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Der Budhaismus.

 

ii71

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Ex oriente lux!

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I. Der esoterische Theil der Budhalehre.

II. Der exoterische Theil der Budhalehre.

III. Die Legende vom Leben Budha’s.

IV. Das Charakterbild Budha’s.

 

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I. Der esoterische Theil der Budhalehre.

 

ii73

Es ist ferne, was wird es sein? Und ist sehr tief, wer will es

finden?

Koheleth 7, 25.

 

Die Quellen, aus denen man allein den Budhaismus kennen lernen kann, die heiligen Bücher der Budhaisten, sind sehr zahl- und umfangreiche Schriften. Auf der Insel Ceylon allein können die Budhaistischen Priester dem Forscher 465 Schriften, abgesehen von den silbernen Platten, die mit prachtvollen Zeichen bemalt sind, zur Verfügung stellen. Ich will die Seitenzahl einiger dieser Schriften anführen, damit man sich ein Bild von der Ausdehnung der Literatur des Budhaismus machen kann.

Das Buch der 550 Geburten (Pansiya-panas-játaka-pota) hat 2400 Seiten, jede Seite zu neun Zeilen und jede Zeile zu einhundert Buchstaben gerechnet.

Die Fragen des Königs Milinda (Milinda prasna) haben 720 Seiten wie die obigen.

Der Pfad des Reinen (Wisudhi-margga-sanné) hat 1200 solcher Seiten.

Budha selbst hat keine einzige dieser Schriften verfaßt. Sie enthalten jedoch, – angeblich Wort für Wort, – seine sämmtlichen Reden, die Commentare dazu, philosophische Abhandlungen und seine Lebensgeschichte, d.h. nicht nur die Beschreibung seines Lebens als Budha, sondern auch seiner vorhergegangenen vielen anderen Lebensformen.

Für alle Diejenigen, welche der betreffenden orientalischen Sprachen nicht mächtig sind, sind die wichtigsten Bücher über den Budhaismus Spence Hardy’s Compendien: Manual of Budhism, (London, Williams and Norgate, 1860) und Eastern Monachism (ebendaselbst).

ii74 Schon wegen dieser vortrefflichen Bücher allein sollte jeder deutsche Gelehrte, ja jeder gebildete Deutsche das Englische gründlich verstehen. Es ist nämlich über allen Zweifel erhaben, daß Schriften des Budhaismus, deren hauptsächlichste Theile Spence Hardy wörtlich übersetzte, auf gleicher Höhe mit dem Neuen Testament, der »Kritik der reinen Vernunft« und der »Welt als Wille und Vorstellung« stehen, und sonst von keinem anderen Werke des menschlichen Geistes erreicht werden; weshalb es weit besser ist, englisch zu lernen, um in den Budhaismus eindringen zu können, als griechisch im Hinblick auf die griechische Philosophie allein, oder lateinisch lediglich im Hinblick auf den Oupnék’hat oder auf Spinoza’s Werke.

Schopenhauer hat auf’s Lebhafteste bedauert, daß die angeführten Bücher Spence Hardy’s noch nicht in’s Deutsche übertragen worden sind; ich schließe mich ihm von Herzen an, denn Spence Hardy hat als englischer Missionär zwanzig Jahre auf der Insel Ceylon gelebt, bekanntlich dem einzigen Theil Indiens, dessen Bewohner Budhaisten sind und wo sich die Lehre Budha’s am reinsten erhalten hat. Aus seinem Werk erhebt sich ferner deutlich das Bild eines fleißigen, urtheilskräftigen und bedeutenden Gelehrten, und gerade der Umstand, daß ein glaubensstarker, aber ehrlicher Anglikaner über die tiefe Weisheit des indischen Königssohnes Bericht erstattet, macht den Bericht so einzig interessant. Denn es ist deutlich zu erkennen, wie der christliche Glaube im Missionär unter der Einwirkung der atheistischen Lehre gehörig schwankte und wankte: wie sich Hardy gleichsam an das Kreuz auf Golgatha anklammert, um nicht seinen Schwur brechen zu müssen und aus einem gesandten Bekehrer der »Heiden« ein glühender Anhänger Budha’s, d.i. selbst ein »Heide« zu werden. So unsagbar groß ist der Zauber der Budhalehre.



In Europa ist sie zu einem »Mädchen für Alles« geworden und es ist die höchste Zeit, daß der tolle Unfug, der mit ihr getrieben wird, aufhört. »Indien ist ferne,« dachte und denkt so Mancher, »was wird es sein«, wenn ich irgend etwas Unwahres behaupte und es in den blauen Duft der indischen Ferne bringe? So führen die Materialisten die hohe Lehre in’s Treffen für ihre Absurditäten, ohne das allergeringste Verständniß davon zu haben; so stützen sich Realisten wie Idealisten auf sie, ja, Pantheisten wagen es mit eiserner Stirne der Verwegenheit, Stücke von ihr abzureißen, um die Haupt|blöße

ii75 ihres Unsinns damit zu verdecken; denn Budhaismus und Pantheismus stehen in einem absoluten Gegensatz und sind Gegenpole. »Die Hände fort!« rufe ich allen diesen Dreisten zu. Die blaue Wunderblume Indiens darf nicht angegriffen, sie darf nur bewundert werden.

Wenn man die Lehre Budha’s mit dem Pantheismus der alten Brahmanen vergleicht, so wird man vieles Identische finden. Beide sind pessimistisch, d.h. durchdrungen von der Wahrheit, daß das Leben ein Uebel ist; für beide ist die Außenwelt unreal, ein reiner Schein; über beiden schwebt der Erlösungsgedanke. Und dennoch giebt es keinen größeren Unterschied als den zwischen Brahmanismus und Budhaismus.

Dieser Unterschied spiegelt sich voll und rein in den Worten:

Dem alten Brahmanen war die Außenwelt und seine eigene Person ein bloßer Schein, Nichts, und die unbegreifliche, unsichtbare Weltseele (das Brahm) war allein real;

Dagegen war nach der esoterischen Lehre Budha’s nur die Außenwelt phänomenal und er, Budha allein, real.

Letzteres werde ich jetzt aus den Schriften des Budhaismus begründen. Ehe ich jedoch an diese Arbeit gehe, erinnere ich daran, daß wir nichts Schriftliches von Budha besitzen, und mache darauf aufmerksam, daß es dem tiefen Denker wie Christus ergangen ist: die Nachfolger haben zunächst den esoterischen Theil der Lehre, soweit sie ihn überhaupt erfassen konnten, dem Volke mundgerecht gemacht, dann die ganze Lehre entstellt, verzerrt und phantastisch ausgeschmückt. Auch Spence Hardy hat dies erkannt; er sagte:

Es würde dem Geist des Budhaismus weit besser entsprechen, wenn man annimmt, daß Budha nur die fühlenden Wesen unserer Erde als existirend lehrte und weder an Engel, noch Dämonen glaubte, als daß man sich einbildet, Budha habe von übernatürlichen Wesen gesprochen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß seine Schüler, dem Vorurtheil des Volkes weichend, diese Wesen erfunden haben. Es ist überhaupt die Meinung gerechtfertigt, daß alle diese Legenden dem Budhaismus nachträglich aufgepfropft worden sind. Wir finden Aehnliches beim Christenthum und den Traditionen der Juden und Muhamedaner: Verzierungen, die nicht den Stiftern dieser Religionen, sondern der mißleiteten Einbildung ihrer Jünger zuzuschreiben sind.

(Man. o. Bud., 41.)

ii76 Ich muß also, jedoch an der Hand strengster Logik, aus dem Wust budhaistischer Schriften die Goldkörner herauslesen, um den reinen esoterischen, den wesentlichen Theil erbauen zu können.

Budha ging von seiner Person und zwar der ganzen Person, dem erkennenden und wollenden Ich aus. Er war mithin reiner Idealist. Auf diesen Standpunkt war er durch die Sankhyalehre gedrängt worden, in welcher zuerst dem starren indischen Pantheismus in realistischster, plumpster Weise Opposition gemacht wurde. Der Philosoph Sankhya, der Vorgänger Budha’s, war nämlich gerade so überspannt wie die alten Brahmanen. Wie diese zu Gunsten einer erträumten Einheit in der Welt sich den Dolch in die eigene Brust stießen, so hielt sich Sankhya allein an die Individuen der Welt und übersah ganz das feste Band, das dieselben umschlingt. Er lehrte selbstständige reale Individuen, was ebenso weit von der Wahrheit entfernt ist, wie eine einfache Einheit in oder über der Welt.

Budha aber nahm diesen Standpunkt auf dem Individuum ein und zwar mit jener genialen Kraft, welche die Menschheit in einem Jahrtausend nur einmal hervorbringen kann.

Dieser Standpunkt ist der allein richtige in der Philosophie. Im Essay »Idealismus« habe ich ihn bereits hervorgehoben. Was ist mir außer meiner Person unmittelbar gegeben? Nichts. In meiner Haut denke und fühle ich unmittelbar; Alles dagegen, was jenseit meiner Haut liegt, kann sein und kann nicht sein. Wer will und kann mir denn darüber Gewißheit geben? Was ich von Anderen und Anderem weiß, das Alles ist verarbeiteter Sinneseindruck, und kann dieser Sinneseindruck nicht ebenso gut von einer Kraft in mir, wie von einer außer mir befindlichen hervorgebracht worden sein?

Dies ist das wichtige Problem des kritischen Idealismus und das große Hinderniß im Wege des Denkens. Alles, was man ihm entgegenstellen kann, faßte Goethe sehr hübsch in die Worte:

Alle gesunden Menschen haben die Ueberzeugung ihres Daseins und eines Daseienden um sie her.

Die Ueberzeugung! Entspringt aber diese Ueberzeugung nicht einzig und allein aus der nothwendigen Gesetzmäßigkeit der Außenwelt, welche noch nie ein Wunder durchbrochen hat und an die wir uns deshalb gewöhnt haben? Muß man von einem Daseien|den

ii77 um uns her überzeugt sein? Gewiß nicht. Kant hat bewiesen und er allein wäre ein hinreichendes Zeugniß dafür, daß man diese Ueberzeugung nicht nothwendig haben muß. Die ganze Gesetzmäßigkeit der Außenwelt, aus der die Goethe’sche »Ueberzeugung« doch allein entsprang, hat Kant, wie wir uns erinnern werden, als eine ideale Affinität der Dinge in den Verstand des Menschen gelegt und hat als seine Ueberzeugung ausgesprochen:

Die Welt ist phänomenal und ihre Erscheinungen liegen in einem subjektiven Nexus.

Man sieht klar, daß Das, was der plumpe Realismus gegen den Idealismus geltend machen kann, einfach eine dreiste unkritische Behauptung ist, auf der man nur ein philosophisches System erbauen kann, das so dreist und luftig wie sein Fundament ist.

Den esoterischen Theil des Budhaismus können wir uns also nur in der Weise aufbauen, daß Jeder von uns denkt, seine Person, sein Ich, seine Individualität, sei zunächst das einzige Reale in der Welt und zwar muß Jeder von uns vorübergehend denken, er sei der Königssohn selbst, Budha. In anderer Weise ist die blaue Wunderblume Indiens nicht zu erzeugen oder zu begreifen.

Was fand Budha, als er in das einzige Reale, in sich blickte? Er fand upádaná, (cleaving to existence, cleaving to existing objects) d.h. Verlangen, Hunger, Durst nach Dasein, nach Daseinsformen, oder kurz: Wille zum Leben.

In diese allgemeine Form des Willens zum Leben, oder besser (da wir es ja nur mit Einem Willen, dem Willen Budha’s zu thun haben), in diese Gestalt des Willens trägt Karma (literally action, supreme power) den bestimmten Charakter, d.h. also: Ich, Budha, will das Leben, das Dasein, aber ich will es in einer ganz bestimmten Weise.

Demnach beruht der Budhaismus zwar auf der Oberfläche auf zwei Principien, im Grunde jedoch nur auf einem einzigen; denn Karma und upádaná sind Eines und Dasselbe. Wird das Eine gesetzt, ist das Andere mitgesetzt. Karma ist das Wesen Budha’s, upádaná die Form, das Allgemeine, oder, wie es der phantasievolle Geist des Inders ausdrückte:

Es ist ebenso unmöglich, Karma von upádaná, zu trennen, wie es unmöglich ist, das Feuer von der Hitze oder die Festigkeit vom Felsen zu trennen.

ii78 Ferner ist mit diesen Principien Karma und upádaná, die ich im Begriff »individuellen Willen zum Leben« zusammenfassen will, die Wiedergeburt gleichfalls so eng verknüpft, wie die Hitze mit dem Feuer, die Festigkeit mit dem Felsen.

Durch upádaná wird eine neue Existenz gesetzt, aber die Art und Weise, wie dieses neue Wesen handelt, hängt von seinem Karma, seinem Charakter ab.

(Man. of Bud., 394.)

Karma selbst hängt nur von sich selbst, seinem bestimmten individuellen Charakter ab.

(ib. 395.)

Und nun merke man wohl, wie Budha den Ur-Kern seines Wesens ferner bestimmt.

Karma ist achinteyya d.h. ohne Bewußtsein.

(ib. 396.)

Weder Karma noch upádaná hat Selbstbewußtsein.

(ib. 396.)

Wir haben demnach noch keine drei Schritte im esoterischen Theil der Budhalehre gemacht und schon haben wir das ganze Fundament der Schopenhauer’schen Philosophie gefunden: den unbewußten Willen zum Leben. Man darf wohl behaupten, daß Schopenhauer’s Geist am energischsten durch budhaistische Schriften befruchtet worden ist: die uralte Weisheit Indiens senkte sich nach fast dritthalb Jahrtausenden auf den Nachkommen eines ausgewanderten Sohns des Wunderlandes.

Was fand nun Budha weiter in sich? Er fand einen Spiegel für Karma und upádaná: den Geist, das Selbstbewußtsein.

Dieser Spiegel aber – und das muß sehr fest gehalten werden, wenn man den Budhaismus verstehen will, – gehört nicht zum Wesen des Willens, er ist nicht einmal sekundär, sondern er ist durch und durch phänomenal, d.h. ein wesenloser Schein.

Hierdurch ist ferner auch die Phänomenalität des Leibes und der ganzen Außenwelt gegeben. Budha hielt seinen Leib und die ganze übrige Welt für den Schein eines Scheines, für die Spiegelung eines Spiegelbildes.

Der menschliche Leib ist also bei Budha nicht etwa wie bei Kant Erscheinung, sondern Schein: ein sehr großer Unterschied, denn erstere hat einen Grund, (d.h. bei Kant einen erschlichenen Grund), letzterer dagegen ist wesenlos, ist gar Nichts. Demgemäß ist der Leib unreal, er hat nicht die leiseste Spur von Realität, oder in der poetischen, bilderreichen Sprache des herrlichen Inders:

ii79 Der Leib (rúpa-khando) ist wie Wellenschaum, der sich bildet und wieder vergeht; die Empfindung (wédaná-khando) ist wie eine Schaumblase, die auf der Oberfläche des Wassers tanzt: die Wahrnehmung (sannyá-khando) ist eine Luftspiegelung in der Gluth des Sonnenlichts: die Urtheilskraft (sankháro-khando) ist wie das Holz des Bananenbaums (ohne Festigkeit und Härte); und das Selbstbewußtsein (winyána-khando) ist wie ein Gespenst oder eine magische Illusion magical illusion).

(Man. o. Bud., 424.)

Man bedenke, was das im Grunde bedeutet. Diese Lehre ist summarischer oder auch despotischer kritischer Idealismus. Hier geben sich Budha und Kant wie Brüder die Hand. Ersterer decretirt einfach im souverainen Gefühl seiner Person, der einzigen Realität: Mein Leib, mein Geist, die Welt ist Nichts; ich erkläre es ohne Angabe von Gründen und es soll und muß so sein. Letzterer dagegen nimmt den menschlichen Geist, zerlegt ihn, weist jedes Stück einzeln auf, bestimmt seine Function und beweist, daß nicht nur die Außenwelt eine Erscheinung sein müsse, sondern auch wir für uns selbst. Denn betrachten wir unser Inneres, so erkennen wir uns nicht nach Dem, was wir sind, weil wir uns nur in der Zeit, die nicht vom Selbstbewußtsein (dem inneren Sinn) zu trennen ist, betrachten können: die Spiegelung unseres Selbst im Bewußtsein ist nicht realer als ein Baum oder ein anderer Mensch.

Wie bewunderungswürdig und staunenswerth! Kant hatte keine Ahnung von Budha’s Lehre; aber er war ein Indogermane wie Locke, Berkeley, Hume: der Idealismus lag im Blute.

Gehen wir weiter. Es wird uns zu Muthe sein, wie einem Landschaftsmaler, der zum ersten Male einen tropischen Urwald sieht und betäubt vom Duft der Blüthen und der Farbenpracht hinsinkt: wir werden immer traumbefangener werden.

Das einzige Reale war also jetzt nicht mehr die Person Budha, sein Selbstbewußtsein, von dem er ausgegangen war, sondern das bewußtlose Karma, der individuelle Wille zum Leben, ohne Geist und was mit diesem unmittelbar und mittelbar zusammenhängt.

Ich betone individuell; denn gerade so, wie die Materialisten ganz unbefugter Weise ihre abfinde Lehre auf Budha stützen, weil er den menschlichen Geist als ein Product des Leibes auffaßte, |

ii80 so stützen die modernen romantischen Pantheisten ihre Lehre auf Budha, weil er das Selbstbewußtsein, in dem doch, wie sie sagen, die Individualität, die Persönlichkeit, allein bestehen könne, für Schein hielt. Erstere sind ein für alle Male vom Budhaismus mit der Bemerkung abzuweisen, daß Budha auch den menschlichen Leib, also ihre ganze erträumte, reale Materie für Schein erklärt hat; den Pantheisten aber ist zu bemerken, daß Individualität nicht nur im Selbstbewußtsein erkannt, sondern mit der Sensibilität schlechthin gefühlt wird. Indessen setzt letzteres, soll es ein Argument sein, eine andere Philosophie als die Budha’s voraus. Da bewirke denn bei den Pantheisten, die so gern das buddhistische, selbstherrliche, individuelle Karma in den bodenlosen Schlund ihrer Weltseele werfen möchten, ein Machtspruch Budha’s die eiligste Flucht:

Karma ist individuell.

So hat der Königssohn (Seite 446 des Man. of Bud.) einfach decretirt ohne Angabe von Gründen, und es ist unredlich, aus seiner Lehre Folgerungen zu ziehen, welche im Widerspruch mit dem Fundament derselben stehen. Ich werde aber gleich zeigen, daß die Individualität des Karma aus den Principien des Budhaismus selbst bewiesen werden kann.

Wir haben also als einziges Reales das bewußtlose individuelle Karma. Jetzt haben wir das Wesen Karma’s, so weit dies möglich ist, zu ergründen.

Als Budha in seine Brust blickte, fand er einen heftigen Trieb nach Dasein und zwar nach Dasein in einer besonderen Form. Dieser Trieb zeigte sich ihm als eine Kraft. Aber konnte sie sich ihm als eine allmächtige Kraft zeigen? Nein. Er fand, daß seine Willkür beschränkt sei, daß sie keine Wunder bewirken konnte, kurz, daß sie keine Zauberin, nicht allmächtig sei.

Außer dieser Willkür (bewußter Willensthätigkeit) beobachtete er aber auch in sich die Aeußerungen einer verborgenen verhüllten Kraft in Gefühlen und Gedanken, von denen er sich keine Rechenschaft ablegen konnte. Solche, aus einer unergründlichen Tiefe aufsteigenden Gedanken und Gefühle kann jeder Mensch in sich beobachten; dieselben haben auch, wie wir im Essay »Realismus« gesehen haben, die ersten objektiv gestimmten Menschen veranlaßt, das Herz des Individuums erträumten Geistern des Lichts und Dämonen preiszugeben. Man sagt: »vom Geiste Gottes getrieben«, »vom Teufel |

ii81 besessen«, »in den Krallen eines unsauberen Geistes liegend«, mit einem Wort »dämonisch« und beim Thiere »instinktiv«.

Diese räthselhafte unbewußte Macht in der menschlichen Brust wurde jetzt für Budha die Hauptsache und sie ist der Grundstein seiner bedeutenden Lehre.

Er gab ihr die Allmacht, die übrigens schon rein logisch daraus geflossen war, daß er seine Person als allein real annahm. Denn wenn es außer Budha nichts anderes Reales gab, so mußte er allmächtig sein, weil nichts Anderes vorhanden war, das ihn hätte beschränken können.

Karma is supreme power.

Karma ist Allmacht.

(Man. o. Bud., 399.)

 

Aus diesem allmächtigen, unbewußten, individuellen Karma können wir nun Alles, was wir vom Budhaismus bis jetzt kennen und auf anderem Wege gefunden haben, zwanglos ableiten.

Zunächst ist die bewußte Willkür ein Schein, weil sie beschränkt ist und der Allmacht widerspricht; ferner ist der ganze menschliche Geist, überhaupt seine Sensibilität (Gefühl) ein Schein, weil sie das echte Karma nicht spiegeln kann; ist aber der Geist nur Schein, so muß auch nothwendigerweise mein Leib und die ganze Außenwelt Schein sein, da ihre ganze Existenz in der Spiegelung in diesem Schein-Spiegel besteht.

Hier liegt auch im Budhaismus selbst der Beweis für die Individualität Karma’s; denn erstens kann neben einem Wesen, das die Allmacht hat, kein anderes existiren: nur ein einziges Wesen kann Allmacht haben; zweitens beruht der Begriff der Unendlichkeit auf dem Wesen des Raums und der Zeit, die mit dem Geist stehen und fallen, weil sie ideal sind. Es bleibt also ein einziges Wesen, das nicht unendlich ist. Ein solches Wesen ist nur als reine Individualität denkbar, von der wir uns jedoch keine Vorstellung machen können.

Schon hier sehen wir, daß der esoterische Budhaismus, auf Grund einer unumstößlichen realen Thatsache, ein fest in sich geschlossenes, fehlerloses, streng consequentes System ist.

Jetzt haben wir die Hauptfrage zu stellen. Was ist der Kern des Wesens dieses allmächtigen bewußtlosen Karma? Wir sehen sofort, daß wir diese Frage nur negativ beantworten können. Schon die Prädicate bewußtlos und allmächtig sind negativ. Abgesehen |

ii82 davon, daß bewußtlos sprachlich negativ ist, ist es auch sachlich negativ, denn ich bin mir nie meiner Bewußtlosigkeit bewußt und das Wesen der Bewußtlosigkeit kann in keiner Erfahrung als bewußter Zustand gegeben werden; allmächtig ferner ist im tiefsten Grunde die Verneinung von »beschränkt«, weil kein Wesen in der Welt, also kein Wesen unserer Erfahrung allmächtig ist. Auf Grund des oben erörterten absoluten Idealismus der Budhalehre müssen wir nun Karma noch folgende zwei negative Prädicate geben:

ausdehnungslos

zeitlos.

Was drücken aber diese vier negativen Prädicate: bewußtlos, allmächtig, zeitlos, ausdehnungslos aus? Sie drücken aus, daß Karma ein mathematischer Punkt, oder kurz transscendent, die Erfahrung überfliegend, mit dem menschlichen Geiste nicht zu erfassen ist.

The wonder-working Karma is a mere abstraction.

(Das wunderwirkende Karma ist eine bloße Abstraktion.)

(Man. o. Bud., 396.)

Von den vier Dingen, die nur von einem Budha (Lehrer der Menschheit) begriffen werden können, ist das Eine: Karma-wisaya, d.h. auf welche Weise Karma Wirkung verursacht.

(ib. 8 u. 9, Anm.)

Der Budhaismus ist demnach transscendenter Dogmatismus.

Zugleich ist er Ding-an-sich- Idealismus, weil er auf Grund der unumstößlichen Thatsache der inneren Erfahrung nur dem Ich Realität zuspricht.

Und was ist am ganzen esoterischen Budhaismus nur positiv? Die Erklärung, daß Karma individuell ist und daß es existirt. Ueber die Art und Weise, wie es individuell ist und wie es existirt, gab Budha keine Auskunft, weil er nicht konnte. Er führte seinen erkannten und gefühlten individuellen Lebensgrund nicht auf einen in der Zeit vorausgegangenen, untergegangenen, transscendenten Ur-Grund zurück, sondern er stellte ihn auf einen immer gegenwärtigen ewigen transscendenten Ur-Grund.

Dieses ist, wie ich sehr scharf betonen muß, durchaus kein Makel seiner Lehre und nur ein philosophisch Roher könnte behaupten, daß deswegen die Budhalehre unvollkommen sei. Ich will hierüber vollständiges Licht verbreiten.

So lange es Menschen geben wird – und vollkommenere Wesen |

ii83 werden ihnen ganz bestimmt nicht folgen – wird kein philosophisches System ohne einen transscendenten Grund- oder Stützpunkt in die Erscheinung treten können. Eine absolute Philosophie, d.h. eine solche, welcher der letzte Grund der Welt, seinem Wesen nach, kein Geheimniß wäre, wird es nie, nie geben.

Zwei philosophische Systeme können sich jedoch, wie der Tag von der Nacht, durch die Art und Weise unterscheiden, wie sie sich an den transscendenten Grund anlehnen.

Alle Systeme mit Ausnahme des echten Christenthums (resp. meiner Lehre) und namentlich der Pantheismus in seinen großen Gestaltungen nehmen den transscendenten Grund gleichzeitig existirend (coexistirend) mit der Welt an. Dadurch verwirren und verdunkeln sie unaufhörlich, mit alleiniger Ausnahme des Budhaismus, die Ordnung und Klarheit der Welt. Jede Action in der Welt, die größte wie die kleinste, ist dem Pantheismus zufolge erstens ein unerklärbares Wunder; denn jede Action wird wie die einer Drahtpuppe von einer unsichtbaren räthselhaften Hand bewirkt. Jede Action enthält ferner einen logischen Widerspruch, wie wir gleich sehen werden. Legt man dagegen, wie ich im Essay über das Dogma der christlichen Dreieinigkeit deutlich zeigen werde, den transscendenten unerforschlichen Grund der Welt vor die Welt, derartig, daß jener damals allein existirte und die Welt, vom Anfang ihrer Existenz an, allein vorhanden war und ist, so hat man eine klare geordnete Welt, deren Erscheinungen in keiner Weise mehr räthselhaft sind, und wir haben ein einziges Wunder: die Entstehung der Welt. Die Welt selbst ist weder wunderbar, noch irgend eine Erscheinung in ihr. Auch widerspricht keine einzige Action in ihr den Denkgesetzen. Räthselhaft bleibt nur die Art und Weise, wie die einfache Einheit, Gott, vor der Welt existirt hat.

Der Budhaismus nun ist, wie ich schon mehrmals gesagt habe, das einzige System in der Welt, das reiner Ding-an-sich- Idealismus ist. Er nimmt also schon als solcher eine ganz exceptionelle Stellung ein. Und eben, weil er reiner Ding-an-sich- Idealismus ist, d.h. weil Budha sich allein für real hielt, kann der mit Budha coexistirende, zugleich existirende, transscendente Urgrund die Welt nicht verwirren und verdunkeln. Verwirrung und Verdunklung kann nur dann in die Welt durch die Coexistenz eines Gottes gebracht werden, wenn dieser Gott mehr als eine Menschenbrust umfassen soll. Denn |

ii84 wenn sich Budha auch keinen Begriff von der Individualität seines Karma machen konnte, so lag er doch nicht im logischen absoluten Widerspruch des Pantheismus, der viele mathematische Punkte (Individuen) und zugleich eine einfache Einheit lehrt; denn die einfache Einheit ist schlechterdings unvereinbar mit der Pluralität, wenn beide zugleich existiren sollen. Entweder Vielheit oder die einfache Einheit: ein Drittes giebt es nicht. Sollen wir nämlich, dem Pantheismus gemäß, denken, daß Gott, die einfache Einheit, z.B. ganz und ungetheilt im Hans und zugleich ganz und ungetheilt in der Grete liegen soll, so spüren wir genau in unserem Gehirne, wie etwas daselbst verbogen werden soll: denn wir können eine solche leicht bewerkstelligte Verbindung von Worten nicht vorstellen, nicht denken. Sie spricht allen Denkgesetzen Hohn und tritt unsere Vernunft mit Füßen: sie treibt Nothzucht mit unserem Geiste.

So schwer, ja, so unmöglich es also ist, das Grundprincip des Pantheismus zu denken, so leicht läßt sich denken, daß ich Gott bin, aber wohlverstanden nur ich, nur Budha: ein einziges Individuum. Deshalb sagte ich auch schon im Essay »Idealismus«, daß der tiefe Satz der Upanischaden der Veden:

Hae omnes creaturae in totum ego sum et praeter me aliud ens non est,

mit demselben Rechte vom Budhaismus wie vom Pantheismus angewandt werden darf; denn Budha trug in sich, in seiner Brust, Gott und die Welt und außer ihm, Budha, gab es nichts Anderes.

Hier liegt deutlicher als irgendwo anders der Grund zu Tage, warum der Budhaismus so oft für identisch mit dem Pantheismus oder doch für einen Zweig des Pantheismus gehalten wird. So hat Herr von Hartmann es gewagt, zu schreiben:

Das einzige Wesen, welches der Idee der inneren Ursache meiner Thätigkeit entspricht, ist etwas Nicht-Individuelles, das All-Einige Unbewußte, welches also ebenso gut der Idee des Peter von seinem Ich, als der Idee des Paul von seinem Ich entspricht. Auf diesem allertiefsten Grunde ruht nur die esoterische buddhistische Ethik, nicht die christliche.

(Phil. d. Unb., 718.)

welches Urtheil auf der oberflächlichsten Untersuchung des großen Systems beruht. Ich aber rufe nochmals: Die Hände weg von der blauen Wunderblume!

ii85 Ferner: wie der Budhaismus vollständig frei von logischem Widerspruch ist, der den Pantheismus wie ein ätzendes Gift ganz zerfressen hat, so ist er auch das einzige System (in dem ein transscendenter Grund zugleich mit der Welt existirt), welches nur ein einziges Wunder kennt: eben den ewigen transscendenten Grund. Nimmt man dieses einzige Wunder an, so ist Alles in der Natur, jede Individualität, jede Handlung, klar durchsichtig, logisch, nothwendig, kein Räthsel.

Dies will ich jetzt genau zeigen.

Das einzige Wunder des Budhaismus ist also das bewußtlose, allmächtige, zeitlose, ausdehnungslose, individuelle Karma.

Zunächst erzeugt es sich den Leib und Das, was wir Geist nennen (Sinne, Verstand, Urtheilskraft, Phantasie, Vernunft). Ist dies wunderbar? In keiner Weise; denn Karma hat Allmacht. Dann bringt es Gefühl (die Zustände Lust und Unlust, körperlichen Schmerz und Wollust) und Vorstellung hervor. Das Gefühl wird einfach im Bewußtsein gespiegelt; die Vorstellung dagegen hat eine complicirte Entstehung. Die Hauptsache bei der Vorstellung ist der Sinneseindruck. Wer bewirkt ihn nach Budha? Das allmächtige Karma:

Das Auge, welches den Eindruck der Farbe erhält, d.h. ob es einen Gegenstand grün oder gelb sehen soll; das Ohr, welches den Eindruck des Tons erhält; – alle diese Eindrücke werden durch Karma verursacht.

(Man. o. B., 401.)

Ist die Vorstellung wunderbar? In keiner Weise, denn Karma ist, wie bemerkt, allmächtig.

Jetzt wollen wir in der wichtigen Lehre einen kleinen Schritt weiter machen.

Die ganze Welt ist, dem esoterischen Budhaismus gemäß, phänomenal; phänomenal ist gleichfalls die beschränkte Willkür Budha’s; real allein ist das allmächtige Karma in seiner Brust.

Wie ist zu erklären, daß Budha in seinen Handlungen beschränkt sein konnte, wenn er der allmächtige Gott war?

In dieser Frage liegt der Kern des esoterischen Budhaismus.

Durch eine Welt, die zwar durch und durch Schein ist, aber dem Individuum als eine reale Macht entgegentritt und es beschränkt; ferner durch eine bewußte Willkür, die nicht allmächtig ist – wird ein realer Conflikt in der Brust Budha’s erzeugt.

Diesen bedeutsamen Conflikt will das allmächtige Karma und |

ii86 weil es ihn will, hat es sich, vermöge seiner Allmacht, einen nur halbselbstständigen Körper gebaut mit Allem, was damit zusammenhängt: beschränkte Willkür, Empfindung, Lust, Unlust, Schmerz, Wollust, Erkennen, Raum, Zeit, Causalität, Vorstellung, eine Scheinwelt von mächtiger realer Kraft.

Aber warum wollte es diesen realen Conflikt?

Hierauf giebt es nur eine Antwort:

Es wollte durch diese Verleiblichung in einer Welt des Scheins die Abtödtung, den Uebergang aus dem Sein in das Nichtsein.

Der Conflikt ist das individuelle Schicksal, welches Karma mit unergründlicher Weisheit und mit Allmacht gestaltet. Es verknüpft mit dem Dasein vorzugsweise Leid und zeigt vermittelst Erkenntniß, wie sich Budha vom Dasein befreien kann.

Ich habe in meiner Besprechung des exoterischen Theils des Budhaismus in meinem Hauptwerk an Beispielen nachgewiesen, wie sich das allmächtige Karma als Schicksal äußert. Es gruppirt die äußeren Umstände, die Motive; bald läßt es dem Individuum keinen Ausweg, drückt es an die Wand und mauert es gleichsam ein, so daß es regungslos verhungern muß, bald öffnet es die Felsen und läßt das Individuum in sonnbeglänzte Ebenen entwischen, bald läßt es den Menschen Illusionen nachjagen, bald schenkt es ihm Entsagung und Weisheit.

Immer ist es Karma, welches sowohl die Außenwelt, die Motive gestaltet, als auch den Trieb und das Verlangen in der Brust erweckt; immer sich im Auge behaltend, weil es nur durch die aus dem Conflikt entstehenden Zustände sein Ziel: das Nichtsein, erlangen kann.

Um mich nicht zu wiederholen, verweise ich wegen der Beantwortung der Frage: warum das allmächtige Karma, wenn es Nichtsein wolle, sich nicht sofort vom Dasein befreien könne, auf meine Metaphysik (Phil. d. Erl., Bd. I.). Ich will nur die Antwort hinsetzen: die Allmacht ist sich selbst gegenüber keine Allmacht, sie bedarf des Prozesses des allmäligen Conflikts, um aus dem Sein in das Nichtsein übertreten zu können.

Die Localität Karma’s im Körper bestimmte Budha in unübertrefflichen, reizend poetischen Bildern, weil er sie nicht mit dem kalten Verstande angeben konnte. So sagte er:

ii87 Denken wir uns einen Obstbaum vor der Blüthe. Wir können nicht sagen, daß die Frucht in diesem oder jenem bestimmten Theile des Baumes sich befindet und dennoch ist sie im Baum. So befindet sich Karma im menschlichen Leibe.

(Man. o. Bud., 446.)

Können wir uns auch keinen Begriff davon machen, wie die zeitlichen Handlungen der phänomenalen Willkür in einem ausgedehnten Leibe das ihr zu Grunde liegende, bewegungs- und ausdehnungslose Punkt-Karma berühren, so enthält das Verhältniß zwischen Karma und Leib doch keinen logischen Widerspruch, weil wir es nur mit einem einzigen Individuum zu thun haben. Der Pantheismus dagegen liegt ganz im logischen Widerspruch, weil er eine einfache Einheit hinter den Individuen lehrt; denn wie wir gesehen haben, ist es undenkbar, daß die Weltseele voll und ganz zugleich im Hans und der Grete enthalten sein soll. Der moderne Pantheismus hat, um aus dem Dilemma herauszukommen, das schlaue Auskunftsmittel erdacht, die Wirksamkeit der Kraft von der Kraft selbst zu trennen: d.h. die Weltseele wirke in den Individuen, ohne sie zu erfüllen. Als ob diese gewaltsame, in keiner Erfahrung gegebene, mit der Logik widerstreitende Trennung nicht ein neuer Sumpf wäre! Wo ein Ding wirkt, da ist es: es giebt keine actio in distans in anderer Weise als einer Fortpflanzung der Kraft in realen Medien. Ich spreche ein Wort, es erschüttert die Luft, es trifft das Ohr eines Anderen, Dieser wiederholt es u.s.f., u.s.f.; so kann schließlich mein in Frankfurt gesprochenes Wort in Peking wieder erklingen und wir haben thatsächlich eine actio in distans, eine Wirkung in die Ferne, aber nicht in der Weise, daß ich in Frankfurt spreche und nun ganz unvermittelt ein Mandarine in Peking plötzlich eilt, meinen Befehl zu vollstrecken.

Das Verhältniß des Leibes zu Karma können wir uns unter dem Bilde einer unbeweglichen Kugel denken, welche eine sich bewegende Tangente an einem Punkte beständig berührt:

Der Leib und das von ihm getragene Bild der Außenwelt sind die |

ii88 Tangente, Karma ist die Kugel. Jeder Zustand Budha’s nun berührte Karma und bewirkte in ihm das für diesen Augenblick Gewollte. Mehr können wir indessen nicht sagen, denn es ist unmöglich zu bestimmen, wie etwas Zeitliches auf ein Ewiges wirke. Der Zusammenhang ist eben transscendent: wir stehen vor dem Wunder des Budhaismus.

Ebenso einfach und natürlich wie alles Bisherige aus diesem Wunder floß, so einfach und natürlich fließt auch das budhaistische Dogma der Wiedergeburt aus demselben.

Das allmächtige Karma ist immer nur in einem einzigen Individuum incarnirt: dies muß sehr fest gehalten werden, denn es ist der Grundpfeiler des Budhaismus und unterscheidet ihn vom Pantheismus. Karma hat sich nicht ein für alle Male in einen Leib gehüllt, der nun so lange Form bleibt, bis Karma seinen Zweck erreicht hat, sondern Karma wechselt die Formen. Bald ist es in einem Wurm, bald ist es in einem König, bald in einem Löwen, bald in einer Bajadere.

Man sieht indessen, daß alles Dieses nicht nothwendig ist und ich bin im Zweifel, ob die Wiedergeburt wirklich zum esoterischen Theil des Budhaismus gehört, ob sie nicht vielmehr exoterisch ist.

Ich will das Unwesentliche der Wiedergeburt auf Grund des Ding-an-sich- Idealismus jetzt so klar zeigen, daß es Allen, welche diese Abhandlung lesen, zu Muthe sein wird wie mir: d.h. ich spüre deutlich, daß mich nur ein schmaler Streifen vom Gebiete des Wahnsinns trennt. Wir stehen nämlich vor einem Problem, das Schopenhauer (welcher sich übrigens, wenn er nicht Realist war, ohne Unterlaß damit beschäftigte) sammt Demjenigen, welcher es in seinem Geist herumwälze, in das Tollhaus verwies.

Ich, der Verfasser dieses Essays, muß mir nämlich auf Grund des Budhaismus einbilden, daß ich das einzige Reale in der Welt, daß ich Gott bin. Weder mein Leib, noch die Feder, womit ich schreibe, noch das Papier, das vor mir liegt, noch der Drucker, der diesen Essay drucken wird, noch der Leser desselben ist real. Dieses Alles ist Schein, Phantasmagorie, und nur das in meiner Brust verhüllt und verborgen wohnende Karma existirt.

Aber nicht nur Dieses, sondern auch Alles, was mir Geschichtswerke über den Gang der Menschheit berichten, kurz alles Fremde, was hinter mir liegt und alles Fremde, was ich mir in der Zukunft |

ii89 denken kann, ist unreal. Real ist nur mein vergangenes individuelles Schicksal. Meine Eltern sind nicht real, meine Geschwister sind nicht real, real aber sind meine Kindheit, meine Jugend, der entflohene Theil meines Mannesalters.

Demnach ist auch Budha selbst und seine Lehre für mich jetzt nur ein Phantom. Weder hat je ein Mensch wie Budha in Indien gelebt, noch sind je Worte gesprochen worden, welche in budhaistischen Schriften niedergeschrieben sind.

Dieses Alles, wie die gegenwärtige reale Welt, ist Zauberei, Phantasmagorie meines allmächtigen Karma’s, um dadurch zunächst einen bestimmten Zustand in mir und dann einen bestimmten Zweck für sich zu erreichen.

Und nicht nur Dieses. Setzen wir den Fall: ein Leser dieses Essays fühle sein Ich, seine Person, wie ich jetzt die meinige fühle. Darf er meine Existenz für real halten? Vom Standpunkte des Budhaismus, des absoluten Ding-an-sich- Idealismus aus, darf er es nicht. Er muß mich und meinen Essay genau so für Schein halten, wie ich, indem ich dies schreibe, ihn, den Leser, Budha, seine Worte, Alexander den Großen, das römische Reich, die Kreuzzüge, die französische Revolution, Kant und seine Werke u.s.w., u.s.w., für bloßen Schein ohne die geringste Realität halten muß.

Und glaube ja Niemand, dieser Standpunkt sei unberechtigt. Er ist der berechtigtste, den es geben kann, der einzig sichere und unumstößliche: der Standpunkt auf meinem unmittelbar gefühlten und erkannten Ich. Jeder andere Standpunkt ist gegen diesen gehalten, wie Wasser, auf dessen Oberfläche wir uns nur schwimmend mit Anstrengung erhalten können. Er ist auch der Standpunkt der Mystiker. Angelus Silesius sprach die Identität seines Ich – und nur seines persönlichen Ich – mit Gott offen in dem Verse aus:

Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben:

Werd’ ich zu nicht’, er muß von Noth den Geist aufgeben.

Er ist kein Standpunkt der Tollen, sondern nur einer, der toll machen kann. Das möge man ja wohl beherzigen. Ich darf dieses Urtheil aussprechen, weil ich unbefangen bin, weil gewiß kein anderer Fuß fester als der meinige auf dem Grund des absoluten Ich je gestanden hat und je stehen wird; ich habe den Grund jedoch nach reiflicher Erwägung verlassen. Auch gehe einmal Jemand |

ii90 seine Vergangenheit unter der Voraussetzung durch, daß alle Personen, die ihm begegnet, kurz Alles, was er gesehen, gelernt und erlebt hat, Schein gewesen ist. Er wird gewiß, wenn er sich das Problem vollständig klar gemacht hat, zum Resultat kommen, daß die Annahme einer absolut phänomenalen Welt gar keinen Widerspruch in sich enthält und sein ganzes abgelaufenes Leben ebenso gut mit einer solchen als mit einer realen Welt zu erklären ist. Der Budhaistische Fundamentalsatz:

Ich, Budha, bin Gott,

ist ein Satz, der nie umgestoßen werden kann. Auch Christus hat ihn mit anderen Worten gelehrt (Ich und der Vater sind eins); auch ich habe ihn gelehrt, aber als nur gültig vor der Welt, nicht in der Welt.

Hiernach ist die Wiedergeburt reine Nebensache; denn es ist nie zu entscheiden, ob mein Leib die zehntausendste oder die erste und letzte Incarnation Gottes ist. Nur das Eine steht logisch fest, daß Gott oder, um in der Sprache Budha’s zu bleiben, Karma, als allmächtiges reines Karma nie das Nichtsein erreichen kann. Die Incarnation ist für das Nichtsein eine conditio sine qua non. Unwesentlich, wie gesagt, ist dagegen die Frage, ob Ein Leib oder 100,000 auf einander folgende Formen zur Erlösung aus den Banden des Daseins nöthig sind; denn warum kann das Nachdenken über den Werth des Daseins, welches nur in der Leiblichkeit und der von ihr getragenen Außenwelt, sowohl der gegenwärtigen, als vergangenen und zukünftigen, objektiv für Karma werden kann, nicht schon in einem einzigen Leibe genügen, um Karma zu erlösen? Die Spiegelung des Daseins, die Gott nie ohne die Welt hätte bewerkstelligen können, ist allein nothwendig; die Anzahl der Leiber ist unwesentlich.

Entscheidet man sich aber für viele Incarnationen, so muß man eine ununterbrochene Folge annehmen und zwar (wie ich wiederum vorsorglich bemerken will, damit die Grundlage des Budhaismus nie aus den Augen verloren wird) eine Kette, deren Glieder immer ein einziges Individuum repräsentiren. Solche Ketten von etwa zweihundert Gliedern, (um an der Hand der Geschichte vom Jahr 4000 v. Chr. bis in die Neuzeit eine ununterbrochene Kette zu gewinnen), kann sich Jeder nach Belieben bilden, nur darf er sich nicht darin als Glied der Gegenwart vergessen. Ob er letztes |

ii91 Glied ist, ob Gott durch ihn in das Nichtsein übertrete: Das mag ein Jeder mit seinem Gewissen ausmachen.

Hiermit haben wir den ganzen esoterischen Theil des Budhaismus abgehandelt. Hatte ich Unrecht, als ich ihn die blaue Wunderblume Indiens nannte? Hatte ich Unrecht, als ich sagte, daß es Jedem bei ihrer Betrachtung zu Muthe sein muß, wie einem genialen Landschaftsmaler, welcher zum ersten Mal in die Farbenpracht eines tropischen Urwalds blickt? Wer beugt sich nicht vor der genialen Größe des sanften milden Königssohnes, der auf den glänzenden Thron seiner Väter Verzicht leistete, seine kostbaren Kleider auszog und in einfachem Gewand von Haus zu Haus betteln ging? – –

Ehe ich jedoch diesen Abschnitt schließe, muß ich noch einige Bemerkungen machen.

1) Ich halte das Christenthum, das auf der Realität der Außenwelt beruht, für die absolute Wahrheit im Gewand des Dogmas und werde meine Meinung auf eine neue Weise im Essay »Das Dogma der christlichen Dreieinigkeit« begründen. Trotzdem bin ich der Ansicht, – und wer den vorliegenden Essay klar in seinen Geist aufgenommen hat, wird mir beipflichten, – daß der esoterische Theil des Budhaismus, der die Realität der Außenwelt leugnet, gleichfalls die absolute Wahrheit ist. Solches scheint sich zu widersprechen, denn es kann nur eine absolute Wahrheit geben. Der Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer; denn die absolute Wahrheit ist lediglich diese: daß es sich um den Uebergang Gottes aus dem Sein in das Nichtsein handelt. Das Christenthum sowohl wie der Budhaismus lehren dies und stehen somit beide im Centrum der Wahrheit.

Nebensächlich ist: ob Gott in einer Brust wohnt oder ob die Welt der zersplitterte Gott ist, – das Einzige, was den Budhaismus vom Christenthum trennt.

Beide beruhen ferner auf dem Individuum, der Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung; schließlich ist beiden gemeinsam: daß so lange dieser verleiblichte Gott nicht erlöst ist, die Welt bestehen wird. Im Augenblick, wo er reif für das Nichtsein, das Nichts ist, geht die Welt unter.

2) Der Budhaismus allein ist diejenige Lehre, welche sämmtliche Absurditäten des Lebens, seinen grauenhaften entsetzlichen Charakter und alles Quälende und Räthselhafte in der Wissenschaft aufhebt.

ii92 Die Lehre hebt die Absurditäten des Lebens auf: Stehe ich nämlich vor einem Misthaufen und starre in den Koth, so muß ich, wenn die ganze Welt nichts Anderes als der zersplitterte Gott ist, den Koth selbst, jede Made in ihm, die Ratten, die darauf tanzen, die Spinnen und alles Gewürm für wesensgleich mit mir ansehen. Wie widerlich! – Bin ich dagegen Budhaist, so sind diese Ratten, Würmer, Maden u.s.w. nur wesenloser Schein und nur deshalb von meinem allmächtigen Karma vor das Auge gezaubert, um ein bestimmtes Gefühl, einen bestimmten Zustand: eben den Zustand des Ekels, in mir hervorzurufen.

Die Lehre hebt den grauenhaften entsetzlichen Charakter des Lebens auf: Bin ich, meine Person, das einzige Reale in der Welt und ist die gegenwärtige Welt wie die vergangene nur Schein, so ist überhaupt noch kein Blut vergossen worden, kein Mord, kein Diebstahl, keine Schlacht, keine Revolution, kein Erdbeben, kein Grubenunglück, kein Schiffbruch hat je stattgefunden. Der ganze furchtbare Kampf um’s Dasein, das Unglück der Millionen und Millionen, welche waren und sind, ist nur eine magische Illusion, gleichsam nur das großartigste General-Motiv, um mich zum Entschluß zu bringen, einer solchen kalten, blutigen, qualvollen Welt zu entsagen und dadurch mein Karma von der Existenz zu befreien. Man kann auch sagen, daß die ganze Erfahrungswelt nur das zum Bild gewordene, in eine wunderbare Phänomenalität ausgeprägte Mittel für das Karma ist, sich zu erlösen.

Die Lehre hebt schließlich alles Quälende und Räthselhafte in der Wissenschaft auf: Ist nämlich die Welt nur ein Schein und meine Person das einzige Reale, so giebt es kein naturwissenschaftliches Problem mehr. Ob sich die Sonne um die Erde, oder die Erde um die Sonne dreht, ob es eine Attractionskraft giebt oder nicht, wie die Wurfkraft der Erde constant erhalten bleibt, ob es eine Centralsonne für alle Sterne giebt, ob der Mensch vom Affen abstammt oder von Adam und Eva, – dies Alles ist gleichgültig und kann mich weder interessiren, noch beunruhigen.

Kurz: wie, wenn es Jemand friert und er sich, zusammenschauernd, fester in seinen Mantel hüllt, gleichsam in sich hineinschlüpft, so schließt sich der Budhaist, beglückt lächelnd, in die Märchenwelt seiner Brust ein. Was Welt? Was Zeit? Was Raum? Was Leid? Was Freude? Was Geschichte? Was Wissenschaft? Bin ich |

ii93 doch ganz allein auf der Welt, und ich bin müde, sehr müde. Ich und die Welt, wir wollen sterben.

3) Ich habe schon oben darauf hingedeutet, daß Kant’s Idealismus consequent und unangreifbar gemacht werden kann, wenn man ihn mit dem esoterischen Budhaismus in Verbindung setzt. Kant hat sich, wie wir uns erinnern werden, den Sinneseindruck, als hervorgebracht von einem Ding an sich, erschlichen, weil die Kategorie der Causalität, seiner Lehre gemäß, nur auf Erscheinungen in einer gegebenen Erfahrung, nicht auf das jenseit der Erfahrung, der Erscheinung zu Grunde Liegende angewandt werden dürfe. Läßt man nun einfach den Sinneseindruck von dem unbewußten Willen in uns hervorgebracht werden und läßt man zugleich die ganz grundlose Annahme Kant’s: es gäbe viele Dinge an sich, fallen, so ist eben mit dieser kleinen Aenderung Kant’s großartiger Idealismus das consequenteste und tiefste wissenschaftliche System, gleichsam der verklärte Budhaismus und viel bedeutender als dieser, weil Kant, wie schon bemerkt, nachgewiesen hat, wie die Welt auf Grund des Sinneseindrucks erbaut wird, während Budha einfach decretirt hat: Sie ist Schein.

Kant konnte den Ding-an-sich- Idealismus nicht finden, Budha nicht Kant’s grandiosen kritischen Idealismus. Kein Wunder! Hätte ein Mann beide in sich vereinigt, so würde er kein Mensch mehr gewesen sein, sondern ein Gott.

Ferner verdient Kant’s Unterscheidung eines intelligibeln und eines empirischen Charakters das Lob Schopenhauer’s:

die größte aller Leistungen des menschlichen Tiefsinns

zu sein; denn nun liegt hinter Einem empirischen ein einziger intelligibler Charakter, was wir denken können, während die Annahme von Millionen Punkt- Charakteren, die ausdehnungslos und doch von einander getrennt sein sollen, von keinem menschlichen Gehirn erfaßt werden kann. Ohne diese Verbesserung ist die berühmte Unterscheidung Das, wofür ich sie in meinem Hauptwerk erklärt habe: eine grundlose Spitzfindigkeit, die nicht das allergeringste Lob verdient.

4) Und ebenso wird Schopenhauer’s System in Verbindung mit Budha’s esoterischer Lehre lichtvoll, frei vom Gift des Widerspruchs und streng consequent. Nimmt man nämlich nur Einen individuellen Willen an, so sind alle jene dreisten Machtsprüche Schopenhauer’s wie:

ii94 Der Leib liegt, wie alle Objekte der Anschauung, in den Formen alles Erkennens, in Zeit und Raum, durch welche die Vielheit ist.

(W. a. W. u. V. I. 6.)

Die Zeit ist diejenige Einrichtung unseres Intellekts, vermöge welcher Das, was wir als das Zukünftige auffassen, jetzt gar nicht zu existiren scheint.

(Parerga, II. 44.)

In Wahrheit ist das beständige Entstehen neuer Wesen und Zunichtewerden der vorhandenen anzusehn als eine Illusion, hervorgebracht durch den Apparat zweier geschliffener Gläser (Gehirnfunctionen), durch die allein wir etwas sehen können: sie heißen Raum und Zeit und in ihrer Wechseldurchdringung Causalität.

(ib. 287.)

Das frische Dasein jedes neugeborenen Wesens ist bezahlt durch das Alter und den Tod eines abgelebten, welches untergegangen ist, aber den unzerstörbaren Keim enthielt, aus dem dieses neue entstanden ist: sie sind ein Wesen.

(W. a. W. u. V. II. 575.)

Man kann auch sagen: der Wille zum Leben stellt sich dar in lauter Erscheinungen, welche total zu nichts werden. Dieses Nichts mitsammt den Erscheinungen bleibt aber innerhalb des Willens zum Leben, nicht auf seinem Grunde.

(Parerga II. 310.)

gerechtfertigt. In Betreff letzterer Stelle sagte Schopenhauer selbst: Das ist freilich dunkel. Sie ist aber vollkommen verständlich und hell, wenn man sie auf einen einzigen individuellen Willen, Budha’s Karma, bezieht.

So wollen wir denn Abschied von der blauen Wunderblume mit dem berauschenden, sinnverwirrenden Duft nehmen. Es wird kein Unglück sein, ja, man darf es das höchste Glück nennen, wenn der Eine oder Andere den Sirenentönen Budha’s unterliegt: er wird das stolze Gefühl haben, Gott zu sein und wird, wendet er sich zugleich von der Welt ab, Erlösung finden. Die Erlösung ist die Hauptsache, der Weg, der zu ihr führt, ist Nebensache.

 


Date: 2015-01-02; view: 1085


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Der Idealismus. | II. Der exoterische Theil der Budhalehre.
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