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Fünftes Kapitel 7 page

»Ihr habt recht, Albert«, sagte Lukas, »ich sehe, Ihr seid ein schlauer Kopf, der mir meine Münzen wiederzugeben weiß. Ich habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein Bild verdorben habe, wenn ich es habe besser machen wollen, als ich es auf Euren Platten gesehn hatte. Denn man verliert gar zu leicht den ersten Gedanken aus den Augen, der doch sehr oft der allerwahrste und beste ist; nun putzt man am Bilde herum und über lang oder kurz wird es ein Ding, das einen mit fremden Augen ansieht, und sich auf dem Papiere oder der Tafel selber nicht zu finden weiß. Da seid Ihr glücklicher und besser daran, daß Euch die Erfindung immer zu Gebote steht; denn so ist es Euch fast unmöglich, in einen solchen Fehler zu fallen. – Wie macht Ihr es aber, Albrecht, daß Ihr so viele Gedanken, so viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt?«

»Ihr irrt Euch an mir«, sagte Albrecht, »wenn Ihr mich für so erfindungsreich haltet. Nur wenige meiner Bilder sind aus dem bloßen Vorsatz entstanden, sondern es war immer eine zufällige Gelegenheit, die sie veranlaßte. Wenn ich irgendein Gemälde loben, oder eine der heiligen Geschichten wieder erzählen höre, so regt sich's plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Gelüst empfinde, gerade das und nichts anderes darzustellen. Das eigentliche Erfinden ist gewiß sehr selten, es ist eine eigene und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Unerhörtes hervorzubringen. Was uns erfunden scheint, ist gewöhnlich nur aus älteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt, und dadurch wird es gewissermaßen neu; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschichte oder sein Gemälde doch auch nur zusammen, indem er teils seine Erfahrungen, teils was ihm dabei eingefallen, oder was er sich erinnert, gelesen, oder gehört hat, in eins faßt.«

»Ihr habt sehr recht«, sagte Lukas, »etwas im eigentlichsten Verstande aus der Luft zu greifen, wäre gewiß das Seltsamste, das dem Menschen begegnen könnte. Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung, denn selbst der Wahnsinnige erfindet seine Fieberträume nicht. Die Natur ist also die einzige Erfinderin, sie leiht allen Künsten von ihrem großen Schatze; wir ahmen immer nur die Natur nach, unsre Begeisterung, unser Ersinnen, unser Trachten nach dem Neuen und Vortrefflichen ist nur wie das Achtgeben eines Säuglings, der keine Bewegung seiner Mutter aus den Augen läßt. – Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, welchen Schluß man aus dieser Bemerkung ziehen könnte? Daß es also in den Sachen selbst, die der Poet oder Maler, oder irgendein Künstler darstellen wollte, durchaus nichts Unnatürliches geben könne, denn indem ich als Mensch auf den allertollsten Gedanken verfalle, ist er doch an sich natürlich und der Darstellung und Mitteilung fähig. Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen sind wir durch eine hohe Mauer geschieden, über die kein Blick von uns dringen kann. Wo wir also in irgendeinem Kunstwerk Unnatürlichkeiten, Albernheit, oder Unsinn wahrzunehmen glauben, die unsre gesunde Vernunft und unser Gefühl empören, da müßte dies immer nur daher rühren, daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zusammengesetzt wären, daß Teile daruntergemengt sind, die nicht hineingehören, und die übrigen so verbunden, wie es nicht sein sollte. So müßte also ein höherer Geist, als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht hatte, aus allem Möglichen etwas Vortreffliches und Würdiges hervorbilden können.«



Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und wollte eben das Gespräch fortsetzen, als Lukas' Frau ausrief: »Aber, lieben Leute, hört endlich mit euren gelehrten Gesprächen auf, von denen wir Weiber hier kein Wort verstehn. Wir sitzen hier so ernsthaft wie in der Kirche, verspart alle eure Wissenschaften bis das Mittagsessen vorüber ist.« – Sie schenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein, und erkundigte sich bei Dürer, was er auf der Reise Neues gesehn und gehört habe. Albrecht erzählte, und Franz Sternbald saß in tiefen Gedanken. In den letzten Worten des Lukas schien ihm der Schlüssel, die Auflösung zu allen seinen Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Gedanken nicht deutlich fassen; er hatte von seinem Lehrmeister noch nie eine ähnliche Äußerung über die Kunst gehört, es schien ihm sogar, als wenn Dürer auf diesen Gedanken nicht so viel gebe, als er wert sei, daß er die Folgen nicht alle bemerke, die in ihm lägen. Er konnte auf das jetzige Gespräch nicht achtgeben, vorzüglich da die Niederländerin anfing, sich nach allen Nürnbergischen Trachten der verschiedenen Stände zu erkundigen, und ihre Bemerkungen darüber zu machen.

Plötzlich sprang Lukas mit seiner Behendigkeit vom Tische auf, fiel seiner Frau um den Hals und rief aus: »Mein liebstes Kind, du mußt es mir jetzt doch schon vergönnen, daß ich mit Meister Albrecht wieder etwas über die Malerei anfange, denn mir ist da eine Frage eingefallen. Es wäre ja Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem Hause hätte, und nicht alles vom Herzen lossprechen sollte.«

»Meinetwegen magst du es halten, wie du willst«, antwortete sie; »aber was werden deine Gäste dazu sagen?«

»Darüber seid ohne Sorgen«, sagte die fremde schöne Frau, »können wir beide doch miteinander sprechen, denn mein Mann ist heut bloß des berühmten Deutschen wegen hergekommen, da er eigentlich dringende Geschäfte hat, und er ist auch einer von denen, die nie von Kunst und Büchern genug können reden hören, er bekümmert sich nie, was in der Welt vorfällt, außer es müßte sich etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben.«

»Daß wir den Mann vergessen konnten!« rief Dürer aus, indem er sein volles Glas in die Höhe hob: »Er soll leben! Noch lange soll der große Doktor Martin Luther leben! Der Kirche, und uns allen zu Heil und Frommen!«

Der Fremde stieß gerührt und mit leuchtenden Blicken an, auch Lukas, welcher lächelte. »Es ist zwar eine ketzerische Gesundheit«, sagte er, »aber Euch zu Gefallen will ich sie doch trinken. Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trübsale zu überstehen haben, ehe die neue Lehre durchdringen kann.«

Albrecht antwortete: »Wann wir im Schweiß unsers Angesichts unser Brot essen müssen, so verlohnt es ja wohl die Wahrheit, daß wir Qual und Trübsal ihretwegen aushalten.«

»Nun, das sind alles Meinungen«, antwortete Lukas, »die eigentlich vor den Theologen und Doktor gehören, ich verstehe davon nichts. – Ich wollte vorher, Meister Albrecht, eine andre Frage an Euch tun. – Es hat mir immer sehr an Euren Bildern gefallen, daß Ihr manchmal die neuern Trachten auch in alten Geschichten abkopiert, oder daß Ihr Euch ganz neue wunderliche Kleidungen ersinnt. Ich habe es ebenfalls nachgeahmt, weil es mir sehr artlich dünkte.«

Albrecht antwortete: »Ich habe dergleichen immer mit überlegtem Vorsatze getan, weil mir dieser Weg kürzer und besser schien, als die antikischen Trachten eines jeden Landes und eines jeden Zeitalters zu studieren. Ich will ja den, der meine Bilder ansieht, nicht mit längst vergessenen Kleidungsstücken bekannt machen, sondern er soll die dargestellte Geschichte empfinden. Ich rücke also die biblische oder heidnische Geschichte manchmal meinen Zuschauern dadurch recht dicht vor die Augen, daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten lasse, in denen sie sich selber wahrnehmen. Dadurch verliert ein Gegenstand das Fremde, besonders da unsre Tracht, wenn man sie gehörig auswählt, auch malerisch ist. Und denken wir denn wohl an die alte Kleidungsart, wenn wir eine Geschichte lesen, die uns rührt und entzückt? Würden wir es nicht gerne sehen, wenn Christus unter uns wandelte, ganz wie wir selber sind? Man darf also die Menschen nur nicht an das sogenannte Kostüm erinnern, so vergessen sie es gerne. Die Darstellung der fremden Gewänder wird überdies in unsern Gemälden leicht tot und fremd, denn der Künstler mag sich gebärden wie er will, die Tracht setzt ihn in Verlegenheit, er sieht niemand so gehen, er ist nicht in der Übung, diese Falten und Massen zu werfen, sein Auge kann nicht mitarbeiten, die Imagination muß alles tun, die sich dabei doch nicht sonderlich interessiert. Ein Modell, auf dem man die Gewänder ausspannt, wird nimmermehr das tun, was dem Künstler die Wirklichkeit leistet. Außerdem scheint es mir gut, wie ich auch immer gesucht habe, die Tracht der Menschen physiognomisch zu brauchen, so daß sie den Ausdruck und die Bedeutung der Figuren erhöht. Daher mache ich oft aus meiner Einbildung Gewand und Kleidung, die vielleicht niemals getragen sind. Ich muß gestehen, ich setze gern einem wilden bösen Kerl eine Mütze von seltsamer Figur aufs Haupt, und gebe ihm sonst im Äußern noch ein Abzeichen; denn unser höchster Zweck ist ja doch, daß die Figuren mit Hand und Fuß und dem ganzen Körper sprechen sollen.«

»Ich bin darin völlig Eurer Meinung«, sagte Lukas, »Ihr werdet gefunden haben, daß ich diese Sitte auch von Euch angenommen habe; nur habt Ihr wohl mehr als ich darüber nachgedacht. Auch in manchen Sachen, die ich von Raffael Sanzius gesehn habe, habe ich etwas Ähnliches bemerkt.«

»Wozu«, rief Albrecht aus, »die gelehrte Umständlichkeit, das genaue Studium jener alten vergessenen Tracht, die doch immer nur Nebensache bleiben kann und muß? Wahrlich, ich habe einen zu großen Respekt vor der Malerei selbst, um auf derlei Erkundigungen großen Fleiß und viel Zeit zu verwenden, vollends, da wir es doch nie recht akkurat erreichen mögen.«

»Trinkt, trinkt«, sagte Lukas, indem er die leeren Gläser wieder füllte, »und sagt mir dann, wie es kömmt, daß Ihr Euch mit so gar mancherlei Dingen abgebt, von denen man glauben sollte, daß manche Eures hohen Sinnes unwürdig sind. Warum wendet Ihr so viele Mühseligkeit an, Geschichten fein und zierlich in Holz zu schneiden, und dergleichen?«

»Ich weiß es selbst nicht recht, wie's zugeht«, antwortete ihm Albrecht. »Seht, Freund Lukas, der Mensch ist ein wunderliches Wesen; wenn ich darüber zuweilen gedacht habe, so ist mir immer zu Sinne gewesen, als wenn der wunderbarliche Menschengeist aus dem Menschen herausstrebte, und sich auf tausend mannigfaltigen Wegen offenbaren wollte. Da sucht er nun herum, und trifft beim Dichter nur die Sprache, beim Spielmann eine Anzahl Instrumente mit ihren Saiten, und beim Künstler die fünf Finger und Farben an. Er probiert nun wie es gelingt, wenn er mit diesen unbeholfenen Werkzeugen zu hantieren anfängt, und keinmal ist es ihm recht, und doch hat er immer nichts Besseres. Mir hat der Himmel ein gelassenes Blut geschenkt, und darum werde ich niemals ungeduldig. Ich fange immer wieder etwas Neues an, und kehre immer wieder zum Alten zurück. Wenn ich etwas Großes male, so befällt mich gewöhnlich nachher das Gelüst, etwas recht Kleines und Zierliches in Holz zu schnitzeln, und ich kann nachher tagelang sitzen, um die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern. Ebenso geht es mir mit meinen Kupferstichen. Je mehr Mühe ich darauf verwende, je lieber sind sie mir. Dann suche ich wieder freier und schneller zu arbeiten, und so wechsele ich in allerhand Manieren ab, und jede bleibt mir etwas Neues. Die Liebe zum Fleiß und zur Mühseligkeit scheint mir überdies etwas zu sein, was uns Deutschen angeboren ist; es ist gleichsam unser Element, in dem wir uns immer wohlbefinden. Alle Kunstwerke, die Nürnberg aufzuweisen hat, tragen die Spuren an sich, daß sie der Meister mit sonderbarer Liebe zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig vernachlässigte und gering schätzte; und ich mag dasselbe wohl von dem übrigen Deutschlande und auch von den Niederlanden sagen.«

»Aber warum«, fragte Lukas, »habt Ihr nun Eurem Schüler Sternbald da nicht abgeraten, nach Italien zu gehn, da er doch gewiß bei Euch seine Kunst so hoch bringen kann, als es ihm nur möglich ist?«

Franz war begierig, was Dürer antworten würde. Dieser sagte: »Eben weil ich an dem zweifle, was Ihr da behauptet, Meister Lukas. Ich weiß es wohl, daß ich in meiner Wissenschaft nicht der Letzte bin; aber es würde töricht sein, wenn ich dafürhalten wollte, daß ich alles geleistet und entdeckt hätte, was man in der Kunst vollbringen kann. Glaubt Ihr nicht, daß es den künftigen Zeiten möglich sein wird, Sachen darzustellen, und Geschichten und Empfindungen auszudrücken, auf eine Art, von der wir jetzt nicht einmal eine Vorstellung haben?«

Lukas schüttelte zweifelhaft mit dem Kopfe.

»Ich bin sogar davon überzeugt«, fuhr Albrecht fort, »denn jeder Mensch leistet doch nur das, was er vermag; ebenso ist es auch mit dem ganzen Zeitalter. Erinnert Euch nur dessen, was wir vorher über die Erfindung gesprochen haben. Dem alten Wohlgemuth würde das Ketzerei geschienen haben, was ich jetzt male, so würde Euer Lehrer Engelbrecht schwerlich wohl auf die Erfindungen und Manieren verfallen sein, die Euch so geläufig sind. Warum sollen unsre Schüler uns nun nicht wieder übertreffen?«

»Was hätten wir aber dann mit unsrer Arbeit gewonnen?« rief Lukas aus.

»Daß sie ihre Zeit ausfüllt«, sagte Dürer gelassen, »und daß wir sie gemacht haben. Weiter wird es niemals einer bringen. Jedes gute Bild steht da an seinem eigenen Platze, und kann eigentlich nicht entbehrt werden, wenn auch viele andre in andern Rücksichten besser sind, wenn sie auch Sachen ausdrücken, die man auf jenem Bilde nicht antrifft. Ja oft geht man rückwärts, indem man vorschreitet, vor einiger Zeit sah ich ein altes Bild Wohlgemuths wieder, und eine solche Lieblichkeit und zarte Rührung glänzten mich daraus an, wie ich mir nie getraue, hervorzubringen, weil meine Weise wohl stärker und härter ist.«

»Ja, ja«, sagte Lukas still vor sich hin, »da mag was dran sein, hat doch einer sogar einmal behauptet, meine Bilder dürften sich mit denen des alten Johann von Eyck nicht messen. Wer weiß, welche sonderbare Werke und kunterbunte Meinungen nach uns in der Welt entstehen!«

»Ich habe mich immer darin gefunden«, fuhr Dürer fort, »daß vielleicht mancher zukünftige Maler von meinen Gemälden verächtlich sprechen mag, daß man meinen Fleiß, und auch wohl mein Gutes daran verkennt. Viele machen es schon jetzt mit denen Meistern nicht besser, die vor uns gewesen sind, sie sprechen von ihren Fehlern, die jedem in die Augen fallen, und sehn ihr Gutes nicht; ja es ist ihnen unmöglich, das Gute daran zu sehn. Aber auch dieses Lästern rührt bloß vom bessern Zustande unsrer Kunst her, und darum müssen wir uns darüber nicht erzürnen. Und deshalb sehe ich es gerne, daß mein lieber Franz Italien besucht, und alle seine denkwürdige Kunstsachen recht genau betrachtet, eben weil ich viel Anlage zur Malerei bei ihm bemerkt habe. Aus wem ein guter Maler werden soll, der wird es gewiß, er mag in Deutschland bleiben oder nicht. Aber ich glaube, daß es Kunstgeister gibt, denen der Anblick des Mannigfaltigen ungemein zustatten kömmt, in denen selbst neue Bildungen entstehn, wenn sie das Neue sehen, die eben dadurch vielleicht ganz neue Wege auffinden, die wir noch nicht betreten haben, und es ist möglich, daß Sternbald zu diesen gehört. Laßt ihn also immer reisen, denn so viel älter ich bin, wirkt doch jede Veränderung, jede Neuheit noch immer auf mich. Glaubt nur, daß ich selbst auf dieser Reise zu Euch viel für meine Kunst gelernt habe. Wenn Franz auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt, und durch sein Lernen in der eigentlichen Arbeit gestört wird, (und ich glaube wohl, daß sein sanftes Gemüt dem ausgesetzt ist) so wird er doch gewiß dergleichen überstehn, und nachher aus diesem Zeitpunkte einen desto größern Nutzen ziehn.« – Dürer erzählte, daß er über das Dorf gereiset sei, in welchem Sternbalds Pflegemutter wohnte, er hatte das neue Altarblatt betrachtet, und lobte, bis auf einige Verzeichnungen, alles, vorzüglich den Gedanken der doppelten Beleuchtung, der ihm selber neu und unerwartet gewesen, er erinnerte sich die fromme Rührung, die aus der stillen Lieblichkeit des Bildes hervorgehe. »Wahrlich«, so beschloß er, »mein lieber Franz, du hast schon jetzt übertroffen, was ich von dir erwarten konnte, und ich freue mich inniglich, daß ich einen solchen Schüler gezogen habe.«

So große Worte waren über den armen Franz noch niemals ausgesprochen, darum wurde er schamrot; aber innerlich war er so erfreut, so überglücklich, daß sich gleichsam alle geistigen Kräfte in ihm auf einmal bewegten und nach Tätigkeit riefen. Er empfand die Fülle in seinem Busen, und ward von den mannigfaltigsten Gedanken übermeistert.

Lukas, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, brach eine neue Weinflasche an, und ging selber mit lustigen Gebärden um den Tisch, um allen einzuschenken. Fröhlich rief er aus: »Laßt uns munter sein, solange dies irdische Leben dauert, wir wissen ja so nicht, wie lange es währt!«

Albrecht trank und lachte. »Ihr habt ein leichtes Gemüt, Meister«, sagte er scherzend, »Euch wird der Gram niemals etwas anhaben können.«

»Wahrlich nicht!« sagte Lukas, »solange ich meine Gesundheit und mein Leben fühle, will ich guter Dinge sein, mag es hernach werden wie es will. Mein Weib, Essen und Trinken und meine Arbeit, seht, das sind die Dinge, die mich beständig vergnügen werden, und nach etwas Höherem strebe ich gar nicht.«

»Doch«, sagte Meister Albrecht ernsthaft, »die geläuterte wahre Religion, der Glaube an Gott und Seligkeit.«

»Davon spreche ich bei Tische niemals«, sagte Lukas. – »Aber so seid Ihr ein größerer Ketzer als ich.« – »Mag sein«, rief Lukas, »aber laßt die Dinge fahren, von denen wir ohnehin so wenig wissen können. Oft mag ich gern arbeiten, wenn ich so recht fröhlich gewesen bin. Wenn der Wein noch in den Adern und im Kopfe lebendig ist, so gelingt der Hand oft ein kühner Zug, eine wilde Gebärde weit besser, als in der nüchternen Überlegung. Ihr erlaubt mir wohl, daß ich nach Tische eine kleine Zeichnung entwerfe, die ich schon seit lange habe ausarbeiten wollen; nämlich den Saul, wie er seinen Spieß nach David wirft. Mich dünkt, ich sehe den wilden Menschen jetzt ganz deutlich vor mir, den erschrocknen David, die Umstehenden und alles.«

»Wenn Ihr wollt«, sagte Dürer, »so mögt Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehn, da Ihr den kühnen Entschluß einmal gefaßt habt. Mir vergönnt im Gegenteil einen kleinen Schlaf, denn ich bin noch müde von der Reise.«

Jetzt ward der Tisch aufgehoben. – Lukas führte den Albrecht zu einem Ruhebette; die beiden Frauen gingen in ein anderes Zimmer, um sich nun ungestört allerhand zu erzählen, der fremde Gast eilte in die Stadt an sein Geschäft, und Lukas begab sich nach seiner Werkstätte.

Viertes Kapitel

Franz wünschte einsam zu sein, und stieg mit Sebastians Briefe nach einem kleinen Garten hinab, der sich hinter dem Hause des Meister Lukas ausbreitete. Hier standen alle Sträuche und Gewächse in der besten Ordnung; einige hatte der Herbst schon entblättert, andre waren noch frisch grün, als wären sie eben aufgebrochen: die Gänge waren reinlich gehalten, die letzten Herbstblumen standen im schönsten Flor. Franzens Gemüt war völlig erheitert, er fühlte eine holdselige Gegenwart um sich scherzen, und die Zukunft sah ihn mit freundlichen Gebärden an. Er öffnete den Brief und las:

 

Trauter Bruder.

Wie weh tut es mir, daß ich unsern Dürer nicht habe begleiten können, um Dich in den Niederlanden vielleicht noch anzutreffen. Meine Krankheit ist nicht gefährlich, aber doch hält sie mich von dieser Reise ab. Meine Sehnsucht nach Dir wird auf meinem einsamen Lager in jeder Stunde lebendiger; ich weiß nicht, ob Du an mich mit denselben Empfindungen denkst. Wann die Blumen des Frühlings wiederkommen, bist Du vielleicht noch weiter von mir entfernt, und dabei weiß ich nicht einmal zuverlässig, ob ich Dich auch jemals wiedersehe. Wie mühevoll und wie leer ist unser menschliches Leben! ich lese jetzt Deine Briefe zu wiederholten Malen, und mich dünkt, als wenn ich sie nun besser verstünde; wenigstens bin ich jetzt noch mehr als sonst Deiner Meinung. Ich kann nicht malen, und darum lese ich auch wohl jetzt in Büchern fleißiger als ich sonst tat, und ich lerne manches Neue, und manches, das ich schon wußte, erscheint mir wiederum neu. Übel ist es, daß es dem Menschen oft so schwer ankömmt, selbst das Einfältigste recht ordentlich zu verstehn, wie es gemeint sein mochte, denn seine jedesmalige Lebensart, seine augenblicklichen Gedanken hindern ihn daran; wo er diese nicht wiederfindet, da dünkt ihm nichts recht zu sein. Ich möchte Dich jetzt mündlich sprechen, um recht viel von Dir zu hören, um Dir recht viel zu sagen; denn je länger Du fort bist, je mehr empfinde ich Deine Abwesenheit, und daß ich mit niemand, selbst mit Dürer nicht das reden kann, was ich Dir gern sagen würde.

Die Helden des römischen Altertums wandeln jetzt mit ihrer Größe durch mein Gemüt; sowie ich genese, will ich den Versuch anstellen, aus ihren Geschichten etwas zu malen. Ich kann es Dir nicht beschreiben, wie sich seit einiger Zeit das Heldenalter so lebendig vor mir regt; bis dahin sah ich die Geschichte als eine Sache an, die nur unsre Neugier angehe, aber es ist mir daraus eine große und neue Welt im Gemüt und Herzen aufgequollen. Vorzüglich gern möchte ich aus Cäsars Geschichte etwas bilden; man nennt diesen Mann so oft, und nie mit der Ehrfurcht, die er verdient. Wenn er auf dem Nachen ausruft: »Du trägst den Cäsar und sein Glück!« oder sinnend am Rubikon steht, und nun noch einmal kurz sein Vorhaben erwägt, wenn er dann fortschreitet, und die bedeutenden Worte sagt: »Der Würfel ist ge worfen!« so bewegt sich mein ganzes Herz vor Entzücken, alle meine Gedanken versammeln sich um den einen großen Mann, und ich möchte ihn auf alle Weise verherrlichen. Am liebsten sehe ich ihn vor mir, wenn er durch die kleine Stadt in den Alpen zieht, sein Gesellschafter ihn fragt: ob denn hier auch wohl Neid und Verfolgung und Plane zu Hause wären, und er mit seiner höchsten Größe die tiefsinnigen Worte ausspricht: »Glaube mir, ich möchte lieber hier der Erste, als in Rom der Zweite sein.«

Dies ist nicht bloßer Ehrgeiz, oder wenn man es so nennen will, so ist es das Erhabenste, wozu sich ein Mensch emporschwingen kann. Denn freilich, war Rom, das damals die ganze Welt beherrschte, im Grunde etwas anders, als jene kleine unbedeutende Stadt? Der höchste Ruhm, die größte Verehrung des Helden, auch wenn ihm der ganze Erdkreis huldigt, was ist es denn nun mehr? Wird er niemals wieder vergessen? Ist vor ihm nicht etwas Ähnliches dagewesen? Es ist eine große Seele in Cäsars Worten, die hier so kühn das anscheinend Höchste mit dem scheinbar Niedrigsten zusammenstellt. Es ist ein solcher Ehrgeiz, der diesen Ehrgeiz wieder als etwas Gemeines und Verächtliches empfindet, der sein Leben, das er führt, nicht höher anschlägt, als das des unbedeutenden Bürgers, der das ganze Leben gleichsam nur so mitmacht, weil es eine hergebrachte Gewohnheit ist, und der nun in der Fülle seiner Herrlichkeit, wie als Zugabe, als einen angeworfenen Zierat, seinen Ruhm, seine glorwürdigen Taten, sein erhabenes Streben hineinlegt. Wo die Wünsche der übrigen Menschen über ihre eigne Kühnheit erstaunen, da sieht er noch Alltäglichkeit und Beschränktheit; wo andre sich vor Wonne und Entzücken nicht mehr fassen können, ist er kaltblütig, und nimmt mit zurückhaltender Verachtung an, was sich ihm aufdrängt.

Mir fallen diese Gedanken bei, weil viele jetzt von den wahrhaft großen Männern mit engherziger Kleinmütigkeit sprechen, weil diese es sich einkommen lassen, Riesen und Kolosse auf einer Goldwaage abzuwägen. Eben diese können es auch nicht begreifen, warum ein Sylla in seinem höchsten Glanze das Regiment plötzlich niederlegt, und wieder Privatmann wird, und so stirbt. Sie können es sich nicht vorstellen, daß der menschliche Geist, der hohe nämlich, sich endlich an allen Freuden dieser Welt ersättige, und nichts mehr suche, nichts mehr wünsche. Ihnen genügt schon das bloße Dasein, und jeder Wunsch zerspaltet sich in tausend kleine; sie würden ohne Stolz, in schlechter Eitelkeit Jahrhunderte durchleben, und immer weiterträumen, und keinen Lebenslauf hinter sich lassen.

Jetzt ist es mir sehr deutlich, warum Cato und Brutus gerne starben; ihr Geist hatte den Glanz verlöschen sehn, der sie an dieses Leben fesselte. – Ich lese viel, wozu Du mich sonst oft ermahntest, in der Heiligen Schrift, und je mehr ich darin lese, je teurer wird mir alles darin. Unbeschreiblich hat mich der Prediger Salomo erquickt, der alle diese Gedanken meiner Seele so einfältig und so erhaben ausdrückt, der die Eitelkeit des ganzen menschlichen Treibens durchschaut hat; der alles erlebt hat, und in allem das Vergängliche, das Nichtige entdeckt, daß nichts unserem Herzen genüget, und daß alles Streben nach Ruhm, nach Größe und Weisheit Eitelkeit sei; der immer wieder damit schließt: »Darum sage ich, daß nichts besser sei, denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit, denn das ist sein Teil.«

»Was hat der Mensch von aller seiner Mühe, die er hat unter der Sonnen? Ein Geschlecht vergehet, das andre kömmt, die Erde aber bleibt ewiglich. Die Sonne gehet auf und gehet unter, und läuft an ihren Ort, daß sie daselbst wieder aufgehe. Der Wind gehet gegen Mittag, und kömmt herum zu Mitternacht, und wiederum an den Ort da er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht völler; an den Ort wo sie herfließen, fließen sie wieder hin. Es ist alles Tun so voll Mühe, daß niemand ausreden kann. Das Auge siehet sich nimmer satt, und das Ohr höret sich nimmer satt. Was ist's das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird, und geschieht nichts Neues unter der Sonnen.« –

Und nachher sagt er: »Ist's nun nicht besser dem Menschen, essen und trinken, und seine Seele guter Dinge sein in seiner Arbeit?«

»Wie es dem Guten gehet, so geht's auch dem Sünder. Das ist ein böses Ding, unter allem, das unter der Sonnen geschieht, daß es einem geht wie dem andern, daher auch das Herz des Menschen voll Arges wird, und Torheit in ihrem Herzen, dieweil sie leben, darnach müssen sie sterben. – Denn die Lebendigen wissen, daß sie sterben werden, aber die Toten wissen nichts, sie verdienen auch nichts mehr, denn ihr Gedächtnis ist vergessen; daß man sie nicht mehr liebet, noch hasset, noch neidet, und haben kein Teil mehr auf der Welt, in allem was unter der Sonnen geschieht. So gehe hin, und iß dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut, denn dein Werk gefällt Gott. Laß deine Kleider immer weiß sein, und deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Brauche des Lebens mit deinem Weibe das du liebhast, solange du das eitel Leben hast, das dir Gott unter der Sonnen gegeben hat, solange dein eitel Leben währet, denn das ist dein Teil im Leben, und in deiner Arbeit, die du tust unter der Sonnen. Alles was dir vorhanden kommt zu tun, das tue frisch, denn in dem Tode, da du hinfährst, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit.« –

Liebster Franz, höher bringt es der Mensch gewiß niemals, dies ist die Weisheit.

Ich habe einen Nürnberger Hans Sachs kennengelernt, einen wackern Mann, er hat sich auf die Kunst der Meistersänger gelegt, dabei ist er ein großer Freund der Reformation, er ist Bürger und Schuhmacher allhier. Doch muß nach meinem Dafürhalten die Dichtkunst anders aussehn, als sie in seinen Versen erscheint. Wo find ich einmal in deutscher oder fremder Zunge, was meine lechzende durstige Brust so recht durch und durch erquickt und sättigt?


Date: 2016-01-14; view: 449


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