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Analytik des Erkenntnißvermögens. 5 page

Innerhalb des Temperaments befinden sich nun die Willensqualitäten. Die hauptsächlichsten sind:

Neid – Wohlwollen

Habgier – Freigebigkeit

Grausamkeit – Barmherzigkeit

Geiz – Verschwendungssucht

Falschheit – Treue

Hoffahrt – Demuth

Trotz – Verzagtheit

Herrschsucht – Milde

Unbescheidenheit – Bescheidenheit

Gemeinheit – Edelmuth

Starrheit – Geschmeidigkeit

Feigheit – Kühnheit

Ungerechtigkeit – Gerechtigkeit

i58 Verstocktheit – Offenheit

Heimtücke – Biederkeit

Frechheit – Schamhaftigkeit

Wollüstigkeit – Mäßigkeit

Niederträchtigkeit – Ehrbegierde

Eitelkeit – Heiligkeit

und liegen zwischen jedem dieser Paare Abstufungen.

Die Willensqualitäten sind als Gestaltungen des Willens zum Leben überhaupt anzusehen. Sie sind sämmtlich dem Egoismus entsprossen, und da jeder Mensch Wille zum Leben ist, den der Egoismus gleichsam umschließt, so liegt auch in jedem Menschen der Keim zu jeder Willensqualität. Die Willensqualitäten sind Einritzungen zu vergleichen, welche sich zu Kanälen erweitern können, in die der Wille beim geringsten Anlaß fließt. Doch muß bereits hier bemerkt werden, daß der menschliche Wille schon als Charakter in’s Leben tritt. Bleiben wir bei unserem Bilde, so zeigt bereits der Säugling, neben bloßen Einritzungen, große Vertiefungen; die ersteren können aber verbreitert und vertieft, die letzteren verengert und verflacht werden.

 

9.

Von den Willensqualitäten sind die Zustände des Willens streng zu unterscheiden. In ihnen, wie ich schon öfter sagte, erfassen wir unser innerstes Wesen allein. Wir erfassen es unmittelbar und erkennen es nicht. Erst indem wir unsere Zustände, die nichts Anderes sind, als gefühlte Bewegungen, in die Reflexion bringen, werden wir erkennend und die Zustände zugleich für uns objektiv. So finden wir erst im abstrakten Denken, daß das unseren Zuständen zu Grunde Liegende Wille zum Leben sei, und schließen dann, indem wir auf diejenigen Motive die größte Aufmerksamkeit lenken, welche unseren Willen jederzeit in eine bestimmte Bewegung versetzen, aus den stets wiederkehrenden Zuständen auf die Beschaffenheit unseres Charakters, dessen Züge ich Willensqualitäten benannt habe. So können wir ferner nur aus der abstrakten Classificirung und Zusammenstellung vieler Zustände unser Temperament bestimmen.

Wir haben jetzt die Hauptzustände unseres Willens, wie wir sie auf dem Wege nach innen fühlen, reflectirend zu erkennen und werden dabei, wo es nöthig ist, die Vorstellung zu Hülfe nehmen.

i59 Der Grundzustand, von dem wir ausgehen müssen, ist das normale Lebensgefühl. Wir fühlen uns gleichsam gar nicht, der Wille ist vollkommen zufrieden: seinen klaren Spiegel stört Nichts, weder Lust noch Unlust. Blicken wir auf den Leib, so ist er vollkommen gesund: alle Organe functioniren ohne Störung, wir empfinden nirgends weder eine Erschlaffung noch eine Steigerung unseres Lebensgefühls, weder Schmerz noch Wollust.



Man könnte diesen Zustand auch, im Spiegel des Subjekts, den normal-warmen und mild- leuchtenden nennen; denn den Eindruck des Körpers auf unseren Fühlsinn objektivirt die Materie (Substanz) als Wärme, und den Eindruck der Augen, in denen sich so beredt die innere Bewegung offenbart, objektivirt die Materie als Helles, mildes Licht. Daß Licht und Wärme an sich Nichts, sondern nur Bewegungserscheinungen sind, ist jetzt eine unbestrittene, wissenschaftliche Wahrheit. Bei Betrachtung der chemischen Ideen werden wir dem Lichte und der Wärme näher treten und wird sich alsdann auch ergeben, daß sie nicht Erscheinungen der Bewegung eines geheimnißvollen Aethers, sondern der Jedem bekannten Ideen sind; denn es giebt in der Welt nur individuelle Willen, und es ist kein Platz in ihr für Wesen, welche sinnlich nicht wahrnehmbar sind, und deren logische Definition allen Naturgesetzen Hohn spricht.

Alle anderen Zustände des Willens beruhen auf diesem normalen (den man auch Gleichmuth nennen dürfte) und sind nur Modificationen desselben.

Die hauptsächlichsten Modificationen sind: Freude und Trauer, Muth und Furcht, Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Haß (Affecte). Die letzteren sind die stärksten; es sind Modificationen des höchsten Grades. Sie sind alle auf die Umwandlung des normalen Zustandes zurückzuführen, welche der Wille, unter der Anregung eines entsprechenden Motivs, hervorruft. Nichts Geheimnißvolles, Uebersinnliches, Fremdes dringt in seine Individualität ein, behauptet sich und herrscht in ihr: nicht der gewaltige Geist einer erträumten Gattung, kein Gott, kein Teufel; denn die Individualität ist souverän in ihrem Hause. Wie die chemische Kraft undurchdringlich ist, so ist der Mensch eine geschlossene Kraftsphäre, die von außen wohl gezwungen werden kann, sich bald in dieser, bald in jener Weise zu zeigen, bald in diesen, bald in jenen Zustand überzugehen; aber das Motiv bewirkt immer nur Anregung |

i60 und der Wille reagirt lediglich seiner Natur, seinem Charakter gemäß, aus eigener Kraft.

 

10.

Wenn ich jetzt dazu übergehe, die angegebenen Zustände des Willens zu kennzeichnen, so ist klar, daß ich nur die Resultate einer Selbstbeobachtung darstellen kann, welche keinerlei Anspruch auf Unfehlbarkeit macht; denn diese Art von Selbstbeobachtung ist außerordentlich schwer. Es wird verlangt, daß man z.B. im höchsten Affekt, der den Geist ganz überschwemmt, sich so viel Klarheit und Besonnenheit bewahre, um seine Bewegung zu erkennen: eine fast unerfüllbare Forderung.

Im normalen Zustande bewegt sich der Wille gleichsam wie ein ruhig fließender Strom. Denken wir uns den Willen unter dem Bilde einer Kugel, so wäre die Bewegung eine gleichmäßige, ringförmige um das Centrum herum: eine in sich beruhigt kreisende.

Alle anderen erwähnten Bewegungen dagegen strömen entweder vom Centrum nach der Peripherie, oder umgekehrt. Der Unterschied liegt in der Art und Weise, wie der Weg zurückgelegt wird.

Die Freude ist ein sprunghaftes, stoßweises Hervorquellen aus dem Mittelpunkte, bald kräftig, bald schwach, in bald breiten, bald kurzen Wellen. Man sagt: das Herz hüpft, das Herz springt vor Freude, und oft tritt die Bewegung auch im Aeußern hervor: wir hüpfen, tanzen, lachen. Dem Freudigen ist seine Individualität zu eng; er ruft:

»Seid umschlungen Millionen!«

Der Muth ist ein ruhiges, gelassenes Ausströmen in kurzen, regelmäßigen Wellen. Der Muthige tritt fest und sicher auf.

Die Hoffnung dagegen legt den Weg immer in einer Welle zurück. Sie ist eine selige, leichte Bewegung vom Mittelpunkte aus. Man sagt: auf den Schwingen der Hoffnung, hoffnungsselig, und oft breitet der Hoffnungsvolle die Arme aus, als ob er schon am Ziele wäre und die Hand darauf legen könnte.

Die Liebe vergleiche ich einer heftigen Aufwallung vom Centrum nach der Peripherie; sie ist das kräftigste Ausströmen: die Wellen überstürzen sich und bilden Strudel. Der Wille möchte seine Sphäre durchbrechen, er möchte zur ganzen Welt werden.

Der Haß hingegen ist das intensivste Zurückströmen des |

i61 Willens von der Peripherie zum Centrum, als ob ihm jede Ausdehnung zuwider wäre und er das theure Ich nicht concentirt, zusammengedrückt und zusammengepreßt genug haben könnte. Wie ein Heer auf der Flucht, so knäuelt sich das Gefühl zusammen.

Die Verzweiflung legt wie mit einem Sprung den Weg zum Centrum zurück. Der Mensch, verlassen von Allen, überzeugt, daß es keine Rettung mehr für ihn giebt, flüchtet sich in seinen innersten Kern, zum Letzten, was er umklammern kann, und auch dieses Letzte zerbricht. Man sagt: er hat sich selbst aufgegeben.

Die Furcht ist eine zitternde Bewegung nach innen. Das Individuum möchte sich so klein als möglich machen, es möchte verschwinden. Man sagt: die Angst treibt in ein Mäuseloch.

In der Trauer bewegt sich der Wille in großen, regelmäßigen Wellen nach dem Mittelpunkte. Man sucht sich auf, man sucht im Innersten den Trost, den man nirgends finden kann. Man sagt: die Trauer sammelt das Gemüth, durch die Trauer wird das Herz gebessert.

Für Zustand setzt man häufig Stimmung und sagt: er ist feierlich, hoffnungsvoll, muthig, traurig gestimmt; auch sagt man mißgestimmt, um zu bezeichnen, daß die kreisende Bewegung nicht mehr regelmäßig verläuft.

 

11.

Wir wollen jetzt einen kurzen Blick auf die Willensqualitäten werfen, welche vorzugsweise, auf den Anreiz von Motiven, die Zustände Haß und Liebe hervorrufen.

Ganz allgemein kann man sagen, daß der Mensch in der Liebe seine Individualität zu erweitern, im Hasse dagegen wesentlich zu beschränken bestrebt ist. Da aber weder das eine noch das andere zu bewerkstelligen ist, so kann das Individuum nur darnach trachten, seine äußere Wirksamkeitssphäre zu vergrößern oder einzuschränken.

Der Mensch erweitert zunächst seine Individualität dämonisch durch den Geschlechtstrieb (Wollüstigkeit) und tritt hier die Liebe als Geschlechtsliebe auf. Sie ist der erregteste Zustand des Willens und in ihm erreicht sein Lebensgefühl den höchsten Grad. Das Individuum, welches in der Geschlechtsliebe befangen ist, erträgt die größten Schmerzen mit Standhaftigkeit, leistet Ungewöhnliches, räumt geduldig Hindernisse aus dem Wege und scheut sogar, unter Umständen, den gewissen Tod nicht, weil es rein dämonisch |

i62 (unbewußt), nur in Verbindung mit einem bestimmten anderen Willen weiterleben will.

Durch die Geschlechtsliebe erweitert der Mensch seine Individualität zur Familie.

Er erweitert ferner seine äußere Sphäre und versetzt sich in den Zustand der Liebe durch die Willensqualität Herrschsucht oder Ehrgeiz. Er unterwirft sich andere Individuen und macht ihnen seinen Willen zum Gesetz. Die Liebe tritt hier auf als Lustgefühl der Macht. Der Mensch, der im Mittelpunkt der größten Sphäre steht, spricht stolz: ein Wink von mir und Hunderttausende stürzen sich in den Tod, oder: was ich will, ist für Millionen Gesetz.

Dann zeigt sich die Liebe als Liebe zum Gelde, auf Grund des Geizes.

Die Liebe zeigt sich ferner als Lustgefühl geistiger Ueberlegenheit, an der Hand der Willensqualität Ruhmbegierde. Die Sphäre wird erweitert durch die Kinder des Geistes, die hinstürmen durch alle Länder und andere Geister dem Geiste des Vaters unterwerfen.

Auch ist hier die Freundschaft zu erwähnen, die auf der Willensqualität Treue beruht. Sie bewirkt, wenn das Verhältniß echt ist, eine beschränkte Erweiterung der Sphäre.

Schließlich tritt die Liebe noch auf als Liebe zur Menschheit, welche ich in der Ethik abhandeln werde.

Das Individuum verengt dagegen seine äußere Sphäre und versetzt sich in den Zustand des Hasses durch den Neid. Es fühlt sich abgestoßen vom scheinbaren Glück anderer Individuen und zurückgeworfen auf sich selbst.

Die Sphäre verengert sich dann durch Haß gegen einzelne Theile der Welt: gegen Menschen überhaupt, gegen gewisse Stände, gegen Weiber und Kinder, gegen Pfaffen u.s.w. auf Grund der betreffenden Willensqualitäten.

Der Haß tritt dann noch in einer eigenthümlichen Form auf, nämlich als Haß des Menschen gegen sich selbst, und werde ich diesen in der Ethik näher berühren.

 

12.

Zwischen den oben angeführten Hauptzuständen giebt es viele Abstufungen; außerdem giebt es viele andere Zustände, die ich jedoch |

i63 übergehe, da ich mich beim Besonderen nicht zu lange aufhalten darf. Wir werden übrigens in der Aesthetik und Ethik noch mehrere wichtige Zustände kennen lernen.

Dagegen müssen wir noch eine zweite Art von Bewegungen des Willens betrachten, welche ich Doppelbewegungen, zum Unterschied von den seither untersuchten einfachen Bewegungen, nennen will.

Im Haß zieht sich das Individuum auf seinen innersten Kern zurück. Es concentrirt sich, es möchte ausdehnungslos sein. Ist nun der Haß sehr groß, so springt er oft in die entgegengesetzte Bewegung um, d.h. der Wille strömt plötzlich nach der Peripherie, aber nicht um liebevoll zu umschlingen, sondern um zu vernichten. Diese Bewegung ist der Zorn, die Wuth, der furor brevis. In ihr vernichtet das Individuum den Gegner entweder mit Worten: es überschüttet ihn mit einer Fluth von Schmähungen, Beleidigungen, Flüchen; oder es geht zu Gewaltthätigkeiten über, die mit Todtschlag und Mord endigen können.

In der Aesthetik und Ethik werden wir mehrere andere Doppelbewegungen kennen lernen.

 

13.

Es erübrigt mir noch ein Wort über den Rausch und den Schlaf.

Der Rausch ist ein erhöhtes Blutleben, das dem Individuum um so bewußter wird, je mehr die Sinne und mit ihnen der Verstand erschlaffen. Der Rausch ist vollkommen in der Betäubung durch narkotische Mittel (Stickstoffoxydul, Chloroform etc.). Die Sinne sind ganz unthätig und der Verstand ist ausgehängt; dagegen ist das Selbstbewußtsein ein sehr reiner Spiegel. Der Betäubte wird sich des Blutumlaufs außerordentlich klar bewußt; er empfindet deutlich, wie das Blut rast und tobt und gegen seine Gefäße drückt, als wolle es sie zersprengen. Er reflectirt darüber und denkt überhaupt, aber mit wunderbarer Schnelligkeit.

Der Schlaf ist zunächst nothwendig für den Organismus. Die Kraft, die im Verkehr mit der Außenwelt sich so sehr verzehrt, muß erneuert und Unordnung in den Organen getilgt werden. Deshalb schließen sich die Sinne ab und der Wille, ganz auf seine Sphäre beschränkt und rastlos wie immer, bestellt sein Haus und |

i64 bereitet sich zu neuen Actionen vor. Es herrscht jetzt Waffenstillstand im Kampf um’s Dasein.

Dann ist der Schlaf für den Dämon selbst nothwendig. Er muß von Zeit zu Zeit zustandslos werden, um nicht zu verzweifeln; und zustandslos kann er nur im tiefen Schlafe werden.

Nicht wahr, der Schlaf ist Gott selbst, der die müden Menschen umarmt?

Hebbel.

Und:

Es war, als hört’ ich rufen: Schlaft nicht mehr!

Den Schlaf ermordet Macbeth, den unschuld’gen,

Den arglos heil’gen Schlaf, den unbeschützten,

Den Schlaf, der den verworr’nen Knäul der Sorgen

Entwirrt, der jedes Tages Schmerz und Lust

Begräbt und wieder weckt zum neuen Morgen,

Das frische Bad der wundenvollen Brust,

Das linde Oel für jede Herzensqual:

Die beste Speise an des Lebens Mahl.

Shakespeare.

 

14.

Alle Zustände des Willens vereinigt die immanente Philosophie in den Begriffen Lust und Unlust. Lust und Unlust sind unmittelbare Zustände des Dämons, es sind ganze, ungetheilte Bewegungen des echten Willens zum Leben oder, objektiv ausgedrückt, Zustände des Blutes, des Herzens.

Schmerz und Wollust dagegen sind mittelbare Zustände des Willens; denn sie beruhen auf lebhaften Empfindungen der Organe, welche Ausscheidungen aus dem Blute sind und eine gewisse Selbstständigkeit dem Blute gegenüber behaupten.

Dieser Unterschied ist wichtig und muß festgehalten werden. Ich knüpfe hieran einige Beobachtungen auf objektivem Gebiete.

Die Zustände der Lust sind Expansion, die der Unlust Concentration des Willens. Schon oben deutete ich an, daß das Individuum in den ersteren Zuständen aus sich heraus und der ganzen Welt zeigen möchte, wie selig es ist. So drückt es denn mit dem ganzen Leibe seinen Zustand aus in Geberden, Bewegungen (Umarmen, Hüpfen, Springen, Tanzen) und namentlich durch Lachen, |

i65 Schreien, Jauchzen, Singen und durch die Sprache. Alles dieses ist zurückzuführen auf das eine Bestreben des Menschen, seinen Zustand zu zeigen und sich Anderen – wenn es ginge der ganzen Welt – mitzutheilen.

Dagegen wird das Individuum in den Zuständen der Unlust auf sich zurückgeworfen. Der Glanz der Augen erlischt, die Mienen werden ernst, die Glieder werden regungslos oder ziehen sich zusammen. Die Stirnhaut runzelt sich vertikal, die Augen schließen sich, der Mund wird stumm, die Hände ballen sich krampfhaft und der Mensch kauert, fällt in sich ein.

Auch ist das Weinen erwähnenswerth. Es ist, als ob das zurücktretende Blut nicht mehr den nöthigen Druck auf die Thränendrüsen ausübe und diese sich deßhalb entleerten. Dem Weinen geht ein Herzenskrampf voraus, und man spürt geradezu die Zurückströmung des Willens nach dem Centrum. Im ohnmächtigen Zorn dagegen werden die Thränen gewaltsam ausgepreßt.

Schließlich mache ich noch auf die eigenthümlichen Lichterscheinungen in den Augen, bedingt durch matte oder heftige innere Bewegungen, und die Wärme- und Kälteempfindungen aufmerksam. Die Dichter sprechen mit Recht von glühenden, gluthvollen, leuchtenden, phosphorescirenden Augen; von düsterem Feuer in den Augen; von unheimlichem Funkeln derselben; von Zornesblitzen; vom Aufleuchten, Aufblitzen der Augen. Sie sagen auch: die Augen sprühen Funken, es wettert in den Augen u.s.w. Ferner giebt es viele Ausdrücke, welche das Aufhören der Erscheinungen bezeichnen, wie: das Licht der Augen erlosch; die Augen verloren ihr Feuer; müde Seelen, müde Augen; im letzteren Ausdruck überspringt man die Erscheinung und hebt nur ihren Grund hervor.

Es ist indessen zu beachten, daß alle diese Erscheinungen im Auge (wozu auch das Dunklerwerden der Iris, namentlich der blauen, wenn das Individuum zornig wird, gehört) auf Veränderungen des Organs beruhen. Die Erregungen des Willens verändern die Spannung der Organtheile (Hornhaut, Iris, Pupille etc.) derartig, daß das Licht wesentlich anders zurückgeworfen wird, als im normalen Zustande, oder mit anderen Worten: die inneren Bewegungen des Menschen, soweit sie im Auge sich offenbaren, modificiren nur das gewöhnliche Licht, sind nicht selbstständige Lichtquellen.

i66 Die Kälte- und Wärmeempfindungen sind sehr mannigfaltig. Wir fühlen eisige Schauer, es fröstelt uns; dagegen glühen wir, heiße Lohen schlagen über uns zusammen, wir brennen, wir schmelzen, es kocht in unseren Adern, das Blut siedet.

Aber nicht nur haben wir diese inneren Gefühle, sondern auch unser Leib zeigt eine veränderte Temperatur. Die Extremitäten werden in den Zuständen der Unlust kalt, sie sterben ab; und anderseits zeigt der Körper in Zuständen der Lust, oder im ausströmenden Theil der Doppelbewegung, wie im Zorn, eine höhere Wärme. Auch das Fieber gehört hierher.

 

15.

Wir verlassen jetzt den Menschen und steigen in das Thierreich hinab, und zwar beschäftigen wir uns zunächst mit den höheren, dem Menschen am nächsten stehenden Thieren, seinen »unmündigen Brüdern.«

Das Thier ist, wie der Mensch, eine Verbindung eines bestimmten Willens mit einem bestimmten Geiste.

Sein Geist hat zuvörderst dieselben Sinne wie der Mensch, welche jedoch in vielen Individuen schärfer sind, d.h., eine größere Empfänglichkeit für Eindrücke haben, als die des Menschen. Auch sein Verstand ist derselbe. Er sucht zu jedem Eindruck die Ursache und gestaltet sie seinen Formen Raum und Materie gemäß. Das Thier hat ferner wie der Mensch Vernunft, d.h. die Fähigkeit zu verbinden. Es hat auch ein mehr oder weniger gutes Gedächtniß, aber eine schwache Einbildungs- und schwache Urtheilskraft, und auf diese Unvollkommenheit ist der große Unterschied zurückzuführen, der zwischen Mensch und Thier besteht.

Diese Unvollkommenheit hat als erste Folge, daß das Thier die Theilvorstellungen des Verstandes gewöhnlich nur zu Theilen von Objekten verbindet. Nur solche Objekte, welche sich ganz auf seiner Retina abzeichnen, wird es als ganze Objekte auffassen; alle anderen sind als ganze Gegenstände für dasselbe nicht vorhanden, da seine Einbildungskraft nicht viele entschwundenen Theilvorstellungen festzuhalten vermag. So kann man sagen, daß das klügste Thier, dicht vor einem Baume stehend, dessen ganzes Bild nicht gewinnen wird.

Dann fehlen ihm die wichtigen, von der Vernunft auf Grund apriorischer Formen und Functionen bewerkstelligten Verbindungen. |

i67 Es kann nicht die Zeit construiren und lebt deßhalb ausschließlich in der Gegenwart. In Verbindung hiermit steht, daß das Thier nur solche Bewegungen erkennt, welche auf dem Punkte der Gegenwart wahrnehmbar sind. Der ganze Verlauf der Ortsveränderung eines Objekts, eine nicht wahrnehmbare Ortsveränderung und alle inneren Bewegungen (Entwickelungen) entschlüpfen seinem Geiste. Das Thier wird ferner die Einwirkung eines Objekts mit der Veränderung in einem anderen nicht verknüpfen können, denn ihm fehlt die allgemeine Causalität. Die Erkenntniß eines dynamischen Zusammenhangs der Dinge ist ihm natürlich ganz unmöglich. Nur den causalen Zusammenhang zwischen seinem Leib und solchen Dingen, deren Einwirkung auf diesen es schon erfahren hat, also das in der Analytik angeführte zweite causale Verhältniß, jedoch wesentlich beschränkt, wird es mit Hülfe des Gedächtnisses erkennen. Da ihm auch die Substanz fehlt, so ist seine Welt als Vorstellung mangelhaft und fragmentarisch.

Schließlich kann es keine Begriffe bilden. Es kann also nicht in Begriffen denken, und seinem Geiste fehlt die so wichtige, nur durch das Denken zu erlangende, Spitze: das Selbstbewußtsein. Sein Bewußtsein äußert sich:

1) als Gefühl,

2) als Selbstgefühl (Gemeingefühl der Individualität).

Wenn man nun auch den höheren Thieren das abstrakte Denken nicht beilegen kann, so muß man ihnen dagegen ein Denken in Bildern, auf Grund von Urtheilen in Bildern, zusprechen. Der in einem Fußeisen gefangene Fuchs, welcher sein Bein durchbiß, um sich zu befreien, fällte, indem er das freie Bein bildlich neben das andere hielt, zwei richtige Urtheile und zog aus ihnen einen richtigen Schluß: Alles auf bildliche Weise (ohne Begriffe), unterstützt von der unmittelbaren Anschauung.

Die Vernunft des Thieres ist also eine einseitig ausgebildete und sein Geist überhaupt ein wesentlich beschränkter. Da nun der Geist nichts weiter ist, als ein Theil einer gespaltenen Bewegung, so ergiebt sich, daß die restliche ganze Bewegung des thierischen Willens intensiver sein, also der Instinkt bedeutender im Thiere in den Vordergrund treten muß, als der Dämon im Menschen. Und in der That wird der Lenker des Thieres überall da kräftig vom Instinkte unterstützt, wo er verkettete Wirksamkeiten und zukünftige |

i68 Verhältnisse, von denen die Erhaltung des Thieres abhängt, nicht erkennen kann. So bestimmt der Instinkt die Zeit, wann die Zugvögel den Norden verlassen müssen, und treibt andere Thiere im Herbste an, Nahrung für den Winter einzusammeln.

 

16.

Wenden wir uns jetzt zum Willen des Thieres, so ist seine Individualität, als Ganzes, wie die des Menschen, ein geschlossenes Fürsichsein oder Egoismus.

Wie der Mensch, will ferner das Thier in einer bestimmten Weise leben, d.h. es hat einen Charakter.

In Betreff nun der Temperamente und Willensqualitäten des Thieres, so ist klar, daß dieselben weniger zahlreich als die des Menschen sein müssen; denn sein Geist ist unvollkommener, und nur in Verbindung mit einem entwickelten Geiste kann sich der Wille mannigfach gestalten, d.h. auswickeln. Man wird deshalb das Richtige treffen, wenn man, von den höheren Thieren im Allgemeinen sprechend, ihre Temperamente auf zwei Willensqualitäten, Lebhaftigkeit und Trägheit, einschränkt. Nur bei wenigen Hausthieren, deren Intelligenz und Charakter durch den tausendjährigen Umgang mit Menschen geweckt und ausgebildet worden sind, trifft man die menschlichen Temperamente an, und ist hier vor Allen das Pferd zu nennen.

Wie wichtig dieser Umgang mit Menschen für das Thier ist, zeigen verwilderte Pferde und die Prairie-Hunde. Letztere fallen oft, wie Humboldt erzählt, blutgierig den Menschen an, für dessen Vertheidigung ihre Väter kämpften. In solchen verwilderten Thieren hat eine Rückbildung in der Weise stattgefunden, daß die Intelligenz sich verminderte und dadurch die ganze Bewegung des Bluts (der Instinkt) intensiver, der Charakter dagegen einfacher wurde.

Von den Willensqualitäten werden alle diejenigen wegfallen, welche den menschlichen Geist zur Bedingung haben, wie Geiz, Gerechtigkeit, Entschlossenheit, Schamhaftigkeit u.s.w. Von den verbleibenden, wie Neid, Falschheit, Treue, Geduld, Sanftmüthigkeit, Tücke u.s.w. zeigen die Affen, Elephanten, Hunde, Füchse, Pferde, die meisten. Oft kann man mit einer einzigen Willensqualität den ganzen Charakter eines Thieres bezeichnen, oft selbst dieses nicht |

i69 einmal und es bleibt nur der Charakter der Individualität überhaupt: der Egoismus.

Das Gefühl des Thieres ist, wegen der verhältnißmäßig geringeren Nervenmasse und auch wegen ihrer gröberen Beschaffenheit, schwächer als das menschliche. Seine Schmerzen und Wollustempfindungen sind daher gedämpfter und weniger intensiv als die des Menschen.

Auch die Zustände der Lust und Unlust im Thiere sind schwächer und weniger zahlreich als die des Menschen; denn ihre Vertiefung und Dauer hängt vom abstrakten Denken ab. Nur die Thiere der höchsten Stufe kennen den Zustand der Freude und der Trauer. Anhaltend trauern und so intensiv wie der Mensch sich freuen, kann sehr wahrscheinlich nur der Hund.

Ferner fällt die Verzweiflung aus, und nur bei wenigen Thieren wird an die Stelle der Hoffnung, welche den Begriff der Zukunft voraussetzt, ein Zustand der Erwartung treten. Die Furcht kennt dagegen jedes Thier, denn die Thiere im Allgemeinen sind feig. Muthig ist das Thier nur, wenn es sich instinktiv für die erweiterte Individualität entschieden hat (Kampf der Männchen um die Weibchen, Vertheidigung der Brut). Der Hund allein ist muthig aus Treue und erscheint hier als das alleredelste Thier.

Haß und Liebe schließlich zeigen alle Thiere mehr oder weniger deutlich. Die Liebe tritt auf als Geschlechtsliebe (Brunst) und ist, weil sie im Blutleben wurzelt und der Instinkt viel intensiver ist als der Dämon, ein wilderer und ausschließlicherer Zustand, als beim Menschen. Das Lebensgefühl erreicht seine höchste Stufe. Der Leib wird strotzend, die Bewegungen werden lebhafter und die innere heftige Erregung pflanzt sich als Ton fort. Die Vögel singen, locken, pfeifen, gurgeln; das Rindvieh brüllt; die Katze schreit; der Fuchs bellt; das Reh pfeift; das Rennthier lockt; der brünstige Hirsch erhebt ein lautes, weithin vernehmbares Geschrei. Die Aufregung zeigt sich ferner in den schwülen, rollenden Augen; in der unaufhörlichen Bewegung der Ohren; im Stampfen mit den Füßen und im Aufwühlen der Erde mit dem Geweih, resp. mit den Hörnern. Das brünstige Thier bemerkt kaum die Gefahr und vergißt oft Hunger, Durst und Schlaf.

Die Liebe tritt dann noch auf als Lustgefühl der Macht. Stier |

i70 und Widder, Hahn und Enterich bewegen sich mit einem gewissen Stolze in ihrer Familie.

Der Haß zeigt sich als Abneigung, ja Feindschaft der Geschlechter nach der Begattung und, auf Grund des Egoismus (eine einzelne Willensqualität trägt ihn selten) als Haß gegen die ganze Umgebung oder gegen Individuen, wenn das Dasein auf dem Spiele steht.

Wie der Mensch, so verwandelt auch das Thier aus eigener Kraft die normale Bewegung in sämmtliche anderen Zustände. Die Brunst ist der erregteste Zustand.

Je mehr man nun im Thierreich herabsteigt, desto einfacher erscheint, durch das immer ungünstiger sich gestaltende Verhältniß der Intelligenz zum Willen und den immer simpler werdenden Geist, der individuelle Wille. Ganze Sinne fehlen, die Formen des Verstandes verkümmern, seine Function wird immer seltener sollicitirt, und die höheren Erkenntnißvermögen fallen schließlich ganz fort.


Date: 2014-12-29; view: 519


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