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In der Stadt zu wohnen - allein das ist schon Luxus

Auch im goldenen Westen müssen viele Familien sparen, um monatlich über die Runden zu kommen.Der Grund dafür: Preiserhöhungen, sogar Preisexplosionen. Besonders schwer haben es die Einwohner von Großstädten. So können sich auch viele Münchner mit einer knapp bemessenen Kasse nur wenig erlauben. Wer Kinder hat, muß in der Regel genau haushalten, manchmal sogar jeden Groschen umdrehen.

„Leben Sie wirklich schlecht?" stellten wir die Frage an Franz S., einen Familienvater aus der Nähe von München. „Nein, nein, eigentlich geht es uns gut", schüttelte er den Kopf. „Gut" heißt für den Münchner, „ich hab eine Familie, eine Wohnung und einen Job."

Franz S. ist Briefträger. Als Postbeamter verdient er monatlich 2400 Mark auf die Hand. Das teilt er sich mit Frau Ulla und dem fünf Jahre alten Sohn Peter. 890 Mark warm kostet die rund 84 Quadratmeter große Wohnung an Stadtrand. „Ein Freundschaftspreis", gesteht Franz. „Was anderes können wir uns auch nicht leisten."

Was anderes wäre für den Ehemann eine „Wohnung in der Stadt". Davon kann er nur träumen. Denn abzüglich der Mietkosten bleiben der Familie monatlich 1510 Mark. Davon muß sie Versicherung, Auto, Kleidung, Freizeit, Hobby, Urlaub und das tägliche Essen bestreiten. 700 bis 800 Mark gibt Ulla S. für Lebensmittel aus, und das ist „noch knapp berechnet". Doch damit muß sie auskommen. Eng wird es, wenn wie in diesem Monat eine Kfz-Reparatur-Rechnung von 1500 Mark ansteht. „Ins Schwitzen" bringt das Franz S., „da alles über die Maßen teurer wird", besonders aber die Grundnahrungsmittel wie Milch, Brot, Obst und Gemüse, „worauf man halt nicht verzichten kann". Möglichst preiswert müssen die Eheleute deshalb einkaufen.

Sich gar gesund zu ernähren, daran ist für die Familie S. nicht zu denken: „Das ist der reine Luxus". Auch Essengehen leisten sie sich nur ab und an. „Statt dessen haben wir den Bub", erklärt Ulla S. Denn: „Wer heute Kinder haben will, der ist von vomeherein benachteiligt, der muß den Gürtel gleich enger schnallen." Deshalb geht die 44jährige Hausfrau jetzt wieder als „Schreibkraft jobben". Und das, obwohl des öfteren Freunde und Verwandte ,,'nen Groschen zuschieben". Franz S. weiß nicht, wohin das führen wird, steigen die Kosten weiterhin so an. Obwohl der 60jährige sich aufs „Minmum reduziert" („Wissen Sie, ich hab das gelernt, ich bin noch Kriegsgeneration"), ist am Monatsende jedesmal der Geldbeutel leer. Sorgen macht er sich schon, wenn er in drei Jahren in Rente geht. 1900 Mark, schätzt er, wird er bekommen. Klar ist für ihn: Die Frau muß dann ganztags arbeiten gehen. Und ich such mir einen Nebenjob." Denn sonst, glaubt der Postbote, müsse er Schulden machen. Und Schulden, die will er auf gar keinen Fall haben.



Jeder zehnte Haushalt in München ist laut Sozialreferat „überschul­det". Manche bayrische Familien können wegen der Preissteigerungen mit dem Haushaltsgeld nicht zu Schuß kommen.

Die Hausfrauenvereinigung rät, den „Notleidenden" die Ausgaben einzuteilen. Konkret: „Wem das Geld nicht reicht, der soll ein Haus­haltsbuch führen über das, was er grundsätzlich monatlich ausgeben kann." Und: „Verzichtet werden muß auf Konsumkredite, die Luxusar­tikel wie Stereoanlagen, Videogeräte und Femseher finanzieren helfen." Denn diese seien ein Grund, wenn nicht das Hauptübel aller Verschul­dung, behauptet die Expertin in Sachen Hauswirtschaft.

Erika B. haushaltet bewußt. Sie führt Buch über ihre Ausgaben. Sie zählt sich zu den Wohlsituirten. Kein Wunder. Ihr Mann verdient 5000 Mark im Monat. Und: Preiswert („800 Mark warm") ist auch ihre 64 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung. Familie B. muß also nicht „knappen". Peter B. arbeitet freiberuflich: ,Ich bekomme weder ein 13. und 14. Monatsgehalt noch einen Urlaub oder eine Rente", so der Frei­schaffende. Die Konsequenz: „Ein Großteil des Einkommens legen wir allein für soziale Absicherungen zur Seite."

Probleme bereiten der Familie zu dem die „hohen" Preise für Le­bensmittel. Rund 1300 Mark hat sie im Januar für Essen und verschie­denes ausgegeben. Dasselbe wie im vorigen Januar, nur daß sie damals davon noch „die Putzfrau, den Babysitter und vier- bis fünfmal Essen­gehen bezahlen konnte."

Um „für sich selbst" etwas Entlastung zu haben, wäre es ange­bracht, wieder arbeiten zu gehen, gesteht Erika B. Buch führen, selber kochen, stricken und nähen, das sind dann schon alle Tips, die die Mutter von zwei kleinen Kindern geben kann. Und: nicht immer gesund und umweltbewußt kaufen.

Selber kochen, dazu rät auch der Hausfrauenbund. Vor allem aber: „Saisonbewußt einkaufen und das eine oder andere seltener nehmen, ganz einfach mal verzichten". Wie das funktioniert, lehrt der Haus­frauenbund in Kursen und Abendveranstaltungen. An richtiger Stelle einsparen soll aber ebenso der Staat, damit künftig mehr öffentliche Gelder für individuelle Betreuung lockergemacht werden können.

Michi R. zweifelt. „Kindergartenplätze für den ganzen Tag sollen sie lieber schaffen, damit die Frauen, die dazuverdienen müssen, arbeiten gehen können." Michi R. ist 44 Jahre alt, Sohn Jonny sechs Jahre. Michi R. weiß, wovon sie spricht. Sie lebt ohne Mann und ver­dient ihr Geld selbst. 2300 Mark brutto für Schreibarbeiten zu Hause, „da hab ich noch Glück, da kann ich bei Jonny sein". 40 Mark, hat Michi R. ausgerechnet, darf sie abzüglich der Miete und anderen Fixkosten täglich für Nahrungs- und Putzmittel ausgeben, um „gerade so hinzukommen". „Völlig unter den Tisch fallen" für sie ein Auto, Urlaub, Theater, Kino und sonstige Bildungsangebote.

„Damit ist man in unserer Überflußgesellsehaft zum Außenseiter abgestempelt", meint sie. Statt den „blödsinnigen Kämpfen um mehr Lohn, die eh nichts bringen, weil dann jedesmal automatisch wieder die Preise angehoben werden", erhofft sie sich eher Erleichterung durch bessere Arbeitsbedingungen, flexiblere Arbeitszeit, mehr Freizeit und Kindergeld.

Nach Ch. Burtscheidt, „Süddeutsche Zeitung"¹46, 1992


Date: 2015-12-24; view: 714


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