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Fünftes Kapitel 5 page

Du siehst, ich führe noch immer meine alten Klagen, und ich habe vielleicht sehr unrecht. Ich sehe wohl alles anders an, wenn ich älter werde, aber ich wünsche es nicht. Ach Sebastian, ich habe manchmal eine unaussprechliche Furcht vor mir selber; ich empfinde meine Beschränktheit, und doch kann ich es nicht wünschen, diese Gefühle zu verlieren, die so mit meiner Seele verwebt scheinen, daß sie vielleicht mein eigentliches Selbst ausmachen. Wenn ich daran denke, daß ich mich ändern könnte, so ist mir ebenso als wenn Du sterben solltest. –

Wenn ich nur wenigstens mehr Stolz und Festigkeit hätte! Denn ich muß doch vorwärts, und kann nicht immer ein weichherziges Kind bleiben, wenn ich auch wollte. Ich glaube fast, daß der Geist am leichtesten untersinkt und verlorengeht, der sich zu blöde und bescheiden betrachtet: man muß mit kaltem Vertrauen zum Altar der Göttin treten, und dreist eine von ihren Gaben fordern, sonst drängt sich der Unwürdige vor, und trägt über den Besseren den Sieg davon. Ich möchte manchmal darüber lachen, daß ich alles in der Welt so ernsthaft betrachte, daß ich so viel sinne, wenn es doch nicht anders sein kann, und mit Schwingen der Seele das zu ereilen trachte, wonach andere nur die Hand ausstrecken. Denn wohin führt mich meine Liebe, meine Verehrung der Künstler und ihrer Werke? Viele große Meister haben sich gewiß recht kaltblütig vor die Staffelei gesetzt, so wie auch gewöhnlich unser Albrecht arbeitet, und dann dem Werke seinen Lauf gelassen, überzeugt, daß es so werden müsse, wie es ihnen gut dünkt.

Meine Wanderung bringt oft sonderbare Stimmungen in mir hervor. Jetzt bin ich in einem Dorfe und sehe den Nebel auf den fernen Bergen liegen, matte Schimmer bewegen sich im Dunste und Wald und Berg tritt aus dem Schleier oft plötzlich hervor. Ich sehe Wanderer zu Fuß und zu Pferde ihre Straße forteilen, und ferne Türme und Städte sind das Ziel, wonach sie in mannigfaltiger Richtung streben. Ich befinde mich mit unter diesem Haufen, und die übrigen wissen nichts von mir, sie gehn mir vorüber und ich kenne sie nicht, jeder unsichtbare Geist wird von einem andern Interesse beherrscht, und jeder beneidet und bemitleidet auf Geratewohl den andern. Ich denke mir alle die mannigfaltigen Wege, durch Wälder, über Berge, an Strömen vorüber: wie jeder Reisende sich umsieht und in des andern Heimat sich in der Fremde fühlt, wie jeder umherschaut und nach dem Bruder seiner Seele sucht, und so wenige ihn finden, und immer wieder durch Wälder und Städte, bergüber, an Strömen vorbei, weiterreisen, und ihn immer nicht finden. Viele suchen schon gar nicht mehr, und diese sind die Unglücklichsten, denn sie haben die Kunst zu leben verlernt, da das Leben nur darin besteht, immer wieder zu hoffen, immer zu suchen; der Augenblick, wenn wir dies aufgeben, sollte der Augenblick unsers Todes sein. [24] So ist es auch vielleicht, und jene wahrhaft Elenden müssen dann an der Zeit hinsterben, und wissen und empfinden nicht, woran sie das Leben verlieren.



Ich will daher immer suchen und erwarten, ich will meine Entzückung und Verehrung der Herrlichkeit in meinem Busen aufbewahren, weil dieser schöne Wahnsinn das schönste Leben ist. Der Vernünftige wird mich immer als einen Berauschten betrachten, und mancher wird mir vielleicht furchtsam oder auch verachtend aus dem Wege gehen. – Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt durchwandert! Ich schaue nach Osten und Westen, um sie zu entdecken, und ängstige mich ab, daß sie vielleicht in meiner Nähe ist, ohne daß ich es erfahren kann. Nur einmal sehn, nur einmal sprechen möcht ich sie noch, ich kann mein Verlangen darnach nicht mit Worten ausdrücken, und doch wüßt ich nicht was ich ihr sagen sollte, wenn ich sie plötzlich wiederfände. Ich kann es nicht sagen, was meine Empfindung ist, und ich weiß nicht, ob Du nicht Deinen Freund belächelst. Aber Du bist zu gut, um über mich zu spotten; auch bin ich zu ehrlich gegen Dich.

Wenn ich an die reizenden Züge denke, an diese heilige Unschuld ihrer Augen, diese zarten Wangen – wenigstens möcht ich ein Gemälde, ein treues, einfaches der jetzigen Gestalt besitzen. Tod und Trennung sind es nicht allein, die wir zu bejammern haben; sollte man nicht jeden dieser süßen Züge, jede dieser sanften Linien beweinen, die die Zeit nach und nach vertilgt? Der ungeschickte Künstler, der durch beständiges Nachmalen sein Bild verdirbt, das er erst so schön ausgearbeitet hatte. Ich sehe sie vielleicht nach vielen, vielen Jahren wieder, vielleicht auch nie. Es gibt ein Lied eines alten Sängers, ich schreibe Dir es auf:

Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald, Da steht der rote frische Morgen, Entlade dich der bangen Sorgen, Und sing ein Lied, das fröhlich durch die Zweige schallt! Es blitzt und funkelt Sonnenschein Wohl in das grüne Gebüsch hinein, Und munter zwitschern die Vögelein. –   - Ach nein! ich gehe nimmer zum vielgrünen Wald, Das Lied der süßen Nachtigall schallt, Und Tränen, Und Sehnen Bewegen die bange, die strebende Brust, Im Walde, im Walde wohnt mir keine Lust, Denn Sonnenschein, Und hüpfende Vögelein, Sind mir Marter und Pein! Einst fand ich den Frühling im grünenden Tal, Da blühten und dufteten Rosen zumal, Durch Waldesgrüne Erschiene Im Eichenforst wild Ein süßes Gebild: Da blitzte Sonnenschein, Es sangen Vögelein Und riefen die Geliebte mein. Sie ging mit Frühling Hand in Hand, Die Weste küßten ihr Gewand, Zu Füßen Die süßen Viol und Primeln hingekniet Indem sie still vorüberzieht, Da gingen ihr die Töne nach, Da wurden alle Stimmen wach, Da girrte Nachtigall noch zärtlicher ihr Ach! Mich traf ihr wundersüßer Blick: Woher? Wohin du goldnes Glück? Die Schöne, Die Töne, Die rauschenden Bäume, Wie goldene Träume! Ist dies noch der Eichengrund? Grüßt mich dieser rote Mund? Bin ich tot, bin ich gesund? Da schwanden mir die alten Sorgen, Und neue kehrten bei mir ein, Ich traf die Maid an jedem Morgen Und schöner grünte stets der Hain: Lieb', wie süße Deine Küsse! Glänzend schönste Zier, Wohne stets bei mir, Im vielgrünen Walde hier! – Ich ging hinaus im Morgenlicht, Da kam die süße Liebe nicht; Vom Baume hernieder Schrie Rabe seine heisern Lieder: Da weint und klagt ich laut, Doch nimmer kam die Braut – Und Morgenschein, Und Vögelein Nur Angst und Pein! Ich suchte sie auf und ab, über Berge, tälerwärts, Ich sah manche fremde Ströme fließen, Aber ach! mein liebend banges Herz Nimmer fand's die Gegenwart der Süßen: Einsam blieb der Wald, Da kam der Winter kalt; Vöglein, Sonnenschein Flohen aus dem Walde mein. – Ach! schon viele Sommer stiegen nieder, Oftmals kam der Zug der Vögel wieder, Oft hat sich der Wald in Grün gekleidt, Niemals kam zurück die süße Maid. Zeit! Zeit! Warum trägst du so grausamen Neid? Ach! sie kommt vielleicht auf fremden Wegen Ungekannter Weis mir bald entgegen, Aber Jugend ist von mir gewichen, Ihre schönen Wangen sind erblichen, Kömmt sie auch hinab zum Eichengrund Kenn ich sie nicht mehr am roten Mund: O Leide! Fremd sind wir uns beide! Keiner kennt den andern Im Wandern! Wer Jüngling ist der wandle munter Den Wald hinunter, Wohl mag's, daß ihm Treulieb entgegenziehet, Dann blühet Aus allen Knospen Frühling auf ihn ein: – Doch niemals treff ich die verlorne Jugend mein, Drum ist mir Sonnenschein, Die Nachtigall im Hain Nur Qual und Pein!

Ach! Vielleicht ist für mich auch einst der vielgrüne Wald so abgestorben!

Oft möcht ich alles in Gedichten niederschreiben, und ich fühle es jetzt, wie die Dichter entstanden sind. Du vermagst das Wesen, was Dein innerstes Herz bewegt nicht anders auszusprechen.

Ich habe endlich einen neuen Kupferstich von unserm Albert gesehn, den er seit meiner Abwesenheit gemacht hat. Du wirst ihn kennen, es ist der lesende Einsiedler. Wie ich da wieder unter euch war! Denn ich kannte die Stube, den Tisch und die runden Scheiben gleich wieder, die Dürer auf diesem Bilde von seiner eignen Wohnung abgeschrieben hat. Wie oft habe ich die runden Scheiben betrachtet, die der Sonnenschein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete; der teure Hieronymus sitzt an Dürers Tisch. Es ist schön, daß unser Meister in seiner frommen Vorliebe für das, was ihn so nahe umgibt, der Nachwelt ein Konterfei von seinem Zimmer gegeben hat, wo alles so bedeutend ist, und jeder Zug Andacht und Einsamkeit ausdrückt.

Ich gehe auf meinem Wege oft in die kleinen Kapellen hinein, und verweile mich dabei, die Gemälde und Zeichnungen zu betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit, oder meine Vorliebe für das Altertum macht, ich sehe selten ein ganz schlechtes Bild; ehe ich die Fehler entdecke, sehe ich immer die Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich bei jungen Künstlern die entgegengesetzte Gemütsart gefunden, und sie wissen sich immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich habe oft eine fromme Ehrfurcht vor unsern treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht schöne und erhabene Gedanken mit so wenigen Umständen ausgedrückt haben.

Ich will meinen Brief schließen. Möge der Himmel Dich und meinen teuern Albert gesund erhalten! Dieser Brief dürfte seinem ernsten Sinne schwerlich gefallen. Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören.

In die Ferne geht die Liebe Ungekannt durch Nacht und Schatten; Ach! wozu daß ich hier bliebe Auf den vaterländschen Matten? Wie mit süßen Flötenstimmen Rufen alle goldnen Sterne: »Weit muß manche Woge schwimmen, Deine Lieb ist in der Ferne, Jenes Bild vor dem du knietest, Dich ihm ganz zu eigen gabst, Ihm mit allen Sinnen glühtest, An dem Schatten dich erlabst – Was dein Geist als Zukunft dachte, Dein Entzücken Kunst genannt, Was als Morgenrot dir lachte, Oft sich wieder abgewandt, Sie nur ist es! Dein Verzagen Hat sie fort von dir gescheucht, Willst du es nur männlich wagen, Wird das Ziel noch einst erreicht, Alle Ketten sind gesprungen Und befreit ist dann dein Geist, Jeder Knechtschaft kühn entschwungen Fühlst du dich nicht mehr verwaist, Rückwärts flieht das zage Bangen, Muse reicht dir dann die Hand, Und führt sicher dein Verlangen In der Götter Himmelsland!« – – Ja, wer darf mit Kunst und Liebe Von den Sterblichen sich messen? In dem schönvermählten Triebe Wird der Himmel selbst besessen!

Diese ungeschickten Zeilen habe ich gestern in einem angenehmen Walde gedichtet; meine ganze Seele war darauf hingewandt, und ich bin nicht errötet, sie Dir, Sebastian, niederzuschreiben: denn warum sollte ich Dir einen Gedanken meiner Seele verheimlichen? – Lebe wohl. –

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Franz Sternbald war über Aschaffenburg und dem alten Mainz den schönen Rhein hinunter nach den Niederlanden gereiset. Allenthalben hatte er die Denkmale deutscher und niederländischer Kunst aufgesucht und mit Teilnahme und Bewunderung betrachtet. Vor allen war er erstaunt über die alten Werke des Johann van Eyck, der schon vor langer Zeit die Kunst in Öl zu malen erfunden und verbreitet hatte, dann zogen ihn die gleichzeitigen Meister an, wie die Werke des Lukas von Leyden, Engelbrecht und Johann von Mabuse. Er fühlte in allen die Verwandtschaft zu Dürers Kunstweise, obgleich sich ihm viele Betrachtungen über die Art aufdrängten, wie jeder Künstler den Gegenstand, den menschlichen Körper oder die Natur betrachtete.

Es war gegen Mittag, als er auf dem freien Felde unter einem mächtigen Baume saß, und die große Stadt Leiden betrachtete, die vor ihm lag. Er war an diesem Tage schon sehr früh ausgewandert, um sie noch zeitig zu erreichen; jetzt ruhte er aus, die Sonne des Spätherbstes schien warm, er betrachtete das Bild der Stadt nachsinnend, die sich mit ihren Türmen vor ihm verbreitete.

Er hielt seine Schreibtafel in der Hand, und neben ihm im Grase lag die fremde gefundene. Er hatte den Umriß eines Kopfes entworfen, den er eben wieder ausstrich, weil er keine Ähnlichkeit hervorbringen konnte; es sollte das Gesicht der Fremden vorstellen, welche wachend und träumend seine Phantasie beschäftigte. Er rief sich jeden Umstand, jedes Wort, das sie gesprochen hatte, in die Gedanken zurück, er sah alle die lieblichen Mienen, den süßlächelnden Mund, die unaussprechliche Anmut jeder Bewegung, alles zog wieder durch sein Gedächtnis, und er fühlte sich darüber so entfremdet, so entfernt von ihr, so auf ewig geschieden, daß ihm der helle Tag, das funkelnde Gras, die klaren Wasser trübselig und melancholisch wurden; ihm blühten und dufteten nur die wenigen verwelkten Blumen, die er mit süßer Zärtlichkeit betrachtete; dann lehnte er sich an den Stamm des Baums, der mit seinen Zweigen und Blättern über ihm lispelte, als wenn er ihm Trost zusprechen möchte, als wenn er ihm dunkle Prophezeiungen von der Zukunft sagen wollte. Franz hörte aufmerksam hin, als wenn er die Töne verstände; denn die Natur scheint uns mit ihren Klängen zwar in einer fremden Sprache anzureden, aber wir ahnden doch die Bedeutsamkeit ihrer Worte, und merken gern auf ihre wunderbaren Akzente.

Er hörte auf zu zeichnen, da ihm keiner seiner Striche Ausdruck und Würde genug hatte, er betrachtete wieder die Türme der Stadt, auf deren Schieferdächern die Sonne hell glänzte. »So werde ich jetzt deine Straßen betreten«, sagte er zu sich selber, »so werde ich den berühmten Lukas sehn dürfen, von dem mir Albrecht Dürer mit so vieler Liebe gesprochen hat, der schon als Kind ein Künstler war, dessen Namen man schon in seinem sechszehnten Jahre kannte. Ich werde ihn sprechen hören und von ihm lernen, ich werde seine neuesten Werke sehn, ich werde ihm sagen können, wie ich ihn bewundre!«

Bald über das Bildnis der Fremden, bald über Gemälde sinnend, indes in der feierlichen Stille des Mittags die Bäume nur zuweilen rauschten, überraschte ihn in der Ermüdung der heutigen starken Tagereise ein süßer Schlummer. Ein ferner Bach murmelte ihm mit einförmig wiederkehrendem Plätschern ein Schlaflied. Er hörte alles noch leise in seinen Schlummer hinein, und ihm dünkte, als wenn er über eine Wiese ginge, auf welcher fremde Blumen standen, die er bis dahin noch niemals gesehn hatte. Unter den Blumen waren auch die Feldblumen gewachsen, die er bei sich trug, aber sie waren nun wieder frisch geworden, und verdunkelten an Farbe und Glanz alle übrigen. Franz betrachtete sie mit Gram, so schön sie auch waren, er wollte sie wieder pflücken, als er am Ende der Wiese, in einer Laube sitzend, seinen Lehrer Albert Dürer wahrnahm, der nach ihm hinsah und ihm zu winken schien. Er ging schnell hinzu, und als er näher kam, bemerkte er deutlich, daß Albrecht emsig an einem Gemälde arbeitete: es war der Kopf der Fremden, das Gesicht war zum Sprechen ähnlich. Franz wußte nicht, was er dem Meister sagen sollte, seine Augen waren auf das Gemälde hingeheftet, und es war ihm, als wenn es über seine Verlegenheit und Aufmerksamkeit mit süßer Schalkheit zu lächeln anfinge. Indem er noch darüber sann, war er in einem dunkeln Walde und alles übrige verschwunden; liebliche Stimmen riefen seinen Namen, aber er konnte sich aus dem Gebüsche nicht herausfinden, der Wald ward immer grüner und dunkler, doch Sebastians Stimme und der Ton der Fremden wurden immer deutlicher, sie riefen ihn ängstlich, als wenn irgendeine Gefahr ihm bevorstände. Da überfiel ihn Grauen, und die dichten Bäume und Gebüsche umher erschienen ihm entsetzlich, er zagte weiterzugehn, er wünschte, das helle freie Feld wieder anzutreffen. Plötzlich war es Mondschein. Wie vom holden Schimmer erregt, klang von allen silbernen Wipfeln ein süßes Getöne nieder; da war alle Furcht verschwunden: der Wald brannte sanft im schönsten Glanze, und Nachtigallen wurden wach, und flogen dicht an ihm vorüber, dann sangen sie mit süßer Kehle, und blieben immer im Takte mit der Musik des Mondscheins. Franz fühlte sein Herz geöffnet, als er in einer Klause im Felsen einen Waldbruder wahrnahm, der andächtig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete. Franz trat näher: »Hörst du nicht die liebliche Orgel der Natur spielen?« sagte der Einsiedel, »bete, so wie ich.« Franz war von dem Anblicke hingerissen, aber er sah nun Tafel und Palette vor sich und malte unbemerkt den Eremiten, seine Andacht, den Wald mit seinem Mondschimmer, ja es gelang ihm sogar, und er konnte nicht begreifen wie, die Töne der Nachtigall in sein Gemälde hineinzubringen. Er hatte noch nie eine solche Freude empfunden, und er nahm sich vor, wenn das Bild fertig sei, sogleich damit zu Dürer zurückzureisen, damit dieser es sehn und beurteilen möge. Aber im Augenblicke verließ ihn die Lust,[25] weiterzumalen, die Farben erloschen unter seinen Fingern, ein Frost überfiel ihn, und er wünschte den Wald zu verlassen.

Franz erwachte mit einer unangenehmen Empfindung; es war einer der letzten warmen Tage im Herbst gewesen, jetzt ging die Sonne in dunkelroten Wolken hinter der Stadt unter, und ein kalter Herbstwind strich über die Wiese. Er schüttelte sich in fieberhafter Stimmung, und sah mit einer gewissen Bangigkeit zum Himmel auf, denn ungeheure, kupferrote Wolken, von Violett und dunklem Blau durchzogen, glänzten hinter der untergegangenen Sonne. Im blutigen Widerschein wollte ihm die Stadt selbst, die im Mittagsglanze so anlockend vor ihm lag, wie eine furchtbare klippenvolle Einöde bedünken. Er schritt vorwärts und hatte das Gefühl, als ob ein großes Unglück seiner wartete. Plötzlich stand er mit einem lauten Ausruf erschreckend still. Er vermißte die fremde Brieftasche und erinnerte sich deutlich, daß er sie im Grase zurückgelassen haben müsse. Zitternd eilte er zurück. Konnte er sie auch wiederentdecken? Mochte nicht ein fremder Wanderer, ein Arbeiter auf dem Felde den glänzenden Fund indessen schon aufgerafft haben? Er kam dem großen Baume näher, vor Anstrengung zu sehen war er geblendet, wie ein wilder Zauberwald erschien ihm das demütige Gras, das neidisch seinen Schatz verborgen hielt. Da leuchtete ihm die goldne Einfassung wie mit Lächeln entgegen, er bückte sich und kniete nieder, und drückte das liebe Büchelchen an Mund, Herz und Augen. War es ihm doch, als hätte er die holdselige unbekannte Gestalt selbst wieder getroffen, der Wunderglaube seiner Liebe hielt dieses Wiederfinden für eine glückliche Vorbedeutung, daß auch die schöne Besitzerin ihm nicht auf immer verborgen bleiben werde.

Er ging nach der Stadt. Das Gedränge am Tore war groß, denn jedermann eilte nun aus den Feldern und von den benachbarten Dörfern zur Stadt zurück, er beobachtete die mannigfaltigen Gesichter: der Mond stand am hellen Himmel, und schien auf die Dächer der Kirchen und auf die freien Plätze; endlich kehrte er in eine Herberge ein.

Franz fühlte sich müde und ging bald zur Ruhe, aber er konnte lange nicht einschlafen. Die Scheibe des Mondes stand seinem Kammerfenster gerade gegenüber, er betrachtete ihn mit sehnsüchtigen Augen, er suchte auf dem glänzenden Runde und in den Flecken Berge und Wälder, wunderbare Schlösser und zauberische Gärten voll fremder Blumen und duftender Bäume; er glaubte Seen mit glänzenden Schwänen und ziehenden Schiffen wahrzunehmen, einen Kahn, der ihn und die Geliebte trug, und umher reizende Meerweiber, die auf krummen Muscheln Lieder bliesen und Wasserblumen in die Barke hineinreichten[26] . »Ach! dort! dort!« rief er aus, »ist vielleicht die Heimat aller Sehnsucht, aller Wünsche: darum fällt auch wohl so süße Schwermut, so sanftes Entzücken auf uns herab, wenn das stille Licht voll und golden den Himmel heraufschwebt, und seinen silbernen Glanz auf uns herniedergießt. Ja, er erwartet uns, er bereitet uns unser Glück, und darum sein wehmütiges Herunterblicken, daß wir noch in dieser Dämmerung der Erde verharren müssen.«

Er verschloß sein Auge, um zu träumen; da erschien ihm die Fremde mit allen ihren Reizen, sie winkte ihm, und vor ihm lag ein schöner dunkler Lindengang, welcher blühte und den süßesten Duft verbreitete. Sie ging hinein, er folgte ihr schüchtern, er gab ihr die Blumen zurück, und erzählte ihr wer er sei. Da umfing sie ihn mit ihren zarten Armen, da kam der Mond mit seinem Glanze näher, und schien ihnen beiden hell ins Angesicht, sie gestanden sich ihre Liebe, sie waren unaussprechlich glücklich. – Diesen Traum setzte Franz fort, die frühsten Erinnerungen aus seinen Kinderjahren kamen zurück, alle schönen Empfindungen, die er einst gekannt hatte, zogen wieder an ihm vorüber und begrüßten ihn. So ist der Schlaf oft ein Ausruhen in einer schöneren Welt; wenn die Seele sich von diesem Schauplatz hinwegwendet, so eilt sie nach jenem unbekannten magischen, auf welchem liebliche Lichter spielen und kein Leiden erscheinen darf: dann dehnt der Geist seine großen Flügel auseinander, und fühlt seine himmlische Freiheit, die Unbegrenztheit, die ihn nirgend beengt und quält. Beim Erwachen sehn wir oft zu voreilig mit Verachtung auf dieses schönere Dasein hin, weil wir unsre Träume nicht in unser Tagesleben hineinweben können, weil sie nicht da fortfahren, wo unsre Menschentätigkeit am Abend aufhörte, sondern ihre eigne Bahn wandelten.

Zweites Kapitel

Am Morgen erkundigte sich Franz nach der Wohnung des berühmten Lukas von Leyden. Man bezeichnete ihm die Straße und das Haus, und er ging mit hochschlagendem Herzen hin. Er ward in eine ansehnliche Wohnung geführt, eine Magd sagte ihm, daß der Herr sich schon in seiner Malerstube befinde und arbeite. Franz bat, daß man ihn hineinführen möchte. Die Tür öffnete sich, und Franz sah einen kleinen, freundlichen, ziemlich jungen Mann vor einem Gemälde sitzen, an dem er fleißig arbeitete, um ihn her standen und hingen vielerlei Schildereien, einige Farbenkasten, Zeichnungen und Anatomien, aber alles in der besten Ordnung. Der Maler stand auf und ging Franzen entgegen, der Schüler war jetzt mit seinen Augen dem Gesicht des berühmten Meisters gegenüber, und vermochte in der ersten Verwirrung kein Wort hervorzubringen. Endlich faßte er sich, nannte seinen Namen und den Namen seines Lehrers. Lukas hieß ihn von Herzen willkommen, und beide setzten sich nun in der Werkstatt nieder, und Franz erzählte ganz kurz seine Reise, und sprach von einigen merkwürdigen Gemälden, die er unterwegs angetroffen hatte. Er beschaute während dem Sprechen aufmerksam das Bild, an welchem Lukas eben arbeitete; es war eine Heilige Familie, er traf darinnen vieles von einigen Dürerschen Arbeiten an, denselben Fleiß, dieselbe Genauigkeit im Ausmalen, nur schien ihm an Lukas' Bildern Dürers strenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünkte, als wären die Umrisse weniger dreist und sicher gezogen; dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmutiges in den Wendungen seiner Gestalten, ja auch in seiner Färbung, das dem Dürer mangelte. Dem Geiste nach, glaubte er, müßten diese beiden großen Künstler sehr nahe verwandt sein, er sah hier dieselbe Einfalt in der Zusammensetzung, dieselbe Verschmähung unnützer Nebenwerke, die rührende und echt deutsche Behandlung der Gesichter und Leidenschaften, dasselbe Streben nach Wahrheit.

Lukas war in seinem Gespräche ein muntrer, fröhlicher Mann, seine Augen waren sehr lebhaft, und seine schnell veränderlichen Mienen begleiteten und erklärten jedes seiner Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten, denn in seiner Einbildung hatte er ihn sich ganz anders gedacht, er hatte einen großen, starken, ernsthaften Mann erwartet, und nun sah er eine kleine, sehr behende, aber fast kränkliche Figur vor sich, und die Gebärden und Reden des Meisters trugen alle das Gepräge eines lustigen freien Gemütes.

»Es freut mich ungemein, Euch kennenzulernen«, rief Lukas mit seiner Lebhaftigkeit aus, »aber vor allen Dingen wünschte ich einmal Euren Meister zu sehen, ich wüßte nichts Erfreulicheres, das mir begegnen könnte, als wenn er so, wie Ihr heut tatet, in meine Werkstatt hereinträte; ich bin auf keinen andern Menschen in der Welt so neugierig, als auf ihn, denn ich halte ihn für den größten Künstler, den die Zeiten hervorgebracht haben. Er ist wohl sehr fleißig?«

»Er arbeitet fast immer«, antwortete Franz, »und er kennt auch kein größeres Vergnügen als seine Arbeit. Seine Emsigkeit geht so weit, daß er dadurch sogar manchmal seiner Gesundheit Schaden tut.«

»Ich will es gern glauben«, antwortete Lukas, »es zeugen seine Kupferstiche von einer fast unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat er deren schon so viele ausgehn lassen! Man kann nichts Sauberers sehn, als seine Arbeit, und doch leidet unter diesem Fleiße die Wahrheit und der Ausdruck seiner Darstellungen niemals, so daß seine Emsigkeit nicht bloß zufällige Zier, sondern Wesen und Sache selbst ist. Und dann begreife ich kaum die mannigfaltigen Arten seiner Arbeiten, von den kleinsten und feinsten Gemälden bis zu den lebensgroßen Bildern, dann seine Kupferarbeiten, seine saubern Figuren, die er auf Holz in erhabener Arbeit geschnitten, und die so leicht, so zierlich sind, daß man trotz ihrer Vollendung die Arbeit ganz daran vergißt, und gar nicht an die vielen mühseligen Stunden denkt, die der Künstler darüber zugebracht haben muß. Wahrlich, Albert ist ein äußerst wunderbarer Mann, und ich halte den Schüler für sehr glücklich, dem es vergönnt ist, unter seinen Augen seine erste Laufbahn zu eröffnen.«

Franz war immer gerührt, wenn von seinem Lehrer die Rede war; aber dies Lob, diese Verehrung seines Meisters aus dem Munde eines andern großen Künstlers setzte sein Herz in die gewaltsamste Bewegung. Er drückte Lukas' Hand und sagte mit Tränen: »Glaubt mir, Meister, ich habe mich vom ersten Tage glücklich geschätzt, da ich Dürers Haus betrat.«

»Es ist eine seltsame Sache mit dem Fleiße«, fuhr Lukas fort, »so treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit, so daß mich manchmal jede Stunde, ja jede Minute gereut, die ich nicht in dieser Stube zubringen darf. Von Jugend auf ist es so mit mir gewesen, und ich habe auch nie an Spielen, Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreibenden Dingen Gefallen gefunden. Ein neues Bild liegt mir manchmal so sehr im Sinne, daß ich davor nicht schlafen kann. Ich weiß mir auch keine größere Freude, als wenn ich nun endlich ein Gemälde, an dem ich lange arbeitete, zustande gebracht habe; wenn nun alles fertig ist, was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte: wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt, wie die Hand geübter und dreister wird, wie nach und nach alles das von selbst sich einstellt, was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte, seht, das ist eine Lust, die andre Menschen vielleicht nur an Kindern, die wohlgeraten, oder gar an gelungenen Eroberungen genießen können. O mein lieber Sternbald, ich könnte manchmal stundenlang davon schwatzen, wie ich nach und nach ein Maler geworden bin, und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage weiterzukommen.«

»Ihr seid ein sehr glücklicher Mann«, antwortete Franz. »Wohl dem Künstler, der sich seines Wertes bewußt ist, der mit Zuversicht an sein Werk gehn darf, und es schon gewohnt ist, daß ihm die Elemente gehorchen. Ach, mein lieber Meister, ich kann es Euch nicht sagen, Ihr könnt es vielleicht kaum fassen, welchen Drang ich zu unsrer edlen Kunst empfinde, wie es meinen Geist unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt, die seltsamsten und fremdesten Gegenstände sogar, nur von der Malerei zu mir sprechen; aber je höher meine Begeisterung steigt, je tiefer sinkt auch mein Mut, wenn ich irgendeinmal an die Ausführung gehn will. Es ist nicht, daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß scheue, daß es ein Stolz in mir wäre, gleich das Vortrefflichste hervorzubringen, das keinen Tadel mehr zulassen dürfte, sondern es ist eine Angst, eine Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbetung nennen, beides der Kunst, wie des Gegenstandes, den ich darzustellen unternehme.«


Date: 2016-01-14; view: 448


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