Home Random Page


CATEGORIES:

BiologyChemistryConstructionCultureEcologyEconomyElectronicsFinanceGeographyHistoryInformaticsLawMathematicsMechanicsMedicineOtherPedagogyPhilosophyPhysicsPolicyPsychologySociologySportTourism






Der Hüter der Schlüssel

BUMM, BUMM. Wieder klopfte es. Dudley schreckte aus dem Schlaf

»Wo ist die Kanone?«, sagte er dumpf.

Hinter ihnen hörten sie ein lautes Krachen. Onkel Vernon kam hereingestolpert. In den Händen hielt er ein Gewehr - das war also in dem langen, schmalen Paket gewesen, das er mitgebracht hatte.

»Wer da?«, rief er. »Ich warne Sie - ich bin bewaffnet!« Einen Augenblick lang war alles still. Dann - SPLITTER!

Die Tür wurde mit solcher Wucht getroffen, dass sie glattweg aus den Angeln sprang und mit einem ohren- betäubenden Knall auf dem Boden landete.

In der Türöffnung stand ein Riese von Mann. Sein Gesicht war fast gänzlich von einer langen, zottigen Haarmähne und einem wilden, struppigen Bart verdeckt, doch man konnte seine Augen erkennen, die unter all dem Haar schimmerten wie schwarze Käfer.

Dieser Riese zwängte sich in die Hütte, den Rücken gebeugt, so dass sein Kopf die Decke nur streifte. Er bückte sich, stellte die Tür aufrecht und setzte sie mit leichter Hand wieder in den Rahmen ein. Der Lärm des Sturms draußen ließ etwas nach. Er wandte sich um und blickte sie an.

»Könnte 'ne Tasse Tee vertragen. War keine leichte Reise...« 54


 

 



Er schritt hinüber zum Sofa, auf dem der vor Angst ver- steinerte Dudley saß.

»Beweg dich, Klops«, sagte der Fremde.

Dudley quiekte und rannte hinter den Rücken seiner Mutter, die sich voller Angst hinter Onkel Vernon zusammenkauerte.

»Und hier ist Harry«, sagte der Riese.

Harry blickte hinauf in sein grimmiges, wildes Gesicht und sah, dass sich die Fältchen um seine Käferaugen zu einem Lächeln gekräuselt hatten.

»Letztes Mal, als ich dich gesehen hab, warst du noch 'n Baby«, sagte der Riese. »Du siehst deinem Vater mächtig ähnlich, aber die Augen hast du von deiner Mum.«

Onkel Vernon gab ein merkwürdig rasselndes Geräusch von sich. »Ich verlange, dass Sie auf der Stelle verschwinden!«. sagte er. »Das ist Hausfriedensbruch!«

»Aach, halt den Mund, Dursley, du Oberpflaume«, sagte der Riese. Er streckte den Arm über die Sofalehne hinweg, riss das Gewehr aus Onkel Vernons Händen, verdrehte den Lauf - als wäre er aus Gummi - zu einem Knoten und warf es in die Ecke.

Onkel Vernon gab abermals ein merkwürdiges Geräusch von sich, wie eine getretene Maus.

»Dir Jedenfalls, Harry«, sagte der Riese und kehrte den Dursleys den Rücken zu, »einen sehr herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hab hier was für dich - vielleicht hab ich zwischendurch mal draufgesessen, aber er schmeckt sicher noch gut.«

Aus der Innentasche seines schwarzen Umhangs zog er eine etwas eingedellte Schachtel. Harry öffnete sie mit zitternden Fingern. Ein großer, klebriger Schokoladenkuchen kam zum Vorschein, auf dem mit grünem Zuckerguss Herzlichen Glückwunsch, Harry geschrieben stand.


 

 



Harry sah zu dem Riesen auf Er wollte eigentlich danke sagen, aber auf dem Weg zum Mund gingen ihm die Worte verloren, und stattdessen sagte er: »Wer bist du?«

Der Riese gluckste.

»Wohl wahr, hab mich nicht vorgestellt. Rubeus Hagrid, Hüter der Schlüssel und Ländereien von Hogwarts.«

Er streckte eine gewaltige Hand aus und schüttelte Harrys ganzen Arm.

»Was ist nun eigentlich mit dem Tee?«, sagte er und rieb sich die Hände. »Würd nicht nein sagen, wenn er 'n bisschen stärker wär, wenn du verstehst, was ich meine.«

Sein Blick fiel auf einen Korb mit den zusammen- geschrumpften Kräcker-Schachteln und er schnaubte. Er beugte sich zur Feuerstelle hinunter; sie konnten nicht sehen, was er tat, doch als er sich einen Moment später aufrichtete, prasselte dort ein Feuer. Es erfüllte die ganze feuchte Hütte mit flackerndem Licht, und Harry fühlte die Wärme über sein Gesicht fließen, als ob er in ein heißes Bad getaucht wäre.

Der Riese setzte sich wieder auf das Sofa das unter seinem Gewicht einknickte, und begann dann alle möglichen Dinge aus den Taschen seines Umhangs zu ziehen: einen Kupferkessel, eine platt gedrückte Packung Würstchen, einen Schürhaken, eine Teekanne, einige ineinander gesteckte Becher und eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, aus der er sich einen Schluck genehmigte, bevor der Tee zu kochen begann. Bald war die Hütte erfüllt von dem Duft der brutzelnden Würste. Während der Riese arbeitete, sagte niemand ein Wort, doch als er die ersten sechs fetten, saftigen, leicht angekokelten Würste vom Rost nahm, zappelte Dudley ein wenig. Onkel Vernon fauchte ihn an: »Dudley, du rührst nichts von dem an, was er dir gibt.«

Der Riese gab ein dunkles Glucksen von sich.


 

 



»Dein großer Pudding von einem Sohn muss nicht mehr gemästet werden, Dursley, keine Panik.«

Er reichte die Würstchen Harry, der so hungrig war, dass es ihm vorkam, als hätte er noch nie etwas Wundervolleres gekostet, doch immer noch konnte er den Blick nicht von dem Riesen abwenden. Schließlich, da offenbar niemand etwas zu erklären schien, sagte er: »Tut mir Leid, aber ich weiß immer noch nicht richtig, wer du bist.«

Der Riese nahm einen großen Schluck Tee und wischte sich mit dem Handrücken den Mund.

»Nenn mich Hagrid«, sagte er, »das tun alle. Und wie ich dir schon gesagt hab, bin ich der Schlüsselhüter von Hogwarts - über Hogwarts weißt du natürlich alles.«

»Ähm - nein«, sagte Harry. Hagrid sah schockiert aus.

»Tut mir Leid«, sagte Harry rasch.

»Tut dir Leid?«, bellte Hagrid und wandte sich zu den Durs- leys um mit einem Blick, der sie in die Schatten zurückweichen ließ. »Denen sollte es Leid tun. Ich wusste, dass du deine Briefe nicht kriegst, aber ich hätt nie gedacht, dass du nicht mal von Hogwarts weißt, das is Ja zum Heulen! Hast du dich nie gefragt, wo deine Eltern das alles gelernt haben?«

»Alles was?«, fragte Harry.

»ALLES WAS?«, donnerte Hagrid. »Nu mal langsam!«

Er war aufgesprungen. In seinem Zorn schien er die ganze Hütte auszufüllen. Die Dursleys kauerten sich an die Wand.

»Wollt ihr mir etwa sagen«, knurrte er sie an, »dass dieser Junge – dieser Junge! - nichts von - von NICHTS weiß?«

Das ging Harry doch ein wenig zu weit. Immerhin ging er zur Schule und hatte keine schlechten Noten.

»Ich weiß schon einiges«, sagte er. »Ich kann nämlich Mathe und solche Sachen.«

 




 

 



Doch Hagrid tat dies mit einer Handbewegung ab und sagte:

»Über unsere Welt, meine ich. Deine Welt. Meine Welt. Die Welt von deinen Eltern.«

»Welche Welt?«

Hagrid sah aus, als würde er gleich explodieren.

»DURSLEY!«, dröhnte er.

Onkel Vernon, der ganz blass geworden war, flüsterte etwas, das sich anhörte wie »Mimbelwimbel«. Hagrid starrte Harry mit wildem Blick an.

»Aber du musst doch von Mum und Dad wissen«, sagte er.

»Ich meine, sie sind berühmt. Du bist berühmt.«

»Was? Mum und Dad waren doch nicht berühmt!«

»Du weißt es nicht ... du weißt es nicht ...« Hagrid fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und fixierte Harry mit einem bestürzten Blick.

»Du weißt nicht, was du bist?«, sagte er schließlich. Onkel Vernon fand plötzlich seine Stimme wieder.

»Aufhören«, befahl er, »hören Sie sofort auf, Sir! Ich ver- biete Ihnen, dem Jungen irgendetwas zu sagen!«

Auch ein mutigerer Mann als Vernon Dursley wäre unter dem zornigen Blick Hagrids zusammengebrochen; als Hagrid sprach, zitterte Jede Silbe vor Entrüstung.

»Du hast es ihm nie gesagt? Ihm nie gesagt, was in dem Brief stand, den Dumbledore für ihn dagelassen hat? Ich war auch dabei! Ich hab gesehen, wie Dumbledore ihn dort hingelegt hat, Dursley! Und du hast ihn Harry all die Jahre vorenthalten?«

»Was vorenthalten?«, fragte Harry begierig.

»AUFHÖREN! ICH VERBIETE ES IHNEN!«, schrie

Onkel Vernon in Panik.

Tante Petunia schnappte vor Schreck nach Luft.

»Aach, kocht eure Köpfe doch im eigenen Saft, ihr beiden«. sagte Hagrid. »Harry, du bist ein Zauberer.«

 




 

 



In der Hütte herrschte mit einem Mal Stille. Nur das Meer und das Pfeifen des Winds waren noch zu hören.

»Ich bin ein was?«

»Ein Zauberer, natürlich«, sagte Hagrid und setzte sich wieder auf das Sofa, das unter Ächzen noch tiefer einsank. »Und ein verdammt guter noch dazu, würde ich sagen, sobald du mal 'n bisschen Übung hast. Was solltest du auch anders sein, mit solchen Eltern wie deinen? Und ich denk, 's ist an der Zeit, dass du deinen Brief liest.«

Harry streckte die Hand aus und nahm endlich den gelblichen Umschlag, der in smaragdgrüner Schrift adressiert war an Mr. H. Potter, Der Fußboden, Hütte-auf-dem-Fels, Das Meer. Er zog den Brief aus dem Umschlag und las:

 



HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI

 



Schulleiter: Albus Dumbledore

(Orden der Merlin, Erster Klasse, Großz., Hexenmst. Ganz hohes Tier, Internationale Vereinig. d. Zauberer)

 



Sehr geehrter Mr. Potter, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände.

Das Schuljahr beginnt am 1. September. Wir erwarten Ihre Eule spätestens am 31. Juli.

 



Mit freundlichen Grüßen

 



Minerva McGonagall

Stellvertretende Schulleiterin


 

 



Wie ein Feuerwerk expldierten Fragen in Harrys Kopf, und er konnte sich, nicht entscheiden, welche er zuerst stellen sollte. Nach ein paar Minuten stammelte er: »Was soll das heißen, sie erwarten eine Eule?«

»Galoppierende Gorgonen, da fällt mir doch ein ...«, sagte Hagrid und schlug sich mit solcher Wucht die Hand gegen die Stirn, dass es einen Brauereigaul umgehauen hätte. Aus einer weiteren Tasche im Innern seines Umhangs zog er eine Eule hervor. eine echte, lebende, recht zerzaust aussehende Eule - wie einen langen Federkiel und eine Pergamentrolle. Mit der Zunge zwischen den Lippen kritzelte er eine Notiz. Für Harry standen die Buchstaben zwar auf dem Kopf, dennoch konnte er sie lesen:

 



Sehr geehrterN1r. Dumbledore, ich habe Harry seinen Brief überreicht. Nehme ihn morgen mit, um seine Sachen einzukaufen.

Wetter ist fürchterlich. hoffe, Sie sind wohlauf Hagrid

 



Hagrid rollte die Nachricht zusammen, übergab sie der Eule, die sie in deren Schnabel klemmte, ging zur Tür und schleuderte die Eule hinaus in den Sturm. Dann kam er zurück und setzte sich, als hätte er nur mal kurz telefoniert.

Harry bemerkte, dass ihm der Mund offen stand, und klappte ihn rasch zu.

»Wo war ich gerade?«, sagte Hagrid, doch in diesem Au- genblick trat Onkel Vernon, immer noch aschfahl, doch sehr zornig aussehend, in das Licht des Kaminfeuers.

»Er bleibt hier«. sagte c. Hagrid grunzte.

»Das möchte ich sehen, wie ein so großer Muggel wie du ihn aufhalten will, sagte er.


 

 



»Ein was?«, fragte Harry neugierig.

»Ein Muggel«, sagte Hagrid, »so nennen wir Leute wie ihn, die nicht zu den Magiern gehören. Und es ist dein Pech, dass du in einer Familie der größten Muggel aufgewachsen bist, die ich Je gesehen habe.«

»Als wir ihn aufnahmen, haben wir geschworen, diesem Blödsinn ein Ende zu setzen«, sagte Onkel Vernon, »ge- schworen, es ihm auszubläuen! Zauberer, in der Tat!«

»Ihr habt es gewusst?«, sagte Harry, »ihr habt gewusst, dass ich ein - ein Zauberer bin?«

»Gewusst!«, schrie Tante Petunia plötzlich auf, »gewusst! Natürlich haben wies gewusst! Wie denn auch nicht, wenn meine vermaledeite Schwester so eine war? Sie hat nämlich genau den gleichen Brief bekommen und ist dann in diese - diese Schule verschwunden und kam in den Ferien Jedes Mal mit den Taschen voller Froschlaich nach Hause und hat Teetassen in Ratten verwandelt. Ich war die Einzige, die klar erkannt hat, was sie wirklich war - eine Missgeburt. Aber bei Mutter und Vater, o nein, da hieß es Lily hier und Lily da, sie waren stolz, eine Hexe in der Familie zu haben!«

Sie hielt inne, um tief Luft zu holen, und fing dann erneut an zu schimpfen. Es schien, als ob sie das schon all die Jahre hatte loswerden wollen.

e Dann hat sie diesen Potter an der Schule getroffen, und sie sind weggegangen und haben geheiratet und haben dich bekommen, und natürlich wusste ich, dass du genau so einer sein würdest, genauso seltsam, genauso - unnormal, und dann, bitte schön, hat sie es geschafft, sich in die Luft zu Jagen, und wir mussten uns plötzlich mit dir herumschlagen!«

Harry war ganz bleich geworden. Sobald er seine Stimme gefunden hatte, sagte er: »In die Luft gejagt? Du hast mir erzählt, dass sie bei einem Autounfall gestorben sind!«

 




 

 



»AUTOUNFALL!«, donnerte Hagrid und sprang so wütend auf, dass die Dursleys sich in ihre Ecke verdrückten. »Wie könnten Lily und James Potter in einem Auto ums Leben kommen? Das ist eine Schande! Ein Skandal! Harry Potter kennt nicht mal seine eigene Geschichte, wo doch Jedes Kind in unserer Welt seinen Namen weiß!«

»Warum eigentlich? Was ist passiert?«, fragte Harry drän- gend.

Der Zorn wich aus Hagrids Gesicht. Plötzlich schien er etwas zu fürchten.

»Das hätte ich nie erwartet«, sagte er mit leiser, besorgter Stimme. »Als Dumbledore sagte, du könntest in Schwierigkeiten geraten, hatte ich keine Ahnung, wie wenig du weißt. Ach, Harry, vielleicht bin ich nicht der Richtige, um es dir zu sagen - aber einer muss es tun -und du kannst nicht nach Hogwarts gehen, ohne es zu wissen.«

Er warf den Dursleys einen finsteren Blick zu.

»Nun, es ist am besten, wenn du so viel weißt, wie ich dir sagen kann - aber natürlich kann ich dir nicht alles sagen, es ist ein großes Geheimnis, manches davon Jedenfalls ...«

Er setzte sich, starrte einige Augenblicke lang ins Feuer und sagte dann: »Es fängt, glaube ich, mit - mit einem Typen namens

- aber es ist unglaublich, dass du seinen Namen nicht kennst, in unserer Welt kennen ihn alle -«

»Wen?«

»Nun Ja, ich nenn den Namen lieber nicht, wenn's nicht unbedingt sein muss. Keiner tut's.«

»Warum nicht?«

»Schluckende Wasserspeier, Harry, die Leute haben immer noch Angst. Verflucht, ist das schwierig. Sieh mal, da war dieser Zauberer, der ... böse geworden ist. So böse, wie

 




 

 



es nur geht. Schlimmer noch. Schlimmer als schlimm. Sein Name war ...«

Hagrid würgte, aber kein Wort kam hervor.

»Könntest du es aufschreiben?«. schlug Harry vor.

»Nöh - kann ihn nicht buchstabieren. Na gut - Voldemort.« Hagrid erschauerte. »Zwing mich nicht, das noch mal zu sagen. Jedenfalls, dieser - dieser Zauberer hat vor etwa zwanzig Jahren begonnen, sich Anhänger zu suchen. Und die hat er auch bekommen - manche hatten Angst, manche wollten einfach ein wenig von seiner Macht, denn er verschaffte sich viel Macht, das muss man sagen. Dunkle Zeiten, Harry. Wussten nicht, wem wir trauen sollten, wagten nicht, uns mit fremden Zauberern oder Hexen anzufreunden ... Schreckliche Dinge sind passiert. Er hat die Macht übernommen. Klar haben sich einige gewehrt -und er hat sie umgebracht. Furchtbar. Einer der wenigen sicheren Orte, die es noch gab, war Hogwarts. Vermute, Dumbledore war der Einzige, vor dem Du-weißt-schon-wer Angst hatte. Hat es nicht gewagt, die Schule einzusacken, damals Jedenfalls nicht.

Nun waren deine Mum und dein Dad als Hexe und Zauberer so gut, wie ich noch niemanden gekannt hab. Zu ihrer Zeit die Klassenbesten in Hogwarts! Für mich ist es ein großes Rätsel, warum Du-weißt-schon-wer nie versucht hat, sie auf seine Seite zu bringen ... Hat wohl gewusst, dass sie Dumbledore zu nahe waren, um etwas mit der dunklen Seite zu tun haben zu wollen.

Vielleicht hat er geglaubt, er könne sie überreden ... Vielleicht hat er sie auch nur aus dem Weg haben wollen. Alles, was man weiß, ist, dass er in dem Dorf auftauchte, wo ihr alle gelebt habt, an Halloween vor zehn Jahren. Du warst gerade mal ein Jahr alt. Er kam in euer Haus und -und -«

 




 

 



Hagrid zog plötzlich ein sehr schmutziges, gepunktetes Taschentuch hervor und schnäuzte sich laut wie ein Nebelhorn die Nase.

»Tut mir Leid«, sagte er. »Aber es ist so traurig - hab deine Mum und deinen Dad gekannt, und nettere Menschen hast du einfach nicht finden können, Jedenfalls - Du-weißt-schon-wer hat sie getötet. Und dann - und das ist das eigentlich Geheimnisvolle daran - hat er versucht, auch dich zu töten. Wollte reinen Tisch machen, denk ich, oder hatte inzwischen einfach Spaß am Töten. Aber er konnte es nicht. Hast du dich nie gefragt, wie du diese Narbe auf der Stirn bekommen hast? Das war kein gewöhnlicher Schnitt. Das kriegst du, wenn ein mächtiger, böser Fluch dich berührt -hat sogar bei deiner Mum und deinem Dad geklappt - aber nicht bei dir, und darum bist du berühmt, Harry. Keiner hat es Überlebt, wenn er einmal beschlossen hat, Jemanden zu töten, keiner außer dir, und er hatte einige der besten Hexen und Zauberer der Zeit getötet - die McKinnons, die Bones, die Prewetts - und du warst nur ein Baby, aber du hast überlebt.«

In Harrys Kopf spielte sich etwas sehr Schmerzhaftes ab. Als Hagrid mit der Geschichte ans Ende kam, sah er noch einmal den blendend hellen, grünen Blitz vor sich, deutlicher als Jemals zuvor - und er erinnerte sich zum ersten Mal im Leben an etwas anderes - an ein höhnische, kaltes, grausames Lachen.

Hagrid betrachtete ihn traurig.

»Hab dich selbst aus dem zerstörten Haus geholt, auf Dumbledores Befehl hin. Hab dich zu diesem Pack hier gebracht

...«

»Lauter dummes Zeug«, sagte Onkel Vernon. Harry schreckte auf, er hatte fast vergessen, dass die Dursleys auch noch da waren. Onkel Vernon hatte offenbar seine

 




 

 



Courage wiedergewonnen. Die Fäuste geballt, sah er Harry mit finsterem Blick an.

»Jetzt hörst du mir mal zu, Kleiner«, schnauzte er. »Mag sein, dass es etwas Seltsames mit dir auf sich hat, vermutlich nichts, was nicht durch ein paar saftige Ohrfeigen hätte kuriert werden können - und was diese Geschichte mit deinen Eltern angeht, nun, sie waren eben ziemlich verrückt, und die Weit ist meiner Meinung nach besser dran ohne sie. Haben's Ja nicht anders gewollt, wenn sie sich mit diesem Zaubererpack eingelassen haben - genau was ich erwartet hab, ich hab immer gewusst, dass es mit ihnen kein gutes Ende nehmen würde -«

Doch in diesem Augenblick sprang Hagrid vom Sofa und zog einen zerfledderten rosa Schirm aus seinem Umhang. Wie ein Schwert hielt er ihn Onkel Vernon entgegen und sagte: »Ich warne dich, Dursley - ich warne dich -noch ein Wort ...«

Nun, da Onkel Vernon Gefahr lief, vom Schirm eines bärtigen Riesen aufgespießt zu werden, verließ ihn der Mut wieder; er drückte sich gegen die Wand und verstummte .

»Schon besser so«, sagte Hagrid schwer atmend und setzte sich aufs Sofa zurück, das sich diesmal bis auf den Boden durchbog.

Harry lagen unterdessen immer noch Fragen auf der Zunge, hunderte von Fragen.

»Aber was geschah mit Vol-, 'tschuldigung - ich meine Du-weißt-schon-wer?«

»Gute Frage, Harry. Ist verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Noch in der Nacht als er versucht hat, dich zu töten. Macht dich noch berühmter. Das ist das größte Geheimnis, weißt du ... Er wurde immer mächtiger - warum hätte er gehen sollen?

 




 

 



Manche sagen, er sei gestorben. Stuss, wenn du mich fragst. Weiß nicht, ob er noch genug Menschliches in sich hatte, um sterben zu können. Manche sagen, er sei immer noch irgendwo dort draußen und warte nur auf den rechten Augenblick, aber das glaub ich nicht. Leute, die auf seiner Seite waren, sind zu uns zurückgekommen. Manche sind aus einer Art Trance erwacht. Glaub nicht, dass sie es geschafft hätten, wenn er vorgehabt hätte zurückzukommen.

Die meisten von uns denken, dass er immer noch irgendwo da draußen ist, aber seine Macht verloren hat. Zu schwach, um weiterzumachen. Denn etwas an dir, Harry, hat ihm den Garaus gemacht. In Jener Nacht geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte - weiß nicht, was es war, keiner weiß es -, aber etwas an dir hat er nicht gepackt, und das war7s.«

Hagrid betrachtete Harry voller Wärme und Hochachtung, doch Harry fühlte sich nicht froh und stolz deswegen, sondern war sich ganz sicher, dass es sich hier um einen fürchterlichen Irrtum handeln musste. Ein Zauberer? Er? Wie sollte das möglich sein? Sein Leben lang hatte er unter den Schlägen Dudleys gelitten und war von Tante Petunia und Onkel Vernon schikaniert worden; wenn er wirklich ein Zauberer war, warum hatten sie sich nicht Jedes Mal, wenn sie versucht hatten, ihn in den Schrank einzuschließen, in warzige Kröten verwandelt? Wenn er einst den größten Hexer der Welt besiegt hatte, wie konnte ihn dann Dudley immer herumkicken wie einen Fußball?

»Hagrid«, sagte er leise, »du musst einen Fehler gemacht haben. Ich kann unmöglich ein Zauberer sein.«

Zu seiner Überraschung gluckste Hagrid.

»Kein Zauberer, was? Nie Dinge geschehen lassen, wenn du Angst hattest oder wütend warst?«

 




 

 



Harry blickte ins Feuer. Nun, da er darüber nachdachte ... Alle seltsamen Dinge, die Onkel und Tante auf die Palme gebracht hatten, waren geschehen, als er, Harry, aufgebracht oder zornig gewesen war ... Auf der Flucht vor Dudleys Bande war er manchmal einfach nicht zu fassen gewesen ... Manchmal, wenn er mit diesem lächerlichen Haarschnitt partout nicht hatte zur Schule gehen wollen, hatte er es geschafft, dass sein Haar rasch nachwuchs ... Und das letzte Mal, als Dudley ihn gestoßen hatte, da hatte er doch seine Rache bekommen, ohne auch nur zu wissen, was er tat? Hatte er nicht eine Boa constrictor auf ihn losgelassen?

Harry wandte sich erneut Hagrid zu und lächelte, und er sah, dass Hagrid ihn geradezu anstrahlte.

»Siehst du?«e sagte Hagrid. »Harry Potter und kein Zau- berer - wart nur ab, und du wirst noch ganz berühmt in Hogwarts.«

Doch Onkel Vernon würde nicht kampflos aufgeben.

»Hab ich Ihnen nicht gesagt, der Junge bleibt hier?«, zischte er. »Er geht auf die Stonewall High und wird dafür dankbar sein. Ich habe diese Briefe gelesen, und er braucht allen möglichen Nonsens - und Zauberspruchfibeln und Zauberstäbe und -«

»Wenn er gehen will, wird ihn ein großer Muggel wie du nicht aufhalten können«, knurrte Hagrid. »Lily und James Potters Sohn von Hogwarts fernhalten! Du bist Ja verrückt. Sein Name ist vorgemerkt, schon seit seiner Geburt. Er geht bald auf die beste Schule für Hexerei und Zauberei auf der ganzen Welt. Nach sieben Jahren dort wird er sich nicht mehr wiedererkennen. Er wird dort mit Jungen Leuten seinesgleichen zusammen sein, zur Abwechslung mal, und er wird unter dem größten Schulleiter lernen, den Hogwarts Je gesehen hat, Albus Dumbled-«

 




 

 



»ICH BEZAHLE KEINEN HIRNRISSIGEN ALTEN DUMMKOPF, DAMIT ER IHM ZAUBERTRICKS BEI-

BRINGT!«, schrie Onkel Vernon.

Doch nun war er endgültig zu weit gegangen. Hagrid packte den Schirm, schwang ihn über seinem Kopf hin und her und polterte: »BELEIDIGE NIE - ALBUS DUMBLEDORE - IN MEINER GEGENWART!«

Pfeifend sauste der Schirm herunter, bis die Spitze auf Dudley gerichtet war - ein Blitz aus violettem Licht, ein Geräusch wie das Knallen eines Feuerwerkskörpers, ein schrilles Kreischen - und schon begann Dudley einen Tanz aufzuführen, mit den Händen auf dem dicken Hintern und heulend vor Schmerz. Gerade, als er ihnen den Rücken zuwandte, sah Harry ein geringeltes Schweineschwänzchen durch ein Loch in seiner Hose hervorpurzeln.

Onkel Vernon tobte. Er zog Tante Petunia und Dudley in den anderen Raum, warf Hagrid einen letzten, angsterfüllten Blick zu und schlug die Tür hinter sich zu.

Hagrid sah auf den Schirm hinab und strich sich über den Bart.

»Hätt die Beherrschung nicht verlieren dürfen«, sagte er reuevoll, »aber es hat ohnehin nicht geklappt. Wollte ihn in ein Schwein verwandeln, aber ich denke, er war einem Schwein so ähnlich, dass es nicht mehr viel zu tun gab.«

Unter seinen buschigen Augenbrauen hervor blickte er Harry von der Seite an.

»Wär dir dankbar, wenn du das niemandem in Hogwarts erzählst«, sagte er. »Ich - ähm - soll eigentlich nicht herumzaubern, um es genau zu nehmen. Ich durfte ein wenig, um dir zu folgen und um dir die Briefe zu bringen und - einer der Gründe, warum ich so scharf auf diesen Job war -«

»Warum sollst du nicht zaubern?«

 




 

 



»Nun Ja - ich war selbst in Hogwarts, doch ich - ähm -man hat mich rausgeworfen, um dir die Wahrheit zu sagen. Im dritten Jahr. Sie haben meinen Zauberstab zerbrochen und alles. Doch Dumbledore hat mich als Wildhüter dabehalten. Großartiger Mann, Dumbledore.«

»Warum hat man dich rausgeworfen?«

»Es wird spät und wir haben morgen viel zu erledigen«, sagte Hagrid laut. »Müssen hoch in die Stadt und dir alle Bücher und Sachen besorgen.«

Er nahm seinen dicken schwarzen Umhang ab und warf ihn Harry zu.

»Kannst drunter pennen«, sagte er. »Mach dir nichts draus, wenn's dadrin ein wenig zappelt, ich glaub, ich hab immer noch ein paar Haselmäuse in den Taschen.«

 




 

 



In der Winkelgasse

 

Am nächsten Morgen wachte Harry früh auf Er wusste zwar, dass es draußen schon hell war, doch er hielt die Augen fest geschlossen.

»Es war ein Traum«, sagte er sich entschlossen. »Ich habe von einem Riesen namens Hagrid geträumt, der mir erklärt hat, von nun an werde ich eine Schule für Zauberer besuchen. Wenn ich aufwache, bin ich zu Hause in meinem Schrank.«

Plötzlich hörte er ein lautes, tappendes Geräusch.

»Und das ist Tante Petunia, die an die Tür klopft«, dachte Harry und das Herz wurde ihm schwer. Doch die Augen hielt er weiter geschlossen. Ein schöner Traum war es gewesen.

Tapp. Tapp. Tapp.

»Schon gut«, murmelte Harry, »Ich steh Ja schon au£«

Er richtete sich auf und Hagrids schwerer Umhang fiel von seinen Schultern. Sonnenlicht durchflutete die Hütte, der Sturm hatte sich gelegt. Hagrid selbst schlief auf dem zusammengebrochenen Sofa, und eine Eule, eine Zeitung in den Schnabel geklemmt, tappte mit ihrer Kralle gegen das Fenster.

Harry rappelte sich auf Er war so glücklich, dass es ihm vorkam, als würde in seinem Innern ein großer Ballon an- schwellen. Schnurstracks lief er zum Fenster und riss es auf. Die Eule schwebte herein und ließ die Zeitung auf Hagrids Bauch fallen. Er schlief Jedoch munter weiter. Die

 




 

 



Eule flatterte auf den Boden und begann auf Hagrids Umhang herumzupicken.

»Lass das.«

Harry versuchte die Eule wegzuscheuchen, doch sie hackte wütend nach ihm und fuhr fort, den Umhang zu zerfetzen.

»Hagrid!«, sagte Harry laut. »Da ist eine Eule -«

»Bezahl sie«, grunzte Hagrid in das Sofa.

»Was?«

»Sie will ihren Lohn fürs Zeitungausfliegen. Schau in meinen Taschen nach.«

Hagrids Umhang schien aus nichts als Taschen zu bestehen: Schlüsselbunde, Musketenkugeln, Bindfadenröllchen, Pfefferminzbonbons, Teebeutel ... Schließlich zog er eine Hand voll merkwürdig aussehender Münzen hervor.

»Gib ihr fünf Knuts«, sagte Hagrid schläfrig.

»Knuts?«

»Die kleinen aus Bronze.«

Harry zählte fünf kleine Bronzemünzen ab. Die Eule streckte ein Bein aus, und er steckte das Geld in ein Lederbeutelchen, das daran festgebunden war. Dann flatterte sie durch das offene Fenster davon.

Hagrid gähnte laut, richtete sich auf und reckte genüsslich die Glieder.

»Wir brechen am besten gleich auf, Harry, haben heute eine Menge zu erledigen. Müssen hoch nach London und dir alles für die Schule besorgen.«

Harry drehte die Münzen nachdenklich hin und her. Eben war ihm ein Gedanke gekommen, der dem Glücksballon in seinem Innern einen Pikser versetzt hatte.

»Ähm ... Hagrid?«

»Mm?« Hagnid zog gerade seine riesigen Stiefel an.

»Ich hab kein Geld - und du hast Ja gestern Nacht Onkel 71


 

 



Vernon gehört - er wird nicht dafür bezahlen, dass ich fortgehe und Zaubern lerne.«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Hagrid. Er stand auf und kratzte sich am Kop£ »Glaubst du etwa, deine Eltern hätten dir nichts hinterlassen?«

»Aber wenn doch ihr Haus zerstört wurde -«

»Sie haben ihr Gold doch nicht im Haus aufbewahrt, mein Junge! Nee, wir machen als Erstes bei Gringotts Halt. Zaubererbank. Nimm dir ein Würstchen, kalt sind sie auch nicht schlecht - und zu 'nein Stück von deinem Geburtstagskuchen würd ich auch nicht nein sagen.«

»Zauberer haben Banken?«

»Nur die eine. Gringotts. Wird von Kobolden geführt.« Harry ließ sein Würstchen fallen.

»Kobolde?«

»Jaow. Musst also ganz schön bescheuert sein, wenn du versuchst, sie auszurauben. Leg dich nie mit den Kobolden an, Harry. Gringotts ist der sicherste Ort der Welt für alles, was du aufbewahren willst - mit Ausnahme vielleicht von Hogwarts. Muss übrigens sowieso bei Gringotts vorbeischauen. Auftrag von Dumbledore. Geschäftliches für Hogwarts.« Hagrid richtete sich stolz auf »Meist nimmt er mich, wenn es Wichtiges zu erledigen gibt. Dich abholen, etwas von Gringotts besorgen, weiß, dass er mir vertrauen kann, verstehst du. Alles klar? Na dann los.«

Harry folgte Hagrid hinaus auf den Felsen. Der Himmel war Jetzt klar und das Meer schimmerte im Sonnenlicht. Das Boot, das Onkel Vernon gemietet hatte, lag noch da. Viel Wasser hatte sich auf dem Boden angesammelt.

»Wie bist du hergekommen?«, fragte Harry und sah sich nach einem zweiten Boot um.

»Geflogen«, sagte Hagrid.

»Geflogen?«

 




 

 



»Ja, aber zurück nehmen wir das Ding hier. Jetzt, wo du dabei bist, darf ich nicht mehr zaubern.«

Sie setzten sich ins Boot. Harry starrte Hagrid unverwandt an und versuchte sich vorzustellen, wie er flog.

»Schande allerdings, dass man rudern muss«, sagte Hagrid und sah Harry wieder mit einem seiner Blicke von der Seite her an. »Wenn ich ... ähm ... die Sache etwas beschleunigen würde, wärst du so freundlich und würdest in Hogwarts nichts davon sagen?«

»Klar«, sagte Harry, gespannt darauf, mehr von Hagrids Zauberkünsten zu sehen. Hagrid zog den rosa Schirm hervor, schlug ihn zweimal sachte gegen die Seitenwand des Bootes, und schon rauschten sie in Richtung Küste davon.

»Warum wäre es verrückt, wenn man Gringotts ausrauben wollte?«, fragte Harry.

»Magische Banne, Zauberflüche«, sagte Hagrid und öffnete seine Zeitung. »Es heißt, die Hochsicherheitsverliese werden von Drachen bewacht. Und dann musst du erst einmal hinfinden - Griingotts liegt nämlich hunderte von Meilen unterhalb von

]London. Tief unter der Untergrundbahn. Du stirbst vor Hunger, bevor du wieder ans Tageslicht kommst, auch wenn du dir was unter den Nagel gerissen hast.«

Harry saß da und dachte dar-über nach, während Hagrid seine Zeitung, den Tagespropheten, las. Harry wusste von Onkel Vernon, dass die Erwachsenen beim Zeitunglesen in Ruhe gelassen werden wollten, auch wenn es ihmjetzt schwer fiel, denn noch nie hatte er so viele Fragen auf dem 1-ferzen gehabt.

»Zaubereiministerium vermasselt mal wieder alles, wie Üblich«, brummte Hagrid und blätterte um.

»Es gibt ein Ministerium für Zauberei?«, platzte Harry los.

 




 

 



»Klar«, sagte Hagrid. »Wollten natürlich Dumbledore als Minister haben, aber der würde nie von Hogwarts weggehen. Deshalb hat Cornelius Fudge die Stelle bekommen. Gibt keinen größeren Stümper. Schickt also Durnbledore Jeden Morgen ein Dutzend Eulen und fragt ihn um Rat.«

»Aber was tut ein Zaubereinünisterium?«

»Nun, seine Hauptaufgabe ist, vor den Muggels geheim zu halten, dass es landauf, landab immer noch Hexen und Zauberer gibt.«

»Warum?«

»Warum? Mein Güte, Harry, die wären doch ganz scharf darauf, dass wir ihre Schwierigkeiten mit magischen Kräften lösen. Nö, die sollen uns mal in Ruhe lassen.«

In diesem Augenblick stupste das Boot sanft gegen die Hafenmauer. Hagrid faltete die Zeitung zusammen und sie stiegen die Steintreppe zur Straße empor.

Die Menschen auf den Straßen der kleinen Stadt starrten Hagrid mit großen Augen an. Harry konnte es ihnen nicht verübeln. Hagrid war nicht nur doppelt so groß wie alle anderen, er zeigte auch auf ganz gewöhnliche Dinge wie Parkuhren und rief dabei laut: »Schau dir das an, Harry. Solche Sachen lassen sich die Muggels einfallen, nicht zu fassen!«

»Hagnid«, sagte Harry ein wenig außer Atem, weil er rennen musste, um Schritt zu halten. »Hast du gesagt, bei Griingotts gebe es Drachen?«

»Ja, so heißt es«, sagte Hagrid. »Mann, ich hätte gern einen Drachen.«

»Du hättest gerne einen?«

»Schon als kleiner Junge wollte ich einen - hier lang.«

Sie waren am Bahnhof angekommen. In fünf Minuten ging ein Zug nach London. Hagrid, der mit »Muggelgeld«, wie er es nannte, nicht zurechtkam, reichte Harry ein paar Scheine, mit denen er die Fahrkarten kaufte.

 




 

 



Im Zug glotzten die Leute noch mehr. Hagrid, der zwei Sitzplätze brauchte, strickte während der Fahrt an etwas, das aussah wie ein kanariengelbes Zirkuszelt.

»Hast deinen Brief noch, Harry?«, fragte er, während er die Maschen zählte.

Harry zog den Pergarnentumschlag aus der Tasche.

»Gut«, sagte Hagrid. »Da ist eine Liste drin mit allem, was du brauchst.«

Harry entfaltete einen zweiten Bogen Papier, den er in der Nacht zuvor nicht bemerkt hatte, und las:

 



HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI

 



Uniforin

Im ersten Jahr benötigen die Schüler:

1. Drei Garnituren einfache Arbeitskleidung (schwarz)

2. Einen einfachen Spitzhut (schwarz) für tagsüber

3. Ein Paar Schutzhandschuhe (Drachenhaut o. Ä.)

4. Einen Winterumhang (schwarz, mit silbernen Schnal- len)

 



Bitte beachten Sie, dass alle Kleidungsstücke der Schüler mit Namensetiketten versehen sein müssen.

 



Lehrbücher

Alle Schüler sollten Jeweils ein Exemplar der folgenden Werke besitzen:

- Miranda Habicht: Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 1

- Bathilda Bagshot: Geschichte der Zauberei

- Adalbert Schwahfel: Theorie der Magie

- Emeric Wendel: Verwandlungenftir Anfdnger

- Phyllida Spore: Tausend Zauberkräuter und -pilze

- Arsenius Bunsen: Zaubertränke und Zauberbräue

 




 

 



- Lurch Scamander: Sagentiere und wo sie zufinden sind

- Quirin Sumo: Dunkle Kräfte. Ein Kurs zur Selbstverteidigung

 



Ferner werden benötigt:

- 1 Zauberstab

- 1 Kessel (Zinn, Normgröße 2)

- 1 Sortiment Glas- oder Kristallfläschchen

- 1 Teleskop

- 1 Waage aus Messing

 



Es ist den Schülern zudem freigestellt, eine Eule ODER eine Katze ODER eine Kröte mitzubringen.

 



DIE ELTERN SEIEN DARAN ERINNERT, DASS ERST- KLÄSSLER KEINE EIGENEN BESEN BESITZEN DÜRFEN

 



»Und das alles können wir in London kaufen?«, fragte sich Harry laut.

»Ja. Wenn du weißt, wo«, sagte Hagrid.

 



Harry war noch nie in London gewesen. Hagrid schien zwar zu wissen, wo er hinwollte, doch offensichtlich war er es nicht gewohnt, auf normalem Weg dorthin zu gelangen. Er verhedderte sich im Drehkreuz zur Untergrundbahn und beschwerte sich laut, die Sitze seien zu klein und die Züge zu lahm.

»Keine Ahnung, wie die Muggels zurechtkommen ohne Zauberei«, meinte er, als sie eine kaputte Rolltreppe ein- porkletterten, die auf eine belebte, mit Läden gesäumte Straße führte.

Hagrid war ein solcher Riese, dass er ohne Mühe einen Keil in die Menschenmenge trieb, und Harry brauchte sich nur dicht hinter ihm zu halten. Sie gingen an Buchhand-

 




 

 



lungen und Musikläden vorbei, an Schnellimbissen und Kinos, doch nirgends sah es danach aus, als ob es Zauberstäbe zu kaufen gäbe. Dies war eine ganz gewöhnliche Straße voll ganz gewöhnlicher Menschen. Konnte es wirklich sein, dass viele Meilen unter ihnen haufenweise Zauberergold vergraben war? War all dies vielleicht nur ein gewaltiger Jux, den die Dursleys ausgeheckt hatten? Das hätte Harry vielleicht geglaubt, wenn er nicht gewusst hätte, dass die Dursleys keinerlei Sinn für Humor besaßen. Doch obwohl alles, was Hagrid ihm bisher erzählt hatte, schlicht unfassbar war, konnte er einfach nicht anders, als ihm zu vertrauen.

»Hier ist es«, sagte Hagrid und blieb stehen. »Zum Trop- fenden Kessel. Den Laden kennt Jeder.«

Es war ein kleiner, schmuddelig wirkender Pub. Harry hätte ihn nicht einmal bemerkt, wenn Hagrid nichts gesagt hätte. Die vorbeiellenden Menschen beachteten ihn nicht. Ihre Blicke wanderten von der großen Buchhandlung auf der einen Seite zum Plattenladen auf der anderen Seite, als könnten sie den Tropfenden Kessel überhaupt nicht sehen. Tatsächlich hatte Harry das ganz eigentümliche Gefühl, dass nur er und Hagrid ihn sahen. Doch bevor er den Mund aufmachen konnte, schob ihn Hagrid zur Tür hinein.

Für einen berühmten Ort war es hier sehr dunkel und schäbig. In einer Ecke saßen ein paar alte Frauen und tranken Sherry aus kleinen Gläsern. Eine von ihnen rauchte eine lange Pfeife. Ein kleiner Mann mit Zylinder sprach mit dem alten Wirt, der vollkommen kahlköpfig war und aussah wie eine klebrige Walnuss. Als sie eintraten, verstummte das leise Summen der Gespräche. Hagrid schienen alle zu kennen; sie winkten und lächelten ihm zu, und der Wirt griff nach einem Glas: »Das Übliche, Hagrid?«

»Heute nicht, Tom, bin im Auftrag von Hogwarts un-

 




 

 



terwegs«, sagte Hagrid und versetzte Harry mit seiner großen Hand einen Klaps auf die Schulter, der ihn in die Knie gehen ließ.

»Meine Güte«, sagte der Wirt und spähte zu Harry hinüber,

»ist das - kann das -?«

Im Tropfenden Kessel war es mit einem Schlag mucks- mäuschenstill geworden.

»Grundgütiger«, flüsterte der alte Barmann. »Harry Potter ... welch eine Ehre.«

Er eilte hinter der Bar hervor, trat raschen Schrittes auf Harry zu und ergriff mit Tränen in den Augen seine Hand.

»Willkommen zu Hause, Mr. Potter, willkommen zu Hause.«

Harry wusste nicht, was er sagen sollte. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Die alte Frau paffte ihre Pfeife ohne zu bemerken, dass sie ausgegangen war. Hagrid strahlte.

Nun ging im Tropfenden Kessel ein großes Stühlerücken los, und die Gäste schüttelten Harry einer nach dem andern die Hand.

»Doris Crockford, Mr. Potter, ich kann es einfach nicht fassen, Sie endlich zu sehen.«

»Ich bin so stolz, Sie zu treffen, Mr. Potter, so stolz.«

»Wollte Ihnen schon immer die Hand schütteln - mir ist ganz schwindelig.«

»Erfreut, Mr. Potter, mir fehlen die Worte. Diggel ist mein Name, Dädalus Diggel.«

»Sie hab ich schon mal gesehen!«, rief Harry, als Dädalus Diggel vor Aufregung seinen Zylinder verlor. »Sie haben sich einmal in einem Laden vor mir verneigt.«

»Er weiß es noch!«, rief Dädalus Diggel und blickte in die Runde. »Habt ihr das gehört? Er erinnert sich an mich!«

Harry schüttelte Hände hier und Hände dort - Doris Crockford konnte gar nicht genug kriegen.

 




 

 



Ein blasserjunger Mann bahnte sich den Weg nach vorne. Er wirkte sehr fahrig; sein linkes Auge zuckte.

»Professor Quirrell!(x, sagte Hagrid. »Harry, Professor Quirrell ist einer deiner Lehrer in Hogwarts.«

»P-P-Potter«, stammelte Professor Quirrell und ergriff Harrys Hand, »ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich freue, Sie zu treffen.«

»Welche Art von Magie lehren Sie, Professor Quirrell?«

»V-Verteldigung gegen die dunklen Künste«, murmelte Professor Quirrell, als ob er lieber nicht daran denken wollte.

»Nicht, dass Sie es nötig hätten, oder, P-Potter?« Er lachte nervös. »Sie besorgen sich Ihre Ausrüstung, nehme ich an? Ich muss auch noch ein neues Buch über Vampire abholen.« Schon bei dem bloßen Gedanken daran sah er furchtbar verängstigt drein.

Doch die anderen ließen nicht zu, dass Professor Quirrell Harry allein in Beschlag nahm. Es dauerte fast zehn Minuten, bis er von allen losgekommen war. Endlich konnte sich Hagnid in der allgemeinen Aufregung Gehör verschaffen.

»Wir müssen weiter - haben eine Menge einzukaufen.

Komm, Harry.«

Doris Crockford schüttelte Harry ein letztes Mal die Hand. Hagrid führte ihn durch die Bar auf einen kleinen, von Mauern umgebenen Hof hinaus, wo es nichts als einen Mülleimer und ein paar Unkräuter gab.

Hagrid grinste Harry zu.

»Hab's dir doch gesagt, oder? Hab dir doch gesagt, dass du berühmt bist. Sogar Professor Quirrell hat gezittert, als er dich sah - nunja, er zittert fast ständig.«

»Ist er immer so nervös?«

»O Ja. Armer Kerl. Genialer Kopf. Ging ihm gut, als er nur die Bücher studierte, doch dann hat er sich ein Jahr freigenommen, um ein wenig Erfahrung zu sammeln ... Es

 




 

 



heißt, er habe im Schwarzwald Vampire getroffen und er soll ein übles kleines Problem mit einer Hexe gehabt haben - ist seitdemjedenfalls nicht mehr der Alte. Hat Angst vor den Schülern, Angst vor dem eigenen Unterrichtsstoff -wo istietzt eigentlich mein Schirm abgebliebenN

Vampire? Hexen? Harry war leicht schwindelig. Unterdessen zählte Hagrid die Backsteine an der Mauer über dem Mülleimer ab.

»Drei nach oben ... zwei zur Seite ...«, murmelte er. »Gut, einen Schritt zurück, Harry~«

Mit der Spitze des Schirms klopfte er dreimal gegen die Mauer.

Der Stein, auf den er geklopft hatte, erzitterte, wackelte und in der Mitte erschien ein kleiner Spalt. - Der wurde immer breiter und eine Sekunde später standen sie vor einem Torbogen, der selbst für Hagrid groß genug war. Er führte hinaus auf eine gepflasterte Gasse, die sich in einer engen Biegung verlor.

»Willkommen in der Winkelgasse«, sagte Hagrid. Harrys verblüffter Blick ließ ihn verschmitzt lächeln.

Sie traten durch den Torbogen. Harry blickte rasch über die Schulter und konnte gerade noch sehen, wie sich die Steinmauer wieder schloss.

Die Sonne erleuchtete einen Stapel Kessel vor der Tür eines Ladens. Kessel - Alle Größen - Kupfer, Messing, Zinn, Silber - Selbst umrührend - Faltbar, hieß es auf einem Schild über ihren Köpfen.

»Jaow, du brauchst einen«, sagte Hagrid, »aber erst müssen wir dein Geld holen.«

Harry wünschte sich mindestens vier Augenpaare mehr. Er drehte den Kopf in alle Himmelsrichtungen, während sie die Straße entlanggingen, und versuchte, alles auf einmal zu sehen: die Läden, die Auslagen vor den Türen, die

 




 

 



Menschen, die hier einkauften. Vor einer Apotheke stand eine rundliche Frau, und als sie vorbeigingen, sagte sie kopfschüttelnd: »Drachenleber, siebzehn Sickel die Unze, die müssen verrückt sein ...«

Gedämpftes Eulengeschrei drang aus einem dunklen Laden. Auf einem Schild über dem Eingang stand: Eeylops Eulenkaujhaus - Waldkäuze, Zwergohreulen, Steinkäuze, Schlei- ereulen, Schneeeulen. Einige Jungen in Harrys Alter drückten ihre Nasen gegen ein Schaufenster mit Besen. »Schau mal«, hörte Harry einen von ihnen sagen, »der neue Nimbus Zweitausend, der schnellste überhaupt -« Manche Läden verkauften nur Umhänge, andere Teleskope und merkwürdige silberne Instrumente, die Harry noch nie gesehen hatte. Es gab Schaufenster, die voll gestopft waren mit Fässern voller Fledermausmilzen und Aalaugen, wacklig gestapelten Zauberspruchfibeln, Pergamentrollen, Zaubertrankflaschen, Mondgloben ...

»Gringotts«, sagte Hagrid.

Sie waren vor einem schneeweißen Haus angelangt, das hoch über die kleinen Läden hinausragte. Neben dem blank polierten Bronzetor, in einer scharlachroten und goldbestickten Uniform stand ein -

»Tja, das ist ein Kobold«, sagte Hagrid leise, als sie die steinernen Stufen zu ihm hochstiegen. Der Kobold war etwa einen Kopf kleiner als Harry. Er hatte ein dunkelhäutiges, kluges Gesicht, einen Spitzbart und, wie Harry auffiel, sehr lange Finger und große Füße. Mit einer Verbeugung wies er sie hinein. Wieder standen sie vor einer Doppeltür, einer silbernen diesmal, in die folgende Worte eingraviert waren:

 




 

 



Fremder, komm du nur herein, Hab Achtiedoch und bläu's dir ein, Wer der Sünde Gier will dienen, Und will nehmen, m«cht verdienen, Der wird voller Pein verlieren. Wenn du suchst in diesen Hallen Einen Schatz, dem du verfallen, Dieb, sei gewarnt und sage dir, Mehr als Gold harrt deiner hier.

 



»Wie ich gesagt hab, du musst verrückt sein, wenn du den Laden knacken willst«, sagte Hagrid.

Ein Paar Kobolde verbeugte sich, als sie durch die silberne Tür in eine riesige Marmorhalle schnitten. Um die hundert Kobolde saßen auf hohen Schemeln hinter einem langen Schalter, kritzelten Zahlen in große Folianten, wogen auf Messingwaagen Münzen ab und prüften Edelsteine mit unter die Brauen geklemmten Uhrmacherlupen. Unzählige Türen führten in anschließende Räume, und andere Kobolde geleiteten Leute herein und hinaus. Hagrid und Harry traten vor den Schalter.

»Moin«, sagte Hagrid. »Wir sind hier, um ein wernig Geld aus Mr. Harry Potters Safe zu entnehmen.«

»Sie haben seinen Schlüssel, Sir?«, fragte der Kobold.

»Hab ihn hier irgendwo«, sagte Hagrid und begann seine Taschen zu entleeren und ihren Inhalt auf dem Schalter auszubreiten, wobei er eine Hand voll krümellger Hundekuchen über das Kassenbuch des Kobolds verstreute. Dieser rümpfte die Nase. Harry sah dem Kobold zu ihrer Rechten dabei zu, wie er einen Haufen Rubine wog, die so groß waren wie Eierkohlen.

»Hab ihn«, sagte Hagnid endlich und hielt dem Kobold einen kleinen goldenen Schlüssel vor die Nase.

 




 

 



Der Kobold nahm ihn genau in Augenschein.

»Das scheint in Ordnung zu sein.«

»Und ich habe außerdem einen Brief von Professor Dumbledore«, sagte Hagrid, sich mit gewichtiger Miene in die Brust werfend. »Es geht um den Du-weißt-schon-was in Verlies siebenhundertundneunzehn.«

Der Kobold las den Brief sorgfältig durch.

»Sehr gut«, sagte er und gab ihn Hagrid zurück. »Ich werde veranlassen, dass man Sie in beide Verliese führt. Griphook!«

Auch Griphook war ein Kobold. Sobald Hagrid alle seine Hundekuchen in die Taschen zurückgestopft hatte, folgten er und Harry Griphook zu einer der Türen, die aus der Halle hinausführten.

»Was ist der Du-weißt-schon-was in Verlies siebenhun- dertundneunzehn«, fragte Harry.

»Darf ich nicht sagen«, meinte Hagrid geheimnistuerisch.

»Streng geheim. Hat mit Hogwarts zu tun. Dumbledore vertraut mir. Lohnt sich nicht, meinen Job zu riskieren und es dir zu sagen.«

Griphook hielt die Tür für sie auf Harry, der noch mehr Marmor erwartet hatte, war überrascht. Sie waren nun in einem engen, steinernen Gang, den lodernde Fackeln erleuchteten. In den Boden waren schmale Bahngeleise eingelassen, die steil in die Tiefe führten. Griphook pfiff, und ein kleiner Karren kam auf den Schienen zu ihnen hochgezockelt. Sie kletterten hinauf und setzten sich - Hagrid mit einigen Schwierigkeiten - und schon ging es los.

Zuerst fuhren sie durch ein Gewirr sich überkreuzender Gänge. Harry versuchte sich den Weg zu merken, links, rechts, rechts, links, durch die Mitte, rechts, links - doch es war unmöglich. Der ratternde Karren schien zu wissen, wo es langging, denn es war nicht Griphook, der ihn steuerte.

 




 

 



Harrys Augen schmerzten in der kalten Luft, durch die sie sausten, doch er hielt sie weit geöffnet. Einmal meinte er am Ende eines Durchgangs einen Feuerstoß zu erkennen und wandte sich rasch um, denn vielleicht war es ein Drache - aber zu spät. Sie drangen weiter in die Tiefe vor und passierten einen unterirdischen See, bei dem riesige Stalaktiten und Stalagmiten von der Decke und aus dem Boden wucherten.

»Ich kann mir nie merken«, rief Harry durch das lärmende Rattern des Karrens Hagrid zu, »was der Unterschied zwischen Stalaktiten und Stalagmiten ist.«

»Stalagmiten haben ein >in< in der Mitte«, sagte Hagrid.

»Undjetzt keine Fragen mehr, mir ist schlecht.«

Er war ganz grün im Gesicht, und als die Karre endlich neben einer kleinen Tür in der Wand des unterirdischen Ganges hielt, stieg Hagrid aus und musste sich gegen die Wand lehnen, um seine zitternden Knie zu beruhigen.

Griphook schloss die Tür auf Ein Schwall grünen Rauchs drang heraus, und als er sich verzogen hatte, stockte Harry der Atem. Im Innern lagen hügelweise Goldmünzen. Stapelweise Silbermünzen. Haufenweise kleine bronzene Knuts.

»Alles dein«, sagte Hagrid lächelnd.

Alles gehörte Harry - das war unglaublich. Die Dursleys konnten davon nichts gewusst haben, oder sie hätten es ihm schneller abgenommen, als er blinzeln konnte. Wie oft hatten sie sich darüber beschwert, wie viel es sie kostete, für Harry zu sorgen? Und die ganze Zeit über war ein kleines Vermögen, das ihm gehörte, tief unter Londons Straßen vergraben gewesen.

Hagrid half Harry dabei, einen Teil der Schätze in eine Tüte zu packen.

»Die goldenen sind Galleonen«, erklärte er. »Siebzehn


 

 



Silbersickel sind eine Galleone und neunundzwanzig Knuts sind eine Sickel. Nichts einfacher als das. Gut, das sollte für ein paar Schuljahre reichen, wir bewahren den Rest für dich auf,« Er wandte sich Griphook zu. »Verlies siebenhundertundneunzehn Jetzt, bitte, und können wir etwas langsamer fahren?«

»Nur eine Geschwindigkeit«, sagte Griphook.

Sie fuhren nun noch tiefer hinunter und wurden allmählich schneller. Während sie durch scharfe Kurven rasten, wurde die Luft immer kälter. Sie ratterten über eine unterirdische Schlucht hinweg, und Harry lehnte sich über den Wagenrand, um zu sehen, was tief unten auf dem dunklen Grund war, doch Hagrid stöhnte und zog ihn am Kragen zurück.

Verlies siebenhundertundneunzehn hatte kein Schlüsselloch.

»Zurücktreten«, sagte Griphook mit achtungheischender Stimme. Mit einem seiner langen Finger streichelte er sanft die Tür - die einfach wegschmolz.

»Sollte Jemand dies versuchen, der kein Kobold von Gringotts ist, dann wird er durch die Tür gesogen und sitzt dort drin in der Falle«, sagte Griphook.

»Wie oft schaust du nach, ob Jemand dort ist?«, fragte Harry.

»Einmal in zehn Jahren vielleicht«, sagte Griphook mit einem ziemlich gemeinen Grinsen.

In diesem Hochsicheffieitsverlies musste etwas ganz Be- sonderes aufbewahrt sein, da war sich Harry sicher, und er steckte seine Nase begierig hinein, um zumindest ein paar sagenhafte Juwelen zu sehen - doch auf den ersten Blick schien alles leer. Dann bemerkte er auf dem Boden ein schmutziges, mit braunem Papier umwickeltes Päckchen. Hagrid hob es auf und verstaute es irgendwo in den Tiefen


 

 



seines Umhangs. Harry hätte zu gern gewusst, was es war, aber ihm war klar, dass er besser nicht danach fragte.

»Los komm, zurück auf diese Höllenkarre, und red auf dem Rückweg nicht. Es ist besser, wenn ich den Mund geschlossen halte«, sagte Hagrid.

 



Nach einer weiteren haarsträubenden Fahrt auf dem Karren standen sie endlich wieder draußen vor Gringotts und blinzelten in das Sonnenlicht. Nun, da Harry einen Sack voll Geld besaß, wusste er nicht, wo er zuerst hinlaufen sollte. Er musste nicht wissen, wie viel Galleonen ein englisches Pfund ausmachten, um sich bewusst zu sein, dass er noch nie im Leben so viel Geld besessen hatte - mehr Geld, als selbst Dudieyjemals gehabt hatte.

»Könnten Jetzt eigentlich mal deine Uniform kaufen«, sagte Hagrid und nickte zu Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten hinüber. »Hör mal, Harry, würd es dir was ausmachen, wenn ich mir einen kleinen Magenbitter im Tropfenden Kessel genehmige? Ich hasse die Fuhrwerke bei Gringotts.« Er sah immer noch etwas bleich aus. Und so betrat der ein wenig nervöse Harry allein Madam Malkins Laden.

Madam Malkin war eine stämmige, lächelnde Hexe, die von Kopf bis Fuß malvenfarben gekleidet war.

»Hogwarts, mein Leber?«, sagte sie, kaum hatte Harry den Mund aufgemacht. »Hab die Sachen hier - übrigens wird hier gerade noch ein Junger Mann ausgestattet.«

Hinten im Laden stand aufeinem Schemel ein Junge mit blassem, spitzem Gesicht, und eine zweite Hexe steckte seinen langen schwarzen Umhang mit Nadeln ab. Madam Malkin stellte Harry auf einen Stuhl daneben, ließ einen langen Umhang über seinen Kopf gleiten und steckte mit Nadeln die richtige Länge ab.

 




 

 



»Hallo«, sagte derjunge. »Auch Hogwarts?«

»Ja«, sagte Harry.

»MeinVater ist nebenan und kauft die Bücher, und Mutter ist ein paar Läden weiter und sucht nach Zauberstäben«, sagte der Junge. Er sprach mit gelangweilter, schleppender Stimme.

»Danach werd ich sie mitschleifen und mir einen Rennbesen aussuchen. Ich seh nicht ein, warum Erstklässler keinen eigenen haben dürfen. Ich glaub, ich geh meinem Vater so lange auf die Nerven, bis er mir einen kauft, und schmuggel ihn dann irgendwie rein.«

Der Junge erinnerte Harry stark an Dudley.

»Hast du denn deinen eigenen Besen?«, fuhr er fort.

»Nein«, sagte Harry.

»Spielst du überhaupt Quidditch?«

»Nein«, sagte Harry erneut und fragte sich, was zum Teufel Quidditch denn sein kölinte.

»Aber ich - Vater sagt, es wäre eine Schande, wenn ich nicht ausgewählt werde, um für mein Haus zu spielen, und ich muss sagen, er hat Recht. Weißt du schon, in welches Haus du kommst?«

»Nein«, sagte Harry und fühlte sich mit Jeder Minute dümmer.

»Na Ja, eigentlich weiß es keiner, bevor er hinkommt, aber ich weiß, dass ich im Slytherin sein werde, unsere ganze Familie war da. - Stell dir vor, du kommst nach Hufflepuff, ich glaub, ich würde abhauen, du nicht?«

»Mmm«, sagte Harry und wünschte, er könnte etwas In- tercssanteres sagen.

»Ach herrje, schau dir mal diesen Mann an!«, sagte der Junge plötzlich und deutete auf das Schaufenster. Draußen stand Hagrid, grinste Harry zu und hielt zwei große Tüten mit Eiskrem hoch, um zu zeigen, dass er nicht hereinkonimen konnte.

 




 

 



»Das ist Hagrid«, sagte Harry, froh, dass er etwas wusste, was derjunge nicht wusste. »Er arbeitet in Hogwarts.«

»Oh«, sagte der Junge, »ich hab von ihm gehört. Er ist ein Knecht oder so was, nicht wahr?«

»Er ist der Wildhüter«, sagte Harry. Er konnte den Jungen mitjeder Sekunde weniger ausstehen.

»Ja, genau. Ich hab gehört, dass er eine Art Wilderer ist - lebt in einer Hütte auf dem Schulgelände, betrinkt sich des öfteren, versucht zu zaubern und steckt am Ende sein Bett in Brand.«

»Ich halte ihn für brillant«, sagte Harry kühl.

»Tatsächlich?«, sagte derjunge mit einer Spur Häme. »Wa- rum ist er mit dir zusammen? Wo sind deine Eltern?«

»Sie sind tot«, sagte Harry knapp. Er hatte keine große Lust, mit diesem Jungen darüber zu sprechen.

»Oh, tut mir Leid«, sagte der andere, wobei es gar nicht danach klang. »Aber sie gehörten zu uns, oder?«

»Sie war eine Hexe und er ein Zauberer, falls du das meinst.«

»Ich halte überhaupt nichts davon, die andern aufzunehmen, du etwa? Die sind einfach anders erzogen worden als wir und gehören eben nicht dazu. Stell dir vor, manche von ihnen wissen nicht einmal von Hogwarts, bis sie ihren Brief bekommen. Ich meine, die alten Zaubererfamillen sollten unter sich bleiben. Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?«

Doch bevor Harry antworten konnte, sagte Madam Malkin:

»So, das wär's, mein Lieber«, und Harry, froh über die Gelegenheit, von dem Jungen loszukommen, sprang von seinem Schemel herunter.

»Gut, wir sehen uns in Hogwarts, nehme ich an«, sagte derjunge mit der schleppenden Stimme.

 




 

 



Recht wortkarg schleckte Harry das Eis, das Hagrid ihm gekauft hatte (Schokolade und Himbeere mit Nussstückchen).

»Was ist los?«, sagte Hagrid.

»Nichts«, log Harry. Sie traten in einen Laden, um Perga- ment und Federkiele zu kaufen. Harrys Laune besserte sich etwas, als sie eine Flasche Tinte kauften, die beim Schreiben ihre Farbe veränderte. Als sie wieder draußen waren, sagte er:

»Hagrid, was ist Quidditch?«

»Mein Gott, Harry, ich vergess immer, wie wenig du weißt - kennst nicht mal Quidditch!«

»Mach's nicht noch schlimmer«, sagte Harry. Er erzählte Hagrid von dem blassen Jungen bei Madam Malkin.

»... und er sagte, Leute aus Muggelfamilien sollten gar nicht aufgenommen werden ...«

»Du bist nicht aus einer Muggelfamilie. Wenn er wüsste, wer du bist - wenn seine Eltern Zauberer sind, dann hat er deinen Namen mit der Muttermilch eingesogen - du hast die beiden übrigens im Tropfenden Kessel gesehen. Und außerdem, was weiß er schon, manche von den Besten waren die Einzigen in einer langen Linie von Muggels, die das Zeug zum Zaubern hatten - denk an deine Mum! Denk mal daran, was sie für eine Schwester hatte!«

»Also was istjetzt Quidditch?«

»Das ist unser Sport. Zauberersport. Es ist wie - wie Fußball in der Muggelwelt - alle fahren auf Quidditch ab -man spielt es in der Luft auf Besen und mit vier Bällen -nicht ganz einfach, die Regeln zu erklären.«

»Und was sind Slytherin und Hufflepuff?«

»Schulhäuser. Es gibt vier davon. Alle sagen, in Hufflepuff sind'ne Menge Flaschen, aber -«

»ich wette, ich komme nach Hufflepuff«, sagte Harry bedrückt.

 




 

 



»Besser Hufflepuff als Slytherin«, sagte Hagrid mit düsterer Stimme. »Die Hexen und Zauberer, die böse wurden, waren allesamt in Slytherin. Du-weißt-schon-wer war einer davon.«

»Vol-, 'tschuldigung - Du-weißt-schon-wer war in Hog- warts?«

»Das ist ewig lange her«, sagte Hagrid.

Sie kauften die Schulbücher für Harry in einem Laden namens Flourish & Blotts, wo die Regale bis an die Decke voll gestopft waren mit in Leder gebundenen Büchern, so groß wie Gehwegplatten; andere waren klein wie Briefmarken und in Seide gebunden; viele Bücher enthielten merkwürdige Symbole, und es gab auch einige, in denen gar nichts stand. Selbst Dudley, der nie las, wäre ganz scharf auf manche davon gewesen. Hagrid musste Harry beinahe wegziehen von Werken wie Flüche und Gegenflüche (Verzaubern Sie Ihre Freunde und verhexen Sie Ihre Feinde mit den neuesten Racheakten: Haarausfall, Gummibeine, Vertrocknete Zunge und vieles, vieles mehr) von Professor Vindictus Viridian.

»Ich möchte rausfinden, wie ich Dudley verhexen kann.«

»Keine schlechte Idee, würd ich meinen, aber du sollst in der Muggelwelt nicht zaubern, außer wenn's brenzlig wird«, sagte Hagrid. »Und du könntest mit diesen Flüchen ohnehin noch nicht umgehen, du musst noch sehr viel lernen, bis du das kannst.«

Hagrid wollte Harry auch keinen Kessel aus purem Gold kaufen lassen (»auf der Liste steht Zinn«


Date: 2015-12-11; view: 816


<== previous page | next page ==>
Briefe von niemandem | Abreise von Gleis neundreiviertel
doclecture.net - lectures - 2014-2024 year. Copyright infringement or personal data (0.081 sec.)