends in die Erscheinung treten konnte. Könnte die Pflanze sterben, wenn sie nicht im tiefsten Kerne ihres Wesens sterben wollte? Sie folgt lediglich ihrem Grundtriebe, der sein ganzes Streben aus der Sehnsucht Gottes nach Nichtsein schöpfte.

Aber der Tod der Pflanze ist nur ein relativer Tod, ihr Streben findet nur theilweise Erfüllung. Sie zeugte, und durch die Zeugung lebt sie fort.

Da nun die Zeugung, die Erhaltung im Leben, zwar von außen veranlaßt wird und von anderen Ideen abhängt, aber im Wesentlichsten der innersten Idee der Pflanze selbst entspringt, so ist das Leben der Pflanze eine ganz andere Erscheinung, als das der chemischen Idee. Während bei dieser das Leben nur Hemmung des Willens zum Tode ist, von innen oder von außen veranlaßt und bedingt, wird in der Pflanze das Leben direkt gewollt. Die Pflanze zeigt uns also Willen zum Leben neben Willen zum Tode, oder besser, weil sie den absoluten Tod will, aber nicht haben kann, will sie das Leben direkt als Mittel zum absoluten Tode, und die Resultirende ist der relative Tod.


Date: 2014-12-29; view: 444


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