XI. Das Unbewußte und das Bewußtsein in ihrem Werth für das menschliche Leben.
In diesem Abschnitt geben Sie eine Veränderung des Charakters durch das Bewußtsein zu, was Sie auf Seite 237 so energisch in Abrede stellten, welchen Widerspruch ich einfach constatire.
Sie warnen ferner vor zu viel Bewußtsein,
damit die Menschheit nicht in ein vorzeitiges Greisenalter eintrete.
(370.)
Im Abschnitt: »Das Unbewußte in der Geschichte«, haben Sie auf einer falschen Grundlage (existirende einfache Einheit in der Welt, Vorsehung) im Ganzen genommen recht gesunde und richtige Ansichten bezüglich eines einheitlichen nothwendigen Entwicklungsgangs der Menschheit ausgesprochen. Aus einem solchen nothwendigen, unabänderlichen Verlauf fließt aber ganz von selbst, daß |
ii595 Nichts geschieht, was nicht geschehen soll, daß also auch die Menschheit nicht früher und nicht später in das Greisenalter eintreten kann als beschlossen ist, ob sich auch Millionen Prophetinnen wie Cassandra oder Millionen Philosophen Ihrer Prägung der Menschheit entgegenwürfen und sie beschwüren, einzuhalten oder umzukehren. Ihre Warnung widerspricht also der von Ihnen gelehrten All-Weisheit des Unbewußten, was ich ebenfalls constatire.
*[1]Im Grunde genommen dürfte man auch nicht von einem unbewußten Willen sprechen, weil nur ein bewußter Wille Wille schlechthin ist. Man sollte deshalb, getragen vom Geiste der kritischen Philosophie, immer für unbewußten Willen schlechthin das Unbewußte oder besser das individuelle Unbewußte setzen, das im Menschen mit Dämon, im Thiere mit Instinkt zu bezeichnen ist. Dieses individuelle Unbewußte ist ferner, im Lichte des Bewußtseins, Wille zum Tode. – Die Pietät gegen Schopenhauer verlangt jedoch, daß man diese einzige Ausnahme mache, d.h. auch von einem unbewußten Willen spreche. Es wäre ein Ausdruck, der neben anderen unrichtigen, jedoch vom Sprachgebrauch geheiligten, wie »schöne Seele«, »erhabenes Objekt« u.s.w. stände, welche sämmtlich harmlos sind, wenn man den wahren Sachverhalt nicht aus den Augen verliert.
IV. Metaphysik.
ii595u
C. Metaphysik des Unbewußten.
I. Die Unterschiede von bewußter und unbewußter Geistesthätigkeit und die Einheit von Wille und Vorstellung im Unbewußten.
Diese Ueberschrift kritisirt sich von selbst und füge ich nur hinzu, daß der individuelle unbewußte Wille (Dämon) und die bewußte Geistesthätigkeit zwei getrennte Principien sind, – obgleich die letztere sekundär und abhängig ist, – welche nur cooperiren und nicht identisch sind. Der Geist ist Function eines Organs des Dämons, ein Bewegungsfactor – nichts weiter. Sie sind ein Identitäts- Confusionarius – nichts weiter, und Schelling erscheint neben Ihnen wie ein Zwerg neben einem Riesen. Sie gießen Alles, das Heterogenste und Homogenste, »in Einen Brei« (Schopenhauer), werfen Alles in die Nacht des Unbewußten, was selbstverständlich das bequemste Philosophiren ist. Aber ungestraft können Sie es nicht thun. Zu Ihren Gewissensbissen, zu Ihrer brennenden Reue muß die Scham über das Brandmal treten: »Unredliche Methode«, welches die redlichen Wahrheitsfreunde Ihrer Philosophie aufdrücken mußten.
1. Grundsatz des Abschnitts.
Das Unbewußte erkrankt nicht, aber die bewußte Geistesthätigkeit kann erkranken.
(373.)
Das Unbewußte, wovon Sie hier sprechen, muß auf den Dämon eingeschränkt werden.
2. Grundsatz.
Das Unbewußte ermüdet nicht, aber jede bewußte Geistesthätigkeit ermüdet.
(ib.)
ii596 Hier muß dieselbe Einschränkung stattfinden; ferner darf unter Ermüdung der Geistesthätigkeit nicht Aufhören der bewußten Geistesthätigkeit verstanden werden: der Geist functionirt immer, so lange der Mensch lebt und zwar immer bewußt; aber bald schwächer, bald stärker, bald im wachen, bald im betäubten Zustande, wie ich oben auseinandergesetzt habe.
3. Grundsatz.
Alle bewußte Vorstellung hat die Form der Sinnlichkeit, das unbewußte Denken kann nur von unsinnlicher Art sein.
(374.)
An diesen Grundsatz knüpfen Sie folgende Erklärung:
Da das Bewußtsein schlechterdings gar nichts vorstellen kann, es sei denn in Form der Sinnlichkeit, so folgt, daß das Bewußtsein nun und nimmermehr sich eine direkte Vorstellung machen kann von der Art und Weise, wie die unbewußte Vorstellung vorgestellt wird; es kann nur negativ wissen, daß jene auf keine Weise vorgestellt wird, von der es sich eine Vorstellung machen kann. Höchstens kann man noch die sehr wahrscheinliche Vermuthung äußern, daß in der unbewußten Vorstellung die Dinge vorgestellt werden, wie sie an sich sind.
(375.)
Herr von Hartmann! Mit dieser Stelle, die Sie dem geduldigen Papier aufbürdeten, haben Sie dem Philosophen in Ihnen das Todesurtheil gefällt. Das Unbewußte in Ihnen muß doch außerordentlich unbewußt sein, sonst hätte es Sie in einer mystischen Aufwallung vom Abgrund zurückreißen müssen.
Welche Dreistigkeit und zugleich welche Schmach! Nachdem alle bisherigen Capitel Ihres Werks auf dem Grunde der Vorstellung, welche doch ein ganz bestimmter Begriff ist, aufgebaut worden sind, erklären Sie mit einem Male: die unbewußte Vorstellung sei toto genere von der bewußten verschieden! Aber dadurch werden ja sämmtliche Resultate der vorhergehenden Capitel hinfällig. Sehen Sie denn Dieses nicht ein? Es ist so klar wie Sonnenlicht. Es ist dasselbe, als ob ich die herrlichsten Gebäude, Brücken mit weiten Bogen u.s.w. auf der Tragkraft des Eisens berechnete, auch Jeden von der Ausführbarkeit auf Grund des Eisens überzeugte, und dann mit einem Male sagte: Ja, Eisen |
ii597 werde ich aber nicht verwenden, sondern – Etwas, was in der ganzen Natur nicht vorkommt, was aber doch wie Eisen trägt.
Was soll man zu einer solchen philosophischen Taschenspielerkunst, zu einer solchen Narrethei sagen? Das Mildeste wäre: Ihnen zu rathen, Locke’s »Untersuchung über den menschlichen Verstand« fünf Jahre lang unausgesetzt, Wort für Wort, zu studieren, damit Sie endlich einsähen, daß man einen bestimmten Begriff nur dann in einem anderen als dem gewöhnlichen Sinne gebrauchen darf, wenn man seinem neuen Inhalt eine ganz präcise, klare Fassung gegeben hat.
Weder ist ein Gedanke, noch ein Gefühl eine Vorstellung. Eine Vorstellung ist im Munde des Volks ein realer Gegenstand, ein Objekt, das Bild eines Dinges an sich. In philosophischer Sprache ist eine Vorstellung: ein Ding an sich, welches in die subjektiven Formen Raum und Materie (Substanz) eingegangen ist.
Eine unbewußte Vorstellung ist und bleibt eine contradictio in adjecto: silbernes Gold.
Hier ernten Sie den Wind, den Sie in der Erkenntnißtheorie gesäet haben, als Sturm. Eine Vorstellung ist ohne Bewußtsein gar Nichts. Was einer Vorstellung, einem Objekt, zu Grunde liegt, d.h. das vom Subjekt Unabhängige in ihr, ist eben das Ding an sich. Diesem Ding an sich entspricht überall der Wille, und zwar der individuelle Wille, dessen einziges Prädicat die Bewegung ist. Diese ist auch vorhanden ohne ein erkennendes Subjekt.
Wollen wir uns faßlich machen, was unsere Gedanken, Gefühle, Vorstellungen ohne das Bewußtsein wären, so müssen wir gleichfalls zu diesem einzigen Prädicat unsere Zuflucht nehmen. Sie sind Bewegungen des Gehirns. Man kann also nur von unbewußten Bewegungen des Gehirns, nie darf man von unbewußten Vorstellungen, Gedanken, Gefühlen sprechen. Eine bewußte Vorstellung ist, wie ich Ihnen sattsam bewiesen habe, eine Tautologie. Jede Vorstellung ist eo ipso eine bewußte Vorstellung. Ist sie nicht bewußt, so büßt sie den Charakter einer Vorstellung vollständig ein, wie ein Objekt ohne ein Subjekt den Charakter eines Objekts einbüßt, und es verbleibt nur Das, was dem Ding an sich wesentlich ist: innere Vibration, innere Schwingung, Entwicklung, Bewegung.
ii598 Sie dagegen werfen Alles in Einen Topf: Objektives, Subjektives, Ding-an-sich- Eigenthümliches. Aber, wie ich schon sagte, Ihre Philosophie trägt eben deshalb auch durchweg das Gepräge der Vieldeutigkeit, Oberflächlichkeit, Verworrenheit, Unbestimmtheit: sie ist ein »Brei«, ein Kauderwälsch; sie ist nebelhaft, verschwommen, das reine Chaos in der Nacht des Unbewußten. Sie sind auf dem Gebiete der Philosophie ein Taschenspieler, ein Gaukler, ein Jongleur, eine männliche Louise Lateau, eine männliche Madame de Guion.
Ich hatte oben noch für möglich gehalten, daß ich mich, im Fortgang der Kritik Ihres trüben Gedankenschaums, ärgern und zornig werden könnte; dies ist aber nicht mehr möglich. Das Wort Schopenhauer’s ist mir vor wenigen Minuten eingefallen:
Wenn die Absurditäten eines Gesprächs, welches wir anzuhören im Falle sind, anfangen uns zu ärgern, müssen wir uns denken, es wäre eine Komödienscene zwischen zwei Narren, Probatum est.
(Parerga I. 493.)
So denke ich denn von jetzt ab mutatis mutandis: Sie recitirten auf einer Bühne (Scene: Zimmer in einem Tollhause) geistreiche Monologe und ich säße mutterseelenallein im Parquet.
Ich bitte Sie, Herr von Hartmann, weiter zu declamiren.
4. Grundsatz.
Das Unbewußte schwankt und zweifelt nicht ... Das Denken des Unbewußten ist zeitlos.
(375. 376.)
»Das Denken des Unbewußten ist zeitlos!« – Sie reden hier von Etwas,
von dessen Dasein man erwiesenstermaßen keine Kenntniß und von dessen Wesen man gar keinen Begriff hat.
wie Schopenhauer sagt (Parerga I. 202). Er fügt hinzu: es lasse sich nichts Unphilosophischeres denken als ein solches Verfahren. Ich halte Ihnen diesen Spiegel unseres Meisters vor, und vor dem Bilde, das Sie darin erblicken, werden Sie zurückschrecken.
5. Grundsatz.
Das Unbewußte irrt nicht.
Die vermeintlichen (!) Irrthümer des Instinkts lassen sich auf folgende vier Fälle zurückführen:
ii599 a) Wo gar kein besonderer Instinkt existirt, sondern bloß eine Organisation, welche durch eine besondere Stärke gewisser Muskeln den allgemeinen Bewegungstrieb vorzugsweise auf diese Muskeln hinlenkt. So z.B. das unzweckmäßige Stoßen junger Rinder, die noch keine Hörner haben.
b) Wo der Instinkt durch naturwidrige Gewohnheit ertödtet ist, ein Fall, der vielfach beim Menschen und seinen Hausthieren eintritt.
c) Wo der Instinkt aus zufälligen (!!) Gründen nicht functionirt, z.B. wenn ein Thier seinen natürlichen Feind nicht scheut und ihm dadurch zum Opfer fällt.
d) Wo der Instinkt zwar auf die bewußte Vorstellung, auf welche er functioniren soll, richtig functionirt, aber diese bewußte Vorstellung einen Irrthum enthält; wenn z.B. eine Henne auf einem untergelegten eirunden Stück Kreide brütet.
(377. 378.)
Sie nannten den Instinkt ein unfehlbares Hellsehen. Sehen Sie denn nicht, daß die von Ihnen angeführten vermeintlichen (!) Irrthümer Ihre ganze Theorie des Instinkts vernichten? Entweder ist der Instinkt ein unfehlbares Hellsehen oder er ist einfacher Faktor einer cooperativen Thätigkeit: non datur tertium. Im letzteren Falle sind die von Ihnen angeführten Irrthümer ganz natürliche und sehr leicht erklärliche Vorfälle, im ersteren Falle dagegen wird die von Ihnen aufgestellte Regel durch die massenhaften Ausnahmen einfach erwürgt.
6. Grundsatz.
Das Bewußtsein erhält seinen Werth erst durch das Gedächtniß .... Dem Unbewußten dagegen können wir kein Gedächtniß zuschreiben.
(379.)
Das Unbewußte ist hier gleichfalls auf den unbewußten Dämon, resp. auf den Instinkt der Thiere einzuschränken.
7. Grundsatz.
Im Unbewußten ist Wille und Vorstellung in untrennbarer Einheit verbunden, es kann Nichts gewollt werden, was nicht vorgestellt wird, und Nichts vorgestellt werden, was nicht gewollt wird. Im Bewußtsein da|gegen
ii600 kann zwar auch Nichts gewollt werden, was nicht vorgestellt wird, aber es kann Etwas vorgestellt werden, ohne daß es gewollt würde: das Bewußtsein ist die Möglichkeit der Emancipation des Intellektes vom Willen.
(380.)
Diesen Unsinn habe ich bereits oben kritisirt.
II. Gehirn und Ganglien als Bedingung des thierischen Bewußtseins.
Das Gehirn hat für die organischen Functionen des körperlichen Lebens keine unmittelbare Bedeutung.
(389.)
Was soll ich hierzu sagen? Wissen Sie wirklich nicht, daß die Athmung vom Gehirn abhängt? So lesen Sie doch Bichat’s unsterbliches Buch: Sur la vie et la mort, das nie veralten wird.
III. Die Entstehung des Bewußtseins.
Ich bitte Sie, sich zu erinnern, daß wir dieses Capitel bereits abgehandelt haben. Ich habe durchaus kein Verlangen darnach, Ihre deßbezügliche Weisheit nochmals anzuhören.
Sie wollen meine Bitte nicht beachten? Sie wollen doch reden? Nun denn, es sei!
Der Wille selbst kann niemals bewußt werden.
(410.)
Si tacuisses ... O hätten Sie geschwiegen! Merken Sie sich meine Entgegnung: der Wille ist im wachen Zustand immer in einem seiner Organe (Gehirn) bewußt; er ist es auch im betäubten Zustande, aber das Gedächtniß ist alsdann zu schwach, um die Continuität des Bewußtseins fest zu halten.
Da der Wille an und für sich unter allen Umständen unbewußt ist, so ist nunmehr auch begreiflich, daß zu dem Bewußtwerden der Lust oder Unlust sich der Wille selbst ganz gleich verhält, sei es nun, daß er mit einer bewußten oder einer unbewußten Vorstellung verbunden ist.
(416.)
Risum teneatis amici! – Lacht nicht, Freunde.
Ich bin nicht grausam, Herr von Hartmann; aber ich wünsche von Herzen, daß Ihnen ein Mandarine aus dem himmlischen Reiche einmal eine tüchtige Bastonnade auf irgend einen Theil Ihres Körpers (Ihren bedeutenden Kopf ausgenommen) verabreichen ließe und daß ich sehen könnte, wie sich Ihr unbewußter Wille schon nach dem ersten Streich geberdete.
ii601 Der Wille, welcher in seinem Wesen der Vorstellung völlig heterogen ist.
(417.)
Ihr alter Irrthum, Herr von Hartmann. Er ist auch einer der großen Irrthümer Schopenhauer’s, der indessen, wie Ihnen bekannt ist, seine Ansicht widerrief und lehrte: das Gehirn sei der Wille zu erkennen, wie die Genitalien der Wille zu zeugen u.s.w. Magna est vis veritatis et praevalebit.
Je klarer bei demselben Individuum das gegenständliche Bewußtsein wird, desto mehr verschwindet das Selbstbewußtsein.
(422.)
Ein palpablerer Irrthum ist nicht möglich. Die Klarheit des Selbstbewußtseins steigt in geradem Verhältniß mit der Klarheit des gegenständlichen Bewußtseins. Auch hier sind Sie Nachtreter des irrenden Schopenhauer, der in seiner Aesthetik die mystische Identificirung des contemplativen Subjekts mit dem deutlich, seiner Idee nach, erkannten Objekt lehrte. Gehen Sie, Sie Nachtreterchen im Schlimmen!
Das Bewußtsein läßt seinen Inhalt ganz unbestimmt, es verlangt nur einen Inhalt überhaupt, wenn es zur Erscheinung, zur Wirklichkeit kommen soll; seinem Begriffe nach aber ist es bloße Form.
(423.)
Hier bitte ich Sie nur, zu merken, daß also Ihrer Lehre gemäß auch das Bewußtsein eine absolut leere Form ist. Wir haben mithin bereits zwei absolut leere Formen:
1) den Willen
2) das Bewußtsein.
Ich werde später hierauf zurückkommen.
IV. Das Unbewußte und das Bewußtsein im Pflanzenreich.
Wir müssen hier auf das schon mehrfach zurückgewiesene Vorurtheil zurückkommen, als ob die Nerven die conditio sine qua non der Empfindung wären.
(456.)
Zur Bekräftigung dieser Zurückweisung führen Sie schmerzhaftes junges Fleisch an, das doch keine Nerven habe. Ganz mit Unrecht. Der Zustand des jungen Fleisches beruht auf seinem inneren Leben, also auf Schwingungen, auf Bewegung. Diese Schwingungen theilen sich den umliegenden Nerven mit, und diese schwingen dann in einer Weise, welche wir als Schmerz empfinden. |
ii602 Ohne diese Nerven hätten wir keinen Schmerz. Die Nerven sind und bleiben conditio sine qua non der Empfindung.
Es wird nach dem Vorhergehenden nicht mehr befremden, wenn wir den Pflanzen eine Empfindung (und selbstverständlich (!) bewußte (!!) Empfindung) von den Reizen beilegen, auf welche sie, sei es nun reflectorisch oder instinktiv, reagiren.
(460.)
Ich erlaube mir, trotz Ihrer geistvollen Auseinandersetzung, sehr, sehr erstaunt und befremdet zu sein. Die Pflanzen haben lediglich Bewegung, inneren Trieb, blinden Trieb, sind reiner unbewußter Wille zum Tode, der auf äußere Reize reagirt. Das, was wir »Empfindung« nennen, ist ihnen unter allen Umständen abzusprechen.
V. Die Materie als Wille und Vorstellung.
Ich habe Ihnen schon oben nachgewiesen, daß Sie ein Cartesianer, ein Leibnizianer u.s.w., d.h. ein Romantiker sind. Sie verehren Spinoza’s Philosophie so sehr und preisen dieselbe unablässig; warum ließen Sie sich aber nicht von ihr belehren, daß
mens et corpus una eademque res sit, quae jam sub cogitationis, jam sub extensionis attributo concipitur?
Die Antwort hierauf ist: Weil Sie eben nur für das Falsche Ihrer großen Vorbilder einen unfehlbaren unbewußten Instinkt haben.
Ich habe Ihnen ferner gezeigt, daß die Materie nicht nur ideal, sondern sogar apriorisch sei und zum Wesen des Dinges an sich gar nicht gehöre: sie ist toto genere von demselben verschieden. Ich könnte mithin den Gegenstand fallen lassen; aber der falsche Weg der modernen Naturwissenschaften zwingt mich, ausführlicher zu sein.
Ich fordere also zunächst an diesem Ort mit geradezu feierlichem Ernste alle redlichen Naturforscher auf: endlich von der frevelhaften Uebertragung idealer Erkenntnißformen und ihres Wesens auf das Ding an sich abzulassen. Eine Ergründung der Natur ist nur möglich, wenn man mit dem Zauberstabe des individuellen, sich bewegenden Willens, den jeder Mensch in seiner Brust als unmittelbar Gegebenes findet, an die Natur herantritt. Man darf weder die Unendlichkeit subjektiver Functionen und Formen, noch die unendliche Theilbarkeit |
ii603 des Raumes und der Zeit, noch das dieser unendlichen Theilbarkeit widersprechende Atom, noch die unterschiedslose Einheit der idealen Substanz, kurz, Nichts, was aus der Natur idealer Formen fließt, auf das Ding an sich übertragen, das toto genere von allem Subjektiven verschieden ist. Das Ding an sich ist lediglich Trieb und zwar von einer ganz bestimmten Intensität: Nichts Anderes giebt es auf dem Gebiete des Dinges an sich.
Ferner: die physikalischen Naturkräfte, wie Schwere, Undurchdringlichkeit, Elasticität, Wärme, Licht, Electricität, Magnetismus u.s.w. sind keine unabhängig von den Dingen existirenden metaphysischen Wesenheiten, sondern lediglich Erscheinungen des individuellen Willens: entweder gehören sie zum Individuum an sich, oder sie sind Modificationen eines normalen Zustandes des Individuums.
Wenn man einen chemisch homogenen Körper, z.B. kohlensauren Kalk, sich fortgesetzt getheilt denkt, so kommt man an Theile von gewisser Größe, die sich nicht mehr theilen lassen, wenn sie kohlensaurer Kalk bleiben sollen; gelingt es, sie zu spalten, so erhält man als Trennstücke einen Theil Kohlensäure und einen Theil Kalk. Diese kleinsten Theile eines Körpers nennt man Molecüle.
(465.)
Ganz abgesehen davon, daß der kohlensaure Kalk durch und durch kohlensaurer Kalk ist, also in der Theilung nie, nie die Kohlensäure vom Kalk getrennt werden könnte, so ist die Stelle schon deshalb ganz widersinnig, weil man fragen kann: Warum theilen Sie die einzelnen Trennstücke nicht weiter? also das Trennstück Kohlensäure und das Trennstück Kalk? Wer giebt Ihnen das Recht, die Theilung plötzlich zu unterbrechen?
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann! Er überträgt zunächst freventlich die unendliche Theilbarkeit der subjektiven, idealen Form Raum auf das Ding an sich, und dann macht er, trotz der unendlichen Theilbarkeit, plötzlich Halt und postulirt das Molecül.
Die einfachen Zahlenverhältnisse der Atomgewichte lassen darauf schließen, daß alle diese Theilstücke der Materie letzten Endes nur verschiedene Lagerungsformen einer verschiedenen Anzahl gleichartiger Grundelemente oder Uratome sind .... Diese gleichartigen Uratome, die ich hinfort schlechtweg Körper-Atome nennen werde, müssen nach allen Richtungen mit gleicher Kraft wirken, |
ii604 können also, wenn sie stofflich gedacht werden sollen, nur kugelförmig gedacht werden.
(466.)
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann.
Außer diesen Körper-Atomen giebt es noch Aether-Atome, welche sowohl in jedem Körper zwischen den Körpermolecülen, als auch (!) zwischen den Himmelskörpern vertheilt sind.
(466.)
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann.
Körper und Körper-Atome ziehen sich an, und zwar im umgekehrt quadratischen Verhältnisse der Entfernung.
(466.)
Aether und Aether-Atome stoßen sich ab, und zwar im umgekehrten Verhältnisse einer höheren, als der zweiten Potenz der Entfernung, mindestens der dritten.
(467.)
Zwei Aether-Atome können nie zusammenstoßen, weil ihre Abstoßung auf unendlich (!!) kleine Entfernungen unendlich (!!) groß wird.
(ib.)
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann.
Körper- und Aether-Atome stoßen sich ab.
(467.)
Wie man also auch die Sache betrachten mag, in jeder Beziehung empfiehlt sich die einfachste Annahme am meisten, daß das Körper-Atom nur Anziehungskraft, das Aether-Atom nur Abstoßungskraft hat, die sich gegen beide Gattungen von Atomen gleichmäßig äußert.
(470.)
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann.
Dächte man sich je ein Körper-Atom und je ein Aether-Atom verschmolzen, so würde plötzlich alle Kraft aus der Welt verschwinden, denn die Gegensätze hätten sich neutralisirt. So sehen wir hier das Auseinandergehen in einen polarischen Dualismus als das die materielle Welt erzeugende Princip.
(471.)
Wir haben die Masse eines Dings nunmehr zu definiren als die Anzahl seiner Atome.
(472.)
Unsere Auffassung der Materie hebt die beiden bisher getrennten Parteien der Atomisten und Dynamisten in sich auf.
(481.)
ii605 Die Materie ist also ein System von atomistischen Kräften in einem gewissen (!) Gleichgewichtszustande. Aus diesen Atomkräften in den verschiedenartigsten Combinationen und Reactionen entstehen alle sogenannten Kräfte der Materie, wie Gravitation, Schwere, Expansion, Elasticität u.s.w.
(484.)
Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann. –
Und nun wieder zu Ihnen, Erzromantiker.
Die Aeußerungen der Atomkräfte sind also individuelle Willensacte, deren Inhalt in unbewußter Vorstellung des zu Leistenden besteht. So ist die Materie in der That in Wille und Vorstellung aufgelöst.
(486.)
Die unorganischen Individuen, einfache homogene Kräfte, wie Kohlenstoff, Gold, Phosphorsäure, salpetersaures Kupferoxyd u.s.w., welche, wie die sogenannte organisirte Materie, Wille sind – angeschauter, objectiver Wille – haben lediglich blinden Trieb von einer bestimmten Intensität. Die festen Körper streben nach einem idealen, außerhalb ihrer Sphäre gelegenen Punkt; die Flüssigkeiten haben dasselbe Streben und zugleich das Streben horizontal nach allen Richtungen auseinanderzufließen; die Gase dagegen streben nach allen Seiten aus idealen Punkten heraus. Diese Triebe sind auch nicht resultirende aus verschiedenen Kräften, sondern einheitliche Triebe.
Merken Sie sich Das recht genau, Herr von Hartmann.
Das, was der Wille erst schafft, kann nicht vor vollendetem Wollen schon vorhanden sein, der Wille als solcher kann also nicht realräumlich sein.
(488.)
Kurz und gut (!), Wille und Vorstellung sind beide unräumlicher Natur, da erst die Vorstellung den idealen Raum, erst der Wille durch Realisation der Vorstellung den realen Raum schafft.
(ib.)
»Kurz und gut!« – So ist’s Recht. Dieses »Kurz und gut« ist außerordentlich charakteristisch für Sie und die Blüthe Ihres Geistes: die Philosophie des Unbewußten.
Im Weiteren ergiebt sich dann, daß die Kraft an sich unräumlich und nur ihre Aeußerungen realräumlich sein sollen. Die Aeußerungen sollen nie den gemeinschaftlichen Durchschnittspunkt erreichen, der ideal bleibt und der Sitz der Kraft wird.
ii606 Sie unbesonnener Nachtreter im Schlimmen! Sie trennen, wie Schopenhauer, die Kraft von der Aeußerung der Kraft, den Sitz der Kraft vom Sitz ihrer Wirksamkeit; oder mit anderen Worten: Sie lehren unverschleiert actio in distans. Soll ich dieses »dogmatische Gewäsche« (Kant) kritisiren? Ach nein! Ich will mich nicht unnützer Weise wiederholen und verweise Sie auf meine Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie.
Ich will nur noch sagen, daß alle Irrthümer aller Philosophen und aller Naturforscher in Ihrer Philosophie des Unbewußten sich ein Stelldichein gegeben haben und Saturnalien feiern, die in unserem Zeitalter unerhört sind: es ist der reine Hexensabbath.
In unorganischen Körpern können höchstens die Atome jedes für sich ein Bewußtsein (!) haben. Natürlich würde dieses Atombewußtsein an Armuth des Inhalts die denkbarst letzte Stufe einnehmen.
(490.)
So hätten Sie denn glücklich festgestellt, daß Ihre Philosophie des Unbewußten, als gedrucktes Buch, Bewußtsein habe, daß die Steine, aus denen Ihr Haus gebaut ist, bewußt sind!
Wer lacht da? – Ich lache nicht, Herr von Hartmann, Das dürfen Sie mir glauben. Wehmuth hat mich ergriffen und tiefe Trauer über die Verirrung eines Talents, das auf einem praktischeren Gebiete als dem der Philosophie vielleicht sehr Bedeutendes geleistet hätte. Können Sie nicht noch umsatteln? Sollte es wirklich schon zu spät sein? Befolgen Sie meinen Rath und Sie werden bestimmt Das finden, was Ihnen jetzt absolut fehlen muß: den inneren Frieden.
VI. Der Begriff der Individualität.
Das Individuum ist ein Ding, welches alle fünf möglichen Arten von Einheiten in sich verbindet:
1) räumliche Einheit (der Gestalt);
2) zeitliche Einheit (Continuität des Wirkens);
3) Einheit der (inneren) Ursache;
4) Einheit des Zweckes;
5) Einheit der Wechselwirkung der Theile untereinander (sofern welche vorhanden sind).
(494.)
Sie vermehren die Merkmale ohne Nothwendigkeit, mit offenbarer Gewalt; ja, die Individualität ist überall in der ganzen Natur so augenfällig, daß sie gar kein Merkmal braucht und man mit |
ii607 apodiktischer Gewißheit sagen kann: die Individualität und ihr Merkmal sind Eines und dasselbe. Die räumliche Einheit oder, wie gesagt, besser: die individuelle Kraftsphäre, die Individualität schlechthin, schließt alle anderen von Ihnen aufgeführten Einheiten in sich: die Continuität des Wirkens, weil sich kein Wille mit intermittirender Thätigkeit denken läßt; die Einheit der inneren Ursache, weil jede Individualität eo ipso die einheitliche Quelle ihrer Thaten ist; die Einheit des Zwecks, weil jede Individualität immer strebt; die Einheit der Wechselwirkung der Theile, weil jede Individualität einen einheitlichen Lebensgrund hat.
Ganz falsch wäre es und völlig unhaltbar, wenn man räumliche Besonderung und Abschließung als Bedingung der Individualität behaupten wollte, denn dann würden die nur äußerlich an irgend einer Hautstelle verwachsenen Zwillingsgeburten (man denke an die jetzt über 60 Jahre alten Siamesen) stets als nur Ein Individuum zu betrachten sein; was doch gar zu widersinnig wäre.
(498. 499.)
Ich behaupte, wie ich bereits andeutete, gerade Das, was Sie verpönen. Die räumliche Besonderung ist das einzige äußere Merkmal des Individuums; da aber jedes Objekt (in Raum und Materie eingegangene Ding an sich) auch Ding an sich ist, so ist überall da, wo das äußere Merkmal nicht ausreicht, um das Individuum zu bestimmen, das innere Merkmal, die Kraftsphäre, von innen erfaßt, heranzuziehen. Ich wiederhole jedoch, daß es sich immer nur um Ein Merkmal: die Individualität selbst, handelt, welche sowohl von innen, als von außen erfaßt werden kann.
Die siamesischen Zwillinge sind, mit Absicht auf Das, was gemeinsamer Lebensgrund für sie war, wie zwei Pflanzen anzusehen, welche auf Einem Lande wachsen. Es wird Niemand behaupten, daß eine Eiche und eine Buche, welche nebeneinander stehen, deshalb ein einziges Individuum seien, weil sie einen gemeinschaftlichen Boden haben. Ebenso ist jeder einzelne Polyp eines Polypenstocks ein Individuum. Der Umstand, daß sie einen gemeinsamen Magen haben, fällt gar nicht in’s Gewicht, so wenig wie die Erde bei der Buche und Eiche, wie angeführt, in’s Gewicht fällt. Gehört die Erde, welche an einem entwurzelten Baume hängt, zu seiner Individualität? Hätte der Polyp Selbstbewußtsein, so würde er sich etwa fühlen wie ein Mann, welcher an eine Wand gekettet ist. |
ii608 Warum sollte man sich die einzelnen Polype nicht gerade so denken können, wie die Fische im gemeinsamen Wasser, die Bäume in der gemeinsamen Erde und Luft, die Menschen in der gemeinsamen Luft? Obgleich wir überall ein Continuum von Kräften haben, so fällt es doch Niemanden ein, die Individualität nicht räumlich zu bestimmen.
Auch kann man die Sache, um die es sich handelt, recht klar an den Schmarotzern machen. Rechnet ein Vernünftiger den Pilz, der auf der Wurzel einer Buche sitzt, oder das Moos auf ihrem Stamm zur Individualität der Buche? Jeder wird Pilz und Buche, Moos und Buche als zwei Individualitäten streng gesondert halten, obgleich der Schmarotzer in die Buche hineingewachsen ist.
Alles in der Welt hängt zusammen. Die Ausdehnung, d.h. die abgeschlossene Sphäre, ist das einzige äußere Merkmal der Individualität. Reicht es, wie gesagt, bei fest zusammenhängenden Objekten nicht aus, so ist es durch die Einheit des gedachten Lebensgrundes zu ergänzen, d.h. die äußere Individualität ist durch die innere abzugrenzen. Wie ich mir ganz gut denken kann, daß der Schmarotzer in der Buche eine Sphäre hat, welche nicht zur Individualität der Buche gehört, ebenso kann ich mir denken, daß der einzelne Polyp eine Sphäre im gemeinschaftlichen Magen hat, die nur zu seiner Individualität gehört; und ebenso gut kann ich mir denken, daß Jeder der siamesischen Zwillinge im Knorpel, der sie vereinigte, eine begrenzte, ganz bestimmte, nur zu seiner Individualität gehörige Sphäre hatte.
Sie führen Herrn Virchow in’s Treffen, um Ihren Hirngespinnsten Credit zu verschaffen. Verlorene Mühe. Vor dem Empiriker Virchow, noch mehr vor dem gesinnungstüchtigen Politiker und edlen Menschenfreunde Virchow muß man sich beugen, nicht aber vor dem Philosophen Virchow, wenn es überhaupt einen solchen gäbe; denn Herr Virchow ist viel zu gescheidt, als daß er Philosoph (im theoretischen Sinne) scheinen möchte. Auch sind die von Ihnen citirten Stellen aus Herrn Virchow’s Werken nicht geeignet, Sie kräftig zu unterstützen. Herr Virchow sagt:
Was ist der Organismus? Eine Gesellschaft lebender Zellen, ein kleiner Staat, wohl eingerichtet mit allem Zubehör von Ober- und Unterbeamten, von Dienern und Herren, großen und kleinen.
(Vier Reden, 55.)
ii609 Das ist eine empirische Wahrheit, die Niemand leugnen wird. Der Philosoph erhebt sie aber zu einer philosophischen dadurch, daß er alle diese Ober- und Unterbeamten, Diener und Herren, große und kleine, einem Tyrannen unterordnet, ohne welchen sie gar nicht Leben äußern, functioniren, kurz, gar nicht existiren könnten. Dieser Tyrann ist im Menschen das Blut oder vom Ding-an-sich- Standpunkt aus: der bewußtlose Dämon.
Die Zelle schlechthin ist der Fetisch der Physiologen, wie das Atom der Fetisch der Physiker ist. Aber ich darf getrost sein und mit mir die Wahrheit: über kurz oder lang wird in den Naturwissenschaften ein ganz gewaltiger Bildersturm ausbrechen, viel gewaltiger als Der, welcher in der Kirche stattfand. Es werden die naturwissenschaftlichen Götzen: reale Materie, Atom, Zelle (als individueller Lebensgrund) selbstständige Naturkräfte, wie Elektricität, Wärme, Licht u.s.w., Wirkung in die Ferne, Attractions- und Fliehkraft (im Sinne Newton’s), Newton’sche Farbenlehre, einfache Einheit hinter oder über der Welt, unendliches Weltall, Gattung (metaphysische Wesenheit) u.s.w. mit Hohn und Verachtung gestürzt werden.
Wenn man die unendliche Theilbarkeit der subjektiven, idealen Formen, wie Raum, Zeit, Substanz, auf das Ding an sich überträgt, so ist eben ein Stillstehen in der Theilung gar nicht möglich. Es ist ein Act der Verzweiflung, wenn man urplötzlich das letzte Theilstück fallen läßt und das Atom postulirt.
In ähnlicher Weise wird mit der Zelle gespielt. Spricht man von der Zelle schlechthin, ohne Unterschiede zu machen, als selbstständigem Lebensprincip, so muß man irren. Ein Weizenkorn ist eine selbstständige Zelle, aber eine Zelle des Halms ist nicht selbstständig. Schneidet man eine solche aus dem Halm, so hat man doch gewiß kein individuelles selbstständiges Lebensprincip in der Hand.
Wird berichtet, daß die alte Linde zu Zürich bei dem Tiefenhof jedes Jahr etwa zehn Billionen neuer lebender Zellen bilde, oder daß im Blute eines erwachsenen Mannes in jedem Augenblicke sechzig Billionen kleinster Zellkörper kreisen, so hebt dies doch nicht die einheitliche Individualität der Linde und die einheitliche Individualität des Menschen auf. Hauet der Linde die Wurzeln ab, so wird keine Zelle des Stamms oder der Aeste auf die Dauer |
ii610 leben können, und stecht dem Menschen einen Dolch in’s Herz, so wird keiner der sechzig Billionen Zellkörper des Blutes weiter existiren können. Warum? Weil die Linde und der Mensch einen einheitlichen Lebensgrund haben, der jede Zelle und jeden Zellkörper trägt, belebt, erhält, mit dem Leben belehnt. –
Außer den Atomen kann es im Unorganischen keine Individuen geben.
(512.)
Ich erlaube mir, Ihnen zu wiederholen, Herr von Hartmann, daß im unorganischen Reich jede homogene Kraft ein Individuum ist, und zwar ist sowohl die ganze Kraft, als jeder reale Theil derselben ein Individuum, also: alles Kupfer und jedes Stück Kupfer, aller Salmiak und jedes beliebige Quantum Salmiak u.s.w. Warum? Weil die Bewegung einer jeden homogenen Kraft eine einheitliche ist. Ist es je einem Chemiker gelungen, aus einem Stückchen Gold Silber, aus einem Quantum Wasserstoff Sauerstoff zu machen? So lange dies aber nicht gelingt, sind Sauerstoff, Wasserstoff, Gold und Silber Individuen, und Sie werden an dieser Wahrheit Nichts ändern, ob Sie auch zehn Jahre lang mit allen Waffen aus Ihrer romantischen düsteren Rüstkammer dagegen kämpften.
Hierauf gehen Sie in Ihrer himmelschreienden, in den keuschen Hallen der Philosophie noch nicht vorgekommenen Raserei so weit, daß Sie einen Himmelskörper einen Organismus nennen. Ja, Sie behaupten sogar:
Die Einheit der Welt kann wieder von einer metaphysischen Einheit verschiedener, uns unerkennbarer coordinirter Welten überragt sein.
(495.)
Herr von Hartmann! Eben war ich im Begriff, zu vergessen, daß Sie auf der Bühne das herrliche Gedicht: »Gedanken eines Wahnsinnigen« recitiren und ich nur Zuhörer bin. Ich wollte mich wirklich ärgern, – ich gestehe es Ihnen offen, – und wären Sie in diesem Moment in meinem Philosophen-Salon gewesen, so hätte ich mich wühl zum Aeußersten, dessen ich fähig bin, hinreißen lassen, d.h. ich hätte Sie gebeten, meine gastliche Schwelle schleunigst »nach außen« zu übertreten. So aber will ich gegen Sie nur den härtesten Ausdruck Budha’s gebrauchen: ich nenne Sie mogha purisa (eitler Mann).
ii611
VII. Die All-Einheit des Unbewußten.
Niemand kennt das unbewußte Subjekt seines eigenen Bewußtseins direkt, Jeder kennt es nur als die an sich unbekannte physische Ursache (!) seines Bewußtseins; welchen Grund könnte er zu der Behauptung haben, daß diese unbekannte Ursache seines Bewußtseins eine andere, als die seines Nächsten sei, welcher deren Ansicht ebenso wenig kennt? Mit einem Worte, die unmittelbare innere oder äußere Erfahrung giebt uns gar keinen Anhaltspunkt zur Entscheidung dieser wichtigen Alternative, die mithin vorläufig völlig offene Frage ist.
(520.)
Die Frage ist, seit der erste Mensch in die Erscheinung trat, keine offene mehr, Herr von Hartmann: nur noch im Tollhaus kann sie eine offene sein. Die Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung ist das individuelle Ich. Jeder Mensch erkennt sich und fühlt sich unmittelbar. In der burschikosen Sprache haben Sie mit obiger Stelle einen sogenannten »Sauhieb« gegen die Individualität und das menschliche Selbstbewußtsein ausgeführt, der Ihr Talent schändet.
Nur deshalb, weil der eine Theil meines Hirnes mit dem anderen leitend verbunden ist, ist das Bewußtsein beider Theile geeint, und könnte man die Gehirne zweier Menschen durch eine den Gehirnfasern gleichkommende Leitung verbinden, so würden die beiden nicht mehr zwei, sondern ein Bewußtsein haben.
(520.)
Welches erbärmliche Sophisma! Das müßte ja ein ganz herrliches Bewußtsein sein. Der Dämon des Einen liebt, der Dämon des Anderen haßt, der Dämon des Einen will die Kunigunde, der Dämon des Anderen die Adelheid, der Eine hat Zahnschmerzen, der Andere eine Wollustempfindung u.s.w. und das Alles würde nun in Einem Bewußtsein gespiegelt!
Liegt denn der innerste Kern des Menschen im Gehirn? O Sie eingefleischter Cartesianer! Sie Verräther der Wahrheit wider besseres Wissen und Gewissen; denn auch Sie haben zu Füßen Schopenhauer’s gesessen, auch Sie haben von ihm gehört, daß der Wille kein psychisches Princip, daß der Geist und sein Bewußtsein nur Spiegel dieses nicht- psychischen Princips sind.
ii612 Wenn es der unbewußten Seele eines Thieres möglich ist, in allen Organen und Zellen des Thieres gleichzeitig anwesend und zweckthätig wirksam zu sein, warum soll nicht eine unbewußte Weltseele in allen Organismen und Atomen zugleich anwesend und zweckthätig wirksam sein können, da doch die eine wie die andere unräumlich gedacht werden muß (!)?
(522.)
So wären wir denn glücklich in das Allerheiligste Ihrer Philosophie gelangt: ich befinde mich vor der blauen Dunstwolke, in der Ihr All-Eines Unbewußtes, wie das Brahm der Inder, das absolute Ich Fichte’s, das Subjekt-Objekt Schelling’s, die Idee Hegel’s, der All-Eine Wille Schopenhauer’s, die Substanz Spinoza’s, die Materie der Materialisten, verhüllt liegen soll. Ich stehe mit einem Worte vor dem Pantheismus der Brahmanen im Costüm des Deutschen Michels, d.h. in der Hausknechtsschürze und der Schlafmütze.
Ich bekenne Ihnen offen, Herr von Hartmann, daß ich, in Ihrer gothischen dunklen Capelle vor der blauen Wolke über dem Altar und vor Ihnen, dem mystisch- verzückten Hohenpriester des All-Einigen Unbewußten stehend, ein sehr bedrückendes Gefühl empfinde. Mein individuelles »Unbewußtes« schreit nach dem Sonnenschein draußen, dem Gesang der Vögelein im grünen Walde, nach dem Plätschern der Bäche, nach dem blauen Duft der Ferne – und ich muß in der romantischen düsteren Gruft weilen, wo Sie die scheintodte Wahrheit beisetzen wollen. Ich verzage. Aber haben eben nicht liebliche Worte mein Ohr getroffen? Schon wieder! Ja, es ist keine Täuschung: meine linke Hand hat Budha, meine rechte Christus erfaßt, die treuen Beschützer des Individuums, und sprechen mir Muth zu.
Und so rufe ich Ihnen mit dem entschlossensten Ernste zu: Fassen Sie das Individuum nicht an, das Sie tödten und in die glühenden Arme Ihres Götzen Moloch, des Bildes Ihrer erträumten, erfaselten All-Einheit legen wollen! Zurück! –
Sie wollen den Kampf? –
Wohlan! – Einer von uns muß bleiben.
Sie sagen:
Der mit dem Pantheismus gleichbedeutende Monismus.
(529.)
ii613 Wie Sie immer von »unbewußter Vorstellung«, d.h. von silbernem Gold sprachen, so wagten Sie auch, den Monismus mit dem Pantheismus zu identificiren. Ein Quartaner würde Bedenken gehabt haben, eine solche heroische logische That zu vollbringen.
Monistisch ist jede Philosophie, welche auf Einem Princip beruht. Monistisch ist demnach allerdings der Pantheismus, aber auch der Budhaismus, das gerade Gegentheil des Pantheismus ist es; monistisch sind ferner das echte Christenthum, wie meine Philosophie Sie belehrt haben wird, und eben deshalb auch meine Philosophie, welche nur den individuellen Willen als einziges Princip in der Welt anerkennt.
Wenn Sie also sagen: der Monismus ist Pantheismus, so ist es dasselbe, als ob Sie sagten: der Deutsche ist der Hesse, der Europäer ist der Russe. Sie stellen den weiteren Begriff unter den engeren: eine reine Narrethei. –
Hier will ich nur so viel sagen, daß die Selbstentzweiung nur dann unbegreiflich sein würde, wenn das Eine seine Einheit (und mit ihr ein Stück seiner Wesenheit) aufgäbe; daß hingegen eine Selbstentzweiung zu einer sekundären (weil phänomenalen) Vielheit, bei welcher die Einheit in der Vielheit gewahrt bleibt, gerade erst die Mannigfaltigkeit in die abstrakte Einheit bringt; oder genauer ausgedrückt, daß ein Auseinandergehen des Einen zur Vielheit nichts Anstößiges haben kann, wenn damit nur nicht Zersplitterung der Einen Substanz in viele isolirte Substanzen, sondern Manifestation des Eins seienden und bleibenden Wesens in einer Vielheit von Functionen gemeint ist.
(523.)
Sie fahren fort:
Es ist also ganz derselbe Proceß, der sich im Bewußtsein des Individuums als Kampf zwischen verschiedenen Strebungen, Begehrungen und Affekten vollzieht; so gut hier ein Streit möglich ist, unbeschadet der Einheit der Seele, deren Functionen die sich kreuzenden Begehrungen sind, ebenso gut auch im All-Einen Unbewußten.
(524.)
Sie sind groß! Sie sind wirklich groß, Herr von Hartmann. Sie vergleichen den Menschen mit Ihrem Jehovah und entdecken, daß in Beiden derselbe Proceß stattfindet. Wie konnten Sie so Etwas schreiben! Im Menschen kann in jedem gegebenen Augenblick immer nur eine Bestrebung zu einem Willensact werden. Alle |
ii614 Momente eines vorhergegangenen Conflicts von Bestrebungen sind diesem Einen Willensact gegenüber ideal, oder besser: sie sind, als ob sie gar nicht stattgefunden hätten. Bei der von Ihnen gelehrten Weltseele wird aber jeder Conflict sofort real oder mit anderen Worten: Ihre Weltseele will Etwas und das Gegentheil davon zu gleicher Zeit und verwirklicht Beides. Und nun sagen Sie gelassen: una eademque res est.
Wer an eine Seelenwanderung glaubt, darf getrost behaupten, daß in Ihrem Körper die Seele des Sophisten Gorgias lebt. Mogha purisa! –
Stellt man hingegen die Frage so: »Warum müssen die vielen Functionen des Einen Wesens so beschaffen sein, daß sie miteinander collidiren, anstatt ungestört neben einander herzulaufen?« so ist die Antwort: »Ohne Collision verschiedener Willensacte kein Bewußtsein«, – und das Bewußtsein ist es, worauf es ankommt.
(524.)
Herr von Hartmann! Besinnen Sie sich. Erwachen Sie um Gotteswillen, träumen Sie nicht so fieberhaft!
Vor dem Entstehen eines Bewußtseins soll der ganze Weltproceß gar keine Bedeutung gehabt haben? War da die Welt todt, oder wälzte sie sich resultatlos so fieberhaft hin und her, wie Sie sich auf dem Bett der philosophischen Lüge wälzen?
Ich wiederhole Ihnen, daß das Gehirn ein Bewegungsfactor ist, daß das Gehirn aus dem Willen heraus geboren ist, der ihm nur verleiht was er längst vorher schon besaß, womit er steht und fällt: die Bewegung. Auch ohne bewußte Wesen käme die Welt zum Ziele, aber nicht so rasch wie mit bewußten Individuen. Doch ich habe ganz vergessen, daß Sie auch den Steinen Bewußtsein gegeben haben. Ich bitte um Entschuldigung.
Das Unbewußte ist unräumlich, denn es setzt erst den Raum. Das Unbewußte ist also weder groß noch klein, weder hier noch dort, weder im Endlichen noch im Unendlichen, weder in der Gestalt noch im Punkte, weder irgendwo noch nirgends.
(524.)
Wie Schelling und Hegel »räusperten und spuckten«, Das haben Sie denselben »glücklich abgeguckt.« Proh pudor!
Gesetzt den Fall, daß die phänomenale Getrenntheit der Individuen nicht bloß auf einer Vielheit der Functionen des ihnen zu Grunde liegenden Wesens, sondern auf einer Nicht-Identität |
ii615 des Wesens, auf einer Vielheit seiender Substanzen beruhte, so wären unter den Individuen keine realen Relationen möglich, wie sie doch thatsächlich bestehen.
(526.)
Der Einfluß des Absoluten auf die Vielen wird nur dann begreiflich, wenn das sogenannte Absolute aus einer thatsächlich durch die Vielen beschränkten Substanz zu einer unbeschränkten, wahrhaft allumfassenden wird, welche also die Vielen als integrirende Theile ihrer selbst enthält. Dann sind aber in Wahrheit die Vielen ihrer Selbstständigkeit und Substantialität entkleidet und zu aufgehobenen Momenten des Einen Absoluten herabgesetzt.
(527.)
Zurück! rufe ich Ihnen noch einmal zu. Den Dolch weg vom Individuum, Sie Rasender! Das Individuum soll ein »aufgehobenes Moment des Einen Absoluten« sein? Das heißt: Sie wollen das einzig Reale in der Welt ermorden!
Aber warum ereifere ich mich? Sie haben ja inzwischen gewiß die echte Versöhnung des Pantheismus mit dem Pluralismus, von mir über dem Kopfe des allein realen Individuums bewerkstelligt, kennen gelernt, und beziehe ich mich darauf.
In der Welt giebt es nur reale Individuen, vor der Welt gab es nur eine einfache Einheit. Die Entstehung aller Individuen aus dieser gestorbenen Einheit schlingt um dieselben das Band, welches allein von jeher denkende Köpfe zu einer Einheit in oder über der Welt, immer coexistirend mit der Welt, geführt hat. Die Versöhnung ist eine totale, radicale, und sie kann auch nicht mehr, von wem es auch sei, gebrochen werden. Ein neuer Tag hebt an. –
Wo wir uns auch umblicken unter den genialen philosophischen oder religiösen Systemen ersten Ranges, überall begegnen wir dem Streben nach Monismus, und es sind nur Sterne zweiten und dritten Ranges, die in einem äußerlichen Dualismus oder noch größerer Zersplitterung Befriedigung finden.
(528.)
Sie verstehen natürlich hier unter Monismus nur Pantheismus. Ich sage deshalb: Wie fein! Sie nennen diese Sterne ersten Ranges nicht, damit der fehlende Budhaismus nicht stutzig machen soll. Dagegen nennen Sie gleich darauf das Christenthum und sagen:
Aber ich meine, die Zeit ist nahe, wo das Christenthum monistisch werden oder untergehen muß.
(529.)
ii616 Das Christenthum, Herr von Hartmann, ist Monismus, dem wissenschaftlichen Sinne des Worts nach, es muß nicht erst Monismus werden: es ist auf der Oberfläche, als jüdischer, theoretischer Theismus, Monismus (Jehovah und die Welt bilden keinen Dualismus) und ist in der Tiefe Monismus: denn in seinem esoterischen Theil ist das Individuum allein real. Sie meinen aber, es müsse Pantheismus werden. Hierauf erwiedere ich Ihnen: Armer Romantiker!
Sie betippen gleichsam mit dem Nagel Ihres Zeigefingers unabsehbar tiefe Gewässer und urtheilen dann über deren Tiefe: das Wesen des echten Christenthums ist Ihnen total verhüllt. –
Es ist eine Sinnestäuschung im weiteren Sinne, wenn wir an der Welt, an dem Nicht-Ich etwas unmittelbar Reales zu haben glauben; es ist eine Täuschung des egoistischen Instinktes, wenn wir an uns selber, an dem lieben Ich etwas unmittelbar Reales zu haben glauben; die Welt besteht nur in einer Summe von Thätigkeiten oder Willensacten des Unbewußten, und das Ich besteht in einer anderen Summe von Thätigkeiten oder Willensacten des Unbewußten.
(534.)
Diese zwischen Ihre Einheit hinter der Welt und das denkende Ich gesetzte ideal-reale Erscheinungswelt ist eben die Hausknechtsschürze und die Schlafmütze, welche Sie, wie ich vorhin sagte, dem Pantheismus der Brahmanen angezogen haben. Ein Kundiger erkennt sofort die unwürdige Maskerade.
Um einen Gott hinter der Welt zu retten, lassen Sie zunächst das unmittelbar gegebene einzige Reale in der Welt, Ihr erkanntes und gefühltes Ich, dann die Objekte der Außenwelt fallen. Und das nennen Sie Philosophie! Als Strafe dafür hat die Wahrheit Sie für vogelfrei erklärt.
Das Unbewußte höre auf, die Welt zu wollen, und dieses Spiel sich kreuzender Thätigkeiten des Unbewußten hört auf zu sein.
(534.)
Das Unbewußte ändere die Combination von Thätigkeiten oder Willensacten, welche mich ausmacht, und ich bin ein Anderer geworden; das Unbewußte lasse diese Thätigkeiten aufhören, und ich habe aufgehört zu sein. Ich bin eine Erscheinung wie der Regenbogen in der Wolke; ... was an mir Wesen ist, bin ich nicht ... Nur die Sonne strahlt ewig, die auch in |
ii617 dieser Wolke spielt, nur das Unbewußte waltet ewig, das auch in meinem Hirn sich bricht.
(535.)
Wollen Sie wissen, was ich denke? Ich denke, daß sich wirklich Ihr All-Einiges Unbewußtes, aller Pantheismus überhaupt, in Ihrem Hirn den Hals gebrochen hat.
Im Absoluten existirt in der That eine Intelligenz, welche wir bei unserer Unfähigkeit, die Art ihrer Anschauungsweise positiv zu erfassen, nur durch das negative Merkmal der Unbewußtheit zu charakterisiren vermögen, von der wir aber wissen (!), daß ihre nichts weniger als blinde, sondern vielmehr sehende und sogar hellsehende Weisheit der jedes möglichen Bewußtseins überlegen (überbewußt) ist.
(537.)
»Erbärmliches dogmatisches Gewäsche!« (Kant.)
Nachdem Sie nun glücklich Ihre lebende All-Einheit in oder hinter der Welt erträumt haben und an dieselbe glauben oder, wie Sie die Dreistigkeit haben zu sagen: nachdem Sie die All-Einheit des Unbewußten erwiesen haben (527), versuchen Sie auf die ergötzlichste Weise die den furchtbarsten Widerstand allüberall in der Natur leistenden »aufgehobenen Momente« (Individuen) gewaltsam mit dieser Einheit zu versöhnen. Es gelingt Ihnen aber nicht; immer wann Sie das Individuum knebeln wollen, entschlüpft Ihnen das Herrliche, und dasselbe bedarf in der That meines Schutzes nicht mehr. So ziehe ich mich denn wieder auf meinen Sessel im Zuschauerraum zurück. Zu einer Abschlachtung kann es gar nicht kommen. Das Individuum trägt eine Hornhaut wie Siegfried, und zwar eine durchaus hornichte Haut: als es sich in der Wahrheit badete, fiel kein Lindenblatt auf seine Schulter.
Wollen Sie, edler Mime, daher Ihre Recitation immerhin fortsetzen.