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Fünftes Kapitel 3 page

Franz hielt eine kleine Weile ein, weil er sich wirklich die Tränen abtrocknete, dann fuhr er fort: »Auch kann es der Kunst zu keinem Vorwurfe gereichen, daß ihr unwürdige Menschen zu nahe treten, und sich ihr als Priester aufdrängen. Daß es in ihr Abwege und Irrtümer geben kann, beweist eben ihre Erhabenheit. Der Handwerker kann nur auf eine Art vortrefflich sein, in den mechanischen Künsten ist eine Erfindung die beste; nicht also mit der göttlichen Malerei. Je tiefer einige sinken, um so höher steigen andre; wenn es jenen möglich ist, den Weg zu verfehlen, so ist es diesen dafür vergönnt, das Göttliche zu erreichen, und uns wie durch himmlische Offenbarung mitzuteilen.«

»Ihr habt Eure Sache recht wacker verteidigt«, sagte der Alte, »ob ich gleich noch manches dagegen einwenden könnte.«

Hier wurde das Gespräch durch die Nachricht unterbrochen, daß Vansens Tochter plötzlich krank geworden sei. Der Vater war in der größten Unruhe, er schickte sogleich nach einem Arzte, und besuchte seine geliebte Sara. Der Arzt kam und versicherte, daß keine Gefahr zu besorgen sei; es war spät und die Gesellschaft ging auseinander.

Franz ging nicht nach seiner Wohnung, sondern begleitete die übrigen. Alle hatten sich entfernt, und er war mit dem alten Manne allein. »Ihr vergebt mir wohl«, fing er an, »meine Hitze, da ich Euch heute als ein junger Mensch so auffahrend widersprochen habe; es kam, ohne daß ich sagen könnte, wie es geschah.«

»Wenn Ihr es so nehmt«, sagte der Alte, »so müßte ich Euch auch um Vergebung bitten, ich habe Euch nichts zu vergeben, Ihr seid ein wackrer Mensch und das freut mich.«

»Ihr glaubt recht zu haben«, sagte Franz.

»Laßt das«, fiel ihm der Alte ein; »haben nicht alle Zungen recht und alle unrecht? Jeder trachte darnach, daß er es wahr und redlich mit sich meine, das ist die Hauptsache.«

Franz sagte: »Wenn Ihr mir also nicht böse seid, so reicht mir zum Zeichen Eure Hand, denn mich gereut meine Heftigkeit.«

Der Alte drückte ihm die Hand herzlich, dann umarmte er ihn und sagte: »Sei immer glücklich, mein Sohn, und bewahre diese Herzensliebe zu allem Guten.« Franz ging zufrieden nach seiner Herberge.

Siebentes Kapitel

Rudolph war indessen nach Antwerpen gekommen, und da der Winter fast verflossen war, hatten sie ihre baldige Abreise beschlossen. Franz war damit beschäftiget, noch einige Bilder zu endigen, die er übernommen hatte, und unter diesen auch das von Vansens Tochter, die zwar wiederhergestellt, aber doch nicht zufriedener und heiterer war, als er sie seit lange gesehn hatte.

Als man sich das nächstemal wieder bei Vansen versammelte, rief dieser den jungen Maler, als er in das Haus trat, beiseit und sagte zu ihm: »Entfernt Euch heute nicht mit den übrigen, denn ich habe etwas Wichtiges mit Euch zu sprechen.« Als sie in den Saal traten, war die Rede wieder von der Kunst, und der neulich so strenge Alte schien sich heute gern belehren zu lassen. Ein angesehener Mann, der auch ein Sammler war, sagte: »Nicht ohne Rührung habe ich an den neulichen Streit gedacht, und mir ist ein alter Brief, oder vielmehr die Erzählung eines auswärtigen Freundes in die Hände gefallen, den ich euch heute mitteilen will, weil er sich besonders über den Gedanken verbreitet, der neulich auch erörtert wurde, wie schmerzlich es nämlich dem Künstler oft fallen müsse, sich von den geliebten Werken seines Fleißes auf immer zu trennen. Mein Freund ist ebenfalls ein Enthusiast für die Kunst, er sammelt viel, und sandte mir diese Erzählung, weil wir uns oft unsre Gedanken über dergleichen Gegenstände mitteilen, schon vor mehrern Jahren, und ich kann freilich nicht wissen, inwiefern sie Wahrheit enthält, oder ob sie zum Teil eine Erfindung ist, um eine Vorstellung klarer ins Licht zu stellen.«



Der Alte, so wie die übrigen, baten, sie mitzuteilen, Sternbald besonders war begierig, und jener zog einige Blätter hervor, und las folgendes:

»Ich war auf dem gewohnten Gange nach dem Walde begriffen, und freute mich schon im voraus, daß nun das Gemälde von der Heiligen Familie vollendet sein würde. Es war mir verdrießlich, daß der Maler so lange zögerte, daß er immer noch nicht meinen dringenden Bitten nachgab, zu endigen. Alle Gestalten, die mir begegneten, einzelne Gespräche, die ich unterwegs hörte, nichts ging mich an, denn nichts davon hatte Bezug auf mein Gemälde; die ganze außenliegende Welt war mir jetzt nur ein Anhang, höchstens eine Erklärung zur Kunst, meiner liebsten Beschäftigung. Einige alte arme Leute gingen vorbei, aber es war keiner darunter, der zu einem Joseph getaugt hätte, kein Mädchen hatte Spuren vom Antlitz der göttlichen Jungfrau, zwei Alte sahen mich an, als ob sie sich nicht unterständen, ein Almosen zu begehren; aber erst lange nachher fiel es mir ein, daß ich sie mit einer Kleinigkeit hätte fröhlich machen können.

Es war ein heiterer Tag, die Sonne schien in die Dunkelheit sparsam hinein, nur an einzelnen Stellen sah ich die lichte Bläue des Himmels. Ich dachte: ›O wie beglückt ist dieser Maler, der hier in der Einsamkeit, zwischen schönen Felsen, zwischen hohen Bäumen seinen Genius erwarten darf, dem keine andre der kleinlichen menschlichen Beschäftigungen nahetritt, der nur seiner Kunst lebt, nur für sie Aug und Seele hat. Er ist der glücklichste unter den Menschen, denn die Entzückungen, die uns nur auf Augenblicke besuchen, sind in seinem kleinen Hause einheimisch, die hohen Götter sitzen neben ihm, geheimnisreiche Ahndung, zärtliche Erinnerung spielen unsichtbar um ihn, Zauberkräfte lenken seine Hand, und unter ihr entsteht die wundervolle Schöpfung, die er schon vorher kennt, befreundet tritt sie aus dem Schatten, der sie dem Auge zurückhält.‹

Unter diesen Gedanken hatte ich mich der Wohnung genähert, die abseits im Holze lag. Auf einem freien weiten Platze stand das Haus, hohe Felsen erhoben sich hinter seinem Rücken, von denen Tannen rauschten und krauses Gebüsch sich im Winde oben rührte.

Ich klopfte an die Hütte. Die beiden Kinder des Malers waren zu Hause, er selbst war nach der Stadt gegangen, um einzukaufen. Ich setzte mich nieder, das Gemälde stand auf der Staffelei, aber es war ganz vollendet. Es übertraf meine Erwartung, meine Augen wurden auf den schönen Gestalten festgehalten: die Kinder spielten um mich her, aber ich gab nicht sonderlich acht darauf, sie erzählten mir dann von ihrer kürzlich gestorbenen Mutter, sie wiesen auf die Jungfrau, ihr sei sie ähnlich gewesen, sie glaubten sie noch vor sich zu sehen. ›Wie herrlich ist diese Wendung des Kopfs!‹ rief ich aus, ›wie überdacht! wie neu! Wie wohl ist alles angeordnet! Nichts Überflüssiges, und doch, welche herrliche Fülle!‹

Das Gemälde ward mir immer lieber, ich sah es in Gedanken schon in meinem Zimmer hängen, meine entzückten Freunde davor versammelt. Alle übrigen Bilder, die in der Malerstube umherstanden, waren in meinen Augen gegen dieses unscheinbar, keine Gestalt war so innig beseelt, so durch und durch mit Leben und Geist angefüllt, wie auf der Tafel, die ich schon als die meinige betrachtete. Die Kinder beschauten indessen den fremden Mann, sie verwunderten sich über jede meiner Bewegungen. Ihnen waren die Gemälde, die Farben alltäglich, sie wußten sich davon nichts Sonderliches, aber mein Kleid, mein Hut, diese Gegenstände waren ihnen dafür desto merkwürdiger.

Nun kam der Alte mit einem Korbe voll Eßwaren aus der Stadt, er war böse, daß er die alte Frau aus dem benachbarten Dorfe noch nicht antraf, die für ihn und seine Kinder kochen mußte. Er teilte den Kindern einige Früchte aus, er schnitt ihnen etwas Brot, und sie sprangen damit vor die Tür hinaus, lärmten und verloren sich bald in das Gebüsch.

›Ich freue mich‹, fing ich an, ›daß Ihr das Bild fertig gemacht habt. Es ist über die Maßen wohl geraten, ich will es noch heute abholen lassen.‹

Der alte Mann betrachtete es aufmerksam, er sagte mit einem Seufzer: ›Ja, es ist nun fertig, ich weiß nicht, wann ich wieder ein solches werde malen können; laßt es aber bis morgen stehn, wenn Ihr mir gefällig sein wollt, daß ich es bis dahin noch betrachten kann.‹

Ich war zu eifrig, ich wollte es durchaus noch abholen lassen, der Maler mußte sich endlich darin finden. Ich fing nun an, das Geld aufzuzählen, als der Maler plötzlich sagte: ›Ich habe es mir seitdem überlegt, ich kann es Euch unmöglich für denselben geringen Preis lassen, für den Ihr das letzte bekommen habt.‹

Ich verwunderte mich darüber, ich fragte ihn, warum er bei mir grade anfangen wolle, seine Sachen teurer zu halten, aber er ließ sich dadurch nicht irremachen. Ich sagte, daß ihm das Gemälde wahrscheinlich stehnbleiben würde, wenn er seinem Eigensinne folgte, da ich es bestellt habe, und es kein andrer nachher kaufen würde, wie es ihm schon mit so manchen gegangen. Er antwortete aber ganz kurz: die Summe sei klein, ich möchte sie verdoppeln, es sei nicht zu viel, übrigens möchte ich ihn nicht weiter quälen.

Es verdroß mich, daß der Maler gar keine Rücksichten auf meine Einwendungen nahm, ich verließ ihn stillschweigend, und er blieb nachdenkend auf seinem Sessel vor dem Bilde sitzen. Ich begriff es nicht, wie ein Mensch, der von der Armut gedrückt sei, so hartnäckig sein könne, wie er in seinem Starrsinne so weit gehe, daß er von seiner Arbeit keinen Nutzen ziehn wolle.

Ich strich im Felde umher, um meinen Verdruß über diesen Vorfall zu zerstreuen. Als ich so herumging, stieß ich auf eine Herde Schafe, die friedlich im stillen Tale weidete. Ein alter Schäfer saß auf einem kleinen Hügel, in sich vertieft, und ich bemerkte, daß er sorgsam an einem Stocke schnitzelte. Als ich näher trat und ihn grüßte, sah er auf, wobei er mir sehr freundlich dankte. Ich fragte ihn nach seiner Arbeit, und er antwortete lächelnd. ›Seht, mein Herr, jetzt bin ich mit einem kleinen Kunststücke fertig, woran ich beinahe ein halbes Jahr ununterbrochen geschnitzt habe. Es fügt sich wohl, daß reiche und vornehme Herren sich meine unbedeutenden Sachen gefallen lassen und sie mir abkaufen, um mir mein Leben zu erleichtern, und deshalb bin ich auf solche Erfindungen geraten.‹

Ich besah den Stock, als Knopf war ein Delphin ausgearbeitet, mit recht guter Proportion, auf dem ein Mann saß, welcher eine Zither spielte. Ich merkte, daß er den Arian vorstellen solle. Am künstlichsten war es, daß der Fisch unten, wo er sich an den Stock schloß, ganz fein abgesondert war, es war zu bewundern, wie ein Finger die Geduld und Geschicklichkeit zugleich haben konnte, die Figuren und alle Biegungen so genau auszuhöhlen, und doch so frei dabei zu arbeiten; es rührte mich, daß das mühselige Kunststück nur einen Knopf auf einem gewöhnlichen Stocke bedeuten solle.

Der alte Mann fuhr fort zu erzählen, daß er unvermutet ein Lied von diesem Delphin und Arian angetroffen, das ihm seither so im Sinne gelegen, daß er die Geschichte fast wider seinen Willen habe schnitzen müssen. ›Es ist recht wunderbar und schön‹, sagte er, ›wie der Mann auf den unruhigen Wogen sitzt, und ihn der Fisch durch seinen Gesang so liebgewinnt, daß er ihn sicher an das Ufer trägt. Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, auf welche Weise ich wohl das Meer machen könnte, so daß man auch die Not und das Elend des Mannes gewahr würde, aber dergleichen war pur unmöglich, wenn ich auch die See mit Strichen und Schnitzen hätte daran machen wollen, so wäre es doch nachher nicht so künstlich gewesen, wie jetzt der Stock durch den feinen Schwanz des Fisches mit dem obern Bilde verbunden ist.‹

Er rief einen jungen Burschen, seinen Enkel, der mit dem Hunde spielte, und befahl ihm das Lied abzusingen, worauf jener in einer einfachen Weise diese Worte sang:

›Arian schifft auf Meereswogen Nach seiner teuren Heimat zu, Er wird von Winden fortgezogen, Die See in stiller, sanfter Ruh. Die Schiffer stehn von fern und flüstern, Der Dichter sieht ins Morgenrot, Nach seinen goldnen Schätzen lüstern Beschließen sie des Sängers Tod. Arian merkt die stille Tücke, Er bietet ihnen all sein Gold, Er klagt und seufzt, daß seinem Glücke Das Schicksal nicht wie vordem hold. Sie aber haben es beschlossen, Nur Tod gibt ihnen Sicherheit, Hinab ins Meer wird er gestoßen; Schon sind sie mit dem Schiffe weit. Er hat die Leier nur gerettet, Sie schwebt in seiner schönen Hand; In Meeresfluten hingebettet Ist Freude von ihm abgewandt. Doch greift er in die goldnen Saiten, Daß laut die Wölbung widerklingt, Statt mit den Wogen wild zu streiten, Er sanft die zarten Töne singt: ›Klinge Saitenspiel! In der Flut Wächst mein Mut, Sterb ich gleich, verfehl ich nicht mein Ziel. Unverdrossen Komm ich, Tod, Dein Gebot Schreckt mich nicht, mein Leben ward genossen. Welle hebt Mich im Schimmer, Bald den Schwimmer Sie in tiefer, nasser Flut begräbt.‹ So klang das Lied durch alle Tiefen, Die Wogen wurden sanft bewegt, In Abgrunds Schlüften, wo sie schliefen, Die Seegetiere aufgeregt. Aus allen Tiefen blaue Wunder, Die hüpfend um den Sänger ziehn, Die Meeresfläche weit hinunter Beschwimmen die Tritonen grün. Die Wellen tanzen, Fische springen, Seit Venus aus den Fluten kam Man dieses Jauchzen, Wonneklingen In Meeresvesten nicht vernahm. Arian sieht mit trunknen Blicken Lautsingend in das Seegewühl, Er fährt auf eines Delphins Rücken, Schlägt lächelnd in sein Saitenspiel. Des Fisches Sinn zum Dienst gezwungen Naht schon mit ihm der Felsenbank, Er landet, hat den Fels errungen, Und singt dem Fährmann seinen Dank. Am Ufer kniet er, dankt den Göttern, Daß er entrann dem nassen Tod. Der Sänger triumphiert in Wettern, Ihn rührt Gefahr nicht an und Tod.‹

Der Knabe sang das Lied mit einem sehr einfachen Ausdrucke, indem er stets die kunstreiche Arbeit seines Großvaters betrachtete. Ich fragte den Hirten, wieviel er für sein Kunstwerk verlange, und der geringe Preis, den er forderte, setzte mich in Erstaunen. Ich gab ihm mehr als er wollte, und er war außer sich vor Freuden, aber noch einmal nahm er mir den Stock aus der Hand, und betrachtete ihn genau. Er weinte fast, indem er sagte: ›Ich habe so lange an dieser Figur geschnitzt, und muß sie nun in fremde Hände geben, es ist vielleicht meine letzte Arbeit, denn ich bin alt, und die Finger fangen mir an zu zittern, ich kann nichts so Künstliches wieder zustande bringen. Seit ich mich darauf geübt habe, sind viele Sachen von mir geschnitten, aber noch nichts habe ich bisher mit diesem Eifer getrieben; es ist mein bestes Werk.‹

Es rührte mich, ich nahm Abschied und begab mich auf den Weg zur Stadt. Je näher ich dem Tore kam, je mehr fiel es mir auf, je wunderlicher kam ich mir vor, daß ich mit einem so langen Stabe näher schritt. Ich dachte daran, wie es allen Einwohnern der Stadt, allen meinen Bekannten auffallen müsse, wenn ich mit dem langen Holze durch die Gassen zöge, an dem oben ein großes Bild sich zeigte. ›Dem ist leicht vorzubeugen‹, dachte ich bei mir selber, und schon hatte ich meine Faust angelegt, den bunten Knopf herunterzubrechen, um ihn in die Tasche zu stecken, und den übrigen Teil des Stocks dann im Felde fortzuwerfen.

Ich hielt wieder ein. ›Wie viele mühevolle Stunden‹, sagte ich, ›hast du, Alter, darauf verwandt, um den künstlichen Fisch mit dem Stocke zusammenzuhängen, dir wäre es leichter gewesen, ihn für sich zu schneiden, und wie grausam müßte es dir dünken, daß ich jetzt aus falscher Scham die schwerste Aufgabe deines mühseligen Werks durchaus vernichten will.‹

Ich warf mir meine Barbarei vor, und war mit diesen Gedanken schon in das Tor gekommen, ohne es zu bemerken. Es ängstete mich gar nicht, daß die Leute mich aufmerksam betrachteten; wohlbehalten und unverletzt setzte ich in meinem Zimmer den Stock unter andern Kunstsachen nieder. Die Arbeit nahm sich zwar nun nicht mehr so gut aus, als im freien Felde, aber innigst rührte mich immer noch der unermüdliche Fleiß, diese Liebe, die sich dem lieblosen Holze, der undankbaren Materie so viele Tage hindurch angeschlossen hatte.

Indem ich das Werk noch betrachtete, fiel mir der Maler wieder in die Gedanken. Es gereute mich nun recht herzlich, daß ich so unfreundlich von ihm gegangen war. Ihm war die Bildung seiner Hand und seiner Phantasie auch so befreundet, die er nur für eine Nichtswürdigkeit einem Fremden auf immer überlassen sollte. Ich schämte mich, zu ihm zu gehn und meine Reue zu bekennen, aber da standen die Gestalten der armen Kinder vor meinen Augen, ich sah die dürftige Wohnung, den bekümmerten Künstler, der, von der ganzen Welt verlassen, die Bäume und benachbarten Felsen als seine Freunde anredete. ›Wie einsam ist der Künstler‹, seufzte ich laut, ›den man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt, die die Kunstwerke hervorgibt, die wir lieben, den Urheber selbst aber vernachlässigen: es ist ein gemeiner, verdammlicher Eigennutz.‹

Ich schalt meine Scham, die mich an dem Tage fast zweimal grausam gemacht hatte; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus. Als ich vor dem Hause stand, hörte ich den Alten drinnen musizieren; es war eine wehmütige Melodie, die er spielte, er sang dazu:

›Von aller Welt verlassen Bist du, Maria, nah, Wenn Mensch und Welt mich hassen Stehst du mir freundlich da, So bin ich nicht verlassen Wenn ich dein Auge sah.‹

Mein Herz klopfte, ich riß die Tür auf, und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und er wußte erst nicht, was er aus mir machen sollte. ›Mein steinernes Herz‹, rief ich aus, ›hat sich erweicht, verzeiht mir das Unrecht, das ich Euch heut morgen tat.‹

Ich gab ihm für sein Bild weit mehr, als er gefordert, als er erwartet hatte, er dankte mir mit wenigen Worten. ›Ihr seid‹, fuhr ich fort, › mein Wohltäter, nicht ich der Eurige, ich gebe, was Ihr von jedem erhalten könnt, Ihr schenkt mir die kostbarsten, innersten Schätze Eures Herzens.‹

Der Maler sagte: ›Wenn Ihr das Bild abholen laßt, so erlaubt mir nur, daß ich manchmal, wenn es Euch nicht stört, oder Ihr nicht zu Hause seid, in Eure Wohnung kommen darf, um es zu betrachten. Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen, alle meine Kräfte erliegen, und das Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hände erschaffen haben. Dazu so trägt die Muttergottes die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst, mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt.‹

Ich umarmte ihn wieder: wie herzensarm, wie verlassen, wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann, den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können! – Er wurde von diesem Tage mein Freund, wir ergötzten uns oft, indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen.

Aber er hatte recht. Nach einem halben Jahre war er gestorben, er hatte mancherlei angefangen, aber nichts vollendet. Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten, ich habe vieles an mich gehandelt.

Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich: auch ich unterstütze sie. Ein Tägelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte, wo sonst die Kunst einheimisch war, wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten. Oft gehe ich vorüber und höre einzelne Reden der Einwohner, oft seh ich auch den alten Hirten noch. – Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken.« –

Sternbald weinte und Vansen sagte: »Ja wohl ist dergleichen zu bejammern, und ich habe immer gern Künstlern geholfen und von ihnen arbeiten lassen; was der Frühling der Welt, ist die Kunst dem übrigen Menschenleben.«

»Neben jenem Punkte«, sagte der Alte, »den die Erzählung, mag sie nun offen da sein, oder nicht, erörtern soll, lehrt sie auch, wie selbstsüchtig diese scheinbar zartesten Gefühle den Menschen machen können, und so könnte ich, wenn ich streiten wollte, sie als eine Bestätigung meiner natürlichen Behauptungen ansehn, da sie doch gegen diese hauptsächlich zu kämpfen scheint. So ist das meiste im Leben doppelt und vielfach, und es ist gut, sich zu gewöhnen, die Dinge von verschiedenen, oft entgegengesetzten Seiten anzusehn.«

Als sich nach dem heitern Abendessen die übrigen Gäste entfernten, blieb Sternbald zurück und folgte dem Vansen auf dessen Wink in ein abgelegenes Zimmer. »Lange schon«, fing der Alte an, »habe ich über eine Sache mit Euch sprechen wollen, aber noch immer nicht die gelegene Zeit dazu treffen können.«

Sie setzten sich und Vansen fuhr in einem vertraulichen Tone fort: »Je mehr ich Euch kennenlerne, lieber Sternbald, je mehr muß ich Euch hochschätzen, denn die jugendliche Schwärmerei, die Euch zuzeiten mit sich fortreißt, wird sich gewiß mit den Jahren verlieren. Seht, das ist das einzige, was ich allenfalls gegen Euch hätte, aber sonst lieb ich Euch so sehr, wie ich bis jetzt noch keinen Menschen wertgehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunst, die ich von Jugend auf vorzüglich verehrt habe. Ich will Euch näherkommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das sonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt, seit Ihr in unserm Hause bekannt geworden seid; meine Sara war sonst nie so melancholisch, sondern die Lustigkeit selbst; seit sie Euch gesehn hat, ist ihr ganzer Sinn umgewandt. Sagt mir aufrichtig, wie gefällt sie Euch?«

Franz versicherte, daß er sie sehr liebenswürdig finde, und der Vater fuhr fort: »Seit vielen Jahren habe ich es mir fest vorgenommen, und es ist ein Vorsatz, von dem ich gewiß nicht weiche, daß niemand als ein geschickter Maler mein Eidam werden soll. Es kommt nun bloß auf Euch an, ob ich in Euch meinen Mann gefunden habe. Ich weiß alles, was Ihr mir antworten könnt, aber laßt mich ausreden. Ich will Euch damit keinesweges von Eurer Reise zurückhalten, sondern ich muntre Euch vielmehr selber auf, Italien zu besuchen und dort zu studieren. Meine Tochter liebt Euch, Ihr versprecht Euch mit ihr, und mein Vermögen macht Euch die Reise bequemer und nützlicher. Ihr kommt dann zurück, und was ich besitze sichert Euch vor dem Mangel. Ihr könnt dann Eurer Kunst, wie Ihr Euch immer gewünscht habt, mit allen Kräften obliegen. Ihr braucht nicht des Gewinstes wegen zu arbeiten, was Ihr uns neulich mit so vieler Rührung als das größte Unglück des Künstlers vorstelltet, und wodurch ich selber bewegt wurde; Ihr werdet bekannt und berühmt, meine Tochter ist mit Euch glücklich, und alle meine Wünsche sind erfüllt.«

Franz war heftig bewegt, er dankte in den wärmsten Ausdrücken dem Kaufmann für sein Wohlwollen, er bat ihn, noch jetzt keine entscheidende Antwort zu verlangen und sein Zögern nicht übel zu deuten. Er verließ ihn, und schweifte mit tausend Vorstellungen durch die Straßen umher. So nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben noch nie getreten, um sein inneres poetisches zu verdrängen, und doch war es ein weit höheres, als seine Pflegemutter oder Zeuner ihm anbieten konnten; er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen, das schöne Bild seiner Phantasie stand bald ganz hell vor ihm, bald rückte es tief in den Hintergrund hinab. Hier bot sich ihm ganz unverhofft eine sichere Zukunft an, eine Lebensweise, wie sie immer sein Wunsch gewesen war, und man forderte nichts weiter von ihm, als einen Schatten, ein Traumbild aufzuopfern, das nicht sein war. Doch fürchtete er sich wieder, so seinen Lebenslauf zu bestimmen und sich selber Grenzen zu setzen; die Sehnsucht rief ihn wieder in die Ferne hinein, seltsame Töne lockten ihn und versprachen ihm ein goldenes Glück, das weit ab seiner warte. »Mein Leben fängt an ein Leben zu werden«, rief er aus, »sich so zu gestalten, wie ich es seit früher Kindheit nur mit Sehnsucht wünschen konnte, Liebe und Wohlwollen kommen mir entgegen und tragen das Füllhorn, das mich gegen Unglück und Demütigungen beschützen soll, in reichen Händen. Und was ist es denn, was sich in mir dagegen auflehnt? Ein Nachtgebild, ein Traumgespenst, das mit phantastischen fremden Wundern gekränzt ist. Kann mich das Schicksal auf gelindere Weise aus meinem Traume voll Unmöglichkeiten wecken? Wäre ich nicht wahnsinnig, das gewisseste, edelste Gut gegen jenen Schatten eines Schattens auf das Spiel zu setzen?«

Er dachte, wie sehnlich Sara seiner Antwort warten möchte, und mit welchen Leiden sie sich ihm so lange verborgen habe: es schien ihm, daß er es diesem lieben Wesen schuldig sei, ihr alle diese um ihn erduldeten Schmerzen zu vergüten, und in dieser Stimmung besuchte er am andern Morgen seinen Freund Rudolph. So vertraut er mit diesem war, so konnte er ihm doch nie seine Geschichte, so wie seine wunderbare Liebe entdecken, es war nur Sebastian, dem er dergleichen vertrauen durfte. Aber er erzählte ihm jetzt Vansens Vorschlag, und bat um seinen Rat. »Wie soll ich dir hierin raten?« rief Rudolph lachend aus; »das Ratgeben ist überall eine unnütze Sache, aber vollends bei der Ehe; jeder Mensch muß sein eigenes Glück machen: und dann kommt auch deine Frage viel zu früh, denn du weißt ja nicht einmal, ob dich das Mädchen auch wirklich haben will.«

Franz stutzte. Das Wort Ehe erweckte überdem mancherlei Vorstellungen bei ihm. Er sah alle die Szenen einer ruhigen Häuslichkeit vor sich, Kinder, die ihn umgaben, er hörte die Gespräche seines Schwiegervaters und der Freunde, er fühlte seine frische Jugend verschwunden und sich eingelernt in die ernsteren Verhältnisse des Lebens; seine wunderbaren Gefühle und Wünsche, das zauberische Bild seiner Geliebten, alles hatte Abschied genommen und sein Herz hing an nichts mehr glühend. Es war wie ein klarer geschäftiger Tag, der nach der Pracht des Morgenrots erwacht; wie eine Rede nach einem ausgeklungenen Liede. Seine Brust war beängstigt, er wußte sich nicht zu fassen und verließ unmutig den lachenden Florestan. »Wie ist es mit dem Leben?« dachte er bei sich selber, »irgendeinmal ist dieser Taumel der Jugend doch verflogen, endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben in Empfang, dem ich jetzt so scheu aus dem Wege trete. Wie wird mir sein, wenn meine schönen Träume hinter mir liegen?«

Er nahm sich vor, sich durch ein offenes Gespräch mit der Tochter selbst bestimmen zu lassen. Mit schwerem Herzen lenkte er in die Gasse ein und zitterte, als er das Haus erblickte und betrat, doch schritt er mutiger die Treppe hinan, als wenn ihm eine frohe Ahndung entgegenkäme.

Achtes Kapitel

Als Franz in das Zimmer trat, fand er die Tochter allein, die die Zither spielte; sie dünkte ihm liebenswürdiger als je. Sie lehnte sich, wie in Sehnsucht aufgelöst, auf dem Ruhebette zurück, und sang eben die letzten Verse eines schmachtenden Liebesgedichtes. Er nahte verlegen, sie bemerkte ihn endlich, aber auch zugleich seine Ängstlichkeit, sie stand auf, faßte ihn zärtlich bei der Hand und fragte: ob er krank sei? »O meine teure, schöne, mir so freundlich liebe Sara«, fing Franz an, »in meinem Herzen ist ein Sturm, eine Verwirrung, die Ihr vielleicht lösen und beruhigen könnt, wenn ich Euch recht aufrichtig meine sonderbaren Leiden vertraue, und zugleich alles, was mir begegnet ist.« »Setzt Euch, mein lieber Freund«, sagte Sara, als die Magd hereintrat, auf welche Sara sogleich errötend zulief, sie bei der Hand nahm, und sich mit ihr in den Bogen eines Fensters stellte, um ein eifriges heimliches Gespräch mit ihr zu führen. Sara schien zu erschrecken und die Magd entfernte sich wieder. »Gott im Himmel!« rief das Mädchen unter Tränen aus, indem sie sich auf das Ruhebett warf; »also ist es nun gewiß? Ich kann mich nicht mehr täuschen? Alles wird Wahrheit, schreckliche Wahrheit, was immer nur noch als düstre Ahndung mich umschwebte.« Tränen und Schluchzen erstickten ihre Sprache, und Franz trat freundlich zu ihr, ihr einige tröstende Worte zu sagen, und sich nach der Ursach ihrer Wehklage zu erkundigen. Sie ließ ihn neben sich niedersitzen und richtete einen zärtlichen Blick auf ihn. »Nein, mein liebster Freund«, rief sie, »ich habe mich nicht mehr in meiner Gewalt, ich muß Euch mein Leiden klagen, Euch vertraue ich allein, und Ihr werdet mein Vertrauen nicht mißbrauchen. Seit acht Wochen leide ich unaussprechlich. Ihr seid gut, Ihr habt Mitleid mit mir getragen, ich habe es wohl bemerkt. Was soll ich Euch sagen? Ich liebe, ich bin unglücklich, ohne Hoffnung. Ein junger Mann in unserer Nachbarschaft, ohne Vermögen, ohne Stand, aber das liebevollste Herz, die biederste Treue – ach! weiß ich es, wie mein Auge, und bald darauf meine ganze Seele immer nach ihm gerichtet wurde? Begreif ich es, wie es kam, daß wir uns sprachen, uns alles sagten? Nun ist er krank geworden, krank aus Liebe, jetzt ohne Trost, und seit gestern ist sein Zustand gefährlich, da ihm jemand erzählt hat, daß mein Vater mich verheiraten wolle. Mein Vater kann es nicht wollen, er kann meinen Tod nicht wünschen. Geht zu ihm, Ihr mein liebster, mein einziger Freund, beruhigt ihn, tröstet ihn. Ach! wollt Ihr Euch mir so gütig erzeigen? Gewiß, es glänzt eine himmlische Güte aus Euren Augen. Er wird Euch rühren, Ihr werdet ihn auch lieben müssen, gewiß, wenn auch nicht so, wie ich.«


Date: 2016-01-14; view: 427


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