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Fünftes Kapitel 6 page

»Ihr erlaubt mir wohl«, sagte Lukas, »indem wir sprechen, an meinem Bilde weiterzumalen.« Und wirklich zog er auch die Staffelei herbei, und vermischte auf der Palette die Farben, die er auftragen wollte. – »Wenn ich Euch mit meinem Geschwätze nur nicht störe«, sagte Franz, »denn diese Arbeit da ist äußerst kunstreich.« – »Gar nicht«, sagte Lukas, »tut mir den Gefallen und fahrt fort.«

»Wenn ich mir also«, sagte Franz, »eine der Taten unsers Erlösers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke, wenn ich die Apostel, die Verehrungswürdigen, die ihn umgaben, vor mir sehe, wenn ich mir die göttliche Milde vorstelle, mit der er lehrte und sprach; wenn ich mir einen der heiligen Männer aus der ersten christlichen Kirche denke, die mit so kühnem Mute das Leben und seine Freuden verachteten, und alles hingaben, was den übrigen Menschen so viele Sehnsucht, so manche Wünsche ablockt, um nur das innerste Bekenntnis ihres Herzens, das Bewußtsein der großen Wahrheit sich zu behaupten und andern mitzuteilen; – wenn ich diese erhabenen Gestalten in ihrer himmlischen Glorie vor mir sehe, und nun noch bedenke, daß es einzelnen Auserwählten gegönnt ist, daß sich ihnen das volle Gefühl, daß sich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigentümlichern Gestalten und Farben als den übrigen Menschen offenbaren, und daß sie durch das Werk ihrer Hände schwächeren Geistern diese Offenbarungen wieder mitteilen dürfen: wenn ich mich dazu meiner Entzückungen vor herrlichen Gemälden erinnere, seht, so entschwindet mir meist aller Mut, so wage ich es nicht, mich jenen auserwählten Geistern zuzurechnen, und statt zu arbeiten, statt fleißig zu sein, verliere ich mich in ein leeres untätiges Staunen.«

»Ihr seid brav«, sagte Meister Lukas, ohne von seinem Bilde aufzusehn, »aber das wird sich fügen, daß Ihr auch Mut bekommt.«

»Schon mein Lehrer«, fuhr Franz fort, »hat mich deshalb getadelt, aber ich habe mir niemals helfen können, ich bin von Kindheit auf so gewesen. Doch solange ich in Nürnberg lebte, in der Gegenwart des teuren Albrecht, bei meinem Freunde, und von alle dem bekannten Geräte umgeben, konnte ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit ein, den Pinsel zu führen; ich fühlte, wie ich nach und nach weiterkam, weil es immer derselbe Ort war, den ich wieder betrat, weil dieselben Menschen mich aufmunterten, und weil ich nun auf einer gebahnten Straße geradeaus ging, ohne mich weiter rechts oder links umzusehn. Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören, keinen neuen verständigen Mann kennenlernen, ohne etwas irre zu werden; doch fand ich mich bald wieder zurecht. Aber seit meiner Abreise aus Nürnberg hat sich alles das geändert. Meine innerlichen Bilder vermehren sich bei jedem Schritte, jeder Baum, jede Landschaft, jeder Wandersmann, Aufgang der Sonne und Untergang, die Kirchen die ich besuche, jeder Gesang den ich höre, alles wirkt mit quälender und schöner Geschäftigkeit in meinem Busen, und bald möcht ich Begebenheiten in Landschaften, bald heilige Geschichten, bald einzelne Gestalten darstellen; die Farben genügen mir nun nicht, die Abwechselung ist mir nicht mannigfaltig genug, ich fühle das Edle in den Werken anderer Meister, aber mein Gemüt ist nunmehr so verwirrt, daß ich mich durchaus nicht unterstehen darf, selber an die Arbeit zu gehn.«



Lukas hielt eine Weile mit Malen inne und betrachtete Sternbald sehr aufmerksam, der sich durch Reden erhitzt hatte, dann sagte er: »Lieber Freund, ich glaube, daß Ihr so auf einem ganz unrechten Wege seid. Ich kann mir Eure Verfassung wohl so ziemlich vorstellen, aber ich bin niemals in solcher Gemütsstimmung gewesen. Von der frühsten Jugend habe ich einen heftigen Trieb in mir empfunden, zu bilden und ein Künstler zu sein; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne, daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte, was aus einer Zeichnung werden sollte. Schon während der Arbeit kam mir dann ein andrer Entwurf ganz deutlich in die Vorstellung, den ich ebenso schnell und ebenso unverzagt als den vorigen ausführte, und so sind meine zahlreichen Werke entstanden, ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Zagen, Eure zu große Verehrung des Gegenstandes ist, will mich dünken, etwas Unkünstlerisches; denn wenn man ein Maler sein will, so muß man doch malen, man muß beginnen und endigen. Eure Entzückungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen. Nach dem, was Ihr mir gesagt [27] habt, müßt Ihr viele Anlagen zu einem Poeten haben, nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten. Ein Reisender hat mir kürzlich etwas Ähnliches von dem großen Meister Leonard von Vinci erzählt, dieser, obgleich ihm alle die geheimsten Tiefen und Hülfsmittel der Kunst zu Gebote standen, war auch oft unentschlossen und zaghaft, grübelte, verwarf und studierte von neuem: und ist es nicht zu beklagen, daß er, ohngeachtet seiner Meisterschaft, ohngeachtet seines langen Lebens, nur so wenige Werke zustande gebracht hat? Das wenige, was ich von ihm gesehn habe, hat mir den Wunsch abgelockt, daß er doch immer möchte gemalt haben. – Erlaubt mir, daß ich Euch noch etwas sage: Ich habe mich von jeher über die Künstler gewundert, die Wallfahrten nach Italien, wie nach einem gelobten Lande der Kunst anstellen, aber nach dem, was Ihr mir von Eurem Gemüt erzählt habt, muß ich mich billig über Euch noch mehr verwundern. Warum wollt Ihr Eure Zeit also verderben? Mit Eurer Reizbarkeit wird Euch jeder neue Gegenstand, den Ihr erblickt, zerstreuen, die größere Mannigfaltigkeit wird Eure Kräfte noch mehr niederschlagen, sie werden alle verschiedene Richtungen suchen, und alle diese Richtungen werden für Euch nicht genügend sein. Nicht, als ob ich die großen Künstler Italiens nicht schätzte und liebte, aber man mag sagen was man will, so hat doch jedes Land seine eigne Kunst, und es ist gut, daß es sie hat. Ein Meister tritt dann in die Fußstapfen des andern, und verbessert was bei ihm etwa noch mangelhaft war; was dem ersten schwer war, wird dem zweiten und dritten leicht, und so wird die vaterländische Kunst endlich zur höchsten Vortrefflichkeit hingeführt. Wir sind einmal keine Italiener und ein Italiener wird nimmermehr deutsch empfinden. Darum soll man jedem Bilde gleich auf den ersten Blick ansehn können, wo es gewachsen ist; man wird nur etwas, wenn man es ganz und nichts halb wird, und so haben die echten italischen Meister auch gedacht. Wenn ich Euch also raten soll, so stellt lieber Eure Reise nach Italien ganz ein und bleibt im Vaterlande, denn was wollt Ihr dort? Meint Ihr, Ihr werdet die italischen Bilder mit einem andern als einem deutschen Auge sehen können? so wie auch kein Italiener die Kraft und Vortrefflichkeit Eures Albert Dürer jemals erkennen wird; es sind widerstrebende Naturen, die sich niemals in denselben Mittelpunkt vereinigen können. Wenn Ihr hingeht, so wird jedes neue Gemälde, jede neue Manier eine neue Lust in Euch erwecken, Ihr werdet in ewiger Abwechselung vielleicht arbeiten, aber Euch niemals üben, Ihr werdet kein Italiener werden und könnt doch kein Deutscher bleiben, Ihr werdet zwischen beiden streben, und die Mutlosigkeit und Verzagtheit wird Euch am Ende nur noch viel stärker als jetzt ergreifen. Ihr findet meinen Ausspruch vielleicht hart, aber Ihr seid mir wert, und darum wünsche ich Euer Bestes. Glaubt mir, jeder Künstler wird, was er werden kann, wenn er ruhig sich seinem eigenen Geiste überläßt, und dabei unermüdet fleißig ist. Seht nur Euren Albert Dürer an; ist er denn nicht ohne Italien geworden, was er ist? denn sein kurzer Aufenthalt in Venedig kann nicht in Rechnung gebracht werden: und denkt Ihr denn mehr zu leisten als er? Auch unsre besten Meister in den Niederlanden haben Italien nicht gesehn, sondern einheimische Natur und Kunst hat sie großgezogen; manche mittelmäßige, die dort gewesen sind, haben eine fremde Manier nachahmen wollen, die ihnen nimmermehr gelingt, und als etwas Erzwungenes herauskömmt, das ihnen nicht steht, und sich in unsrer Gegend nicht ausnimmt. Mein lieber Sternbald, wir sind gewiß nicht für die Bildsäulen, die man jetzt entdeckt hat und immer mehr entdeckt, und aus denen viele, die sich klug dünken, was Sonderliches machen wollen, diese Antiken verstehen wir nicht mehr, unser Fach ist die wahre nordische Natur; je mehr wir diese erreichen, je wahrer und lieblicher wir diese ausdrücken, je mehr sind wir Künstler. Und das Ziel, wornach wir streben, ist gewiß ebenso groß als der poetische Zweck, den sich die andern vorgestellt haben.«

Franz war noch in seinem Leben nicht so niedergeschlagen gewesen. Er glaubte es zu empfinden, wie er noch keine Verdienste habe: diese Verehrung der Kunst, diese Begier, Italien mit seinen Werken zu sehn, hatte er immer für sein einziges Verdienst gehalten, und nun vernichtete ein verehrungswürdiger Meister ihm auch dieses gänzlich. Zum ersten Male erschien ihm sein ganzes Beginnen töricht und unnütz. »Ihr mögt recht haben, Meister!« rief er aus, »ich bin nun auch beinahe davon überzeugt, daß ich zum Künstler verdorben bin; je mehr ich Eure Vortrefflichkeit fühle, um so stärker empfinde ich auch meinen Unwert, ich führe ein verlorenes Leben in mir, das sich an keine vernünftige Tätigkeit hinaufranken wird, ein unglückseliger Trieb ist mir eingehaucht, der nur dazu dient, mir alle Freuden zu verbittern, und mir aus den köstlichsten Gerichten dieses Lebens etwas Albernes und Nüchternes zuzubereiten.«

»Es ist nicht so gemeint«, sagte Lukas mit einem Lächeln, das seinem freundlichen Gesichte sehr gut stand; »ich merke, daß alles bei Euch aus einem zu heftigen Charakter entspringt, und freilich, in so etwas kann sich der Mensch nicht ändern, wenn er es auch noch so sehr wollte. Gebt Euch zufrieden, meine Worte sind immer nur die Worte eines einzelnen Mannes, und ich kann mich ebenso leicht irren als jeder andre.«

»Ihr seid nicht wie jeder andre«, sagte Franz mit der größten Lebhaftigkeit, »das fühl ich zu lebendig in meinem Herzen, Ihr solltet es nur einmal hören, mit welcher Verehrung mein Meister von Euch spricht; Ihr solltet es nur wissen können, wie vortrefflich Ihr mir vorkommt, welch Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat. Wie viele Künstler dürfen sich denn mit Euch messen? Wer auf solche Stimmen nicht hörte, verdiente gar nicht, Euch so gegenüberzusitzen, mit Euch zu sprechen, und diese Freundschaft und Güte zu erfahren.«

»Ihr seid jung«, sagte Lukas, »und Euer Wesen ist mir ungemein lieb, es gibt wenige solcher Menschen, die meisten betrachten die Kunst nur als ein Spielwerk, und uns als große Kinder, die albern genug bleiben, um sich mit derlei Possen zu beschäftigen. – Aber laßt uns auf etwas anderes kommen, ich bin jetzt überdies müde zu malen. Ich habe einen Kupferstich von Eurem Albert erhalten, der mir bisher noch unbekannt war. Es ist der heilige Hubertus, der auf der Jagd einem Hirsche mit einem Kruzifixe zwischen dem Geweih begegnet, und sich bei diesem Anblicke bekehrt und seine Lebensweise ändert. Seht hierher, es ist für mich ein merkwürdiges Blatt, nicht bloß der schönen Ausführung, sondern vorzüglich der Gedanken halber, die für mich darin liegen. Die Gegend ist Wald, und Dürer hat einen hohen Standpunkt angenommen, weshalb ihn nur ein Unverständiger tadeln könnte, denn wenn auch ein dichter Wald, wo wir nur wenige große Bäume wahrnähmen, etwas natürlicher beim ersten Anblicke in die Augen fallen dürfte, so könnte doch das nimmermehr das Gefühl der völligen Einsamkeit so ausdrücken und darstellen, wie es hier geschieht, wo das Auge weit und breit alles übersieht, einzelne Hügel und lichte Waldgegenden, und oben in der Ferne die sonderbare Burg, mit ihrer auffallenden Bauart. Es ist, als wenn die tote Natur hier das ganze menschliche Leben überschaute. Ich glaube auch, daß manche Leute, die mehr guten Willen vernünftig zu sein als Verstand haben, den gewählten Gegenstand selbst als etwas Albernes tadeln dürften: ein Rittersmann, der vor einer unvernünftigen Bestie kniet. Aber das ist es gerade, was mir so sehr daran gefällt. Es ist etwas so Unschuldiges, Frommes und Liebliches darin, wie der Jagdmann hier kniet, und das Hirschlein mit seiner kindischen Physiognomie so unbefangen dreinsieht, im Kontrast mit der heiligen Ehrfurcht des Mannes; dies erweckt ganz eigene Gedanken von Gottes Barmherzigkeit, von dem grausamen Vergnügen der Jagd, und dergleichen mehr. Nun beobachtet einmal die Art, wie der Ritter niederkniet; es ist die wahrste, frommste und rührendste: mancher hätte hier wohl seine Zierlichkeit gezeigt, wie er Beine und Arme verschiedentlich zu stellen wüßte, so daß er durch Annehmlichkeit der Figur sich gleichsam vor jedem entschuldigt hätte, daß er ein so törichtes Bild zu seinem Gegenstande gemacht. Denn manche zierliche Maler sind mir so vorgekommen, daß sie nicht sowohl verschiedentliche Bilder ausführen, als vielmehr nur die Gegenstände brauchen, um immer wieder ihre Verschränkungen und Niedlichkeiten zu zeigen; diese putzen sich mit der edlen Malerkunst, statt daß sie ihr freies Spiel und eine eigene Bahn gönnen sollten. So ist es nicht mit diesem Hubertus beschaffen. Seine zusammengelegten Beine, auf denen er so ganz natürlich hinkniet, seine gleichförmig aufgehobenen Hände sind das Wahrste, was man sehen kann; aber sie haben nicht die spielende Anmut, die manche der heutigen Welt über alles schätzen.«

Lukas ward durch den Besuch von einigen Freunden unterbrochen, mit denen er und Franz sich zu Tische setzten. Man lachte und erzählte viel, von der Malerei ward nur wenig gesprochen

Drittes Kapitel

Franz hielt sich längere Zeit in Leiden auf, als er sich vorgenommen hatte, denn Meister Lukas hatte ihm einige Konterfeie zu malen übergeben, die Franz zu dessen Zufriedenheit beendigte. Beide hatten sich oft von der Kunst unterhalten, Franz liebte den Niederländer ungemein, aber doch konnte er in keiner Stunde das Vertrauen zu ihm fassen, das er zu seinem Lehrer hatte, er fühlte sich in seiner Gegenwart gedemütiget, seine freiesten Gedanken waren gefesselt, selbst Lukas' fröhliche Laune konnte ihn ängstigen, weil sie von der Art, wie er sich zu freuen pflegte, so gänzlich verschieden war. Er kämpfte oft mit der Verehrung, die er vor dem niederländischen Meister empfand, denn er schien ihm in manchen Augenblicken nur ein Handwerker zu sein; wenn er dann wieder den hurtigen erfinderischen Geist betrachtete, den nie rastenden Eifer, die Liebe zu allem Vortrefflichen, so schämte er sich dieses Gedankens.[28]

Er hatte eine Reisegesellschaft gefunden, mit welcher er um ein Billiges nach Antwerpen kommen konnte, der folgende Tag war zur Abreise bestimmt, er ging jetzt zu Meister Lukas, um ihm zu danken und Abschied von ihm zu nehmen, und wie erstaunte er, als er die Tür der Malerstube öffnete, und seinen Lehrer, seinen über alles geliebten Dürer neben dem niederländischen Maler sitzen sah! Erst schien es ihm nur ein Blendwerk seiner Augen zu sein, aber Dürer stand auf und schloß ihn herzlich in seine Arme. Die drei Maler waren überaus fröhlich, sich zu sehn, Fragen und Antworten durchkreuzten sich, besonders hinderte der lebhafte Lukas auf alle Weise, daß das Gespräch nicht zu einer stillen Ruhe kam, denn er fing immer wieder von neuem an sich zu verwundern und zu freuen. Er rieb die Hände und lief mit großer Geschäftigkeit hin und wider; bald zeigte er dem Albert ein Bild, bald hatte er wieder eine Frage, worauf er die Antwort wissen wollte. Franz bemerkte, wie gegen diese lebhafte Unruhe die Gelassenheit Alberts und seine stille Art sich zu freuen, schön kontrastierte. Auch wenn sie nebeneinander standen, ergötzte sich Franz an der gänzlichen Verschiedenheit der beiden Künstler, die sich doch in ihren Werken so oft zu berühren schienen. Dürer war groß und schlank, lieblich und majestätisch fielen seine lockige Haare um seine Schläfe und Schultern, sein Gesicht war ehrwürdig und doch freundlich, seine Mienen veränderten den Ausdruck nur langsam, und seine schönen braunen Augen sahen feurig aber sanft unter seiner edlen Stirn hervor. Franz bemerkte deutlich, wie die Umrisse von Alberts Gesichte denen auffallend glichen, mit denen man oft den Erlöser der Welt zu malen pflegt. Lukas erschien neben Albert noch kleiner, als er wirklich war, sein Gesicht veränderte sich in jedem Augenblicke, seine Augen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll, sein hellbraunes Haar lag schlicht und kurz um seinen Kopf.

Albert erzählte, wie er sich schon seit lange unpaß gefühlt und die weite Reise nach den Niederlanden nicht gescheut habe, um seine Gesundheit wiederherzustellen, vorzüglich hätten ihn seine Freunde, am meisten Pirkheimer, dazu gedrängt, weil sie alle, vielleicht übertrieben, um ihn besorgt gewesen: von Sebastian gab er unserm Franz einen Brief, der selber zwar nicht gefährlich aber doch so krank sei, daß er die Reise nicht habe unternehmen können, weil er sonst in dessen Begleitung würde gekommen sein. »Euch, Meister Lukas«, so beschloß er, »zu sehen, war der vornehmste Bewegungsgrund meiner Reise, denn das habe ich mir schon lange gewünscht, ich weiß auch noch nicht, ob ich einen andern Maler besuche, wenn der Wohnort mir aus dem Wege liegt, denn soviel ich sie kenne, ist mir nach dem berühmten Meister Lukas keiner merkwürdig.«

Lukas dankte ihm, und sprang wieder durch die Stube, voller Freude, den großen Maler Dürer bei sich zu haben. Dann zeigte er ihm einige seiner neuesten Bilder und Albert lobte sie sehr verständig. Dieser hatte einige neue Kupferstiche bei sich, die er dem Niederländer schenkte, und Lukas suchte zur Vergeltung auch ein Blatt hervor, das er dem Albrecht in die Hände gab. »Seht«, sagte er, »dieses Blatt wird von einigen für meinen besten Kupferstich erklärt, es hat sich schon auch selten gemacht, es ist nämlich die Familie des Till Eulenspiegel, er als Knabe, die Eltern mit ihm, reitend und gehend: ich habe das Werk mit besonderem Fleiße und Genauigkeit zu arbeiten gesucht. Es wollen einige jetzt, die sich mit der Gelehrsamkeit befassen, das Buch von seinen Schwänken verachten, und es als den Sitten und der Zucht zuwider verdammen; vielleicht möchte einiges darin besser mangeln können, aber ich muß gestehen, daß es mich im ganzen immer sehr ergötzt hat. Die Schalkheit des Knechtes ist so eigen, viele seiner Streiche geben zu so manchen kuriosen Gedanken Veranlassung, daß ich mich ordentlich dazu angetrieben fühlte, seine erste Jugend in Kupfer zu bringen.«

»Ihr habt es auch wacker ausgerichtet«, sagte Albert Dürer lachend, »und ich danke Euch höchlich für Euer Geschenk.«

»Es verstehn wohl wenige Menschen«, fuhr Lukas fort, »sich an Tills Narrenstreichen so zu freuen, wie ich, weil sie es sogar mit dem Lachen ernsthaft nehmen; andern gefällt sein Buch wohl, aber es kommt ihnen als etwas Unedles vor, dies Bekenntnis abzulegen; andern fehlt es wieder an Übung, das Possierliche zu verstehn und zu fassen, weil man sich vielleicht ebenso daran gewöhnen muß, wie es nötig ist, viele Gemälde zu sehn, ehe man über eins ein richtiges Urteil fällen kann.«

»Ihr mögt sehr recht haben, Meister«, antwortete Dürer, »die meisten Leute sind wahrlich mit dem Ernsthaften und Lächerlichen gleich fremd. Sie glauben immer, das Verständnis von beiden müsse ihnen von selbst, ohne ihr weiteres Zutun kommen. Sie überlassen sich daher mit Roheit dem Augenblicke und ihrem dermaligen Gefühl, und so tadeln und loben sie ohne Einsicht. Ja sie gehen mit der Malerkunst so um, daß sie davon kosten, wie man wohl ein Gemüse oder eine Suppe zu kosten pflegt, ob die Magd zu viel oder zu wenig Salz darangetan habe, und dann sprechen sie das Urteil, ohne um die Kenntnisse, die dazu gehören, besorgt zu sein. Ich muß immer noch lachen, sooft ich daran denke, daß es mir doch auch einmal auf ähnliche Weise erging. Ohne etwas davon zu verstehen, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmal darauf, ein Poet zu sein. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse müsse ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich nicht schon früher auf die Dichtkunst verfallen sei. Ich machte also ein zierlich großes Kupferblatt, und stach mühsam rundherum meine Verse mit Buchstaben ein: sie sollten ein moralisches Gedicht vorstellen, und ich unterstund mich, der ganzen Welt darin gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, siehe da, so war es erbärmlich geraten. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausstehen müssen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergessen konnte! Er sagte immer zu mir: ›Schuster, bleib bei deinen Leisten! Albert, wenn du den Pinsel in der Hand hast, so kömmst du mir als ein verständiger Mann vor, aber mit der Feder gebärdest du dich als ein Tor.‹« –

»Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Leiden aufhalten«, sagte Lukas, »denn ich möchte gar zu gern recht viel mit Euch sprechen, und über so viele Dinge Euer Urteil vernehmen, denn ich wüßte keinen Menschen auf der Welt, mit dem ich mich lieber unterredete, als mit Euch.«

»Ich bleibe gewiß wenigstens einige Tage«, antwortete Dürer; »seit Franz von mir fortgezogen ist, habe ich mir diese Reise vorgesetzt, und alles Geld, was ich erübrigen konnte, dazu aufgespart.«

Unter diesen Gesprächen war die Mittagsstunde herangekommen; eine junge hübsche Frau, die Gattin des Niederländers, trat herein, sie erinnerte ihren Mann mit freundlichem Gesichte, daß es Zeit sei zu essen, er möchte mit seinen Gästen in die Speisestube treten. Man setzte sich zu Tisch. Lukas hatte einen Freund aus der Stadt und dessen Frau eingeladen. Der kleine behende Mann schien nun bei Tische erst recht an seinem Platze zu sein; er wußte so gutmütig zum Essen und Trinken zu nötigen, daß keiner seine Einladung auszuschlagen imstande war; dabei erwies er sich überaus artig gegen die Frauen. Dürer war viel ernster und unbeholfener, die schöne junge Frau des Lukas setzte ihn eher in Verlegenheit, als daß sie ihn unterhalten hätte, seine Sitten waren ernst und deutsch, und wenn sich ihm nicht ein Scherz von selber darbot, so hielt er es für eine unnütze Mühe ihn aufzusuchen. Franz war in einer heiligen Stimmung, es war ihm nicht möglich, seine Augen von seinem geliebten Lehrer abzuwenden, da es ihm beständig im Sinne lag, daß er morgen früh abreisen müsse.

»Ihr müßt mir erlauben«, rief Lukas fröhlich aus, »Meister Albrecht, (verzeiht mir, daß ich so vertraut tue, Euch bei Eurem Taufnamen zu nennen) daß ich Euer Konterfei abnehme, ehe Ihr von hier reiset, denn es liegt mir gar zu viel daran es zu besitzen, und ich will mir alle Mühe geben, es recht treu und fleißig zu malen.«

»Und ich will Euch malen«, sagte Albrecht, »mir ist gewiß Euer Gesicht ebenso lieb, damit ich es mit mir nach Nürnberg nehmen kann.«

»Wißt Ihr, wie wir es einrichten können?« antwortete Lukas: »Ihr malt Euer eigenes Bildnis und ich das meinige, und wir tauschen sie nachher gegeneinander aus, so besitzt noch jeder etwas von des andern Arbeit.«

»Es mag sein«, sagte Dürer, »ich weiß mit meinem Kopfe ziemlich Bescheid, denn ich habe ihn schon etlichemal gemalt und gestochen, und man hat die Kopei immer ähnlich gefunden. Worüber ich mich aber billig wundern muß«, fuhr er fort, »ist, daß Ihr, Meister Lukas, noch so jung seid, und daß Ihr doch schon so viele Kunstsachen in die Welt habt ausgehen lassen, und mit Recht einen so großen Namen habt; denn noch scheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu sein.«

Lukas sagte: »Ich bin auch noch nicht dreißig Jahr alt, sondern kaum neunundzwanzig. Es ist wahr, ich habe fleißig gemalt, und fast ebensoviel in Kupfer gestochen als Ihr; aber, mein lieber Albrecht, ich habe auch schon sehr früh angefangen; Ihr wißt es vielleicht nicht, daß ich schon im neunten Jahre ein Kupferstecher war.«

»Im neunten Jahre?« rief Franz Sternbald voll Verwunderung aus; »ich glaubte immer, im sechszehnten hättet Ihr Euer erstes Werk begonnen, und das hat schon immer mein Erstaunen erregt.«

»Ich zeichnete schon Bilder und allerhand natürliche Sachen nach«, erzählte Lukas weiter, »als ich kaum sprechen konnte. Die Sprache und der Ausdruck durch die Reißkohle schien mir natürlicher als die wirkliche. Ich war unglaublich fleißig, und interessierte mich für gar nichts anders in der Welt, denn die übrigen Wissenschaften, so wie die Sprachen und dergleichen, waren mir völlig gleichgültig, ja es war mir verhaßt, meine Zeit mit solchem Unterrichte zuzubringen. Wenn ich auch nicht zeichnete, so gab ich genau auf alle die Dinge acht, die mir vor die Augen kamen, um sie nachher nachahmen zu können. Die größte Freude machte es mir, wenn meine Eltern oder andere Menschen die Personen wiedererkannten, die ich kopiert hatte. Kein Spiel machte mir Vergnügen, andre Knaben waren mir zur Last und ich verachtete sie und ging ihnen aus dem Wege, weil mir ihr Beginnen zu kindisch vorkam; sie verspotteten mich auch deshalb, und nannten mich den kleinen alten Mann. Ich erkundigte mich, wie die Kupferstiche entständen, und einige eben nicht geschickte Leute machten mich mit der Kunst bekannt, soviel sie selbst begriffen hatten. So machte ich im neunten Jahre mein erstes Bild, das ich öffentlich herausgab, und das vielen Leuten nicht mißfiel; bald darauf taten mich meine Eltern auf mein inständiges Bitten zum Meister Engelbrecht in die Lehre, ich fuhr fort zu arbeiten, und im sechszehnten Jahre war ich schon einigermaßen bekannt, so daß meine Werke gesucht wurden.«

»Ihr seid ein wahres Wunderkind gewesen, Meister Lukas«, sagte Albert Dürer, »und auf die Art muß man freilich nicht erstaunen, wenn die Welt so viele Arbeiten von Euch gesehn hat.«

»Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin«, sagte Lukas sehr lebhaft, »so habe ich es nur Euch zu verdanken. Ihr wart mein Vorbild, Ihr gabt mir immer neues Feuer, wenn ich manchmal den Mut verlieren wollte, denn ich glaube, es gibt auch beim eifrigsten Künstler Stunden, in denen er durchaus nichts hervorbringen mag, wo er sich in sich selber ausruht, und ihm die Arbeit mit den Händen ordentlich widersteht; dann hörte ich wieder von Euch, ich sah eins Eurer Kupferblätter, und der Fleiß kam mir mit frischer Anmut zurück. Ich muß es gestehen, daß ich Euch meine meisten Erfindungen zu danken habe, denn ich weiß nicht wie es zugeht: einzelne Figuren oder Sachen stehen mir immer sehr klar vor den Augen, aber das Zusammenfügen, der wahre historische Zusammenhang, der ein Bild erst fertig macht, will sich nie deutlich vor den Sinn hinstellen, bis ich dann ein andres Blatt in die Hand nehme; da fällt es mir dann ein, daß ich das auch darstellen, und hie und da wohl noch verbessern könnte; aus dem Bilde, das ich vor mir sehe, entwickelt sich ein neues in meiner Seele, das mir dann nicht eher Ruhe läßt, als bis ich es fertig gemacht habe. Am liebsten habe ich Eure Bilder nachgemacht, Albrecht; weil sie alle einen ganz eigenen Sinn haben, den ich in andern nicht antreffe. Ihr habt mich am meisten auf Gedanken geführt, und Ihr werdet es wissen, daß ich viele Bilder, die Ihr ausgearbeitet habt, auch darzustellen versucht habe. Manchmal habe ich die Eitelkeit gehabt, (Ihr verzeiht mir meinen freimütigen Stolz, auch seid Ihr selbst ein grader, guter Mann) Eure Vorstellung zu verbessern und dem Auge angenehmer zu machen.«

»Ich weiß es recht wohl«, sagte Albert mit der gutmütigsten Freundlichkeit, »und ich versichere Euch, ich habe viel von Euch gelernt. Wie Ihr mit Eurem Körper behende und gewandter seid, so seid Ihr es auch mit dem Pinsel und Grabstichel. Ihr wißt eine gewisse Anmut mit Wendungen und Stellungen der Körper in Eure Bilder zu bringen, die mir oft fehlt, so daß meine Zeichnungen gegen die Eurigen hart und rauh aussehen; aber Ihr erlaubt mir auch zu sagen, daß es mir geschienen hat, als wärt Ihr ein paarmal unnötigerweise von der wahren Einfalt des Gegenstandes abgewichen. So gedenke ich an ein paar Kupferstiche, wo vorne Leute mit großen Mänteln stehn, die dem Zuschauer den Rücken zuwenden, da sie uns wohl natürlicher das Angesicht hätten zukehren dürfen. Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Urteil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontrastierung mit den übrigen Personen im Bilde verstärken wollen; aber es kömmt doch etwas gezwungen heraus.«


Date: 2016-01-14; view: 440


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