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Stehendes Epithoton 108

 

Zeitelement in beiderlei Hinsicht kaum wirksam: (1) Während der Vermittlung einer Sinneinheit, eines einzelnen Satzes, steht die Zeit gewissermaßen still, der Satz wird nicht als ein Nacheinander, sondern als ein Simultanes wahrgenommen und verarbeitet. Im Druck ist obendrein ein Satz, zumindest mit dem Blick, als ein Ganzes, Gleichzeitiges erfaßbar. (2) Das Zeitelement im Verb ist grammatisiert, es ist obligatorisoh, wird also nur bedingt wahrgenommen, das Verb kann gar nicht anders denn als Zeit-Wort existieren, so daß unter Umständen über weite Strecken, im Extremfall über einen ganzen Text (↑ episches Präteritum) das Zeitbewußtsein beim Leser schwindet oder zumindest sekundär ist. Hinzu kommt, daß das Verb immer nur die Dynamik einer einzelnen Aussageeinheit bezeichnet, nicht die Dynamik gegenüber den vorangehenden Aussageeinheiten (Sätzen). Sie ergibt sich aus den Wortinhalten. Im umfangreichen Einzelsatz verliert das Verb überdies durch sein quantitatives Verhältnis zum gesamten Satzumfang an Gewicht; alle übrigen Wörter bezeichnen Größen, Bezüge, Sachen, über die etwas ausgesagt wird. Wird nun der an sich geringe grammatische Raum, der für die Dynamik bleibt (das Prädikat), durch Aufnahme untergeordneter Vorgänge in einen Satz, durch Attribuierung, durch ↑ Zuordnungshäufung relativ kleiner, so verliert die Aussage relativ an Dynamik; die nunmehr als Bezug, als Zugeordnetes gefaßten Vorgänge und Abhängigkeiten erhalten das Übergewicht. Im nun schon Gewohnheit gewordenen Extremfall wird dann auch noch das eigentliche Prädikat substantivisch, als Sache, als Satzgegenstand gefaßt und das Verb als Kopula zum formalen Vollstrecker der Satzbildung degradiert. Kunst des Darstellenden ist es, die zur Statik neigenden ↑ Darstellungsarten ↑ Beschreiben und ↑ Charakterisieren dynamisch zu machen, indem der Gegenstand in seinem zeitlichen Bezug und als in einem Abschnitt einer Entwicklung befindlich demonstriert wird. ↑ Schildern.

stehendes Epithetonn: formelhafte Zuordnung einer Eigen-schaft, z. B. der listenreiche Odysseus, der rasende Reporter (Kisch). ↑ Epitheton.

stehende Wortverbindung: 1.im engeren Sinne ↑ Fhraseologismus. — 2. im weiteren Sinne jede übliche Wortverbindung, z. B. ↑ stehendes Epitheton, ↑ Formel, ↑ Floskel, auch ↑ Fertigstücke.


 

Stil

 

Stichpunkte,Dispositionsausdrücke, Dispositionsbegriffe: vor-wiegend nominale Begriffe und Begriffskomplexe, die stich-wortartig in einer ↑ Disposition, einer Tagesordnung, einem Plan festgehalten sind. Oft handelt es sich um substantivierte Vorgänge, z. B. individuelle Freizeitgestaltung. Das mangelnde Umsetzen solcher Ausdrücke in Bekanntmachungen, Referaten, publizistischen Beiträgen usw. ist oft Ursache für den ↑ Nomi-nalstil. Zum Beispiel wird der an sich verbale Begriffskomplex Freizeitgestaltung einfach mit einem sinnleeren Verb nur noch formal vervollständigt: Individuelle Freizeitgestaltung kann von 16 bis 18 Uhr erfolgen statt Über die Zeit von 16 bis 18 Uhr kann jeder frei verfügen.



Stichpunktwiedergabe:eine Art der ↑ abstrahierten Rede. Die Stichpunktwiedergabe vereint in sich ↑ Exzerpt und ↑ Redewiedergabe mit Techniken der Agitationsschrift; sie formuliert jeweils in ein, zwei Sätzen. einen wichtigen Gedanken aus Äußerungen wie ↑ direkte Rede und hebt die vom Blickpunkt und in der ↑ Perspektive des Redners zu denkenden Sätze durch graphische Mittel (meist durch vorangestellten Fettpunkt) hervor.

Stil (als Stil sprachlicher Äußerungen): die gedanklich-sprachliche Aussageweise, die konkrete Verwendungsweise gedanklich-sprachlicher Formen. Der Stil wird bestimmt durch die konkrete (politische, soziale, ästhetische) Funktion und Situation der Mitteilung, geprägt durch gattungs- und genremäßige Strukturen und Konventionen, beeinflußt durch die Kommunikationsart (↑ schriftlicher Stil, mündlicher Stil), modifiziert oder bestimmt durch das sich mitteilende Individuum oder Kollektiv; er unterliegt, insbesondere in seiner sprachlichen Seite, gewissen historischen Veränderungen und Normen. Der Stil ist also die durch Zeit, Milieu, Funktion, Thema, Genre, Mitteilungs-(Kommunikations-) Art und durch die mitteilende Person oder Gemeinschaft bestimmte gedanklich-sprachliche Aussageweise. Kurz: Stil ist historisch, funktionell, vermittlungsspezifisch und individuell bedingte gedanklich-sprachliche Aussageweise.

Der Stilbegriff darf weder allein auf nur zweckgerichtete Mitteilungen noch allein auf die gedanklich-sprachliche Form künstlerischer Werke bezogen werden, noch darf er auf die


 

Stilanalyse 110

 

expressive Sprachgestaltung beschränkt werden. Einige Theore-tiker grenzen ihn auf die einer Substitution (synonymische Er-setzbarkeit) zugänglichen sprachlichen Mittel eines Textes ein. Stil eignet jedoch uneingeschränkt dem Text als einer Gesamt-heit von gedanklich-struktureller und sprachlicher Form, mithin allen gedanklich-sprachlichen Mitteln, auch solchen, die noch keine festen stilistischen Bezeichnungen haben. Unter gedanklich-sprachlichen Mitteln verstehen wir gedankliche Strukturen, die sich in sprachlichen Formen äußern, z. B. das Übertreiben in der ↑ Hyperbel, das Eine-Person-selber-Denken-lassen in ↑ direkter Reflexion, das Wiederholen in ↑ Anapher und ↑ Epipher, das Scheinbar-verändert-Darbieten in ↑ stilistischer Variation bzw. ↑ Synonymie. Gedankliche und sprachliohe Seite des Stils hängen eng zusammen, doch kann entsprechend der relativen Trennbarkeit gedanklicher Strukturen von potentiell verschiedenen Sprachformen (↑ Gedanke und Sprachform) der Stil einerseits in seiner formal-gedanklichen Komponente, als ↑ Denkstil, und andererseits in seiner grammatisch-lexikalischen Komponente, als ↑ Sprachstil, untersucht werden.

Stilanalyse: eingehende stilistische Untersuchung von Texten, praktisch gleichgesetzt mit dem Begriff ↑ Stiluntersuchung; zum Teil als Zergliederung in Stilelemente (↑ Sprachstilelemente) der Stiluntersuchung untergeordnet, die eine Darstellung des Zusammenwirkens der Stilelemente geben soll. Diese wird ihrerseits vielfach als ↑ Stilinterpretation bezeichnet. Stilarten: 1. In der antiken Rhetorik unterschied man nach dem Mitteilungszweck und dem damit verbundenen Redeschmuck (↑ Amplifikation, Ornatus, rhetorische Figuren) drei Stilarten: a) einen leichten Stil zum Zweck der bloßen Mitteilung und Lehre (docere = lehren): schmuckloser Stil; b) einen mittleren Stil zum Zweck der Unterhaltung, des Vergnügens (delectare = erfreuen, unterhalten, vergnügen): gefälliger und zugleich klarer Stil mit rhetorischen Figuren; c) einen erhabenen, schweren Stil zum Zweck der leidenschaftlichen Erregung und Erschütterung (movere = bewegen): anspruchvoller, mit allen Mitteln des Redeschmucks versehener Stil. — 2. In neuerer Zeit hat E. Kerkhoff den Begriff der Stilarten wieder aufgenommen. Sie bezeichnet als Stilarten: Werkstil, ↑ Indi-


 

111 Stilfärbung

 

vidualstil, ↑ Zeitstil (Epochalstil), Nationalstil, Personalstil, Materialstil, Gegenstandsstil, ↑ Gattungsstil. Diese Unterscheidung ist gegenüber einer Betrachtungsweise, die den Stil vorwiegend oder fast ausschließlich nach Kommunikationsbereichen einteilt, differenzierter, indem sie wichtige Stilfaktoren (Gegenstand, Epoche, Gattung) ins Blickfeld rückt. Andererseits sind Bezeichnungen wie Werkstil / Gegenstandsstil oder Individualstil / Personalstil nicht streng abzugrenzen. Vor allem muß betont werden, daß es sich hier nicht um verschiedene Stilarten handelt, sondern um eine Stilklassifikation, um verschiedene Betrachtungsprinzipien für ein und denselben Stil. Stilbereiche: 1. Bereiche der Kommunikation, die unterschiedliche stilistische Normen der Texte (↑ Bereichsstil) herausgebildet haben oder angemessen erscheinen lassen. — 2. auch für Stilschichten (↑ Stilschicht).

Stilblüte: mißlungene, lächerlich wirkende Fügung eines Ge-dankens, z. B. die Parlamentsblüte: Gewiß, meine Herren, wir sind alle nur Menschen. Aber der Witz ist der, daß es sich das Volk nicht länger gefallen läßt.

Stilbruch: mangelnde Kontinuität der gedanklich-sprachlichen Aussageweise; in gedanklicher Hinsicht die unorganische Ver-mischung und der unbegründete Wechsel von Perspektiven (↑ Perspektive) und ↑ Darstellungsarten, in sprachlicher Hinsicht die unbeabsichtigte oder in ihrer Absicht nicht erkennbare Vermischung verschiedener Bereichsstile (↑ Bereichsstil), Stilschichten (↑ Stilschicht) bzw. Stilebenen (↑ Stilebene) und Stilfärbungen (↑ Stilfärbung) von Wörtern und Fügungen. Der Stilbruch hat vielfach seine Ursache in inkonsequenter ↑ Darstellungshaltung.

Stilebene: durchschnittliche sprachästhetische Qualität eines Aussagekomplexes, eines ↑ Textes. Die Stilebene wird von der allgemeinen ↑ Stilschicht der Wörter und ihrer Fügung und durch den gesamten Charakter des Textes, z. B. durch dessen intellektuelle Qualität, bestimmt. Stilelemente ↑ Sprachstilelemente.

Stilfärbung, Stilkolorit: übliche, d. h. im Wörterbuch bereits flxierte stilistisehe Nuance von Wörtern und Fügungen. Wörter und Fügungen können aufweisen: (I) spezielles Kolorit, z. B. können sie abwertend, grob, scherzhaft, spöttisch, übertreibend,


 

Stilflguren 112

 

vertraulich, verhüllend, zotig sein; (2) landschaftliches (terri-toriales) Kolorit, z. B. in der Lexik: Wiese / Alm, in der Syntax: ist/hat gestanden (↑ Dialektismus, ↑ auch Provinzialismus); (3) politisehes und soziales Kolorit, z. B. Establishment/führende Klasse, Bundeswehr/Volksarmee; (4) historisches Kolorit, z. B. deutlich in der Verwendung von nicht mehr üblichen oder ver-altenden (↑ Anachronismus, Archaismus, Historismus), aber auch neuentstehenden Sprachformen (↑ Neologismus, Modernis-mus). In manchen Fällen. überschneiden sich historische und politische Komponente; so ist die Bezeichnung Stände für einen historischen Sachverhalt angemessen, während sie heute, an-gewandt auf Klassen, einen politischen Sachverhalt bewußt verhüllt (↑ Euphemismus); (5) Kolorit des Kommunikations-bereichs (Riesel: funktionale Stilfärbung); z. B. sind bestimmte Sprachformen vorwiegend in einem bestimmten Bereich, etwa in Publizistik oder Wissenschaft, bzw. in bestimmten Berufen (↑ Professionalismus, Terminus) üblich. Spezielle Sprachformen der künstlerischen Literatur (↑ auch Poetismus) stehen dabei zugleich in anderen Bezügen: Sie bilden in ästhetischer Hinsicht die höchste ↑ Stilschicht; dasselbe gilt umgekehrt für Sprach-formen der untersten Stilschicht wie ↑ Jargonismus und ↑ Vulgarismus bzw. Argotismus, die zugleich das Kolorit (funktionale Stilfärbung) des Kommunikationsbereichs Alltag aufweisen; fachspezifisches Kolorit und Stilschicht zugleich sind im ↑ Fachjargonismus deutlich.

Ist an isoliert stehenden Wörtern eine besondere Stilfärbung nicht erkennbar, so spricht man von ↑ Nullfärbung. ↑ auch Stilwert.

Stilflguren ↑ rhetorische Figuren.

Stilgeschichte: Gesohichte der durch die untersehiedlichen. gesell-schaftlichen Verhältnisse, durch konkrete Entwicklung von Sprache und Denken, durch die allgemeine Geschichte und Kulturgeschichte (und deren Auswirkung auf die Individuen und sozialen Gruppen) bedingten Sprachstile bzw. ↑ Sprachstil-elemente. ↑ Sprachstil.

Stilgestaltung: Bezeichnung für die Arbeit am (Sprach-) Stil zu schaffender Texte. Da Stil an sich Gestalt ist, faßt man den Sachverhalt treffender unter dem Begriff ↑ Textgestaltung bzw. ↑ Stilisierung.


 

Stilistik

 

Stilinterpretation: auf ↑ Stilanalyse fußende Einschätzung und Charakterisierung des Stils von Texten; zum Teil synonym zu ↑ Stiluntersuchung gebraucht.

Stilisierung: mögliche allgemeine Bezeichnung für die Arbeit am Stil zu schaffender Texte, für die ↑ Textgestaltung. Die Bezeichnung ist bisher nur — zudem mit nicht klar umrissener Bedeutung — in der Literaturwissenschaft bzw. Kunstwissen-schaft üblich; hier wird sie (nicht notwendigerweise) mehr auf die Sprachgestaltung bezogen. ↑ ästhetische Stilisierung, Stil-gestaltung.

Stilistik, populär Stilkunde: Wissenschaft vom ↑ Stil, von der gedanklich-sprachlichen Aussageweise. Entsprechend den beiden Seiten des Stils, der gedanklichen und der sprachlichen, läßt sich unterscheiden zwischen (1) einer Stilistik der Denkformen, die man als ↑ Denkstilistik bezeichnen könnte, und (2) einer Stilistik der Sprachformen, einer ↑ Sprachstilistik. Die eine hat Bindungen zu Logik und Erkenntnistheorie, die andere zu Grammatik und Lexikologie. Da beide Seiten eine Einheit bilden, die im Stil eines Textes in Erscheinung tritt, ist für das Erfassen und Lehren stilistischer Mittel eine komplexe Be-trachtungsweise erforderlich. Werden ausschließlich grammati-sche Strukturen und ihre Varianten untersucht, so ist es ratsam, von stilistischer Grammatik zu sprechen. Abgesehen von den beiden Grundkomponenten der Stilistik kann Stilistik betrieben werden (1) als Stiltheorie (theoretisohe Stilistik, Stilwissenschaft). Die Stiltheorie schafft durch Untersuchung des allgemeinen Gegenstandes der Stilistik, durch Herausarbeitung und Katalogisierung gedanklich-sprachlicher Strukturen und Formen die Grundlage für Interpretation und Lehre stilistischer Faktoren; (2) als angewandte Wissenschaft (praktische Stilistik): a) als ↑ Stiluntersuchung (bzw. ↑ Stilinterpretation, ↑ Stilanalyse); sie analysiert und klassiflziert den Stil sprachlicher (künstlerischer, journalistischer usw.) Mitteilungen; b) als Stillehre (Stilunterweisung); sie lehrt die Berücksichtigung stilistischer Faktoren, die der Aussage, dem Thema, dem Zweck usw. gemäße Verwendung der gedanklich-sprachlichen Mittel bei der ↑ Textgestaltung (z. B. für Schüler und Studenten, speziell für die Aus- und Weiterbildung von Journalisten und Künstlern).

8 Stilkunde


 

Stilistisch 114

 

Der Standort der Stilistik innerhalb der Wissenschaften. ergibt sich aus dem Komplexcharakter des Stils. Die Stilistik bedient sich der Erkenntnisse von Linguistik, Logik, Erkenntnistheorie, auch Informationstheorie, Psychologie und Ästhetik. Unterschiedlich beurteilt wird die Zugehörigkeit der Gattungs-und Genretheorie zur Stilistik.

Das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik erhellt insbesondere aus beiden Grundkomponenten des Stils. Während die Gramma-tik ein System struktureller Normen bildet, das kodifiziert ist, wobei übliche Varianten zugelassen werden, bezieht sich die Stilistik auf die gesamte sprachliche Äußerung, auf den Kon-text, auch wenn sie Textelemente untersucht. Dies schließt nicht aus, daß übliche stilistische Qualitäten bereits im Wörterbuch oder in der Grammatik erscheinen. Auch können ver-sohiedenartige Kontextbindungen auf strukturell-grammatische Weise untersucht werden (↑ strukturelle Stilistik). Stilistik ist, als Theorie der Textuntersuchung und als Grundlage der ↑ Textgestaltung, eine Kontextwissenschaft: Sie kann zwar in einer Systematik die üblichen begrifflichen, emotionalen, ästhe-tischen Werte bestimmter Wörter und Fügungsweisen regi-strieren (z. B. die ↑ Stilfärbung und die ↑ Stilschicht), sie kann Typen gedanklich-sprachlicher Strukturen (z. B. ↑ Isolog, ↑ Kreuzstellung) beispielhaft nennen, aber erst deren Verhältnis zu Gegenstand, Funktion und Situation der Mitteilung erlaubt eine Bewertung des Stils.

Gegenstand der Stilistik sind alle Arten von Texten, da Stil eine Erscheinungsform jeder sprachlichen Äußerung ist. Die Stilistik der künstlerischen Literatur (↑ literaturwissenschaftliche Stilistik) ist nur ein Teilgebiet der Stilistik sprachlicher Äußerungen; sie hat allerdings insofern Bedeutung, als die gedanklich-sprachliche Form künstlerischer Werke durch Bewußtmachen beispielhaft wirken kann. Sie dient also zugleich der ästhetischen Bildung.

stilistisch: 1. den ↑ Stil betreffend, in bezug auf den Stil. — 2. in bezug auf den Stil bemerkenswert, von der zu erwartenden Form abweichend oder ihr entgegengesetzt. Dieser verbreitete Gebrauch des Wortes „stilistisch", der mit „nicht-normal" zu umschreiben wäre, fordert einige Bemerkungen. Es ist eine Konvention, nur das, was bei konstantem begrifflichem Gehalt


 

Stilistisch

 

variabel oder vom Gewöhnlichen abweichend ist, also nur das stilistisch Hervorragende, nicht Merkmallose, die originelle Variante als stilistisch zu bezeichnen. Stilistisch ist die Norm wie die Abweichung; Norm wie Abweichung übernehmen unter kontextualen Bedingungen bestimmte, ihnen eigene Aussage-funktionen. Die Einhaltung der Norm kennzeichnet eine Äuße-rung als sprachlich relativ neutral, relativ frei von Individuellem und sprachlich Originellem. Sie ist nur stilistisch merkmallos und nur in bezug auf den einzelnen, konkreten Text merkmallos, wobei eben Merkmallosigkeit auch ein Merkmal ist. Die Be-zeichnungen ↑ stilistische Satzgliedfolge, ↑ stilistische Aus-klammerung usw. sind in diesem Sinn als eine Konvention für „stilistisch merkmalhaft" zu verstehen und können so verstanden werden, weil sie sich von einem relativ neutralen kontextualen Sprachuntergrund abzuheben vermögen. In einem gewöhnlichen Berichts-Kontext wäre z. B. — nach Nennung einer Person — der Satz In seinem Garten stand ein Birnbaum die erwartete, stilistisch merkmallose Verwendung der Wort- und Satzformen: Sie schließt an Vorhergehendes auch normal an (↑ Anschlußstellung). Stilistisoh hervorragend (kurz: stilistisoh) wären alle davon abweichenden Formulierungen, also etwa Ein Birnbaum stand ...; diese Formulierung rückt den Gegenstand Baum an die für den gedanklichen Anschluß vorgesehene Stelle und betont ihn deshalb. Zugleich erhält die Aussage rhythmische Qualität, der Anfang wird jambisch. Ein Birnbaum stund , . . brächte eine archaisierende oder humoristische Nuance in die Aussage, ... hat gestanden ein Element des Faktischen, des Gewesenen gegenüber dem jetzigen Zustand; . . . ist gestanden wäre landschaftlich auffallend (süddeutsch) oder trüge — wie bei Brecht, der in solchen Fällen die Bildung mit sein bewußt verwendet — unter Umständen ein poetisoh-verfremdendes Element in die Aussage (vgl. das süddeutsch ganz gewöhnliehe Geiß und seine Wirkung in einem hochdeutschen Kontext). Außerdem ist in reimender Dichtung die Inversion Ein Birribaum in seinem Garten stand (so bei Fontane), heute allerdings meist nur in historisierender oder folklorisierender Absicht, möglich. Alle stilistisch bedeutsamen Varianten ändern nicht die Aussage selbst, sondern nur den Akzent der Aussage. Sie variieren die Aussage.

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Date: 2016-01-03; view: 682


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