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Fünftes Kapitel 5 page

»Du bist zu leichtsinnig«, antwortete Franz, »es ist nicht das erstemal, daß ich es bemerke, wie du dir vorsätzlich das schönere Gefühl ableugnest, um einer sinnlichen Schwärmerei nachzuhängen.«

»Nur nicht wieder diese grellen Unterschiede!« rief Rudolph aus; »denn das ist der ewige Punkt unseres Streites.«

»Aber ich verstehe dich nicht.«

»Mag sein!« schloß Florestan, »das Gespräch darüber ist mir jetzt zu umständlich; wir reden wohl ein andermal davon.«

Franz war ein wenig auf seinen Freund erzürnt; denn es war nicht das erstemal, daß sie so miteinander stritten. Florestan betrachtete alle Gegenstände leichter und sinnlicher, es war oft dieselbe Empfindung, die Franz nur mit andern Worten ausdrückte; es fügte sich wohl, daß Sternbald nach einiger Zeit denselben Gedanken äußerte, oft kam auch Rudolph später zu dem Gefühl, dem er kurz vorher an seinem Freunde widersprochen hatte. Wenn die Menschen Meinungen wechseln, so entsteht nur gar zu oft ein blindes Spiel des Zufalls daraus, aus dem Wunsche sich mitzuteilen erwacht die Sucht zu streiten, und wir widersprechen oft, statt uns zu bemühn, die Worte des andern zu verstehen.

Nachdem Franz eine Weile geschwiegen hatte, fuhr er fort: »Oh, mein Florestan, was ich mir wünsche, in meinem eigentümlichen Handwerke das auszudrücken, was mir jetzt Geist und Herz bewegt, diese Fülle der Anmut, diese ruhige, scherzende Heiterkeit, die mich umgibt. Malen möchte ich es, wie in dem Luftraume sich edle Geister bewegen, und durch den Frühling schreiten, so daß aus dem Bilde ein ewiger Frühling mit unverwelklichen Blüten prangte, der jedem Auge auch nach meinem Tode neu aufginge und den freundlichen Willkommen entgegenbrächte. Meinst du nicht, daß es dem großen Künstler möglich sei, in einem Historiengemälde, oder auch auf andere Weise, einem fremden Herzen das deutlich hinzugeben, was wir jetzt empfinden?«

»Ich glaube es wohl«, antwortete Florestan, »und vielleicht gelingt es manchem, ohne daß er es sich gerade vorsetzt. Geh nach Rom, mein Freund, und dieser ewige Frühling, nach dem du dich sehnst, blüht dort im Gartensaale meines Beschützers und Freundes, des reichen Augustin Chigi. Der göttliche Raffael hat ihn dort hingezaubert, und man nennt diese Bilder gewöhnlich die Geschichte des Amor und der Psyche. Diese Luftgestalten schweben dort, vom blauen Äther umgeben, und bedeutungsvoll von großen frischen Blumenkränzen und Früchten umschlungen. Da ist alle Herrlichkeit der Erde und des Himmels, die Leiden und die Lust der Liebe, und scherzend und wandelnd durch die Ätherbläue Amor und seine Geliebte, trauernd und froh, alle Götter im hohen Rat, und aller Ernst in milder Lieblichkeit und alle Lieblichkeit groß und göttlich, ja die ewige Jugend, der nie verblühende Frühling, das paradiesische Entzücken ist von dem Jünglingsgeiste, dem prophetischen Raffael, in seiner schönsten Begeisterung hingezaubert, die Verkündigung der Liebe und der Blumenschönheit, daß alle Herzen der Liebe und der Sehnsucht dienen sollen: das Göttlichste, der Zauber, der den Himmel umflicht, und die Erde mit ewiger Jugend umgürtet, ist dem Menschenherzen vertraulich nahe gerückt, und den sterblichen Augen enthüllen sich die Seligkeiten des Olympus. Und dann im Nebenzimmer der verkörperte Traum süßester Wollust, Galatea im Meere, auf ihrem Muschelwagen fahrend! O mein Franz, gedulde dich, bis du in Rom bist, dann tu Augen und Herz auf, und du darfst nachher sterben.«



»Ach, Raffael!« sagte Franz Sternbald, »wie viel hab ich nun schon von dir reden hören; wenn ich dich nur noch im Leben anträfe!«

»Ich will dir noch ein Lied vom Frühlinge singen«, sagte Rudolph.

Sie standen beide auf, und Florestan sang. Er präludierte auf seiner Flöte, und zwischen jeder Strophe spielte er einige Töne, die artig zum Liede paßten.

»Vöglein kommen hergezogen, Setzen sich auf dürre Äste: – ›Weit, ach weit sind wir geflogen, Angelockt vom Frühlingsweste.‹ Also klagen sie, die Kleinen: ›Schmetterlinge schwärmen schon, Bienen sumsen ihren Ton, Suchen Honig, finden keinen. Frühling! Frühling! komm hervor! Höre doch auf unsre Lieder, Gib uns unsre Blätter wieder, Horch, wir singen dir ins Ohr! Kommt noch nicht das grüne Laub? Laß die kleinen Blättlein spielen, Daß sie warme Sonne fühlen, Keines wird dem Frost zu Raub.‹ – ›Was singt so lieblich leise?‹ Spricht drauf die Frühlingswelt: ›Es ist die alte Weise, Sie kommen von der Reise, Keine Furcht mich rückwärts hält.‹ Auf tun sich grüne Äugelein, Die Knospen sich erschließen Die Vögelein zu grüßen, Zu kosten den Sonnenschein. Durch alle Bäume geht der Waldgeist Und sumst: ›Auf, Kinder! der Frühling ist da! Storch, Schwalbe, die ich schon oftmals sah, Auch Lerch und Grasemück ist hergereist. Streckt ihnen die grünen Arm' entgegen, Laßt sie wohnen wie immer im schattigen Zelt, Daß sie von Zweig zu Zweig sich regen, Und jubeln und singen in frischer Welt.‹ – Nun regt sich's und quillt in allen Zweigen, Alle Quellen mit neuem Leben spielen, In den Ästen Lust und Kraft und Wühlen, Jeder Baum will sich vor dem andern zeigen. Nun rauscht es, und alle stehn in grüner Pracht, Die Abendwolken über Wäldern ziehn, Und schöner durch die Wipfel glühn, Der grüne Hain vom goldnen Feuer angefacht. Gebiert das Tal die Blumen an das Licht, Die die holde Liebe der Welt verkünden, Es lächelt und winkt in stillen Gründen Des sanften Veilchens Angesicht, Das sinnige Vergißmeinnicht. Sie sind die Winke, die süßen Blicke, Die dem Geliebten das Mädchen reicht, Vorboten vom zukünftgen Glücke, Ein Auge, das schmachtend entgegenneigt. Sie bücken sich mit schalkhaftem Sinn Und grüßen, wer vorübergeht, Wer ihren sanften Blick verschmäht Dem reichen sie neckend die Finger hin. Doch nun erscheint des Frühlings Frühlingszeit, Wenn Liebe Gegenliebe findet Und sich zu einer Lieb entzündet, Dann glänzt die Pracht der Blumen hell und weit. Die Rosen nun am Stock ins Leben kommen, Und brechen hervor mit liebreizendem Prangen, Die süße Röte ist angeglommen, Daß sie, vereinter Schmuck, dicht aneinander hangen. Dann ist des Frühlings Frühlingszeit, Mit Küssen, mit Liebesküssen der Busch bestreut. Rose, süße Blüte, der Blumen Blum, Der Kuß ist auf deinen Lippen gemalt, O Ros, auf deinem Munde strahlt Der küssenden Lieb Andacht und Heiligtum. Höher kann das Jahr sich nicht erschwingen, Schöner als Rose der Frühling nichts bringen, Nun läßt Nachtigall Sehnsuchtslieder klingen. Bei Tage singt das ganze Vögelchor, Bei Nacht schwillt ihr Gesang hervor. Und wenn Rose, süß Rose die Blätter neigt, Dem Sommer wohl das Vögelchor weicht, Nachtigall mit allen Tönen schweigt. Die Küsse sind im Tal verblüht, Dichtkunst nicht mehr durch Zweige zieht.«

Zweites Kapitel

Franz hatte einen Brief aus Straßburg mitgenommen, um ihn einem Manne in einer nicht entfernten Stadt abzugeben, dessen Bekanntschaft er zu machen wünschte. Sie waren im Begriff einen Seitenweg einzuschlagen, um auf einem Umwege jene Stadt zu besuchen, als sie, auf einem anmutigen Hügel ausruhend, zwei Gestalten auf jenem Wege auf sich zuschreiten sahen. Der eine von diesen trug einen schwarzen Mönchshabit, der andre hatte fast das Ansehn eines Soldaten, denn ihm wankten Federn vom Hut, er trug ein kurzes enges Kleid ohne Mantel, und war mit einem großen Schwert umgürtet, sein Gang wie sein Ansehen waren fest und trotzig. Die Fremden ließen sich auch auf den Hügel nieder. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen fragte derjenige, welcher ein Geistlicher zu sein schien, mit freundlichem Wesen, ob die Wanderer vielleicht von Straßburg gekommen wären. Franz sagte: »Wir sind vor kurzem von dort aufgebrochen, und jetzt im Begriff, einen Umweg über jenes Städtchen jenseit des Waldes zu machen, um einen deutschen Bildhauer aufzusuchen, für welchen ich einen Brief mit mir führe.« »So?« sagte der Trotzige, »und sollte dieser Mann nicht vielleicht aus Nürnberg sein und Bolz heißen?« »Allerdings«, sagte Franz, »und ich verwundre mich nur, woher Ihr es wissen könnt.« »Weil ich es selber bin«, sagte jener, »man hat mir schon darüber geschrieben, wie gut, daß wir uns zufällig treffen, denn ich konnte dort nicht mehr verweilen, und hätte mir den Brief müssen nachsenden lassen.« »Ihr kommt seit kurzem aus Italien?« fragte Franz.

»Ja«, sagte Bolz, »ich gehe nun über Straßburg, und von da nach Nürnberg, meiner Vaterstadt, zurück.«

»O wie glücklich seid Ihr«, rief Sternbald aus, »Ihr seht die geliebte Heimat, den hochverehrten Dürer, den edlen Mann in wenigen Wochen! O bringt ihm und meinem Freunde Sebastian meine herzlichsten Grüße.«

»Kann vielleicht geschehen«, sagte der Bildhauer mit einer wegwerfenden Art. »Aber wer seid Ihr denn? Denn noch weiß ich nichts von Euch, nicht einmal Euren Namen.«

Franz nannte sich ihm und seinen Beruf und fragte dann begierig: »Was macht der edle Raffael von Urbin? Habt Ihr ihn gesehn?«

Der Mönch nahm das Wort: »Nein«, sagte er, »leider hat diese schönste Zier der edlen Malerkunst die Erde verlassen; er ist im vorigen Jahre gestorben. Mit ihm ist die höchste Blüte der Kunst in Italien gewelkt.«

»Wie Ihr da sprecht!« rief der Bildhauer Bolz, »und was wäre dann der unsterbliche Michel Angelo, der die höchste Höhe der Kunst erreichte, die Raffael niemals gekannt hat? Der uns gezeigt hat, was Erhabenheit sei? Dieser lebt noch, mein junger Freund, und er steht als Sieger am Ziel der Skulptur, Malerei und Baukunst, als ein hoher Genius, der jedem Schüler sein Streben andeutet und erleichtert.«

»So ist mir dieser Wunsch meines Herzens versagt?« klagte Franz, »den Mann zu sehen, der ein Freund meines Dürer war, den Dürer so bewunderte, und zu dem seit Jahren ein unnennbares Sehnen mich hinzog?«

»Nun freilich«, rief Bolz aus, »der altfränkische gutherzige Dürer hat ihn auch wohl bewundern dürfen, und für ihn steht freilich Raffael auf einer Höhe, zu der er mit Schwindeln hinaufblicken muß. Er ist aber auch nicht imstande, etwas von Angelos Größe zu verstehen, wenn er ein Werk von diesem erblicken sollte. Dagegen müssen ihm die kleinen Bilder, die mühsam und künstlich ausgeführten Spielwerke Raffaels höchst willkommen, und im ganzen verständlich sein.«

»Erlaubt«, sagte Florestan, »ich bin kein Kenner der Kunst; aber doch habe ich von Tausenden gehört, daß Raffael das Kleinod dieser Erde zu nennen sei, und wahrlich! wenn ich meinen Augen und meinem Gefühle trauen darf, so leuchtet eine erhabene Göttlichkeit aus seinen Werken.«

»Und wie Ihr von Dürer sprecht!« sagte Franz, »dieser weiß wohl das Eigne und Große an fremden Werken zu schätzen; wie könnte er sonst selber ein so großer Künstler sein? Ihr liebt Euer deutsches Vaterland wenig, wenn Ihr von seinem ersten Künstler geringe denkt.«

»Erzürnt Euch nicht«, sagte der Mönch, »denn es ist seine rauhe, wilde Art, daß er alles übertreibt. Ihm dünkt nur das Riesenhafte und Ungeheure schön, und der Sinn für alles übrige scheint ihm versagt.«

»Nun, was ist es denn auch mit Deutschland und mit unsrer einheimischen Kunst?« rief Bolz ergrimmt aus. »Wie armselig und handwerksmäßig wird sie ausgeübt und geschätzt! Noch kein wahrer Künstlergeist hat diesen unfruchtbaren deutschen Boden, diesen trüben Himmel besucht. Was soll auch die Kunst hier? Unter diesen kalten gefühllosen Menschen, die sie in dürftiger Häuslichkeit kaum als Zierat achten? Darum strebt auch keiner von den sogenannten Künstlern das Höchste und Vollkommenste zu erreichen, sondern sie begnügen sich, der kalten dürftigen Natur nahezukommen, ihr hin und wieder einen Zug außer dem Zusammenhange abzulauschen, und glauben dann, wenn sie ihr Machwerk in kahler Unbedeutsamkeit stehen lassen, was Rechtes getan zu haben. So ist Euer gepriesener Albrecht Dürer, Euer Lukas von Leyden, Euer Schoorel, ob er gleich in Italien gewesen ist, der Schweizer Holbein, und keiner von ihnen verdient zu den Malern gezählt zu werden.«

»Ihr kennt sie nicht«, rief Franz unwillig aus, »oder Ihr wollt sie mit Vorsatz verkennen. Soll denn ein Mann allein die Kunst und alle Trefflichkeit völlig bis zum letzten Grunde erschöpft haben, so daß mit ihm, nach ihm kein anderer nach dem Kranze greifen darf? Wie beengt und klein müßte dann das himmlische Gebiet sein, wenn es ein einziger Geist durchschwärmte, und wie ein Herkules an den Grenzen seine Säulen setzte, um der Nachwelt zu sagen, wie weit sie gehen könne. Mir scheint es Barbarei und Hartherzigkeit, Entwürdigung des Künstlers selbst, den ich vergöttern möchte, wenn ich ihm ausschließlich alle Kunst beilegen will. Bisher scheint mir Dürer der erste Maler der Welt; aber ich kann es mir vorstellen, und er hat es selbst oft genug gesagt, wie viele Herrlichkeiten in andern Gebieten glänzen. Ich bin entzückt, wenn ich daran zurückdenke, welchen reichen Bilderschatz, welche Sammlung edler und lieblicher Werke der Kunst ich allein auf meiner Reise in meinem geliebten Vaterlande gesehen habe. Von Nürnberg aus hat sich durch Franken bis zum Rhein Liebe und Tätigkeit verbreitet, es ist fast kein Ort, der nicht etwas Denkwürdiges aufzuweisen hätte: und denke ich der Fülle des niederländischen Fleißes, der großen und alten Werke, die allein das ehrwürdige Köln in seinen Mauern bewahrt, Malereien, die wohl weit über den Johann von Eyck hinaufzusteigen scheinen, und Größe, Kraft und tiefen Sinn aussprechen: erinnre ich mich, welche Meisterwerke in Gewand-Figuren, in hohem Ausdruck, in Färbung und unbeschreiblicher Lieblichkeit ich von diesem alten Johann gesehn habe; und gedenke ich der unzähligen reizenden und mühevollen Werke den Rhein hinunter in allen Städten; gehe von der früheren Zeit die Manieren in meiner Vorstellung durch, und treffe dann meinen hochverehrten Dürer am Schluß dieser deutschen Jahrhunderte mit der Palme des Verdienstes in der Hand, der gleichsam alle diese einzelnen Bestrebungen in sich vereint, oder geahndet, und für die Zukunft noch vielfache neue Erfindungen angedeutet hat, so freue ich mich meiner Zeit und meines Vaterlandes, am meisten aber jenes edlen Mannes, der mich ihn Freund zu nennen vergönnt: und wenn ich auch gerne glauben und zugeben will, daß das südliche Land und der hohe Michel Angelo noch ungekannte Herrlichkeiten bewahrt, so werde ich doch niemals, wie Ihr, dem deutschen Sinne ungetreu werden können.«

»Kommt nur nach Italien«, sagte Bolz, »und Ihr werdet anders sprechen.«

»Nein, Augustin«, fiel ihm der Mönch ein. »So reich die Kunstwelt dort sein mag, so wird doch dieser junge Mann, nachdem er sie kennengelernt hat, schwerlich anders sprechen. Ihr gefallt Euch in Euren Übertreibungen, in Eurer erzwungenen Einseitigkeit, und glaubt, daß es keinen Enthusiasmus ohne Verfolgungsgeist geben könne. Sternbald wird gewiß auch in Rom und Florenz seinem Dürer getreu bleiben, und er wird gewiß Angelos Erhabenheit und Raffaels Größe und Schöne mit gleicher Liebe umfassen können.«

»Und das soll er, das muß er!« rief Rudolph hier mit einem Ungestüm aus, den man sonst nicht an ihm bemerkte. »Ihr mein ungestümer Herr Polz oder Stolz, oder wie Ihr Euch nennt, habt wenig Ehre davon, daß Ihr solche Gesinnungen und Redensarten aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt; nach Norden, nach den Eisländern hättet Ihr reisen müssen. Ihr sprecht von deutscher Barbarei, und fühlt nicht, daß Ihr selber der größte Barbar seid. Was habt Ihr in Italien gemacht, oder wo hat Euch das Herz gesessen, als Ihr im Vatikanischen Palaste vor Raffaels Unsterblichkeit standet?«

Alle mußten über den Ungestüm des Jünglings lachen, und er selbst lachte von Herzen mit, obgleich ihm eine Träne im Auge stand. »Ich bin ein Römer«, sagte er dann, »und ich gestehe, daß ich Rom unaussprechlich liebe; Raffael ist es besonders, der Rom ausgeschmückt hat, und seine hauptsächlichsten Gemälde befinden sich dort. Sagt nun, was Ihr wollt, ich werde Euch gewiß nicht noch einmal so heftig widersprechen.«

»So ist denn dieser Raffael gestorben?« fing Franz von neuem an; »wie alt ist er denn geworden?«

»Gerade neununddreißig Jahre«, sagte der Mönch. »Am Karfreitage, an diesem heiligen Tage ist er geboren, und in diesen merkwürdigen Tag ist auch wieder die Geburtsstunde seines neuen Lebens im Tode gefallen. Er war und blieb sein lebelang ein Jüngling, und aus allen seinen Werken spricht ein milder, kindlich hoher Geist. Sein letztes großes Gemälde war Christi Verklärung, worin er seine eigene Vergötterung gemalt hat, denn vielleicht ist dieses Werk das Höchste und Vollkommenste, das seine Hand nur hervorbringen konnte. Oben schwebt der Erlöser in himmlischer Glorie, neben ihm Elias und Moses, vom Boden erhoben, er in verklärter Gestalt, vom Glanz sind seine Lieblinge geblendet zu Boden gesunken, und unten am Berge sieht man die Apostel, in ihnen den Glauben und die Kraft, welche die Erde noch verwandeln und erleuchten sollen, aber noch ist um sie das Menschenleben dunkel, und sie können der entsetzlichen Not nicht abhelfen, die in Gestalt eines besessenen Knaben, der ihnen zur Heilung herbeigeführt wird, wild und gräßlich vor sie tritt. In diesem Bilde ist auf die wundersamste Weise alles vereinigt, was heilig, menschlich und furchtbar ist, die Wonne der Seligen mit dem Jammer der Welt, und Schatten und Licht, Körper und Geist, Glaube, Hoffnung und Verzweiflung bildet auf tiefsinnige, rührende und erhabene Weise die schönste und vollendetste Dichtung. Raffaels Sarg stand in der Malerstube, und dieses sein letztes vollendetes Gemälde daneben, seine eigne Verklärung. Der Finger ruhte nun auf immer, der diese Bilder in Leben und Bewegung gezaubert hatte; die bunte freundliche Welt, die aus dem Gestorbenen hervorgegangen war, stand nun neben der blassen Leiche. Ganz Rom war in Bewegung, und keiner von denen, die es sahen, konnte sich der Tränen enthalten.«

»Wessen Tränen«, rief Franz aus, »sollten wohl bei solchem Anblicke nicht fließen? Was können wir denn den großen Kunstgeistern zum Dank anders widmen, als unser volles, entzücktes Herz, unsre andächtige Verehrung? Für diese unbefangene, kindliche Rührung, für diese völlige Hingebung unsers eigentümlichen Selbst, für diesen vollen Glauben an ihre edle Trefflichkeit haben sie gearbeitet; dies ist ihr größter und ihr einziger Lohn. Kommen mir doch jetzt die Tränen in die Augen, wenn ich mir den Abgeschiedenen da liegen denke, unter seinen Gemälden, seine letzte Schöpfung neben ihm, die noch vor wenigen Tagen sein Kunstgeist bewegte und belebte. Oh, man sollte meinen, alle jene lebendigen Gestalten hätten sich verändern, und nur Schmerz und Verzweifelung über den entflohenen Raffael ausdrücken müssen.«

Der Bildhauer sagte: »Nun gewiß, Ihr habt eine lebhafte Imagination; am Ende meint Ihr gar, sein gemalter Christus hätte ihn wieder vom Tode erwecken können.«

»Und ist denn Raffael gestorben?« rief Sternbald in seiner Begeisterung aus. »Wird Albrecht Dürer jemals sterben? Nein, kein großer Künstler verläßt uns ganz; er kann es nicht, sein Geist, seine Kunst bleibt freundlich unter uns wohnen. Der Name des Feldherrn wird auch vom späten Enkel noch genannt: aber größeren Triumph genießt der Künstler, Raffael ruht neben seinen Werken glänzender, als der Sieger in seinem ehernen Grabmal: denn er läßt die Bewegungen seines edlen Herzens, die großen Gedanken, die ihn begeisterten, in sichtbaren Bildungen, in lieblichen Klängen unter uns zurück, und jede Gestalt bietet schon jetzt dem noch ungebornen Enkel die Hand, um ihn zu bewillkommnen; jedes Gemälde drückt den entzückten Beschauer an das Herz Raffaels, und er fühlt, wie ihn der Geist des Malers liebevoll umfängt und erwärmt, er glaubt das Wehen des Atems zu fühlen, die Stimme des Grußes zu vernehmen, und ist durch diese Stunde für seine ganze Lebenszeit gestärkt. Und aus diesen Entzückungen strömen neue Triebe und Bildungen, die wieder wie Blüten, oft ihres ersten Stammes unbewußt, späterhin als Frühling, als Kunst, als Unsterblichkeit und himmlische Liebe vom großen Lebensbaum schwankend herniederleuchten und -duften.«

Bolz sagte: »Ihr werdet Euer lebelang kein großer Maler werden; Ihr erhitzt Euch über alles ohne Not, und das wird Euch gerade von der Kunst abführen.«

»Darin mögt Ihr nicht ganz unrecht haben«, sagte der Mönch. »Mit welcher Freude erinnre ich mich so mancher sinnvollen Gespräche mit jenem trefflichen Manne, den ich in den florentinischen Gebirgen kennenlernte. Wahrlich, nichts hat mir seitdem noch so gemangelt, als der Umgang mit diesem Geiste, dessen Gesinnungen wie seine Geschichte zu den lehrreichsten und sonderbarsten gehören, von denen ich noch vernommen habe, und dieser wiederholte auch oft jene Behauptung unsers stürmischen Freundes, daß die Kunst einen ruhigen Geist fordre.«

»Das ist wohl ausgemacht«, sagte Rudolph; »aber warum muß Euch ein alter Herr, den wir alle nicht kennen, erst auf diesen Gedanken bringen, der doch so natürlich ist?«

»Ihr habt recht«, sagte der höfliche Mönch, »und ich verwundre mich selbst, daß ich an diesen so einleuchtenden Satz meine Erinnerung so gewaltsam anknüpfte; sein ungewöhnlicher Lebenslauf ist es, der mir so oft im Sinne liegt, und ich mußte an ihn denken, seit ich Euren Freund Sternbald vor mir sah, denn so sehr, als sich Jugend und Alter nur ähnlich sein können, gleicht er in Antlitz und Gebärde jenem meinen teuren Freunde.«

»Könnt Ihr uns nicht etwas von seiner Geschichte erzählen?« fragte Franz.

Der Mönch wollte eben anfangen, als sie Jagdhörner und Hundegebell hörten. Ein Trupp Reuter jagte bei ihnen vorüber und in den benachbarten Wald hinein. Die Berge gaben die Töne zurück, und ein schönes musikalisches Gewirr lärmte durch die einsame Gegend.

Bolz stand auf und sagte: »Laßt um des Himmels willen Eure langweiligen Erzählungen; freut Euch doch an diesem Konzerte, das, nach meinem Gefühle, jede Brust erregen müßte. Ich kenne nichts Schöneres, als Jagdmusik, den Hörnerklang, den Widerhall im Walde, das wiederholte Gebell der Hunde und das hetzende Hallo der Jäger. Als ich auf meiner Rückreise über Palästina ging, und nicht weit davon in abgelegener Gegend einen Bekannten besuchen wollte, war ich so glücklich, dort im dichten Walde dem schönsten Mädchen, die ich noch gesehn habe, eine Jungfrau, wie sie uns sonst unsre Phantasie nur edel und reizend malt, bei einer Jagd das Leben zu retten, große Hirtenhunde hatten sich, aufgescheucht vom Getümmel, an sie gemacht, und ich kam eben hinzu, als die wilden Tiere, die dort sehr gefährlich sind, sie anfallen wollten, und sie, fast ohnmächtig, den Versuch machte, einen Baum hinanzuklimmen. Das, Herr Maler, war eine Szene, der Darstellung würdig. Der grüne, dunkelschattige Wald, das Getümmel der Jagd, ein aufgescheuchtes Weib, mit langem fliegenden Goldhaar, das Gewand in Unordnung, der Busen fast frei, Fuß und schönes Bein von der Stellung entblößt. Seht, so habe ich Euch auch aus meiner Erinnerung eine Geschichte erzählt, denn dieses hohe himmlische Bild schwebt mir so vor, daß sie allein mich bewegen könnte, nach Italien zurückzugehn.«

Franz dachte unwillkürlich an seine Unbekannte, und der Mönch sagte: »Ich kann den Gegenstand so besonders malerisch nicht finden, er ist alltäglich und bedeutungslos.«

»Nachdem ihn der Maler nehmen dürfte«, fiel Franz ein.

Sie waren einen Berg hinangestiegen und standen nun ermüdet still. Indem sie sich an der Aussicht ergötzten, und den Krümmungen des Rheins durch die grünen Gefilde folgten, der sich glänzend um Hügel schmiegte, wieder erschien, und dann von Schatten und Wald verschlungen, plötzlich in entfernteren Biegungen von neuem hervorleuchtete, rief Franz aus: »Mich dünkt, ich sehe noch ganz in der Ferne den Münster!«

Sie sahen alle hin, und ein jeglicher glaubte ihn zu entdecken. »Der Münster«, sagte Bolz, »ist noch ein Werk, das den Deutschen Ehre macht!«

»Das aber doch gar nicht zu Euren Begriffen vom Idealischen und Erhabenen paßt«, antwortete Franz.

»Was gehen mich meine Begriffe an?« sagte der Bildhauer; »ich kniee in Gedanken vor dem Geiste nieder, der diesen allmächtigen Bau entwarf und ausführte. Wahrlich, es war ein seltner Geist, der es wagte, diesen Baum mit Ästen, Zweigen und Blättern so hinzustellen, immer höher den Wolken mit seinen Felsmassen entgegenzugehn, und ein Werk hinzuzaubern, das gleichsam ein Bild der Unendlichkeit ist.«

Sternbald sagte: »Wie freue ich mich, daß es mir so wohl geworden ist, dieses Denkmal deutscher Kunst und Seelenhoheit gesehn zu haben. Mit welcher lauten Stimme wird der Name Erwins durch die Welt gerufen, und wie fühlen wir im Anschauen dieses Monumentes die Unsterblichkeit des Menschengeistes. Hier ist eine Erhabenheit ausgesprochen, für die kein andres Zeichen, keine andre Kunst, ja selbst der unendliche Gedanke nicht genügte; die Vollendung der Symmetrie, die kühnste allegorische Dichtung des menschlichen Geistes, diese Ausdehnung nach allen Seiten, und über sich in den Himmel hinein; das Endlose und in sich selbst Geordnete; die Notwendigkeit des Gegenüberstehenden, welches die andere Hälfte erläutert und vollendet, so daß eins um des andern willen, und alles um die deutsche Größe und Herrlichkeit auszudrücken, da ist. Es ist ein Baum, ein Wald, aber diese allmächtigen, unendlich wiederholten Steinmassen drücken auch, wenn man will, noch viel anderes im Bilde aus. Es ist der Geist des Menschen selbst, seine unendliche Mannigfaltigkeit zur sichtbaren Einheit verbunden, sein kühnes Riesenstreben nach dem Himmel, seine Dauer und Unbegreiflichkeit; den Geist Erwins selbst seh ich in einer furchtbar sinnlichen Anschauung vor mir stehen. Es ist zum Entsetzen, daß der Mensch aus den Felsen und Abgründen sich einzeln die Steine hervorholt, und nicht rastet und ruht, bis er diesen ungeheuren Springbrunnen von lauter Felsenmassen hingestellt hat, der sich ewig, ewig ergießt, und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor uns selbst in unsre sterblichen Gebeine hineinpredigt. Und nun klimmt unbemerkt und unkenntlich ein Wesen, gleich dem Baumeister, oben wie ein Wurm, an den Zinnen umher, und immer höher und höher, bis ihn der letzte Schwindel wieder zur flachen, sichern Erde hinunternötigt – wer hier nichts fühlt und entzückt ist, o wahrhaftig, der begeht, ein armer Sünder, die Verleugnung Petri an der Herrlichkeit des göttlichen Ebenbildes.«

Hier gab der Bildhauer dem Maler die Hand und sagte: »So hör ich Euch gerne.«

»Und ist es denn nun etwa«, fuhr Sternbald fort, »daß diese ungeheure Masse uns Entsetzen oder Schauer erregt, wie vielleicht die Pyramiden Ägyptens verursachen mögen? O vergönnt und verzeiht mir, daß ich vielleicht ein zu kühnes Gleichnis brauche. Wie der Ewige, Unendliche, sich in die Liebe kleidete, um uns nicht zu schrecken und sich verständlich zu machen, wie er als Kind und Freund unter uns wandelte, und der gläubige Christ so Trost und Zuflucht bei ihm, selbst vor jenem ungeheuren unermeßlichen Bilde des Vaters findet, so ist hier auf ähnliche Art die Liebe in das Mittel getreten, nun diese Erhabenheit wieder in Blume, in Pflanze, in Licht und heiteres süßes Spiel aufzulösen. Wohin das Auge sieht und wohin es schweift begegnet ihm dieser zarte Scherz, und schaukelt sich in Wellen, Rosen, Knospen, Bildern, Bögen, um den harten Stein und Felsen wie in Musik und Wohllaut aufzulösen. Daher das Unerklärliche, daß wir ganz so wie vor einem Wunder, vor einem Traume stehen, wenn dieses höchste Riesenwerk zugleich wie ein zarter himmlischer Luftscherz vor uns schwebt. In Steinen sehn wir die geahndete Glorie des Himmels, und auch der Fels hat seine starre Natur brechen müssen, um Hosianna! und Heilig! Heilig! zu singen.«


Date: 2016-01-14; view: 414


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