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Fünftes Kapitel 4 page

Franz ließ sich das Haus bezeichnen und eilte atemlos dahin. Er kam in eine armselige Stube, in welcher der Kranke in einem Bette lag, und vor sich Papiere hatte, auf denen er zeichnete. Als Sternbald näher kam, erstaunte er, den Schmied vor sich zu sehn, mit dem er vor Nürnberg am Tage seiner Auswanderung gesprochen hatte. »O mein lieber Freund!« rief er aus, »wie ist es möglich, daß ich Euch nicht früher irgendwo gesehn habe? Jetzt führt mich das sonderbarste Verhältnis, der schönste Befehl zu Euch. Längst hätte ich Euch aufgesucht, wenn ich nur ahnden konnte, daß Ihr wieder in Antwerpen wärt.« Der junge Schmied erkannte den Maler auch sogleich wieder und hüllte sich weinend in die Kissen, als Franz von Sara sprach, und er hörte, welche zärtliche Botschaft sie ihm sende. »O Maler!« rief er aus, »Ihr glaubt nicht, was ich ausgestanden habe, seitdem ich Euch damals gesprochen hatte. Aber über Euch muß ich klagen, denn Ihr seid eigentlich schuld an allem: ist es doch nicht anders, als wäre damals von Eurer Zunge Gift durch meine Ohren in meinen Körper geflossen, daß sich seitdem alle meine Sinne verdreht und verschoben haben, und ich darüber ein ganz anderer Mensch geworden bin. Seit ich Euren Dürer sah, hatte ich keine Ruhe mehr in mir selber, es war, als wenn es an allen meinen Sinnen zöge und arbeitete, daß ich immer an Malereien und Zeichnungen denken mußte; an nichts in der Welt fand ich mehr Gefallen, die Schmiedearbeit war mir zur Last. Ich zeichnete täglich etwas, und selbst in der Krankheit kann ich es nicht lassen; seht, da habe ich eine herrliche Figur von Lukas von Leyden.«

Franz betrachtete sie; der junge Mensch hatte sie sehr gut kopiert, und Franz verwunderte sich darüber, daß er es ohne allen Unterricht so weit habe bringen können. Der Schmied fuhr fort: »So kam ich nach Antwerpen zurück und nichts war mir hier recht. Ich hatte immer noch den Dürer und seine Werkstätte im Kopf, es kam so weit, daß ich mich meines Hammers schämte, ich verdarb die Arbeit, ich konnte nicht mehr fort. Es lebt hier der alte Messys, der Maler, der auch ein Schmied gewesen ist. Ich wollte auch nicht mehr arbeiten, denn jeder Schlag auf dem Amboß ging mir durch Herz und Gehirn, weil ich glaubte, daß ich mit jedem meine Hand schwerer und unbehülflicher machte, und darüber noch weniger würde zeichnen können. Ich warf den Hammer weg, wie meinen ärgsten Feind. Nun kamen und gingen mir Bilder hin und her, und auf und ab; alles wollte ich in Gedanken malen, ich träumte von großen Sälen, die alle dicht voll Schildereien hingen, die ich gemacht hatte. Das war aber noch nicht das größte Unglück, daß ich mich schon unter den übrigen Menschen wie ein Halbverrückter umtrieb. Bis dahin hatte es auf mir nur noch wie auf kaltem Eisen gehämmert, aber nun kam ich in die Glut, und da wurde vollends mein altes Wesen aus mir herausgebrannt und -geschlagen als wenn viele tausend Funken bei jedem Hiebe aus Brust und Herzen flogen. O Maler, ich habe viel ausgestanden.



Seht, Freund, ich habe wohl sonst auch die Menschen, und Weiber und Mädchen mit einem scharfen, guten Auge angesehen, aber seit ich mich geübt hatte, daß ich in allen schönen Linien mit meiner Seele mitging, seit ich gefühlt hatte, was die wundersame Farbe bedeuten könne, und wie gleichsam ein ganzes Paradies von Wangen und Lippen und ein ewiges Firmament aus den Augen leuchten könne, da war ich ein verlorener Mensch, denn gerade um die Zeit, als dies Gefühl mich, möcht ich doch sagen wie ein heißes Fieber befiel, sah ich sie, Sara, bei schönem Sommerwetter in der Türe stehn. Ich hatte sie früher auch schon gesehn und immer gedacht: ›Ein schönes, reiches Mädchen!‹ aber sie blieb die Fremde, die mich nichts anging: – aber von jener Stunde an, Maler – doch Ihr begreift es nicht, wenn ich's auch sagen wollte: – von jenem Augenblick, als ich sie so im Vorbeigehn ansah und grüßte, wie oft geschehn war, und sie mich grüßte – seht, da flog aus ihrem Auge in meins, und in meine Seele eine Angst, eine Lust, ein ganzer Himmel hinein, so daß mir mein ganzes Wesen zu enge wurde, daß es wie tausend und aber tausend Frühlingsbäume und Blumenbeete in mir aufging, knospete, und mit allen Prachtfarben losbrach, und mein Herz von den unzähligen Blüten, wie vom dichtesten Regen überschüttet wurde, und meine Seele vor Duft, Farben und Glanz in süße matte Betäubung sank. Und nun stand sie ganz aufrecht in meinem Herzen, und dehnte und dehnte sich, und stellte sich auf die Zehen, und die goldenen Haare fielen herunter, und so war ich darin wie eingewickelt in meinem Fieberwahn, und sie war noch größer als Himmel und alle Bäume und Blumen. Ich konnte nichts mehr zeichnen, sie und immer nur sie saß mir im Blut, und quoll aus den Fingerspitzen, und sah ich dann, wie plump die knechtische grobe Hand sie hingestellt hatte, so warf ich das Blatt gegen die Wand, dann riß ich es wieder vom Boden auf, und küßte die Züge mit meinen Lippen weg. Nicht wahr, Maler, der Mensch kann ein rechter Narr sein, wenn es erst in ihm so recht reif dazu wird.

Wunderbar! ich wußte es, daß auch in ihr was vorging, denn der blaue ewige Strahl war doch aus ihrer Seele in mich gegangen, und sie mußte fühlen, wie viel vom eigenen Herzen sie in mich gegossen hatte. So dachte ich, und so war es auch. Ich ging wieder vorüber: sie stand wie im Glanz, der sie rings umfloß, und es zog mich, daß ich mich auch in die Röte hinein zu ihr stellte. Wir sprachen, wir verstanden uns. Bin ich doch kein einzigesmal verwundert gewesen über das, was sie mir sagte: ich erschrak vor Wonnegefühl, daß sie mich so liebte, aber es war mir nur, als wenn ich es selbst gesagt hätte. Seht, Wandersmann, ich spreche etwas im Fieber, die vernünftigen Leute, wie Ihr, verstehn das nicht recht.

Ihr Vater hatte in Leiden Geschäfte und reisete dorthin; nun sah ich sie öfter: wir gingen heimlich miteinander spazieren. Des Abends, wenn ich sie nicht sprechen konnte, zeichnete ich ihr Bild, oder stellte mich dem Hause gegenüber, und ließ so die Nacht heranrücken. Ehe wir es uns versahen, kam der Vater zurück. Nun war es mit unsern Zusammenkünften aus; ich konnte sie nur manchmal im Vorbeigehn grüßen. Wie eine Decke fiel es mir von den Augen, und mein Herz wollte springen. Ich sah nun wieder den Unterschied unter uns beiden, wie mich der reiche Vater verachten müsse, wie ich so nichts gegen ihn sei. Nun hörte ich noch dazu, Sara würde bald verheiratet werden; ach! und es geschieht auch gewiß. Was soll ich anfangen? Mein Handwerk ist mir ein Abscheu, alles, worauf ich mich sonst wohl freuen konnte, Meister zu werden, und bei Gelegenheit eine künstliche Arbeit, einen Springbrunnen, Gitterwerk, oder dergleichen zu unternehmen, kommt mir nun kläglich vor. Ein Maler zu werden, dazu bin ich nun zu alt, Sara darf ich nicht sehn, nichts hoffen, so geh ich zugrunde, alles das zusammen hat mich so krank und schwach gemacht, daß ich bald zu sterben hoffe. Warum begegnen nur dem Menschen so sonderbare Gefühle? Aber das sag ich Euch, wer sie heiratet, den bring ich um; und bin ich schon vorher tot, so reißt mich die Verzweiflung gewiß noch als Gespenst hervor, um dem Bösewicht zu schaden. Damit kann man sich doch noch trösten. O Maler, helft mir doch zum Verstande, oder zu Sara, oder macht, daß mir Verstand und Leben gänzlich entweichen.«

Franz sagte mit Wehmut: »Nein, Ihr dürft nicht sterben; glaubt mir, daß Ihr gewiß noch Zeit genug habt, ein guter Maler zu werden, wenn Ihr diese Liebe zur Kunst behaltet. Ihr zeichnet schon so gut, als wenn Ihr lange in der Lehre gewesen wäret, und es kommt also nur auf Euch an, ein Maler zu werden. Dann dürft Ihr auch auf Eure Geliebte hoffen, denn der Vater achtet die Malerei und will nur einen Malerkünstler zum Eidam haben; darum hat er mir noch heut, so arm ich auch bin, seine Tochter angetragen. Deshalb tröstet Euch, sammelt wieder Lust zum Leben und Kräfte, denn Ihr könnt noch recht glücklich werden.«

Der Kranke schüttelte mit dem Kopfe, als wenn er nicht daran glauben könne, doch Franz fuhr so lange fort, ihn zu trösten, bis jener etwas beruhigt war. »Nun«, sagte er endlich, »Ihr habt mir versprochen, sie nicht zu nehmen, und es könnte Euch auch nicht zum Gedeihn ausschlagen. O Freund, wenn ich mir das hätte einbilden können, als wir im Busch miteinander frühstückten, so wärt Ihr mir nicht so mit heiler Haut davongekommen. Gebt mir noch einmal die Hand darauf, daß Ihr sie nicht wollt.« Franz reichte sie ihm, und jener drückte sie so stark, daß dem Maler ein Ausruf des Schmerzes entfuhr. Er eilte sogleich zu Vansen, den er bei einer Flasche Wein und bei guter Laune antraf. »Jetzt will ich Euch meine Antwort bringen, aber Ihr müßt mir mit Geduld zuhören.« Er erzählte hierauf die Geschichte seines Freundes, und sprach von der gegenseitigen Liebe der beiden jungen Leute. »Ihr wolltet mir«, schloß er, »als einem armen Menschen, der nicht mehr, als dieser Schmied besitzt, Eure Tochter geben, Ihr wolltet auf meine Zurückkunft warten: nun so tut es mit diesem, um das Glück Eurer einzigen Tochter zu begründen: sie ist jung, ich versichre Euch, der Kranke ist in wenigen Jahren ein guter Maler, der Euch Ehre macht, und so sind alle Eure Wünsche erfüllt.«

»Und Ihr seid überzeugt, daß er mit der Zeit gut malt?« fragte Vansen.

»Gewiß«, sagte Sternbald, »seht nur diese Zeichnungen, die wahrlich einen guten Schüler verraten.«

Er zeigte ihm einige Bilder, die er von Horstens Hand (so hieß der Jüngling) mitgebracht hatte, und Vansen betrachtete sie lange mit prüfenden Blicken; doch schien er endlich mit ihnen zufrieden zu sein. »Ihr seid ein braver junger Mensch«, rief er aus, »Ihr könntet mich zu allem bewegen. So geht also zu dem armen Teufel und grüßt ihn von mir, sagt, er soll nur gesund werden und wir wollen dann weiter miteinander sprechen.«

Franz sprang auf. Im Vorsaal begegnete ihm Sara, der er mit wenigen Worten alles erzählte; dann eilte er zum Kranken. »Seid getrost«, rief er aus, »alles ist gut, der Vater bewilligt Euch die Tochter, wenn Ihr Euch auf die Malerei legt. Darum werdet gesund, damit Ihr ihn selber besuchen könnt.«

Der Kranke wußte nicht, ob er recht höre und sehe. Franz mußte ihm die Versicherung öfters wiederholen. Als er sich endlich überzeugte, sprang er auf und kleidete sich schnell an. Dann tanzte er in der Stube herum, wobei er alte niederländische Bauernlieder sang, bald umarmte und küßte er Sternbald, dann weinte er wieder, und trieb ein seltsames Spiel mit seiner Freude, das den jungen Maler innig bewegte. »Ist es so gekommen?« rief er dann; »so? Ei so gibt es ja da draußen auch noch was, was ebenso gut, wie die Trauer drinnen ist. Aber das soll auch dem langen breitschultrigen Burschen, meinem Schwiegervater, von Gott und von mir vergolten werden! Ich schwöre, Maler, sowie ich nur erst mit den Farben umzugehn weiß, daß ich ihn Euch hinstelle, wie er leibt und lebt, mit seiner Erbse auf der Mitte der Nase, wie er sein Geld zählt, wie er die Stücke prüfend betrachtet, und die linke Hand den Geldhaufen vorsorglich und tastend deckt, alles, wie er in seiner Schreibestube herumhantiert. Die ganze Schreibestube male ich ab, auch seinen Handelsdiener, mit seinem krummen, spitzigen Rücken, und dem verfluchten Gesicht, das man durch eine Nadel fädeln könnte. Auch seine rote, gelbe Federmütze soll zu Ehren kommen. Gott verzeih' mir die Bosheit, wie oft, wenn ich ihn über die Straße gehn sah, und ich fühlte so recht im Herzen seinen Hochmut, trieb mich der Teufel an, daß ich ihm die Mütze abreißen, und einen recht derben Schlag mit dem Hammer auf den Kopf geben wollte. Aber nein, nun wird er gemalt, ganz, alles an ihm, nun ist er mein Schwiegervater, und ich beweise ihm Liebe und Ehrfurcht. Kommt, lieber Franz, glaubt nicht, daß ich so böse bin, ich bin nur zu glücklich, und dumme Gedanken hat auch der beste Mensch. Ihr kriegt dergleichen wohl auch noch einmal. Kommt nun!«

Sie machten sich auf den Weg nach Vansens Hause. Auf der Straße taumelte der Kranke, als ihn die ungewohnte freie Luft umfing; Franz unterstützte ihn und so kamen sie hin. Das erste was sie im Hause sahen, war Sara, und Horst gebärdete sich wie ein Verrückter; sie schrie laut auf, da er plötzlich so unvermutet und blaß vor ihr stand. Sie kamen in das Zimmer des Vaters, der sehr freundlich war, Horst war verlegen und blöde. »Ihr liebt meine Tochter«, sagte der Kaufmann, »und Ihr versprecht, Euch auf die Malerei zu legen, so daß Ihr Euch in einigen Jahren als ein geschickter Mann zeigen könnt: unter dieser Bedingung verlobe ich sie Euch; aber dazu müßt Ihr reisen, und trefflich studieren, ich will Euch zu diesem Endzweck auf alle Weise unterstützen. Vor allen Dingen müßt Ihr suchen, gesund zu werden.«

Die beiden Liebenden kamen hierauf in Gegenwart ihres Vaters zusammen und fühlten sich unaussprechlich glücklich. Horst mußte eine bessere Wohnung beziehen, und nach einigen Tagen war er fast ganz hergestellt. Er wußte nicht, wie er unserm Freunde genug danken sollte.

Es waren jetzt die letzten Tage des Februars, und die erste Sonnenwärme brach durch die neblichte Luft. Franz und Rudolph machten sich auf die Reise. Ehe sie Antwerpen verließen, erhielt Franz von Vansen ein ansehnliches Geschenk; der Kaufmann liebte den jungen Maler zärtlich. Sternbald und Florestan hatten jetzt schon die Tore der Stadt weit hinter sich, sie hörten die Glocken aus der Ferne schlagen, und Rudolph sang mit lauter Stimme:

»Wohlauf! es ruft der Sonnenschein Hinaus in Gottes freie Welt! Geht munter in das Land hinein Und wandelt über Berg und Feld! Es bleibt der Strom nicht ruhig stehn, Gar lustig rauscht er fort; Hörst du des Windes muntres Wehn? Er braust von Ort zu Ort. Es reist der Mond wohl hin und her, Die Sonne ab und auf, Guckt übern Berg und geht ins Meer, Nie matt in ihrem Lauf. Und, Mensch, du sitzest stets daheim, Und sehnst dich nach der Fern: Sei frisch und wandle durch den Hain, Und sieh die Fremde gern. Wer weiß, wo dir dein Glücke blüht, So geh und such es nur, Der Abend kommt, der Morgen flieht, Betrete bald die Spur. Laß Sorgen sein und Bangigkeit, Ist doch der Himmel blau, Es wechselt Freude stets mit Leid, Dem Glücke nur vertrau. So weit dich schließt der Himmel ein, Gerät der Liebe Frucht, Und jedes Herz wird glücklich sein, Und finden was es sucht.«

Drittes Buch

Erstes Kapitel

O Jugend! du lieber Frühling, der du so sonnenbeschienen vorn im Anfange des Lebens liegst! wo mit zarten Äugelein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter, wie mit fröhlicher Stimme dir winken, dir zujauchzen! Du bist das Paradies, das jeder der spätgebornen Menschen betritt, und das für jeden immer wieder von neuem verlorengeht.

Gefilde voll Seligkeit! überhangend von Blüten, durchirrt von Tönen! Sehnsucht weht und spielt in deinen süßen Hainen. Vergangenheit so golden, Zukunft so wunderbar: wie mit dem Sirenengesange der Nachtigall lockt es von dorther; mondliche Schimmer breiten sich auf dem Wege aus, liebliche Düfte ziehen aus dem Tale herauf, vom Berge nieder der Silberquell. O Jüngling, in dir glänzt Morgenröte, sie rückt mit ihren Strahlen und wunderglänzenden Wolkenbildern herauf: dann folgt der Tag, bis auf die Spur sogar verfließt die himmlische Sehnsucht; alle Liebesengel ziehen fort, und du bist mit dir allein. War alles nur Dunst und bunter Schatten, wornach du brünstig die Arme strecktest? –

Aus Wolken winken Hände, An jedem Finger rote Rosen, Sie winken dir mit schmeichlerischem Kosen, Du stehst und fragst: wohin der Weg sich wende? Da singen alle Frühlingslüfte, Da duften und klingen die Blumendüfte, Lieblich Rauschen geht das Tal entlang: »Sei mutig, nicht bang! Siehst du des Mondes Schimmer? Der Quellen hüpfendes Geflimmer? In Wolken hoch die goldnen Hügel? Der Morgenröte himmelbreite Flügel? Dir entgegen ziehn so Glück als Liebe, Dich als Beute mit goldenen Netzen zu fahn, So leise lieblich, daß keine Ausflucht bliebe Umstellen sie dich, bald ist's um dich getan.« – Was will das Glück mit mir beginnen? O Frühlingsnachtigall! singst du drein? Schon dringt die sehnende Lieb auf mich ein; Wie Mondglanz webt's um meine Sinnen. Wie bang ist mir's, gefangen mich zu geben, Sie nahn, die Scharen der Wonne, mit Heeresmacht! Verloren, verträumt ist das fliehende Leben, Schon rüstet sich Lieb und Glück zur Schlacht. Der Kampf ist begonnen, Ich fühle die Wonnen Durchströmen die Brust: O selge Gefilde, Ich komme, wie milde Erquickt und ermattet des Lebens Lust! Es sinket vom Himmel Der Freuden Gewimmel Und lagert sich hier: Im Boden, ich fühle Der Freuden Gewühle, Sie streben und drängen entgegen mir. Der Quellen Getöne, Der Blümelein Schöne, Ihr lieblicher Blick, Sie winken so eigen, Ich deute das Schweigen, Sie wünschen mir alle zum Leben Glück. – – Nun wandelt das Kind auf grünen Wegen Den goldglänzenden Strahlen entgegen, Im bangen Harren geht es weit, Es klopft das Herz, es flieht die Zeit. Da ist's, als wenn die Quellen schwiegen, Ihm dünkt, als dunkle Schatten stiegen, Und löschten des Waldes grüne Flammen, Es falten die Blumen den Putz zusammen. Die freundlichen Blüten sind nun fort Und Früchte stehn an selbigem Ort; Die Nachtgall versteckt die Gesänge im Wald, Nur Echo durch Still und Einsamkeit schallt. – »Morgenröte! bist du nach Haus gegangen?« Ruft das Kind, und streckt die Händ und weint; »O komm! ich bin erlöst vom Bangen, Du wolltest mich mit goldnen Netzen fangen, Du hast es gewiß nicht böse gemeint. Ich will mich gerne drein ergeben, Es kann und soll nicht anders sein: Ich opfre dir mein junges Leben, O komm zurück, du Himmelsschein!« – Aber hoch und höher steigt das Licht, Und bescheint das tränende Gesicht; Die Nachtigall flieht waldwärts weiter, Quell wird zum Fluß und immer breiter. »Ach! und ich kann nicht hinüberfliegen, Was mich erst lockte, ist nun so weit, Der Morgenglanz, die Töne müssen jenseits liegen, Ich stehe hier, und fühle nur mein Leid!« – – Die Nachtigall singet aus weiter Fern: »Wir locken, damit du lebest gern, Daß du dich nach uns sehnst, und immer matter sehnst, Ist, was du töricht dein Leben wähnst.« – –

Franz Sternbald und sein Freund Rudolph Florestan durchwanderten jetzt den Elsaß. Es war die Zeit im Jahre, wenn der Frühling in den Baumknospen schläft, und die Vögel ihn in den unbelaubten Zweigen aufwecken wollen. Die Sonne schien blaß und gleichsam blöde auf die warme, dampfende Erde hernieder, die das erste neue Gras aus ihrem Schoße gebar. Sternbald erinnerte sich der Zeit, als er zuerst seine Pflegeeltern verließ, um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in solchem Wetter hatte er sein friedliches Dorf verlassen. Er gedachte der kindischen Verwunderung, mit der er von Hügeln und Waldhöhen die schäumenden, Schnee wälzenden Bäche im Glanze der ersten Wärme hatte rollen sehn, welch wundersamer Duft, wie Lebenshauch, ihm aus der locker gewordenen Erde aufgestiegen, und wie im ernsten Braun hie und da die grünen Streifen ihn wie ein Lächeln angesehn, und ihm schon vom Sommer und seinem Obst erzählt hatten: wie nach der Wanderung vieler Tage sich endlich dieses Märchen durch das Wunder der großen Stadt im brennenden Abendgolde, und beim Schein des Lichtes mit Dürers edlem Antlitz beschlossen habe. Sie gingen, indem Rudolph fröhliche Geschichten erzählte, durch die schöne Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch sahen sie den erhabenen Münster; in der nächsten Stadt wollten sie einen Mann erwarten, der auf der Rückreise von Italien begriffen war.

In Straßburg hatte Franz seinem Sebastian folgenden Brief geschrieben:

 

Jetzt, lieber Sebastian, ist mir sehr wohl, und Du wirst Dich darüber freuen. Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe, die Gegenwart und Vergangenheit mit gleicher Liebe, und alle Empfindung trage ich sorglich zu meiner Kunst hinüber. Warum quäle ich mich ab, da ich mich doch am Ende überzeugen muß, daß jeder nur das leisten wird, was er leisten kann? Wie kurz ist das Leben; und warum wollen wir es mit unsern Beängstigungen noch mehr verkürzen? Jeder Künstlergeist muß sich ohne Druck und äußern Zwang, wie ein edler Baum mit seinen mancherlei Zweigen und Ästen ausbreiten; er strebt von selbst durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und so erzeugt sich die erhabene oder sinnige Pflanze, sei es Eiche, Buche oder Zypresse, Myrte oder Rosengesträuch, je nachdem der Keim beschaffen war, aus dem sie zuerst in die Höhe sproßte. So musiziert jedes Vögelein seine eigentümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch jezuweilen einer dem andern nach- und zuvortun; aber sie verfehlen doch nie so sehr ihren Weg, wie es dem Menschen nur gar zu oft geschieht.

So will ich mich denn der Zeit und mir selber überlassen. Mein Freund Rudolph lacht täglich über meine unschlüssige Ängstlichkeit, die sich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne spiegeln sich alle Empfindungen, und lassen nachher eine Spur zurück, und selbst das, was das Gemüt nicht aufbewahrt, nährt heimlicherweise den Sinn der Kunst und ist nicht verloren. Das tröstet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich sonst nur gar zu oft überwältigten.

Auf eine magische Weise, (zauberisch oder himmlisch, denn ich weiß nicht, wie ich es nennen soll) ist meine Phantasie mit dem Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir schon so oft gesprochen habe. Es ist wunderbar. Die Gestalt, die Blicke, der Zug des Mundes, alles steht deutlich vor mir, und doch wieder nicht deutlich, denn es dämmert dann wie eine ungewisse, vorüberschwebende Erscheinung vor meiner Seele, daß ich es festhalten möchte, und Sinnen und Erinnerung brünstig ausstrecke, um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu meinem Eigentum zu machen. So ist es mir oft seitdem ergangen, wenn ich die Schönheit einer Landschaft so recht innigst empfinden wollte, oder die Größe eines Gedankens mir festhalten, oder eine wundersame Empfindung oder Blicke in das Überirdisch-Schöne, oder den Glauben an Gott. Es kömmt und geht; bald Dämmerung, bald Mondschein, nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht. Der Geist ist in Arbeit, im rastlosen Streben, sich aus den Ketten aufzurichten, die ihn im Körper zu Boden halten.

Oh, mein Sebastian! wie wohl ist mir, und wie lieblich fühl ich in mir die Regung der Lebenskraft und die heitre Jugend! Es ist herrlich, was mir die Rheinufer, die Berge um Bonn, und die wunderbaren Krümmungen des Gewässers verkündigt haben. Von dem großen Münster in Straßburg, von Köln und seinen Herrlichkeiten will ich Dir ein andermal reden, ich bin zu voll davon.

In Straßburg habe ich für einen reichen Mann eine Heilige Familie gemalt. Es war das erstemal, daß ich meinen Kräften in allen Stunden vertraute, und mich begeistert, und doch ruhig fühlte. In der Muttergottes habe ich gesucht die Gestalt hinzuzeichnen, die mein Inneres erleuchtet, die geistige Flamme, bei der ich mich selber sehe und alles, was in mir ist, und durch die alles vom lieblichsten Widerscheine verschönt und strahlend lebt. Es war beim Malen derselbe Kampf zwischen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber ist es mir vielleicht nur gelungen. Die Gestalten, die wir wahrhaft anschauen, sind eben dadurch in uns schon zu irdisch und wirklich, sie tragen zu viele Merkmale an sich, und vergegenwärtigen sich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegenteil aufs Erfinden aus, so bleiben die Gebilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen sich nicht aus ihrer ungewissen Ferne heraus. Aus dem Mittel zwischen beiden habe ich wie etwas Übermenschliches gesucht, und eine Gestalt hervorgebracht, die mich zauberisch von der Tafel anblickte. Sollte die Kunst vielleicht immer so verfahren, um Überirdisch-Unsichtbares sichtbar zu machen? Und, sonderbarer Gedanke, kann ich vielleicht nur dichtend malen, bis ich sie wiederfinde? und dann sollte wohl in ihrer Gegenwart mein Talent erlöschen, weil mein Geist sie nicht mehr zu suchen brauchte? Nein, ich will es nicht glauben, festen Mutes will ich in das Gebiet der Kunst vorrücken; ich fühle es ja, wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt ist, es ist also mein Gebiet, mein Eigentum, ich darf darin schalten und mich einheimisch fühlen.

Wirf mir nicht Stolz vor, Sebastian; denn Du tätest mir Unrecht. Ich bin und bleibe, wie ich war. Der Himmel schenke Dir Gesundheit. –

Nach einigen Tagen waren die Wälder, Felder und Berge grün geworden, und die Obstbäume blühten, der Himmel war heiter und blau, sanfte Frühlingslüfte spielten zum erstenmal durch den Sonnenschein und über die fröhliche Natur hin. Sternbald und Rudolph waren entzückt, als sie von einem Hügel hinab in die überschwengliche Pracht hineinschauten. Das Herz ward ihnen groß, und sie fühlten sich beide neugeboren, von Himmel und Erde mit Liebe magnetisch angezogen.

»Oh, mein Freund!« rief Sternbald aus, »wie liebreizend hat sich der Frühling so plötzlich aufgeschlossen! Wie ein melodischer Gesang, wie angeschlagene Harfensaiten sind diese Blüten, diese Blätter herausgequollen, und strecken sich nun der liebkosenden, warmen Luft entgegen. Der Winter ist fort, wie eine Verfinsterung, die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben. Sieh, alles keimt und sproßt und blüht, die kleinsten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen sich hinzu; alle Vögel singen und jauchzen und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld ist die ganze Schöpfung in Bewegung, und wir sitzen hier als Kinder, und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächsten.«

Rudolph nahm seine Flöte und blies ein lustiges Lied. Es schallte fröhlich den Berg hinunter, und Lämmer im Tal fingen an zu tanzen.

»Wenn nur der Frühling nicht so schnell vorüberginge!« sagte Rudolph; »er ist eine Morgenbegeisterung, die die Natur selbst nicht lange aushält.«

»Oder daß es uns nur gegeben wäre«, sagte Sternbald, »diese Fülle, diese Allmacht der Lieblichkeit in uns zu saugen, und im hellsten Bewußtsein diese Schätze aufzubewahren. Ich wünsche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Gesängen den übrigen Menschen diese Gefühle geben könnte; daß ich unter Musik und Frühlingswehen dichtete, und die höchsten Lieder sänge, die der Geist des Menschen bisher noch ausgeströmt hat. Ich fühle es jedesmal, wie Musik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie Engel mit himmlischer Unschuld alle irdischen Begierden und Wünsche fern abhalten. Wenn man ein Fegefeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, so ist im Gegenteil die Musik ein Vorhimmel, wo diese Läuterung durch wehmütige Wonne geschieht.«

»Das ist«, sagte Rudolph, »wie du die Musik empfindest; aber gewiß werden wenige Menschen mir dir darin übereinstimmen.«

»Davon kann ich mich nicht überzeugen«, rief Franz aus. »Nein, Rudolph, sieh alle lebendige Wesen, wie die Töne der Harfe, der Flöte, und jedes angeschlagenen Instrumentes sie ernst machen: selbst die Gesänge, die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern, gießen eine schmachtende Sehnsucht, eine unbekannte Wehmut in das Gemüt. Der Jüngling und das Mädchen mischen sich dann in den Reigen, aber sie suchen mit den Gedanken jenseit dem Tanze einen andern, geistigern Genuß.«

»Oh, über die Einbildungen!« sagte Rudolph lachend; »eine augenblickliche Stimmung in dir trägst du in die übrigen Menschen hinüber. Wer denkt beim Tanze etwas anders, als daß er den Reigen durchführt, daß er sich im hüpfenden Schwarm auf eine lebendige Art ergötzt, und in diesen fröhlichen Augenblicken Vergangenheit und Zukunft durchaus vergißt. Der Tänzer sieht nach dem blühenden Mädchen, sie nach ihm; ihre Augen begegnen sich glänzend, und wenn sie eine Sehnsucht empfinden, so ist es gewiß eine ganz andere, als du sie geschildert hast.«


Date: 2016-01-14; view: 418


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