Der Problem- und Aufgabenkreis der historischen und modernen Wörterbuchpraxis kann folgenderweise umrissen werden (s. Drosdowski, Henne, Wiegand, 1977):
1. Am Anfang jeder Wörterbuchpraxis steht die Aufgabe der Begründungdes Wortschatzes.
2. Der Begründung des Wortschatzes folgt die Auswahl des Wortschatzes(îòáîð ñëîâíèêà). Für die Gegenwart muss es vor allem darum gehen, das jetzige wissenschaftliche Zeitalter sprachlich zu begreifen (die Fachsprachen und -terminologien in deren Bindung an die Gemeinsprache).
3. Die Entscheidung über die Anordnung(ðàçìåùåíèå) der Wörter. Die Geschichte zeigt, dass alphabetisches und synonymisches Wörterbuch zwei Naturmuster der Spracherfassung sind. Die Aufgabe für die Gegenwart liegt darin, integrierte Wörterbücher zu schaffen.
4. Die Bedeutungserklärung(òîëêîâàíèå çíà÷åíèé). Die Geschichte der Wörterbücher lehrt, für variable Erklärungsmuster einzutreten. Die Erklärungen der Wörter müssen der Funktion der Wörter in Texten Rechnung tragen.
5. Die grammatischen Angaben.Sie bestimmen die Wörter in syntagmatischer Hinsicht. Traditionell sind die Angaben zu Genus, Kasus, Rektion. Die Fortschritte hat hier die Verbvalenzlexikografie erreicht.
6. Die Textbelege.Sie zeigen die aktualisierte Syntagmatik des Wortes. Die Authentizität der Texte soll die semantische Interpretation der Wörter erleichtern und vervollständigen.
7. Wichtig ist auch das so genannte Idealbild eines Benutzers, das der oder die Wörterbuchverfasser entwerfen. Es musste ein Benutzerprofilerstellt werden, das durch eine Typologie von Kommunikationssituationen bestimmt wird.
In den letzten Jahren entstanden viele Projekte in der Lexikografie mit dem Ziel, den Wortschatz als ein System mit innerer Vernetzung seiner Elemente zu erfassen. Eines davon ist das Projekt der deutschen Lexikografen unter Leitung von E. Ag r i ñ o l a. 1987 legten sie ihre „Studien zu einem Komplexwörterbuch der lexikalischen Mikro-, Medio- und Makrostrukturen („Komplexikon“)“ vor (Studien..., 1987). Es stützt sich auf Möglichkeiten unseres Sprachbewusstseins,Wortschatzeinheiten zu speichern und will auch außer den üblichen semantisch-stilistischen Informationen zum Einzelwort die Komplexität der semantischen Beziehungen berücksichtigen.
Dieses Komplexlexikon wird auf Kernkonzepten und l e x i k alisch-semantischen Feldern aufgebaut. Der Kategorie der Kernkonzepte (übernommen aus der Psychologie) entspricht ein Hyperonym von mittlerem Abstraktions- und Verallgemeinerungsgrad. Ein „semantisches Feld“ besteht aus einer Menge bedeutungsnaher Lexembedeutungen. Der Entwurf des Eintrags (çàïèñü) von „reinigen“ sieht folgenderweise aus (zit. nach: Schippan, 2002, 61 — 62):
LSF l (lexikalisch-semantisches Feld): Reinigen von Objekten unter Verwendung von Wasser (und Reinigungsmitteln)
Teilfeld 1.1.: Reinigen von Personen (x bewirkt, dass ó sauber wird, wobei x — Person, ó — Person, Körperteil): waschen, baden, duschen
Teilfeld 1.2.: Reinigen von unbelebten Gegenständen
y — großflächige Gegenstände (Fußboden, Treppe): wischen, scheuern, aufwischen.
Es sollen hier paradigmatische Beziehungen (Hyperonymie—Hyponymie-Relationen, Synonymität, Antonymierelationen usw.), die Relationen zwischen LSF und die syntagmatischen Relationen (= Kombinierbarkeit) explizit angegeben werde (s. Schippan, 2002, 62).