i29 sie die wichtige Verbindung Gemeinschaft da gebrauchen, wo eine gleichzeitige Verhakung verschiedener Kräfte, ein dynamischer Zusammenhang, nicht vorhanden ist, sondern wo eine einfache Einheit die unergründlichen Sphinxaugen auf sie richtet? Was soll schließlich die Substanz nützen, die nur das ideale Substrat der verschiedenartigen Wirksamkeit vieler Kräfte ist?
Und so erlahmen sie Alle!
Wir können mithin die einfache Einheit nur negativ bestimmen und zwar, auf unserem jetzigen Standpunkte, als: unthätig, ausdehnungslos, unterschiedslos, unzersplittert (einfach), bewegungslos, zeitlos (ewig).
Aber vergessen wir nicht und halten wir recht fest, daß diese räthselhafte, schlechterdings unerkennbare einfache Einheit mit ihrem transscendenten Gebiete untergegangen ist und nicht mehr existirt. An dieser Erkenntniß wollen wir uns aufrichten und uns mit frischem Muthe auf das bestehende Gebiet, das allein noch gültige, die klare und deutliche Welt, zurückbegeben.
26.
Aus dem Bisherigen folgt, daß sämmtliche Entwicklungsreihen, wir mögen ausgehen von was immer wir wollen, a parte ante in eine transscendente Einheit münden, welche unserer Erkenntniß ganz verschlossen, ein X, gleich Nichts ist, und wir können deshalb ganz wohl sagen, daß die Welt aus Nichts entstanden ist. Da wir jedoch einerseits dieser Einheit ein positives Prädicat, das der Existenz, beilegen müssen, obgleich wir uns von der Art dieses Daseins auch nicht den allerärmlichsten Begriff bilden können, und es andererseits unserer Vernunft schlechterdings unmöglich ist, eine Entstehung aus Nichts zu denken, so haben wir es mit einem relativen Nichts (nihil privativum) zu thun, welches als ein vergangenes, unfaßbares Ursein, in dem Alles, was ist, auf eine uns unbegreifliche Weise enthalten war, zu bezeichnen ist.
Hieraus ergiebt sich:
1) daß sämmtliche Entwicklungsreihen einen Anfang haben, (was übrigens schon aus dem Begriff Entwicklung mit logischer Nothwendigkeit folgt);
2) daß es deshalb keine unendlichen Causalreihen a parte ante geben kann;
i30 3) daß alle Kräfte entstanden sind; denn was sie auf transscendentem Gebiete, in der einfachen Einheit, waren, das entzieht sich völlig unserer Erkenntniß. Nur das können wir sagen, daß sie die bloße Existenz hatten. Ferner können wir apodiktisch sagen, daß sie in der einfachen Einheit nicht Kraft waren; denn die Kraft ist das Wesen, die essentia, eines Dinges an sich auf immanentem Gebiete. Was aber die einfache Einheit, in der doch Alles, was existirt, enthalten war, dem Wesen nach gewesen ist, – das ist, wie wir deutlich gesehen haben, unserem Geiste mit einem undurchdringlichen Schleier für alle Zeiten verhüllt.
Das transscendente Gebiet ist thatsächlich nicht mehr vorhanden. Gehen wir aber mit der Einbildungskraft in die Vergangenheit zurück bis zum Anfang des immanenten Gebietes, so können wir bildlich das transscendente neben das immanente Gebiet stellen. Doch trennt alsdann beide eine Kluft, die nie, durch kein Mittel des Geistes überschritten werden kann. Nur ein einziges dünnes Fädchen überbrückt den bodenlosen Abgrund: es ist die Existenz. Wir können auf diesem dünnen Fädchen alle Kräfte des immanenten Gebietes auf das transscendente hinüber schaffen: diese Last kann es tragen. Aber sobald die Kräfte auf dem jenseitigen Felde angekommen sind, hören sie auch auf, für menschliches Denken Kräfte zu sein, und deshalb gilt der wichtige Satz:
Obgleich Alles, was ist, nicht aus Nichts entstanden ist, sondern vorweltlich bereits existirte, so ist doch Alles, was ist, jede Kraft, eben als Kraft entstanden, d.h. sie hatte einen bestimmten Anfang.
27.
Zu diesen Resultaten gelangen wir also, wenn wir von irgend einem gegenwärtigen Sein in seine Vergangenheit zurückgehen. Jetzt wollen wir das Verhalten der Dinge auf dem fortrollenden Punkte der Gegenwart prüfen.
Zuerst blicken wir in das unorganische Reich, das Reich der einfachen chemischen Kräfte, wie Sauerstoff, Chlor, Jod, Kupfer u.s.w. So weit unsere Erfahrung reicht, ist noch niemals der Fall eingetreten, daß irgend eine dieser Kräfte, unter denselben Umständen, andere Eigenschaften gezeigt habe; ebenso ist kein Fall be|kannt
i31 wo eine chemische Kraft vernichtet worden wäre. Lasse ich Schwefel in alle möglichen Verbindungen treten und aus allen möglichen wieder heraustreten, so zeigt er wieder seine alten Eigenschaften und sein Quantum ist weder vermehrt, noch vermindert worden; wenigstens hat Jedermann, in letzterer Hinsicht, die unerschütterliche Gewißheit, daß dem so sei, und mit Recht: denn die Natur ist die einzige Quelle der Wahrheit und ihre Aussagen sind ganz allein zu beachten. Sie lügt niemals, und über das vorliegende Thema befragt, antwortet sie jedesmal, daß keine einfache chemische Kraft vergehen kann.
Trotzdem müssen wir zugeben, daß gegen diese Aussage skeptische Angriffe gemacht werden können. Was wollte man mir denn erwidern, wenn ich, ganz allgemein angreifend und ohne auch nur ein einziges Merkmal in der Materie anzuführen, woraus auf die Vergänglichkeit der in ihr sich objektivirenden Kraft geschlossen werden könnte, etwa sagte: Es ist richtig, daß bis jetzt noch kein Fall bekannt geworden ist, wo ein einfacher Stoff vernichtet worden wäre; aber dürft ihr behaupten, daß die Erfahrung in aller Zukunft Dasselbe lehren wird? Läßt sich a priori irgend etwas über die Kraft aussagen? Durchaus nicht; denn die Kraft ist total unabhängig vom erkennenden Subjekt, ist das echte Ding an sich. Der Mathematiker darf wohl aus der Natur von Einschränkungen des mathematischen Raumes – ob dieser gleich nur in unserer Einbildung besteht – Sätze von unbedingter Gültigkeit für das Formale der Dinge an sich ziehen, weil der dem mathematischen Raume zu Grunde liegende Punkt-Raum die Fähigkeit hat, nach drei Dimensionen auseinanderzutreten, und weil jedes Ding an sich nach drei Dimensionen ausgedehnt ist. Es ist ferner ganz gleich, ob ich von einer bestimmten realen Succession im Wesen eines Dinges an sich spreche, oder ob ich dieselbe in die ideale Succession übersetze, d.h. sie in ein Zeitverhältniß bringe; denn die ideale Succession hält gleichen Schritt mit der realen. Aber der Naturforscher darf Nichts aus der Natur der idealen Verbindung Substanz folgern, was die Kraft beträfe; denn ich kann nicht oft genug wiederholen, daß das Wesen der Materie in jeder Beziehung, toto genere, von dem Wesen der Kraft, verschieden ist, obgleich diese ihre Eigenschaften bis in’s Kleinste genau in der Materie abdrückt. Wo sich die reale Kraft und die ideale Materie berühren, da ist eben der wichtige Punkt, von wo aus die |
i32 Grenze zwischen dem Idealen und Realen gezogen werden muß, wo der Unterschied zwischen Objekt und Ding an sich, zwischen Erscheinung und Grund der Erscheinung, zwischen der Welt als Vorstellung und der Welt als Kraft, offen zu Tage liegt. So lange die Welt ist, so lange werden die Dinge in ihr nach drei Richtungen ausgedehnt sein; so lange die Welt ist, so lange werden sich diese Kraftsphären bewegen; aber wißt ihr denn was für neue – (für euch neue, nicht neu entstehende) – Naturgesetze euch eine spätere Erfahrung entdecken lassen wird, die euch das Wesen der Kraft auch in einem ganz neuen Lichte erscheinen lassen werden? Denn es steht felsenfest, daß über das innerste Wesen der Kraft nie a priori, sondern stets nur an der Hand der Erfahrung eine Aussage möglich ist. Ist aber euere Erfahrung abgeschlossen? Haltet ihr schon alle Naturgesetze in der Hand?
Was wollte man mir erwidern?
Daß nun überhaupt solche skeptischen Angriffe auf den obigen Satz gemacht werden können, muß uns sehr vorsichtig stimmen und uns bestimmen, die Frage für die Physik, namentlich aber für die Metaphysik, in der die Fäden aller unserer Untersuchungen auf rein immanentem Gebiete zusammenlaufen werden, offen zu halten. Hier aber, in der Analytik, wo uns das Ding an sich als etwas ganz Allgemeines entgegengetreten ist, wo wir mithin den niedrigsten Standpunkt für das Ding an sich einnehmen, müssen wir bedingungslos die Aussage der Natur, daß eine einfache chemische Kraft nie vergeht, billigen.
Nehmen wir dagegen eine chemische Verbindung, z.B. Schwefelwasserstoff, so ist diese Kraft bereits vergänglich. Sie ist weder Schwefel, noch Wasserstoff, sondern ein Drittes, eine fest in sich geschlossene Kraftsphäre, aber eine zerstörbare Kraft. Zerlege ich sie in die Grundkräfte, so ist sie vernichtet. Wo ist jetzt diese eigenthümliche Kraft, welche einen ganz bestimmten, vom Schwefel sowohl, als vom Wasserstoff verschiedenen Eindruck auf mich machte? Sie ist todt, und wir können uns ganz wohl denken, daß diese Verbindung überhaupt, unter gewissen Umständen, aus der Erscheinung für immer treten wird.
Im organischen Reich ist durchweg Dasselbe der Fall. Der Unterschied zwischen chemischer Verbindung und Organismus wird uns in der Physik beschäftigen; hier geht er uns Nichts an. Jeder |
i33 Organismus besteht aus einfachen chemischen Kräften, die, wie Schwefel und Wasserstoff im Schwefelwasserstoff, in einer einzigen höheren, durchaus geschlossenen und einheitlichen, Kraft aufgehoben sind. Bringen wir einen Organismus in das chemische Laboratorium und untersuchen ihn, so werden wir immer, er sei ein Thier oder eine Pflanze, nur einfache chemische Kräfte in ihm finden.
Was sagt nun die Natur, wenn wir sie über die in einem Organismus lebende höhere Kraft befragen? Sie sagt: die Kraft ist da, so lange der Organismus lebt. Löst er sich auf, so ist die Kraft todt. Ein anderes Zeugniß giebt sie nicht ab, weil sie nicht kann. Es ist ein Zeugniß von der allergrößten Wichtigkeit, das nur ein verdunkelter Geist verdrehen kann. Stirbt ein Organismus, so werden die in ihm gebundenen Kräfte wieder frei ohne den geringsten Verlust, aber die Kraft, welche die chemischen Kräfte seither beherrschte, ist todt. Soll sie noch getrennt von ihnen leben? Wo ist der zerstörte Schwefelwasserstoff? wo die höhere Kraft der verbrannten Pflanze oder des getödteten Thieres? Schweben sie zwischen Himmel und Erde? Flogen sie auf einen Stern der Milchstraße? Die Natur, die einzige Quelle der Wahrheit, kann allein Auskunft geben, und die Natur sagt: sie sind todt.
So unmöglich es für uns ist, ein Entstehen aus Nichts zu denken, so leicht können wir uns alle Organismen und alle chemischen Verbindungen für immer vernichtet denken.
Aus diesen Betrachtungen ziehen wir folgende Resultate:
1) alle einfachen chemischen Kräfte sind, so weit unsere Erfahrung bis jetzt reicht, unzerstörbar;
2) alle chemischen Verbindungen und alle organischen Kräfte sind dagegen zerstörbar.
Die Verwechselung der Substanz mit den chemischen einfachen Kräften ist so alt, wie die Philosophie selbst. Das Gesetz der Beharrlichkeit der Substanz lautet:
»Die Substanz ist unentstanden und unvergänglich.«
Nach unseren Untersuchungen ist die Substanz eine ideale Verbindung, auf Grund der apriorischen Verstandesform Materie, und die Natur ein Ganzes von Kräften. Das gedachte Gesetz würde also in unserer Sprache lauten:
Alle Kräfte in der Welt sind unentstanden und unvergänglich.
Wir haben dagegen in redlicher Forschung gefunden:
i34 1) daß alle Kräfte, ohne Ausnahme, entstanden sind;
2) daß nur einige Kräfte unvergänglich sind.
Zugleich machten wir jedoch den Vorbehalt, diese Unvergänglichkeit der einfachen chemischen Kräfte in der Physik und Metaphysik nochmals zu prüfen.
28.
Wir haben gesehen, daß jedes Ding an sich eine Kraftsphäre hat, und daß dieselbe kein eitler Schein ist, den die apriorische Verstandesform Raum aus eigenen Mitteln hinzaubert. Wir haben ferner, vermittelst der außerordentlich wichtigen Verknüpfung Gemeinschaft, erkannt, daß diese Kräfte im innigsten dynamischen Zusammenhang stehen, und gelangten so zu einer Totalität von Kräften, zu einer fest geschlossenen Collectiv-Einheit.
Hiermit aber haben wir die Endlichkeit des Weltalls behauptet, was jetzt näher zu begründen ist. Werden wir uns zuvor über die Bedeutung der Sache klar. Nicht um ein geschlossenes endliches immanentes Gebiet, welches jedoch von allen Seiten von einem unendlichen transscendenten umgeben wäre, handelt es sich; sondern, da das transscendente Gebiet thatsächlich nicht mehr existirt, um ein allein noch existirendes immanentes, das endlich sein soll.
Wie kann diese scheinbar dreiste Behauptung begründet werden? Wir haben nur zwei Wege vor uns. Entweder liefern wir den Beweis mit Hülfe der Vorstellung, oder rein logisch. –
Der Punkt-Raum ist, wie ich oben sagte, gleich gefällig, einem Sandkorn und einem Palast die Grenze zu geben. Bedingung ist nur, daß er von einem Dinge an sich, oder in Ermangelung eines solchen, von einem reproducirten Sinneseindruck sollicitirt werde. Nun haben wir eine vorliegende Welt: unsere Erde unter uns, und den gestirnten Himmel über uns, und einem naiven Gemüth mag es deshalb wohl scheinen, daß die Vorstellung einer endlichen Welt möglich sei. Die Wissenschaft zerstört aber diesen Wahn. Mit jedem Tage erweitert sie die Kraftsphäre des Weltalls, oder, subjektiv ausgedrückt, zwingt sie täglich den Punktraum des Verstandes, seine drei Dimensionen zu verlängern. Die Welt ist also einstweilen noch unermeßlich groß, d.h. der Verstand kann ihr noch keine Grenze setzen. Ob er dazu gelangen wird, müssen wir dahingestellt sein lassen. Wir müssen demnach darauf verzichten, das Weltall im Kleinen in ähnlicher Weise |
i35 anschaulich zu gestalten, wie wir durch plastische Nachbildung der Erdoberfläche die Gestaltung unserer Erde uns faßlich machen, und müssen es geradezu aussprechen, daß wir auf dem Wege der Vorstellung nicht zum Ziele gelangen, also auf anschauliche Weise die Endlichkeit der Welt nicht beweisen können. Somit bleibt uns nur die unerbittliche Logik.
Und, in der That, es fällt ihr außerordentlich leicht, die Endlichkeit der Welt zu beweisen.
Das Weltall ist nicht eine einzige Kraft, eine einfache Einheit, sondern ein Ganzes von endlichen Kraftsphären. Nun kann ich keiner dieser Kraftsphären eine unendliche Ausdehnung geben; denn erstens würde ich damit den Begriff selbst zerstören, dann die Mehrzahl zur Einzahl machen, d.h. der Erfahrung in’s Gesicht schlagen. Neben einer einzigen unendlichen hat keine andere Kraftsphäre mehr Platz, und das Wesen der Natur wäre einfach aufgehoben. Eine Totalität endlicher Kraftsphären muß aber nothwendig endlich sein.
Hiergegen wäre einzuwenden, daß zwar in der Welt nur endliche Kräfte anzutreffen, daß aber unendlich viele endlichen Kräfte vorhanden seien, folglich sei die Welt keine Totalität, sondern sie sei unendlich.
Hierauf ist zu erwidern: Alle Kräfte der Welt sind entweder einfache chemische Kräfte, oder Verbindungen solcher. Erstere sind zu zählen und ferner sind alle Verbindungen auf diese wenigen einfachen Kräfte zurückzuführen. Unendlich kann, wie oben ausgeführt wurde, keine einfache Kraft sein, wenn wir auch jede summarisch als unermeßlich groß bezeichnen dürfen. Folglich ist die Welt, im Grunde genommen, die Summe der einfachen Kräfte, welche alle endlich sind, d.h. die Welt ist endlich.
Warum lehnt sich nun etwas in uns gegen dieses Resultat immer und immer wieder auf? Weil die Vernunft mit der Verstandesform Raum Mißbrauch treibt. Der Raum hat nur Bedeutung für die Erfahrung; er ist nur eine Bedingung a priori der Möglichkeit der Erfahrung, ein Mittel, um die Außenwelt zu erkennen. Die Vernunft ist, wie wir gesehen haben, nur dann berechtigt, von sich aus den Raum auseinander treten zu lassen (wie man auf die Feder eines Stockdegens drückt), wenn sie reproducirt oder für die Mathematik die reine Anschauung einer Räumlichkeit |
i36 herzustellen hat. Es ist klar, daß der Mathematiker eine solche Räumlichkeit nur in den kleinsten Dimensionen nöthig hat, um seine sämmtlichen Beweise zu demonstriren; es ist aber auch klar, daß gerade die Herstellung des mathematischen Raums für den Mathematiker die Klippe ist, an der die Vernunft pervers wird und den Mißbrauch begeht. Denn wenn wir die logisch gesicherte Endlichkeit der Welt (so gut es eben gehen mag) im Bilde zu erfassen uns bestreben und den Raum zu diesem Zwecke auseinander treten lassen, so veranlaßt sofort die perverse Vernunft den Raum, seine Dimensionen über die Grenzen der Welt hinaus zu erweitern. Dann wird die Klage laut: wir haben zwar eine endliche Welt, aber in einem Raume, den wir nie vollenden können, weil sich die Dimensionen immerfort verlängern (oder besser: wir haben zwar eine endliche Welt, aber im absoluten Nichts).
Hiergegen giebt es nur ein Mittel. Wir haben uns kräftig auf die logische Endlichkeit der Welt und auf die Erkenntniß zu stützen, daß der zu einem grenzenlosen mathematischen Raume mit Zwang erweiterte Punkt-Raum ein Gedankending ist, in unserem Kopfe allein existirt und keine Realität hat. Auf diese Weise sind wir wie gefeit und widerstehen mit kritischer Besonnenheit der Versuchung, einsame Wollust mit unserem Geiste zu treiben und die Wahrheit dabei zu verrathen.
29.
Ebenso kann uns nur kritische Besonnenheit vor anderen großen Gefahren behüten, die ich jetzt darlegen will.
Wie es in der Natur des Punkt-Raumes liegt, daß er von Null in indefinitum nach drei Dimensionen auseinander tritt, so liegt es auch in seiner Natur, irgend eine beliebige reine (mathematische) Räumlichkeit immer kleiner werden zu lassen, bis er wieder Punkt-Raum, d.h. Null ist. Wie die Schnecke ihre Fühlhörner, so zieht er seine Dimensionen in sich zurück und wird wieder unthätige Verstandesform. Diese subjektive Fähigkeit, Raum genannt, kann gar nicht anders beschaffen gedacht werden, denn sie ist eine Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und für die Außenwelt allein veranlagt, ohne welche sie gar keine Bedeutung hat. Nun sieht aber selbst der Blödeste ein, daß eine Erkenntnißform, die einerseits den verschiedenartigsten Dingen (den größten und den kleinsten und bald |
i37 den größten, bald den kleinsten) als Objekten die Grenze setzen, andererseits auch helfen soll, die Totalität aller Dinge an sich, das Weltall, zu erfassen, im Fortschreiten sowohl als im Rückschreiten bis Null, unbeschränkt sein muß; denn hätte sie eine Grenze für das Auseinandertreten, so könnte sie eine reale Kraftsphäre jenseits dieser Grenze nicht gestalten; und hätte sie für das Zurücktreten eine Grenze vor Null, so würden alle diejenigen Kraftsphären für unsere Erkenntniß ausfallen, welche zwischen Null und dieser Grenze lägen.
Im letzten Abschnitt haben wir gesehen, daß die Vernunft mit der Grenzenlosigkeit des Punkt-Raumes im Auseinandertreten Mißbrauch treiben und zu einem endlichen Weltall in einem unendlichen Raume gelangen könne. Jetzt haben wir den Mißbrauch zu beleuchten, den die Vernunft mit der Schrankenlosigkeit des Raumes im Zurückschreiten bis Null treibt, oder mit anderen Worten: wir stehen vor der unendlichen Theilbarkeit des mathematischen Raumes.
Denken wir uns eine reine Räumlichkeit, etwa einen Kubikzoll, so können wir diesen in indefinitum theilen, d.h. das Zurücktreten der Dimensionen in den Nullpunkt wird immer verhindert. Wir mögen theilen jahrelang, jahrhundertelang, jahrtausendelang – immer würden wir vor einer Resträumlichkeit stehen, die nochmals getheilt werden kann u.s.w. in infinitum. Hierauf beruht die sogenannte unendliche Theilbarkeit des mathematischen Raumes, wie auf dem Auseinandertreten in infinitum des Punkt-Raumes die Unendlichkeit des mathematischen Raumes beruht.
Was thun wir aber, indem wir von einer bestimmten Räumlichkeit ausgehen und sie rastlos theilen? Wir spielen mit Feuer, wir sind große Kinder, denen jeder Besonnene auf die Finger schlagen soll. Oder ist etwa unser Verfahren nicht dem von Kindern zu vergleichen, welche in Abwesenheit der Eltern, eine geladene Pistole, die einen ganz bestimmten Zweck hat, zwecklos handhaben? Der Raum ist nur für die Erkenntniß der Außenwelt bestimmt; er soll jedes Ding an sich, es sei so groß wie der Montblanc, oder so klein wie ein Infusionsthierchen, begrenzen: das ist sein Zweck, wie der der geladenen Pistole, einen Einbrecher zu Boden zu strecken. Nun lösen wir aber den Raum von der Außenwelt ab und machen ihn |
i38 dadurch zu einem gefährlichen Spielzeug, oder wie ich schon oben, nach Pückler, sagte: wir treiben mit unserem Geiste »einsame Wollust.«
30.
Die Theilung in indefinitum einer gegebenen reinen Räumlichkeit hat übrigens insofern eine unschuldige Seite, als ein Gedankending, eine Räumlichkeit, welche nur im Kopfe des Theilenden liegt und keine Realität hat, getheilt wird. Ihre Gefährlichkeit wird aber verdoppelt, wenn die unendliche Theilbarkeit des mathematischen Raumes, geradezu frevelhaft, auf die Kraft, das Ding an sich, übertragen wird. Auch folgt dem unsinnigen Beginnen sofort die Strafe auf dem Fuße: der logische Widerspruch.
Jede chemische Kraft ist theilbar; hiergegen läßt sich nichts einwenden, denn so lehrt die Erfahrung. Aber sie besteht vor der Theilung nicht aus Theilen, ist kein Aggregat von Theilen, denn die Theile werden erst wirklich in der Theilung selbst. Die chemische Kraft ist eine homogene einfache Kraft von durchaus gleicher Intensität und hierauf beruht ihre Theilbarkeit, d.h. jeder abgelöste Theil ist, seinem Wesen nach, nicht im geringsten von dem Ganzen verschieden.
Sehen wir nun von der realen Theilung ab, welche sowohl die Natur nach ihren Gesetzen, als auch der Mensch in planvoller Arbeit zu practischem Nutzen bewerkstelligt, und deren Resultat immer bestimmte Kraftsphären sind, so verbleibt die müßige frivole Theilung.
Die perverse Vernunft nimmt irgend einen Theil einer chemischen Kraft, etwa einen Kubikzoll Eisen, und theilt ihn in Gedanken immerfort, immerfort in indefinitum, und gewinnt zuletzt die Ueberzeugung, daß sie niemals, möchte sie auch Billionen Jahre lang theilen, zu einem Ende käme. Zugleich aber sagt ihr die Logik, daß ein Kubikzoll Eisen, also eine endliche Kraftsphäre, unmöglich aus unendlich vielen Theilen zusammengesetzt sein könne, ja daß es überhaupt gänzlich unstatthaft sei, von unendlich vielen Theilen eines Objekts zu sprechen; denn lediglich in der ungehinderten Thätigkeit in indefinitum eines Erkenntnißvermögens besteht die Unterlage für den Begriff Unendlichkeit, |
i39 hier also im ungehinderten Progressus der Theilung, nie, nie auf realem Gebiete.
In die Höhle hinein kann also die perverse Vernunft an der Hand der rastlosen Theilung, aber, einmal darin, muß sie auch immer vorwärts. Zurück zur endlichen Kraftsphäre, von der sie ausgegangen ist, kann sie nicht mehr. In dieser verzweifelten Lage reißt sie sich nun von ihrem Führer gewaltsam los und postulirt das Atom, d.h. eine Kraftsphäre, die nicht mehr theilbar sein soll. Natürlich kann sie jetzt, durch Aneinanderfügung solcher Atome, zum Kubikzoll Eisen zurück, aber um welchen Preis: sie hat sich in Widerspruch mit sich selbst gesetzt!
Will der Denker redlich bleiben, so muß er besonnen sein. Die Besonnenheit ist die einzige Waffe gegen den Mißbrauch, den eine perverse Vernunft mit unserem Erkenntnißvermögen zu treiben aufgelegt ist. Im vorliegenden Fall wird also von uns auf realem Gebiete die Theilbarkeit der chemischen Kräfte gar nicht in Frage gestellt. Wohl aber sträuben wir uns aus aller Macht erstens gegen die unendliche Theilbarkeit der Kräfte, weil eine solche nur behauptet werden kann, wenn, auf die tollste Weise, auf das Ding an sich das (außerdem mißbrauchte) Wesen eines Erkenntnißvermögens übertragen wird; zweitens gegen die Zusammensetzung der Kraft aus Theilen. Wir verwerfen also die unendliche Theilbarkeit der Kraft und das Atom.
Wie ich oben sagte, muß ein Erkenntnißvermögen, das allen Kräften, die in einer Erfahrung vorkommen können, die Grenzen setzen soll, nothwendig so beschaffen sein, daß es unbeschränkt auseinander treten kann und auf dem Rückweg nach Null, keinerlei Grenze vorfindet. Wenden wir es jedoch einseitig an, d.h. abgelöst von der Erfahrung, für die es doch allein bestimmt ist, und machen Schlüsse, welche wir aus seiner Natur zogen, verbindlich für das Ding an sich, so gerathen wir in Widerspruch mit der reinen Vernunft: ein großes Uebel!
31.
Wir haben schließlich noch mit kritischem Geiste einer Gefahr zu entfliehen, die sich aus der Zeit erhebt.
Die Zeit ist, wie wir wissen, eine ideale Verbindung a posteriori, auf Grund der apriorischen Form Gegenwart gewonnen, |
i40 und ist Nichts ohne die Grundlage der realen Succession. Mit ihrer mächtigen Führung gelangten wir zum Anfang der Welt, an die Grenze einer untergegangenen vorweltlichen Existenz, des transscendenten Gebietes. Hier wird sie ohnmächtig, hier mündet sie in eine vergangene Ewigkeit, welches Wort lediglich die subjektive Bezeichnung für den Mangel an aller und jeder realen Succession ist.
Die kritische Vernunft bescheidet sich; nicht so die perverse Vernunft. Diese ruft die Zeit wieder in’s Leben zurück und stachelt sie an, in indefinitum weiterzueilen ohne reale Unterlage, ungeachtet der waltenden Ewigkeit.
Hier liegt nackter als irgendwo der Mißbrauch zu Tage, der mit einem Erkenntnißvermögen gemacht werden kann. Leere Momente werden unaufhörlich verbunden und eine Linie wird fortgesetzt, welche bis zum transscendenten Gebiete wohl eine feste, sichere Grundlage, die reale Entwicklung, hatte, jetzt aber in der Luft schwebt.
Wir haben hier nichts Anderes zu thun, als uns auf die reine Vernunft zu stützen und das thörichte Treiben einfach zu verbieten.
Wenn nun auch a parte ante die reale Bewegung, deren subjektiver Maßstab die Zeit allein ist, einen Anfang hatte, so ist damit doch keineswegs gesagt, daß sie a parte post ein Ende haben müsse. Die Lösung dieses Problems hängt von der Antwort auf die Frage ab: sind die einfachen chemischen Kräfte unzerstörbar? Denn es ist klar, daß die reale Bewegung endlos sein muß, wenn die einfachen chemischen Kräfte unzerstörbar sind.
Hieraus folgt also:
1) daß die reale Bewegung einen Anfang genommen hat;
2) daß die reale Bewegung endlos ist. Letzteres Urtheil fällen wir mit dem Vorbehalt einer Revision in der Physik und Metaphysik.
32.
Diese Untersuchungen und die früheren unseres Erkenntnißvermögens begründen nach meiner Ueberzeugung den echten transscendentalen oder kritischen Idealismus, der nicht mit Worten allein, sondern wirklich den Dingen an sich ihre empirische Realität läßt, d.h. ihnen Ausdehnung und Bewegung, unabhängig vom Subjekt, von Raum und Zeit, zugesteht. Sein Schwer|punkt
i41 liegt in der materiellen Objektivirung der Kraft, und ist er in dieser Hinsicht transscendental, welches Wort die Abhängigkeit des Objekts vom Subjekt bezeichnet.
Kritischer Idealismus dagegen ist er, weil er die perverse Vernunft (perversa ratio) zügelt und ihr nicht gestattet:
a. die Causalität zur Herstellung unendlicher Reihen zu mißbrauchen;
b. die Zeit von ihrer unentbehrlichen Grundlage, der realen Entwicklung, abzulösen und sie zu einer Linie leerer Momente zu machen, die aus der Unendlichkeit kommt und in die Unendlichkeit weitereilt;
c. den mathematischen Raum und die Substanz für mehr als bloße Gedankendinge zu halten, und