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Stirnstellung Kernstelhmg 2 page


Wenn es sich um einen längeren Text handelt, ist die Spannung am Schluss des ersten Satzes gelöst, doch die Erwartung des Hörers bzw. des Lesers ist damit keinesfalls aufgehoben. Das Gefühl des Gespanntseins erstreckt sich über einen Abschnitt, wird wieder nur zum Teil gelöst, „über die Spannung eines Abschnitts wölbt sich erneut der größere Bogen der Kapitelspannung, die ihrerseits, von der Spannung überwölbt wird, die das Gesamtwerk durch­waltet" (ebenda).

Auf Ammann gehen die Termini Themaund Rhemazurück, die die Paul'chen Termini psychologisches Subjekt und Prädikat ablösten. „Stellen wir den Begriff der Mitteilung ins Zentrum des sprachlichen Geschehens, so ergibt sich ohne weiteres, daß zunächst etwas da sein muß, worauf sich die Mitteilung bezieht, und dieser Bezugsgegenstand, mag er auch die allge­meinste, unabgehobenste Form der „Situation" haben, muß dem Hörenden gegeben sein, wenn die Mitteilung für ihn Bedeutung haben soll. Sprache, als Mitteilung, setzt ein Thema voraus... Motiv des Sprechens... liegt... in dem Interesse, das ich beim Hörer für das Thema voraussetze, und in mei­nem Willen, dieses Interesse zu befriedigen" [11].

Für das Neue, das dem Hörerüber das Thema gesagt wird, schlug Am­mann den Terminus Rhemavor (griech. „Prädikat").

Boost geht auch vom Prinzip der binären Gliederung des Satzes als einer kommunikativen Einheit aus, indem, er den Satz als Spannungsfeld mit der Thema-Rhema-Strukturkennzeichnet

Das Thema definiert Boost wie folgt: „Das als Thema verwendete Satz­glied ist eine Gegebenheit, eine eindeutig auch dem Hörer bekannte Erschei­nung. Mit dem Setzen des Themas wird eine Spannung erzeugt, die im Ver­lauf des Satzes am Ende gelöst wird" [31].

Zwischen Thema und Rhema besteht ein Spannungsverhältnis „in der Weise, daß man nun wirklich erfahren will, was es mit dem Thema auf sich hat" (ebenda). Das Rhema ist die „eigentliche Mitteilung" (ebenda).

Wie Drach betrachtet auch Boost das Problem der kommunikativen Glie­derung des Satzes als ein durchaus sprachliches, und zwar ein grammati­sches Problem. Hauptanliegen seines Buches ist die Erforschung der Struk­turzüge des Satzes, die die Thema-Rhema-Gliederung ausdrücken und die Spannung im Satz erzeugen und aufrechterhalten helfen. Seine Aufmerk­samkeit gilt vor allem der Wortstellung, der Stimmführung und dem Artikel.

Die grammatische Natur der kommunikativen Gliederung des Satzes wird auch von Kraschelnitzkaja betont. Die kommunikative Satzperspektiveist nach Kruschelnitzkaja eine wesentliche Komponente der grammatischen Bedeutung des Satzes als Mitteilungsemheit. Jedes Satzglied hat im Satze außer seiner grammatischen und lexikalischen Grundbedeutung auch einen bestimmten kommunikativenWert, erscheint vom Standpunkt der kommu­nikativen Satzperspektive als das Vorgegebene oder das Neue. Der kommu­nikative Wert der Satzglieder wird durch grammatische Formmittel ausge­drückt. Die wichtigsten davon sind Stimmführung und Wortstellung. Im Deutschen stehen ihnen auch der Artikel sowie zum Teil die Genera verbi und die Hervorhebungspartikeln zur Seite [150].




Sehr aufschlussreich für die Methodik der Textanalyse aus der Sicht der kommunikativen Satzperspektive sind auch die Forschungen Kruschelnitz-kajas auf dem Gebiet der kommunikativen Struktur des Satzes.

So ist zum Beispiel zu berücksichtigen, dass neben dem Grundtyp der Sätze mit binärer kommunikativer Struktur auch Sätze vorkommen, die nach ihrem, kommunikativen Gehalt eingliedrig sind, da sie nur das Neue (das Rhema) enthalten. Dies sind vor allem Sätze, die eine Erzählung, ein Mär­chen, einen Roman einleiten;

In der staatlichen Sammlung moderner Meister in München hing im er­sten Jahr nach dem Krieg mehrere Monate hindurch im Saal VI ein großes Gemälde, vor dem sich oft Leute ansammelten. (Feuchtwanger)

Es lebte einmal ein armes Schneiderlein.

Auch im Dialog kann eine Mitteilung nur das Neue enthalten:

Sie sind angerufen worden ", sagte Frieda, das schielende Mädchen Frau Zalewskis, als ich mittags auf einen Sprung nach Hause kam, (Remarque)

Eingliedrig nicht nur nach ihrem Bau, sondern auch aus kommunikativer Sicht sind auch die Sätze: Feuer! Diebe] Dunkle Nacht u. Ä.

Zur kommunikativen Struktur des Aufforderungssatzes s. u. S. 264 ff.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass in einem längeren erweiterten Satz das Thema und das Rhema oder eines davon nicht einwortig, sondern durch ein längeres Satzsegment ausgedrückt werden. Wir haben also in solchen Fällen von der Gruppe des Themas und von der Gruppe des Rhemas im Satz zu sprechen oder von der Thema- und Rhemagruppe, wie man von der Subjekt- und Prädikatgruppe spricht. Eines der Wörter oder einige Wör­ter innerhalb solcher Gruppen sind Hauptträger des Thema- bzw. des Rhe­mawertes, also Kern der Gruppe. Vgl. nachstehenden Satz, wo der gerade Querstrich die Gruppe mit Themawert von der Gruppe mit Rhemawert trennt und der Kern jeder Gruppe mit Kursivschrift hervorgehoben ist:

Als ein wesentliches Mittel der Erkenntnis \ diente den helleren Köpfen der Epoche eine von dem Wiener Sigmund Freud gefundene listige Methode» die Seele des Menschen zu ergründen, die Psychoanalyse. (Feuchtwanger)

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass im erweiterten Satz mit verdich­tetem Informationsgehalt außer der Hauptmitteilung noch weitere zusätzli­che Mitteilungen enthalten sein können, also Uhemax (Hauptmitteilung), Rhema2, Rhema3, (zusätzliche Mitteilungen); z. B.

Die Gerechtigkeitspflege im Deutschland jener Jahre hatte zum prakti­schen Leben wenig Beziehungen, \\ gar keine zur Weltanschauung der Epo­che. (Feuchtwanger; die zusätzliche Mitteilung, Rhema2 ist durch den Dop­pelstrich hervorgehoben.)

Heine \ begann in den zwanziger Jahren mit seinen Reisebildern, \\ keck hingeworfenen Skizzen, in denen er... (Mehring; zit, nach Kruschel-nitzkaja [150].

Träger zusätzlicher Mitteilungen sind gewöhnlich reduzierte Propositio­nen im verdichteten Text, vor allem freie Appositionen, Adjektivgruppe11'


abgesonderte Partizipien und Partizipialgruppen, abgesonderte Nachträge, die eine verhältnismäßig selbstständige Stellung im Satz haben und entspre­chend ihrem Rhemawert unter eigenem Teilbogen stehen:

Er kam aus dem Abonnementskonzert der musikalischen Akademie, an­genehm erregt (Feuchtwanger)

Ich sah ihn mir genau an. Er war ein schwerer, großer Mann mit dicken Augenbrauen über einem roten Gesicht; etwas prahlerisch, etwas lärmend, und wahrscheinlich gutmütig. (Remarque)

Die Ausdracksmittel der kommunikativen Satzperspektive variieren je nach der Länge und dem Erweiterangsgrad des Satzes.

Im ergänzungslosen zweigliedrigen Satz — und nur in ihm — fallen re­gelmäßig Subjekt und Thema sowie Prädikat und Rhema zusammen. Die üblichste Wortstellung ist hier Subjekt+ Prädikat;mit ihr stimmt die neu­trale Anordnung Thema + Rhemaüberein, die der ruhigen, logisch aufge­bauten Rede eigen ist und der emphatischen Anordnung Rhema + Themagegenübersteht.

Eine Übereinstimmung von Subjekt und Prädikat mit Thema und Rhema kennzeichnet also folgende Sätze:

Die Sonne scheint. Karl ist faul. Es ist ein Glück,

Diese Verteilung des Thema- und des Rhemawertes bestätigen auch die Stimmführung (der Neuheitsdruckauf dem Prädikat bzw. auf der Prädi­katsergänzung) und die Verwendung des Artikels. Vgl.:

2 °3 U

Die Sonne scheint
2 °3U

Karl ist faul.

Bei der Emphase vertauschen das Subjekt-Thema und das Prädikat-Rhe­ma ihre Plätze, wenn das Prädikat zweiteilig ist. Der Neuheitsdruck und eventuell auch der unbestimmte Artikel beim Prädikatssubstantiv signalisie­ren ebenfalls den Rhemawert, z. Â.:

°3 IT

Karl ist nicht dumm. Faul ist er.
■ 2 °3 li

Ein Glück ist das.

Vgl, auch: Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. (Heine)

„Die Leute hungern wohl", sagte Agnes schüchtern. „Es sind ja auch

Menschen."

»Menschen? " Diederich rollte die Augen. „Der innere Feind sind siel"

(H.Mann; zur Verwendung des bestimmten Artikels s. § 60).

Auch beim zweiteiligen verbalen Prädikat (analytische Form, Modalverb + Infinitiv) sowie bei einem Verb mit trennbarem Präfix kann der zweite Teil des Prädikats bzw. das Präfix an die Satzspitze rücken, z. Â.:


Geschlafen habe ich nicht. Und wie er winkt mit dem Finger,

Heiraten soll er! Auf tut sich der weite Zwinger!

Und herein mit bedächtigem Schritt Ein Löwe tritt. (Schiller)

Ist das Subjekt Rhema, so kann es ohne Änderung der Wortstellung durch Stimmführung und den unbestimmten Artikel hervorgehoben werden. Die Anordnung Rhema + Thema verleiht dem Satz eine starke emphatische Fär­bung; z. Â.:

2 °3 U Ein Kind weint]

(in Konfliktsituation auch):

2 °3 U Das Kind weintl

Die Inversion des Subjekts mit es als formale Satzspitze findet statt, wenn der ganze Satz das Neue ist. Das Subjekt, mit dem unbestimmten Artikel versehen, ist sehr stark betont. Jung bringt folgende Beispiele:

Er war einmal ein Fischer.

Es waren zwei Königskinder (vgl: [138]). Vgl. auch:

Es brach ein Sturm aus. (Beispiel von Kruschelnitzkaja 150).

Die Herden zogen auf die Weide, und es läuteten ihre Glöckchen. (Heine)

Ein kommunikativ eingliedriger Satz wird auch durch besondere Stimm­führung gekennzeichnet. Seine rhythmisch-melodischen Merkmale sind: Ausbleiben der Zäsur zwischen den Sätzteilen und Stärkstbetonung des letzt­gestellten Satzgliedes [239].

Vgl.: 2 2 3 2 °2 U 1 3 3 °2 U

...und es läuteten ihre Glöckchen. ...und ihre Glöckchen läuteten.

Sinder und Strojewa betonen mit Recht, dass in Sätzen mit dem satzer­öffnenden es weder das Subjekt noch das Prädikat als das sinnwichtigste Wort hervorgehoben werden. Im Satz Es war einmal eine alte Frau sittd weder das Subjekt noch das Prädikat das Neue. Das satzeröffnende es ist Merkmal der kommunikativen Eingliedrigkeit des Satzes (ebenda).

Dieselben zwei Anordnungsschemen von Thema und Rhema (Thema —-Rhema und Rhema—Thema) gelten auch für den drei-bzw. mehrgliedrigen Satz. Aber mit dem Anwachsen der Gliederzahl wachsen auch die Ausdrucks­möglichkeiten der Wortstellung.

Das beginnt damit, dass bereits im dreigliedrigen Satz dem Subjekt grö­ßere Bewegungsfreiheit geboten wird. Gerade und invertierte Wortstellung werden zu den üblichen Parallelkonstruktionen und werden regelmäßig in ruhiger, logisch aufgebauter Rede zum Ausdruck der kommunikativen Satz­perspektive verwendet,


Boost modelliert die kommunikative Struktur eines neutralen (nicht em­phatischen) Satzes wie folgt:

Rhema

 

 

Thema Präd. Ende
Subj. P. t
X Subj.

[Boost 31]. Das ist:

a) Subj. P. X.

2 °3 U

Köster winkte dem Kellner. (Böll)

b) X. P. Subj.

2 °3 3 2 "2 ü

Unter unserem Küchentisch lag ein mittelgroßer Löwe, (Böll)

Es ist aber zu berücksichtigen, dass die emphatischeWortstellung nicht nur bei starker Gefühls- oder Willensäußerung, sondern auch in der Auto­rensprache literarischer Werke als Mittel der Bildhaftigkeit ziemlich häufig verwendet wird (vgl. dazu: [150]),

Sie hatte mir ein Cafe als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht, ich wusste nur, dass es ein kleines elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. (Remarque)

Ein Kellner stieß mich an. Ich ging wie betrunken weiter und blieb ste­hen. (Remarque)

Das ziemlich häufige Nebeneinander neutraler und emphatischer Anord­nung von Thema und Rhema macht die Wortstellung zu einem unzureichen­den Ausdrucksmittel der kommunikativen Satzperspektive. Es ist daher im­mer das Zusammenwirken von Wortstellung, Tonführang und Artikel im Auge zu behalten. Folgende Satzformen erscheinen also vom Standpunkt der kom­munikativen Satzperspektive als Synonyme (mit verschiedenem Grade von Emphase und Bildhaftigkeit):

°2 °3 U °3 2 U

Ich ging ahnungslos hin. Ahnungslos ging ich hin.

Dem Synonymenpaar steht der Satz mit unterschiedlicher kommunikati­ver Satzperspektive entgegen:

°3 2 U 2 °3

Ich ging aluumgslos hin. Oder auch; Ahnungslos ging ich

U hin,


Dasselbe Verhältnis von Synonymie und Opposition besteht zwischen

den Sätzen:

2 °3 U

Mich stieß ein Kellner an.

2 °3 li

Aber: Der Kellner stieß mich an.


2 °3 U

Ein Kellner stieß mich an.

2 °3 U

Oder: Der Kellner stieß mich an.


Neben der Inversion, die Boost als X P. Subj. modellierte und die beim dreigliedrigen Satz bei weitem die üblichere ist, ist auch die Inversion des Typs es P. Subj. Xoder es P. X Subj. möglich, die eine erweiterte Variante des Inversionsmodells es P. Sübj. darstellt und ebenso wie. die letztere einen kommunikativ eingliedrigen Satz kennzeichnet; z. B.

Es war einmal ein Ire in New York... (Kisch; zit. nach Kruschelnitz-kaja [150]).

Zur Rolle der Genera veibi bei der Gestaltung des Satzes hinsichtlich der kommunikativen Satzperspektive s. S. 132 ff.

Im mehrgliedrigen Satz tritt uns ein neues Problem entgegen, — das Pro­blem der mehrwortigen Thema- und Rhemagruppe.

Am einfachsten ist der Fall, wenn das Subjekt Thema des Satzes ist, wäh­rend alle anderen Satzglieder die Rhemagruppe bilden:

Die Sonne \ ging einen Frühling und einen Sommer lang unermüdlich in der Nähe des kugeligen Wasserturms auf und beim Zeigefingerturm der ka­tholischen Kirche unter. (Strittmatter)

Die geringen Leute des Ortes \ kennen mich schon und lieben mich, be­sonders die Kinder. (Goethe; die Attributgruppe an der Satzspitze ist ein Satzglied).

Die kommunikative Struktur der vorstehenden Sätze entspricht dem Mo­dell eines rahmenlosen mehrgliedrigen Satzes, wie es von Boost gegeben wird [31]:

Rhema

 

 

 

Thema Präd. Ende  
Subj. P X - xxX
X Subj.

In diesem Modell sind aber solche Fälle nicht vorgesehen, wo das Sub­jekt nicht allein, sondern in Verbindung mit einem anderen Satzglied das Thema des Satzes bildet. Es entsteht dabei eine Konfliktsituation. Einerseits müssten alle Satzglieder, die zur Themagruppe gehören, vor dem Rhema,


d, h. im Vorfeld stehen; andererseits wird das durch die obligatorische Zweit­stellung der finiten Verbalform unmöglich gemacht. Die Konfliktsituation wird zugunsten der obligatorischen Zweitstellung der finiten Verbalform ge­löst, indem die Themagruppe entzweit wird und ihre Teile beiderseits der finiten Verbalform ihren Platz finden, wobei das Subjekt auf die finite Ver-balform folgt. In den nachstehenden Beispielen ist die Themagruppe durch Kursivschrift kenntlich gemacht:

2 °3 3 2 °1 U

Unterwegs kaufte ich ein paar Nelken. (Remarque)

Vor allem aber bedurfte die neue Produktionsweise nicht mehr der Kir­che als Lehrerin und Leiterin. (Mehring; zit. nach Kruschelnitzkaja [150])

Durch die Entzweiung der Themagrappe und die Nachstellung des Sub­jekts gegenüber dem Prädikat entsteht die Homonymie folgender Satztypen mit verschiedener kommunikativer Satzperspektive (das Subjekt besetzt die dritte Stelle, das Thema bzw. die Themagruppe ist mit Kursivschrift gekenn­zeichnet):

a) Vor allem aber bedurfte die neue Produktionsweise nicht mehr der
Kirche als Lehrerin und Leiterin. (Mehring) — Das Subjekt ist ein Teil der
Themagruppe.

b) Im Deutschen Reich lebten 41,4 Prozent der Erwerbstätigen von Indu­
strie und Handwerk, von der Landwirtschaft 30,5 Prozent. (Feuchtwanger) —
Das Subjekt ist ein Teil der Rhemagmppe.

_ Das Subjekt, das zur Rhemagruppe gehört, kann entsprechend seinem Mitteilungswert verschiedene Stellen im Nachfeld besetzen.

Vgl. Zum Glück ist meiner Frau nun für längere Zeit der Ankauf von ^nützlichen Dingen unmöglich gemacht, denn wir besitzen kein Bargeld. (Böll)

Mitten in der Nacht weckte uns der Zirkusbesitzer, ein schüchterner dun­kelhaariger Mann, und fragte, ob wir... (ebenda)

Die emphatische Hervorhebung des Subjekts in Spitzenstellung findet auch im mehrgliedrigen Satz statt:

Die Straße hatte sich geleert. Ein Zug von braunen Parteitruppen stampfte laut und lachend am Laden vorbei, gefolgt von einer Menge Neugieriger. (Kellermann)

Die Anordnung der anderen versetzbaren Satzglieder innerhalb der Rhe­magruppe richtet sich im Allgemeinen nach dem Gesetz des steigenden Mit­teilungswertes, das das oben angeführte Modell K. Boosts und die Tabelle von W. Schmidt [221] veranschaulichen.

Das nachstehende weitere Modell Boosts zeigt die Besonderheiten der Anordnung der Satzglieder im Nachfeld eines mehrgliedrigen Satzes mit verbalem Rahmen [31]; sein Hauptcharakteristikum ist, dass das Satzglied


mit höchstem Mitteilungswert (Träger des Neuheitsdruckes) nicht die letzte, sondern die vorletzte Stelle im Satze innehat:


Subj.

X


X

p I________ xxX

1 Satzrand

J

Subj.


Ich habe (mir gestern vormittag in der Stadt ein Buch) gekauft. Ich will (mir morgen ein Buch) kaufen. Der Schüler trägt (ein schönes Gedicht) vor. Ich lege (ein Buch) auf den Tisch Ich lese (das Buch) nicht (vgl.: [31]).

Die Ausklammerung eines zur Rhemagruppe gehörenden Satzgliedes ist ein Mittel besonderer Hervorhebung des betreffenden Satzgliedes, ein Mittel der Steigerang seines Mitteilungswertes:

Brenten blieb skeptisch... Jedoch er wurde mitgerissen von der Begeiste­rung und Zuversicht seines Sohnes. (Bredel)

Ein Mittel der stärkeren Hervorhebung des Satzgliedes, das innerhalb der Rhemagruppe den höchsten Mitteilungswert besitzt, sind auch die Her­vorhebungspartikeln.

Die kommunikative Struktur von Aufforderungs- und Fragesätzen ist zum Unterschied von der kommunikativen Struktur des Aussagesatzes (Mittei­lungssatzes) noch so gut wie nicht erforscht. Boost widmete jedoch einige Seiten seines Buches der Thema-Rhema-Struktur des Fragesatzes.

Das Wesen des Fragesatzes aus kommunikativer Sicht sieht Boost darin, dass in ihm. die Spannung nicht gelöst wird:„Wir sind gewöhnt, den Frage­satz als selbständigen Satz anzusehen... Wenn wir die Spannungseinheit und die am Ende gewonnene Spannungsfreiheit, die Harmonie, als für einen Satz wesentlich ansehen, so wäre der Fragesatz also kein selbständiger Satz-^ und im Grunde genommen ist er es auch nicht, weil die Siimeinheit erst mit der erfolgten Antwort gegeben ist" [31].

Thema des Fragesatzes ist die „unbekannte Größe X", während das Rhe­ma das Bekannte ist:

„Wer | hat das Glas zerbrochen? Karl."

Den höchsten Mitteilungswert in der Antwort besitzt das Element, nach dem gefragt wird:

°3 1 1 U

Karl hat das Glas zerbrochen.

1 °3 1 1 U

Oder: Das Glas hat Karl zerbrochen.


Während also die Antwort die gewöhnliche kommunikative Struktur des Aussagesatzes hat: Thema(Bekanntes) — Rhema(Neues, Mitgeteiltes), hat der Fragesatz eine entgegengesetzte Struktur: Thema(unbekannte Grö­ße X) — Rhema(das Bekannte).

Die Satzfrage (Kommt erT) enthält entsprechend nur das Thema (X).

Die kommunikative Struktur des Aufforderungssatzes kann, wie uns scheint, sowohl eingliedrig (Rhema-Struktur) als auch zweigliedrig sein (The-ma-Rhema-Straktor),

Eingliedrig sowohl nach ihrem Bau als auch aus kommunikativer Sicht sind zum. Beispiel die Aufforderungssätze:

3 U 2 °3 U 2 °3 U

Komm\ Komm schwill Nichts anrährenl

Die Spitzenstellung des Verbs und die Tonführung entsprechen dem We­sen einer Aufforderung.

In einem erweiterten Aufforderangssatz richtet sich die Anordnung der Satzglieder nach dem Mitteilungswert der Satzglieder:

2 °3 U 2 °3 Ü

Hole mir schnell ein Messerl Gib mir die Zeitttngl

§ 97. Sonderformen des einfachen Satzes. Der eingliedrige Satz

Zu den Sonderformen des einfachen Satzes rechnen wir einerseits ein­gliedrige Sätze ohne finite Verbalform, andererseits verschiedene Arten von idiomatischen Sätzen. Diese zwei Sondertypen des einfachen Satzes haben die Randstellung im System deutscher Sätze und eine stilgebundene Ver­wendung gemeinsam. Sonst aber haben sie grundverschiedene Charakteri­stiken und müssen gesondert behandelt werden. In diesem Paragrafen wer­den eingliedrige Sätze ohne finite Verbalform betrachtet.

Das Hauptmerkmal des eingliedrigen Satzes ist, dass er nur einHaupt­glied hat.

Dieses Hauptglied kann weder dem Subjekt noch dem Prädikat gleichge­setzt werden. So kann zum Beispiel das Substantiv, das als Hauptglied eines eingliedrigen Satzes auftritt, je nach dem lexikalischen Gehalt des Satzes, dsr Situation und dem Kontext entweder als das Subjekt oder als ein Prädi­katsnominativ gedeutet werden. Vgl. folgende Sätze:

,ßlut\" sagte sie leise und triumphierend. (Remarque)

Gib Acht, Stufenl (Becher)

Eine Schweinemi Eine Gemeinheitl (Becher)

Der Einwortsatz Blut\ kann gedeutet werden als: a) Hier ist Blut (= Subj.) oder; b) Das ist Blut (= Prädikatsnominativ). Der Einwortsatz Stufenl kann gedeutet werden als: Hier sind Stufen (= Subj.). Die EinwortsUtze Eine


Schweinereil Eine Gemeinheit! können als: Das ist eine Schweinereil Das ist eine Gemeinheit! (= Prädikatsnominativ) gedeutet werden.

In folgendem Einwortsatz, der eine abschätzige Wertung ausdrückt, kann das Substantiv nicht nur als Subjekt, sondern auch als Objekt eines zwei­gliedrigen Satzes gedeutet werden:

„Ach, Probefahrten'", er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Pro­befahrten zeigen nichts" (Remarque)

a) Ach, Probefahrten sind Unsinn (= Subj.)",

b) Ach, wir kennen diese Probefahrten (= Obj.).'

Auch der Infinitiv des eingliedrigen Satzes kann verschieden gedeutet werden:

a) als Aufforderung (Aufstehen]) oder als Wunsch (Leben\) ■— nähert er
sich dem Imperativsatz, hat also eine gewisse Ähnlichkeit mit der prädikati­
ven Struktur;

b) als eine wertende Äußerung: In welch eine Welt bin ich geraten!
Strammstehen, nur strammstehen
(Becher; vgl. Ach, Probefahrten s. o.).
Wollten wir einen solchen Satz durch einen zweigliedrigen Satz erschließen,
so hätten wir den Infinitiv eher als Gegenstand einer einschätzenden zwei­
gliedrigen Äußerung zu betrachten.

Wir sehen also, dass das Hauptglied eines eingliedrigen Satzes ohne fini­te Verbalform an keinen festen Satzgliedwert gebunden ist und nicht als Satz­teil, sondern als Satzganzes zu betrachten ist. Es gibt in ungegliederter, glo­baler Art ganze Äußerungen wieder, die berichten, schildern, werten, auf­fordern oder warnen können.

Die Vollständigkeit der Äußerung bei ungegliederter, globaler Ausdrucks­weise unterscheidet den eingliedrigen Satz als Vollsatz von einem ellipti­schen (unvollständigen) Satz, dessen volle Form aus dem Satzzusammen­hang rekonstruiert werden kann (Wohinl Nach Hause Wohin gehen Siel Ich gehe nach Hause).

Für den eingliedrigen Satz spielt auch der Kontext eine sehr große Rolle. Zusammen mit der Stimmführung hilft er die grammatische Bedeutung des Satzes (Aussage— Frage — Aufforderung; Behauptung— Verneinung u. a.) und seinen emotioneilen Gehalt (Freude, Verwunderung, Abschätzung, Wunsch u. a.) zu erfassen. Vgl.:

„Blut!" sagte sie leise und triumphierend.

„Ruhe!" brüllte er.

»Ach, Probefährten ", er machte eine wegwerfende Handbewegung, u. a<

Kossilowa betont den gefühlsmäßigen Charakter der meisten eingliedri­gen Sätze und die ausschlaggebende Rolle der Stimmführung als Ausdrucks­mittel des Gefühlswertes des eingliedrigen Satzes für dessen Sinnvollstän­digkeit. Die Stimmführung ist eine wesentliche Komponente des Satzmo­dells, implizit ist sie auch im geschriebenen Text enthalten ([148]; ihrer Dis­sertation sind die meisten Beispiele in diesem Paragrafen entnommen).


Das Hauptglied eines eingliedrigen Satzes ist entweder ein Substantiv (seltener ein Adjektiv, ein Adverb) oder eine infinite Verbalform (Infinitiv, Partizip). Es bildet entweder einen Einwortsatz oder einen mehrwortigen, auf Grand von Subordination oder Koordination erweiterten Satz,

a) Einwortsatz:

Feuer! Diebe! Ruhe! Aufpassen! Stillgestanden!

b) durch ein subordiniertes Glied oder Gliedteil erweiterter eingliedriger
Satz:

Die Menschen am Ufer riefen, als sie des unbekannten leuchtenden Schif­fes ansichtig wurden. Ein Schiff! ein ganzes Schiff! (Becher) Flutwelle roter Fahnen. (Becher)

Nicht so laut, man hört es sonst bis auf den Balkon... (Becher) Oh, Augen schließen! (Becher)

c) durch Nebenordnung gleichartiger Hauptglieder erweiterter einglied­
riger Satz:

Laue Wärme, kühle, tiefschwarze Nacht und helles Licht. Stimmen vor­bei, Gestalten. (J.Schlaf; zit. nach Admoni [5])

Der ausgeprägte gefühlsmäßige Charakter vieler Modelle der eingliedri­gen Sätze hängt damit zusammen, dass die meisten Arten eingliedriger Sät­ze ohne finite Verbalforra dem Bereich der emotionell gefärbten (gefühls­wertigen) Alltagssprache angehören.

Eine Ausnahme bilden die sog. eingliedrigen Existenzialsätze (vgl. o.: Laue Wärme, kühle, tiefschwarze Nacht und helles Licht.), Sie werden häu­fig in der schönen Literatur in der Autorensprache als Mittel der Bildhaftig-keitbei der Schilderung von Ereignissen, Situationen und Landschaften ver­wendet. Ries kennzeichnet solche Nominalsätze als „Ausdruck künstleri­scher Absicht", als eine Sonderform, und zwar „eine Kunststilform des Sat­zes" [209].

Das Modell des Existenzialsatzes ist: SS] + Stimmführung eines Aussa­gesatzes.

Verschiedene Intonationsschemen prägen das SSi zu verschiedenen Mo­dellen eingliedriger Sätze.

So ist zum Beispiel außer dem Existenziatsatz durch gefühlsfreie, aber zugleich spezialisierte Stimmführung der sog. Identifizierungssatzgeprägt:

Draußen zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten große schwarze Flecken. „Das Blut seiner toten Frau." (Remarque)

Auch die satzartig geprägte Vorwegnahme eines Begriffes, der zum Ge­genstand eines Urteils, einer Meditation wird, ist durch eine besondere, auch aus dem geschriebenen Text abzulesende Intonation geprägt:


Date: 2016-03-03; view: 1066


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