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Kriminelles im Laden

Frankfurt. Eine rasche Bewegung, das nette Ding verschwindet in der großen Einkaufstasche, einen Augenblick später ist die Frau schon auf dem Weg zur Rolltreppe. Jetzt greift der Detektiv ein: „Würden Sie bitte mit ins Büro kommen!" Da sitzt sie nun, rutscht nervös auf dem Stuhl hin und her und beteuert: „Ich wollte doch nur in eine andere Ab­teilung, um den Preis zu vergleichen." Die drei Detektive vom Kaufhaus Hertie in Frankfurt, die um die Kundin hemmstehen, wechseln einen vielsagenden Blick. „Wir hören hier jeden Tag die dümmsten Ausreden", sagt ihr Chef, ein pensionierter Polizeibeamter. Auch dieser Frau helfen die Ausflüchte nicht. Der Beamte nimmt den versuchten Diebstahl in ein Protokoll auf, notiert ihre Personalien, dann kann sie gehen. Das Kaufhaus hat ihr Hausverbot erteilt, eine Anzeige wegen Diebstahls wird folgen.

Das nette Ding legt der Chef in das weiße Regal neben seinem Schreibtisch. Dort wird sichergestelltes Diebesgut während des Tages aufbewahrt. In den Fächern befinden sich gegen Mittag schon zwei Tüten Leberknodelsuppe für je 2,29 Mark, eingesteckt von einem 71 Jahre alten Mann; zwei Pullover im Wert von zusammen 278 Mark, die ein junger Mann in der Umkleidekabine unter seine eigenen Sachen angezogen hatte; eine Packung Zigaretten, gestohlen von einem Jugendlichen. In diesem Regal haben im vergangenen Jahr Waren im Wert von insgesamt 300 000 Mark gelegen, sichergestellt bei den etwa 1600 Ladendieben, die die Kaufhausdetektive gestellt haben.

In Deutschland wurden 1996 etwa 660 000 Fälle von Ladendiebstahl bekannt, fast sieben Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der nicht entdeckten Diebstähle ist zehn- bis zwanzigmal so hoch. Der Wert der gestohlenen Waren wird für dieses Jahr auf viereinhalb Milliarden Mark geschätzt. Am häufigsten werden Parfümerieartikel, Lederwaren, Elektrogeräte, Tomräger und hochwer­tige Kleidungsstücke gestohlen. Die kleinen Bildschirme im Büro der Detektive zeigen, welche Abteilungen in diesem Kaufhaus besonders diebstahlgefahrdet sind. Die neunzehn Überwachungskameras sind unter anderem auf Spirituosen, Sportschuhe, Sportkleidung, Mieder­waren und Bestecke gerichtet. Sie lassen sich aber verstellen, können in jeden Winkel des Kaufhauses gerichtet werden. In einer Abteilung be­gutachtet ein Kunde Lederschuhe. In der linken Hand hält er einen Gegenstand, den er zur Hälfte in seinem Jute-Beutel verschwinden läßt. Da stellt der Mann die Schuhe wieder hin, wendet sich ab und man erkennt, was er in der Hand hält: sein Brillenetui. Ein anderer Bildschirm zeigt zwei Jugendliche im Parterre, die schwarze Leder­jacken anprobieren. Die klauen nichts", sagt der Detektiv-Chef und schwenkt die Kamera weiter. Er hat dafür ein Gespür.

Man unterscheidet drei Typen von Ladendieben. Da gibt es Gelegenheitsdiebe, die meist billige Artikel stehlen, wie Strümpfe oder Lippenstifte. Unter ihnen finden sich Personen jedes Alters und jeder Einkommensgruppe. Man vermutet, daß dabei eine Reizsituation entsteht, der einige nicht widerstehen können. Merkwürdig ist aber auch, daß manche Diebe Dinge stehlen, mit denen sie gar nichts anfangen können. Mit den Gelegenheitsdieben haben die Detektive die meiste Arbeit. Der Chef sagt: „Die, die nur zwei Eier klauen, machen das größte Theater". Kaum einer gibt den Diebstahl gleich zu. Ihre häufigsten Ausreden sind: „Die Kasse war nicht besetzt" oder „Das habe ich von zu Hause mitgebracht". Aber auf solche Diskussionen läßt er sich gar nicht erst ein. Zu dieser Gruppe zählen auch die Jugendlichen, denen der Diebstahl als eine Art Mutprobe gelten soll. Knapp 30 Prozent der Ladendiebe sind Jugendliche, etwa 70 Prozent sind achtzehn Jahre und älter.



Zahlreiche Ladendiebe stammen aus der Rauschgiftszene, einige von ihnen sind obdachlos. Diese Diebe stehlen Dinge, die sie schnell verkaufen können, wie etwa Spirituosen. Einen rauschgiftsüchtigen Mann haben die Detektive im vergangenen Jahr 32 Mal gefaßt. „Inzwischen sitzt der", sagt der Chefbeamte. Er hatte sich auf hochwertige Strickwaren „spezialisiert", ein anderer stiehlt nur Champagner, ein dritter ausschließlich Zigaretten. „Wir hatten einen Dauerkunden, der kam ins Büro, hat die Schublade mit den Formularen aufgezogen und das Protokoll blanko unterschrieben." Diese Diebe rechneten schon damit, hin und wieder ertappt zu werden.

Während sich die meisten Diebe ständig umgucken und aufpassen, ob sie beobachtet werden, bemühen sich andere nicht einmal darum, unentdeckt zu bleiben. Sie greifen nach einem Kasten mit wertvollem Besteck und laufen in Richtung Ausgang. Ähnlich dreist gehen Banden vor, die im Ladendiebstahl manchmal in Erscheinung treten. „Die kommen zu zweit oder zu dritt, einer hält die Verkäuferin in Schach, die anderen verschwinden mit den Pelzmänteln." Da hilft es auch nicht, wenn das Personal den Diebstahl bemerkt: „Die schüchtern die Verkäuferin ein". In diesem Fall wird den Händlern geraten, „mit dem Heldenspielen zurückzuhalten". Denn die Täter sind gelegentlich auch bewaffnet, immer häufiger werden sie gewalttätig.

Bei den großen Unternehmen werden 64 Prozent der Diebe von De­tektiven gestellt, 33 Prozent von Mitarbeitern und drei Prozent von Kunden. Die Detektive im Kaufhaus Hertie sprechen Kunden an, wenn sie Waren unbezahlt einstecken oder die Artikel zwar offen tragen, die entsprechende Abteilung aber verlassen haben, schon an mehreren Kassen vorbeigekommen sind, ohne zu bezahlen, und sich auf dem Weg zum Ausgang befinden. Weigert sich ein Verdächtiger, seine Taschen zu leeren oder sich durchsuchen zu lassen, wird die Polizei gerufen.

Natürlich kommt es auch vor, „daß man mal den Falschen erwischt. Ein solches Versehen konnte beispielsweise geschehen, wenn eine Kundin einen mitgebrachten Rock aus der Tasche nimmt, um ihn farblich mit einer Bluse zu vergleichen, und der Detektiv in dem Moment hinschaut, wenn sie den Rock wieder einsteckt. Ein anderer Fall: Die Kassiererin vergißt, das Sicherungsetikett zu entfernen, und am Ausgang piepst es. Dem Detektiv-Chef bleibt dann nur noch, sich zu entschuldigen.

Äußerst selten sind reuige Ladendiebe. Der Chef erhielt vor einiger Zeit einen Brief, den er kopiert und an die Pin-Wand in seinem Büro gehängt hat: „Leider hatte ich vor einigen Jahren einige Dinge aus Ihrem Geschäft entwendet. Dafür möchte ich mich entschuldigen." Im Briefumschlag lagen 250 Mark.

Nach Christine Scharrenbroch, F.A.Z, 3.04.97


Date: 2015-12-24; view: 859


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