Der aktuelle Drogenbericht der Bundesregierung zeigt: Der Alkohol- und Tabakkonsum geht bei Jugendlichen zurück. Junge Erwachsene hingegen greifen häufig zu Drogen. So wie Klaus Müller. Er war lange abhängig.
Klick, klick, klick. Einige Male muss ich die Aufnahmetaste der Kamera drücken, um Klaus Müller (Name von der Redaktion geändert) ein Lächeln zu entlocken: "Lachen entspricht aber gar nicht meinem Lebensgefühl", protestiert der 32-Jährige sofort.
Er wohnt in einer Wohngemeinschaft in Bonn-Tannenbusch, einem sozialen Brennpunkt. Die Wohnung in dem anonymen Hochhaus teilt Klaus sich mit zwei ehemaligen Heroinabhängigen. Sie alle werden dort von Sozialarbeitern betreut. Zum Interview treffen wir uns in einem Park. Hinter uns spielt ein Vater mit seinen vier Kindern. Auch Klaus hat vier Geschwister. Seinen Vater hat er allerdings seit Kindertagen nicht mehr gesehen. "Ich bin Scheidungskind. Das waren traumatische Erlebnisse."
Sein Leben - eine Baustelle: "Ich kann mich schlecht konzentrieren, bin psychisch labil und weiß gar nicht, wo ich stehe", so gibt Klaus Müller seinen Gemütszustand wieder.
Drogen als Wegbegleiter
Geboren in der DDR, kam er dort schon als Kind mit Alkohol in Berührung. Unmittelbar nach der Wende wurde das Angebot vielfältiger: "Plötzlich war alles zu haben. Cannabis, Ecstasy, LSD, Amphetamine, Alkohol, Crystal Meth. Ich habe alles genommen - außer Heroin", gibt Klaus zu: "Das war wie Gruppenzwang, ich konnte Probleme verdrängen. Es war cool. Und eigentlich ist es egal, welche Drogen man nimmt, es kommt auf die Menge an, die schädlich ist."
Klaus war 17, als er weg wollte aus der Provinz in Sachsen-Anhalt. Er ging nach Bayern. Seine Abhängigkeit war damals schon immens: Zwei Maurerlehren musste er abbrechen. Mit Gelegenheitsjobs schlug er sich durch. Die Kontrolle über sein Leben hatte er längst verloren, als er zusammenbrach. Völlig dehydriert wurde er von Freunden in eine Klinik eingeliefert. "Mit den Drogen werden Sie sich umbringen", gab ihm eine Krankenschwester zu verstehen. Dieser Satz traf den jungen Mann wie ein Schock. An die schädlichen Folgen hatte er nie einen Gedanken verschwendet.
Nelly Grunwald, Geschäftsführerin des Verein für Gefährdetenhilfe (Foto: Karin Jäger/DW)
VfG-Geschäftsführerin Nelly Grunwald: "Wir dürfen keinen Menschen aufgeben."
Mit einer Therapie hoffte er, den Absprung zu schaffen. Er war clean, trocken, aber ohne Heimatbindung. Die Therapeuten gaben ihm eine Landkarte und fragten: "Wo willst Du hin zur Anschlusstherapie?" Er antwortete: "Bonn." Dort machte er beim "Verein für Gefährdetenhilfe" (VfG) eine sogenannte Adaption. In dieser Nachsorgephase seiner Therapie fand er Hilfestellung, um seinen Alltag bewältigen zu können, seine Freizeit und zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten. "Wenn man lange Zeit Drogen nimmt, ohne zu arbeiten, dann ist man in einem Trott, und immer auf der Jagd nach Drogen."
Doch bald fühlte er sich auch in der ehemaligen Bundeshauptstadt fremd und einsam. Bald hatte Klaus einen Rückfall: "Bahnhöfe, Parks. Man kennt die Brennpunkte. Drogen gibt es an jeder Ecke." Doch die neuralgischen Plätze kennen auch die Sozialarbeiter vom Verein für Gefährdetenhilfe. Sie fanden Klaus und er findet immer wieder Hilfe beim VfG.
Kein Mensch wird aufgegeben
Die Organisation unterstützt Menschen, die von der Gesellschaft aufgegeben wurden - mit einem breit gefächerten Angebot, sagt Geschäftsführerin Nelly Grunwald, die ihr Büro gleich hinter dem Hauptbahnhof hat. "Wir haben hier ein Kontaktcafé, das von morgens bis abends geöffnet ist. Hier können die Menschen essen und Kontakte knüpfen." Heroinabhängige können sich im Drogenkonsumraum die Nadel setzen. "Bei einer Überdosis können sie gerettet werden. Es geht uns um Wahrung der Menschenwürde. Wir wollen, dass die Menschen überleben."
Hier werden aber auch Drogenabhängige gezielt darauf angesprochen, ob sie die Bereitschaft haben, ihr Leben zu ändern. Sozialarbeiter unterstützen sie dabei, eine Wohnung und Arbeit zu bekommen. Der Verein verfügt sogar über ein eigenes Wohnheim, eine Autowerkstatt, eine Autoverwertung. Dort können Arbeitswillige unter Anleitung von VfG-Mitarbeitern Autos reparieren oder für den Schrott auseinanderbauen. Auch beim Aufbau eines sozialen Netzes hilft der VfG.
Schrottplatz des Vereins für Gefährdetenhilfe (Foto: Karin Jäger/DW)
Autoverwertung des VfG: Chance für Ex-Junkies
"Manche Menschen begleiten wir ein Leben lang", sagt Nelly Grunwald. "Leider hat sich der Zeitgeist gedreht. Die Gesellschaft gibt Menschen eher auf, die schon mehrere Therapien gemacht haben." Auch Menschen, die eine Gefängnisstrafe abgesessen haben, bekämen kaum eine Kostenzusage für eine Therapie, hat Grunwald beobachtet. Staatliches Geld für Fördermaßnahmen im Arbeitsprozess gebe es kaum noch. "Wir kämpfen dafür, dass diese Menschen gefördert werden, um integriert zu werden."
Dass sich die Mühe lohnt, sieht Bettina Fredebeul. Sie betreut Langzeitarbeitslose mit Drogenproblemen, vermittelt Bewerber in vereinseigene Betriebe wie Malerwerkstatt, Brennholzverarbeitung, Hausmeisterleistungen, Umzugsservice und ein Secondhand-Kaufhaus.
Bettina Fredebeul hat die Hoffnung nie aufgegeben, diese Menschen wieder in den Arbeitsalltag eingliedern zu können. "Es gibt Teilnehmer, die gehen in der Mittagspause voller Stolz im Blaumann einkaufen, weil sie mit der Kleidung zeigen wollen, dass sie arbeiten. Und sie wollen Anerkennung zum Ausdruck bringen."
Bettina Fredebeul, Betreuerin des Vereins für Gefährdetenhilfe (Foto: Karin Jäger/DW)
Betreuerin Fredebeul: "Teilnehmer voller Stolz"
Als Klaus Müller sich entschieden hatte, in seinem Leben etwas zu verändern, bekam er über den VfG zunächst einen Therapieplatz. Im Gespräch sei ihm dann erstmals bewusst geworden, dass er mit den Drogen alle Missstände verdrängen wollte: die frühe Scheidung der Eltern, die zerrütteten Familienverhältnisse.
In dieser Phase vermittelte ihm der Verein eine Lehrstelle zum Autolackierer. Er lernte seine spätere Frau kennen, seine Noten in der Berufsschule waren glänzend und alles hätte gut sein können. Doch er griff wieder zu Drogen, weil er sich überfordert fühlte. "Da habe ich wieder zu den alten Sachen gegriffen. Dabei hatte ich gedacht, nie wieder rückfällig zu werden." Immerhin gelang es ihm, trotz Drogenkonsums, die Lehre zu beenden.
"Dafür schäme ich mich noch heute"
Doch es ging schnell und endgültig steil bergab: Seine Frau trennte sich von ihm, die 2008 geborene Tochter nahm sie mit. Der Gerichtsvollzieher stand vor der Tür. "Ich habe mich um nichts mehr gekümmert." Klaus verlor die Arbeit, die Wohnung musste er aufgeben. Er landete auf der Straße: "Ich war völlig verdreckt. Keiner wollte mit mir etwas zu tun haben", erinnert er sich.
Um an Geld zu kommen, dealte er schließlich selbst mit Drogen. "Dafür schäme ich mich noch heute." Irgendwann wurde er erwischt und bekam eine Bewährungsstrafe. Damals wog er 63 Kilo. Heute sind es 88 Kilo - Klaus Müller macht regelmäßig Krafttraining, er läuft. "Ich habe ein gutes Körpergefühl. Und das, was ich erlebt habe, möchte ich nie wieder haben."
Auch innerlich arbeitet er daran, belastbar zu werden, um schwierige Lebenssituationen zu meistern. Klaus nimmt dazu an Gruppengesprächen teil, die der Verein für Gefährdetenhilfe anbietet. "Ich bin so froh, dass es den VfG gibt", sagt Klaus. "In Deutschland gibt es eigentlich in jeder Stadt Hilfe für Drogensüchtige. Leider werden trotzdem so viele Leute rückfällig."
Aufbruch ins zweite Leben!
In zwei Monaten muss er raus aus der betreuten Wohnung. Betroffene dürfen dort nur maximal zwei Jahre leben. "Ich habe durch den VfG ja eine Arbeit, wenn auch nur für zwei Jahre, aber vielleicht gibt mir ein Vermieter wegen des Jobs eher eine Wohnung." Er sehe jetzt seine Perspektiven, traue sich viel zu und er kämpfe, sagt er zum Schluss.
Als nächstes will er seinen Führerschein machen, mit seiner Tochter in Urlaub in die Berge fahren und eine Festanstellung bekommen. "Ich würde gerne was mit Kunst machen. Ich will weiterleben, zufrieden mit dem, was ich habe." Er gibt mir die Hand und lächelt. Vielleicht kann sich Klaus doch noch ans Lachen gewöhnen.