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Innovation durch ethnische Vielfalt.

Die neuen Weltbürger

Offenheit für unterschiedliche Kulturen ist zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil geworden. In der globalisierten Wirtschaft kommt es darauf an, durch interne Vielfalt Kreativität und Innovationsfreude zu entfalten. „Wurzeln“ und „Flügel“ sind die Merkmale der gefragten internationalen Fachkräfte.

Vor dem ersten Weltkrieg schrieb der amerikanische Sozialkritiker Randolphe Bourne über die Beziehung zwischen den vereinigten Staaten und den Immigranten: „Um nicht in Stagnation zu verfallen, brauchen wir neue Völker.“ Die Nationalstaaten waren lange stolz auf ihre Autarkie: Sie versorgten sich aus eigener Kraft, gründeten ihre eigenen Industrien und zogen sich aus dem eigenen Volk die richtige Mischung von Fachkräften heran. Nicht nur Nationalstolz, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Realitäten des Nationalstaats führten dazu, dass die Machhabenden ebenso wie das Volk die Vorstellung, Besucher, Zu-Wanderer und Migranten könnten lebensnotwendig sein, lange Zeit ablehnten. Doch Bourne hatte Weitblick bewiesen: In der heutigen New Economy werden Länder, die sich nur auf ihre heimischen Talente verlassen – und Einwanderer nichts als Bereicherung sehen – unvermeidlich hinter andere Nationen zurückfallen, wirtschaftlich ebenso wie gesellschaftlich.

Heißt das nun, Einwanderung nach amerikanischem oder kanadischem Muster sei in jedem Fall besser? Nein. Doch mit ihrer alternden Bevölkerung und ihren niedrigen Geburtenziffern können die reichen Länder ohne die Hilfe begabter, dynamischer Zuwanderer aus dem Ausland keine Verbesserung ihres Lebensstandards erwarten.

Wie viele Menschen sie benötigen, wie viele Immigranten sie aufnehmen sollen, hängt von der Situation und der jeweiligen Einstellung und den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung ab. Aber jedes gesunde, reiche Land braucht zwangsläufig Talente und Energien von außen. Und zwangsläufig wird eine große Zahl von Fachkräften aus den ärmeren Entwicklungsländern kommen.

Die Erkenntnisse, zu denen ich bei meiner umfassenden Untersuchung über die reichen Nationen der Welt und deren potenziellen Nutzen durch Heterogenität gelangte, habe ich in meinem Buch „Die neuen Weltbürger“ vorgestellt. Darin behaupte ich, dass die entwickelten Länder heute um begabte Zuwanderer miteinander wetteifern nicht viel anders, als sie früher um die Kontrolle über Rohstoffe oder geostrategische Positionen kämpften. In der Wissensgesellschaft sind Ideen die eigentliche Quelle für Wertschöpfung, und neue Ideen – wertvolle Ideen – kommen oft aus einer ganz unerwarteten Richtung: aus der Begegnung unterschiedlicher Standpunkte. Und dies wiederum geschieht, wenn Menschen in heterogenen Gesellschaften zusammenleben.

Allerdings muss diese Mischung unterschiedlicher Menschen aus unterschiedlichen Ländern einer gewissen Kontrolle unterliegen, andernfalls führt sie zu sozialer Unruhe. Doch bei entsprechender Regelung bereitet die Mischung ethnischer und nationaler Gruppen den Boden für Innovationen. In gewisser Weise haben wir es hier mit der alten Geschichte von Angebot und Nachfrage zu tun. Ohne Nachschub neuer Talente lässt die Innovationsfähigkeit eines Landes nach. Zwar kann ein Teil der innovativen Begabung durchaus heimischen Quellen entspringen, doch die weltweit führenden Industrie und Technologienunternehmen setzen zunehmend auf die Leistungen Nichteinheimischer. Der deutsche Autoriese Daimler fusioniert mit Chrysler nicht nur, um neue Märkte zu erschließen, sondern auch um eine Vielfalt unterschiedlicher Standpunkte zusammenzubringen. SAP, Deutschlands führendes Software-Unternehmen, beschäftigt die Hälfte seiner Angestellten in den polyglotten Vereinigten Staaten. Und was für die größten Unternehmen gilt, trifft zunehmend auch für ganze Gesellschaften zu. Island ist das ethnisch „reinste“ aller europäischen Länder, darüber hinaus hat es aber auch die niedrigste Arbeitslosenzahl und importiert Einwanderer in Rekordhöhe, um dem Land weiteres Wachstum zu sichern. Irland, das Land mit dem größten Wirtschaftswachstum Europas, aus dem lange Zeit die Menschen immer nur abgewandert sind, erlebte in den vergangenen drei Jahren einen wachsenden Zustrom von Einwanderern, der neue Fragen über das Wesen der irischen Gesellschaft aufwarf und die Politiker und führenden Unternehmer des Landes vor die für sie völlig neue Situation einer multiethnischen Gesellschaft stellte. Singapur, einer der asiatischen „Tigerstaaten“, hat seit jeher viel in ethnische Vielfalt investiert und seine traditionellen Bemühungen um Fachkräfte aus dem Ausland seit einiger Zeit sogar noch verstärkt. „Wenn wir dieses Spiel nicht gewinnen, verlieren wir in allen weiteren Spielen“, sagte George Yeo, Singapurs Handels- und Industrieminister, kürzlich zu mir. „Die Anwerbung von Talenten ist die Grundlage für unsere sonstigen Aktivitäten.“



Innovation durch ethnische Vielfalt.

Natürlich können die Länder ausländischen Fachkräften ihre Türen verschließen, doch müssen sie sich im Klaren sein, dass sie damit ihren Wohlstand aufs Spiel setzen. Sie brauchen eine wachsende ethnische Vielfalt, wenn sie nicht in wirtschaftlicher, demographischer und gesellschaftlicher Hinsicht stagnieren wollen.

Früher schreckten die Deutschen vor diesem Gedanken zurück; heute ist er wohl nicht mehr so radikal, wie er klingt. Nachdem die Politiker jahrzehntelang behauptet hatten, Deutschland sei ein Land für Menschen deutscher Volkszugehörigkeit und nicht ein attraktives Einwanderungsland für die besten und hellsten Köpfe, sehen sie nun endlich ein, dass Deutschland von Zuwanderung und dem „Einkauf“ von Spezialisten auf dem Weltmarkt nur profitieren kann. Deutschland darf die Aufnahme von Ausländern nichts als Akt der Wohltätigkeit betrachten, sondern muss den Zustrom ins Land steuern oder jedenfalls beeinflussen, indem es Ziele und Kriterien formuliert, die wenigstens für einen Teil der Zuwanderer gelten.

Skeptiker werden einwenden, dass sich Deutschland bei mehr als drei Millionen heimischer Arbeitsloser schwerlich für den Import begabter ausländischer Arbeitskräfte stark machen können. Der Einwand hat zwar seine Berechtigung, verrät aber ein tiefes Missverständnis hinsichtlich der Entstehung neuer Arbeitsplätze und Unternehmen.

Ein Beispiel mag folgende Geschichte sein. Bis vor kurzem lehnten die deutschen Behörden praktisch alle Anträge von Firmen ab, die Software-Programmierer aus außereuropäischen Ländern und Staaten der so genannten „Dritten Welt“ einstellen wllten. Conceptware, ein aufstrebendes deutsches IT-Unternehmen, verschaffte sieben Indern, deren Antrag auf eine Arbeitsgenehmigung von den deutschen Behörden abgelehnt worden war, eine Aufenthaltserlaubnis für Kanada und eröffnete dann mit ihnen eine kanadische Filiale. Dadurch gingen Deutschland natürlich keine Arbeitsplätze verloren, doch hätten die sieben Inder, wären sie in Deutschland beschäftigt gewesen, ihr Gehalt natürlich versteuert. Damit nicht genug: Die sieben Inder konnten die Filiale nicht eigenständig führen, sondern brauchten eine Geschäftsleitung, und so kam es, dass Conceptware zwei Deutsche nach Kanada schickte, die seither dort leben und arbeiten.

Die beiden werden für geraume Zeit nicht nach Deutschland zurückkehren – wie viele Arbeitsplätze wird dies das Land kosten? Tatsache ist, wie sich an diesem Beispiel zeigt, dass Deutschland die Zu- und Abwanderung von Fachkräften besser steuern muss, andernfalls werden begabte Deutsche den Spezialisten ins Ausland folgen. Man kann es auch aus einem anderen Gesichtspunkt sehen: Die Anwesenheit ausländischer Fachkräfte macht einen Standort auch für die heimische Intelligenz attraktiver. Man braucht sich nur die deutschen Universitäten anzusehen: Kaum jemand aus Nordamerika besucht deutsche Universitäten, nicht einmal die Studiengänge, in denen die Unterrichtssprache Englisch ist. Hingegen strömen Deutsche scharenweise in US-amerikanische Top-Universitäten – selbst, wenn sie ihr Studium dort in einer Fremdsprache absolvieren müssen.

Den Deutschen ist bei dem Gedanken, die Zu- und Abwanderung von Menschen zu steuern und die formalen Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft „neu zu erfinden“, nach wie vor nicht ganz wohl. Doch langsam erkennt man,dass eine planvolle Einwanderungspolitik nicht nur darauf abzielt, ausländische Fachkräfte anzuwerben, sondern es geht ihr auch darum, einheimisches Talent im Land zu halten. Der alte Einwand, Zuwanderung bringe Einheimische um ihre Arbeitsplätze, wird damit hinfällig. Nicht, wer arbeitslos ist, wandert ab, sondern am häufigsten sind es die Fachkräfte, die bei einem Mangel an ausländischen Spezialisten Deutschland verlassen.

Eine positive Neuerung unter der Regierung Schröder waren zwei bahnbrechende Gesetzesänderungen, die Ausländern den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit und einer Arbeitserlaubnis erheblich erleichterten. Das war schon ein hilfreicher Schritt. Zwar haben diese Maßnahmen einen symbolischen Charakter, doch zeigten sie immerhin, dass Deutschland bereit ist, sich am globalen Wettbewerb um Fachkräfte zu beteiligen und im Inland eine vitale, heterogene Gesellschaft aufzubauen.

In dem neuen Einbürgerungsgesetz und der Einführung der „Green Card“ ist eine wichtige Diskussion über die deutsche Indentität in Gang gekommen. Nachdem sich das „Deutsch-ein“ nicht länger ausschließlich als historische Abstammung definieren lässt, sondern sich gewissermaßen auch auf den Beitrag bezieht, den jede beliebige Person zum Leben in Deutschland leisten kann, stellt sich die große Frage, wie die deutsche Gesellschaft heterogener werden kann. Kurz gesagt: Es geht nicht darum, ob die Heterogenität von Vorteil ist, sondern welche Art von Vielfalt Deutschland und den dort lebenden und arbeitenden Nichtdeutschen am meisten zugute kommt. Natürlich müssen die Deutschen sich diese Frage selbst beantworten. Als Außenstehender kann ich möglicherweise ein paar Ratschläge geben, wie sich ein gutes Fundament für das neue Deutschland schaffen lässt.

Zunächst ist zu sagen, dass sich das Wesen der Immigration verändert hat. Viele Menschen suchen nicht mehr nach einer neuen Heimat, wenn sie in ein anderes Land ziehen, sondern halten durchaus ihre alten Verbindungen aufrecht, während sie neue Beziehungen eingehen.: Damit ist das früher gültige mechanistische Migrationsmodell – Land A verliert einen Bürger an Land B – überholt. Die Menschen sind heute in Bewegung. Sie streben nach vielfältigen Bindungen und brechen nicht die Brücken hinter sich ab. Sie wollen „Wurzeln“ - wollen ihre Traditionen, ihre Gebräuche, ihre Sprache beibehalten und gleichzeitig wollen sie „Flügel“ - die Freiheit, neue Wege zu gehen.

Zuwanderer brauchen „Wurzeln“ und „Flügel“

Das hat erheblich Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Regierung und Arbeitgeber mit der Heterogenität umgehen müssen. Früher genügte es Vorschriften aufzustellen, die für alle galten und im Kern lautete die Botschaft: Wenn du dich an die Regeln hältst, wirst du akzeptiert; wenn nicht, musst du gehen oder lebst im besten Fall am Rand der Gesellschaft- Aus diesem dichten Regelwerk entwickelte sich der Begriff unserer „nationalen Indentität“, der die Immigranten in Deutschland vor ein Problem stellte: Sie müssten lernen; Deutsche zu sein, müssten lernen, sich wie Einheimische zu verhalten.

Diese Zwangsintegration funktioniert nicht mehr. Menschen mit Talent und Begabung – die sich aussuchen können, wo sie leben und arbeiten wollen – werden sich diese Behandlung kaum gefallen lassen. Die einzige Alternative besteht darin, Zuwanderern ihre Wurzeln und ihre Flügel zuzugestehen, sie soweit wie möglich an Deutschland partizipieren zu lassen, jedoch nicht um den Preis des Verzichts auf ihre jeweils typischen Eigenheiten. Skeptiker werden einwenden, Zuwanderer können sich nie rückhaltlos ins deutsche Leben integrieren und dem Land gegenüber nie vollkommen loyal verhalten, wenn sie ihre Wurzeln beibehalten. Aber auch solche Loyalitätsforderungen sind überholt. Auf dem Weltmarkt der Spezialisten kann ein einzelnes Land bestenfalls auf Anteile hoffen – auf wechselnde Anteile. Deshalb genügt es nicht mehr, ausländischen Fachkräften eine befristete Arbeitserlaubnis zu erteilen. Um wirklich von Experten aus dem Ausland zu profitieren, muss ein Land mehr tun, als die Restriktionen gegen ausländische Arbeitnehmer aufzuheben. Es muss ihnen die Möglichkeit bieten, nach Belieben zu kommen und zu gehen, als wären sie nicht Migranten, sondern wiederkehrende, gern gesehene Besucher.


Date: 2015-12-24; view: 984


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