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Analytik des Erkenntnißvermögens. 6 page

 

17.

Wir betreten jetzt das stille Reich der Pflanzen. Keine Sensibilität, d.h. keine Vorstellung, kein Gefühl, kein Selbstgefühl, kein Selbstbewußtsein: das sind die Merkmale, wodurch sich die Pflanze vom Thiere unterscheidet.

Die Pflanze hat eine resultirende Bewegung. Es sind zwei ganze Theilbewegungen, welche zu einer resultirenden sich zusammenschließen. Nicht wie beim Thier hat sich die eine Theilbewegung nochmals gespalten, sondern ist ganz geblieben, und deshalb hat die Pflanze keine Sensibilität und ist bar aller die Sensibilität begleitenden Erscheinungen.

Die pflanzliche Irritabilität enthält also gleichsam noch die Sensibilität und ist mithin wesentlich von der thierischen unterschieden. Sie reagirt unmittelbar auf den äußeren Reiz und wird dabei von der ursprünglichen, restlichen ganzen Bewegung actuirt.

Nehmen wir die Vorstellung zu Hülfe, so ist der Saft der ächte Pflanzenwille. Aber er ist nicht die Objektivation des ganzen Willens. Wurzel, Stengel, Blätter und Geschlechtsorgane sind Ausscheidungen aus dem Safte und bilden, mit diesem, die Objektivation des ganzen Pflanzenwillens. Der große Unterschied zwischen Pflanze und Thier liegt darin, daß der Saft die Organe unmittelbar actuirt, |

i71 wie das Blut das Gehirn, während die übrigen Organe des Thieres durch die bloße Actuirung des Blutes gar nicht functioniren könnten. Es bedarf bei diesen vor Allem des Zusammenschlusses von Nerv und Muskel und jetzt erst kann, wie oben dargelegt wurde, das Blut die ganze Bewegung bewirken.

 

18.

Die Pflanze ist individueller Wille zum Leben und ist ein geschlossenes Fürsichsein. Sie will das Leben in einer ganz bestimmten Weise d.h. sie hat einen Charakter. Aber dieser Charakter ist sehr einfach. Er tritt nicht in Willensqualitäten auseinander, sondern ist für alle Pflanzen, von innen erfaßt, ein blinder Drang, Wachsthum von einer bestimmten Intensität. Von außen dagegen betrachtet, zeigt sie hervorstechenden eigenen Charakter oder, mit anderen Worten, sie zeigt uns ihren Charakter als Objekt: sie trägt ihn zur Schau.

Man kann nur drei Zustände bei der Pflanze unterscheiden, welche dem normalen Zustande, dem Haß und der Liebe des Thieres entsprechen, nämlich Wachsen, Blühen und Welken. Unter Welken verstehe ich hier Concentration.

Im Zustande des Blühens hat die Pflanze ihr höchstes Leben erreicht. Sie »glüht und leuchtet« und die meisten, im Drange, ihre Sphäre noch mehr zu erweitern, exhaliren Duft. Es ist, als ob sie aller Welt Kunde von ihrer Glückseligkeit geben wollten; doch setzt dieser Vergleich Bewußtsein voraus, das wir der Pflanze ganz entschieden absprechen müssen. Was die Sprache für den Menschen, der Ton für das Thier, das ist das Duften für die Pflanze.

Ich will hierbei erwähnen, daß sich die tiefe Erregung der Pflanze im Zustande des Blühens sehr oft in einer Erhöhung ihrer Temperatur kundgiebt, welche in einzelnen Fällen geradezu erstaunlich ist. So zeigt die Blüthe von Arum cordifolium z.B. bei einer Temperatur der Luft von 21°, eine Wärme von 45° (Burdach I, 395).



Im Zustande des Welkens verengert die Pflanze ihre Sphäre. (Als Analogon des thierischen Hasses nach der Begattung kann man das Zurückbiegen der Staubfäden nach der Befruchtung ansehen.) Es verwelken die Staubfäden, die Blumenblätter, die Blätter; die Frucht fällt ab und die Idee der Pflanze concentrirt sich im Safte.

i72 Bei den einjährigen Pflanzen und anderen, wie bei der Sagopalme, Agave americana, Foucroya longaeva, ist das Welken identisch mit Absterben. Hier concentrirt sich die Idee der Pflanze ganz in der Frucht.

Die Zustände des Pflanzenwillens beruhen, wie alle Zustände des Individuums überhaupt, auf der Umwandlung seiner normalen Bewegung aus eigener Kraft.

Das Leben der Pflanze ist zwar, wegen der fehlenden Sensibilität, ein Traumleben, aber eben deshalb ein außerordentlich intensives. Es ist nur ein scheinbar ruhiges und sanftes. Man denke an die überschwängliche Fruchtbarkeit, welche den heftigen Trieb der Pflanze, sich im Dasein zu erhalten, zeigt, und an den bekannten Versuch von Hales, wonach die Kraft des ausströmenden Weinstocksaftes fünfmal stärker ist als die Kraft, womit sich das Blut in der großen Schenkelarterie des Pferdes bewegt.

 

19.

Wir betreten jetzt das unorganische Reich, das Reich der unorganischen oder chemischen Ideen, deren Merkmal die ungetheilte Bewegung ist.

Die chemische Idee ist, wie aller individuelle Wille, ein geschlossenes Fürsichsein. Die ächte Individualität im unorganischen Reich ist die ganze Idee. Da jedoch jeder Theil das selbe Wesen hat wie das Ganze, so ist jede geschlossene Sphäre einer homogenen chemischen Kraft, welche in der Natur angetroffen wird, ein Individuum.

Die chemische Idee will das Leben in einer bestimmten Weise, d.h. sie hat einen Charakter. Derselbe ist, von innen erfaßt, ein unaufhörlicher simpler, blinder Drang. Alle Thätigkeiten der chemischen Idee sind auf diesen einen Drang zurückzuführen. Er offenbart sich, wie der der Pflanze, deutlich im Aeußeren: er ist vollständig im Objekt abgedrückt.

Nichts kann verkehrter sein, als einer chemischen Idee das Leben abzusprechen. In demselben Augenblicke, wo ein Stück Eisen z.B. seine innere Bewegung, die doch das einzige Merkmal des Lebens ist, verlöre, würde es nicht etwa zerfallen, sondern thatsächlich zu Nichts werden.

i73

20.

Chemische Ideen sind nun zunächst die sogenannten einfachen Stoffe wie Sauerstoff, Stickstoff, Eisen, Gold, Kalium, Calcium u.s.w. rein, ohne Beimischung. Dann sind sämmtliche reinen Verbindungen einfacher Stoffe miteinander Ideen, wie Kohlensäure, Wasser, Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Eisenoxyd, Manganoxydul, und die Verbindungen dieser mit einander, wie schwefelsaurer Kalk, chromsaures Kali, salpetersaures Natron; also sämmtliche einfachen Stoffe Säuren, Basen und einfachen Salze sind besondere Ideen.

Besondere Ideen sind auch diejenigen Verbindungen, welche, bei gleicher (procentischer) Zusammensetzung, verschiedene Eigenschaften zeigen, und welche man polymere Substanzen genannt hat. So ist die Pentathionsäure (S5O5) von der Unterschwefeligen Säure (S2O2) wesentlich verschieden, obgleich Schwefel und Sauerstoff in beiden Verbindungen in gleichem Verhältniß, nach Prozenten und Aequivalenten, zusammengetreten sind.

Ferner sind die organischen chemischen Verbindungen selbstständige Ideen, also die Radicale und ihre Verbindungen, wie Aethyl (C4H5=Ae) und Aethyloxyd (AeO), Jodäthyl (AeJ), schwefelsaures Aethyloxyd (AeO.SO3), sowie die polymeren organischen Substanzen wie Aldehyd (C4H6O2) und Essigäther (C8H8O4).

Es sind schließlich alle Doppelsalze und die conservirten Ueberreste von Organismen, wie Knochen, Holz u.s.w., besondere Ideen, weil sie besondere chemische Verbindungen sind.

Dagegen sind Conglomerate, als solche, keine besonderen Ideen.

In diesem Rahmen, den wir dem unorganischen Reich gegeben haben, befinden sich nicht etwa bloß die chemischen Präparate; er ist kein Rahmen für die chemischen Formeln allein; sondern er umschließt alle Individuen der unorganischen Natur. So wäre es falsch z.B. Arragonit und Kalkspath, welche eine ganz verschiedene Crystallbildung haben, nicht zu trennen; denn jeder Unterschied im Objekt deutet auf einen Unterschied im Ding an sich, und auch nach solchen Abweichungen sind die besonderen Ideen zu bestimmen.

Ich schließe diesen allgemeinen Theil mit der Bemerkung, daß es ganz gleichgültig für die immanente Philosophie ist, ob die Zahl der einfachen chemischen Stoffe und deren Verbindungen, im Fortschritt der Wissenschaft, vermehrt oder vermindert werden wird. Der Philosoph darf die Naturwissenschaften nicht einengen und binden. |

i74 Seine Aufgabe ist lediglich: das von den Naturforschern gesammelte Material zu sichten und unter allgemeine Gesichtspunkte zu bringen. Er muß nur die chemischen Ideen definiren, unbesorgt darum, ob die unter bestimmten Begriffen stehenden Objekte vermehrt oder vermindert werden.

 

21.

Wir haben nunmehr, auf Grund dreier ganz bestimmten Zustände, die Objekte des unorganischen Reichs zu classificiren und dann den Charakter der Objekte jeder Abtheilung zu untersuchen.

Alle Körper sind entweder fest, flüssig oder gasförmig.

Allen gemein ist Ausdehnung und Undurchdringlichkeit, was nichts weiter besagt, als daß jeder unorganische Körper individueller Wille zum Leben ist. Er hat eine Kraftsphäre und behauptet sich im Leben, das er will.

Die festen Körper zeigen dann Schwere, d.h. sie haben ein Hauptstreben: den Mittelpunkt der Erde zu erreichen. Jedes Individuum des unorganischen Reichs will im Mittelpunkt der Erde sein: das ist sein allgemeiner Charakter. Sein spezieller Charakter ist die Intensität, mit der er sein Streben geltend macht, seine Cohäsion, oder auch seine specifische Schwere (specifisches Gewicht).

In der Ausübung dieses Strebens, das der feste Körper immer hat und nie verliert, offenbart er Trägheit.

Jeder feste Körper ist ferner mehr oder weniger ausdehnbar oder zusammendrückbar. Hiernach bestimmt man seine Ausdehnbarkeit und Zusammendrückbarkeit, seine Härte, Sprödigkeit, Elasticität und Porosität, kurz seine sogenannten physikalischen Eigenschaften, welche in keiner Hinsicht Ideen, selbstständige Kräfte, sind, sondern nur das Wesen der chemischen Ideen näher bestimmen. Sie werden am Objekt (dem durch die subjektiven Formen gegangenen Ding an sich) abgelesen und mit Recht auf den Grund der Erscheinung bezogen. Unabhängig von einer chemischen Idee sind sie nicht einmal denkbar: sie stehen und fallen mit ihr.

Einige dieser Eigenschaften beruhen auf einer Modifikation des Aggregatzustandes, den man gleichfalls den normalen nennen kann. Die Ausdehnbarkeit durch Wärme besagt lediglich, daß ein Körper, durch fremde Anregung, in einen erregteren Zustand, in eine heftigere |

i75 innere Bewegung übergegangen ist, und in ihr seine Sphäre zu erweitern sucht. Wärmer ist er dabei nicht deshalb geworden, weil ein Theil einer besonderen Idee, Wärme genannt, auf die wunderbarste Weise in seine Individualität eingedrungen, Herr in ihr geworden oder gar in eine Verbindung mit ihr getreten wäre, sondern ist wärmer geworden, weil er seine Bewegung, auf fremde Anregung allerdings, aber aus ureigener Kraft, verändert hat und in dieser neuen Bewegung jetzt auf den Fühlsinn des Beobachters einen anderen Eindruck macht, als vorher.

Auf der anderen Seite zieht sich ein Körper zusammen und wird kälter, weil entweder die fremde Anregung aufgehört hat, oder er, auf andere Körper wirkend, seine erregtere Bewegung verliert. Er geht aus dem bewegteren Zustand in den normalen zurück, und nun sagen wir, er ist kälter geworden, weil er in seinem neuen Zustande auch einen bestimmten neuen Eindruck macht. –

Die gasförmigen Körper zeigen ein Bestreben, eine Bewegung, welche das gerade Gegentheil der Schwere ist. Während der feste Körper nur nach dem Centrum der Erde oder, ganz allgemein ausgedrückt, nach einem idealen, außer ihm liegenden bestimmten Punkte strebt, will sich der gasförmige unaufhörlich nach allen Richtungen ausbreiten. Diese Bewegung heißt absolute Expansion. Sie bildet, wie gesagt, den direkten Gegensatz zur Schwere, und ich muß deshalb die Behauptung, daß Gase der Schwere unterworfen seien, entschieden zurückweisen. Daß sie schwer sind, läugne ich nicht; dies beruht aber zunächst darauf, daß sie eben nach allen Richtungen wirken, also auch da, wo man ihr Gewicht bestimmt, dann auf dem Zusammenhang aller Dinge, der die ungehinderte Ausbreitung nicht gestattet.

Zwischen den festen und den gasförmigen Körpern liegen die flüssigen. Die Flüssigkeit zeigt eine einzige ungetheilte Bewegung, welche zu bestimmen ist: als ein Auseinanderfließen im Streben nach einem idealen, außer ihr liegenden Mittelpunkte. Sie ist beschränkte Expansion oder auch modificirte Schwere.

Die verschiedenartigen Bestrebungen fester, flüssiger und gasförmiger Körper zeigen sich am deutlichsten, wenn man sie hemmt. So drückt ein Stein nur seine Unterlage, weil er nur das eine direkte Streben nach dem Mittelpunkt der Erde hat; eine Flüssigkeit dagegen drückt, so weit sie reicht, alle Theile des Gefäßes, weil sie nach |

i76 allen Richtungen wirkt, welche unterhalb ihres Spiegels liegen; ein Gas füllt schließlich einen geschlossenen Ballon völlig aus und macht ihn durchweg strotzend, weil sein Streben nach allen Richtungen drängt.

 

22.

Vergleicht man die sogenannten Aggregatzustände nach ihrer Intensität miteinander, so wird Jeder sofort die Bewegung der gasförmigen Idee als die heftigste und kraftvollste bezeichnen. Spricht man von Aufständen, Kriegen, Revolutionen, so wird man selten verfehlen, in die Rede Worte wie Sturm, Explosion, Ausbruch, einzuflechten. Seltener wird man Bilder, welche dem Wirken von Flüssigkeiten entlehnt sind, gebrauchen und von der Gewalt von Wasserfluthen, ausgetretenen Gebirgsbächen, Wolkenbrüchen, sprechen. Die Wirksamkeit fester Körper benutzt man alsdann gar nicht. Ebenso spricht man von Wuthausbrüchen, vulkanischen Eruptionen der Leidenschaft des Individuums und sagt auch: vor Wuth bersten, platzen.

Sehr sinnig vergleicht man das beharrliche Verfolgen eines einzigen Zieles mit der Schwere; die Beweglichkeit eines Charakters mit den Wellen; das Gebahren des Individualismus mit dem Dampf, und spricht von der Solidität eines Individuums im guten, von seiner Schwerfälligkeit im mäkelnden Sinne, von seiner Vielseitigkeit und Launenhaftigkeit. Die Franzosen sagen: une femme vaporeuse und die Italiener wenden oft das Wort vaporoso auf einen Charakter an, der keine bestimmten Ziele verfolgt, bald dieses, bald jenes will, und Nichts mit Ernst.

Dem Grade der Intensität nach ist also der gasförmige Zustand der erste; ihm folgt der flüssige und der am wenigsten heftige ist der feste.

 

23.

Der Aggregatzustand ist der normale eines unorganischen Körpers. Diesen normalen Zustand kann jede chemische Idee, auf äußere Veranlassung, modificiren, ohne ihn ganz zu verlieren. Der Zustand eines glühenden Eisens ist ein wesentlich anderer, als der eines Eisens von gewöhnlicher Temperatur, und doch ist das glühende Eisen aus seinem Aggregatzustande nicht herausgetreten. In dieser |

i77 Grenze ist aber seine Bewegung intensiver als vorher. Das Gleiche gilt von Flüssigkeiten und Gasen, z.B. von kochendem Wasser und comprimirter Luft.

Außer diesen normalen Zuständen und ihren Modificationen finden wir nun im unorganischen Reiche noch zwei: den positiv- und den negativ- electrischen.

Die chemische Idee im normalen Zustande ist indifferent, d.h. sie zeigt weder positive, noch negative Electricität. Wird sie jedoch in einer gewissen Weise gereizt, so verwandelt sie ihren Zustand in den positiv- oder negativ- electrischen.

Handelt es sich bei der Erregung um eine Erweiterung der Individualität, so wird die Kraft positiv- electrisch, anderenfalls negativ- electrisch, und führt man deshalb, nach meiner Ansicht, chemische Verbindungen mit Unrecht auf Affinität oder Wahlverwandtschaft zurück. Der Vorgang gleicht viel mehr einem Acte der Nothzucht, als einer liebenden Vereinigung. Die eine Individualität will eine neue Bewegung, ein anderes Leben in einem Dritten; die andere sträubt sich mit aller Macht dagegen, wird aber besiegt. Jedenfalls ist die chemische Verbindung das Produkt einer Zeugung. In dem Erzeugten leben beide Individuen fort, aber gebunden, so daß jenes ganz andere Eigenschaften zeigt. Die einfache chemische Verbindung ist ein Erzeugtes, das wiederum zeugen kann. So entstehen die Salze, und zwar ist die Base das echte zeugende Prinzip, weil sie sich immer gegen die Säure electro-positiv verhält.

Daß beim Verbinden chemischer Ideen etwas stattfindet, was wir, wäre es von Bewußtsein begleitet, Nothzucht und gewaltsames Unterwerfen, nicht gegenseitiges sehnsüchtiges Suchen nennen würden, scheint mir dadurch eine Bestätigung zu finden, daß dieselbe Kraft bald positiv-, bald negativ- electrisch wird, je nachdem sie beim Zeugen die Hauptrolle spielt. So verhält sich Schwefel im Zeugungsmomente gegen Sauerstoff positiv-, gegen Eisen negativ- electrisch. Wenn sich der Kalk der Kreide mit Salzsäure verbindet und die Kohlensäure entweicht, so darf man wohl nicht unpassend von einer Befreiung sprechen.

Berühren sich zwei Metalle und werden sie entgegengesetzt electrisch, so handelt es sich natürlich nicht um Zeugung, sondern es zeigt sich nur eine große Erregung in jedem Individuum, wie bei Hund und Katze.

i78 Daß die chemische Verbindung nur im erregten electrischen Zustand der Körper möglich ist, geht deutlich daraus hervor, daß durch Abkühlung, also Vernichtung des nöthigen Anreizes, Verbindungen verhindert werden können. Die eine Kraft erlangt nicht die Energie zum Angriff, die andere nicht die Widerstandsfähigkeit und beide bleiben deshalb indifferent.

Die Zerlegung chemischer Verbindungen durch Wärme beruht darauf, daß der äußere Anreiz ungleich auf die gebundenen Kräfte wirkt. Die unterdrückte kommt in einen erregteren und mächtigeren Zustand als die vorher stärkere und kann sich jetzt befreien. Das Gleiche findet bei der Zerlegung durch electrische Ströme statt.

Die drei Hauptmodificationen der Wahlverwandtschaft, einfache, doppelte und prädisponirende: 1) Fe + ClH = FeCl + H; 2) FeO + ClH = FeCl + HO; 3) Fe + HO + SO3= Fe. OSO3+ H, erklären sich einfach aus dem Verlangen jeder electro- positiven Kraft, eine bestimmte neue Bewegung oder Daseinsweise zu haben. Im letzteren Falle zersetzt das Eisen Wasser, weil es sich als Oxydul mit Schwefelsäure verbinden will, und die Schwefelsäure reizt es zur Zersetzung. –

Eine fernere Erweiterung der Individualität findet schließlich durch einfache Anziehung statt, d.h. das Individuum äußert Adhäsion. Die Verbindung durch Adhäsion ist das unorganische Analogon der erweiterten äußeren Sphäre des Menschen.

 

24.

Blicken wir auf den bis jetzt in der Physik abgegangenen Weg zurück, so sehen wir überall, wir mögen uns wenden wohin wir wollen, ein einziges Princip, die Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung: individuellen Willen zum Leben und seine Zustände.

Die Individuen, welche zu unserer Erfahrungswelt gehören, scheiden sich zunächst in 4 große Gruppen durch die besondere Art ihrer Bewegung.

Dann unterscheiden sie sich in den Gruppen von einander:

a. im unorganischen und Pflanzenreich, von innen, nach Analogie, erfaßt, durch größere oder kleinere Intensität des Triebs, die sich äußerlich in physikalischen Eigenschaften, resp. einer großen Mannigfaltigkeit von Formen offenbart;

i79 b. im Thierreich und beim Menschen durch größere oder kleinere Entfaltung des Willens (Willensqualitäten) und des Geistes (vorzüglich der Hülfsvermögen der Vernunft).

Sämmtliche Individuen sind in unaufhörlicher Bewegung, und jede Bewegung ruft einen bestimmten Zustand hervor. Sämmtliche Zustände sind Modificationen eines normalen Zustandes, welche der Wille aus eigener Kraft, und nur auf fremde Anregung, bewerkstelligt.

Die Glieder der Reihen:

Geschlechtsliebe – Brunst – Blühen – Positive Electricität;
Menschlicher Haß – thierischer Haß – Welken – Negative Electricität

sind nicht identisch, wohl aber sehr nahe miteinander verwandt.

 

25.

Wir haben jetzt das Leben der chemischen Ideen, dann die Zeugung und Leben und Tod der organischen zu betrachten.

Die einfachen chemischen Ideen sind, und nach allen Beobachtungen, die gemacht wurden, verändern sie weder ihr Wesen, noch können sie vernichtet werden. Dadurch aber, daß sie sich mit einander verbinden können, sind sie, wie der Materialismus sagt, in einem unaufhörlichen (nicht ewigen) Kreislauf begriffen. Verbindungen entstehen und vergehen, entstehen wieder und vergehen wieder: es ist ein endloser Wechsel.

Faßt man die Verbindungen allein in’s Auge, so kann man sehr wohl auch im unorganischen Reich von Zeugung, Leben und Tod sprechen.

Verbindet sich eine einfache chemische Idee mit einer anderen, so entsteht eine neue Idee mit eigenem Charakter. Diese neue Idee hat wiederum Zeugungskraft; sie kann mit anderen, zu denen sie in Wahlverwandtschaft steht, eine neue Idee mit eigenem Charakter bilden. Nehmen wir eine Säure, eine Base und ein Salz, etwa SO3, FeO und FeO.SO3. Das Eisenoxydul ist weder Eisen, noch Sauerstoff; die Schwefelsäure weder Schwefel, noch Sauerstoff; das schwefelsaure Eisenoxydul weder Schwefelsäure, noch Eisenoxydul; und dennoch sind die einzelnen Ideen in der Verbindung ganz enthalten. Das Salz jedoch hat keine Zeugungskraft mehr.

Im unorganischen Reich ist die Zeugung Verschmelzung, und zwar gehen die Individuen ganz im Erzeugten auf. Nur indem |

i80 sie sich vorübergehend ganz opfern, oder besser: nur indem sich das eine vorübergehend ganz opfert und das andere ganz geopfert wird, kann sich das erstere auf eine höhere Stufe schwingen, d.h. sich eine andere Bewegung geben, worauf es bei der Zeugung allein ankommt.

Das Leben der chemischen Kraft besteht im Beharren in einer bestimmten Bewegung, oder, wenn die Umstände günstig sind, in der Aeußerung des Verlangens nach einer neuen Bewegung, welchem Verlangen die That sofort folgt, wenn nicht ein stärkeres Individuum sie verhindert (wie die Berührung des Kupfers mit Eisen jenes derartig in Anspruch nimmt, daß es sich nicht mit der Kohlensäure der Luft zu kohlensaurem Kupferoxyd verbinden kann). Das Beharren wird nur durch beständige Abwehr ermöglicht, und schon hier tritt deutlich die Wahrheit hervor, daß das Leben ein Kampf ist.

Der Tod der chemischen Verbindung zeigt sich schließlich als eine Rückkehr der, in ihr gebunden gewesenen, einfachen Stoffe zur ursprünglichen Bewegung.

 

26.

Im organischen Reich ist die geschlechtliche Zeugung im Allgemeinen und die geschlechtliche Zeugung der Menschen im Besonderen die wichtigste, und wollen wir deshalb die letzteren allein betrachten.

Ein Mann und ein Weib, Jedes mit einem ganz bestimmten Charakter und einem ganz bestimmten Geiste, begatten sich. Erfolgt Befruchtung, so entsteht ein Individuum (oder mehrere) mit der Anlage zu einem bestimmten Charakter und einem bestimmten Geiste.

Daß der Same des Mannes das Ei des Weibes befruchtet, obgleich er nicht direkt in die Eierstöcke gelangen kann, ist eine Thatsache. Das Ei und der Same sind Absonderungen aus dem innersten Kerne des Individuums und enthalten seine sämmtlichen Qualitäten nachbildlich. So tritt jeder Zeugende in die Begattung, welche in der größten Erregung vor sich geht. Der Zustand nun, in dem sich jeder Zeugende befindet, bestimmt in zweiter Linie die Art der Frucht, und ist dies ein sehr wichtiges Moment; denn je nachdem das Weib oder der Mann leidenschaftlicher, fester, energievoller in der Begattung wirkt, wird das neue Individuum mehr die Individualität des Weibes oder des Mannes offenbaren. Auch ist zu beachten, daß das Weib, in großer Liebe zum Manne entbrannt, dessen Einwirkung wesentlich erhöhen wird, wie umgekehrt |

i81 der Mann, aus großer Liebe zum Weibe, der bestimmenden Thätigkeit des Weibes ein freies Spiel lassen kann.

Auf diese Weise werden Willensqualitäten der zeugenden Individuen gestärkt, geschwächt oder völlig gebunden; andere unverändert auf das Kind übertragen und zugleich dessen geistige Fähigkeiten bestimmt. Doch ist die Beschaffenheit des Keims nicht schlechthin unveränderlich; denn jetzt beginnt die Austragung im Leibe der Mutter, unter deren direktem Einflusse das neue Individuum während einer ziemlich langen Zeit steht. Was kann sich inzwischen nicht Alles ereignen! Schwerere Arbeit oder sorgsamere Pflege, Abneigung oder erhöhte Zuneigung zum Manne, geistige Anregungen, Liebe zu einem anderen Manne, Krankheit, heftigste vorübergehende Erregung oder ein anhaltender Fieberzustand durch Kriege, Revolutionen: dies Alles wird, eintretenden Falles, nicht spurlos am Embryo vorbeifließen, sondern ihn leichter oder tiefer berühren. Man darf annehmen, daß das deutsche Volk nach der französischen Gewaltherrschaft und das französische nach der großen Revolution und den Napoleon’schen Kriegen einen im Allgemeinen modificirten Charakter, jenes mehr Entschlossenheit, dieses noch mehr Unbeständigkeit, beide mehr geistige Regsamkeit erlangten, und daß dies nicht auf den Zustand der Zeugenden während der Begattung allein, sondern auch auf Einflüsse während der Schwangerschaft der Weiber zurückgeführt werden muß.

Das neue Individuum ist nichts Anderes, als eine Verjüngung der Eltern, ein Weiterleben, eine neue Bewegung derselben. Nichts kann in ihm sein, was nicht in den Eltern war, und der Dichter hat Recht, wenn er von sich sagt:

Vom Vater hab’ ich die Statur,

Des Lebens ernstes Führen;

Vom Mütterchen die Frohnatur

Und Lust zu fabuliren.

Urahnherr war der Schönsten hold,

Das spukt so hin und wieder;

Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,

Das zuckt wohl durch die Glieder.

Sind nun die Elemente nicht

Aus dem Complex zu trennen,

Was ist denn an dem ganzen Wicht

Original zu nennen?

(Goethe.)

i82 Daß in Kindern Charakterzüge, Statur, Haar- und Augenfarbe der Großeltern hie und da hervorbrechen, findet seine Erklärung darin, daß eine gebundene Willensqualität, durch günstige Umstände, wieder frei werden und sich offenbaren kann.

Diese so einfachen Verhältnisse, die nur der nicht sieht, welcher sie nicht sehen will, werden von Vielen gewaltsam zu durch und durch geheimnißvollen gemacht, so daß man mit Goethe unwillig ausrufen möchte:

Ist denn die Welt nicht schon voller Räthsel genug, daß man die einfachsten Erscheinungen auch noch zu Räthseln machen soll?

Bald soll die unbegreifliche machtvolle Gattung sich beim Zeugungsgeschäfte bethätigen, bald soll ein außerweltliches Princip die Natur des Kindes bestimmen, bald soll der Charakter des Neugeborenen total qualitätslos sein. Die oberflächlichste Beobachtung muß zur Verwerfung aller dieser Hirngespinnste und zur Erkenntniß führen, daß die Eltern in den Kindern weiterleben.

Auf der Verschiedenartigkeit der Zustände der Eltern in der Begattung, wobei auch das Alter einfließt, beruht die Verschiedenartigkeit der Kinder. Das Eine ist heftiger und aufgeweckter, das Andere sanfter und träumerischer, das Eine gescheidter, das Andere blöder, das Eine selbstsüchtiger, das Andere freigebiger. Es ist überhaupt nicht wunderbar, daß Kinder zuweilen ganz andere Eigenschaften als die Eltern zeigen, weil die Neutralisirung und Abänderung von Willensqualitäten, unter Umständen, sich sehr geltend machen können.

Betreten wir das Thier- und Pflanzenreich, so werden wir finden, daß je weiter wir gehen, desto geringer der Unterschied zwischen Kind und Eltern wird; weil der individuelle Wille immer weniger in Qualitäten auseinandertritt, die Zahl seiner Zustände immer kleiner und die Zustände selbst immer einfacher werden. Man sagt dann gewöhnlich, das Individuum habe nur noch Gattungs- Charakter, worunter zu verstehen ist, daß die Individuen einer Art alle gleich sind. Daß die Erzeugten nichts Anderes, als die verjüngten Eltern sind, zeigt sich deutlich bei einigen Insekten, welche unmittelbar nach der Begattung, resp. Ausscheidung der Gier, sterben; dann noch sehr deutlich bei den einjährigen Pflanzen und bei jenen mehrjährigen, welche nach der Samenbildung absterben.


Date: 2014-12-29; view: 530


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