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Drei warme Mahlzeiten pro Proband

Pilot-Projekt in Dänemark: Peilsender für Obdachlose

Von Annika Lasarzik, SPIEGEL ONLINE

Sie leben mitten auf öffentlichen Plätzen und befinden sich doch am Rand der Gesellschaft: Obdachlose in Dänemark. Mit einer Satelliten-Ortung in Odense sollen die sozialen Angebote in der Stadt noch besser auf die Bedürfnisse von Menschen, die auf der Straße leben, abgestimmt werden.

 

Im dänischen Odense tragen Wohnungslose neuerdings GPS-Peilsender. Jeder Schritt, jede Bewegung wird von den Behörden aufgezeichnet und analysiert. Totale Überwachung? Die städtische Behörde spricht von einer Hilfsmaßnahme.

Odense - Metallspitzen, die aus dem Boden ragen. Sprinkleranlagen, die öffentliche Plätze bewässern, Stahlzäune, Stinkbomben - es gibt viele Versuche, Obdachlose aus dem Bild europäischer Städte zu verdrängen. Nun nutzt eine Gemeinde in Dänemark Peilsender, um Menschen, die auf der Straße leben, zu überwachen. Die Daten gehen direkt an eine städtische Behörde, die Bewegungsabläufe und Aufenthaltsorte der Obdachlosen auswertet.

"Das Ziel ist, möglichst viel über das Leben der Obdachlosen zu erfahren - wir wollen wissen, wohin sie gehen, wann sie dort hingehen, wie lange sie bleiben", sagt der Sozialarbeiter Tom Roenning, der das Projekt in Odense initiiert hat.

Die Idee weckt Erinnerungen an düstere Zukunftsvisionen à la "1984" von George Orwell. Doch die Verantwortlichen in Odense bemühen sich, die guten Absichten hinter dem Projekt herauszustellen. Die Stadt sammle die Daten nicht, um Obdachlose aus der Öffentlichkeit zu verdrängen oder sie zu drangsalieren. Vielmehr gehe es darum, das Leben auf der Straße zu verbessern, sagt Roenning: "Indem wir die bevorzugten Plätze und den Tagesrhythmus wohnungsloser Menschen kennen, können wir unsere sozialen Hilfsangebote verbessern."

Wo in der Stadt in Zukunft Notunterkünfte, Suppenküchen oder Beratungsstellen entstehen könnten, richte sich nun nach den Gewohnheiten der Zielgruppe. Vermieden werden sollen damit "unnütze Maßnahmen, die viel Geld kosten und den Menschen doch nicht helfen", sagt Roenning.

Drei warme Mahlzeiten pro Proband

Totale Überwachung auf Schritt und Tritt - dass das Projekt auf ethische Vorbehalte stoßen könnte, war den Initiatoren bewusst. Doch die GPS-Ortung sei anonym, heißt es: Welcher Obdachlose welchen Peilsender trägt, werde nicht erfasst und eine individuelle Verfolgung der Teilnehmer sei demnach gar nicht möglich, sagt Tom Roenning. Zudem sei die Datenerfassung zeitlich begrenzt. Eine Woche lang werden die Standorte der Obdachlosen aufgezeichnet, alle sechs Monate soll die Messung wiederholt werden.

20 Personen haben am ersten Durchlauf des Projekts teilgenommen, der vor einer Woche beendet wurde. Drei feste Mahlzeiten am Tag bekamen die Teilnehmer dafür, dass sie einen Peilsender in der Tasche trugen.



Negative Reaktionen blieben bisher aus, dänische Medien berichten positiv über das Projekt. "Wir haben uns bemüht, alle Beteiligten von Anfang an über die Maßnahme zu informieren und sie einzubeziehen", sagt Roenning. Besonders die Obdachlosen hätten mit Begeisterung auf das Projekt reagiert. Die Überwachung werteten sie als Interesse für ihre Bedürfnisse, nicht als Eingriff in die Privatsphäre, sagt der Sozialarbeiter.

Ursprünglich wurden die GPS-Sender zum Schutz von Demenzkranken, die sich nicht mehr allein orientieren können, entwickelt. Dass diese Technik nun in der Obdachlosenhilfe angekommen ist, findet Roenning mit Blick auf die Stadtentwicklung logisch: "Heute sind viele Plätze in der Stadt privatisiert, Obdachlose müssen ständig ihren Schlafplatz wechseln. Vor diesem Hintergrund ist es für Sozialarbeiter schwierig, Wohnungslose zu finden und regelmäßige Hilfe zu leisten", sagt er.

 

"Ausschluss ist das falsche Signal"

Schätzungen zufolge leben heute zwischen 10.000 und 15.000 Menschenin Dänemark auf der Straße, die meisten in Kopenhagen. In Odense sind ein Prozent der 187.000 Bewohner ohne eigenen Wohnsitz, die meisten von ihnen sind bereits in städtischen Unterkünften untergebracht. Laut einer Studie des Danish National Centre for Social Research haben sich die Obdachlosenzahlen in Odense von 2009 bis 2013 halbiert - Experten loben die städtischen Behörden für die schnelle Vermittlung in Privatwohnungen und die gute Sozialberatung für Obdachlose.

Nun hat eine öffentliche Debatte über den Umgang mit Obdachlosen in Dänemark begonnen. Die Behörden in Odense setzen auf Verständigung und Integration - und stellen sich damit gegen den Trend zur Verdrängung von Obdachlosen, der in vielen europäischen Städten zu beobachten ist. In Madridetwa sollen 4000 Busstationen so umgebaut werden, dass Obdachlose nicht mehr auf den Sitzbänken schlafen können. In der Stadt, die von der Finanzkrise hart getroffen wurde und in der viele soziale Einrichtungen schließen mussten, löste die Maßnahme Empörung aus.

Tom Roenning beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. "Ausschluss ist das falsche Signal", sagt er. "So werden obdachlose Menschen niemals wieder in die Gesellschaft integriert." Wer helfen wolle, müsse das Leben der Obdachlosen zunächst verstehen - und dann zentrale Hilfsangebote schaffen, anstatt soziale Probleme aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen. Die Satelliten-Überwachung in Odense soll nun dabei helfen.

Im Dezember werden wieder Peilsender an Obdachlose in der Stadt verteilt - ein Einsatz der GPS-Ortung in anderen dänischen Städten ist bisher noch nicht geplant.

 

 


Date: 2016-01-14; view: 934


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