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Politik.

 

i583

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Jeder, auch das größte Genie, ist in irgend einer Sphäre der

Erkenntniß entschieden bornirt.

Schopenhauer.

i585

Man muß es ein Glück nennen, daß Schopenhauer kein einziges Problem der Philosophie nur vom empirisch idealistischen Standpunkte aus zu lösen versuchte, sondern stets auch, der schweren Ketten müde, diese abwarf und, als Realist, die Dinge betrachtete. Er machte es, wie Kant, der, genau genommen, beim Ding an sich, als einem X, hätte stehen bleiben müssen. Ist auch dadurch Schopenhauer’s System ein vom Widerspruch ganz zernagtes geworden, so bietet es auf der anderen Seite eine Fülle gesunder, echter und wahrer Urtheile von der größten Wichtigkeit. Auch auf dem Gebiete der Politik werden wir, neben den absurdesten Ansichten, gute und vortreffliche finden, aber leider letztere in erschreckender Minderzahl. Der Grund hiervon liegt darin, daß, auf diesem Gebiete, auch der vorurtheilsvolle, gut situirte Bürger Schopenhauer das Wort ergreifen konnte. Das Elend des Volks wird zwar vortrefflich geschildert, aber nur um dem Pessimismus eine Folie zu geben. Sonst hat Schopenhauer nur Worte des Hohns und der Verachtung für das Volk und sein Streben, und wendet man sich mit Abscheu von dieser Perversität der Gesinnung des großen Mannes.

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Von der reinen Anschauung a priori, Zeit, ausgehend, leugnet Schopenhauer zunächst die reale Entwicklung des Menschengeschlechts.

Alle historische Philosophie, sie mag auch noch so vornehm thun, nimmt, als wäre Kant nie dagewesen, die Zeit für eine Bestimmung der Dinge an sich.

(W. a. W. u. V. I. 322.)

Die Geschichte ist wie das Kaleidoskop, welches bei jeder Wendung eine neue Konfiguration zeigt, während wir eigentlich (!) immer das Selbe vor Augen haben.

(ib. II. 545.)

Alle die, welche solche Konstruktionen des Weltlaufs, oder, wie sie es nennen, der Geschichte, aufstellen, haben die Hauptwahrheit |

i586 aller Philosophie nicht begriffen, daß nämlich zu aller Zeit, das Selbe ist, alles Werden und Entstehen nur scheinbar, die Ideen allein bleibend, die Zeit ideal.

(ib. 505.)

Besagte Geschichts-Philosophen und Verherrlicher sind demnach einfältige Realisten, dazu Optimisten, Eudämonisten, mithin platte Gesellen und eingefleischte Philister, zudem auch eigentlich schlechte Christen.

(ib.)

Diese reichliche Gallenergießung des erzürnten Idealisten hat mir immer großes Vergnügen gemacht; denn warum mußte er sich erzürnen? Doch nur weil er die Hauptwahrheit aller Philosophie nicht begriffen hat, daß die Zeit zwar ideal, aber die Bewegung des Willens real ist, und daß erstere von der letzteren, nicht aber die letztere von der ersteren abhängig ist.

So wenig wir also die obigen Schmähungen beachten werden, so gelassen werden wir auch seinen guten Rath auf die Seite schieben:



Die wahre Philosophie der Geschichte soll das Identische in allen Vorgängen, der alten wie der neuen Zeit, des Orients wie Occidents, erkennen, und, trotz aller Verschiedenheit der speciellen Umstände, des Kostümes und der Sitten, überall die selbe Menschheit erblicken. Dies Identische und unter allem Wechsel Beharrende besteht in den Grundeigenschaften des menschlichen Herzens und Kopfes – vielen schlechten, wenigen guten.

(W. a. W. u. V. II. 506.)

Von der Geschichte selbst hat er die wunderlichste Ansicht.

Der Geschichte fehlt der Grundcharakter der Wissenschaft, die Subordination des Gewußten, statt deren sie bloße Koordination desselben aufzuweisen hat. Daher giebt es kein System der Geschichte, wie doch jeder anderen Wissenschaft. Sie ist demnach zwar ein Wissen, jedoch keine Wissenschaft; denn nirgends erkennt sie das Einzelne mittelst des Allgemeinen.

(W. a. W. u. V. II. 500.)

Selbst das Allgemeinste in der Geschichte ist an sich selbst doch nur ein Einzelnes und Individuelles, nämlich ein langer Zeitabschnitt, oder eine Hauptbegebenheit: zu diesem verhält sich daher das Besondere, wie der Theil zum Ganzen, nicht aber wie der Fall zur Regel; wie dies hingegen in allen eigentlichen Wissen|schaften

i587 Statt hat, weil sie Begriffe, nicht bloß Thatsachen überliefern.

(W. a. W. u. V. II. 501.)

Man kann sich einen verkehrteren Standpunkt gar nicht denken. Jede Wissenschaft war so lange nur ein Wissen, bis die Einzelheiten, die zahllosen Fälle, welche in langen Reihen neben einander standen, zusammengefaßt und unter Regeln gebracht wurden, und jede Wissenschaft wird immer wissenschaftlicher, je höher die Einheit gesetzt wird, das letzte Princip, in welchem sämmtliche Fäden zusammenlaufen. Das ungeheure Material der Empirie zu sichten, zu verbinden und an immer höhere Punkte anzuheften, ist eben die Aufgabe des Philosophen. Gesetzt nun, die Geschichte wäre zur Zeit Schopenhauer’s nur ein Wissen gewesen, so hätte darin für ihn die dringendste Aufforderung liegen müssen, die zahllosen Schlachten, Angriffs- und Vertheidigungskriege, Religionskriege, Entdeckungen und Erfindungen, politische, sociale und geistige Revolutionen, kurz das Nacheinander der Geschichte unter allgemeine Gesichtspunkte und diese wieder unter allgemeinere zu bringen, bis er zu einem letzten Princip gekommen wäre und die Geschichte zur Wissenschaft par excellence gemacht hätte. Er hätte dies trotz seinem Idealismus wohl thun können, denn sind die anderen, von ihm anerkannten Wissenschaften etwa Classificationen von Dingen an sich und ihren Wirksamkeiten? Oder sind es nicht vielmehr Eintheilungen von Erscheinungen, ohne wahren Werth und Realität, Erscheinungen von ewig beharrenden, uns ganz unfaßbaren Ideen?

War aber die Geschichte zur Zeit Schopenhauer’s ein bloßes Wissen? In keiner Weise! Schon vor Kant hatte man die Geschichte als Culturgeschichte aufgefaßt, d.h. man hatte erkannt, daß der Zug Alexander’s nach Asien doch etwas mehr war als die Befriedigung des Ehrgeizes und der Ruhmsucht eines tapferen Jünglings, daß Luther’s Protest doch etwas mehr war als die Ablösung eines ehrlichen Individuums von Rom, daß die Erfindung des Schießpulvers doch etwas mehr war als eine zufällige Erscheinung im Laboratorium eines Alchimisten u.s.f. Kant dann, in seiner kleinen, aber genialen Schrift: »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht,« hatte versucht, der Bewegung des Menschengeschlechts von ihren ersten Anfängen an ein Ziel zu geben: den idealen Staat, der die ganze Menschheit umfassen wird, und |

i588 Fichte, Schelling, Hegel, hatten, mit wahrer Begeisterung, Kant’s Gedanken erfaßt, um sie auszubreiten und überall eindringen zu lassen. Besonders ist Fichte hervorzuheben, der in seinen unsterblichen Werken: »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« und »Reden an die deutsche Nation« – ob sie gleich ganz unhaltbare Ansichten und viele palpabele Irrthümer enthalten – dem gesammten Erdenleben unserer Gattung den Zweck setzte:

daß das Menschengeschlecht mit Freiheit alle seine Verhältnisse nach der Vernunft einrichte.

Es wäre also Pflicht des Philosophen Schopenhauer gewesen, Kant nicht zu ignoriren, sondern an dessen geschichtsphilosophischen Abhandlungen anzuknüpfen und, von ihrem Geiste getragen, die Geschichte noch wissenschaftlicher zu gestalten, als Kant es gethan hatte. Er zog aber vor, die Wahrheit zu verleugnen, um nicht mit den drei »Nachkantischen Sophisten« an einem Karren ziehen zu müssen.

Ich habe in meiner Politik nachgewiesen, daß der ideale Staat Kant’s und Fichte’s nicht das letzte Ziel der Bewegung der Menschheit sein kann. Er ist nur der letzte Durchgangspunkt der Bewegung. Außerdem leiden die Ausführungen Kant’s sowohl, als Fichte’s, daran, daß zu viel von Endursache und Weltplan und zu wenig von den wirkenden Ursachen gesprochen wird. Von einem Weltplan, der eine göttliche Intelligenz voraussetzt, kann gar nicht und von einer Endursache nur insofern die Rede sein, als man aus der Richtung der Entwicklungsreihen von da an, wo sie aus dem Nebel der ältesten Geschichte klar hervortreten, bis zu unserer Zeit auf einen idealen Punkt zu schließen berechtigt ist, in dem sie alle zusammentreffen werden. Schließlich liegt ein Mangel darin, daß zwar die Bewegung fixirt wurde, aber die Faktoren, aus denen sie in jeder Minute hervorgeht, nicht auf einen höheren Ausdruck gebracht worden sind.

Ich bin davon überzeugt, daß ich der Geschichte, ebenso wie der Aesthetik und Ethik, den Charakter einer echten Wissenschaft gegeben habe und verweise wegen des Näheren auf mein Werk.

Wie sich nun auch das Leben der Menschheit noch gestalten mag, Eines steht fest, nämlich daß die letzten Geschlechter in einer und derselben staatlichen Form leben werden: im idealen |

i589 Staat: der Traum aller Guten und Gerechten. Aber er wird nur die Vorstufe sein der »finale émancipation

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Obgleich uns Schopenhauer oben versicherte, daß alle Entwicklung im Grunde nur Schein und Spaß sei, so steht er doch nicht an, von einem Naturzustand der Menschheit und von einem demselben folgenden Staate zu sprechen, sowie auch einen Blick auf ein mögliches Ziel der Menschheit zu werfen. Dem Realisten wollen wir jetzt folgen.

Es ist nicht möglich, den Naturzustand auf andere Weise zu construiren, als indem man von allen Einrichtungen des Staates absieht und den Menschen lediglich als Thier auffaßt. Man muß die allerloseste Genossenschaft überspringen und darf sich nur an die Thierheit halten. In dieser giebt es aber weder Recht, noch Unrecht, sondern nur Gewalt. Man kann nicht einmal von einem Recht des Stärkeren sprechen. Jeder Mensch handelt im Naturzustande seiner Natur gemäß und alle Mittel gelten. Eigenthum kann der Mensch nur haben, wie das Thier sein Nest, Vorräthe etc. hat: es ist unsicheres, schwebendes, kein rechtliches Eigenthum, und der Stärkere kann es jederzeit, ohne Unrecht zu thun, nehmen. Ich stehe hier auf dem Standpunkte Hobbes, des Mannes »von vollendet empirischer Denkungsart«, der Recht und Unrecht nur für konventionelle, willkürlich angenommene und daher außer dem positiven Gesetze nicht vorhandene Bestimmungen erklärte.

Schopenhauer nun leugnet dies und sagt:

Die Begriffe Recht und Unrecht, als gleichbedeutend (!!) mit Verletzung und Nicht-Verletzung, zu welcher letzteren auch das Abwehren der Verletzung gehört, sind offenbar unabhängig von aller positiven Gesetzgebung und dieser vorhergehend, also giebt es ein rein ethisches Recht, oder Naturrecht und eine reine, d.h. von aller positiven Satzung unabhängige Rechtslehre.

(Ethik 218.)

Er ist so verbissen in seine falsche Ansicht gewesen, daß er das ungerechteste Urtheil, welches sich nur denken läßt, über Spinoza fällte. Er sagt:

Der obligate Optimismus nöthigt den Spinoza noch zu manchen anderen falschen Consequenzen, unter denen die absurden und sehr |

i590 oft empörenden Sätze seiner Moralphilosophie oben anstehen, welche im 16. Capitel seines tractatus theologico-politicus bis zur eigentlichen Infamie anwachsen.

(Parerga. I. 79.)

Und welche Sätze hatte er hier im Auge? Sätze wie die folgenden:

Nam certum est, naturam absolute consideratam jus summum habere ad omnia, quae potest, hoc est, jus naturae eo usque se extendere, quo usque ejus potentia se extendit.

Sed quia universalis potentia totius naturae nihil est praeter potentiam omnium individuorum simul, hinc sequitur unumquodque individuum jus summum habere ad omnia, quae potest, sive, jus uniuscujusque eo usque se extendere, quo usque ejus determinata potentia se extendit.

Jus itaque naturale uniuscujusque hominis non sana ratione, sed cupiditate et potentia determinatur.

d.h. Sätze, welche (wenn man das Wort »Recht« richtig auffaßt), wie überhaupt das ganze 16. Capitel, zum Besten gehören, was je geschrieben wurde. Sie drücken hohe Wahrheiten aus, die bekämpft, aber nicht besiegt werden können, und welche der Pessimismus, wie der Optimismus, anzuerkennen hat.

Schopenhauer verweist den diese Wahrheiten vertheidigenden Empiriker auf die Wilden (Ethik 218), wozu ihm jedoch offenbar jede Berechtigung fehlte; denn die Wilden, obgleich in der jämmerlichsten Genossenschaft lebend, sind nicht mehr im Naturzustand und haben ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, welches, da die menschliche Vernunft nur Eine ist, Mein und Dein so gut scheidet, wie das beste Gesetzbuch civilisirter Staaten.

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In Betreff der Entstehung des Staates huldigen bekanntlich die Einen der Ansicht, daß er auf den Instinkt zurückzuführen, die Anderen der, daß er durch Vertrag in die Erscheinung getreten sei. Erstere Ansicht vertritt auch unser Schiller:

Die Natur fängt mit den Menschen nicht besser an als mit ihren übrigen Werken. Sie handelt für ihn, wo er als freie Intelligenz noch nicht selbst handeln kann. Er kommt zu |

i591 sich aus seinem sinnlichen Schlummer, erkennt sich als Mensch, blickt um sich her und findet sich – im Staate. Der Zwang der Bedürfnisse warf ihn hinein, ehe er in seiner Freiheit diesen Stand wählen konnte; die Noth richtete denselben nach bloßen, Naturgesetzen ein, ehe er es nach Vernunftgesetzen konnte.

(Ueber die aesthetische Erziehung des Menschen.)

Schopenhauer dagegen adoptirt die Vertragstheorie.

So angenehm auch dem Egoismus des Einzelnen, bei vorkommenden Fällen, das Unrechtthun ist, so hat es jedoch ein nothwendiges Correlat im Unrechtleiden eines anderen Individuums, dem dieses ein großer Schmerz ist. Und indem nun die das Ganze überdenkende Vernunft aus dem einseitigen Standpunkt des Individuums, dem sie angehört, heraustrat und von der Anhänglichkeit an dasselbe sich für den Augenblick losmachte, sah sie den Genuß des Unrechtthuns in einem Individuo jedesmal durch einen verhältmäßig größeren Schmerz im Unrechtleiden des Andern überwogen, und fand ferner, daß, weil hier Alles dem Zufall überlassen blieb, Jeder zu befürchten hätte, daß ihm viel seltener der Genuß des gelegentlichen Unrechtthuns, als der Schmerz des Unrechtleidens zu Theil werden würde. Die Vernunft erkannte hieraus, daß, sowohl um das über Alle verbreitete Leiden zu mindern, als um es möglichst gleichförmig zu vertheilen, das beste und einzige Mittel sei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens zu ersparen, dadurch, daß auch Alle dem durch das Unrechtthun zu erlangenden Genuß entsagten. Dieses – – vom Egoismus leicht ersonnene und allmälig vervollkommnete Mittel ist der Staatsvertrag oder das Gesetz.

(W. a. W. u. V. I. 405.)

Ich habe mich gleichfalls zur Vertragstheorie bekannt.

Vom Staate selbst spricht Schopenhauer nur mit Geringschätzung. Er ist ihm nichts weiter als eine Zwangsanstalt.

Weil die Forderung der Gerechtigkeit bloß negativ ist, läßt sie sich erzwingen: denn das neminem laede kann von Allen zugleich geübt werden. Die Zwangsanstalt hierzu ist der Staat, dessen alleiniger Zweck ist, die Einzelnen vor einander und das Ganze vor äußeren Feinden zu schützen. Einige deutsche Philosophaster dieses feilen Zeitalters möchten ihn verdrehen zu einer Moralitäts-Erziehungs- und Erbauungsanstalt: wobei im Hinter|grunde

i592 der jesuitische Zweck lauert, die persönliche Freiheit und die individuelle Entwicklung der Einzelnen aufzuheben.

(Ethik 217.)

Wie war es möglich, muß man unwillkürlich fragen, daß ein so eminenter Denker vom Staate eine solche Nachtwächteridee (wie Lassalle unübertrefflich sagte) haben konnte? Wer lehrte ihn lesen und schreiben? wer gab ihm seine antike Bildung? wer stellte seinem forschenden Geiste Bibliotheken zur Verfügung? wer hat dies Alles gethan und ihn nebenbei allerdings vor Dieben und Mördern und, als Theil des Ganzen, vor fremdem Uebermuth geschützt – wer anders als der Staat? Hätte er denn je, ohne den Staat, auch nur eine Seite seiner unsterblichen Werke schreiben können? Wie klein erscheint hier der große Mann!

Der Staat ist die historische Form, in welcher allein die menschliche Gattung erlöst werden kann, und wird erst im Momente des Todes der Menschheit zerbrechen. Er zwingt zunächst den Menschen, legal zu handeln, und dieser Zwang bändigt den natürlichen Egoismus der meisten Bürger. Kann man auch Fichte nicht unbedingt Recht geben, der sagt:

Der Staat befördert durch sein bloßes Dasein die Möglichkeit der allgemeinen Entwicklung der Tugend unter dem Menschengeschlechte dadurch, daß er äußere gute Sitte und Sittlichkeit, welche freilich noch lange nicht Tugend ist, hervorbringt .... Lebe die Nation nur eine Reihe von Menschenaltern hindurch in Friede und Ruhe unter dieser Verfassung; werden neue Generationen, und die von ihnen wiederum abstammenden Generationen, in derselben geboren, und wachsen aufwachsend in sie hinein: so wird allmälig die Mode ganz ausgehen, zur Ungerechtigkeit auch nur innerlich versucht zu werden.

(Ges. Werke 7. B. 168.)

so steht doch unzweifelhaft fest, daß heftige, zähe Willensqualitäten, durch den steten Zwang, modificirt und geschwächt vererbt werden. Zweitens beschützt der Staat Religionen, welche, so lange nicht alle Menschen reif für die Philosophie sind, nothwendig für die Erweckung der Nächstenliebe und Barmherzigkeit im Menschen sind, d.h. von Tugenden, welche der Staat nicht erzwingen kann. Drittens, wie schon gesagt, ist überhaupt nur im Staate die Möglich|keit

i593 gegeben, daß die Menschheit erlöst werde; denn nicht nur befähigt derselbe Einzelne, durch Bildung, den Ueberblick zu gewinnen, welcher nöthig, um zu erkennen, daß Nichtsein besser ist als Sein, sondern er bereitet auch die Massen zur Verneinung des Willens zum Leben dadurch vor, daß in ihm das Leiden auf die Spitze getrieben wird.

Die Menschheit muß durch ein rothes Meer des Blutes und des Krieges dem gelobten Land entgegenwaten und ihre Wüste ist lang.

Jean Paul.

Erst im Staate kann der Mensch seinen Willen und seine geistigen Fähigkeiten auswickeln, und deshalb kann auch nur im Staate die für die Erlösung nöthige Reibung entstehen. Das Leiden wächst und die Empfindlichkeit dafür. So muß es aber sein, soll je der ideale Staat in’s Dasein treten; denn wilde Menschen können nicht seine Bürger sein, und der Mensch in seinem natürlichen Egoismus ist ein Raubthier, ist l’animal méchant par excellence. Um ihn zu zähmen, müssen glühende Eisenstangen in sein Fleisch gestoßen werden: das sociale Elend muß über ihn kommen, physische und geistige Qualen, Langeweile und alle anderen Bändigungsmittel. Mit der Veränderung des rohen Willens geht das Wachsthum des Geistes Hand in Hand, und auf den immer kräftiger werdenden Schwingen des Intellekts erhebt sich der geläuterte Dämon zur objektiven Erkenntniß und moralischen Begeisterung.

Die Macht und Wohlthat des schweren, anhaltenden Leidens hat Schopenhauer wohl erkannt, aber er wollte nicht einsehen, daß der Staat Bedingung desselben ist. Er sagt sehr richtig:

Das Leiden überhaupt, wie es vom Schicksal verhängt wird ist ein zweiter Weg, um zur Verneinung des Willens zu gelangen: ja, wir können annehmen, daß die Meisten nur auf diesem dahin kommen, und daß es das selbst empfundene, nicht das bloß erkannte Leiden ist, was am häufigsten die völlige Resignation herbeiführt, oft erst bei der Nähe des Todes. – – Meistens muß, durch das größte eigene Leiden, der Wille gebrochen sein, ehe dessen Selbstverneinung eintritt. Dann sehen wir den Menschen, nachdem er durch alle Stufen der wachsenden Bedrängniß, unter dem heftigsten Widerstreben, zum Rande der Verzweiflung gebracht ist, plötzlich in sich gehen, sich und die Welt erkennen, sein ganzes |

i594 Wesen ändern, sich über sich selbst und alles Leiden erheben und, wie durch dasselbe gereinigt und geheiligt, in unanfechtbarer Ruhe, Seligkeit und Erhabenheit willig Allem entsagen, was er vorhin mit der größten Heftigkeit wollte, und den Tod freudig empfangen.

(W. a. W. u. V. I. 463.)

Ich kann hier nicht wiederholen, wie sich die Staaten, durch die Entwicklung der von ihnen umschlossenen Gesellschaft, zum idealen Staate weiterbilden. Nur Eines will ich noch sagen. Zur Zeit Kant’s war der ideale Staat lediglich ein Traumbild der Philanthropen. Die Wirklichkeit gab nur eine unsichere Hindeutung auf ihn. Seitdem sind die Nebel gefallen, die ihn umhüllten, und ob er auch noch in weiter, weiter Ferne liegen mag – er wirft seinen Schatten bereits über die Menschheit. Was den Körper des vierten Standes durchzuckt, ist die Sehnsucht nach Bildung, d.h. die Sehnsucht nach einem besseren Lenker, nach einer anderen Bewegung, nach einer Bewegung, die das Ende aller Bewegung, kurz die Erlösung herbeiführt. Diese Sehnsucht liegt mit Nothwendigkeit in der allgemeinen Bewegung des Weltalls aus dem Sein in das Nichtsein. Nur Thoren können meinen, die Bewegung der Welt ließe sich aufhalten, und nur Thoren können sich beirren lassen von dem schmutzigen Schaum, der auf den unteren Klassen liegt, und den plumpen, auf etwas ganz Anderes hindeutenden Krystallen, zu denen, auf der Oberfläche, die gewaltige Sehnsucht nach Bildung anschießt. Wenn der gemeine Mann sein innerstes Herz öffnet, so wird man fast immer hören: »ich will aus meinem Elend heraus; ich will essen und trinken können, wie die Reichen und Vornehmen: das Beste muß es sein; sie sind die Glücklichen, wir sind die Unglücklichen, die Verstoßenen, die Enterbten.« Die Erkenntniß der im wahren Sinne des Worts Gebildeten, daß je höher der Geist entwickelt ist, desto weniger das Leben befriedigen kann, daß der Wille zum Leben in allen Lebensformen ein wesentlich unglücklicher sein muß – beruhigt den rohen Menschen nicht, welcher sich nicht ausreden läßt, daß er allein unglücklich ist. »Du willst mich bethören, du lügst, du stehst im Solde der Bourgeoisie«, ruft er dem Philosophen zu. »Wohlan«, sagt dieser, »du wirst es erfahren.«

Und er wird es, er muß es erfahren in einer neuen Ordnung der Dinge. –

i595 Und wer erkennt nicht ferner den Schatten des idealen Staats in den politischen Schiedsgerichten unserer Zeit, in der Friedensliga, in dem Schlagwort: »die vereinigten Staaten Europa’s,« in dem Erwachen der asiatischen Völker, in der Aufhebung der Leibeigenschaft und Sklaverei, schließlich in den Worten des Oberhaupts eines der mächtigsten Länder der Welt:

Da Handel, Unterricht und die schnelle Beförderung von Gedanken und Materie durch Telegraphen und Dampf Alles verändert haben, so glaube ich, daß Gott die Welt vorbereitet, eine Nation zu werden, eine Sprache zu sprechen, zu einem Zustand der Vollendung zu gelangen, in welchem Heere und Kriegsflotten nicht mehr nöthig sind.

(Grant.)

Nicht daß der Sommer schon vor der Thüre steht, aber die Kälte des Winters entweicht aus den Thälern und die Menschheit liegt in Frühlingswehen. –

Wie stellte sich nun Schopenhauer eine Entwicklung der Menschheit vor?

Erreicht der Staat seinen Zweck vollkommen, so könnte gewissermaßen, da er, durch die in ihm vereinigten Menschenkräfte, auch die übrige Natur sich mehr und mehr dienstbar zu machen weiß, zuletzt, durch Fortschaffung aller Arten von Uebeln, etwas dem Schlaraffenlande sich Annäherndes zu Stande kommen. Allein, theils ist er noch immer sehr weit von diesem Zweck entfernt geblieben; theils würden auch noch immer unzählige, dem Leben durchaus wesentliche Uebel, unter denen, wären sie auch alle fortgeschafft, zuletzt die Langeweile jede von den anderen verlassene Stelle sogleich occupirt, es nach wie vor im Leiden erhalten; theils ist auch sogar der Zwist der Individuen nie durch den Staat völlig aufzuheben, da er im Kleinen neckt, wo er im Großen verpönt ist; und endlich wendet sich die aus dem Innern glücklich vertriebene Eris zuletzt nach außen – – – als Krieg der Völker. Ja, gesetzt, auch dieses Alles wäre endlich durch eine auf die Erfahrung von Jahrtausenden gestützte Klugheit überwunden und beseitigt, so würde am Ende die wirkliche Uebervölkerung des ganzen Planeten das Resultat sein, dessen entsetzliche Uebel sich jetzt nur eine kühne Einbildungskraft zu vergegenwärtigen vermag.

(W. a. W. u. V. I. 413.)

i596 Man muß herzlich lachen. Volkswirthschaftliche Werke scheinen Schopenhauer ganz unbekannt gewesen zu sein; denn sonst hätte er aus der Polemik Carey’s gegen Malthus wissen müssen, welche ungeheuere Menge von Menschen unser Planet noch aufnehmen und ernähren kann. Wer weiß überhaupt, wie sich die Ernährung des Menschen noch gestalten mag? Aber ganz abgesehen hiervon, läßt sich mit Bestimmtheit sagen, daß, sollte es zu einer vollkommenen Bevölkerung der Erde kommen, der Eintritt derselben auch zusammenfallen wird mit der Erlösung der Menschheit; denn die Menschheit ist ein Theil des Weltalls und dieses hat die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein. –

Ueberhaupt fehlte unserem Philosophen alles und jedes Verständniß für politische Fragen, was zu beweisen sehr leicht fällt. Er sagt:

Die ganze Menschheit, mit Ausnahme eines äußerst kleinen Theils, war stets roh und muß es bleiben, weil die viele, für das Ganze unumgänglich nöthige körperliche Arbeit die Ausbildung des Geistes nicht zuläßt.

(Ethik 246.)

Die monarchische Regierungsform ist die dem Menschen natürliche. – Es liegt ein monarchischer Instinkt im Menschen.

(Parerga II. 271/272.)

Die Jury ist das schlechteste aller Kriminalgerichte.

(ib. 274.)

Es ist absurd, den Juden einen Antheil an der Regierung oder Verwaltung irgend eines Staates einräumen zu wollen.

(ib. 279.)

Parerga II. 274 machte er alles Ernstes den Vorschlag

die Kaiserkrone sollte abwechselnd an Oesterreich und Preußen übergehen auf Lebenszeit.

In den Kriegen sieht er nur Raub und Mord und mit innigem Behagen führt er, so oft sich ihm eine Gelegenheit dazu darbietet, den Voltaire’schen Ausspruch an:

Dans toutes les guerres il ne s’agit que de voler.

Die Befreiung vom Kriegsdienst fordert er Parerga II. 524 als eine Belohnung (!) für fleißige Studenten, während doch jeder Besonnene und Hochherzige freudig und gern seine Militairpflicht erfüllt.

i597 Und gar die Sätze:

Das saubere Geschlecht, ohne Geist, ohne Wahrheitsliebe, ohne Redlichkeit, ohne Geschmack, ohne Aufschwung zu irgend etwas Edlem, zu irgend etwas über die materiellen Interessen, zu denen auch die politischen gehören, Hinausliegendem.

(Parerga I. 187.)

Das gemeine Wesen bleibt ein gemeines Wesen.

(Parerga II. 73.)

Da kann man nur mit Unwillen ausrufen: Pfui! und proh pudor!

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Hier ist auch der Ort, seine Ungerechtigkeit gegen die Juden zu rügen. Der Grund der Feindschaft liegt in der Immanenz der jüdischen Religion. Daß dieselbe keine Unsterblichkeitslehre hat, das konnte ihr der transscendente Philosoph nie verzeihen.

Was nun die Juden selbst betrifft, so kann nicht geleugnet werden, daß die ihnen plötzlich gegebene Freiheit sonderbare Erscheinungen hervorrief. Viele von ihnen, gestützt auf ihren Mammon, sind keck, anmaßend, frech, und Manche bewahrheiten, was Schopenhauer von Allen sagt,

Die dem Nationalcharakter der Juden (die Race Mauschel nennt er sie einmal) anhängenden bekannten Fehler, worunter eine wundersame Abwesenheit alles Dessen, was das Wort verecundia ausdrückt. – –

(Parerga II. 280.)

Aber man sollte nicht vergessen, daß es eben die Fessellosigkeit ist, welche auf 18 Jahrhunderte des empörendsten Druckes und der maßlosesten Verachtung folgte, die solche Früchte zeitigt. Nun rächen sich die Juden mit ihrem kalten, todten Mammon: zum Verderben Einzelner, zum Wohle der Menschheit.

Das Geld, ein Ding, erst harmlos erdacht zur Bequemlichkeit der Menschen, ein hohler unbedeutender Vertreter der wahren Güter – dann sachte wachsend in Bedeutung, unsäglichen Nutzen gewährend, Dinge und Völker mischend in steigendem Verkehr, der feinste Nervengeist der Volksverbindung; endlich ein Dämon, seine Farbe wechselnd, statt Bild der Dinge selbst Ding werdend, ja |

i598 einzig Ding, das all die andern verschlang – ein blendend Gespenst, dem wir, als wäre es Glück, nachjagen, ein räthselhafter Abgrund, aus dem alle Genüsse der Welt emportauchen, und in den wir dafür das höchste Gut dieser Erde hineingeworfen haben: die Bruderliebe. – – – Und so jagen Völker, ja fast die ganze Menschheit in zitternder Hast nach der Wechselmarter: Erwerben und Verzehren, indeß dem Menschen sein einzig Glück aus den Händen fällt: hold und selig zu spielen im Sonnenschein der Güte Gottes, wie der Vogel in den Lüften. – – – Aber es muß wohl so sein, so gewiß als es einst anders werden wird; in dem riesenhaft angelegten Erziehungsplan der Menschen wird es wohl liegen, daß er auch diese Erfahrung mache und von ihr zur anderen sich rette, bis es zur stilleren Menschheit weiter geführt ist, zu seiner moralischen Freiheit.

(Adalbert Stifter.)

Sieht man indessen ab von dem übermüthigen Treiben Einiger, so wird man in diesem Volke auf eine Barmherzigkeit stoßen, namentlich bei den Weibern (ob sie sich gleich oft taktlos äußert), die über alles Lob erhaben ist, und auf eine angeborene Klugheit, auf eine Sagacität, welche, wenn ausgebildet, zur höchsten geistigen Kraft anwächst. Wahrlich, wenn die Wahrheit, daß die Bewegung der Menschheit aus dem immer mehr sich schwächenden Willen und der immer mehr sich stärkenden Intelligenz der Einzelnen hervorgeht, nicht von der allgemeinen Geschichte documentirt würde, so wären die, durch das maßlose Leiden, in den Juden hervorgerufenen Willens- und Geistesmodificationen der beste Beweis dafür.

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Das einzig wirklich Erfreuliche, was die Schopenhauer’schen Werke in Betreff der Politik bieten, sind die Betrachtungen über das Schicksal. Obwohl Schopenhauer zögernd, gebend und wieder gleich zurücknehmend, behauptend und widerrufend, immer verclausulirt, sich hören läßt, so muß er doch bekennen, daß die ganze Welt ein festes geschlossenes Ganzes mit einer Grundbewegung ist. Er sagt:

Hier also drängt sich uns die Forderung, oder das metaphysisch-moralische Postulat, einer letzten Einheit der Nothwendigkeit und Zu|fälligkeit

i599 unwiderstehlich auf. Von dieser einheitlichen Wurzel Beider einen deutlichen Begriff zu erlangen, halte ich jedoch für unmöglich.

(Parerga I. 225.)

Sonach bilden alle jene, in der Richtung der Zeit fortschreitenden Causalketten ein großes, gemeinsames, vielfach verschlungenes Netz welches ebenfalls, mit seiner ganzen Breite, sich in der Richtung der Zeit fortbewegt und eben den Weltlauf ausmacht.

(ib. 230.)

So spiegelt sich Alles in Allem, klingt Jedes in Jedem wieder.

(ib. 231.)

Im großen Traum des Lebens sind alle Lebensträume so künstlich in einander geflochten, daß Jeder erfährt, was ihm gedeihlich ist und zugleich leistet, was Andern nöthig; wonach denn eine etwaige große Weltbegebenheit sich dem Schicksale vieler Tausende, Jedem auf individuelle Weise, anpaßt.

(ib. 235.)

Wäre es nicht engbrüstiger Kleinmuth, es für unmöglich zu halten, daß die Lebensläufe aller Menschen in ihrem Ineinandergreifen ebenso viel concentus und Harmonie haben sollten, wie der Komponist den vielen, scheinbar durcheinander tobenden Stimmen seiner Symphonie zu geben weiß? Auch wird unsere Scheu vor jenem kolossalen Gedanken sich mildern, wenn wir uns erinnern, daß das Subjekt des großen Lebenstraums in gewissem Sinne (!) nur Eines ist, der Wille zum Leben.

(ib.)

Nimmt man eine einfache Einheit coexistirend mit der Welt der Vielheit an, so ist Alles in der Welt dunkel, verworren, widerspruchsvoll, geheimnißvoll. Nimmt man dagegen eine einfache Einheit vor der Welt an, die sich in eine Welt der Vielheit zersplitterte, welch’ letztere allein noch existirt, so lösen sich, wie ich gezeigt habe, die schwersten philosophischen Probleme mit spielender Leichtigkeit. Der Zerfall der ursprünglichen Einheit, welche wir nicht erkennen können, in die Vielheit war die erste Bewegung. Alle anderen Bewegungen sind nur nothwendige Folgen dieser ersten. Das Schicksal ist kein Geheimniß mehr und von der gemeinsamen Wurzel der Nothwendigkeit und Zufälligkeit kann man einen deutlichen Begriff erlangen, was Schopenhauer, der das Transscendente mit dem Immanenten immer vermengte, leugnen mußte.

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i600 Blicken wir von hier aus auf die Ethik und Politik Schopenhauer’s und auf meine Ethik und Politik, so zeigt sich der Unterschied in seiner ganzen Größe.

Eine Philosophie, welche an die Stelle der Religion treten will, muß vor Allem den Trost der Religion, den erhebenden, herzstärkenden, daß Jedem seine Sünden vergeben werden können, und daß eine gütige Vorsehung die Menschheit zu ihrem Besten leitet, ertheilen können. Giebt ihn die Schopenhauer’sche Philosophie? Nein! Wie Mephistopheles, sitzt Schopenhauer am Ufer des Menschenstromes und ruft höhnisch den in Schmerzen sich Windenden, nach Erlösung Schreienden zu: eure Vernunft hilft euch Nichts. Nur die intellektuelle Anschauung kann euch retten, aber nur Dem, welcher von einer räthselhaften Macht dazu prädestinirt ist, kann sie zu Theil werden. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt. Alle Anderen sind verurtheilt, »ewig« in der Hölle des Daseins zu schmachten. Und wehe dem Armen, der vermeint, er könne in der Gesammtheit erlöst werden; sie kann nicht sterben denn ihre Idee liegt außerhalb der Zeit, ohne welche sich Nichts verändern kann.

Zwar wünschen Alle erlöst zu werden aus dem Zustande des Leidens und des Todes: sie möchten, wie man sagt, zur ewigen Seligkeit gelangen, in’s Himmelreich kommen: aber nur nicht auf eigenen Füßen; sondern hineingetragen möchten sie werden durch den Lauf der Natur. Aber das ist unmöglich.

(W. a. W. u. V. II. 692.)

Ich dagegen sage, an der Hand der Natur: wer sich erlösen will, der kann es jederzeit »durch Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft.« Das unfehlbare Mittel, um dem Weltganzen zu entfallen, ist für die reale Individualität, deren Entwicklung in keiner Weise von der Zeit abhängt, Virginität. Diejenigen aber, welche bereits in Kindern weiterleben, für die also in dieser Generation die Möglichkeit der Erlösung verscherzt ist, und diejenigen, welche das Mittel zwar noch ergreifen könnten, aber nicht die Kraft dazu haben – sie Alle sollen getrosten Muthes sein und redlich weiterkämpfen: früher oder später werden sie erlöst werden, sei es vor der Gesammtheit, oder in der Gesammtheit, denn das Weltall hat die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein.

 

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Date: 2014-12-29; view: 593


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Das ist freilich dunkel! | Metaphysik.
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