Uuml;BERSETZUNGSTHEORETISCHE ANSÄTZE IM MITTELALTER
Vom Altertum bis ins Mittelalter ermöglichte die Arbeit von Übersetzern den Wissenstransfer zwischen den Zivilisationen. Einige Städte treten dabei als Zentren außerordentlicher übersetzerischer Tätigkeit hervor. Um 300 v. Chr. war die ägyptische Stadt Alexandria ein Ort des Austauschs zwischen Europa, dem Mittleren Osten und Indien, aber auch ein Zentrum der Hellenistik, in dem die Übersetzung eine wichtige Rolle spielte. Im 9. und 10. Jahrhundert übersetzten Gelehrte in Bagdad die wissenschaftlichen und philosophischen Werke der griechischen Antike ins Arabische, die Sprache des jungen islamischen Reichs.
Im 12. Jahrhundert wurden diese arabischen Übersetzungen in Toledo ins Lateinische übersetzt. Der Begriff „Schule von Toledo" steht für die Blütezeit der Übersetzung im Spanien des 12. und 13. Jahrhunderts. Im Zentrum des Interesses standen die philosophischen und wissenschaftlichen Errungenschaften der griechischen und arabischen Welt, insbesondere in den Bereichen Medizin, Mathematik, Astronomie und Astrologie.
Das damalige Europa war arm an wissenschaftlichen und philosophischen Werken. Im 12. Jahrhundert versuchten Übersetzer unter der Schirmherrschaft der Kirche die lateinische Kultur mit fremdem Wissen zu bereichern. Mit diesem Schatz an Wissen als Fundament begannen sie schließlich im 13. Jahrhundert unter dem Patronat Königs Alfonso X. mit dem Aufbau einer spanischen Kultur.
Der sogenannten "Schule von Toledo" kam beim Transfer wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnisse ins mittelalterliche Europa eine wichtige Rolle zu. Es steht außer Zweifel, dass die Übersetzer Toledos den westlichen Wissensstand grundlegend verändert haben. Die dank Averros' und Avicennas Kommentaren eingeleitete Wiederentdeckung von Aristoteles führte in den neugegründeten Universitäten zu einem intellektuellen Aufschwung. Der Transfer bedeutender Werke arabischen Ursprungs nach Europa hatte eine Erweiterung des Wissens und die Herausbildung eines umfassenderen Weltbildes zur Folge.
In diesem Zeitraum erschließt sich die deutsche Sprache, im Neben- und Miteinander mit dem Latein, neue und zugleich immer speziellere Anwendungsbereiche, bis sich im 14. und 15. Jahrhundert eine Prosa- und Fachprosaliteratur herausbildet, in der das Deutsche als Schriftsprache die Stufe eines alle Lebens- und Sachbereiche abdeckenden Kommunikationssystems erreicht. Bei dieser Entwicklung spielt die Übersetzung bzw. die bearbeitende und aneignende Auseinandersetzung mit fremden Vorlagen, Quellen und Stoffen (in erster Linie lateinischen und französischen) eine hervorragende Rolle. Die wachsenden volkssprachlichen Kommunikationsbedürfnisse, die sich im ständigen Anschwellen der Übersetzungsproduktion manifestieren, treiben Erweiterung und Differenzierung des Begriffs- und Wortinventars und der Syntax des Deutschen voran. Erweiterung und Differenzierung spielen sich dabei im Wesentlichen auf der Ebene der Sprachnormab: Nach 400 Jahren althochdeutscher Sprach- und Übersetzungsarbeit verfügt das Deutsche über die Möglichkeiten, die zur Wiedergabe lateinischer Konstruktionen und Inhalte notwendig sind. Man vergegenwärtige sich den Sachverhalt, dass es Albrecht von Halberstadt um 1210 unternimmt, ein Werk wie Ovids „Metamorphosen" zu übersetzen. Mittelhochdeutsche Thomas-Übersetzung und Meister Eckharts deutsche Werke zeigen eindrücklich, dass die Volkssprache, zur Schriftsprache geworden, zur Wiedergabe schwierigster theologischer und philosophischer Argumentation fähig ist.
Was wir in mittel- und frühneuhochdeutscher Zeit beobachten können, ist der kultur-, literatur- und sprachgeschichtlich so bedeutungsvolle Vorgang der allmählichen Ausgliederung des Deutschen aus der lateinisch geprägten Schriftkultur. Übersetzungen und Bearbeitungen stehen am Anfang dieses Prozesses; sie sind zugleich Mittel der Weiterführung des Zusammenhangs von lateinischer und deutscher Kultur.
Frühneuhochdeutsche Zeit (Mitte 14.- Mitte 17. Jahrhundert)
In dieser Epoche beschleunigt sich der Prozess der Ablösung des Lateins als Schriftsprache durch das Deutsche. Dass sich vor dem Hintergrund der Existenz verschiedener Schreibsprachen eine deutsche Schriftsprache etabliert, deren Verbindlichkeit sich immer mehr durchsetzt, ist in entscheidender Weise mit der Sprachleistung Martin Luthers verknüpft, die wesentlich Übersetzungsleislung ist. Neben den besonderen Gründen der historischen und ökonomischen Situation des Reformationszeitalters, zu denen auch die durch den Buchdruck ermöglichte Massenverbreitung der Luther-Schriften gehört, hängt die Breitenwirkung der Sprache von Luthers Bibelübersetzung unmittelbar mit seinem Übersetzungsprinzip des Verdeutschens zusammen.