Die Baukunst offenbart mithin fast ausschließlich das Subjektiv-Schöne des Raumes durch Darstellung und Aneinanderreihung der schon oben erörterten schönen Figuren und Körper oder ihrer Theile.
Alle regelmäßigen Figuren und Körper sind schön, aber ihre Schönheit hat Grade.
In Anbetracht des Grundrisses, ist der Kreis die vollkommenste Figur. Nach ihm kommt das Rechteck, aus zwei Quadraten zusammengesetzt; diesem folgen die Rechtecke in anderen Verhältnissen der Länge zur Breite, das Quadrat u.s.f.
Im Aufriß herrscht die senkrechte gerade Linie vor, und entstehen Cylinder, Pfeiler, Würfel. Bestimmt die geneigte gerade Linie das Gebäude, so entstehen Kegel, Pyramiden.
Wenden wir uns schließlich zum Dach, so finden wir das mehr oder weniger hohe Giebeldach, die Kuppel etc. und im Innern die waagrechte, giebelige, tonnengewölbte, spitzbogige und hohlkugelige Decke.
Alle Verhältnisse und Gliederungen eines schönen Bauwerkes beherrscht, mit unerbittlicher Strenge, die Symmetrie und das Formal-Schöne der Causalität, welches in der Architektur als knappe Zweckmäßigkeit auftritt. Jeder Theil soll seinem Zwecke auf die einfachste Weise entsprechen, Nichts soll überladen oder unnütz gewunden sein. Wie störend ein Verstoß gegen das Schöne der Causalität wirkt, sieht man deutlich an den gewundenen Säulen.
Den freiesten Spielraum, innerhalb der Gesetze des Subjektiv-Schönen, hat der Architekt bei der Ausführung der Façaden. Man kann diese die Blüthen eines Bauwerkes nennen.
i150 Die Haupt-Baustile sind, wie bekannt, der griechische, der römische, der maurische, der gothische und der Renaissance-Stil. Der griechische ist von der edelsten Einfachheit und offenbart das Subjektiv-Schöne der Baukunst am herrlichsten. Man nennt ihn den classischen oder idealen Stil.
Im Gefolge der schönen Baukunst befinden sich: die nützliche Baukunst, die Schiffbaukunst, die Maschinenbaukunst, die technische Baukunst (Brückenbauten, Viadukte, Aquädukte etc.) das Tischler- und das Töpfergewerbe (Öfen). Auch ist die Edelsteinschleiferei zu nennen.
26.
In der Bildnerkunst handelt es sich nicht mehr darum, das Formal-Schöne ganz frei zu verwirklichen, sondern um die Darstellung von Ideen in reinen Formen. Der Künstler bildet sie entweder als Ideale, oder er idealisirt sie nur.
Das Subjektiv-Schöne des Raumes offenbart sich auf dem Gebiete der Skulptur im reinen Fluß der Linien, im proportionirten Körperbau und in der Abrundung der Fleischtheile; das der Materie in der Farbe und Reinheit des Materials; das der Causalität als Grazie. Jede Bewegung, jede Stellung muß im einfachsten Verhältniß zur Absicht stehen, und der Willensakt muß sich rein und klar darin aussprechen. Alle Steifheit, Hölzernheit, Gespreiztheit, sie trete noch so verhüllt auf, ist vom Übel.
Das Haupt-Objekt des Bildhauers ist der Mensch. In der Darstellung desselben ist er jedoch wesentlich beschränkt.
Zunächst kann sich das innere Leben des Menschen nur unvollkommen im Aeußeren ausdrücken: es tritt tief verschleiert an die Oberfläche. Es spiegelt sich, soweit es hier in Betracht kommt, am ungenauesten in der Gestalt, deutlicher in der Stellung und am klarsten im Antlitz, besonders in den Augen.
In der Darstellung dieses Aeußern ist der Bildhauer ferner sehr beschränkt. In der Gestalt vermißt man die warmen Farbentöne des Fleisches, die das schönste Material nicht zu ersetzen vermag. Diesen Mangel empfanden die feinsinnigen Griechen sehr wohl und sie versuchten ihn aufzuheben, indem sie das Kunstwerk aus verschiedenen Stoffen bildeten: die Fleischtheile aus Elfenbein, die Ge|wänder
i151 aus Gold. Ja sie gingen so weit, die Haare zu färben und farbige Augen einzusetzen. Der Mangel ist aber überhaupt nicht zu tilgen, und ein plastisches Werk, aus einfarbigem, schönem Material geformt, verdient immer den Vorzug. Eine Bemalung der Gestalt ist ganz unstatthaft, da der Contrast zwischen dem starren Bilde und der pulsirenden Wirklichkeit zu groß wäre. Vor einem Gemälde weiß man, daß man es nur mit Scheinkörpern zu thun hat, und eine Enttäuschung ist nicht möglich. In der Plastik aber würde die lebenswahre Statue erst täuschen, dann enttäuschen, und alle Sammlung im Subjekt ginge verloren.
Dann kann der Bildhauer das Objekt nur in einer Stellung zeigen. Ist diese nun der Ausdruck einer heftigen Bewegung, so liegt die Gefahr nahe (da sie wie erstarrt ist, während der natürliche Mensch nie eine und dieselbe Stellung lange behauptet), daß sie den Beschauer nicht lange contemplativ stimmt. Es bildet deshalb auch der Künstler gewöhnlich den Menschen im Zustand der Ruhe, in dem wir uns ein Individuum während einer beträchtlichen Dauer denken können, und deshalb der Contrast mit dem Leben nicht störend wirkt.
Aus demselben Grunde ist eine leidenschaftliche Bewegung in den Gesichtszügen nicht anzurathen. Die leidenschaftlichen Zustände, sie mögen noch so oft auftreten, sind doch immer vorübergehend. Es empfiehlt sich deshalb, in die Gesichtszüge nur die Sammlung für den Ausbruch, nicht diesen selbst, zu legen; die Spannung muß aber sehr deutlich und gleichsam sprechend ausgedrückt sein.
Schließlich wird der Bildhauer noch durch die Sprödigkeit des Materials und die Schwierigkeit beschränkt, leicht übersichtliche Gruppen zu bilden. Der Farnesische Stier ist, als Gruppe, ein verfehltes Kunstwerk. Die einzelne Gestalt und Gruppen von höchstens zwei, drei Personen wird der Künstler deshalb gewöhnlich bilden.
Freier kann er sich im Relief bewegen, wodurch die Plastik, so zu sagen, auf das Gebiet der Malerei übertritt. Auch kann die Bewegung im Relief leidenschaftlicher sein, da das Auge nicht beim Einzelnen lange verweilt.
Dagegen kann der Bildhauer die Gestalt, die Umrisse der Leiblichkeit, vollkommen darstellen.
Das Ideal der menschlichen Gestalt ist nicht ein einziges. Bei jeder Rasse wird es ein anderes sein. Aber das menschliche Ideal der Griechen wird sich durch alle Zeiten als das schönste und |
i152 edelste behaupten. Das griechische Volk war ein schöner Menschenschlag, und es ist anzunehmen, daß einzelne Individuen so hervorragend schön gewesen sind, daß der Künstler nur diese Schönheit zu erkennen und nachzubilden hatte. Hierzu trat ein öffentliches und privates Leben, welches die Entfaltung der Leiblichkeit zur höchsten Blüthe gestattete. Von frühester Jugend auf wurde der Körper der Edlen des Volks in der Gymnastik geübt; die Gelenke wurden geschmeidig und fähig gemacht, die größte Kraftäußerung mühelos und mit Grazie zu zeigen. Durch die socialen Einrichtungen waren alle groben Arbeiten, die den Körper zwingen, sich einseitig zu entwickeln, dem vornehmen Griechen abgenommen, während andererseits die Leidenschaften, die so zerstörend auf den Organismus einwirken können, durch Naturanlage und Sitte, in der Blüthezeit des Volkes, nur maßvoll sich äußerten. Wille und Geist standen, in den tonangebenden Individuen dieses begnadeten Volkes, im günstigsten Verhältniß zu einander.
Und so entstanden jene immer gültigen Muster der edelsten menschlichen Körperlichkeit, die, obgleich sie uns meistentheils nur in Copien vorliegen, unser Herz entzücken und uns so leicht in die aesthetische Contemplation erheben. Wie es vor den alten Griechen kein Volk gegeben hat, welches die Idee des Menschen so rein in der Gestalt, wie sie, ausdrückte, so wird auch in der Entwicklung des Menschengeschlechts kein zweites auftreten, welches, in sich und seinem Culturleben, die Bedingungen für solche Leistungen trüge. Bei den Griechen kam Alles zusammen: Schöne Objekte in Fülle, vollendeter Schönheitssinn, Jugend des Volkes, Aufgehen des ganzen Ich’s in harmonischer edler Sinnlichkeit, heitere Natur, freies öffentliches Leben, eine milde Religion, milde, aber streng waltende Sitten.
Gehen wir jetzt auf die Einzelheiten des Ideals näher ein, so zeigt zunächst das Gesicht ein edles Oval. Die Stirn ist mäßig hoch und glatt gewölbt. Die Augen blicken ruhig und klar. Die Nase ist die gerade Fortsetzung der Stirne, ihre Spitze ist ein wenig gerundet und den Nasenflügeln sieht man an, daß sie sich in der Erregung bewegen werden. Der Mund ist nicht zu klein und wird von anmuthig geschwellten Lippen gebildet. Das Kinn springt edel vor. Den prachtvoll gewölbten Schädel bedeckt volles Lockenhaar.
Der nicht zu kurze Hals ruht frei auf breiter Brust, und so |
i153 fließt der übrige Körper in strahlender Schönheit weiter als schlanker Leib, schmales Becken, starke Schenkel, volle Waden, bis zum wohlgeformten Fuße.
In dieses allgemeine Ideal trug nun der Künstler Jugend und Alter, oder den bestimmten Charakter des Gottes oder Helden, hier fortnehmend, dort auftragend.
Der weibliche Körper wurde in ähnlicher Weise gebildet. Die Brust ist schmäler, die Schultern fallen geneigter ab, das Becken ist breiter und die ganze Gestalt ist zarter, kraftloser, hingebender als die des Mannes.
Ist die Figur ganz oder zum Theil bekleidet, so bietet sich dem Künstler reichlich Gelegenheit, das Subjektiv-Schöne des Raumes im Fluß der Gewänder, im Faltenwurf etc. darzustellen.
27.
Hellenische Plastik und ideale Bildhauerkunst sind Wechselbegriffe.
In der realistischen Bildhauerkunst handelt es sich nun nicht darum, ideale Gebilde, in denen die individuellen Eigenthümlichkeiten ausgelöscht sind, darzustellen, sondern um Hervorhebung und Idealisirung der Individualität. Namentlich soll der große bedeutende Mann, der seine Zeitgenossen überragte, im Bilde den kommenden Geschlechtern erhalten werden. Das Objekt ist das durch die subjektiven Formen gegangene Ding an sich, und dieses prägt sich in ihm getreu aus, soweit es wahrnehmbar ist. Der Künstler hat sich also, in der realistischen Plastik, vorzugsweise an die gegebene Erscheinung zu halten, aber er hat einen hinreichenden Spielraum, um sie zu verklären. Das Individuum zeigt sich in mancherlei Stimmungen, welche die Züge verändern. Diese betrachtet der Künstler und wählt denjenigen Ausdruck, welcher der schönste ist. Man pflegt dann zu sagen: der Künstler habe das Individuum in seinem schönsten Momente erfaßt. Ferner kann er, ohne die Aehnlichkeit zu beeinträchtigen, hier einen häßlichen Zug mildern, dort einen schönen hervortreten lassen.
Die schönsten Werke der realistischen Plastik sind auf dem Boden der christlichen Religion, im 13. Jahrhundert, entstanden. Es sind gute, fromme, heilige Menschen, die ganz durchdrungen sind |
i154 vom Glauben an die erlösende Kraft des Evangeliums und das Gepräge der Sehnsucht nach dem ewigen, schmerzlosen Reiche Gottes tragen. Die ganze Gestalt ist gebrochen und voll Demuth; der Kopf anmuthig geneigt; die verklärten Gesichtszüge sprechen deutlich aus, daß hier die Begierde zum irdischen Leben voll und ganz erloschen ist, und aus den Augen, soweit die Plastik es überhaupt zeigen kann, leuchtet Keuschheit und Liebe und der Friede, der höher ist als alle Vernunft.
Im Gefolge der Skulptur treten die Gold- und Silberschmiedekunst, die Steinmetzkunst, die Holzschnitzerkunst und die Gewerbe auf, welche die mannigfaltigen Gegenstände aus Bronce und anderem Metall, aus gebranntem Thon, Glas, Porzellan, Lava etc. verfertigen. Auch ist die Steingravirkunst zu erwähnen.
28.
Die Malerei hat, wie die Bildnerkunst, die Darstellung der Ideen, als Erscheinungen, zum Zweck. Sie leistet aber mehr als diese und ist eine vollkommenere Kunst, erstens, weil sie, vermittelst der Farbe, die Wirklichkeit überhaupt und das innere Leben der Idee im Besonderen, welches sich in den Augen und im Mienenspiel so wunderbar spiegelt, treuer und besser wiedergeben kann; zweitens, weil sie, durch keine Schwierigkeit im Material behindert, die gesammte Natur und außerdem die Werke der Architektur und Plastik in den Bereich ihrer Darstellung zieht. Die mangelnde vollendete Körperlichkeit ersetzt sie genügend durch den Schein.
Je nach den Ideen, mit denen sie sich vorzugsweise beschäftigt, ist sie Landschafts-, Thier-, Portrait-, Genre- und Historien-Malerei, welche Zweige die specielle Aesthetik näher betrachtet.
Das Subjektiv-Schöne der Skulptur gilt auch in der Malerei; weil aber die Darstellung der Ideen durch die Malerei eine vollkommenere ist, so treten noch neue Gesetze hinzu. Das Schöne des Raumes fordert eine richtige Perspektive; das der Causalität die wirksame Gruppirung der Personen um einen wirklichen oder idealen Mittelpunkt, den klaren Ausdruck der Handlung in ihrem bedeutsamsten Moment und die sprechende Natur des Verhältnisses, in dem die Handelnden zu einander stehen: kurz, eine durchdachte Composition; das der Materie vollendetes Colorit, lebenswarme Fleischtöne, harmonische Farbenzusammenstellung, reine Wirksamkeit des Lichts |
i155 und richtig abgetönte Fernen (Mittelgrund, Hintergrund) in der Landschaft.
Wenn auch die griechische Skulptur das Ideal der menschlichen Gestalt festgestellt hat, so bildete und bildet noch immer die Malerei selbständig die reine schöne Leiblichkeit da, wo der Geist freies Spiel hat: auf dem Gebiete der Sage, der Mythologie und Religion. Wie ein rother Faden zieht sich die ideale Historienmalerei durch die Geschichte dieser Kunst, und erinnere ich an die Galathea Raphael’s, an seine Madonnen und an die Venusbilder Tizian’s.
Der idealen Historienmalerei schließt sich die ideale Landschaftsmalerei an. Die ideale Landschaft zeigt die Natur in ihrer höchsten Verklärung: den Himmel ohne Wolken oder mit solchen von zarter Form mit goldenen Säumen, klar und sehnsuchtserweckend:
»Es ist, als wollt’ er öffnen sich;«
das Meer in spiegelglatter Bläue; die Gebirge von schön geschwungenen Linien ruhen im Duft der Ferne; die Bäume im Vordergrund, die schönsten ihrer Art oder herrliche Phantasiegebilde, träumen in stiller Ruhe; unter ihnen liegt ein Liebespaar oder ein Hirt mit seiner Heerde oder eine heitere Gruppe. Pan schläft, und Alles ist selig, lichttrunken und athmet Frieden und Behagen. Es sind die Landschaften des unvergeßlichen Claude Lorrain.
Aber die ideale Richtung wird schwer überwogen von der realistischen. Weil der Maler leicht arbeiten kann, sucht er gern die Individualität auf und versenkt sich in ihre Besonderheit. Er zeigt die Natur in glühendster Tropenpracht und in eisiger Erstarrung, in Sturm und Sonnenschein; er zeigt Thiere und Menschen einzeln und in Gruppen, in Ruhe und in der leidenschaftlichsten Bewegung; er stellt das stille Glück der Familie und ihren zerstörten Frieden, wie die Gräuel der Schlachten und die wichtigsten Ereignisse im Culturleben der Menschheit dar. Auch die komischen Erscheinungen und das Häßliche bis zur Grenze, jenseit welcher es ekelhaft wirken würde, behandelt er. Wo er kann, idealisirt er und giebt seinen Gebilden das reinigende Bad im Subjectiv-Schönen.
Schon bei der Skulptur haben wir gesehen, wie zur Zeit der höchsten Blüthe des christlichen Glaubens Bildhauer die selige Innerlichkeit des frommen Menschen in Gesicht und Gestalt auszudrücken versuchten. Es gelang ihnen auch, innerhalb der Grenzen ihrer Kunst, |
i156 vollkommen. Die Heiligen-Maler des Mittelalters nun traten an die gleiche Idee heran und offenbarten sie in herrlichster Vollendung. In den Augen dieser ergreifenden Gestalten glüht ein überirdisches Feuer, und von ihren Lippen liest man das schönste Gebet ab: »Dein Wille geschehe!« Sie illustriren die tiefen Worte des Heilandes: »Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.«
Besonders versuchten die genialsten Maler aller Zeiten, Christus selbst, den Gott-Menschen, seiner Idee nach voll und ganz zu erfassen und objektiv zu gestalten. In allen bedeutsamen Momenten seines erhabenen Lebens versuchte man, ihn darzustellen und seinen Charakter zu offenbaren. Unter den vielen betreffenden Bildern ist Tizian’s Zinsgroschen, Leonardo’s Studienkopf zum Abendmahl und Correggio’s Schweißtuch der Veronica hervorzuheben. Sie zeigen die geistige Überlegenheit, die keusche Heiligkeit, die vollendete Demuth und die überwältigend wirkende Standhaftigkeit in allen Leiden des weisen Helden. Sie sind die edelsten Perlen der bildenden Künste. Was ist, gegen sie gehalten, der Zeus von Otricoli, die Venus von Milo? So viel höher die Ueberwindung des Lebens über der Begierde nach Leben, oder die Ethik über der Physik steht, so viel höher stehen sie über diesen Gebilden aus der lebensfrohen, besten Zeit der Griechen. –
Im Gefolge der Malerei befindet sich die Mosaikkunst, die Kupferstechkunst, die Xylographie, die Lithographie, die Ornamentik, die Musterzeichnerei (für Tapeten, Stoffe, Stickereien).
Die Architektur und bildenden Künste unterstützen sich gegenseitig, denn im Grunde handelt es sich darum, die Wohnungen der Götter und Menschen nach den Gesetzen des Schönen herzurichten.
Wir können die Malerei und Plastik nicht verlassen, ohne der Pantomime, des Ballets und der lebenden Bilder gedacht zu haben. In ihnen vereinigen sich diese Künste mit dem wirklichen Leben; die Künstler bilden gleichsam in lebendem Stoff und stellen in ihm das Schöne vollkommen dar.
29.
Indem wir jetzt zur Poesie übergehen, halten wir uns gegenwärtig, daß wir es, in der Hauptsache, nicht mehr mit Objekten, sondern mit dem Ding an sich unmittelbar zu thun haben.
Wir mögen uns in unser Inneres so oft wir wollen und wann |
i157 immer versenken, stets werden wir uns in einem bestimmten Zustand fühlen. Wir haben in der Physik die Hauptzustände des Menschen untersucht, vom kaum merkbaren normalen Zustand bis zum leidenschaftlichsten Hasse, und haben, im Anfang dieser Aesthetik, noch andere kennen gelernt. Jeder Zustand ist zurückzuführen auf eine besondere innere Bewegung, entweder auf eine einfache oder eine Doppelbewegung.
Diese mit dem Selbstbewußtsein erfaßten Bewegungen sind das uns unmittelbar Gegebene und leiten uns zum nackten Kern unseres Wesens. Denn, indem wir zunächst auf Das achten, was uns überhaupt bewegt, was wir unermüdlich wollen, gelangen wir zu Dem, was wir sind, nämlich unersättlicher Wille zum Leben, und indem wir uns diejenigen Zustände merken, in welche wir am leichtesten übergehen und die Motive zusammenstellen, welche uns am leichtesten bewegen, erkennen wir die Canäle, in die sich unser Wille vorzugsweise ergießt und nennen dieselben Charakterzüge, deren Summe unser eigenthümlicher Charakter, unser Dämon, ist.
Es gehört nun zur Natur des Menschen, daß zunächst seine expansiven Bewegungen über die Sphäre der Individualität hinausdrängen, d.h. er hat das Streben, sich mitzutheilen und seinen Zustand zu verkündigen. So entstehen die Töne, welche nichts Anderes sind, als die hörbar gewordenen inneren Bewegungen: es sind Fortsetzungen der inneren Vibrationen in einem fremden Stoff.
Als mit den entwickelten und ausgebildeten höheren Geistesvermögen die Begriffe in das menschliche Leben traten, bemächtigte sich das Gefühl derselben und machte die Naturlaute zu Trägern derselben. So entstand die Sprache, die das vollkommenste Mittel der Menschen ist, sich mitzutheilen und Zustände zu offenbaren.
In Worten und in ihrer besonderen Klangfarbe zeigt also der Mensch sein Inneres, und sie sind deshalb das Material der Dichtkunst, welche sich mit der höchsten Idee, dem Menschen, fast ausschließlich beschäftigt; denn sie bedient sich der anderen Ideen nur, um den Gefühlen des Menschen einen Hintergrund zu geben, von dem sie sich deutlicher abheben, und die schwärmerischeste Naturbeschreibung ist doch nichts Anderes, als der Ausdruck der Empfindung des bewegten Menschenherzens.
Ich sagte, daß es besonders die expansiven Bewegungen sind, welche sich mittheilen wollen. Und in der That werden die von der |
i158 Peripherie zum Centrum gehenden Bewegungen gewöhnlich von Lauten und Worten nicht begleitet. Nur in der größten Trauer schluchzt der natürliche Mensch, in der höchsten Angst schreit er. Indessen sind wir durch die Civilisation Gern- und Vielsprecher geworden; die meisten Menschen sind redselig, hören sich mit Lust zu und sind glücklich, wenn sie ihren Haß, ihre Trauer, ihre Besorgnisse u.s.w. mittheilen: kurz, ihr Herz ausschütten können.
30.
Die Poesie ist die höchste Kunst, weil sie einerseits das ganze Ding an sich enthüllt, seine Zustände und seine Qualitäten, und andererseits auch das Objekt abspiegelt, indem sie es beschreibt und den Zuhörer zwingt, es mit der Einbildungskraft darzustellen. Sie umfaßt also im wahren Sinne die ganze Welt, die Natur, und spiegelt sie in Begriffen.
Hieraus ergiebt sich das erste Gesetz des Subjektiv-Schönen für die Poesie. Die Begriffe sind Inbegriffe und die meisten von ihnen Inbegriffe gleicher oder sehr ähnlicher Objekte. Je enger die Sphäre eines Begriffes der letzteren Art ist, desto leichter wird er realisirt, d.h. desto leichter findet der Geist einen anschaulichen Repräsentanten dafür, und je enger wiederum ein solcher Begriff durch eine nähere Bestimmung wird, desto anschaulicher wird auch der Repräsentant werden. Der Uebergang vom Begriff Pferd zur Vorstellung eines Pferdes wird leicht bewerkstelligt; es wird sich jedoch der Eine ein schwarzes, der Andere ein weißes, der Eine ein altes, der Andere ein junges, der Eine ein träges, der Andere ein feuriges u.s.w. vorstellen. Sagt der Dichter nun: ein feuriges schwarzes Pferd, so zwingt er den Leser oder Zuhörer zu einer bestimmten Vorstellung, die keine große Spielweite mehr für Modifikationen hat. Das Subjektiv-Schöne der Causalität fordert also vor Allem eine poetische Sprache, d.h. Begriffe, die den Uebergang zum Bilde leicht machen.
Ferner tritt das Schöne der Causalität in den Verbindungen von Begriffen, in den Sätzen, als Klarheit und Uebersichtlichkeit hervor. Je länger die Periode ist, je mehr Zwischenglieder sie enthält, desto weniger schön ist der Stil. Was klar gedacht oder rein empfunden ist, wird auch klar und rein gesprochen und geschrieben. Kein style empesé, sondern knappe Diktion, ein »keuscher Stil.«
i159 Spiegelt der Dichter lediglich Stimmungen, so fordert das Schöne der Causalität edle, prägnante Wiedergabe derselben und ein richtiges Verhältniß der Wirkung zur Ursache. Wird gejammert um Nichts, oder greift der Dichter nach dem Golde der Sonne, um seine Geliebte damit zu schmücken, so verliert sich das Schöne spurlos, denn es ist immer maßvoll.
Zeigt uns der Dichter dagegen Willensakte, so tritt das Schöne der Causalität als strenges Gesetz der Motivation auf, welches nie straflos verletzt werden kann. Es ist so unmöglich, daß Jemand ohne zureichendes Motiv handle, als ein Stein in der Luft verbleiben kann, und ebenso unmöglich ist es, daß er gegen seinen Charakter handle ohne zwingendes Motiv. Jede Handlung verlangt also eine genaue Begründung, und je faßlicher das Motiv zur Handlung ist, desto schöner ist es. Tritt der Zufall im engsten Sinne in’s Spiel, so darf er nicht aus heiterem Himmel kommen, sondern muß sich schon in der Ferne gezeigt haben; denn im wirklichen Leben versöhnt man sich bald mit überraschenden Zufällen, aber in der Kunst verstimmt jede Unwahrscheinlichkeit, weil man ihr Absicht unterschiebt, und jeder deus ex machina ist häßlich.
Das Schöne der Causalität zeigt sich schließlich noch in der gedrängten Entwicklung. Der gewöhnliche Fluß des Lebens ist nur zu häufig uninteressant, die Stimmungen sind auf Stunden vertheilt, Wirkungen zeigen sich oft erst nach Tagen, Monaten. Der Dichter concentrirt Alles und giebt gleichsam in einem Tropfen Rosenöl den Duft von tausend Rosen. Die Begebenheiten folgen rascher aufeinander, die Wirkungen werden näher an die Ursachen gerückt, und der Zusammenhang wird dadurch übersichtlicher, d.h. schöner.
Das Schöne der Zeit ist in der Poesie das Metrum. Die Begriffe sind einfache Sylben oder Zusammensetzungen solcher von ungleicher Länge und verschiedener Betonung. Werden nun die Worte ohne Rücksicht auf diese Quantität und Qualität verbunden, so fließt das Ganze nicht leicht hin, sondern ist einem Strome mit Eisplatten zu vergleichen, die sich reiben und stoßen. Es ist nicht nothwendig, daß die Rede durchaus gemessen sei, auch in der Prosa ist ein eleganter Fluß möglich, wenn die Massen wenigstens rhythmisch gegliedert sind, aber natürlich offenbart sich das Schöne der Zeit vollkommen in der gebundenen Rede. Jedes Versmaß ist |
i160 schön, das eine mehr, das andere weniger, und die Sapphische Strophe z.B.
– Î – Í – Î Î – Î – Í
– Î – Í – Î Î – Î – Í
– Î – Í – Î Î – Î – Í
– Î Î – Í
erfreut als bloßes Schema.
Wie ich schon oben erklärte, tritt in der Poesie (und in der Musik) auch das Formal-Schöne der Substanz auf, weil die Mittheilung von Gefühlen nur durch substanzielle Objekte, Worte und Töne, möglich ist. Es zeigt sich hier im Wechsel der Vocale (Vermeidung harter Consonantenhäufungen, melodische Vocalisation) und besonders im Reime, der oft von zauberhafter Wirkung ist; beim gesprochenen Wort offenbart es sich im Wohllaut der Stimme.
31.
Es ist klar, daß das hier erörterte Subjektiv-Schöne den Unterschied zwischen idealer und realistischer Poesie nicht begründen kann; denn die Poesie hat die Offenbarung des Dinges an sich zum Hauptzweck, und dieses ist unabhängig vom Subjektiv-Schönen. Das Subjektiv-Schöne, nach seinen verschiedenen Richtungen hin, legt sich nur um die Aeußerungen des inneren Menschen.
Die ideale Poesie beruht auf der schönen Seele, welche das echte Ideal der Poesie ist; denn es ist dem Ideal wesentlich, daß es ein Mittleres sei, und die schöne Seele ist gleichweit entfernt vom erhabenen Charakter, der in sich alle menschliche Begierde ausgelöscht hat und nicht mehr in dieser Welt wurzelt, wie vom reinen Naturmenschen, der noch nicht seine Individualität zur Persönlichkeit durchgebildet hat.
Wenn wir deshalb der gewöhnlichen Eintheilung der Poesie in lyrische, epische und dramatische Poesie folgen, so werden wir der idealen Lyrik den Zweck setzen, die Stimmungen der schönen Seele, die sich von allen Extremen fern hält, in makelloser Form zu offenbaren, ihre Thaten zu loben und zu preisen und ihr reines Verhältniß zur Gottheit zu besingen. Die schöne Seele ist nicht kalt an sich, wohl aber im Vergleich mit der leidenschaftlichen Individualität; denn diese ist eine heftig bewegte Flamme, jene ein ruhiges |
i161 klares Licht. Uebrigens liegt es ja im Wesen der schönen Seele, wie ich bereits hervorgehoben habe, daß sie der leidenschaftlichen Erregung wohl fähig ist, aber in einer Weise, welche die wohlthuende Gewißheit giebt, daß die Rückkehr zum Gleichgewicht bald wieder erfolgen wird. Ihre Empfindung darf also eine schwungvolle sein.
Der realistische Lyriker dagegen wird sich mehr gehen lassen und hingleiten auf den Wogen der verschiedenartigsten Empfindungen.
Da die epische Dichtkunst in ihren größeren Werken uns die Charaktere, Stimmungen und Handlungen vieler Personen vorführt, so muß das Feld für die Epik weiter abgesteckt werden. Man kann ihr nur die Aufgabe geben, die Mehrzahl der Charaktere frei von Rohheit einerseits und frei von ausgeprägtem Individualismus andererseits zu zeichnen. Die Gesänge Homer’s werden in dieser Hinsicht immer mustergiltig bleiben. Seine Helden sind nicht überschwänglich edel und nicht gemein; sie verfolgen reale Zwecke, durchweg getragen von einer jugendlich starken Weltanschauung; sie fürchten die Götter, ohne zu zittern; sie ehren ihre Führer ohne Sclavensinn und entfalten ihre Individualität in den Grenzen der Sitte.