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Analytik des Erkenntnißvermögens. 34 page

In der That, wenn wir die Gegenstände der Sinne, wie billig, als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir doch dadurch zugleich, daß ihnen ein Ding an sich selbst zum Grunde liege, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d.i. die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas afficirt werden, erkennen.

(Prolegomena 234.)

Dies ist der richtige Boden des transscendentalen oder kritischen Idealismus; aber Kant hatte ihn sich erschlichen.

i439 Die gedachte Inconsequenz Kant’s wurde sehr früh aufgedeckt (G. E. Schulze). Schopenhauer bespricht sie mehrmals, am ausführlichsten Parerga I. 97-102. Er macht Kant den Vorwurf, daß er nicht, wie es die Wahrheit verlangte,

einfach und schlechthin das Objekt als bedingt durch das Subjekt und umgekehrt; sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts als bedingt durch die Erkenntnißformen des Subjekts, welche daher auch a priori zum Bewußtsein kommen,

(W. a. W. u. V. I. 596.)

gesetzt habe, und erklärt, daß man auf dem Wege der Vorstellung nie über die Vorstellung hinaus käme. Wie ist es nun zu erklären, daß er sich somit entschieden auf den Standpunkt des Fichte’schen Idealismus stellte, während er doch nicht Worte genug finden kann, um diesen zu verdammen? Er hatte sich das Ding an sich auf einem anderen Wege, als Wille, erschlossen und brauchte deshalb den Vorwurf, ein empirischer Idealist zu sein, nicht zu befürchten.

Ist es nun wirklich nicht möglich, auf dem Wege der Vorstellung zum Dinge an sich zu gelangen? Ich sage: gewiß ist es möglich, und zwar eben an der Hand des Schopenhauer’schen Causalitätsgesetzes. Die Kant’sche Causalität kann es uns nie zuführen, wohl aber jenes Gesetz.

Der Verstand tritt in Thätigkeit, sobald in irgend einem Sinnesorgan eine Veränderung vorgegangen ist; denn seine einzige Function ist der Uebergang von der Veränderung auf ihre Ursache. Kann nun diese Ursache, wie die Veränderung, im Subjekt liegen? Nein! sie muß außer ihm sein. Nur durch ein Wunder könnte sie im Subjekt sein; denn es findet unzweifelhaft eine Nöthigung statt z.B. einen Gegenstand zu sehen. Ich darf tausendmal einen anderen Gegenstand, als diesen bestimmten, sehen wollen, es wird mir nie gelingen. Die Ursache ist also ganz und gar unabhängig vom Subjekt. Soll sie aber trotzdem im Subjekt liegen, so bleibt eben nichts Anderes übrig, als eine einzige intelligibele Ursache anzunehmen, die mit unsichtbarer Hand in meinen Sinnesorganen Veränderungen hervorbringt, d.h. wir haben den Berkeley’schen Idealismus: das Grab aller Philosophie. Dann handeln wir sehr klug, wenn wir, so bald als nur möglich, aller Forschung mit den Worten des Sokrates entsagen: Ich weiß nur Eines, nämlich, daß ich Nichts weiß.

i440 Wir werden dies aber nicht thun, sondern dabei stehen bleiben, daß jede Veränderung im Sinnesorgan auf eine außer mir liegende Wirksamkeit (subjectiv: Ursache) Anweisung giebt. Der Raum ist nicht dazu da, dieses »außer mir« allererst zu erzeugen (wir gehören zur Natur und die Natur spielt nicht Verstecken mit sich selbst), sondern, wie wir wissen, um der Wirksamkeitssphäre eines – wie wir jetzt offen sagen dürfen – Dinges an sich die Grenze zu setzen und seine Stelle unter den anderen Dingen an sich zu bestimmen.



Hätte Schopenhauer diesen Weg betreten, den er auf so besonnene Weise erschlossen hat, so würde sein geniales System nicht ein zersplittertes, nothdürftig geleimtes, an unheilbaren Widersprüchen krankendes geworden sein, welches man nur bald mit großem Unwillen, bald mit Bewunderung durchforschen kann. Indem er ihn nicht betrat, hat er geradezu die Wahrheit verleugnet, und zwar mit vollem Bewußtsein verleugnet. Allerdings durfte er ihn nicht betreten, weil er, wie Kant, glaubte, daß der Raum eine reine Anschauung a priori sei; aber es wäre ehrenvoller für ihn gewesen, sich, wie Kant bei der Causalität, zu einer Inkonsequenz hinreißen zu lassen, als die absurde Behauptung aufzustellen, die Ursache einer Erscheinung liege, wie die Empfindung des Sinnesorgans, im Subjekt.

Ich sagte: Schopenhauer hat die Wahrheit mit Bewußtsein verleugnet. Jeder urtheile selbst. Vierfache Wurzel 76 ist zu lesen:

Daß diese Empfindungen der Sinnesorgane, auch angenommen, daß äußere Ursachen sie anregen, dennoch mit der Beschaffenheit dieser durchaus keine Aehnlichkeit haben können, – der Zucker nicht mit der Süße, die Rose nicht mit der Röthe – hat schon Locke ausführlich und gründlich dargethan. Allein auch, daß sie nur überhaupt eine äußere Ursache haben müssen, beruht auf einem Gesetze, dessen Ursprung nachweislich in uns, in unserem Gehirn liegt, ist folglich zuletzt nicht weniger subjektiv, als die Empfindung selbst.

Welche offenbare Spitzfindigkeit und absichtliche Verwechselung! Auf dem Causalitätsgesetz beruht lediglich die Wahrnehmung des wirkenden Dinges an sich, nicht dessen Wirksamkeit selbst, die auch vorhanden wäre ohne ein Subjekt. Das Causalitätsgesetz ist |

i441 nur der formale Ausdruck für das nothwendige, ausnahmslose, stets gleichbleibende Verfahren des Verstandes: das zu suchen, was ein Sinnesorgan verändert. Erst die reflectirende Vernunft verknüpft auf Grund der allgemeinen Causalität die Veränderung im Sinnesorgan als Wirkung mit dem, was sie hervorrief, als Ursache; d.h. sie bringt die vom Subjekt total unabhängige reale Einwirkung eines Dinges an sich auf ein anderes in ein causales Verhältniß. Der formale causale Zusammenhang ist demnach zwar immer rein subjectiv (ohne Subjekt kein Verhältniß der Ursache und Wirkung), nicht aber der ihm zu Grunde liegende reale dynamische.

So gewiß es ist, daß ich, ohne das Causalitätsgesetz, nie zu einer Anschauung gelangen würde – woraus Schopenhauer sehr richtig dessen Apriorität folgerte – so gewiß ist es, daß der Verstand nie in Function treten könnte ohne äußere Einwirkung, woraus ich, mit demselben guten Rechte, folgere, daß die Wirksamkeit der Dinge, also ihre Kraft, unabhängig vom Subjekt ist.

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Betrachten wir jetzt die letzte Verbindung, welche die Vernunft bewerkstelligt. Es handelt sich um die Substanz.

Die Materie, eine Verstandesform, mußten wir uns, wie den Raum und die Gegenwart, unter dem Bilde eines Punktes denken. Sie ist nur die Fähigkeit, die specifische Wirksamkeit eines Dinges an sich genau und treu zu objektiviren, wahrnehmbar zu machen. Weil nun die verschiedenen Wirksamkeiten der Dinge, insofern sie für uns Gegenstände der Anschauung werden sollen, ohne Ausnahme in diese eine Verstandesform einfließen müssen, wird die Materie zum idealen Substrat aller Dinge. Hierdurch wird der Vernunft ein mannigfaltiges Gleichartiges gegeben, welches sie in eine einzige Substanz verknüpft, von der alle Wirkungsarten nur Accidenzien sind.

Die Vernunft verknüpft in dieser Richtung so ausnahmslos und strenge, daß selbst Dinge an sich, welche gleichsam nur durch Ueberraschung gezwungen werden können, einen schwachen Eindruck auf unsere Sinne zu machen, sofort für uns substanziell werden, wie z.B. reiner Stickstoff, auf dessen Dasein nur geschlossen werden konnte, weil er weder das Athmen, noch das Verbrennen zu unterhalten im Stande ist.

i442 Auf Grund dieser idealen Verbindung gelangen wir erst zur Vorstellung einer vollständigen Welt; denn mit ihr objektiviren wir auch alle diejenigen Sinneseindrücke, welche der Verstand nicht in seine Formen, Raum und Materie, gießen kann, wie Töne, Gerüche, farblose Gase u.s.w.

Diese Verbindung birgt so lange keine Gefahr in sich, als ich mir bewußt bin, daß sie eine ideale Verbindung ist. Wird sie für real genommen, so entsteht der plumpe und dabei transscendente Materialismus, dessen praktische Nützlichkeit ich in meinem Werke anerkannt habe, dem aber auf theoretischem Gebiete unerbittlich die Thüre gewiesen werden muß. Schopenhauer zog bald die Hand von ihm ab, bald streckte er sie ihm freundschaftlich entgegen, je nachdem er die Materie in’s Subjekt, oder in’s Objekt, oder in’s Ding an sich, oder zwischen das eine und andere, auf seiner bedauerlichen Irrfahrt gerade gesetzt hatte. Dieser unseligen Halbheit machten wir uns nicht schuldig.

Was läßt sich nun aus der Einheit der Substanz, dieser idealen, auf Grund der Verstandesform Materie entstandenen Verbindung folgern? Höchstens Das, daß die sich objektivirenden Kräfte, in gewissem Sinne, wesensgleich sind und zusammen eine Collectiv-Einheit bilden. Aus der Natur der Substanz, die nur Einheit ist, kann nur etwas dieser Natur Gemäßes, als Bestimmung der ihr gegenüberstehenden verschiedenen Wirkungsarten der Körper, herausgezogen werden, so wie das Wesen der Zeit Succession ist, weil in der realen Entwicklung der Dinge Succession ist, und der Raum drei Dimensionen haben muß, weil jede Kraft nach drei Richtungen ausgedehnt ist. Was hat man aber von je her als unzertrennlich, mit der Substanz verknüpft? Die Beharrlichkeit, d.h. etwas, was nicht in ihr liegt, eine Eigenschaft, welche nicht aus ihr, sondern aus der Wirksamkeit einiger Dinge auf empirischem Wege gezogen wurde.

So sehen wir Kant die Beharrlichkeit der Substanz nicht aus ihr, sondern aus der apriorischen Zeit ableiten und Schopenhauer den Raum zu Hülfe rufen:

Die starre Unbeweglichkeit des Raumes, die sich darstellt, als das Beharren der Substanz.

Eigentlich aber leitet er sie aus der Causalität ab, welche |

i443 er zu diesem Zwecke, auf die willkürlichste Weise, identisch mit der Materie macht und das Wesen dieser wiederum (jedoch nur so lange, als er eben die Beharrlichkeit der Substanz als a priori gewiß beweisen will), in die innige Vereinigung von Raum und Zeit setzt.

Innige Vereinigung von Raum und Zeit, Causalität, Materie, Wirklichkeit – sind also Eines und das subjektive Correlat dieses Einen ist der Verstand.

(W. a. W. u. V. I. 561.)

Wie werden hier die verschiedensten Begriffe in einen Topf geworfen! Wie Hamlet sagte: Worte, Worte, Worte!

Die Wahrheit ist, daß die Beharrlichkeit der Substanz a priori nicht zu beweisen ist.

Auf realem Gebiete steht der idealen Verbindung Substanz die Collectiv-Einheit der Welt gegenüber, deren Entstehung und Vergänglichkeit (dasjenige gerade, was im Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz geleugnet wird) ich in meiner Philosophie bewiesen habe.

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Dadurch, daß Schopenhauer einen dynamischen Zusammenhang der Dinge, unabhängig vom Subjekt, nicht gelten ließ, sondern nur einen idealen Causalnexus kannte, verfiel er auch in den schweren Irrthum, die Naturkräfte, denen er Realität zusprach, aus dem Causalnexus gewaltsam zu entfernen.

Es ist klar, daß alle Veränderungen in der Welt nur durch Kräfte herbeigeführt werden können. Wenn aber, wie Schopenhauer will, die Kräfte nicht in die Welt der Erscheinungen herein können, wie sollen sie die Veränderungen in ihr bewerkstelligen? Er löst die Schwierigkeit sehr gelassen.

Die einzelne Veränderung hat immer wieder eine ebenso einzelne Veränderung, nicht aber die Kraft, zur Ursache, deren Aeußerung sie ist.

(W. a. W. u. V. I. 155.)

Eine Naturkraft selbst ist keiner Causalität unterworfen; sondern sie ist gerade Das, was jeder Ursache die Causalität, d.h. die Fähigkeit zu wirken, verleiht.

(Ethik 47.)

Was thut hier Schopenhauer? Er schiebt zwischen die Naturkraft und die Wirkung ein unbegreifliches Drittes, etwas von der |

i444 Naturkraft ganz Verschiedenes, die Ursach, d.h. die von der Kraft abgelöste Aeußerung der Kraft. Es ist dasselbe, als ob ein Mörder sagte: Nicht meine Kraft hat gemordet, sondern die Aeußerung meiner Kraft.

Schopenhauer geht so weit, sich dieser absurden Unterscheidung zu rühmen.

Die Verwechselung der Naturkraft mit der Ursach ist so häufig, wie für die Klarheit des Denkens verderblich. Es scheint sogar, daß vor mir diese Begriffe nie rein gesondert worden sind, so höchst nöthig es doch ist.

(4fache W. 45.)

Die Wahrheit ist, daß die Dinge an sich, ohne eingebildetes Zwischenglied, auf einander wirken, und diese ihre Wirksamkeit nur von dem Subjekt, vermöge der idealen Causalität, erkannt werden kann. Nur in Beziehung auf das Subjekt heißt die Kraft, welche wirkt, Ursach und der von ihr bewirkte Zustand einer anderen Kraft Wirkung.

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Auch die Eintheilung der Ursachen in: Ursachen im engeren Sinne, Reize und Motive ist nicht ganz richtig. Schopenhauer sagt:

Der wahre und wesentliche Unterschied zwischen unorganischem Körper, Pflanze und Thier beruht auf den drei verschiedenen Formen der Causalität: Ursach im engsten Sinne, Reiz und Motiv.

(4fache W. 45.)

Die Ursach im engsten Sinne ist die, nach welcher ausschließlich die Veränderungen im unorganischen Reich erfolgen, also diejenigen Wirkungen, welche das Thema der Mechanik, der Physik und der Chemie sind. Von ihr allein gilt das dritte Newton’sche Grundgesetz: Wirkung und Gegenwirkung sind einander gleich.

(4fache W. 46.)

Die zweite Form der Causalität ist der Reiz: sie beherrscht das organische Leben als solches, also das der Pflanzen, und den vegetativen, daher bewußtlosen Theil des thierischen Lebens, der ja eben ein Pflanzenleben ist. ... Wirkung und Gegenwirkung sind einander nicht gleich, und keineswegs folgt die Intensität der Wirkung, durch alle Grade, der Intensität der Ursache: vielmehr kann, durch Verstärkung der Ursache, die Wirkung sogar in ihr Gegentheil umschlagen.

i445 Die dritte Form der Causalität ist das Motiv: unter dieser leitet sie das eigentlich animalische Leben .... Die Wirkungsart eines Motivs ist von der eines Reizes augenfällig verschieden: die Einwirkung desselben nämlich kann sehr kurz, ja sie braucht nur momentan zu sein; während der Reiz stets des Kontakts, oft gar der Intussusception, allemal aber einer gewissen Dauer bedarf.

(4fache W. 46.)

Hiergegen habe ich erstens einzuwenden, daß die Ursach im engsten Sinne nicht ausschließlich das unorganische Reich beherrscht. Bei sehr vielen Erscheinungen, welche die Physik und Chemie beschreibt, sind Wirkung und Gegenwirkung einander nicht gleich. Oft können sich zwei Stoffe nur dann vereinigen, wenn sie aus einer anderen Verbindung austreten und gleichsam in einem Zustand erregter Affinität sind, wie Wasserstoff und Arsenik. Wird Quecksilber auf 340° erwärmt, so verbindet es sich mit dem Sauerstoff zu Quecksilberoxyd; aber bei 360° findet wieder Zersetzung statt. Die Ursache wurde hier verstärkt, aber die Wirkung schlug in das Gegentheil um. Die Wärme macht Wachs weich, Thon hart u.s.w. Nur auf dem Gebiete der Mechanik ist Wirkung und Gegenwirkung stets einander gleich.

Das Motiv ist zweitens gewiß nur ein Reiz. Es findet entweder ein realer Contakt, durch das Licht, statt, oder ein idealer, vermittelst der Einbildungskraft oder des Gedächtnisses. Jedenfalls wirkt das Motiv, wenn es auch nach der Wahrnehmung sofort verschwindet, nur so lange, als es besteht, und muß deshalb dieselbe Dauer wie der Reiz haben.

Daß ein so scharfer Unterschied zwischen Ursach, Reiz und Motiv besteht, wie oben angeführt wurde, hat übrigens Schopenhauer selbst widerrufen. Er sagt:

Was dem Thier und dem Menschen die Erkenntniß als Medium der Motive leistet, dasselbe leistet den Pflanzen die Empfänglichkeit für Reiz, den unorganischen Körpern die für Ursachen jeder Art, und genau genommen ist das Alles bloß dem Grade nach verschieden.

(W. i. d. N. 65.)

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Im Verlaufe unserer Kritik hat sich überall ergeben, daß unser Erkenntnißvermögen apriorische Formen und Functionen lediglich zu |

i446 dem Zwecke hat, das vom Subjekt unabhängige Reale zu erkennen. Die Natur, von der wir ein Theil sind, treibt kein unwürdiges Spiel mit uns. Sie täuscht uns nicht, sie verbirgt sich nicht; sie will nur ehrlich befragt sein. Dem redlichen Forscher giebt sie immer, soweit sie überhaupt kann, eine befriedigende Antwort.

Nur Eins haben wir noch nicht geprüft, nämlich, was der Synthesis eines Mannigfaltigen der Anschauung auf realer Seite gegenüberstehe?

Kant leugnet den vom Objekt ausgehenden Zwang zu einer bestimmten Synthesis. Hier drängt sich nun sofort die Frage auf: woran soll das synthetische Subjekt erkennen, daß die von der Sinnlichkeit dem Verstande gelieferten Theilvorstellungen zu einem Objekt gehören? Wie kommt es, daß ich immer genau dieselben Theile zu einem Objekt verbinde und nie darüber in Zweifel bin, was zusammengehört, was nicht? Kant erklärt den Vorgang nicht und müssen wir annehmen, daß die Urtheilskraft, gleichsam instinktiv, die zu einem Objekt gehörigen Theile richtig wählt und sie zu extensiven Größen zusammensetzt.

Wir stehen auf besserem Boden als Kant. Wie ich gezeigt habe, ist der Raum die Verstandesform, vermöge welcher das Subjekt die Grenze der Wirksamkeit eines Dinges an sich wahrnehmen kann, welche ihm also nicht erst die Ausdehnung verleiht. Jedes Ding an sich ist eine in sich geschlossene Kraft von bestimmter Intensität, d.h. jedes Ding an sich hat Individualität und ist wesentlich eine Einheit. Die Vernunft kann demnach nur zu einer Größe verbinden, was als ein individuelles Ganzes ihr entgegentritt; d.h. sie kann nur durch Synthesis erkennen, was, unabhängig von ihr, als eine Einheit, als Individualität, vorhanden ist. Sie weiß also immer an der vorhandenen Continuität der individuellen Kraft genau zu unterscheiden, was zu ihr gehört, was nicht.

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Wir nähern uns dem Ende. Ich fasse zusammen. Wie wir gesehen haben, ist die Welt bei Kant durch und durch Schein, ein vollendetes Kunstwerk des Verstandes, aus seinen eigenen Mitteln, durch ihn, in ihm, für ihn, mit einem Wort: ein Wunder! Sie wäre es auch dann, wenn es ihm gelungen wäre, ihr eine reale Grundlage am Ding an sich zu geben. Er hat sich aber dasselbe |

i447 erschleichen müssen, denn seine Philosophie eröffnet keinen Weg zum Dinge an sich.

Die Welt als Vorstellung bei Schopenhauer ist gleichfalls durch und durch ein Produkt des Subjekts, nichts als Schein. Gegen sein besseres Wissen und Gewissen, mit handgreiflichen Sophismen, hat er sie gewaltsam dazu gemacht, theils aus wirklicher Noth, weil seine Philosophie auf zerbrechlichen Grundpfeilern beruht (auf Raum und Zeit als reinen Anschauungen a priori), theils aus Sorglosigkeit, weil er in der Lage war, der idealen Welt als Vorstellung eine reale Welt als Wille gegenüberzustellen.

Man würde sich indessen täuschen, wenn man glaubte, Schopenhauer habe bis an sein Ende daran festgehalten, daß die Welt als Vorstellung nichts Anderes, als ein reines Gespinnst und Gewebe des erkennenden Subjekts sei. Er war ein genialer, großer Philosoph, aber kein consequenter Denker. Einen und denselben philosophischen Stoff hat sich sein rastloser Geist unzählige Male vorgelegt, immer hat er ihm neue Seiten abgewonnen, aber er wußte sie, mit seltenen Ausnahmen, nie zu einem Ganzen zu vereinigen. Von seiner Philosophie gilt ganz und gar der Goethe’sche Ausspruch in der Farbenlehre:

Es ist ein fortdauerndes Setzen und Aufheben, ein unbedingtes Aussprechen und augenblickliches Limitiren, so daß zugleich Alles und Nichts wahr ist.

Er hat die Kant’sche Erkenntnißtheorie einestheils sehr vervollkommnet, anderentheils wesentlich verdorben, und er war in einem eigenthümlichen Wahne befangen, als er sich das Verdienst zusprach,

die vom entschiedensten Materialismus ausgehende, aber zum Idealismus führende Reihe der Philosophen abgeschlossen zu haben.

(Parerga II. 97.)

Zunächst sagt er Parerga. I. 93:

Dem Ding an sich ist eigentlich (!) weder Ausdehnung, noch Dauer beizulegen.

Wir begegnen hier zum zweiten Male dem sehr charakteristischen »eigentlich«. Schon oben hieß es: die Materie ist eigentlich der Wille. Wir werden auf dieses »eigentlich« noch oft stoßen, und ich werde mir am Schlusse dieser Kritik erlauben, einige »eigentlich« zu einem Sträußchen zusammenzubinden.

i448 Dann sagt er:

Der organische Leib ist nichts Anderes, als der in die Vorstellung getretene Wille, der in der Erkenntnißform des Raumes angeschaute Wille selbst.

(W. i. d. N. 33.)

Der Wille ist Schopenhauer’s Ding an sich; es wird also unumwunden bekannt, daß das Ding an sich direkt in die Anschauungsform Raum des Subjekts eingegangen sei. Hier sieht Jeder, daß es sich nur um die Art und Weise, wie dem Subjekt das Ding an sich erscheint, handelt, während doch Schopenhauer, wie wir wissen, zürnend Kant vorwirft, er habe, nicht wie es die Wahrheit verlangte, einfach und schlechthin das Objekt bedingt durch das Subjekt und umgekehrt gesetzt, sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts u.s.w. Wo bleibt denn hier das Objekt, welches das Ding an sich sonst ganz verhüllt?

An diese Stelle lassen sich noch andere artigen Fragen knüpfen. Ist der Leib wirklich nur der in der Erkenntnißform des Raumes angeschaute Wille? Wo bleibt die Zeit? Wo bleibt die spezielle Wirksamkeit der Idee Mensch? Und geschieht der Schluß, daß der Leib der durch die subjektive Erkenntnißform gegangene Wille sei, nicht etwa nach dem Causalitätsgesetz? während doch W. a. W. u. V. I. 15 zu lesen ist:

Man hüte sich vor dem großen Mißverständniß, daß, weil die Anschauung durch die Erkenntniß der Causalität vermittelt ist, deswegen zwischen Objekt und Subjekt das Verhältniß von Ursach und Wirkung bestehe; da dasselbe immer nur zwischen Objekten Statt findet.

Die wichtigste Stelle ist aber die folgende:

Im Ganzen läßt sich sagen, daß in der objektiven Welt, also der anschaulichen Vorstellung, sich überhaupt Nichts darstellen kann, was nicht im Wesen der Dinge an sich, also in dem der Erscheinung zu Grunde liegenden Willen, ein genau dem entsprechendes modificirtes Streben hätte. Denn die Welt als Vorstellung kann nichts aus eigenen Mitteln liefern, eben darum aber auch kann sie kein eitles, müßig ersonnenes Mährchen auftischen. Die endlose Mannigfaltigkeit der Formen und sogar der Färbungen der Pflanzen und ihrer Blüthen muß doch überall der Ausdruck eines ebenso modificirten subjektiven |

i449 Wesens sein, d.h. der Wille als Ding an sich, der sich darin darstellt, muß durch sie genau abgebildet sein.

(Parerga II. 188.)

Welchen schweren Kampf muß Schopenhauer mit sich gekämpft haben, ehe er diese Stelle hingeschrieben hat! Ihr zufolge ist das Objekt nichts Anderes, als das in die Formen des Subjekts getretene Ding an sich, was er auf das Entschiedenste in seiner Welt als Vorstellung leugnete. Auf der anderen Seite ist es überaus schmerzlich zu sehen, wie dieser große Mann mit der Wahrheit ringt, deren treuer und edler Jünger er doch, im Großen und Ganzen, unstreitig war.

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Kant’s Schnitt durch das Ideale und Reale war gar kein Schnitt. Er verkannte die Wahrheit so völlig, daß er sogar das Allerrealste, die Kraft, auf die subjektive Seite zog und ihr hier nicht einmal die Würde einer Kategorie gab: er zählte sie zu den Prädicabilien des reinen Verstandes. Er machte das Reale einfach zum Idealen und hielt somit nur Ideales in der Hand. Schopenhauer’s Eintheilung der Welt in eine Welt als Vorstellung und eine Welt als Wille ist gleichfalls eine verfehlte, denn das Reale kann und muß schon in der Welt als Vorstellung vom Idealen getrennt werden.

Ich glaube nun, daß es mir gelungen ist, das Messer an der richtigen Stelle anzusetzen. Der Schwerpunkt des transscendentalen Idealismus, auf dem meine Philosophie beruht, liegt nicht in den subjektiven Formen Raum und Zeit. Nicht um die Breite eines Haares wirkt ein Ding an sich weiter als es der Raum ausgedehnt zeigt; nicht um die Breite eines Haares ist die reale Bewegung eines Dinges an sich meiner Gegenwart vorangeeilt: mein subjektives Korkkügelchen steht immer genau über dem Punkte der Welt-Entwicklung. Der Schwerpunkt liegt in der subjektiven Form Materie. Nicht daß die Materie das Wesen des Dinges an sich nicht bis in’s Kleinste getreu, photographisch getreu, abspiegelte – nein! sie spiegelt es genau, zu diesem Zwecke ist sie ja eben eine Verstandesform; der Unterschied befindet sich viel tiefer, im Wesen der beiden. Das Wesen der Materie ist schlechthin ein Anderes, als das der Kraft. Die Kraft ist Alles, ist das alleinige Reale in der Welt, ist voll|kommen

i450 unabhängig und selbständig; die Materie dagegen ist ideal, ist Nichts ohne die Kraft.

 

Kant sagte:

Wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, so muß die ganze Körperwelt fallen, als die Nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Vorstellungen desselben.

Und Schopenhauer sagte:

Kein Objekt ohne Subjekt.

Beide Erklärungen beruhen auf den reinen Anschauungen a priori, Raum und Zeit, und sind richtige Schlüsse aus falschen Prämissen. Nehme ich das denkende Subjekt weg, so weiß ich ganz genau, daß individuelle Kräfte, in realer Entwicklung begriffen, übrig bleiben, aber sie haben die Materialität verloren: »Die Körperwelt muß fallen«, »kein Objekt mehr«.

—————

Wir haben also:

 

auf der subjektiven Seite auf der realen Seite

a. apriorische Formen und Functionen:

das Causalitätsgesetz,
den Punkt-Raum,
die Materie,
die Synthesis,
die Gegenwart. die Wirksamkeit überhaupt, die Wirksamkeitssphäre, die Kraft, die Individualität, den Punkt der Bewegung.

b. ideale Verbindungen:

die allgemeine Causalität,

die Gemeinschaft,

die Substanz,
die Zeit,
den mathematischen Raum. die Einwirkung eines Dinges an
sich auf ein anderes, den dynamischen Zusammenhang
des Weltalls, die Collectiv-Einheit der Welt, die reale Succession, das absolute Nichts.

 

Wir wollen jetzt noch einmal kurz, nach meiner Erkenntnißtheorie (Fortbildung der Kant- Schopenhauer’schen) die anschauliche Welt entstehen lassen.

i451 1) In den Sinnen findet eine Veränderung statt.

2) Der Verstand, dessen Function

das Causalitätsgesetz ist und dessen Formen
Raum und Materie sind, sucht die Ursache der Veränderung, construirt sie räumlich (setzt der Wirksamkeit Grenzen nach Länge, Breite, Tiefe) und macht sie materiell (Objektivirung der specifischen Natur der Kraft).

3) Die auf diese Weise hergestellten Vorstellungen sind Theilvorstellungen. Der Verstand reicht diese der

Vernunft dar, deren Function
Synthesis und deren Form
die Gegenwart ist. Die Vernunft verbindet sie zu ganzen Objekten mit Hülfe der

Urtheilskraft, deren Function ist: das Zusammengehörige zu beurtheilen, und der

Einbildungskraft, deren Function ist: das Verbundene festzuhalten.

So weit haben wir einzelne, vollkommen fertige Objekte, neben über und hinter einander, ohne dynamischen Zusammenhang und stehend im Punkte der Gegenwart. Sämmtliche erwähnten Formen und Functionen haben Apriorität, d.h. sie sind uns angeboren, liegen vor aller Erfahrung in uns.

Die Vernunft schreitet nun zur Herstellung von Verbindungen und Verknüpfungen, auf Grund dieser apriorischen Functionen und Formen. Sie verbindet:

a. die vom fortrollenden Punkte der Gegenwart durchlaufenen und noch zu durchlaufenden Stellen zur Zeit, welche unter dem Bilde einer Linie von unbestimmter Länge gedacht werden muß. Mit Hülfe der Zeit erkennen wir:

1) Ortsveränderungen, die nicht wahrnehmbar sind;

2) die Entwicklung (innere Bewegung) der Dinge.

Die Vernunft verbindet:

b. auf Grund des Punkt-Raums beliebig große leere Räumlichkeiten zum mathematischen Raume. Auf ihm beruht die Mathematik, welche unsere Erkenntniß wesentlich erweitert.

Sie verknüpft:

i452 c. auf Grund des Causalitätsgesetzes


Date: 2014-12-29; view: 405


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