Fast zwei Millionen Menschen sind alkoholkrank, viele Junge trinken riskante Mengen, zeigt der Drogenbericht der Regierung. Diese ist auch alarmiert wegen Crystal Meth.
In Deutschland ist die Zahl der Alkoholabhängigen in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Auch Nikotinsucht bleibt ein weitverbreitetes Problem, zeigen die jüngsten Erhebungen zu erlaubten und verbotenen Rauschmitteln in Deutschland. Einen detaillierten Überblick gibt der neue Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung. Die Zahlen hat die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler vorgestellt.
Demnach ist die Zahl der Alkoholabhängigen auf rund 1,8 Millionen gestiegen. 2006 waren es noch 1,3 Millionen. Weitere 1,6 Millionen Erwachsene trinken zu viel, gelten aber nach den offiziellen Kriterien nicht als abhängig. Eine Herausforderung bleibe laut dem Bericht zudem der riskante Suchtmittelkonsum wie etwa das Rauschtrinken unter jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren. Er liegt nach Daten des Robert-Koch-Instituts bei 36 Prozent (Frauen) und 54 Prozent (Männer).
Alarm schlagen die Autoren der Studie auch wegen des bundesweiten Tabakkonsums: Insgesamt rund 5,6 Millionen Menschen seien hiervon abhängig. Tabak bleibe damit der verbreitetste Suchtstoff. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts rauchen 29,7 Prozent der 18- bis 79-Jährigen; 23,7 Prozent von ihnen rauchen täglich und sechs Prozent gelegentlich. Männer rauchen mit 32,6 Prozent häufiger im Vergleich zu Frauen, die zu 27 Prozent täglich oder gelegentlich rauchen. Fast halbiert habe sich der Tabakkonsum seit 2001 bei den 12- bis 17-Jährigen: Von 27,5 Prozent auf zwölf Prozent im Jahr 2012.
Mehr als 300.000 Erwachsene nehmen illegale Drogen
Abhängig von illegalen Drogen sind laut der Studie 319.000 Erwachsene. Mindestens 2,3 Millionen Menschen sind süchtig nach Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln.
Zudem wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 77 Kilogramm Crystal Meth sichergestellt – so viel wie nie zuvor. Die Zahl der erstmals auffällig gewordenen Konsumenten der stark süchtig machenden Droge stieg um sieben Prozent auf 2.746. Zwar sei Crystal Meth noch nicht bundesweit verbreitet, doch gebe es Hinweise auf eine Ausweitung aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet auf einzelne Bundesländer und in grenzfernere Regionen wie in deutsche Großstädte, teilte die Bundesdrogenbeauftragte mit. "Erste Schritte sind gemacht: Deutschland und Tschechien intensivieren die Zusammenarbeit auf dem Gebiet und in den betroffenen Bundesländern werden die Hilfsangebote verstärkt. Wir müssen die Entwicklung sehr aufmerksam beobachten und wachsam sein", sagte Mortler.
"Alle Drogen sind schädlich, aber nicht alle sind gleich schädlich"
DIE ZEIT 04/2014
INTERVIEW: KATHRIN ZINKANT
Ein Krieg den Drogen bringt nichts, sagt David Nutt. Der Pharmakologe fordert Aufklärung statt Kriminalisierung. Und er gibt Tipps, was Eltern ihren Kindern raten können.
David Nutt ist Professor für Neuropsychopharmakologie am Imperial College in London. Bis 2010 beriet er die britische Regierung in der Drogenpolitik. Sein vehementer Einsatz für eine wissenschaftlich fundierte Gesetzgebung kostete ihn den Beraterjob, nachdem er unter anderem Ecstasy als weniger gefährlich einstufte als den britischen Volkssport Reiten. Nutt hat inzwischen ein unabhängiges Komittee gegründet, das evidenzbasiert über Drogen informiert. 2012 erschien sein Buch Drugs - Without the Hot Air (nur auf Englisch, UIT Cambridge).
ZEIT ONLINE: Dr. Nutt, Sie haben ein Buch geschrieben, das übersetzt "Drogen – ohne die heiße Luft" heißt. Was für heiße Luft meinen Sie?
David Nutt: Ich meine damit die politischen und medialen Bilder und die Vorurteile rund um Drogen und Drogenkonsum. Es gibt leider sehr viele Übertreibungen und Verzerrungen in der Debatte um Drogen. Deshalb habe ich darüber geschrieben, was Drogen sind, wie sie funktionieren, warum Menschen sie nehmen und wie Drogen das Leben beeinflussen. Die zentrale Botschaft lautet: Alle Drogen sind schädlich, aber nicht alle Drogen sind gleich schädlich, und jeder sollte die Möglichkeit haben, eine informierte Entscheidung zu treffen.
ZEIT ONLINE: Sie sagen, dass sich Drogenpolitik immer am Stand der Wissenschaft orientieren sollte, an der Evidenz. Das klingt ganz vernünftig.
Nutt: Natürlich müssen Politiker auch Dinge jenseits der reinen Wissenschaft berücksichtigen. Aber der gesetzliche Status einer Droge ist dafür vorgesehen, die Öffentlichkeit über ihre Gefährlichkeit zu informieren, und die wissenschaftlichen Aussagen werden von der Politik dabei zu oft ignoriert.
ZEIT ONLINE: Können Sie ein Beispiel geben?
ist Professor für Neuropsychopharmakologie am Imperial College in London. Bis 2010 beriet er die britische Regierung in der Drogenpolitik. Sein vehementer Einsatz für eine wissenschaftlich fundierte Gesetzgebung kostete ihn den Beraterjob, nachdem er unter anderem Ecstasy als weniger gefährlich einstufte als den britischen Volkssport Reiten. Nutt hat inzwischen ein unabhängiges Komittee gegründet, das evidenzbasiert über Drogen informiert. 2012 erschien sein Buch Drugs - Without the Hot Air (nur auf Englisch, UIT Cambridge).
Nutt: Zum Beispiel folgte das EU-weite Verbot von Mephedron (ein Amphetamin, Anm d. Red.) in 2010 den Empfehlungen der europäischen Polizeibehörde Europol und der europäischen Drogenbehörde. Dabei entbehrte es jeder wissenschaftlichen Grundlage. Und Gesetze zu erlassen ohne Bezug auf zuverlässige Erkenntnisse, birgt eine große Gefahr.
ZEIT ONLINE: Welche?
Nutt: Die Kriminalisierung der Drogenkonsumenten richtet meist mehr Schaden an, als es die Droge selbst täte. Auch Mephedron ist schädlich, aber bei Weitem nicht so sehr wie zum Beispiel Kokain. Und viele Kokain-Konsumenten waren auf Mephedron umgestiegen – ehe es verboten wurde.
ZEIT ONLINE: Was bedeutet es umgekehrt, wenn eine Substanz legal ist?
Nutt: Die Menschen bekommen oft den Eindruck, dass Alkohol und Tabak gar keine echten Drogen sind und dass sie auch nicht wirklich gefährlich sein können. Dabei sind sie in mancherlei Hinsicht gefährlicher als die meisten verbotenen Substanzen. Rauchen macht extrem süchtig und tötet jährlich fünf Millionen Menschen auf der Erde. Bei Alkohol sind es 2,5 Millionen. Bei illegalen Drogen 200.000. Selbst wenn man den Konsum hochrechnet, bleibt eine klare Diskrepanz, was den Schaden betrifft.
ZEIT ONLINE: Wie ist das also, wenn die deutsche Kanzlerin, wie in ihrem letzten Wahlkampf, sagt: Alkohol und Nikotin seien nicht so schnell so schädlich und süchtig machend wie Cannabis?
Nutt: Das hat sicherlich keinerlei faktische Grundlage. Es sind Behauptungen wie diese, von wichtigen, respektierten Persönlichkeiten, denen wir trauen können sollten, die unserer Gesellschaft schaden. Cannabis ist wahrscheinlich eines der ältesten Medikamente, das wir kennen. Man hat damit Schmerzen und Krämpfe gelindert. Und sozial gesehen hat es eine ähnliche Funktion wie Alkohol. Aber während Cannabis weit weniger schädlich ist als Alkohol, wird es als sehr gefährlich eingestuft – wegen der Schäden durchs Rauchen und weil die Droge mit Depressionen und psychotischen Symptomen in Verbindung steht.