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IX. Das Unbewußte in der Mystik.

Die Mystik war Ihre fette Weide, und Sie geberdeten sich darauf wie ein junges ausgelassenes Füllen. Ich werde nicht viele Worte machen; denn es kann kein Zweifel für mich sein, daß sich bei Ihnen schon längst der Katzenjammer eingestellt hat, d.h. daß Sie Ihre wahnsinnigen Jugendsprünge bitter bereuen.

Das Wesen des Mystischen ist zu begreifen als Erfüllung des Bewußtseins mit einem Inhalte (Gefühl, Gedanke, Begehrung) durch unwillkürliches Auftauchen desselben aus dem Unbewußten.

(323.)

Diese Erklärung des Mystischen ist, wie alle Ihre Erklärungen, zu kurz. Es handelt sich beim Menschen immer um einen Zustand des Willens, des Dämons, also um Freude, Trauer, Zorn, Ruhe, Angst, Frieden, Verzweiflung u.s.w. Alle diese Zustände als solche setzen den Spiegel des Bewußtseins und die Erkenntniß überhaupt voraus. Nehmen wir z.B. einen verzückten Heiligen. Hätte er je die intellektuelle Wonne empfinden können, wenn er sich vorher nicht mit Christus, Gott, dem Himmelreich u.s.w. beschäftigt hätte? Wir haben es also immer mit Cooperation des Willens mit dem Geiste, des unbewußten Dämons mit dem bewußten Intellekt zu thun, d.h. im Grunde nur mit dem unbewußten individuellen Dämon, der durch eines seiner Organe seiner selbst bewußt wird; denn ich kann es Ihnen gar nicht oft genug wiederholen, daß es nur ein Einziges Princip in der Welt giebt: den individuellen Willen, welchem das Bewußtsein nicht wesentlich ist, der dagegen mit der Bewegung steht und fällt. Auch ist der Geist nur ein Bewegungsfactor, die Function eines Organs.

Das Streben, das Individuum im Absoluten aufgehen zu lassen .. ist widersinnig und nutzlos; es enthält den großen |

ii588 Irrthum, als ob, wenn das Ziel der Vernichtung des Bewußtseins erreicht wäre, das Individuum noch bestände.

(326.)

Wie grundfalsch! Will der Verzückte schlechtweg Bewußtlosigkeit? Das gerade Gegentheil: er will das denkbar hellste Bewußtsein, die klarste Spiegelung des seligsten Zustandes im reinsten Spiegel des Selbstbewußtseins.

Von Mystikern gingen die religiösen Offenbarungen aus, von Mystikern die Philosophie.

(327.)

Das ist wiederum ein ganz oberflächliches Urtheil. Ich habe noch keine intellektuelle Wonne empfunden und kann deshalb über diesen gewiß ganz bestimmten Zustand nicht urtheilen. Einem Verzückten soll nämlich die Außenwelt ganz verschwinden, trotzdem seine Augen offen bleiben, und er soll irgend ein glänzendes Bild sehen, das in ihm den seligsten Zustand hervorruft. Er ist sich sowohl des Zustandes, als auch des Bildes vollkommen bewußt. Dagegen bin ich einmal narkotisirt gewesen (von den Narkosen, die mir Ihr Buch bereitet hat, sehe ich ab) und habe schon sehr oft gewöhnliche (physische) und moralische Begeisterung empfunden. Denke ich über diese Zustände jetzt nach, so finde ich immer, daß ein bestimmter Gedanke oder eine Vorstellung von einem bestimmten Zustande in mir getragen wurde, der mich in ein Meer des Entzückens tauchte. In jedem einzelnen Falle vermählte sich gleichsam meine bewußte Erkenntniß mit meinem unbewußten Dämon und das Erzeugte stand im hellen Punkte des Bewußtseins. Ich gebe ferner zu, daß ich nicht alle hervorstechenden Gedanken meiner Philosophie als Schlußglieder bewußter Gedankenreihen gefunden habe. Ich habe vielmehr oft plötzlich auf einen Satz gestarrt, der, wie man zu sagen pflegt, wie vom Himmel gefallen vor mir stand, so daß ich mir manchmal an den Kopf gegriffen habe, weil ich glaubte, eine fremde Hand habe die meinige geführt. Aber beweist Das irgendwie ein ganz unvermitteltes Auftauchen aus der Nacht des unbewußten Dämons im Menschen? Beweist es ferner, daß wir unbewußt denken? In keiner Weise. Es beweist nur, was ich Ihnen gleich am Anfang dieser Kritik zugestanden habe, daß der Wille, der Dämon, (objektiv: das Blut) wie schon Schopenhauer gelehrt hat, unbewußt ist und mit dem bewußten Geist cooperirt; ferner: daß das ganze Gehirn |



ii589 immer thätig ist, bald schwach, bald stark, und obgleich immer nur eine seiner drei Functionen zu einer bestimmten Zeit vom hellsten Lichte des Bewußtseins bestrahlt wird.

Ich bestreite durchaus nicht, daß der Geist immer functionirt; aber ich bestreite im Namen der Wahrheit, daß es einen unbewußten Gedanken, eine unbewußte Vorstellung, ein unbewußtes Gefühl giebt, weil jeder Gedanke als solcher, jede Vorstellung als solche, jedes Gefühl als solches bewußt sein muß. Nur ein bewußter Gedanke ist Gedanke schlechthin, nur eine bewußte Vorstellung ist Vorstellung schlechthin, nur ein bewußtes Gefühl ist Gefühl schlechthin. Was die unbewußte Thätigkeit des Gehirns sei, die ich ausdrücklich, wie gesagt, anerkenne – das können wir nur nach dem einzigen Prädicat des Willens: der Bewegung bestimmen. Die unbewußte Thätigkeit des Gehirns ist einfach Gehirnschwingung. Erst wenn diese Gehirnschwingungen in das Bewußtsein münden, werden sie, je nach ihrer specifischen Natur, Gedanken, Vorstellungen, Gefühle, und sind deshalb die Begriffe: bewußte Vorstellung, bewußter Gedanke, bewußtes Gefühl Tautologien.

Wollen Sie diese wesentlichen, außerordentlich wichtigen Unterschiede nicht machen, so dürfen Sie auch consequenter Weise das Ding an sich nicht vom Objekt unterscheiden; denn wie das Ding an sich erst zum Objekt wird, wenn es sich mit dem erkennenden Subjekt vermählt, und wie ohne Subjekt von einem Objekt gar nicht geredet werden kann, so wird die Gehirnschwingung erst zu Gedanken, Vorstellungen, Gefühlen, wenn sie sich mit dem Bewußtsein vermählt, und von Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen ohne Bewußtsein kann nicht geredet werden. Halten Sie Das ja recht fest, Herr von Hartmann: Sie müssen es zugeben, wenn Sie sich das Problem klar gemacht haben, und Sie können es sich klar machen, weil Sie ein großes Talent sind. Locke, Kant und Schopenhauer haben für solche wesentlichen Unterscheidungen, deren Wichtigkeit nur ein philosophisch Roher verkennen kann, ihr ganzes Leben lang gekämpft und geblutet, und Sie sehen an Ihrem Werk selbst, welches Unheil der »Identitätsbrei« im Gefolge hat. Nimmt man eine unbewußte Vorstellung an, so erklärt man mit anderen Worten: Locke, Berkeley, Hume, Kant und Schopenhauer, kurz, die |

ii590 allerseltensten Geister, zu deren Hervorbringung die Natur Jahrhunderte nöthig hatte, sind einfältige Querköpfe, Silbenstecher, Wortklauber, Pedanten, Don Quixote’s gewesen und die ganze kritische Philosophie ist eine Chicane, eine Spiegelfechterei, eine Wortklauberei, eine Narrethei: Erklärungen, welche Sie ganz bestimmt, trotz Allem und Allem, nie abgeben werden.*[1]

Sie spielen aber durchgehends in Ihrem Werke mit der Negation »unbewußte Vorstellung«, oder vielmehr Sie machen diese Negation zum Eckstein Ihrer Philosophie, und nun zeigt sie auch überall das Gepräge eines solchen unsinnigen Gebahrens: sie ist durchweg sophistisch, verworren, unklar, vieldeutig, unbestimmt.

Es handelt sich also bei denjenigen menschlichen Handlungen, welche Sie in die viel zu enge Form des Mystischen stopfen, durchaus nicht um ein reines unvermitteltes Unbewußtes, sondern um eine Erhebung des Unbewußten in das Licht des Bewußtseins. Dies ist aber gar nichts Seltsames, Neues, Ungewöhnliches. Die meisten menschlichen Thätigkeiten sind eine solche Erhebung oder besser eine Cooperation des Dämons mit dem Geiste. Im genialen Denken, Anschauen und Fühlen ist diese Cooperation nur eine energischere, gluthvollere und mithin eine hellere, bewußtere; denn je energischer das Gehirn vom Blute, der Geist vom Dämon actuirt wird, desto kräftiger functionirt auch das Gehirn, der Geist, die Psyche, weshalb auch Schopenhauer mit Recht einen energischen Blutlauf, kurzen Hals u.s.w. zu Bedingungen für das Genie gemacht hat. –

Und so kommt es, daß die verschiedenen philosophischen Systeme, so Vielen sie auch imponiren, doch nur für den Verfasser und für einige Wenige volle Beweiskraft haben, welche im Stande sind, |

ii591 die zu Grunde liegenden Voraussetzungen (z.B. Spinoza’s Substanz, Fichte’s Ich, Schelling’s Subjekt-Objekt, Schopenhauer’s Wille) mystisch in sich zu reproduciren, und daß diejenigen philosophischen Systeme, welche sich der meisten Anhänger erfreuen, gerade die allerärmsten und unphilosophischsten sind (z.B. der Materialismus und der rationalistische Theismus).

(330.)

Ich will Ihnen den richtigen Grund sagen, warum diese Systeme nie viele Anhänger gefunden haben: eine einfache Einheit in der Welt, in deren Hand das sich so real fühlende Individuum eine bloße Marionette sein soll, wird niemals Fuß in unserem Gemüth fassen können; erstens, weil wir sie nur fürchten können, zweitens, weil unser Bewußtsein immer nur der Spiegel unserer individuellen Zustände ist; denn was spiegelt sich in einem Menschen, dem es gelungen sein sollte, z.B. Spinoza’s Substanz, »mystisch in sich zu reproduciren«? Lediglich die Rückwirkung dieser All-Einheit auf seinen individuellen Dämon.

Warum führten Sie nicht den Budhaismus auf, der die meisten Bekenner zählt? warum nicht das Christenthum schlechthin, das Gott durch die Natur der Individuen (Erbsünde) beschränkt sein läßt? Sie haben geflissentlich über diese großen Lehren geschwiegen. Eine allmächtige All-Einheit in oder außerhalb der Welt, selbst wenn sie existirte, würde niemals das menschliche Herz erwärmen können, und deshalb wird auch Ihre Philosophie spurlos an der überwiegenden Mehrzahl der Menschen vorbeigehen, wie die Lehren Spinoza’s, Fichte’s, Schelling’s und Hegel’s. Eine Philosophie, welche die Menschen packen will, sie bessern will, sie erlösen will, muß, wie die angeführten beiden großen ethischen Religionen, das Individuum da ergreifen, wo es verwundbar ist: am Glückseligkeitstrieb. Das Alles kennen Sie aber nicht, weil Sie ein bloßes Talent, d.h. ein Nachtreter, ein Handlanger des freien Genies sind. Was vor Ihnen Niemand gesagt hat, das können Sie selbstverständlich, als Talent, nicht finden. Was aber die Genialen vor Ihnen gesagt haben, das ist Material für Sie. Nun können Sie bauen. Aber wie bauen Sie? Sie verwerfen die Ecksteine der Wahrheit und ergreifen die Lehmknollen, d.h. die Fehler Ihrer Vorgänger, weil Sie mit einem romantischen Organ geboren wurden, welches |

ii592 unempfänglich für die Wahrheit, aber empfänglich für »abgestandenen Kohl« ist. –

Der vollständige rationelle Beweis für die mystischen Resultate kann erst am Schlusse der Geschichte der Philosophie fertig sein, denn letztere besteht ganz und gar in dem Suchen dieses Beweises.

(331.)

Sie hätten ganz Recht, Herr von Hartmann, wenn man Ihren Weg weiterginge; doch würde alsdann auch die Philosophie nie einen Abschluß finden. Denn seien Sie davon fest überzeugt: die einfache Einheit in der Welt wird nie gefunden werden, sollte auch die Menschheit noch Milliarden Jahre leben müssen. Warum? Weil es überhaupt keine einfache Einheit mehr giebt. Der Name für diese Einheit ist, wie Sie recht gut wissen, ganz gleichgültig: ob Materie, oder Substanz, oder Ich, oder Subjekt-Objekt, oder Idee, oder Absolutum, oder Wille, oder All-Eines Unbewußtes, oder Gott in der Welt, oder Jehovah.

 


Date: 2015-01-02; view: 857


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