Ein Schrei nach Erlösung ertönt aus allen Schichten des Volkes in allen Ländern.
Nur eine Association der Guten und Gerechten kann ihn verstummen machen.
Keine der alten Gemeinschaften jedoch kann helfen, weil sie entweder auf alten Lehrmeinungen begründet sind, oder einen beschränkten Wirkungskreis haben, oder gerade Das fördern, was immer tiefer in die Nacht des Unglücks treibt.
Aber auch nur eine Gemeinschaft kann helfen, welche auf einem Grunde beruht, den die lichtvollste Wissenschaft erbaut hat und welche dem Individuum die freieste Bewegung gestattet.
Der nothwendige Zwang eines solchen Ordens, das Gelübde, dürfte nur der Ausdruck der Verinnerlichung der Seele sein, und müßte aus dem Principe des Ordens, nicht aus der Autorität einer Person fließen.
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Die nachfolgende Skizze ist ein Versuch, die Wirksamkeit, welche eine solche freie Vereinigung von Gleichgesinnten auszuüben berufen wäre, in den Hauptzügen festzustellen und den Modus ihrer Organisation durch ein bestimmtes Statut zu reguliren.
Der fragmentarische Charakter, welcher einzelnen Theilen dieses Regulativs, wie einer jeden vorläufig nur im Principe sich darstellenden Realität nothwendig eignen muß, möge Diejenigen, in deren Herzen der Gedanke selbst auf mitschwingende Saiten trifft, |
ii430 nicht in Zweifel über die vorhandene Möglichkeit seiner praktischen Durchführung auf dem harten spröden Boden des realen Lebens führen. Zum einen Theil ist diese anscheinende Flüchtigkeit der Zeichnung einzelner Linien in dem fraglichen Entwurfe durch die erfahrungsmäßige Unmöglichkeit bedingt gewesen, in einem gegebenen Grundriß auch gleich die genaue Lage jedes einzelnen Steines im Voraus bestimmen zu können, welcher das aufzuführende Gebäude dereinst mit zu tragen hat. Zum anderen indessen sind diese nur andeutungsweise berührten oder vielleicht auch ganz offen gebliebenen Stellen, welche das kritische Auge gewiegter, auf dem Boden des deutschen Vereinslebens und seiner mancherlei Satzungen und Gebräuche quasi infallibel stehender Praktiker möglicherweise als Lücken beanstanden mag, die den ganzen Entwurf vor ihm »zu Falle« bringen, – auch nicht ganz unabsichtlich als solche von mir belassen worden. Denn wenn es mir vergönnt sein sollte, die theoretischen Ausführungen meiner Lehre, wie sie in meinem Hauptwerk und den in den vorliegenden Essays demselben gegebenen Erweiterungen erschöpfend zum Ausdruck gelangt sind, nunmehr auch ihrer praktischen Verwerthung zuzuführen, und hierdurch das Ziel zu erreichen, dessen idealer Umriß täglich heller vor mich hintritt, – dann werden die thatsächlich zu Macht bestehenden Verhältnisse, mit welchen sich im heutigen Staatsleben die Gründung einer Verbindung so weitreichenden Umfangs wie die gedachte, auseinanderzusetzen haben würde, wohl schon ganz von selber die letzte corrigirende oder vollendende Hand an diejenigen Punkte des Statutes legen, die einer genaueren Ausführung oder wesentlichen Modifikation ihrer ursprünglichen Fassung bedürftig sind, bevor dasselbe in Kraft treten kann. Wenn aber anders im Willen und Walten des Schicksals beschlossen, warum alsdann jenen »treuen reinen tapferen Händen«, welche früher oder später den hier niedergelegten Gedanken aufgreifen, ihm Gestalt und Leben geben und somit vollenden werden, was mir nur mit Geistes Augen zu schauen vergönnt gewesen, – die Freiheit und Freude des selbständigen Weiterbauens auf den von mir gegebenen Grundmauern durch allzu peinlich genaue Bestimmungen des Buchstabens beschränken? Ich würde in solchem Falle mit der geschehenen Feststellung des für alle Zeit Gültigen, d.i. von den wechselnden Formen und Gestalten keiner bestimmten Epoche Beein|flußten
ii431 und Gebundenen, – meine Aufgabe vollbracht, den Grundstein zu der »Herberge der Gerechtigkeit« gelegt erachten dürfen, welche die echten Streiter in der Richtung der Weltbewegung, die wir Schicksal nennen und als den Weg Gottes zu seinem Ziele erkennen, aufnehmen und vereinen soll. Votum solvimus nos quorum nomina Deus scit! –
So viel dem Inhalt des vorliegenden Regulativs.
Die Form, in der es sich darstellt, wird gleichfalls eines vorausgehenden erklärenden Wortes bedürfen, schon um dem Philosophen – und zumal dem praktischen in dem Augenblicke, wo er sich anschickt, einem Ecksteine seines Lehrgebäudes den sicheren Untergrund der concretesten Wirklichkeit zu bereiten! – den billigen Vorwurf fernzuhalten, daß er sich einer Darstellungsweise dabei schuldig gemacht, die man gewohnt ist, nur dem Dichter zu gestatten: der freien Schöpfung eines bloßen Phantasiegebildes.
Einen – – »Gralsorden« – mirabile auditu!– in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts?! –
Ja. –
Ein gleicherweise tief in’s ferne Mittelalter zurückgreifender, offenbar nur vorgeschobener Name derjenige seines Stifters? Und dieser sagenhaft umwobene, aber demohngeachtet mit dem Schein der vollsten Aktualität eingeführte Stifter das nobile officium seiner Gralsregentschaft auch nicht vom heut’gen Tage erst datirend? –
Ja. –
»Templeisen«, »Weise«, »Knappen« u.s.w. die Glieder dieser mysteriösen, halb klösterlich, halb ritterlich organisirten Ordenskörperschaft? –
Ein »Parzival«, ein »Loherangrin« an der Spitze derselben, ein »Seneschall«, »Komthur« u.s.w. die Nächsten zu diesen im hohen Amte, – für was Alles doch die nüchterne Sprache unserer Tage die so viel näheren und natürlicheren Bezeichnungen des »Präses« und seines Beigeordneten, des Filiale- Vorstands, Amtsverwesers, Schriftführers u.s.w., u.s.w. zur Hand hätte? –
»Ordens-Kapitel«, »Ritual«, »Gelübde« und wohl auch eine dem Allen entsprechende strikte »Observanz« und sonstigen dergleichen unmöglich au sérieux zu nehmenden Firlefanz? –
Und dieser ganze, aus den Rüstkammern des Zeitalters der Kreuzzüge zu Tage geholte, verstaubte und verrostete Apparat ein |
ii432 vermeintes wirksames Mittel zu dem verkündeten Zweck: die brennendste, und dermalen noch in den schroffsten und schneidendsten Gegensätzen sich stoßende und reibende Frage unserer Zeit auf praktischem Wege ihrer Lösung zuführen helfen zu wollen?! –
Warum denn nicht? –
Schon an einer anderen Stelle bei Anlaß einer rein wissenschaftlichen Definition (Essay »Idealismus«, S. 40) habe ich es einen »thörichten Dünkel« bezeichnet, Etwas, das vorher schon sehr gut ausgedrückt worden sei, nur der vermeintlichen »Neuheit« wegen, mit anderen Worten noch einmal sagen zu wollen. Dasselbe gilt in meinen Augen auch für die in einem großen Geisteswerke deutlich ausgesprochene und vollendete, wenn auch vielleicht erst in kommenden Jahrhunderten sichtbarlich in die Erscheinung tretende That: der echten »Geistes«-That.
Hat das mustergültige Bild einer Vereinigung der Guten und Gerechten, zum Zwecke der selbstlosesten aufopferungsvollsten Hingabe an das Werk des Heiles für die erlösungsbedürftige Menschheit, aber wirklich erst erdacht und geschaffen werden müssen? Gewiß nicht. Es hat sich vor mehr als sechs Jahrhunderten schon in durchsichtiger Klarheit und Reinheit in dem hellen Geiste eines echten Deutschen, des größten Dichters unserer Nation im Mittelalter gespiegelt, und wirft seinen milden leuchtenden Glanz wie ein treulich führender Stern der Weisheit und des Friedens in die wilde Hast und Jagd, die trotzig sich ballenden Sturmwolken unserer gährenden grollenden Zeit. Man braucht seinen reinen Contouren, seiner durchaus harmonischen Anordnung nur zu folgen, und man hat und hält in sicherer Hand, was ich im Abschnitt »Politik« meines Hauptwerks (S. 301) und am Schlusse des achten Essays dieses Bandes deutlich als das Eine, was Noth thut, dargethan habe, um die trübe sich dahinwälzende Flut gequälter halbverthierter Menschenleben in das rechte Bett zu lenken, und zu einem klaren, breit und mächtig durch gesegnete Gefilde sich ergießenden Strom der allseitigen reichsten Bildung, der gesündesten, frohesten und sonnigsten Daseinserfüllung zu gestalten. Denn was wäre denn, ich frage, falls sie zu der erhofften Blüte gelangen sollte, eine solche von dem Geiste der höchsten und edelsten Humanität getragene Genossenschaft, eine solche Verbrüderung von echten »Rittern des heiligen Geistes«, von freien Dienern des göttlichen Gesetzes |
ii433 Anderes, als die Verwirklichung des lichten Traumes, welcher die Seele des edlen Wolfram von Eschenbach durchglühte, als er den reinen tapfren Händen der auserwählten Gralsschaar seines »Parzival« die denkbar höchste Mission der Welterlösung übertrug? –
So wird es denn auch Jedem, welcher meinen Ausführungen im siebenten Essay und speziell denjenigen der Seiten 265 und 268 mit Verständniß gefolgt ist, nur als eine logische Consequenz des dort entwickelten Princips erscheinen können, wenn er diejenigen beiden Namen, in deren wohlvertrautem Klang der Grundgedanke von Wolfram’s herrlicher Meisterschöpfung am Mächtigsten und Volltönendsten accentuirt ist, nun auch an der Stelle wieder findet, welche das Ideal des genialen Franken seiner endlichen Verkörperung zuzuführen strebt. Nicht mystischer Romanticismus, der in blind- rückläufiger Bewegung eine ausgesprochenermaßen auf den Resultaten der freiesten Forschung und dem Grunde der freiesten individuellen Bewegung stehen sollende Institution des 19ten Jahrhunderts in das schwerfällige Panzerkleid mittelalterlichen Formelkrams einzwängen zu können wähnt, gab der Benennung »Gralsorden« den Vorzug vor jeder anderen, die in Ansehung für die in’s Auge gefaßte Verbindung kommen konnte; kein utopistisch- anachronistisches Traumgewebe verdunkelte den freien, für die hart im Raume sich stoßenden Erscheinungen des gesellschaftlichen Fermentationsprozesses wohlgeschärften Blick, der nur und nur einen »Parzival«, einen durch alle Stadien des Zweifels, der inneren Läuterung, der vollkommensten Selbstüberwindung siegreich hindurchgegangenen »Inmittendurch« als dieses modernen Ordens Haupt und Stifter bestellt erkennen mochte. Auch das heilige Feuer der allmächtig lohenden opferwilligen Menschenliebe, das einem Pharus gleich, den göttliche Gluten nähren und schüren, seine Leuchte gerade den trübsten und dunkelsten Stationen auf der Bahn der Menschheit leiht und sie durch Kampf und Sturm zum sicheren Hafen leitet, reicht sich von Hand zu Hand, verlöschet nie. Der große Vorgänger, auf dessen Schultern sich die zeitgemäß aufgebaute Schöpfung eines »Gralsordens« unserer Tage: die freie Vereinigung freiwillig dem großen Gange der Menschheitsbewegung zum Werkzeug sich anbietender und einstellender Schicksalskämpfer emporheben würde, – dieser große Vorgänger hat in lauteren Händen die |
ii434 Flamme hoch genug über die Klippen und Strudel des dunklen, kampf- und leidgepeitschten Menschenstromes emporgehalten, um ihren seelendurchglühenden und erwärmenden Strahl mit ungeschwächter Kraft bis in die wogenden Strömungen und Brandungen unserer Zeit zu entsenden. Darum die Ehre Dem, dem sie gebührt.
Was dann weiter noch die bei der Abfassung des Statuts von mir gebrauchte Redeform anbetrifft, welche mit positiver Bestimmtheit durchweg ein Vorhandenes, bereits Bestehendes setzt, wo anscheinend doch nur erst von einem Werdenden geredet werden dürfte, das seines Daseins Fug und Recht erst noch beweisen soll, – warum, möcht’ ich da fast mit Goethe rufen, warum
denn Alles gleich ergründen!
Sobald der Schnee schmilzt, wird sich’s finden.
Lasse man bis zur Veröffentlichung meiner Tagebuchblätter, welche diesen Punkt noch vollständig in’s Klare rücken werden, meine einfache Versicherung genügend sein, daß in meiner individuellen Ueberzeugung (die ich Keinem aufdränge) die in den drei Einführungszeilen zu dem Statute gemachten Angaben auf einer Wahrheit beruhen, die unumstößlich für mich ist. Wohl sind es nur Zweie gewesen an dem Tage oder in der Stunde, die für mich diejenige der Geburt, der vollzogenen Stiftung des Ordens bedeutet, und tres erst »faciunt collegium«. Aber hat nicht der Heiland die schöne Verheißung gegeben:
Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen,
(Matth. 18, 20.)
und sollte das Nämliche nicht auch für den Athem Gottes, der die Welt durchweht und ihrem Ziele zuführt, für den heiligen Geist gelten dürfen, welchem dieser Bund von freien Dienern des göttlichen Gesetzes und des in diesem großen Gesetze ausgeprägten heiligen Willens Gottes sich weiht?
In diesem Sinne ist der Orden an dem angegebenen Tage gegründet worden und nur das Aufgehen des eingelegten Samenkornes, sein Emporsprießen, sein allmäliges Wachsen und Gedeihen zu einem weitschattenden Baume blieb eine Frage der Zeit, in deren sicherer Hut die aura seminalis noch keines Lebensfähigen und Lebenskräftigen ungeborgen gelegen, das im Entwicklungs|gang
ii435 der Menschheit als ein beschleunigender Faktor einzutreten bestimmt ist.
Mit diesem unerschütterlichen Vertrauen, dem sicheren Endergebniß und kostbarsten Gewinne meiner Philosophie, habe ich diesen Schlußstein meiner socialen Abhandlungen vollendet, und sende ihn als den letzten der »zwölf Apostel« meiner Lehre hinaus in die Welt, um mit den ihm vorangegangenen Brüdern die Mission zu erfüllen, die ihnen aufgegeben ist:
Machet die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen,
Wecket die Todten auf, treibet die Teufel aus!
Matth. 10, 7. 8.
—————
Sursum corda!
Erhebet eure Herzen! – ihr, die ihr im glutvollen Aufflammen der Seele unter dem Kusse des Erlösungsgedankens, wenn auch nur einen einzigen Augenblick lang, das entschleierte Bild einer leidlosen Menschheit mit entzücktem Auge geschaut habt, und von da an unverlierbar als den Abglanz eines Edens, das zur Wahrheit werden kann, in euch weitertruget! –
Erhebet eure Herzen, reget eure treuen, reinen, tapfren Hände, leget sie rüstig, mit dem Einsatz eurer ganzen Kraft, an das schwere aber große Werk, das mit ergreifender Gewalt aus jedem stumpfen müden Blick, aus jeder verödeten verbitterten Brust, aus jeder blassen hohlwangigen Gestalt der noch leidvollen Menschheit um seine Ausführung zu euch fleht! –
Wirket und lebet, streitet und leidet für seine Verwirklichung und Vollendung durch eure unbedingte Einstellung in die Grundbewegung des Schicksals: die unwandelbare Richtung der Menschheitsbewegung, als deren strahlende Weiser uns die vier Sternenblumen Gottes vorausleuchten! –
Labet immer und immer wieder, wenn ihr ermatten oder straucheln wollt, euer geistiges Auge an dem »künftigen großen Glück«, von dem die lichte goldene Ferne des zur Wirklichkeit gewordenen idealen Staates redet: dieses letzten Durchgangspunktes auf dem Wege der armen, ruh- und rastlos vorwärts gepeitschten Menschheit zu ihrer endlichen seligen Erlösung! –
ii436 Stillt eures Herzens tiefe Sehnsucht nach dem gelobten Lande des ewigen Friedens, so lange ihr euch nicht verbraucht (worked out) für die Wege und Absichten des Schicksals in der Richtung des Weltgangs erkennen dürft, an dem Quell der rastlosen Arbeit, des reinen Wirkens für Andere, – jene Andere, die noch nicht so weit wie ihr, zu der Höhe eurer Erkenntniß erst noch emporzuheben, dem Gedanken der Erlösung erst noch zu gewinnen sind.
Seid reine Templeisen, treue Hüter und Pfleger der höchsten Güter der Menschheit;
echte Ritter des Grales, des heiligen Willens Gottes;
treue tapfere Diener des in der Taube des heiligen Geistes verkörperten göttlichen Gesetzes:
Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Keuschheit.
In diesem Zeichen – habemus ad dominum – wollen und werden wir siegen!
3. März 1876.*[1]
*[1]Der Verfasser ist noch in demselben Monat (wie schon Eingangs des vorhergehenden Essays bemerkt) im fünfunddreißigsten Jahre seines Lebens gestorben.
In der Reihenfolge, wie die zwölf Essays von ihm geschrieben wurden, war der vorliegende zehnte der letzte.
Der Gralsorden.
ii437
Der Gralsorden wurde am 17. September 1874 von – – sagen wir: Peredur Mittendurch gegründet. Er ist kein geheimer Orden, sondern ein absolut öffentlicher. Deshalb zeigt sein Statut sein ganzes Wesen.
Statut des Gralsordens.
I. Der Zweck des Ordens.
Der Zweck des Ordens ist die treue unermüdliche Bereitung und Ebenung aller Wege, die zur Erlösung der Menschheit führen; oder was dasselbe, die in der ganzen Menschheit mit Wort und That zu erstrebende, auf die ganze Menschheit sich erstreckende Verwirklichung des in der Taube des heiligen Geistes symbolisch verkörperten göttlichen Gesetzes:
Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Keuschheit.
—————
II. Die Mitglieder des Ordens.
Den Orden bilden:
a. Die Templeisen.
b. Die Weisen.
c. Die Knappen.
d. Die Helfer.
Allgemeines.
1.
Die Mitglieder der drei ersten Klassen – das Ingesinde – leben in Ordenshäusern, Gralshöfen.
ii438
2.
Der Gralshof ist ihre Heimath.
3.
Sie widmen sich in demselben ihrem bürgerlichen Berufe.
4.
Ihre Bewegung ist durch Nichts gehemmt. Sie wird nur regulirt durch die Hausordnung und das Gelübde.
5.
Ihre Arbeit deckt ihren Unterhalt.
6.
Macht ein Mitglied dem Orden eine Vermögensschenkung, so wird dieselbe erst mit dem Tode des Schenkers perfekt.
7.
Es giebt keine Ordenstracht.
8.
Das Siegel des Ordens ist eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Die Umschrift lautet: Der Orden des Grals.
9.
Die Fahne des Ordens ist weiß und zeigt in der Mitte einen schönen Jüngling mit großen friedvollen Augen: das verklärte Bild des Todes, getragen von der Taube, dem Symbole der Erlösung.
a. Die Templeisen.
Allgemeines.
1.
In den Templeisen ist das geistliche und weltliche Kämpferthum vereinigt.
2.
Jeder Templeise ist zu einem Vortrag im Jahre verpflichtet. Er wählt das Thema. Er kann mehr als einen Vortrag halten.
Eintritt.
1.
Der Eintritt steht Jedem frei, welcher das zwanzigste Lebensjahr vollendet hat, seinem Vaterland mit der Waffe zu dienen verpflichtet ist oder dienen will, und unverheirathet ist.
ii439
2.
Weder Stand, noch Beruf, noch Nationalität, noch Confession, noch abgelaufenes Leben ist ein Hinderniß für den Eintritt.
Austritt.
Der Austritt ist jederzeit gestattet.
b. Die Weisen.
Allgemeines.
1.
Die Weisen sind entweder keine Glieder der organisirten Wehrkraft ihres Volkes oder wollen nach erloschener Militärverpflichtung nicht mehr mit der Waffe streiten.
2.
Sie widmen sich im Kriege der Pflege der Verwundeten.
3.
Jeder Weise ist zu einem Vortrag im Jahre verpflichtet. Er wählt das Thema. Er kann mehr als einen Vortrag halten.
Eintritt.
1.
Der Eintritt steht Jedem frei, der das zwanzigste Lebensjahr überschritten hat und unverheirathet ist.
2.
Weder Stand, noch Beruf, noch Nationalität, noch Confession, noch abgelaufenes Leben ist ein Hinderniß für den Eintritt.
3.
Die Templeisen, welche nach Erlöschung ihrer Militärpflicht nicht länger mit der Waffe dienen wollen, treten in die Gemeinschaft der Weisen.
Austritt.
Der Austritt ist jederzeit gestattet.
c. Die Knappen.
Allgemeines.
Die Knappen sind Diejenigen, welche sich dem Dienste des Grals, dem göttlichen Gesetze nach vollendetem zwanzigsten Lebensjahre widmen wollen.
ii440
Eintritt.
1.
Der Eintritt steht Jedem frei, welcher das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hat und die Erlaubniß seines Vaters, resp. Vormunds vorlegen kann.
2.
Weder Stand, noch Beruf, noch Nationalität, noch Confession, noch abgelaufenes Leben ist ein Hinderniß für den Eintritt.
Austritt.
Der Austritt ist jederzeit gestattet.
d. Die Helfer.
Allgemeines.
1.
Die Helfer sind die Beschützer des Gralsordens.
2.
Sie zahlen dem Orden einen jährlichen Beitrag nach Belieben.
3.
Sie erhalten dagegen den jährlichen Bericht des Ordens.
4.
Jeder Helfer hat mindestens einen Brief im Jahre an den Orden zu richten.
5.
Die Helfer werden stets hochwillkommene Gäste des Ordens sein. Sie finden jederzeit Wohnung und Verpflegung in den Gralshöfen.
Eintritt.
1.
Jeder, der das zwanzigste Lebensjahr vollendet hat, kann in die Gemeinschaft der Helfer treten.
2.
Der Antrag muß schriftlich gestellt werden.
Austritt.
1.
Der Austritt ist jederzeit gestattet.
2.
Er muß schriftlich angezeigt werden.
—————
ii441
III. Die Organisation des Ordens.
A. Der Männerorden.
Allgemeines.
1.
An der Spitze des Ordens steht der Parzival.
2.
Ihm zur Seite stehen:
1) der Seneschall, sein Vertreter;
2) der Komthur der Templeisen;
3) der Komthur der Weisen;
4) der Komthur der Knappen;
5) der Schatzkomthur, zugleich Komthur der Helfer;
6) der Hauskomthur.
3.
An der Spitze jeder Filiale des Ordens steht der Loherangrin, welcher wie der Parzival von sechs Beamten unterstützt wird.
4.
Es giebt keine Rangunterschiede im Orden. Der Parzival ist der Erste unter Gleichen.
Spezielles.
a. Der Parzival.
1.
Der Parzival muß ein Templeise sein.
2.
Er repräsentirt den Orden.
3.
Er hat den Vorsitz in allen Versammlungen.
4.
Er hat das Veto gegen die Aufnahme in den Orden und gegen Vorschläge, welche die Abänderung des Statuts bezwecken.
5.
Er ist unabsetzbar.
6.
Er kann jedoch sein Amt niederlegen.
7.
Auch ist er nur so lange Parzival, als er ein Templeise ist.
ii442
8.
Er hat das Recht der Präsentation seines Nachfolgers.
9.
Er giebt bei Stimmengleichheit den Ausschlag.
10.
Sind der Parzival und der Seneschall im Kriege, so tritt der Komthur der Weisen an die Spitze des Ordens.
b. Der Loherangrin.
1.
Der Loherangrin muß ein Templeise sein.
2.
Er wird vom Mutterhofe delegirt und abberufen.
3.
Er repräsentirt die Filiale.
4.
Er hat den Vorsitz in allen Versammlungen seines Hofes.
5.
Er giebt bei Stimmengleichheit den Ausschlag.
c. Die Beamten.
1.
Die Beamten werden von den Mitgliedern jedes Gralshofes gewählt.
2.
Sie müssen mit der Zweidrittel- Majorität der eingeschriebenen Mitglieder eines Gralshofes gewählt werden.
3.
Der Seneschall und der Komthur der Templeisen müssen Templeisen sein. Der Komthur der Weisen muß ein Weiser sein.
d. Die Versammlungen des Ordens.
Allgemeines.
Jedes Mitglied kann Anträge stellen.
1. Die Ordens-Kapitel.
1.
Jeder Gralshof versammelt sich täglich und ordnet seine sämmtlichen Angelegenheiten mit Ausnahme der Beamtenwahl durch einfache Stimmenmehrheit der Anwesenden.
ii443
2.
Stirbt ein Beamter, so wird sofort vom Ordens-Kapitel ein Nachfolger erwählt.
3.
Ueber die Aufnahme von Mitgliedern entscheidet das Ordens-Kapitel des Mutterhofes vierzehn Tage nach der Anmeldung, resp. Präsentation.
4.
Meldet sich Jemand bei einer Filiale zum Eintritt, so entscheidet das Ordens-Kapitel der Filiale über die Präsentation.
5.
Verwirft eine Filiale ein Aufnahmegesuch, so kann sich der Abgewiesene an den Mutterhof wenden.
6.
Alle Correspondenzen, Erlasse, Vollmachten etc. müssen die Unterschriften des Parzivals und Seneschalls, resp. des Loherangrins und seines Seneschalls tragen.
7.
Außerhalb des Ordens haben nur solche Schriftstücke Kraft, welche der Parzival und sein Seneschall unterschrieben haben. Es sind jedoch auch Schriftstücke des Loherangrins und seines Seneschalls außerhalb des Ordens verbindlich, wenn denselben eine Vollmacht des Parzival und seines Seneschalls beiliegt.
2. Die General-Kapitel.
1.
Am Ende eines jeden Jahres wird ein General-Kapitel im Mutterhofe abgehalten.
2.
Dasselbe besteht aus:
1) sämmtlichen Mitgliedern des Mutterhofes;
2) sämmtlichen Loherangrinen der Filialen;
3) je einem Delegirten jeder Filiale, welchen ihr Ordens-Kapitel erwählt hat.
3.
Ein Loherangrin kann sich durch einen Beamten seines Hofes vertreten lassen.
4.
Ingleichen kann der Loherangrin einer sehr entfernten Filiale (z.B. in Japan, Brasilien) sich durch den Beamten einer anderen Filiale vertreten lassen, welcher zwei Stimmen für den Hof abgiebt, den er vertritt.
ii444
5.
Das General-Kapitel kann in dringenden Fällen außer der Zeit vom Parzival einberufen werden.
6.
Nur ein General-Kapitel kann ein Mitglied ausstoßen und ein ausgestoßenes Mitglied nach Ablauf eines Jahres wieder aufnehmen.
7.
Es erwählt den Parzival.
8.
Stirbt der Parzival, ohne einen Nachfolger präsentirt zu haben, so beruft der Seneschall das General-Kapitel derartig, daß es längstens einen Monat nach dem Tode des Parzivals tagt.
9.
Stirbt der Seneschall, ehe die Einberufung stattgefunden hat, so beruft sie der Komthur der Templeisen des Mutterhofes, eventuell der Komthur der Weisen und so fort. In der Zwischenzeit tritt der Seneschall an die Spitze des Ordens, eventuell der Komthur der Templeisen u.s.f.
10.
Alle Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Bei der Wahl des Parzival ist jedoch die Zweidrittel- Majorität maßgebend.
3. Loherangrin-Kapitel.
1.
Ist der Orden durch den Parzival oder andere Glieder gefährdet, so treten die Loherangrine zusammen.
2.
Kommt die Gefahr nicht vom Parzival, so beruft der Parzival selbständig das Kapitel; anderen Falles muß es der Parzival auf Grund eines Beschlusses des Ordens-Kapitels des Mutterhofes oder des General-Kapitels sofort berufen.
3.
Es tritt längstens vierzehn Tage nach der Einberufung zusammen. Die Loherangrine sehr entfernter Filialen können sich von anderen Loherangrinen dabei vertreten lassen.
4.
Gegen seine Beschlüsse mit einfacher Majorität giebt es keine Appellation.
ii445
5.
Der Parzival nimmt, wenn es seinetwegen berufen wurde, an der Abstimmung nicht Theil.
6.
Wegen eines Vetos des Parzival darf kein Loherangrin-Kapitel berufen werden.
7.
Das Loherangrin-Kapitel kann mit Zweidrittel- Majorität den Parzival auf ein Jahr vom Amt entfernen.
8.
Der Seneschall leitet während dieser Zeit den Orden.
9.
Ist der Seneschall compromittirt, so wählt das Kapitel einen Parzival- Stellvertreter.
e. Visitationen.
Die Filialen werden monatlich von einem Delegirten des Mutterhofes visitirt.
B. Der Frauenorden.
1.
Der Frauenorden ist unabhängig vom Männerorden.
2.
Die gemeinsamen Interessen beider Orden werden durch den Parzival und die Vorsteherin gewahrt.
3.
Die Art dieser gemeinsamen Wirksamkeit bestimmt das Statut des Frauenordens.
—————
IV. Die Hausordnung.
1.
Um sieben Uhr Morgens Frühstück.
2.
Um zwölf Uhr Mittagbrod (Fleischkost und reine Pflanzenkost).
3.
Um sieben Uhr Abends Abendbrod.
4.
Um elf Uhr wird der Gralshof geschlossen.
—————
ii446
V. Das Ritual.
1. Aufnahme.
Allgemeines.
1.
Die Aufnahme bewerkstelligt der Parzival; doch kann er sich von einem Beamten des Mutterhofes vertreten lassen.
2.
Ein Beamter und ein Mitglied müssen als Zeugen zugegen sein.
3.
Die Zeugen werden durch die alphabetische Reihenfolge bestimmt.
4.
Sämmtliche bei der Handlung Anwesenden tragen das Ornat, welches nur bei dieser Gelegenheit angelegt wird.
5.
Ueber die Aufnahme wird ein Protokoll in der Ordensmatrikel aufgenommen, wovon der Aufgenommene eine Abschrift erhält.
a. Aufnahme der Templeisen.
1.
Die beiden Zeugen müssen Templeisen sein.
2.
Der Parzival trägt den weißen Waffenrock mit rothen Litzen, die silbernen Waffen: Küraß mit der Taube, Helm mit der Taube, Degen, und den rothen Mantel mit der weißen Taube.
Die Zeugen haben denselben Anzug ohne Mantel.
Der Fremdling hat denselben Anzug ohne Waffen und Mantel.
3.
Die Zeugen führen den Fremdling an den Händen vor den Parzival und treten dann an dessen Seiten.
4. (Einleitung.)
Parzival. Vor der Welt war nur Gott. Es war kein anderes Wesen neben Gott, und kein Geist kann das Wesen Gottes ergründen und erfassen. Das wissen wir.
Aber Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben der Welt.
ii447 Und Gott ist gestorben und die Welt wurde geboren, weil Gott nur durch den Prozeß der Welt vom Dasein sich befreien kann.
So ist die Welt der zersplitterte Gott und der Kampf in der Welt seine Erlösung vom Dasein.
Also ist kein Gott mehr, sondern nur die Welt.
Aber der Ursprung aus dem Einigen Gott schlingt ein festes Band um alle Einzelwesen.
So giebt es nur eine Welt und keinen Gott, aber der göttliche Athem durchsauset und durchbrauset die Welt. Das wissen wir.
Und der göttliche Athem ist das göttliche Gesetz; und das göttliche Gesetz ist der Weg der Welt; und der Weg der Welt ist der Weg der Wahrheit.
So sind göttlicher Athem, göttliches Gesetz, Weg der Welt und Weg der Wahrheit Eines und Dasselbe. Das wissen wir.
Und die Worte des Gesetzes, oder die Triumphbogen des Weges, oder die Stufen der Weltbewegung, oder die Sonnenpferde des göttlichen Willens sind:
Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Keuschheit.
Diese vier Tugenden fassen wir zusammen im Bilde der Taube.
So ist in der Taube das göttliche Gesetz verkörpert oder die Erlösung.
Es ist Eine Menschheit und sind viele Völker und ist Eine Menschheit und sind viele Menschen.
Und so lange die Menschheit nicht Ein Volk ist, ist jeder Einzelstaat vom göttlichen Athem geheiligt.
So ist der Staat das einzige Heilige auf Erden. Das wissen wir.
Wenn wir uns aber hingeben diesem Heiligen, geben wir uns dem göttlichen Gesetze hin. Das wissen wir.
Und je glühender wir uns dem Vaterland hingeben, desto reiner dienen wir dem göttlichen Gesetz.
So verlangt denn die Taube zunächst glühende, ganze, volle Hingabe an das Vaterland, so lange bis die Menschheit Ein Volk ist.
Ist die Menschheit Ein Volk, so verliert die Taube die schimmernde Feder der Vaterlandsliebe. Bis dahin aber gehört die Feder zum glänzenden Gefieder der Taube und wer das Auge abwendet von dieser Feder, der verräth das göttliche Gesetz und ist ein Unglücklicher.
Es verlangt die Taube zum Zweiten Gerechtigkeit.
ii448 Es sind alle Menschen zur Erlösung berufen und Keiner ist ausgeschlossen.
So verlangt denn die Taube, daß jedem Menschen das Mittel gewährt werde, sich zu erlösen.
Und dieses Mittel ist gleiches Arbeitsmaß für Jeden, gleiches Spiel für Jeden, gleiche Ruhe für Jeden, gleiche Bildung für Jeden im Einzelstaate.
So verlangt denn die Taube von uns, daß wir den Menschen das Mittel erkämpfen. Das wissen wir.
Es verlangt die Taube zum Dritten Nächstenliebe.
Es ist Keiner vor dem göttlichen Gesetz größer, Keiner liebenswerther als der Andere.
So verlangt denn die Taube von uns gleiche Güte für Alle, gleiche Milde für Alle, gleiche Demuth für Alle, gleiche Liebe für Alle. Und soll Keiner höher oder tiefer in unserem Herzen stehen, sondern Alle sollen auf gleicher Stufe stehen.
Es verlangt die Taube zum Vierten Keuschheit.
Der Geschlechtstrieb ist das Band, das uns am festesten an die Welt bindet; er ist der größte Felsen, der uns vom Herzensfrieden scheidet; er ist der dichteste Schleier, der uns die Sternenblumen des göttlichen Gesetzes verhüllt.
Nur wer ganz abgelöst ist von Personen und Sachen, ist ein reiner Priester der Taube.
So verlangt denn die Taube von uns absolute Keuschheit. Das wissen wir. –
5. (Gelöbniß.)
Parzival. So gelobe denn zum Ersten:
Daß du für dein Vaterland gegen andere Staaten muthig und treu bis zum Tode mit der Waffe kämpfen willst; denn nur aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Staaten entsteht der Gang der Menschheit in unserer Zeit.
Fremdling. Ich gelobe es.
(Ist der Fremdling ein Ausländer, so ist Folgendes einzuschalten:
Parzival. Gelobe ferner, daß du unser nicht schonen willst, wenn du uns auf dem Schlachtfeld als Feind begegnest; denn auch wir werden deiner nicht schonen. Das Reich des Friedens ist noch nicht da und je tapf’rer wir für unser Vaterland streiten, desto schneller kommt das Reich des Friedens herbei.
ii449 Fremdling. Ich gelobe es.)
Parzival. So gelobe zum Zweiten:
Daß du kämpfen und, wenn es sein muß, sterben willst für gleiche Arbeit, gleiches Spiel, gleiche Ruhe, gleiche Bildung für jeden Bürger in deinem Staate.
Fremdling. Ich gelobe es.
Parzival. So gelobe zum Dritten:
Daß du allen Menschen dienen willst in gleicher Herzensgüte, gleicher Milde, gleicher Demuth, gleicher Liebe; daß du mich nicht mehr lieben willst als die anderen Templeisen, und diese nicht mehr als die Weisen, und diese nicht mehr als die anderen Menschen, sondern daß du alle Menschen mit gleicher Liebe umfassen und keinen Menschen hassen willst.
Fremdling. Ich gelobe es.
Parzival, So gelobe zum Vierten:
Daß du unbefleckt von Weibern, unbefleckt von Männern, unbefleckt von Thieren, und unbefleckt von dir selber wandeln willst von heute ab, bis du das Gelübde nicht länger halten kannst und von uns scheiden mußt.
Fremdling. Ich gelobe es.
6. (Schwur.)
Parzival. So schwöre der Taube lautere, reine, helle Treue:
Ich will ein Kind des Lichtes sein, ich will Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Keuschheit in absoluter Weise üben, bei dem vorweltlichen Einigen Gott, bei seinem Sohne, der Welt, und bei seinem heiligen Athem, der die Welt durchbrauset, beim heiligen Geist.
Fremdling (kniet nieder und umfaßt die Taube.)
Ich will ein Kind des Lichtes sein, ich will Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Keuschheit in absoluter Weise üben, bei dem vorweltlichen Einigen Gott, bei seinem Sohne, der Welt, und bei seinem heiligen Athem, der die Welt durchbrauset, beim heiligen Geist.
7. (Aufnahme.)
Parzival. So nehme ich dich auf in die Gemeinschaft der Templeisen des Grals.
(Er hebt ihn auf, drückt ihm beide Hände und umarmt ihn. Dann hängt er ihm die broncene Kette um.)
ii450 Sei gehorsam deinem Schwur an allen Orten und zu allen Zeiten.
(Er gürtet ihm das Schwert um.)
Arbeite, kämpfe und leide für Andere, bis dein Auge bricht.
(Er legt ihm den Küraß an.)
Sei getreu der Taube bis zum Tode.
(Er setzt ihm den Helm auf.)
Sei tapfer, arm und keusch.
(Hierauf drücken die Zeugen dem Bruder die Hände und wird das Protokoll unterzeichnet.)
b. Aufnahme der Weisen.
1.
Die beiden Zeugen müssen Weise sein.
2.
Der Parzival trägt den schwarzen bürgerlichen Anzug, Küraß und Helm (keinen Degen) und den weißen Mantel mit der blauen Taube.
Die Zeugen haben denselben Anzug ohne Mantel.
Der Fremdling hat denselben Anzug ohne Mantel und Schutzwaffen.
3.
Die Zeugen führen den Fremdling an den Händen vor den Parzival und treten dann an dessen Seiten.
4. (Einleitung.)
Ist dieselbe wie bei den Templeisen.
5. (Gelöbniß.)
Parzival. So gelobe denn zum Ersten:
Daß du dein Vaterland lieben willst mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen und mit ganzem Gemüthe.
Fremdling. Ich gelobe es.
Parzival. So gelobe zum Zweiten:
Daß du kämpfen und, wenn es sein muß, sterben willst für gleiche Arbeit, gleiches Spiel, gleiche Ruhe, gleiche Bildung für Jeden in deinem Vaterlande.
Fremdling. Ich gelobe es.
Parzival. So gelobe zum Dritten:
Daß du allen Menschen dienen willst in gleicher Herzensgüte, gleicher Milde, gleicher Demuth, gleicher Liebe; daß du mich nicht mehr lieben willst als die anderen Weisen, und diese nicht mehr als die Templeisen, und diese nicht mehr als die anderen Men|schen,
ii451 sondern daß du alle Menschen mit gleicher Liebe umfassen und keinen Menschen hassen willst.
Fremdling. Ich gelobe es.
Parzival. So gelobe zum Vierten:
Daß du unbefleckt von Weibern, unbefleckt von Männern, unbefleckt von Thieren, und unbefleckt von dir selber wandeln willst von heute ab, bis du das Gelübde nicht länger halten kannst und von uns scheiden mußt.
Fremdling. Ich gelobe es.
6. (Schwur.)
Ist derselbe wie bei den Templeisen.
7. (Aufnahme.)
Parzival. So nehme ich dich auf in die Gemeinschaft der Weisen des Grals.
(Er hebt ihn auf, drückt ihm beide Hände und umarmt ihn.)
Sei gehorsam deinem Schwur.
(Er hängt ihm die silberne Kette um.)
Arbeite, kämpfe und dulde für Andere.
(Er legt ihm den Küraß an.)
Sei treu der Taube.
(Er setzt ihm den Helm auf.)
Sei muthig, arm und keusch.
(Hierauf drücken die Zeugen dem Bruder die Hände und wird das Protokoll unterzeichnet.)
c. Ausnahme der Knappen.
1.
Die beiden Zeugen sind Weise.
2.
Der Parzival und die Zeugen tragen die Kleidung der Weisen; der Fremdling den schwarzen bürgerlichen Anzug.
3.
Die Zeugen führen den Fremdling an den Händen vor den Parzival und treten dann an dessen Seiten.
4. (Einleitung.)
Parzival. Der Gral, mein Sohn, ist der göttliche Wille, und wer seinen Eigenwillen in den göttlichen Willen fließen läßt, der wird Ruhe finden für seine Seele.
ii452 Der Herzensfriede aber ist das höchste Gut.
Der göttliche Wille ist verkörpert in unserem Symbole, der Taube.
So fordert die Taube von dir Treue, Liebe und Folgsamkeit für deine Lehrer, die dir das göttliche Gesetz offenbaren werden.
5. (Gelübde.)
Parzival. So gelobe denn:
Daß du uns treu sein willst, uns lieben und uns folgen willst.
Fremdling. Ich gelobe es.
6. (Schwur.)
Parzival. So schwöre:
Treue der Taube.
Fremdling (kniet nieder und legt die Hand auf die Taube.)
Treue der Taube.
7. (Aufnahme).
Parzival. So nehme ich dich auf in die Gemeinschaft der Knappen des Grals.
(Er hebt ihn auf und umarmt ihn.)
Mögest du einst eine Zierde des Grales werden.
(Er setzt ihm einen Kranz von Kornblumen auf.)
Mögest du rein bleiben bis zum Tode.
(Er hängt das schwarze Band mit der broncenen Taube um seinen Hals. Hierauf umarmen die Zeugen den Knappen und wird das Protokoll unterzeichnet.)
d. Aufnahme der Helfer.
1.
Die Aufnahme wird den Helfern schriftlich angezeigt.
2.
Dem Schreiben liegt eine Aufnahme-Urkunde und eine kleine broncene Taube bei.
3.
Die Aufnahme-Urkunde ist vom Parzival und von sämmtlichen Beamten unterzeichnet und trägt das Siegel des Grals.
2. Uebertritt.
1.
Die Knappen treten nach vollendetem zwanzigsten Lebensjahre in die von ihnen gewählte Gemeinschaft.
ii453
3.
Tritt ein Weiser in die Gemeinschaft der Templeisen über, so führen die Zeugen (Templeisen) den Weisen in seinem Ornate (jedoch mit dem Waffenrock der Templeisen) vor den Parzival.
Parzival. Es grüßen die Templeisen den Weisen.
Ich entbinde dich des ersten Theils deines Gelübdes.
Gelobe an seiner Statt:
Daß du für dein Vaterland gegen andere Staaten muthig und treu bis zum Tode mit der Waffe kämpfen willst; denn nur aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Staaten entsteht der Gang der Menschheit in unserer Zeit.
Weiser. Ich gelobe es.
(Ist er ein Ausländer, so folgt die Einschaltung s. Aufnahme der Templeisen.)
Parzival. So nehme ich dich auf in die Gemeinschaft der Templeisen des Grals.
(Er umarmt ihn, gürtet ihm das Schwert um, nimmt von seinem Halse die silberne Kette und hängt ihm die broncene um.)
3.
Tritt ein Templeise in die Gemeinschaft der Weisen über, so führen die Zeugen (Weise) den Templeisen in seinem Ornate (jedoch mit dem schwarzen Rock der Weisen) vor den Parzival.
Parzival. Es grüßen die Weisen den Templeisen.
Ich entbinde dich des ersten Theiles deines Gelübdes.
Gelobe an seiner Statt:
Daß du dein Vaterland lieben willst mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen und mit ganzem Gemüthe.
Templeise. Ich gelobe es.
Parzival. So nehme ich dich auf in die Gemeinschaft der Weisen des Grals.
(Er umarmt ihn, gürtet ihm das Schwert ab, nimmt von seinem Halse die broncene Kette und hängt ihm die silberne um.)
3. Austritt.
Tritt ein Templeise oder ein Weiser oder ein Knappe aus, so tritt Jeder im vollen Ornat, geführt von den Zeugen, vor den Parzival.
Parzival. Ich entbinde dich deines Gelübdes, ich löse deinen Schwur.
(Er nimmt ihm das Ornat ab.)
Möge die Erinnerung an dein Leben mit uns dein Leben in der Welt verklären.
ii454 Möge das Bild der Taube dir vorschweben in der Wüste der Welt und dich trösten.
Lebe wohl.
4. Ausstoßung.
Alle sind im Ornat.
Parzival. Du hast dein Gelübde gebrochen.
Du hast nach der Taube gestochen.
(Er nimmt ihm das Ornat ab.)
Möge das Bild der blutenden Taube dich bessern.
Lebe wohl.
—————
VI. Mittel zum Zweck des Ordens.
1.
Die Templeisen kämpfen für den idealen Staat im heutigen Staat, und mit diesem gegen andere Staaten.
2.
Die Weisen kämpfen für den idealen Staat im heutigen Staate.
3.
Der Kampf der Templeisen gegen andere Staaten wird von ihnen als Glieder des nationalen Heeres geführt.
4.
Der Kampf im Staate bezweckt:
1) Beförderung der Humanität auf allen Gebieten;
2) Emancipation des vierten Standes;
3) Emancipation aller Stande aus den Banden der Unwissenheit;
4) Pflege der Kunst, der Wissenschaft, des Ackerbaues und der Industrie;
4) Schutz der Thiere.
5.
Zu den Vorträgen der Ordensmitglieder hat Jeder freien Zutritt.
6.
Der Orden prüft die Vorträge, nachdem sie gehalten worden sind und veröffentlicht die besten.
7.
Der Orden entsendet wandernde Volkslehrer.
ii455
8.
Der Orden beschickt sämmtliche humanen und wissenschaftlichen Congresse.
9.
Der Orden stellt Kandidaten für die Volksvertretungen auf. Der Parzival, sein Seneschall, die Loherangrine und ihre Seneschalle können jedoch keine Volksvertreter sein.
—————
Motive.
ii455u
1.
Die vornehmste Aufgabe des Ordens ist die Lösung der socialen Frage, welche er als eine alle Schichten der menschlichen Gesellschaft betreffende auffaßt. Sie ist für ihn eine Bildungsfrage. Mehr als neun Zehntel der sogenannten Gebildeten ist halbgebildet, d.h. verworrener als die ganz Rohen. Der Schrei, der allüberall ertönt, ist ein Schrei nach Bildung, nach echter wissenschaftlicher Bildung, weil diese allein reinigen, verinnerlichen, befriedigen und erlösen kann.
Der Schrei ist ferner ein Schrei der ganzen Menschheit.
2.
Der Orden durfte deshalb Niemand verschlossen sein.
3.
Er durfte nicht den Ausländern verschlossen sein: die Bewegung der Menschheit resultirt aus den Bewegungen der einzelnen Völker, so lange bis die Menschheit vermöge bestimmter Institutionen Ein Volk bilden wird. Die Principien des Ordens sind solche, welche die Völker im Frieden nicht trennen; der Zwiespalt im Kriege verwischt gleichfalls nicht die Principien des Ordens; denn seine Mitglieder wissen, daß die Menschheit desto schneller zur Ruhe kommen wird, je kräftiger ihre Krisen sind. Im Frieden stehen die Gralskämpfer aller Nationen Hand in Hand; im Kriege bekämpfen sie einander und in beiden Fällen werden sie von der Taube, dem Symbole des Erlösungsgedankens, getragen: sie verletzen mithin in keiner Weise das Princip des Ordens.
ii456
4.
Der Orden durfte nicht den Schlechten und Verbrechern verschlossen werden: die Wissenschaft führt die schwersten Verbrechen nur auf ein Uebermaß der rohen Naturkraft zurück, die in allen Menschen lebt. Die heutige Gesellschaft macht den Verbrecher noch schlechter als er ist, wann er aus dem Zuchthause entlassen wird. Der Orden dagegen sucht mild das Feuer des wilden Blutes zu einer wohlthätigen Macht zu gestalten.
5.
Der Orden durfte keinen sklavischen Gehorsam gegen eine Person verlangen. Getragen im Allgemeinen vom Geiste des Zeitalters und im Besonderen vom deutschen Volksgeist, der auf der freien Persönlichkeit beruht, konnte er nur einen Gehorsam vor dem klar zu erkennenden göttlichen Gesetze, dem göttlichen Willen verlangen. Durch das Gelübde des Ordens kettet sich Niemand an eine Person, sondern an ein erkanntes klares Princip, dessen concreter Ausdruck das Bild der Taube ist. Weil dieser Gehorsam nicht auf einem Glauben, sondern auf einem Wissen beruht, kann er keiner Person, sondern nur der Wahrheit geleistet werden.
6.
Deshalb durfte auch der Orden den bürgerlichen Beruf seiner Mitglieder nicht antasten, denn der Beruf gehört zur freien Persönlichkeit.
Der Ertrag der Arbeit mußte dagegen dem Orden zufließen, da jeder Templeise und jeder Weise von der Welt abgelöst ist, mithin auch kein individuelles Eigenthum verlangen kann.
Die Arbeit wurde durch kein Gesetz regulirt, weil Jeder am göttlichen Gesetz einen genügenden Sporn zur Thätigkeit hat. Dem Faulen fehlt die innere Ruhe, das höchste Gut.
Tritt ein Mitglied des Ordens aus, so schuldet ihm der Gral Nichts, auch braucht er dasselbe nicht zu unterstützen, denn es hat seine Arbeitskraft.
Dagegen würde es ungerecht sein, ihm das Vermögen vorzuenthalten, das es in moralischer Begeisterung der Taube opferte. Deshalb mußte die Bestimmung gesetzt werden, daß nur der Tod |
ii457 eine Schenkung perfekt macht und eine Zurücknahme der Gabe bei Lebzeiten jederzeit gestattet ist.
Der Orden verkennt nicht die Macht, welche ein großer Besitz giebt, aber höher, viel höher schätzt er die Macht des reinen Strebens seiner Glieder und die Macht des göttlichen Athems, der sie belebt.
7.
Der Orden durfte auch die übrigen Bewegungen der Individuen nicht eindämmen. Die Diener des göttlichen Gesetzes zerfallen in zwei Klassen: in solche, welche vorzugsweise in ruhiger Beschaulichkeit und im ruhigen schriftlichen Aussprechen ihrer Ueberzeugung, seltener in ruhiger mündlicher Ermahnung Frieden finden, und in solche, welche noch zu energisch für diese Thätigkeit sind. Ihre Energie verlangt adäquate Bethätigung und findet nur den inneren Frieden, wenn sie das göttliche Gesetz in der Menschheit zu verwirklichen mit aller Kraft versuchen darf.
Allen Mitgliedern, besonders aber den Templeisen, mußte deshalb der Verkehr mit der Welt offen gehalten werden, obgleich sie nicht mehr zur Menschheit gehören.
Wird herrenlos ein Land,
Das eines Königes begehrt:
Aus der Schaar des Grals wird Der gewährt.
Wohl wird des Volks ein Solcher pflegen,
Denn ihn begleitet Gottes Segen.
Die Templeisen schrecken nicht vor Blut zurück, weil sie wissen, daß die heutige Menschheit noch von Zeit zu Zeit der Bluttaufe bedarf. Die Weisen dagegen wollen kein Blut vergießen: das trennt die beiden Hauptzweige des Ordens. Aber Alle weihten ihr Leben der Menschheit: das verbindet wieder auf’s Innigste die beiden Hauptzweige des Ordens.
Der Verkehr mit der Welt hätte übrigens schon deshalb den Mitgliedern frei gehalten werden müssen, da einerseits der Orden principiell keinen äußeren Gottesdienst kennt und andererseits mancher Weise, der Anregungen wegen, den äußeren Gottesdienst nicht entbehren kann; ferner weil viele Mitglieder ihrem Berufe nur auf die gewöhnliche Weise nachgehen können.
ii458
8.
Der Orden durfte den Austritt nicht beschränken; denn er will das Glück, den Herzensfrieden, die volle Unbeweglichkeit, das tiefe Schweigen des inwendigsten Grundes der Seele in seinen Mitgliedern erzeugen, nicht erzwingen. Der Stifter wußte wohl, daß nur Menschen von einer bestimmten Kraft sich mit Erfolg so weit selbst binden können, wie der Orden es verlangt, und daß mithin Selbsttäuschungen in der Glut der ersten Begeisterung vorkommen müssen. Weil nun ein Uebermaß roher Naturkraft nicht immer durch ein edles Motiv geschwächt wird, sondern oft nur im Taumel der Weltlust abgetödtet werden kann, so mußte der Rücktritt eines Mitglieds in die Welt absolut frei sein.
9.
Es würde der politischen Philosophie widersprochen haben, den Orden auf anderen Pfeilern als auf der vollsten Gleichberechtigung aller Glieder, auf der beschränktesten Machtbefugniß des Parzivals und auf der Majorität der Ordensmitglieder zu errichten. Unser Gesetz ist das göttliche Gesetz und dieses schließt die Herrschaft eines Menschen, er sei noch so genial, edel und gut, aus.
Die wenigen Vorrechte des Parzivals entsprechen seinen höheren Pflichten und seiner größeren Verantwortlichkeit. Sie bilden nur ein Wächteramt für die Reinheit und das Gedeihen des Ordens. Seine erste Stellung unter Gleichen wird ausgeglichen durch die Befugniß des Loherangrin-Kapitels.
10.
Es würde ferner ein Merkmal nicht nur mangelhafter Urtheilskraft und mangelhaften praktischen Sinnes, sondern auch falscher Weltanschauung gewesen sein, wenn der Stifter die Frauen von den idealen Zielen des Ordens ausgeschlossen hätte. Das Weib will und muß erlöst werden wie der Mann. Das Weib ist ferner eine Macht und die gebundene Kraft in der Frauenwelt unserer Tage kann gar nicht berechnet werden. Diese eminente gebundene Kraft wie Dornröschen zu erwecken und ihr ein hohes edles Ziel zu geben, betrachtete der Stifter des Ordens als eine Lebensaufgabe.
Der Verleumdung, die noch Jahrhunderte lang mit ihrer schleimigen Zunge alles Edle belecken wird, mußte jedoch dadurch be|gegnet
ii459 werden, daß beide Orden als solche absolut von einander getrennt wurden und nur die gemeinsamen Interessen durch die beiden Vorstehenden gemeinsam erledigt werden.
11.
Der Stifter des Ordens legt in seinem Herzen einem Ceremoniell absolut keinen Werth bei. Er mußte sich aber sagen, daß sich Nichts tiefer in das Menschenherz einprägt, als eine durch die Phantasie gegangene schöne und feierliche Handlung. Deshalb gewährte er eine solche aus praktischen Rücksichten, schränkte aber das Ceremoniell auf diese Handlung ein. Die Erinnerung an die liebevolle Aufnahme, an das Bild der Taube kann in Niemand erlöschen, auch in Dem nicht, welcher den Orden wieder verläßt. Die Taube wird heller in sein Leben strahlen, als wenn er in jenem ergreifenden Moment ihren süßen Leib nicht mit den Händen umspannt hätte.
12.
Eine Ordenstracht würde in unseren Zeiten einfach lächerlich sein.
13.
Die Ketten, Bänder und das einfache Bild der Taube sind nicht im Sinne einer Decoration aufzufassen, welche die Ordensmitglieder vom Standpunkt ihres absoluten Verzichts auf jeden irdischen Tand, ihrer vollkommenen Loslösung von Personen und Sachen, verachten müssen, sondern lediglich als Zeichen des vollzogenen Opfers. Auch tragen die Mitglieder dieselben im gewöhnlichen Leben immer verdeckt, wenn sie dieselben überhaupt tragen. Das todte Metall kann eine große Kraft erlangen und dieser möglichen Wirksamkeit mußte durch das sichtbare Zeichen die Hand geboten werden.
14.
Die Hausordnung hatte auf die immer mehr zur Geltung kommende vernünftige Ernährungsweise (Pflanzenkost) Rücksicht zu nehmen, damit sich kein Mitglied unbehaglich fühle.
Selbstverständlich giebt es im Orden kein bestimmtes Nahrungsquantum. Jeder ißt so lange von der einfachen, aber schmackhaften Kost, bis er gesättigt ist.
—————
Schlußwort.
ii460
Der Orden will den Volksgeist reguliren, nicht dominiren.
Er will ferner die Gesellschaft und ihre Arbeit dadurch regeneriren, daß er auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit Musterbilder schafft.
Schon durch den verschiedenartigen Beruf seiner Mitglieder ist er ein Bild der Gesellschaft im Kleinen.
So wird er allmälig eine Norm für die Wissenschaft, die Kunst, den Landbau und die Industrie werden.
Seine Ziele sind: eine freie Universität, eine freie Kunstschule, ein freies Unterrichtswesen, kurz ein vollendetes Lehramt und die Gestaltung aller Arbeitszweige nach Idealen, welche die Wissenschaft aufstellt.
Der Orden ist die Verwirklichung des Traums des größten deutschen mittelalterlichen Dichters, Wolfram’s von Eschenbach.
Der Orden ist eine »öffentliche Standarte des Rechts und der Tugend.« (Kant.)
Er ist die »Herberge der Gerechtigkeit« des neunzehnten Jahrhunderts.
Er ist der Morgenstern des idealen Staats.
Die Taube breite schützend ihre Flügel über ihn und lasse ihn gedeihen zum Wohle der Menschheit.
13. März 1876.
—————
Elfter Essay. Aehrenlese.
ii461
—————
Wer Vieles bringt,
Wird Manchem etwas bringen.
Goethe.
—————
I. Zur Psychologie.
II. Zur Physik.
III. Zur Aesthetik.
IV. Zur Ethik.
V. Zur Politik.
VI. Zur Metaphysik.
—————
Eine naturwissenschaftliche Satire.
—————
I. Zur Psychologie.
ii463
Ich glaube, daß der Mißerfolg der Goethe’schen Farbenlehre, welcher ein Schandfleck für die deutsche Wissenschaft ist, hauptsächlich auf §. 52. zurückgeführt werden darf. Was nicht mit dem trockensten Ernst, mit ellenlangem Gesicht und herabhängenden Mundwinkeln vorgetragen wird, das existirt für die deutschen Männer des »wissenschaftlichen Gewerbes« nicht. Zur Strafe für diese Thorheit löscht der Tod ihr Gedächtniß aus, während, wie bei den christlichen Heiligen, der Todestag der großen Männer ihr Geburtstag für die Nachwelt ist.
—————
Hätte Goethe’s Farbenlehre kein anderes Verdienst als die Sätze zu enthalten:
Alles Lebendige strebt zur Farbe, zum Besonderen, zur Specification, zum Effekt, zur Undurchsichtigkeit bis in’s Unendlichfeine. Alles Abgelebte zieht sich nach dem Weißen, zur Abstraction, zur Allgemeinheit, zur Verklärung, zur Durchsichtigkeit,
(§ 586.)
und
Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausathmen der Welt, in der wir leben, weben und sind,
(§ 739.)
so würde das Buch doch von unschätzbarem Werthe sein.
—————
In der Philosophie, d.h. in der redlichen Philosophie, ist nur Küstenschifffahrt möglich: die Erfahrung muß immer sichtbar sein. Wer seinem Schiff nur die Richtung nach dem »uferlosen Ocean« giebt, fertigt schon sein Todesurtheil als Philosoph mit eigener Hand aus.
—————
ii464 Der Realismus führt in seiner vollständigen Auswickelung zum Pantheismus, d.h. zum Marionetten- Individuum.
Der Idealismus in seiner vollständigen Auswickelung führt dagegen zum Atheismus, zur Autonomie des Individuums.
—————
Dem mathematischen Raume entspricht auf realem Gebiete das absolute Nichts. Wäre es möglich, einen absoluten, sogenannten leeren Raum in der Welt zu erzeugen, sei er auch nur so groß wie eine Erbse, so würden wir in das absolute Nichts starren: das Ziel der Welt.
Mehrere Astronomen verwerfen die Annahme, daß sich das Weltall um eine Central-Sonne drehe und lehren als Centrum einen mathematischen Punkt, d.h. doch mit anderen Worten: das absolute Nichts. Die Sache hat viel für sich und wäre sie erwiesen, so würde sie die denkbar großartigste Bestätigung meiner Philosophie sein; denn sie würde an die Stelle einer Endursache, der einzigen, welche ich anerkenne, etwas Reales setzen.