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Endozentrische vs. exozentrische Determinativkomposita

Wenn die 2. UK nicht nur morphologischer, sondern auch semantischer Head ist (auch als semantischer Kern bezeichnet), spricht man von endozentrischen Deter­minativkomposita. Bei allen bisherigen Beispielen ist dies der Fall.

Ein solches endozentrisches Determinativkompositum kann semantisch erweitert werden, um ein Lebewesen oder Objekt zu benennen, das die im Wort bezeichnete Eigenschaft besitzt oder dem metaphorisch eine solche Eigenschaft zugeschrieben wird. Es entsteht dann eine exozentrischeLesart: Das, was bezeichnet werden soll, wird durch das Kompositum selbst nicht erfasst. Löwenmaul kann sich als endozentrisches Determinativkompositum auf das Maul eines Löwen beziehen; als exozentrisches Determinativkompositum oder Possessivkompositum, mitunter auch Bahuvrihi genannt, benennt es eine Blume, deren Blütenform vergleichbar mit dem Körperteil dieses Tieres ist. Der Terminus 'Possessivkompositum' verweist darauf, dass jeweils ein besitzendes Merkmal (z.T. als Metapher) ausschlaggebend für die Benennung ist. Possessivkomposita liegt eine pars-pro-toto-Relation (ein Teil steht für das Ganze) zugrunde:

a. Rotkäppchen = Märchengestalt der Gebrüder Grimm mit rotem Käppchen,

b. Blauhelme = UNO-Soldaten, erkennbar an ihren blauen Schutzhelmen,

c. Grünrock = Förster in seiner grünen Uniform,

d. Pfauenauge = Schmetterling mit markanter Flügelzeichnung, vergleichbar mit dem Auge eines Pfauen.

Daneben gibt es auch exozentrische Determinativkomposita, bei denen die pars-pro-toto-Relation nicht gegeben ist und die deshalb nicht zu den eigentlichen Posses­sivkomposita zählen. Als Metaphern verbalisieren sie bereits ein Ganzes:

a. Angsthase = ängstlicher Mensch,

b. Himmelschlüsselchen = Blume,

c. Schluckspecht = jemand, der viel trinkt.

d. Wirrkopf = Person, die einen wirren Kopf hat.

Ein Objekt als Ganzes (vgl. Tier ...hase, ...spechf) steht hier metaphorisch für ein anderes Objekt als Ganzes (Mensch), während bei den echten Possessivkomposita z.B. ein Kleidungsutensil als Teil (...käppchen, ...helme, ...rock) zur Bezeichnung für ein Objekt als Ganzes (Mensch) herangezogen wird.

Komposita dieses Typs sind besonders zur Bezeichnung von Lebewe­sen (Personen, Tieren, Pflanzen) relativ häufig, z.B. Langbein 'Person, die lange Beine hat', Hinkebein 'Person, die ein Hinkebein hat', Rotkehlchen 'Vogel, der ein rotes Kehlchen hat', Nashorn 'Säugetier, das ein Hörn auf der Nase hat', Weißwurz, auch Weißwurzel 'Pflanze, die eine weiße Wurzel hat', Schwarzdorn 'Pflanze, die schwarze Dornen hat'. Daneben finden sich aber auch Bezeichnungen für Gegenstände, z.B. Dreirad 'Fahrgerät, das drei Räder hat', Viereck 'Ding, das vier Ecken hat'.

Kopulativkomposita

Bei den Kopulativkomposita werden zwei Konstituenten so kombiniert, dass beide gleichbe­rechtigt nebeneinander stehen. Das Verhältnis der beiden Konstituenten kann durch sowohl - als auch oder durch und wiedergegeben werden: taubstumm, dummfrech, Mannweib, Hassliebe, nasskalt. Das logisch-semantische UND als Anzeiger der parataktischen Relation zwischen den UK wird bei vielen Zahlen-Komposita wie einundzwanzig, vierundsechzig, neunundneunzig sprachlich expliziert. Kopulativkomposita sind nur in geringer Anzahl vorhanden.



Kopulativkomposita haben eine einfache strukturelle Voraussetzung: es müssen zwei Lexeme zusammentreten, beide von derselben Wortart und derselben semantischen Kategorie. Die Bedeutung des Kompositums ergibt sich aus einer Addition der Be­deutung der beiden Teilelemente. So ist Dichterkomponist 'eine Person, die sowohl Dichter als auch Komponist ist', Strich­punkt 'ein Satzzeichen, das als Bestandteile sowohl Punkt als auch Strich besitzt' und bittersüß 'eine Geschmacksrichtung, die sowohl eine bittere als auch süße Note hat'.

Morphologischer Head der Kopulativkomposita ist die rechte UK. Da für diese Komposita kategoriale Gleichheit der UK verlangt ist, wird die Festlegung der Wort­kategorie durch die rechte UK nicht vordergründig. Allerdings prägt sie auch die grammatischen Merkmale des Gesamtwortes. Das wird an der Genuszuweisung sub­stantivischer Bildungen deutlich:

1. UK (der) Hass + 2. UK (die) Liebe → die Hassliebe

In Bezug auf die Position des morphologischen Heads als strukturelles Merkmal ver­halten sich Kopulativ- und Determinativkomposita gleich.

Da zwischen den UK von Kopulativkomposita semantische Gleichrangigkeit be­steht, ist ihre Reihenfolge prinzipiell vertauschbar (süßsauer vs. sauersüß). Bei Zahlen-Komposita und in lexikalisierten Bildungen ist sie jedoch festgelegt (dreizehn, taubstumm). Manchmal kann die Reihenfolge der UK durch außersprachliche Kon­vention bestimmt sein: die schwarz-rot-goldene Fahne. Hier haben wir zudem eines der wenigen Beispiele, in denen die binäre Struktur durchbrochen wird und drei koordinativ verknüpfte UK vorliegen.

Das nominale Kopulativkompositum: Traditionell werden in der Forschungslite­ratur Komposita des Typs Hosenrock, Fürstbischof, Radiowecker, Kinocafe, Kleiderschürze, Dichterkomponist und Ministerfreund als Kopulativkomposita angesehen. Solche Komposita können zwar auch kopulativ gelesen werden, nämlich als 'Dichter und Komponist', allerdings immer neben determinativen Lesarten wie 'Dichter, der auch Komponist ist', 'komponierender Dichter'.

Das verbale Kopulativkompositum: Gelegentlich werden in der Forschungslite­ratur die sehr seltenen Komposita des Typs Spritzgießen und grinskeuchen als Kopulativkomposita angesehen. Komposita dieses Typs begegnen offenbar nur in bestimmten Textsorten, vor allem in der technischen Fachsprache und der (expressiven) Dichtung. Sie sind deutlich verwendungsbeschränkt. So kommen verbale Kopulativkomposita meist nur als infinite oder als Nominalformen vor, z.B. das Feinziehschleifen. Wie bei den Nomina gilt auch hier, dass alle kopulativen Verbkomposita auch determinativ gelesen werden können, z.B. grinskeuchen als 'grinsen und keuchen' neben determinativem 'keuchen, und zwar grinsend'. Fleischer/ Barz (1995) nehmen an, dass zumindest bei den fachsprachlichen Zu­sammensetzungen die determinative Lesart grundsätzlich näher liege, da das Erstglied in der Regel als modale Spezifizierung des Zweitgliedes verstanden wird.

Das adjektivische Kopulativkompositum: Traditionell werden in der For­schungsliteratur Komposita des Typs graugrün, schwarz-weiß, schwarz-weiß­gelb, höflich-bestimmt, bitter-süß, deutsch-armenisch als Ko­pulativkomposita angesehen. Grundsätzlich gilt auch für die Adjektivkomposita, dass die nicht nur kopulativ, sondern auch determinativ interpretierbaren Zusammensetzungen als Determinativkomposita analysiert werden sollten, z.B. rotbraun 'braun, und zwar ins Rote tendierend', höflich-bestimmt 'bestimmt, da­bei aber höflich', bitter-süß 'süß, dabei aber doch auch irgendwie bitter'. Wie leicht zu erkennen ist, sind jedoch einige dieser Adjektive keinesfalls determina­tiv interpretierbar: In deutsch-armenische Beziehungen wird armenisch eben ge­rade nicht durch deutsch semantisch näher bestimmt.

Altmann und Kemmerling (2000) möchten sich auf das semantische Krite­rium zur Unterscheidung von Determinativ- und Kopulativkomposita nicht verlassen und ziehen dafür Formmerkmale heran: „Liegt der Akzent auf dem Erstelement und ist ein Fugenelement vorhanden, präferieren wir in jedem Fall eine Klassifikation als Determinativkompositum", bei kopulativer Interpretation dagegen muss der Haupt­akzent auf der rechten UK liegen:

a. Kosmo'nautenarzt (mit FE en) tendiert eher zu 'ein Arzt, der speziell Kos­monauten betreut' → DK

b. Arztkosmo'naut (verdeutlichend auch Arzt-Kosmo'naut) 'eine Person, die Arzt und Kosmonaut ist' → KK

c. 'rotbraun 'ein zu Rot tendierendes Braun' → DK

d. rot'braun (verdeutlichend auch rot-'braun) 'rot und braun (gestreift)' → KK.

Kopulativ zu interpretierende Farbadjektive bezeichnen immer farblich abgrenzbare Teile von Objekten (schwarz-weiß, rot-weiß, rot-grün), während determinativ zu in­terpretierende Farbadjektive immer eine Farbmischung bzw. Farbabstufung bezeich­nen müssen (blaugrün 'bläuliches Grün', dunkelrot 'dunkles Rot', hellblau 'helles Blau').

 

 

5. Sonderfälle der Komposition

5.1. Die Zusammenrückung

Fleischer (1969) hat die Bildung von Nomina wie Vergissmeinnicht, Möchtegern, Dreikäsehoch, das Am-Computer-Sitzen-Müssen zunächst als eigene Wortbildungs­art verstanden und dafür den Terminus Zusammenrückung geprägt, der allgemein in die Wortbildungslehre eingegangen ist. Zusammenrückungen sind substantivierte Wortgruppen und substantivierte Imperativische Sätze, bei denen die zweite unmittelbare Konstituente nicht die Wortart der ganzen Konstruk­tion bestimmt, wie: Taugenichts, Stelldichein, Vergissmeinnicht.

Auch bei Zusammenrückungen liegt wie bei possessivischen Determinativkomposita primär eine exozentrische semantische Relation vor, vgl. Vaterunser ('Gebet mit Namen ...'), Gernegroß ('Person mit Eigenschaft, gern groß sein, d.h. im Mittelpunkt stehen zu wollen').

Zusammenrückungen folgen nicht der Strukturregel X → YX, da ihre rechte UK nicht den morphologischen Head der Bildung darstellt und somit keinen Einfluss auf die Kategorie des Gesamtwortes hat, vgl. N Taugenichts (aber 2. UK: Pronomen), N Nimmersatt (aber 2. UK: Adjektiv).

Auch die Ge­nusvergabe erfolgt nicht über die 2. UK. Das Genus richtet sich nach dem Bezeichneten: bei Bezug auf Menschen ist es maskulin, bei Bezug auf Objekte (im weiteren Sinne) ist es neutral. Dem beugen sich allerdings solche Zusammenrückungen wie derRollfix ('kleiner Handwagen') und derKehraus ('letzter Tanz eines Festes', 'Schluss einer Veranstaltung') nicht.

Zusammenrückungen sind häufig nicht binär strukturiert, sondern können aus drei und mehr UK bestehen, vgl. Vergissmeinnicht, Tunichtgut. Diese Kom­posita gehen auf Syntagmen zurück, meist imperativische Sätze (Rührmich­nichtan, Stelldichein) und Wortgruppen, die unter Beibehaltung ihrer konkre­ten grammatischen Ausprägung einfach „zusammengerückt“ wurden.

 

Fleischer/Barz verzichten inzwischen (1992 bzw. 1995) auf „den besonde­ren Status und Terminus der sogenannten Zusammenrückung“. Wortbildungspro­dukte wie Vergissmeinnicht, das Am-Computer-Sitzen-Müssen, ihr ewiges Das-darf-doch-nicht-wahr-sein versteht man als Konvertate aus Sätzen und Phrasen, also als Derivate. Sie erfüllen das wesentliche Kriterium der Konversion, nämlich dass ein Wechsel auf der Kategorienebene stattfindet: Aus Sätzen und Phrasen werden Nomina.

Darüber hinaus ist der Terminus Zusammenrückung auch auf die Bildung von (frü­her zusammengeschriebenen) Wörtern des Typs feuerspeiend, blank wischen, haf­ten bleiben, spazieren gehen angewandt worden. Die Wortbildungsprodukte des Typs feuerspeiend betrachtet man jetzt als Komposita, deren klassische Kriterien sie ja erfüllen: Sie sind binär, ihre zweite Einheit legt die gram­matische und die lexikalische Kategorie des ganzen Wortbildungsproduktes fest. Verben des Typs blank wischen und haften bleiben (wie auch die neue Rechtschreibung nahe legt) betrachtet man als Präverbfügungen, sie gehören also nicht zur Wortbildung, sondern bilden Phänomene eines Zwischenbereichs zwischen Wortbildung und Syntax.

In der Forschungsliteratur wird außerdem die Verschmelzung von z.B. Adverb + Präposition (fortan), Präposition + Substantiv (infolge, aufgrund) als Zusammenrückung bezeichnet. Wortbildungsprodukte des Typs aufgrund, die parallel auch als Phrasen realisiert werden (auf Grund), betrachtet man als Konvertate aus Phrasen: Aus Phrasen werden Wörter, z.B. auf Grund → aufgrund.

 


Date: 2015-12-17; view: 1495


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