1.2 Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die Jugendsprechweisen…………………………………………...….S.5
1.3 Die Entwicklung der Jugendsprachforschung……………….........S.6
1.4 Die sprachlichen Charakteristika der Jugendsprachen………......S.8
II. JUGENDSPRACHE UND MEDIEN
2.1 Das Verhältnis von Jugendsprachen und Medien………………S.12
2.2 Jugendsprache und Jugendfilm………………………………….S.14
2.2.1 „Sonnenallee“…………………………………………..S.14
2.2.2 „Schlaraffenland“…………………………………...…S.20
SCHLUSSFOLGERUNGEN …………………………………………………..S.25
LITERATURVERZEICHNIS………………………………………………….S.27
EINLEITUNG
Die vorliegende Jahresarbeit ist den Besonderheiten der Funktionierung der Jugendsprache in modernen deutschen Jugendfilmen gewidmet.
In der modernen Gesellschaft wird der Jugend immer mehr Aufmerksamkeit durch die Medien und die Öffentlichkeit entgegengebracht. Wenn Jugendliche als am Rande der Gesellschaft stehend betrachtet werden, so ist es nur konsequent, ihre sprachlichen Ausdrucksformen als Sondersprache zu klassifizieren und die entsprechenden sondersprachlichen Merkmale zu suchen. Dies war die Forschungsstrategie über Jahrzehnte und hat sich im Sammeln von Wörtern niedergeschlagen.
Das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit bildet die moderne deutsche Jugendsprache. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse und Beschreibung der linguistischen Merkmale der Jugendsprachen von Bedeutung sowie mit der sprachlichen Charakteristika der jugendspezifischen Kommunikationsweise.
Die vorliegende Jahresarbeit ist der lexikalischen Ebene der deutschen Jugendsprache gewidmet, dargelegt an zahlreichen Beispielen aus den deutschen Jugendfilmen, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden.
Im Rahmen dieser Jahresarbeit habe ich mich zum Ziel gesetzt, die Besonderheiten der Jugendsprache abzubilden, um die sprachlichen Charakteristika der jugendspezifischen Kommunikationsweise gegenüber dem Sprachgebrauch anderer Altersgruppen abgrenzen zu können und die Funktionierung dieser Kommunikationsweise in Filmen zu klären.
Die Arbeit setzt sich aus zwei Teilen zusammen – dem theoretischen und praktischen Teil. Der erste Teil ist als theoretische Einführung in die Problematik gemeint. Der Kapitel befasst sich mit dem Bereich der Sprachforschung, Sprachmerkmale und Funktion.
Im zweiten empirischen Teil der Arbeit soll zunächst das Verhältnis zwischen den Jugendsprachen bzw. den Jugendlichen und den modernen Massenmedien analysiert werden. Dabei kann als eine von der Soziologie belegte Prämisse vorausgesetzt werden, dass die neuen Medien gegenwärtig einen dominierenden Platz im Freizeitverhalten der Jugendlichen einnehmen. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerkmal dieser Arbeit auch in der sprachwissenschaftlichen Analyse der Jugendsprachen im Medienbereich Film.
Es muss der zentralen, bislang noch nicht ausreichend geklärten Fragestellung nachgegangen werden, ob die in den jeweiligen Medienbereichen dargestellten jugendlichen Sprechweisen tatsächlich authentisch sind oder lediglich ein artifizielles, fiktives Sprachkonstrukt darstellen. Diese linguistische Untersuchung werde ich anhand der im ersten Teil der Arbeit herausgearbeiteten jugendsprachlichen Merkmale vornehmen.
I. DIE LINGUISTISCHEN MERKMALE DER JUGENDSPRACHEN
1.1. DIE DEFINITION VON JUGEND
Noch nie zuvor war das Interesse einer Gesellschaft an der Jugend so groß wie heute. Vor allem von der Werbung wurde in den letzten Jahren die Altersphase Jugend immer mehr zu einem erstrebenswerten Idealzustand für die gesamte Gesellschaft erhoben. In diesem Zusammenhang muss vor der eigentlichen linguistischen Untersuchung noch ein kurzer Überblick über die Definitionsversuche des Jugendbegriffs betrachtet werden.
Für die soziologische Forschung steht unumstritten fest, dass die Jugendphase als ein Durchgangsstadium betrachtet werden muss. Dieses Durchgangsstadium wird zwangsläufig von jedem Menschen durchlaufen. Um eine konkrete Eingrenzung der Jugendphase zu geben, kann zunächst eine Orientierung an rein biologischen Kriterien erfolgen. Genau in dieser Weise verfährt Henne, wenn er den Eintritt ins Jugendstadium Jugend mit dem Einsetzen der biologischen Geschlechtsreife im Alter von 12 oder 13 Jahren markiert. [21,208] Innerhalb der Jugendphase müssen nach Tenbruck ganz bestimmte soziale Entwicklungsaufgaben vollzogen werden: „Jugend ist wesentlich ein Durchgangsstadium, ein Übergang, eine Vorbereitung auf die erwachsenen Rollen, eine Einführung in die Kultur.“ [4,283] Während dieser Übergangsphase soll der Jugendliche sich immer stärker an den Normen und Wertender Erwachsenengesellschaft orientieren. Zeitgleich reifen die Jugendlichen auch in körperlicher Hinsicht immer mehr zu Erwachsenen heran.
Um den Endpunkt des Jugendstadiums zu markieren, reichen jedoch biologische Kriterien alleine längst nicht mehr aus. Vielmehr wird die Jugendphase erst mit dem Erlangen der sozialen Reife abgeschlossen. Kohrt bestätigt diese These in seiner Forschungsarbeit: „Die Phase der Jugend liegt für den einzelnen zwischen biologischer Geschlechtsreife, also 12 bis 13 Jahren, und sozialer Reife, die vielfach mit 25 Jahren noch nicht erreicht ist (…). Jugendlicher ist also, wer die biologische Reife erlangt hat, aber noch nicht die soziale Reife.“ [11,29]
Kohrt schreibt, dass die Jugendlichen biologisch reif sind, „ohne mit Heirat und Berufsfindung in den Besitz der allgemeinen Rechte und Pflichten gekommen zu sein, welche die verantwortliche Teilnahme an wesentlichen Grundprozessen der Gesellschaft ermöglichen und erzwingen“. [11,32]
Die definitorische Eingrenzung der Sprechergruppe Jugend ist im empirischen Teil dieser Arbeit hinsichtlich der Zuordnung möglicher Sprecher von Jugendsprache relevant. Anhand der Definition kann später im Medienbereich Film überprüft werden, ob der jeweilige Sprecher tatsächlich nach aktuellem Forschungsstand der Altersgruppe Jugend zugehörig ist. Diese Zuordnung ist eine unabdingbare Prämisse für eine empirische Untersuchung von Jugendsprachen in den Medien.
1.2. DIE UNTERSCHIEDLICHEN BEGRIFFLICHKEITEN FÜR DIE JUGENDSPRECHWEISEN
Nach diesem kurzen einleitenden Definitionsversuch der Jugendphase soll ich im Folgenden der zentralen Fragestellung des theoretischen Teils meiner Arbeit nachgegangen werden, was Jugendsprache überhaupt ist. Wie wird Jugendsprache in der Sprachwissenschaft definiert? Welche linguistischen Merkmale kennzeichnen die Jugendsprache? Diese theoretische Vorarbeit ist deshalb unverzichtbar, um im zweiten Teil anhand der Definition von Jugendsprache und ihren zugewiesenen Sprachmerkmalen die jugendlichen Sprechweisen in den Medien wissenschaftlich analysieren zu können.
Vor der eigentlichen, definitorischen Analyse der Jugendsprache soll jedoch erwähnt werden, dass die diversen Sprachwissenschaftler in der Linguistik eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen Forschungsansätzen aufgestellt haben. Zudem ist festzustellen, dass es in der derzeitigen Sprachforschung eine große Anzahl an unterschiedlichen Bezeichnungen und Begriffsbestimmungen der jugendlichen Kommunikation gibt.
Leider benutzen die Sprachforscher die linguistische Fachtermini und Begriffe (z.B. Sondersprache, Gruppensprache, Varietät) noch auf eine höchst uneinheitliche und damit verwirrende Art und Weise. Das hat zur Folge, dass die linguistische Einordnung der jugendlichen Kommunikation bisher recht unübersichtlich geblieben ist. Klare Zuordnungen fehlen bislang noch.
Diese Fülle an Theorien ist besonders hinsichtlich der linguistischen Bestimmung des jugendspezifischen Sprachgebrauchs problematisch. Beispielsweise wird in der Forschung zur jugendspezifischen Kommunikationsweisen häufig der Terminus „Jugendsprache“ verwendet. Dieser Begriff „Jugendsprache“ gilt oftmals als Oberbegriff für sämtliche weitere Differenzierungen des jugendlichen Sprachgebrauchs.
Kohrt und Kucharczik weisen jedoch darauf hin, dass der Ausdruck „Jugendsprache“ besonders in der neueren wissenschaftlichen Forschung häufig falsch beziehungsweise höchstmissverständlich angewendet wird. [4,87]
Etwa nennt Henne seine Monografie aus dem Jahre 1986 „Jugend und ihre Sprache“. Trotz der Verwendung des Ausdrucks „Jugend“ im Titel weist Henne in seiner Monografie explizit darauf hin, dass eine systematische Jugendsprache nicht existiert. Aus diesem Grund muss nach seinen Ausführungen der Begriff „Jugendsprache“ bei einer Verwendung in einer linguistischen Untersuchung auch stets in Anführungsstriche gesetzt werden. [16,40] Dabei versäumt Henne es jedoch selber bereits im Titel seiner Monografie den Terminus „Sprache“ in Bezug auf die jugendliche Ausdrucksweise mit den von ihm geforderten Anführungsstrichen zu versehen. Das Weglassen der Anführungsstriche rechtfertigt Henne mit der Erklärung einer methodischen Erleichterung. Allerdings sollten ihm dabei die grundlegenden Bedenken der Verwendung des Terminus „Jugendsprache“ durchaus bewusst sein, da er in seiner Arbeit selber die Relativierung durch Anführungsstriche vehement fordert. [20,37] Aber auch andere Sprachwissenschaftler gehen auf einer sehr widersprüchlichen Art und Weise mit dem Begriff „Jugendsprache“ um. Ernstsone resümiert diese Tendenz treffend, dass der linguistische Status der Jugendsprache bislang keineswegs übereinstimmend definiert wurde. Es ist noch längst nicht hinreichend geklärt, ob die Jugendsprache eine Sondersprache, eine Generationssprache, eine Gruppensprache, eine Stilbesonderheit oder einen Jargon darstellt. Die Vielfalt an uneinheitlichen Begrifflichkeiten in Bezug auf die jugendliche Sprechweise stellt ein schwerwiegendes Problem bei der wissenschaftlichen Untersuchung der jugendlichen Kommunikation dar. Vor allem erschwert der uneinheitliche Gebrauch von Termini, die im Bereich der jugendlichen Kommunikation eingesetzt werden, den Vergleich diverser Forschungsansätze ganz erheblich.
1.3. DIE ENTWICKLUNG DER JUGENDSPRACHFORSCHUNG
Die Forschung der Sprache der Jugend fand erst nach 1945 Eingang in die Sprachwissenschaft. Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts schrieb Henne, dass es keine linguistische Jugendsprachforschung gebe.
1982 stellte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung folgende Preisfrage: „Spricht die Jugend eine andere Sprache?“. Dadurch bekam die Jugendsprache in der germanistischen Linguistik immer mehr Aufmerksamkeit.
In der öffentlichen Meinung wird Jugendsprache oft als neuzeitliches Phänomen
der Gegenwartssprache angesehen. Kaum bis gar nicht ist bekannt, dass Jugendliche auch zu früheren Zeiten einen ihnen eigenen Sprachstil ausgebildet haben, der sich von dem in der Gesellschaft vorherrschenden und von der älteren Generation verwendeten in bedeutsamer Weise unterschied. Durch die Weimarer Republik und besonders durch den Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland viele Forschungsprojekte unterbrochen. So auch Sondersprachenforschungen und folglich auch die Forschung zur deutschen Jugendsprache. Dadurch entstand eine Forschungslücke von 30 Jahren.
Ehmann teilt die Zeit der Jugendsprachforschung bzw. der Sondersprachenforschung in der Zeit von 1945 bis 1980 in zwei Phasen. Die erste Phase lässt er mit Sigmund A. Wolf 1959 durch seinem Aufsatz „Die Ische, die Brumme und der steile Zahn“ beginnen. [19,145]Folgend von Heinz Küppers Artikel „Zur Sprache der Jugend“ aus dem Jahre 1961.
Die erste Phase nennt Ehmann „Sammel- und Registeransätze“. [17,505] In den oben genannten Werken wurde überwiegend auf der lexikalischen Ebene geforscht. In der zweiten Phase, die Ehmann „Analyse-Versuche“ betitelt, ging es um „Versuche der Lexikographierung jugendtypischer Ausdrücke, die sich von den vorangegangenen Wörtersammlungen freilich dadurch unterschieden, dass hier keine oberflächliche Arbeit geleistet, sondern erstmals Literaturbelege, Etymologienachweise und andere Quellen angeführt wurden.“ [2,124] Küpper versuchte in den 60er und 70er Jahren mit Hilfe von Umfragen in Kasernen, Hochschulen und Jugendgruppen „eine über Altersstufen und Schultypen, soziale und regionale Herkunft streuende Bestandsaufnahme zu erarbeiten.“ Die Ergebnisse, rund 15 000 Eintragungen, notierte er in seinem 6. Band des „Wörterbuchs der Umgangssprache“, erschienen 1970.
In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erfuhr die Jugendsprache nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern in ganz Europa einen Aufschwung. Nicht wenig verantwortlich dafür waren die Medien und die Öffentlichkeit, die sich für das Thema interessierten. Der Markt wurde mit einer Fülle von unterhaltsamen, sprachwissenschaftlich jedoch nicht fundierten, Veröffentlichungen überschwemmt. Da diesen Büchern „jegliche Hinweise auf sprachwissenschaftliche Quellen, situationelle Anwendungsbeschränkungen und dergleichen fehlen, sind sie für ernsthafte sprachkritische Untersuchungen nicht oder nur begrenzt verwertbar.“ [4,66]
Seit den 80er Jahren wird eine linguistische Jugendsprachforschung betrieben. Die Forschung hat ihren Blick von einem sprachpflegerisch-normierten zu einem deskriptivgebrauchsorientierten gewechselt. Der sprachwissenschaftliche Zugang hat sich dadurch geändert. Wurde früher überwiegend die Sonderlexik, also Neubildungen und Änderung der Bedeutung, untersucht, so fällt das Hauptaugenmerk seit den 80er Jahren auf „die Beschreibung überwiegend mündlicher situationsgebundener und gruppenspezifischer Sprachstile mittels sprachpragmatischer und sprachfunktionaler Analysen.“ [5,29]
1.4. DIE SPRACHLICHEN CHARAKTERISTIKA DER JUGENDSPRACHEN
Nach dem Überblick der Entwicklung der Jugendsprachenforschung soll nachfolgend auf die typischen sprachlichen Charakteristika der jugendspezifischen Kommunikation eingegangen werden. Welche sprachlichen Merkmale kennzeichnen die jugendliche Kommunikation und grenzen sie gegenüber anderen Sprachweisen ab?
Zum derzeitigen Forschungsstand der modernen Linguistik kann festgestellt werden, dass die Annahme einer homogenen Jugend äußerst problematisch ist.
Stattdessen ist nach modernen sprachwissenschaftlichen Ergebnissen sowohl die Jugend als auch ihr Sprechstil vielmehr als heterogen anzusehen. Demnach bestehen neben den Unterschieden der jugendspezifischen Sprechstile auch einige
grundlegende Gemeinsamkeiten, die eine Art sprachliche Schnittmenge zwischen den verschiedenen jugendtypischen Kommunikationsweisen darstellen.
Beispielsweise zählt Henne ganz allgemein die folgenden Sprachtendenzen zu den typischen Charakteristika der Jugendsprachen:
- „eigenwillige Grüße, Anreden und Partnerbezeichnungen.
Schlobinski hat dagegen in seiner Arbeit den Versuch unternommen, anhand von Selbstaufnahmen der jugendlichen Sprecher jugendspezifische Merkmale zu erarbeiten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben stellte Schlobinski die folgende Liste mit jugendsprachlichen Charakteristika auf:
“Onamatopoetika: dong, ratatazong, mäh
Anglizismen: love, magic, stickers
Idiomatik/ Sprüche: er darf die Kiste anpfeifen, Schwein oder nicht Schwein, Coop ist böse
wegen der Strapse
Modifier: echt voll fetter drauf
Alliterationen: flippen, floppen, flappen
Gruppenspezifische Lexik: stöppen
Kommunikationspartikeln: ey, OK
Wortbildung: die Hörung.“ [7,203]
Weiterhin gehen Schlobinski und Schmid in ihrer Arbeit „Jugend und ihre Sprache“ (1986) irrtümlicherweise davon aus, dass tatsächlich eine eigenständige Sprache der Jugendlichen existiert. [14,90]Dieser Sprachstil wird durch eine Reihe von Merkmalen gekennzeichnet, die in der Summe einen „Jugendton“ ergeben:
1. „Grüße, Anreden und Partnerbezeichnungen (Tussi);
2. griffige Namen und Sprüche (mach’n Abgang);
3. flotte Redensarten und stereotype Floskeln (ganz cool bleiben);
Nach Heinemann und Beneke gehören zum jugendspezifischen Wortschatz auch zwingend Vulgarismen und in der Standardsprache tabuisierte Ausdrücke. Dieses beanstanden die Kritiker an den jugendspezifischen Sprechweisen. Lapp sieht alle Zusammensetzungen mit dem Wort „Scheiße“ als besonders typische Vulgarismen der jugendlichen Kommunikation an: Scheißladen, Scheißauto, etc.: scheiß drauf, mach keinen Scheiß, bescheissen, verschissen. Scheißegal, etc. [20,223]
Auch aus dem Themenbereich Sexualität entlehnen die Jugendlichen mit Vorliebe Begriffe, die vulgär wirken sollen. Allerdings erhalten diese Entlehnungen zumeist eine andere, von den jugendlichen Sprechern neu zugeschriebene Bedeutung, wie zum Beispiel die Formulierung „auf den Sack gehen.“ [21,175]
Der jugendspezifische Wortschatz erweitert sich häufig auch durch eine Vielzahl an Wortbildungen. Etwa finden sich unter den jugendtypischen Neubildungen häufig Ausdrucksverkürzungen (wie Kurzwörter, Initialwörter), aber auch Ausdruckserweiterungen (wie Kompositionen, Präfigierungen und Suffigierung). Zudem werden auch Kompositionen und Wortbildungen mit produktiven Affixen (z.B. Suffix –i, Präfix –ab) und Affixoiden (z.B. super) dazu verwendet, um den jugendspezifischen Wortschatz zu vergrößern.
Wie bereits im Kapitel ausgeführt stellen diese grundlegenden Gemeinsamkeiten der jugendtypischen Sprechstile eine Art sprachliche Schnittmenge der unterschiedlichen jugendtypischen Kommunikationsweisen dar. Diese grundlegenden Gemeinsamkeiten fassten die Sprachforscher letztendlich zu den linguistischen Merkmalen der Jugendsprachen zusammen. Das Herausarbeiten dieser linguistischen Merkmale muss gerade in Bezug auf die nachfolgende empirische Untersuchung der Jugendsprachen in den Medien, der eigentlichen Kernanalyse dieser Arbeit, als unabdingbare Vorarbeit angesehen werden.
II. JUGENDSPRACHE UND MEDIEN
2.1. DAS VERHÄLTNIS VON JUGENDSPRACHEN UND MEDIEN
Nach dem Forschungsüberblick zum Phänomen der Jugendsprachen im ersten Teil dieser Arbeit folgt jetzt im zweiten Teil die empirische Untersuchung zur Verwendung der jugendlichen Sprechweisen in den Filmen. Dabei soll in diesem Kapitel zunächst das Verhältnis der Jugendsprachen und damit auch der jugendlichen Sprecher zu den Medien betrachtet werden.
Schlobinski, Kohl und Ludewigt gehen der Fragestellung nach, ob die Medien tatsächlich einen wesentlichen Einfluss auf die Sprechweisen der Jugendlichen ausüben. Bezüglich dieser Fragestellung gaben die Sprachforscher zu verstehen, dass sie noch keine Erkenntnis über das Ausmaß des medialen Einflusses auf die Sprachgestaltung besitzen. Stattdessen konzentrieren sich Schlobinski, Kohl und Ludewigt bei ihrer Untersuchung auf die Frage, auf welche Medienressourcen die jugendlichen Sprecher im Einzelnen bei ihren Sprechweisen konkret zurückgreifen und welche Funktionen diese Medienressourcen übernehmen.
Schlobinski, Kohl und Ludewigt unterscheiden insgesamt zwei Umgangsweisen der Jugendlichen mit den Medien-Ressourcen:
„ – Spoteinblendungen: Zitationen aus dem Sprachregister des Medienbereichs werden in
kurzer, blitzartiger Form in die Kommunikation gebraucht.
- Spielerische Variation: Erweiterter Rückgriff auf kulturelle Ressourcen, die in spielerischer
Form im Sinne des Bricolageprinzips abgewandelt und verfremdet wird.“ [9,155]
Bei diesen Verarbeitungsmethoden der Verfremdung werden von den jugendlichen Sprechern mit besonderer Vorliebe auf Elemente aus der Werbung von Rundfunk und Fernsehen zurückgegriffen.
Die Jugendlichen präferieren einen spielerischen Umgang mit den unterschiedlichen Sprechstilen etwa durch das Bricolageprinzip. [18,219]Dabei findet ein Rückgriff auf kulturelle Ressourcen und eine kreative Verarbeitung derselben statt.
Bei den kulturellen Ressourcen kommt den Medien, insbesondere dem Fernseh- und Filmmarkt, eine ganz zentrale Rolle zu. Das liegt vor allem an dem gruppenübergreifend hohen Fernseh- und Videokonsum der Jugendlichen. Das Zurückgreifen auf die medialen Ressourcen erfolgt zumeist in den lockeren, informellen Gesprächssituationen.
Insgesamt bestätigen Schlobinski, Kohl und Ludewigt die These, dass die Massenmedien zunehmend eine wichtige Rolle im Leben der Jugendlichen einnehmen.
Dementsprechend steigt auch der tägliche Fernsehkonsum der Jugendlichen sprunghaft an. Zudem beweisen nach Schlobinski, Kohl und Ludewigt diverse sprachliche Analysen anschaulich, dass die Jugendlichen über ein vielfältiges und heterogenes Medienwissen verfügen. Die Jugendlichen sind in der Lage, dieses Medienwissen jederzeit abzurufen und in die jugendspezifische Gruppenkommunikation einzubringen.
Zumeist verwenden die jugendlichen Sprecher ihr Medienwissen als blitzartige Zitate und Fragmente aus den Bereichen Werbung, Filmen und Comics, allerdings in mimetischer oder verfremdeter Form. Dabei sollen diese Medien-Zitate die Kommunikation kommentieren, strukturieren oder einfach nur in Gang halten.
Die Jugendlichen reproduzieren nicht bloß ihr mediales Wissen in ihrer Sprechweise, sondern verarbeiten es in spielerischer Form. Dabei greifen sie auf verschiedene Register aus Film, Werbung oder sogar den Nachrichten zurück und verwerten diese in einer höchst kreativen Form. Gerade durch den spielerischen und kreativen Umgang mit dem Medieninhalt schaffen die Heranwachsenden eine kritische Distanz zur Werbung.
Damit weisen Schlobinski, Kohl und Ludewigt die oft geäußerte Kritik zurück, dass die Jugendlichen die vielfältigen Medieninhalte lediglich unkritisch konsumieren, aber nicht reflektieren.
Meiner Meinung nach ist diese Art von Kritik vollkommen überzogen: Die Medien degradieren die Jugendlichen keineswegs zu sprachlosen Analphabeten.
Die Jugendlichen sind keinesfalls bloß passive Medien-Konsumenten, sondern nutzen ihr Medienwissen zu einer kritischen und kreativen Verarbeitung der Medien-Inhalte.
2.2. JUGENDSPRACHE UND JUGENDFILM
Neben der vielfältigen Behandlung der jugendlichen Lebenswelt nimmt sich insbesondere der Film immer mehr der Thematik Jugend an. Dabei zählt gerade die
Altersgruppe der Jugendlichen mittlerweile zu den aktivsten Kinogängern in unserer Gesellschaft.
Die deutsche Filmindustrie bemüht sich, das jugendliche Publikum anzusprechen und in die Kinos zu locken. Dies geschieht allerdings nicht mit für deutsche Verhältnisse viel zu kostenintensiven Comic-Verfilmungen, sondern mit anderen Filmstoffen, speziell für die jugendlichen Kinogänger.
Aus diesem Grund stehen auch immer häufiger ein jugendliche Protagonisten und deren Lebenswelten im Mittelpunkt von deutschen Kinofilmen.
Im Folgenden soll die Sprache einigen deutschen Kinofilmen analysiert werden, die sich besonders mit einem jugendlichen Hauptprotagonisten oder einer jugendlichen Lebenswelt auseinander setzen.
2.2.1 „SONNENALLEE“
Der Kinofilm „Sonnenallee“ galt mit über zwei Millionen Zuschauer im Jahr 1999 als der deutsche Überraschungserfolg schlechthin.
Inhaltlich setzt sich der Film „Sonnenallee“ in zahlreichen Geschichten voller Situationskomik mit der Alltagswelt der ehemaligen DDR auseinander.
Im Mittelpunkt des Filmplots steht das Geschehen rund um die vierköpfige Familie Ehrenreich in Ost-Berlin: Mutter Ehrenreich findet einen verlorenen Pass einer Westdeutschen Bürgerin und spielt mit den Gedanken, sich ohne das Wissen der eigenen Familie in den Westen abzusetzen. Vater Ehrenreich versucht mit allen Mitteln ein Telefon auf Rezept zu ergattern. Die Tochter Sabine befindet sich noch in einer Orientierungsphase, probiert deshalb fast jeden Tag einen neuen Beruf aus und wechselt genauso häufig ihren Freund. Der Westonkel Heinz perfektioniert bei seinen DDR-Besuchen das Schmuggeln von begehrter Westware.
Die eigentliche Hauptfigur des Films Micha Ehrenreich ist ein typischer Teenager, der in der DDR mit ihren eigentümlichen Regeln und Gesetzen aufwächst. Es kommt zu turbulenten Verwicklungen als sich Micha ausgerechnet in die Schulschöne Miriam verliebt, die sich ihrerseits in einen scheinbar wohlhabenden Westjungen verguckt hat.
Zunächst kann darauf eingegangen werden, dass die jugendlichen Filmfiguren in„Sonnenallee“ selber auf die eigene jugendspezifische Sprechweise reflektierend eingehen. Bei dem heimlichen Anhören einer illegal aufgenommenen Musikkassette wird die jugendlichen Gruppe um Micha von einem ABV (= Abschnittsbevollmächtigter; Polizist, zuständig für einen bestimmten Bereich) erwischt. In ihrer argen Erklärungsnot versuchen sich die Jugendlichen herauszureden, indem sie sich die allgemeine Unverständlichkeit des aktuellen jugendsprachlichen Vokabulars für die Erwachsenen zunutze machen. Dabei gaukelt die Filmfigur Mario dem ABV vor, das der standardsprachliche Ausdruck „verboten“ mittlerweile im jugendtypischen Sprachgebrauch eine völlig neue Bedeutung erhalten hat:
„MARIO: Eben verboten. Plötzlich steht ein ABV da.
ABV: Was ist hier verboten?
MICHA: Das haben Sie falsch verstanden, Wachtmeister.
ABV: Obermeister.
MIACHA: Verboten, das ist so ein Ausdruck bei uns Jugendlichen, so wie fetzig.
WUSCHEL: Ja, oder wie chefig.
APPEL: Poppig.
MARIO: Sehr beliebt in der Jugendsprache ist auch das Wort URST. Sinngemäß bedeutet es soviel wie toll oder dufte, wenn es besonders toll, also urst ist, dann sagen wird dazu auch verboten.
ABV: Ach so, dann ist dieser Song also…
MICHA: …genau im Sinne von toll, verboten.“ [10,109]
Tatsächlich existierte der Ausdruck „verboten“ mit einer zusätzlichen neuen Bedeutung nicht in den Jugendsprachen der ehemaligen DDR. Dennoch zweifelt im Drehbuch „Sonnenallee“ der ABV nicht an der eigenen Missdeutung des Wortes „verboten“ aufgrund einer angeblichen, jugendspezifischen Umdeutung.
Daraus kann gefolgert werden, dass auch die Jugendsprachen in der DDR primär dazu bestimmt war, die jugendlichen Sprecher gegenüber außenstehenden Gruppen wie etwa den Erwachsenen abzugrenzen.
In der Romanumsetzung des Filmstoffs erläutert ein Jugendlicher mit dem Spitznamen Brille etwas detaillierter die Funktion und Bedeutung des Ausdrucks „urst“:
„Der Ausdruck verboten findet in der Jugendsprache Anwendung, wenn die noch nichtvvolljährigen Sprecher ihre Begeisterung Ausdruck verleihen wollen“, sagte Brille (…)
„Verboten ist demnach ein Wort, das Zustimmung ausdrückt.“ [10,77]
Die Romanfigur Brille beschränkt die Verwendung von jugendspezifischen Ausdrücken, in diesem speziellen Fall urst, auf Sprecher bis zu 18 Jahren. Damit klammert er Sprecher der Post-Adoleszenz, die in der modernen Gesellschaft verstärkt auftreten, vom jugendspezifischen Sprachgebrauch aus. Zudem soll der Begriff „urst“ nach Brille eine
Begeisterung des jugendlichen Sprechers zum Ausdruck bringen.
Im weiteren Verlauf des Films wird der Ausdruck „urst“ dann auch tatsächlich in einer informellen Gesprächskonstellation im Sinne von „irre, toll“ zum Ausdruck von Begeisterung verwendet.
Die Hauptfilmfigur Micha versucht seine Begeisterung über die Rolling Stones-Schallplatte seines Freundes Wuschel mit Hilfe des Begriffs „urst“ zum Ausdruck zu bringen:
„MICHA: Ach, das ist doch ein starkes Solo von Keith, hör doch mal, wie der reinhaut. Total urst der Song. Hör dir die Riffs an. Das beste Stones - Stück, was ich je gehört habe.“ [10,111]
Weiterhin taucht in dem Drehbuch zu „Sonnenallee“ jugendspezifisches Vokabular auf, das in der Standardsprache tunlichst vermieden wird.
Dazu zählen etwa verkürzende Begriffe wie „logo“ für „logisch“, alleine schon aus Gründen der sprechsprachlichen Bequemlichkeit:
„KOSSCKE: Ist doch logo, oder?“ [10,132]
Die Hauptfigur des Films Micha verwendet dagegen noch eine andere Variation des standardsprachlichen Begriffs „logisch“. Der Ausdruck „logisch“ wird nicht nur abgekürzt, sondern gleichzeitig mit einer völlig neuen Endung versehen. Demzufolge entsteht aus „logisch“ der jugendsprachliche Ausdruck „logen“:
„WUSCHEL: Laßt uns lieber n Song hören. Micha – hastet überspielt?
MICHA: Na logen, hier is se.“ [10,168]
Es finden sich in der jugendsprachlichen Ausdrucksweise des Films auch Begriffe aus dem
Sexualwortschatz. In der jugendspezifischen Tendenz Dinge direkt und ohne jede
Beschönigung auszusprechen wird dann der Geschlechtsakt von den Filmfiguren mit dem
Ausdruck „nageln“ bezeichnet:
„BRÖTCHEN: Ja, und so hab ick se jenagelt.“ [10,54]
In dem Zitat der Filmfigur Brötchen wird die jugendsprachliche Ausdrucksweise vermischt mit dem typischen Berliner Dialekt. Dadurch erhält der jugendspezifische Begriff noch eine zusätzliche Variation.
Neben dem jugendlichen Vokabular wird in dem Film „Sonnenallee“ auch die
jugendtypische Sprachtendenz der Spitznamengebung gepflegt. Im Kapitel zu den
jugendsprachlichen Charakteristika führte Beneke bereits aus, dass in der jugendlichen Kommunikation Spitznamen zumeist aufgrund von äußerlichen Auffälligkeiten der jeweiligen Person vergeben werden. [10,245] Dazu ergänzt Lapp, dass die jugendspezifischen Spitznamen sehr häufig mit Hilfe einer verniedlichenden Endsilbe gebildet werden. [10,186]
Schon bei der Einführung der verschiedenen Filmfiguren in „Sonnenallee“ durch den Ich- Erzähler Micha werden diese dem Zuschauer konsequent mit ihren Spitznamen vorgestellt.
Dabei muss der Spitzname nicht unbedingt einen direkten Bezug auf die Äußerlichkeiten der bezeichneten Person beziehen, sondern kann mitunter auch lediglich eine abkürzende Form des Namens darstellen:
„ERZÄHLER: Das sind meine Kumpels. Appolonius, den wir einfach Appel nennen.“ [10,65]
Bei anderen Spitznamen in „Sonnenallee“ wird der reale Name nicht verkürzt, sondern mit einem beschreibenden, humoristischen Beiwort versehen. Erneut nimmt der Spitzname keinen Bezug auf die Äußerlichkeiten, sondern variiert bloß den Namen:
„ERZÄHLER: Das ist olle Kosscke, der modischste von uns, weil dem seine Tante aus Castop-Rauxel immer Pakete schickt.“ [10,94]
Dagegen kann der Spitzname „Wuschel“ sich möglicherweise auf die äußere Erscheinung einer Filmfigur in „Sonnenallee“ beziehen. Es lässt sich vermuten, dass der Spitzname „Wuschel“ aufgrund der wuscheligen Lockenfrisur der bezeichneten Person vergeben wurde:
„ERZÄHLER: Das ist Wuschel, der freakigste Freak von allen. Ich glaube, er ist einfach besessen.“ [10,44]
Neben den Spitznamen für die Bezeichnung der gleichaltrigen Personen verwenden die Jugendlichen auch im Film „Sonnenallee“ bevorzugt abkürzende Spitznamen für erwachsene Autoritätspersonen. Allerdings werden diese Spitznamen für die erwachsenen Autoritätspersonen ausschließlich in der gleichaltrigen Gruppenkommunikation angewendet.
In offiziellen Gesprächskontexten werden diese Spitznamen vermieden. Beispielsweise wird in „Sonneallee“ der Direktor der Schule der Hauptfigur Micha mit der saloppen und abkürzenden Anrede „Direx“ versehen:
„MICHA: Aber warum müssen wir zum Direx?“ [10,180]
Niemals wird die abkürzende Anrede „Direx“ jedoch in Gegenwart des Direktors selber verwendet. Durch die abkürzenden Spitznamen könnten sich die bezeichneten erwachsenen Personen in ihrer Autorität verletzt fühlen.
Wie schon in anderen Drehbüchern bzw. Jugendromanen ist es der Fäkalausdruck „scheiße“, der in diversen Variationen von den Jugendlichen im Film „Sonnenallee“ am häufigsten verwendet wird.
Beispielsweise wird dieser Fäkalbegriff als Ausruf mit einem negativen Unterton benutzt:
„SABRINA: Scheiße, Mario. Jetzt sind wir hier echt die letzten.“ [10,53]
Ein ähnlicher Ausruf mit einem anklagenden Unterton wird auch von der Hauptfigur des Films Micha verwendet. Micha ist entsetzt darüber, dass Mario von der Schule verwiesen wurde und sein Freund diesen Verweis protestlos hinnimmt:
„MICHA: Scheiße, Mario, du hast dir nicht helfen lassen, du Idiot.“ [10,72]
Besonders in emotionalen Sprachkontexten greifen die jugendlichen Sprecher bevorzugt auf eine direkte, ungeschminkte Ausdrucksweise zurück, zu der sicherlich auch die Verwendung von Fäkalwörtern zählt.
Abschließend kann zum Sprachgebrauch in dem Film „Sonneallee“ resümiert werden, dass das Drehbuch primär auf die jugendtypische Kommunikationsweisen zurückgreift. Die jugendspezifische Sprechweise tritt in diversen gruppeninternen Kommunikationskontexten auf.
Meiner Meinung nach kann schon festgehalten werden, dass in Bezug auf die Qualität der im Film auftretenden jugendtypischen Sprechweise kaum ein Unterschied zu den anderen Jugendfilmen auszumachen ist. Tatsächlich verwenden die jugendlichen Sprecher in „Sonnenallee“ ebenfalls mit Vorliebe Spitznamen, negative Fäkalwörter oder abkürzende Begriffe.
2.2.2. „SCHLARAFFENLAND“
Als nächstes werde ich das Drehbuch zu dem deutschen Kinofilm „Schlaraffenland“ aus dem Jahre 1999 hinsichtlich jugendsprachlicher Einflüsse analysieren. Kurz zum Inhalt: In dem größten Einkaufszentrum der Stadt wollen sieben Jugendliche in der vorweihnachtlichen Zeit aus purer Abenteuerlust eine kleine verbotene Party feiern. Vor allem reizt die Jugendliche der Wunsch nach dem Verbotenen: Sich einmal ganz alleine und unbeobachtet in einem Konsum-Paradies voller Luxus-Artikel zu amüsieren. Deshalb lassen sich die sieben Jugendlichen über Nacht unbemerkt in ein riesiges Einkaufszentrum einschließen. Sie ahnen nicht, dass die Sheriffs von der Security ebenfalls im Einkaufszentrum ihre Runden drehen. Allerdings wollen die Sheriffs in dieser Nacht nicht bloß das Einkaufszentrum vor möglichen Einbrechern schützen, sondern den Safe mit den
Tageseinnahmen ausräumen. Unfreiwillig stehen die Jugendlichen den Sheriffs bei ihrem verbrecherischen Vorhaben im Weg. Es kommt zur blutigen Konfrontation der beiden Parteien. Unter den Druck, um das nackte Überleben kämpfen zu müssen, fallen bei allen Beteiligten alle Hemmungen. Plötzlich zählen in dieser Extremsituation keine Freundschaft und Liebe mehr. Das Ganze eskaliert in einen „Krieg aller gegen alle“.
Dem Drehbuchautor Christoph Fromm reizte es vor allem, sieben Jugendliche zu beschreiben, die sich der nach außen hermetisch extrem abgrenzenden Gruppierung der Techno-Anhänger zugehörig fühlen. Über diese Subkultur sagt Christoph Fromm aus, dass diese hemmungslos nach einer grenzüberschreitenden Erfahrung von Musik (Techno) und Drogen gieren.
Auch wollte Christoph Fromm die moderne Jugend charakterisieren, die sich immer stärker der existierenden Ellenbogengesellschaft anpasst und eine rotzige, knallharte Fassade errichtet, hinter der sie ihre wirklichen Gefühle versteckt.
Dementsprechend geben sich die jugendlichen Protagonisten in dem Film auch zunächst keine emotionale Blöße und frönen hemmungslos dem Materialismus:
„DANNIE (wie ein weiser alter Mann): Hast du Geld, bist du cool. Hast du kein Geld bist du Klugscheißer. Das ist der Trend jetzt!“ [11,12]
Ganz eindeutig wollen sich die jugendlichen Filmfiguren innerhalb der Peergroup mit Hilfe von humorvollen Sprüchen und anderen sprachlichen Mitteln profilieren.
Dazu gehört auch die sprachliche Imitation von Erwachsenen oder anderen Nicht-Mitglieder der eigenen Peergroup. Diese sprachliche Imitation wird von Chovan unter dem Oberbegriff „Frotzeln“ zusammengefasst. [11,70]
Dabei wird das „Frotzeln“ innerhalb der Gleichaltrigengruppe hauptsächlich als eine Imagebewahrungsstrategie eingesetzt. Die Imageaufwertung durch die Imitation soll die Gruppe unterhalten und amüsieren. Gleichzeitig findet die Imageaufwertung stets auf Kosten des Nachgeahmten statt.
Beispielsweise parodiert die Filmfigur Checo den Akzent eines jugendlichen Kunden, den er mit Drogen versorgt:
„KUNDE (mit Akzent): Lässig, Alter. Gibst du korrekt…
CHECO (ahmt ihn ironisch nach): …geb ich korrekt.“ [11,72]
In diesem Fall wird ein anderer Jugendlicher sprachlich imitiert und kein erwachsener Sprecher.
Da Drehbuchautor Christoph Fromm zudem die knallharte, rotzige Fassade der modernen Jugend zeigen will, verwenden die jugendlichen Sprecher in seinem Drehbuch auch eine rohe, äußerst direkte Sprache. Dazu gehört auch der häufige Gebrauch von Fäkalwörtern und Vulgarismen, ähnlich wie in jeden der von mir bisher untersuchten Jugendfilme auch.
Jedoch ist in dem Film „Schlaraffenland“ im Vergleich etwa zu „Sonnenallee“ ein
außergewöhnlich hoher Gebrauch von Fäkalwörtern und Vulgarismen zu bemerken.
Wurde das in der jugendtypischen Sprechweise so beliebte Fäkalwort „scheiße“ in dem Film „Sonnenallee“ insgesamt lediglich ganze 6-mal verwendet, beläuft sich die Verwendung in „Schlaraffenland“ auf stattliche 40-mal.
In den meisten Fällen wird ein Ausruf mit dem Fäkalwort „scheiße“ in einem eindeutig negativen Gesprächskontext verwendet, da dieser Fäkalausdruck im jugendlichen Sprachgebrauch eine Art Universalwort für alles Negative und Schlechte darstellt:
Nur in Ausnahmefällen wird ein Ausruf mit dem Fäkalwort „scheiße“ in einem nichtnegativen Gesprächskontext gebraucht. Etwa stellt die Filmfigur Pia diesen Ausruf voran, um gegenüber Lana ihre Sympathie zu bekunden:
Ganz deutlich ist in dem Drehbuch zu „Schlaraffenland“ zudem eine Vielzahl an
jugendtypischen Steigerungsformen zu beobachten. Dieses sprachliche Stilmittel ist auf die jugendliche Tendenz der Hyperbolisierung und einer bereits in einem der vorhergehenden Kapitel ausgeführten einseitigen Werte-Selektion zurückzuführen. Beispielsweise wird der jugendspezifische Ausdruck „krass“ verwendet, wenn etwas als verrückt oder ungewöhnlich beschrieben werden soll. Die Filmfigur Mary drückt mit Hilfe dieses Begriffs aus, dass sieemotional immer noch sehr berührt ist, wenn sie eine bestimmte CD hört. Diesen Umstand
findet sie außergewöhnlich, eben „krass“:
„MARY: Ja. Das war meine CD, und die war auf endlos. Und jetzt, immer wenn ich das Lied höre, fange ich an zu flennen. Es ist so kraß.“ [11,156]
Äußerst beliebt in der jugendlichen Kommunikationsweise der Filmfiguren ist auch das Steigerungswort „voll“. Jedoch wird dieser Ausdruck nicht mehr in der standardsprachlichen Bedeutung verwendet, sondern mit einer neuen jugendspezifischen Bedeutung versehen.
Im jugendsprachlichen Sinne bedeutet dann der Ausdruck „voll“ als Steigerung soviel wie „total, sehr, völlig“.
Beispielsweise verwendet die Filmfigur Checo den Intensifier „voll“, um eine andere Person als total bzw. sehr krank im psychischen Sinne zu bezeichnen. Diese Kritik an einer anderen Person erfolgt in diesem Kontext jedoch humorvoll und mit einem Augenzwinkern, so dass die kritisierte Person sich emotional nicht zu sehr angegriffen fühlt oder sogar vor den anderen Gruppenmitgliedern sein Gesicht verliert:
„CHECO (lacht laut auf, umarmt ihn emphatisch): Du bist vollkrank!
LASER (trocken): Stimmt. Ich glaub’ ich will doch noch’n paar Jahre Vokabeln bei dir abschreiben.“ [11,158]
Ebenfalls wird in „Schlaraffenland“ erneut im jugendspezifischen Sprachgebrauch die Anrede „Alter/ Alte“ gebraucht, um eine andere Person direkt anzusprechen oder zu bezeichnen. Diese Anredeform scheint ein fester Bestandteil der jugendspezifischen Kommunikation darzustellen.
Dabei werden mit der Anrede „Alter/ Alte“ gleichermaßen gleichaltrige Gesprächspartner als auch die erwachsenen Eltern bezeichnet.
Beispielsweise weist die Filmfigur Dannie mit Hilfe dieser jugendcharakteristischen Anrede darauf hin, dass sein Vater Sizilianer ist:
„DANNIE (ängstlich): Ich sag dir, mein Alter ist Sizilianer…!“ [11,142]
An einer anderen Stelle des Films sagt die jugendliche Lana lapidar aus, dass ihre Eltern das Arbeiten für sie übernehmen:
„BLOCKER: (…) Wie ne Stechuhr. Hast wohl noch nie gearbeitet?
LANA: Sowas machen meine Alten für mich!“ [11,147]
Dabei ist festzustellen, dass die jugendtypische Anrede für die Eltern stets in deren Abwesenheit und ohne deren Wissen vorgenommen wird. Dagegen wird dieselbe Anredeauch zur direkten persönlichen Bezeichnung von Gleichaltrigen verwendet. Allerdings erfolgt die Bezeichnung „Alter/ Alte“ zur Adressierung einer Aussage nur ab einem bestimmten Grad der Vertrautheit zwischen den jugendlichen Sprechern. Unter vollkommen unbekannten jugendlichen Sprechern kommt diese jugendspezifische Anrede nicht zur Anwendung.
Demgemäß drückt die Anrede „Alter/ Alte“ unter den Jugendlichen auch stets Sympathie und Vertrautheit im Umgang miteinander aus.
Etwa demonstriert im Film der jugendliche Sprecher Dannie seine Sympathie für ein anderes Mitglied der Gleichaltrigengruppe mittels der Anrede „Alter“:
„DANNIE (schlägt ihm auf die Schulter): Alles, luftig, Alter! Für Frauen gibt’s kein Streit!“
[11,166]
Aber auch an zahlreichen anderen Stellen im Film bevorzugen die jugendlichen Sprecher die jugendspezifische Anrede „Alter/ Alte“, um einfach ein Gefühl der Vertrautheit untereinander herzustellen und die konventionellen Erwachsenenanreden zu durchbrechen:
„DANNIE (ins Handy): Nee Alter, du kannst nicht kommen, das ist ne VIP-Fete, wir ziehen uns Lines wie Bandwürmer, (…)“[11,173]
„DANNIE: He, Alter, schnall nicht ab, ist doch nur Gaser…“ [11,178]
„BLOCKER: (…), he Alter geil, volle Dröhnung ist Bein!“
Zudem zeigt sich auch in dem Film „Schlaraffenland“, dass die jugendlichen Sprechweisen tatsächlich so etwas wie eine sprachliche Spielwiese darstellen.
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
In dem ersten Teil der Arbeit wurde die theoretische Vorklärung für die später folgende empirische Untersuchung der Jugendsprachen in den Medien geleistet. Es wurde dargelegt,vdass in der gegenwärtigen Gesellschaft Jugend immer mehr zu einem erstrebenswerten, gesellschaftlichen Wert erhoben wird.
Speziell den Erwachsenen bietet die Jugend eine Projektionsfläche für unerfüllte Hoffnungen und Wünsche der eigenen Jugendphase.
Zur Definition der Altersphase Jugend wurde festgestellt, dass die Jugend ein
Durchgangsstadium in der kulturellen Dreigliederung (Kind, Jugendlicher, Erwachsener) darstellt. Trotz der Heterogenität der Jugendsprachen lassen sich dennoch einige wesentliche gemeinsame Grundprinzipien und Grundstrukturen festhalten: Etwa die eigenwilligen Begrüßungen, Kommunikationspartikel, Spitznamen, Lautwörterkommunikation, Sprüche, Anglizismen, Hyperbolisierungen und der Gebrauch jugendspezifischer Ausdrücke. Dabei
sind vor allem die jugendspezifischen Ausdrücke von einer extremen Schnelllebigkeit, aber auch bemerkenswerten Kreativität geprägt.
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die Jugendsprachen zahlreiche sprechsprachliche Merkmale aufweisen und primär mündlich realisiert werden.
Nach den theoretischen Ausführungen des ersten Teils der Jahresarbeit sollte im zweiten Teil in einer konkreten, linguistischen Analyse das Verhältnis zwischen den Jugendsprachen und den Medien untersucht werden. Das Freizeitverhalten der modernen Jugend wird zu einem großen Teil durch den Umgang und die Beschäftigung mit den Massenmedien bestimmt.
Deshalb wird die gegenwärtige Jugendkultur von vielen Forschern immer automatisch auch als eine Medienkultur angesehen. Dabei müssen die Jugendlichen in dem Bereich Massenmedien mittlerweile sogar als regelrechte Experten bezeichnet werden, die über ein immenses Expertenwissen verfügen, dass häufig der Kenntnis vieler Erwachsener in diesem Medienbereich weit überlegen ist.
Es wurden im Rahmen dieser Arbeit eine Reihe jüngerer deutscher Kinofilme („Schlaraffenland“ , „Sonnenallee“, mit einer ähnlichen Fragestellung wie dieJugendromane hinsichtlich des jugendspezifischen Sprachgebrauchs untersucht. Tatsächlichwiesen die untersuchten Kinofilme immer noch eine ganz Reihe markanter jugendspezifischerSprachmerkmale wie Steigerungswörter, Anglizismen, Fäkalwörter, Spitznamen, spezielleBegrüßungsformeln und Anreden auf. Allerdings ist der jugendspezifische Sprachgebrauch inden Kinofilmen im Vergleich zu den Jugendromanen deutlich stärker geglättet undkommerzialisiert.
LITERATURVERZEICHNIS
1.Bayer, K.: Veränderungen im Sprachverhalten von Jugendlichen. Ursachen im sozialen
und pädagogischen Bereich. In: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache in Forschung und Lehre.