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Fünftes Kapitel 6 page

»Phantasiert nur«, sagte Bolz; »aber wahr ist es, daß diese Gebäude, die vielleicht allein den Deutschen angehören, den Namen des Volkes unsterblich machen müssen. Der Dom zu Wien, der unvollendete mächtige Bau in Köln, und jener in Straßburg sind die hellsten Sterne; und wie lieblich ist der kleine Dom drüben im breisgauschen Freiburg, mancher andern in Eßlingen, oder Meißen, und an andern Orten nicht zu erwähnen. Vielleicht erfahren wir auch noch einmal, daß alles, was England, Spanien und Frankreich von dieser Art Herrliches besitzt, von deutschen Meistern ist gegründet worden. Dergleichen findet Ihr nun freilich in Italien nicht, denn der Italiener, der alles verwirft, was nicht sein ist, kennt nur als gotisch oder deutsch die unreifen rohen Steinmassen zu Mailand und Pisa, oder gar das unzusammenhängende Gebäude des Domes zu Lucca. – Aber wir müssen uns trennen. Ihr kommt jetzt, junger Mann, nach Italien, indem es vielleicht seine glänzendste Epoche gefeiert hat. Ihr werdet viele große und verdiente Männer antreffen, und was an ihnen das Schönste ist, erkennen. Die meisten arbeiten in der Stille. Vielleicht kommt aber bald die Zeit, wo es mit der wahren, hohen Kunst zu Ende ist, denn man fängt schon an zu schwatzen statt zu handeln, von manchen großen Meistern vererbt sich statt des Tiefsinns ein unnützer Hang zum Grübeln, der die Kraft erlahmt, oder ein seichtes, leeres Spiel mit Gedanken und ein Tändeln mit der Kunst; oder es entsteht wohl der Afterenthusiasmus, die Lüge, die das wahrhaft Edle herabwürdigen.«

Sie gingen auseinander, und Franz überdachte die letzten Worte, die ihm nicht ganz verständlich waren.

Drittes Kapitel

Indem Rudolph und Franz ihren Weg fortsetzten, sprachen sie über ihre Begleiter, die sie verlassen hatten. Franz sagte: »Ich kann es mir nicht erklären, warum ich vom ersten Augenblicke einen unbeschreiblichen Widerwillen gegen diesen Bildhauer empfunden habe, der sich mit jedem Worte, das er sprach, vermehrte; selbst die freundliche Art, mit der er am Ende Abschied nahm, war mir recht im Herzen zuwider.«

»Der Geistliche«, antwortete Rudolph, »hatte im Gegenteil etwas Anlockendes, das gleich mein Zutrauen gewann; er schien ein sanfter, freundlicher Mensch, der jedem wohlwollte. Nur möchte ich glauben, daß er dem Stande nicht angehört, dessen Kleidung er trägt, denn sein Gang war zu frei und männlich.«

»Er hätte uns«, fuhr Sternbald fort, »die Geschichte des alten Mannes erzählen sollen, von dem er sprach; eine sonderbare Neugier bemächtigte sich meiner, und es schmerzt mich, so von ihm geschieden zu sein, denn es gibt Begebenheiten, aus deren Erzählung man für sein ganzes Leben lernen kann.«

»Und ich begreife nicht«, sagte Rudolph, »was in jeder Geschichte anders noch als Geschichte sein kann, mir war es lieb, daß es nicht zur Erzählung kam, denn schon in den Büchern ist es mir immer sehr verhaßt gewesen, wenn auf eine ähnliche Frage und unnötige Veranlassung eine Novelle oder Historie vorgetragen wird, und in dem Augenblick, als er sich zum Vortrage anschickte, gemahnte es mir gerade so, als wenn ich ein solches Buch läse.«



Ein Fußsteig führte sie in einen dichten kühlen Wald hinein, und sie bedachten sich nicht lange, ihm nachzugehen. Eine erquickende Luft zog durch die Zweige, und der mannigfaltigste, anmutigste Gesang von unzähligen Vögeln erschallte. Es war ein lebendiges Gewimmel in den Gebüschen; die buntgefiederten Sänger sprangen hier- und dorthin: die Sonne flimmerte nur an einzelnen Stellen durch das dichte Grün.

Beide Freunde gingen schweigend nebeneinander, indem sie des schönen Anblicks genossen. Endlich stand Rudolph still und sagte: »Wenn ich ein Maler wäre, Freund Sternbald, so würde ich vorzüglich Waldgegenstände studieren und darstellen. Schon der Gedanke eines solchen Gemäldes kann mich entzücken. Wenn ich mir unter diesen dämmernden Schatten die Göttin Diana vorübereilend denke, den Bogen gespannt, das Gewand aufgeschürzt und die schönen Glieder leicht umhüllt, hinter ihr die Nymphen in Eil und die Jagdhunde springend, so wird mir dies von selbst zum Bilde. Oder stelle dir vor, daß dieser Fußweg sich immer dichter in das Gebüsch hineinwindet, die Bäume werden immer höher und wunderbarer, plötzlich steht eine Grotte, ein kühles Bad vor uns, und in ihm die Göttin, mit ihren Begleiterinnen, entkleidet. Da ist die Einsamkeit, Grün, Felsen und Baum und die nackte Schönheit majestätischer, hoher und jungfräulicher Leiber vereinigt: füge vielleicht den Aktäon hinzu, so tritt jener wundersame Schreck und die seltsame Freude noch in das Gemälde, in seinen Hunden kannst du schon die tierische Wut und den Blutdurst darstellen, so ist hier das Widersprechendste in ein poetisches Bild notwendig und schön verknüpft.«

»Oder«, sagte Franz, »hier im tiefen Walde die Leiche eines schönen Jünglings, und über ihm ein Freund und die Geliebte im tiefsten Schmerz, vielleicht Venus und Adonis, oder ein lieblicher Knabe, von wilden Räubern erschlagen: die dunkelgrünen Schatten, unter ihnen die blendenden Jugendgestalten, der frische Rasen, die einzelnen, zerspaltenen Sonnenstrahlen von oben, die nur das Gesicht und einzelne kleine Teile hell erleuchteten, der Eber, oder die Räuber in der Ferne, wie von Gewitterschatten eingehüllt, alles dies zusammen müßte ein vortreffliches Gemälde der Schwermut und Schönheit ausbilden.«

»Fühlst du nicht oft«, fuhr Rudolph fort, »einen wunderbaren Zug deines Herzens dem Wunderbaren und Seltsamen entgegen? Man kann sich der Traumbilder dann nicht erwehren, man erwartet eine höchst sonderbare Fortsetzung unsers gewöhnlichen Lebenslaufs. Oft ist es, als wenn der Geist von Ariosts Dichtungen über uns hinwegfliegt, und uns in seinen kristallenen Wirbel mit fassen wird; nun horchen wir auf und sind auf die neue Zukunft begierig, auf alle die Erscheinungen, die an uns mit bunten Zaubergewändern vorübergehen sollen: dann ist es, als wollte der Waldstrom seine Melodie deutlicher aussprechen, als würde den Bäumen die Zunge gelöst, damit ihr Rauschen in verständlichem Gesang dahinrinne. Nun fängt die Liebe an, auf fernen Flötentönen heranzuschreiten, das klopfende Herz will ihr entgegenfliegen, die Gegenwart ist wie durch einen mächtigen Bannspruch festgezaubert, und die glänzenden Minuten wagen es nicht zu entfliehen. Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit magischen Kräften eingeschlossen, und ein neues verklärtes Dasein schimmert wie rätselhaftes Mondlicht in unser wirkliches Leben hinein.«

»O du Dichter!« rief Franz aus, »wenn du nicht so leichtsinnig wärst, solltest du ein großes Wundergedicht erschaffen, voll von gaukelndem Glanz und wandelnden Klängen, voll Irrlichter und Mondschimmer; ich höre dir mit Freuden zu, und mein Herz ist schon wunderbar von diesen Worten ergriffen.«

Nun hörten sie eine rührende Waldmusik von durcheinanderspielenden Hörnern aus der Ferne; sie standen still und horchten, ob es Einbildung oder Wirklichkeit sei: aber ein melodischer Gesang quoll durch die Bäume ihnen wie ein rieselnder Bach entgegen, und Franz glaubte, die Geisterwelt habe sich wohl plötzlich aufgeschlossen, weil sie vielleicht, ohne es zu wissen, das große zaubernde Wort gefunden hätten; als habe nun der geheimnisvolle unsichtbare Strom den Weg nach ihnen gelenkt, und sie in seine Fluten aufgenommen. Sie gingen näher, die Waldhörner schwiegen, aber eine süße Stimme sang nun folgendes Lied:

»Waldnacht! Jagdlust! Leis und ferner Klingen Hörner, Hebt sich, jauchzt die freie Brust! Töne, töne nieder zum Tal, Freun sich, freun sich allzumal Baum und Strauch beim muntern Schall. Kling nur Bergquell! Efeuranken Dich umschwanken, Riesle durch die Klüfte schnell! Fliehet, flieht das Leben so fort, Wandelt hier, dann ist es dort – Hallt, zerschmilzt, ein luftig Wort. Waldnacht! Jagdlust! Daß die Liebe Bei uns bliebe, Wohnen blieb' in treuer Brust! Wandelt, wandelt sich allzumal, Fliehet gleich dem Hörnerschall: – Einsam, einsam grünes Tal. Kling nur Bergquell! Ach betrogen – Wasserwogen Rauschen abwärts nicht so schnell! Liebe, Leben, sie eilen hin, Keins von beiden trägt Gewinn: – Ach, daß ich geboren bin!«

Die Stimme schwieg, und die Hörner fielen nun wieder mit schmelzenden Akkorden darein; dann verhallten sie, und eine männliche volle Stimme sang von einem entfernteren Orte:

»Treulieb ist nimmer weit, Nach Kummer und nach Leid Kehrt wieder Lieb und Freud: Dann kehrt der holde Gruß, Händedrücken, Zärtlich Blicken, Liebeskuß. Treulieb ist nimmer weit! Ihr Gang durch Einsamkeit Ist dir, nur dir geweiht. Bald kömmt der Morgen schön, Ihn begrüßet Wie er küsset Freudenträn'.«

Die Hörner schlossen auch diesen Gesang mit einigen überaus zärtlichen Tönen.

Franz und Rudolph waren indes näher geschritten und standen jetzt still, an einen alten Baum gelehnt, der sie fast ganz beschattete. Sie sahen eine Gesellschaft von Jägern auf einem grünen Hügel gelagert, einige darunter waren diejenigen, die vorher an ihnen vorübergeritten waren. Auf der mittleren Erhöhung des Hügels saß ein wundersam schöner Jüngling, in einer Jagdkleidung von grünem Sammet, von einem violetten Hute schwankten bunte Federn, in einem reichen Bandelier, das über der erhabenen Brust hing, trug er ein kurzes Schwert; er hatte das erste Lied gesungen; aus dem Anstande, der Schönheit und dem Wuchse des Jünglings sahe Franz, daß er ein Mädchen sei: sie glich, indem sich die schlanke Gestalt erhob, und die Hitze der Jagd in ihrem Gesichte glühte, der Göttin der Wälder. Alle Jäger sprangen auf, die verschiedenen ruhenden Gruppen wurden plötzlich lebendig, und versammelten sich um sie her, die Hunde kamen herbei, die bisher teils zu ihren Füßen schnaufend, teils unter den kühlen Bäumen gelegen hatten. Ein Jagdruf der Hörner erklang, und alles machte sich zur Rückkehr fertig. Die wiehernden Rosse wurden von Dienern aus dem Schatten des Waldes herbeigeführt. Jetzt ward sie die beiden Reisenden gewahr und ging freundlich auf sie zu, indem sie sich erkundigte, auf welche Weise sie dorthin gekommen wären. Rudolph merkte nun erst, daß sie sich verirrt haben müßten, denn sie sahen keinen Weg, keinen Fußsteig vor sich. Auf den Befehl der Jägerin reichte man ihnen Wein in Bechern zur Erfrischung; dann erzählten sie von ihrer Wanderschaft. Da die schöne Jägerin hörte, daß Sternbald ein Maler sei, bat sie beide Freunde, dem Zuge auf ihr nahe gelegenes Schloß zu folgen, Sternbald solle ausruhen, und nachher etwas für sie arbeiten.

Franz war begeistert, er wünschte nichts so sehr, als in der Nähe dieser herrlichen Erscheinung zu bleiben, und ihr auf irgendeine Weise gefällig oder nützlich sein zu können. Die Jäger bestiegen ihre Pferde, und zwei von ihnen boten Franz und Rudolph ihre Hengste an. Sie stiegen auf, und Rudolph war immer der vorderste im Zuge, wobei sich seine ausländische Tracht, seine vom Hute flatternden Bänder gut ausnahmen: Sternbald aber, dem diese Übung noch neu war, schien ängstlich und blieb hinten, er wünschte, daß man ihn zu Fuß hätte folgen lassen.

Jetzt eröffnete sich der Wald. Eine schöne Ebene mit Gebüschen und krausen Hügeln in der Ferne lag vor ihnen. Die Pferde wieherten laut und fröhlich, als sie die Rückkehr zur Heimat merkten; das Schloß der Gräfin lag mit glänzenden Fenstern und Zinnen zur Rechten auf einer lieblichen Anhöhe. Ein Jäger, der mit Rudolph den Zug angeführt hatte, bot diesem an, einen Wettlauf bis zum Schlosse anzustellen: Rudolph war willig, beide spornten ihre Rosse und flogen mit gleicher Eile über die Ebene, Rudolph jauchzte, als er seinem Mitkämpfenden Vorsprung abgewann; die übrigen folgten langsam unter einer fröhlichen Musik der Hörner.

Es war um die Mittagszeit, als der Zug im Schlosse ankam, und die ganze Gesellschaft setzte sich bald darauf zur Tafel; die schöne Jägerin war aber nicht zugegen. Die Tischgesellschaft war desto lustiger, Rudolph, vom Reiten erhitzt, und da er überdies noch vielen Wein trank, war er beinahe ausgelassen, um so mehr aber belustigte er die Gesellschaft, die es nicht müde wurde, seine Einfälle zu belachen. Franz fühlte sich gegen seine Leichtigkeit unbeholfen und ohne alle Fähigkeit Scherz und Lachen zu vernehmen. Ein ältlicher Mann, der im Hause aufbewahrt wurde, galt für einen Dichter: er sagte Verse her, die ungemein gefielen, und noch mehr deswegen, weil er sie ohne Vorbereitung singen oder sprechen konnte. Unter dem lautesten Beifall der Gesellschaft sang er folgendes Trinklied:

»Die Gläser sind nun angefüllt, Auf, Freunde, stoßet an, Der edle Traubensaft entquillt Für jeden braven Mann. Es geht von Mund zu Mund Das volle Glas in die Rund, Wer krank ist trinke sich gesund. Es kommt vom Himmel Sonnenschein Und schenkt uns Freud und Trost, Dann wächst der liebe süße Wein, Es rauschet uns der Most. Es geht von Mund zu Mund Das volle Glas in die Rund, Wer krank ist trinke sich gesund.«

Da alle das Talent des Mannes bewunderten, sagte Rudolph im Unwillen: »Es geschieht dem Wein keine sonderliche Ehre, daß Ihr ihn auf solche Art lobt, denn es klingt beinahe, als wenn Ihr aus Not ein Dichter wäret, der den lieben Wein nur besingt, weil er sich diesen Gegenstand einmal vorgesetzt hat; es ist wie ein Gelübde, das jemand mit Widerwillen bezahlt. Warum quält Ihr Euch damit, Verse zu machen? Ihr könnt den Wein so durch funfzig Strophen verfolgen, von seiner Herkunft anfangen und seine ganze Erziehung durchgehn. Ich will Euch auf diese Art auch ein Gedicht über den Flachsbau durchsingen, und über jedes Manufakturprodukt.«

»Das hören wir sehr ungern!« rief einer von den Jägern.

»Wir haben den Mann immer für einen großen Dichter gehalten«, sagte ein andrer, »warum macht Ihr uns in unserm Glauben irre?«

»Es ist leichter tadeln, als besser machen!« rief ein dritter.

Der Poet selbst war sehr aufgebracht, daß ihm ein fremder Ankömmling seinen Lorbeer streitig machen wollte. Er bot dem berauschten Florestan einen dichterischen Zweikampf an, den die Gesellschaft nachher entscheiden sollte. Florestan gab seine Zustimmung, und der alte Sänger begann sogleich ein schönes Lied auf den Wein, das alle Gemüter so entzückte, daß Franz für seinen Freund wegen des Ausganges des Krieges in billige Besorgnis geriet.

Während dem Liede war die Tafel aufgehoben, und Florestan bestieg nun den Tisch, indem er seinen Hut aufsetzte, der mit grünem Laube geputzt war; vorher trank er noch ein großes Glas Wein, dann nahm er eine Zither in die Hand, auf welcher er artig spielte und dazu sang:

»Erwacht ihr Melodieen, Und tanzt auf den Saiten dahin! Ha! meine Augen glühen, Alle Sorgen erdwärts fliehen, Himmelwärts entflattert der jauchzende Sinn. In goldenen Pokalen Verbirget die Freude sich gern, Es funkeln in den Schalen Ha! des Weines liebe Strahlen, Es regt sich die Welle ein schimmernder Stern. In tiefen Bergesklüften, Wo Gold und der Edelstein keimt, In Meeres fernen Schlüften, In Adlers hohen Lüften, Nirgend Wein wie auf glücklicher Erde schäumt. Gern mancher sucht' in Schlünden, Wo selber dem Bergmann graut, In felsigen Gewinden, Könnt er die Wonne finden, Die so freundlich uns aus dem Becher beschaut.« –

Rudolph hielt inne. »Ist es mir, Herr Poet«, fragte er bescheiden, »nun wohl vergönnt, das Silbenmaß ein wenig zu verändern?«

Der Dichter besann sich ein Weilchen, dann nickte er mit dem Kopfe, um ihm diese Freiheit zuzugestehn. Rudolph fuhr mit erhöhter Stimme fort:

»Als das Glück von der Erde sich wandte, Das Geschick alle Götter verbannte, Da standen die Felsen so kahl, Es verstummten der Liebenden Lieder, Sah der Mond auf Betrübte hernieder, Vergingen die Blumen im Tal. Sorg und Angst und Gram ohne Ende, Nur zur Arbeit bewegten sich Hände, Trüb und tränend der feurige Blick, Sehnsucht selber war nun entschwunden, Keiner dachte der vorigen Stunden, Keiner wünschte sie heimlich zurück.

Nicht wahr«, unterbrach sich Rudolph selber, »das war für die arme Menschheit eine traurige Lage, die so plötzlich das goldene Zeitalter verloren hatte? Aber hört nur weiter:

Alle Götter ohn Erbarmen Sahn hinunter auf die Armen, Ihr Verderben ihr Entschluß. Oh, wer wäre Mensch verblieben, Ohne Götter, ohne Lieben, Ohne Sehnsucht, ohne Kuß? – Bacchus sieht, ein junger Gott, Lächelnder Wang, mit Blicken munter Zur verlaßnen Erd hinunter, Ihn bewegt der Menschheit Not. Und es spricht die Silberstimme: ›Meine Freunde sind zu wild, Ihrem eigensinngen Grimme Unterliegt das Menschenbild. Dürfen sie die Welt verhöhnen Weil kein Tod uns Göttern dräut? Sollen denn nur Angst und Stöhnen Leben sein und bittres Leid?‹

Aber, meine Freunde, ich bin des Singens und Trinkens überdrüssig.« Und mit diesen Worten sprang er vom Tische herunter.

Unter der berauschten Gesellschaft entstand ein Gemurmel, weil sie stritten, welcher von den beiden Poeten den Preis verdiene. Die meisten Stimmen schienen für den alten Sänger, einige aber, die durch ihre Vorliebe für das Neue einen bessern Verstand anzudeuten glaubten, nahmen sich des Florestan mit vielem Eifer an. Auch Sternbald mischte sich scherzend in den Streit, um seinem Freunde beizustehen.

»Man weiß nicht recht, was der junge Mensch mit seinem Gesange oder Liede will«, sagte einer von den ältesten. »Ein gutes Weinlied muß seinen stillen Gang für sich fortgehen, damit man brav Lust bekömmt, mitzusingen, weshalb auch oft blinkt, klingt und singt darin angebracht sein muß, wie ich es auch noch allenthalben gefunden habe. Allein was sollen mir dergleichen Geschichten?«

»Freilich«, sagte Florestan, »kann es nichts sollen; aber, lieben Freunde, was soll euch denn der Wein selber? Wenn ihr Wasser trinkt, bleibt ihr auch um vieles mäßiger und verständiger.«

»Nein«, schrie ein andrer, »auch im Weine kann und muß man mäßig sein; der Genuß ist dazu da, daß man ihn genießt, aber nicht so gänzlich ohne Verstand.«

Rudolph lachte und gab ihm recht, wodurch viele ausgesöhnt wurden und zu seiner Partei übergingen. »Ich habe nur den Tadel«, sagte Sternbald, »daß dein Gedicht durchaus keinen Schluß hat.«

»Und warum muß denn alles eben einen Schluß haben?« rief Florestan, »und nun gar in der scherzenden fröhlichen Poesie! Fangt ihr nur an, zu spielen, um aufzuhören? Denkt ihr euch bei jedem Spaziergange gleich das Zurückgehen? Es ist ja schöner, wenn ein Ton leise nach und nach verhallt, wenn ein Wasserfall immer fortbraust, wenn die Nachtigall nicht verstummt. Müßt ihr denn Winter haben, um den Frühling zu genießen?«

»Es kann sein, daß Ihr recht habt«, antworteten einige, »ein Weinlied nun gar, das nichts als die reinste Fröhlichkeit atmen soll, kann eines Schlusses am ersten entbehren.«

»Aber wie ihr nun wieder sprecht!« rief Florestan im tollen Mute, indem er sich hastig rundherum drehte. »Ohne Schluß, ohne Endschaft ist kein Genuß, kein Ergötzen durchaus nicht möglich. Wenn ich einen Baumgang hinuntergehe, sei er noch so schön, so muß ich doch an den letzten Baum kommen können, um stillzustehn und zu denken: ›Dort bin ich gegangen.‹ Im Leben wären Liebe, Freude und Entzücken nur Qualen, wenn sie unaufhörlich wären, daß sie Vergangenheit sein können, macht das zukünftige Glück wieder möglich, ja, zu jedem großen Manne mit allen seinen bewundernswerten Taten gehört der Tod als unentbehrlich zu seiner Größe, damit ich nur imstande bin, die wahre Summe seiner Vortrefflichkeit zu ziehen, und ihn mit Ruhe zu bewundern. In der Kunst gar ist der Schluß ja nichts weiter, als eine Ergänzung des Anfangs.«

»Ihr seid ein wunderlicher Mensch«, sagte der alte Poet, »so singt uns also Euren Schluß, wenn er denn so unentbehrlich ist.«

»Ihr werdet aber damit noch viel weniger zufrieden sein«, sagte Florestan, »doch es soll Euch ein Genüge geschehn.« Er nahm die Zither wieder in die Hand, spielte und sang:

»Bacchus läßt die Rebe sprießen, Saft durch ihre Blätter fließen, Läßt sie weiche Lüfte fächeln, Sonnet sie mit seinem Lächeln. Um die Ulme hingeschlungen Steht die neue Pflanz im Licht, Heimlich ist es ihm gelungen, Denn die Götter merken's nicht. Läßt die Blüten rötlich schwellen Und die Beeren saftig quellen, Fürchtend die Götter und das Geschick Kommt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück. Nun kommen die Menschlein hergegangen Und kosten mit süßem Verlangen Die neue Frucht, den glühenden Most, und finden den Gott, den himmlischen Trost. In der Kelter springt der mutwillige Götterknabe, Der Menschen allerliebste Habe, Sie trinken den Wein, sie kosten das Glück, Es schleicht sich die goldene Zeit zurück. Der schöne Rausch erheitert ihr Gesicht, Sie genießen froh das neue Sonnenlicht, Sie spüren selber Götter- und Zauberkraft, Die ihnen die neue Gabe schafft. Die Blicke feurig angeglommen Zwingen sie die Venus zurückzukommen, Die Göttin ist da und darf nicht fliehn, Weil sie sie mächtig rückwärts ziehn. Da schauen die Götter herab mit staunendem Blick, Es kommt beschämt die ganze Schar zurück: – ›Wir wollen wieder bei euch wohnen, Ihr Menschen bauet unsre Thronen.‹ ›Was brauchen wir euch und euer Geschick?‹ So tönt von der Erde die Antwort zurück, ›Wir können euch ohne Gram entbehren, Wenn Wein und Liebe bei uns gewähren.‹«

Nun schwieg er still und legte mit einer anständigen Verbeugung die Zither weg. »Das ist nun gar gottlos!« riefen viele von den Zuhörern, »Euer Schluß ist das Unerlaubteste von allem, was Ihr uns vorgesungen habt.«

Der Streit über den Wert der beiden Dichter fing von neuem an. Sternbald ward hitzig für seinen Freund, und da er ihn einigemal bei seinem Namen Florestan nannte, so ward der andere Poet dadurch aufmerksam gemacht; er fragte, er erkundigte sich, das Gespräch nahm eine andere Wendung. Man sprach von Vettern, Oheimen, Basen, in Deutschland, Italien und Frankreich, tausend Namen wurden genannt, viele Stammbäume entwickelt, und endlich fand es sich, daß die beiden Streitenden Verwandte waren: sie umarmten sich, freuten sich, einander so unverhofft anzutreffen, und es wurde nun weiter an keine Vergleichung ihrer Talente gedacht.

Viertes Kapitel

Die Gesellschaft zerstreute sich hierauf, und Franz verließ nach dem Getümmel gern das Haus, um sich in den Schloßgarten zu begeben. Hier gesellte sich der Jäger zu ihm, der im Walde die Antwort des Liedes mit einer schönen vollen Stimme gesungen hatte, er war ein junger Edelmann, der einen der vornehmeren Dienste bei der Herrschaft versah, Arnold war sein Name. Seine Miene hatte etwas Schwermütiges und Leidendes, auch hatte er an den Scherzen und Streitigkeiten bei der Tafel keinen Anteil genommen. Er ging mit Franz in den schattigen Gängen auf und nieder, indem sie sich vertraulich von der heutigen Jagd, von Sternbalds Reise, und von der Schönheit der Gräfin unterhielten. »Da kömmt sie den Lindengang heruntergeschritten!« rief plötzlich der Jüngling mit einer lebhaften Empfindung aus, »seht, wie sich das reiche Gewand um den edlen Leib schmiegt, und der Purpur des Kleides mit den goldenen Spangen in der grünen Dämmerung schimmert, schon fliegt der Strahl der himmlischen Augen, um mich festzuhalten, aber heute wenigstens will ich einmal einer traurigen Freiheit genießen.« Mit diesen seltsamen Worten verließ er schnell den staunenden Maler. Die geschmückte Dame, die er anfangs nicht wiedererkannt hatte, schritt ihm im Gange freundlich entgegen, sie sah dem Jäger-Jünglinge vom Morgen nur wenig ähnlich. Sie begrüßte ihn freundlich, ihr Blick und ihre Rede waren holdselig, nach einem kurzen Gespräche entfernte sie sich wieder. Franz lehnte sich sinnend an einen künstlichen Springbrunnen, der mit seinen kristallenen Strahlen die Luft lieblich abkühlte, und ein sanftes Geräusch ertönen ließ, zu dem die nahen Vögel williger und angenehmer sangen. Er hörte auf den mannigfaltigen Wohllaut, auf den Wechselgesang, den der spielende Quell gleichsam mit den Waldbewohnern führte, und sein Geist entfernte sich dann wieder in eine entfernte wunderbare Zaubergegend.

»Bin ich getäuscht, oder ist es wirklich?« sagte er zu sich selber; »ich werde ungewiß, ob mir allenthalben ihr süßes Bild begegnet, oder sie meine Phantasie nur in allen Gestalten wiedererkennt. Diese Gräfin gleicht ihr, die ich nicht zu nennen weiß, die ich suche und doch zögre, für die ich nur lebe und sie doch gewiß verliere.«

Eine Flöte ertönte aus dem Gebüsch, und Franz setzte sich auf eine schattige Rasenbank, um den Tönen ruhiger zuzuhören. Als der Spielende eine Weile musiziert hatte, sang eine wohlbekannte Stimme folgendes Lied:

»Holdes, holdes Sehnsuchtrufen Aus dem Wald, vom Tal herauf: Klimm herab die Felsenstufen, Folge diesem Locken, Rufen, Hoffnung tut sich, Glück dir auf. Wohl seh ich Gestalten wanken Durch des Waldes grüne Nacht, Die bewegten Zweige schwanken, Sie entschimmern wie Gedanken, Die der Schlaf hinweggefacht. Komm Erinnrung, liebe Treue, Die mir oft im Arm geruht, Singe mir dein Lied, erfreue Dieses matte Herz, der Scheue Fühlt dann Kraft und Lebensmut. Kinder lieben ja die Scherze, Und ich bin ein töricht Kind, Treu verblieb dir doch mein Herze, Leichtsinn nur im frohen Scherze, Bin noch so wie sonst gesinnt. Wald und Tal, ihr grüne Hügel Kennt die Wünsche meiner Brust, Wie ich gern mit goldnem Flügel Von der Abendröte Hügel Möchte ziehn zu meiner Lust. Erd und Himmel nun in Küssen Wie mit Liebesscham entbrennt; – Ach! ich muß den Frevel büßen, Lange noch die Holde missen Die mein Herz mir ewig nennt. Morgenröte kommt gegangen, Macht den Tag von Banden frei, Erd und Himmel bräutlich prangen: Aber ach! ich bin gefangen, Einsam hier im süßen Mai. Lieb und Mailust ist verschwunden, Ist nur Mai in ihrem Blick, Keine Rose wird erfunden; – Flieht und eilt ihr trägen Stunden, Bringt die Braut mir bald zurück!«

Es war Rudolph, der nun hervortrat, und sich zu Sternbald an den Rand des Springbrunnens niedersetzte. »Ich erkannte dich wohl«, sagte Franz, »aber ich wollte dich in deinem zärtlichen Gesange nicht stören; doch siehst du muntrer aus, als ich dich erwartet hätte.«

»Ich bin recht vergnügt«, sagte Florestan, »der heutige Tag ist einer meiner heitersten, denn ich kenne nichts Schöneres, als so recht viel und mancherlei durcheinander zu empfinden, und deutlich zu fühlen, wie durch Kopf und Herz gleichsam goldne Sterne ziehen, und den schweren Menschen wie mit einer lieben wohltätigen Flamme durchschimmern. Wir sollten täglich recht viele Stimmungen und frische Anklänge zu erleben suchen, statt uns aus Trägheit in uns selbst und die alltägliche Gewöhnlichkeit zu verlieren.«

»Gewiß«, sagte Sternbald, »nur muß es nicht geschehn, bloß um mit uns selbst ein Spiel zu treiben, denn das Schöne und Ersprießliche ist, daß diese Stimmungen und Anregungen mit goldnem Schlüssel die Kammern unsers Geistes eröffnen, und uns die Schätze zeigen, die wir selber noch nicht kannten. So entsteht ein reiches und vielseitiges Leben, ein vertrauter und wohltuender Umgang mit uns selbst, und wir entfliehen jener abgeschlossenen Geistesarmut, die anfangs alles eigensinnig und spröde von sich weiset, und endlich durch nichts mehr gerührt und entzückt wird, denn der Mensch soll nicht sagen: ›Dieses will und werde ich niemals denken und fühlen!‹ aber er soll auch die Entzückungen seines Herzens nicht vergeuden, bloß um die Zeit auszufüllen, sonst verarmt er ebenfalls, und vielleicht noch schneller, auf diesem Wege. Darum hat mir auch der Schluß deines heutigen Trinkliedes nicht gefallen wollen; vielleicht ist mir überhaupt der Scherz und Leichtsinn unverständlich, der nicht zugleich Tiefsinn und Ernst sein könnte.«


Date: 2016-01-14; view: 444


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