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Niklas Luhmann - Kommunikation als eigenständiger Realitätsbereich

Niklas Luhmann gilt gegenwärtig als der einflussreichste Soziologe auf deutschsprachigem Gebiet. Sein über mehr als dreißig Jahren währendes Erkenntnis- und Forschungsinteresse sowie seine Publikationstätigkeiten gelten einer umfassenden und hoch komplexen Gesellschaftstheorie, die in der Lage ist, der sozialen Komplexität der modernen Weltgesellschaft gerecht zu werden.

Vier Bereiche lassen sich im Rahmen des Luhmannschen Werkes unterscheiden:

· Theorie der Gesellschaft,

· Organisationssoziologie,

· politische Interventionen und

· historisch-semantische Analysen.

Der hier für den Gegenstand der Kommunikation relevante Bereich ist Luhmanns Gesellschaftstheorie. Sie basiert auf dem Konzept eines selbstreferentiellen Kommunikationsprozesses. Damit wird es möglich, Kommunikationsprozesse auf unterschiedlichsten Gebieten zu beobachten: die so genannten face-to-face-Beziehungen, Kommunikationsprozesse in Organisationen und in speziell ausgerichteten Kommunikationen

in Liebesbeziehungen, in der Wirtschaft u.a.m. Luhmanns Kommunikationsbegriff geht im Wesentlichen über das übliche Verständnis eines kommunikativen Aktes hinaus. Er macht folgende Aussagen:

„Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können kommunizieren, nicht einmal das Bewusstsein kann kommunizieren“.

Hierbei gilt - entgegen anderer Theoriedispositionen: Nur die Kommunikation kann kommunizieren. Damit ist nicht gemeint, dass Kommunikation ohne Menschen existieren kann. Sie kann nach Luhmann allerdings nicht durch chemische, psychische oder biologische Tatbestände beeinflusst werden.

Soziale Systeme, die Luhmann in Interaktions-, Organisations- und Funktionssysteme unterscheidet, sind autopoietische (=sich selbst erzeugende) und sinnverarbeitende Systeme, die ausschließlich aus dem Element Kommunikation bestehen und durch Kommunikationen ihre je

eigenen Relationierungen und Strukturen aufbauen. Diese Annahme hat zur Folge, dass z.B. in der systemischen Tradition arbeitende Beratung von Paaren, Familien oder Organisationen darauf achten, wie sich Kommunikationszusammenhänge verändern, nicht wie sich Auffassungen und Haltungen in den Köpfen der Beteiligten verändern.

Es ist für Luhmanns Theorie kennzeichnend, dass er an die Stelle der Handlung die Kommunikation setzt und damit der Kommunikation einen zentraler Stellenwert gibt. Das grundlegende soziale Ereignis der Gesellschaft ist Kommunikation. Jedes soziale System besteht aus dem Element der Kommunikation. Hieraus baut es seine je eigene Operationsweise, Struktur und Geschichte auf und reproduziert sie durch Kommunikation. „Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass Kommunikation nicht als Handlung und der Kommunikationsprozess nicht als Kette von Handlungen begriffen werden kann. [...] Man kann den Kommunikationsprozess deshalb nicht voll erfassen, wenn man nicht mehr sieht als die Mitteilungen, von denen eine die andere auslöst. In die Kommunikation geht immer auch die Selektivität des Mitgeteilten, der Information, und die Selektivität des Verstehens ein, und gerade die Differenzen, die diese Einheit ermöglichen, machen das Wesen der Kommunikation aus“. Im Folgenden werden wesentliche Bausteine der Luhmannschen Theorie erläutert:



 

1. Kommunikation ist eine Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen.

Luhmann kritisiert die übliche Verwendung des Kommunikationsbegriffs im Sinne der puren Informationsweitergabe. Dieses Verständnis von Kommunikation suggeriere, dass ein Absender etwas übergibt und ein Empfänger etwas erhält. Luhmann hingegen sieht eine Mitteilung als Anregung oder Vorschlag. Erst wenn diese Anregung aufgenommen wird, entsteht Kommunikation.

Weiterhin kritisiert Luhmann, der Inhalt einer Mitteilung sei nicht identisch mit der Mitteilung selbst. Im Gegenteil, erst im Kommunikationsprozess werde der Inhalt der Mitteilung konstruiert. Darüber hinaus könne die Information für Absender und Empfänger in ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich belegt sein.

Während die oben beschriebenen drei Kritikpunkte keinen Widerspruch in den neueren Kommunikationstheorien hervorrufen (vgl. Watzlawick und Mead weiter oben), liegt im folgenden Postulat Luhmanns die wesentliche Neuerung: Kommunikation besteht aus einem dreistelligen Selektionsprozess der Information, der Mitteilung und des Verstehens. Luhmann bezieht sich hierbei auf

· den Ausdruck, der sich auf einen Sender/Kommunikator bezieht (Mitteilung),

· die Repräsentation, die auf ein Objekt oder einen Zustand verweist (Information) und

· den Eindruck des Empfängers (Verstehen).

·

Seinen Informationsbegriff stützt Luhmann auf Shannon/Weaver, nach denen Informationen aus einem Repertoire von Möglichkeiten heraus selektiert werden. Kommunikation selbst wird dadurch schon zu einem selektiven Geschehen.

Der Mitteilungsbegriff meint, dass der Sender einer Information, also eines selektierten Inhalts, diese durch sein Verhalten mitteilt, unabhängig davon, ob er dies bewusst oder unbewusst tut.

Das Verstehen konstituiert sich durch die Differenz zwischen Information und Mitteilung. Erst das Verstehen macht die Kommunikation zur Kommunikation im Sinne Luhmanns. Zum Verstehen gehören zwei, daher unterscheidet er in „Ego“ als Adressaten und „Alter“ als Mitteilenden. Dies verwundert zunächst, da laut Luhmann innere Zustände eines Menschen aufgrund der postulierten Geschlossenheit psychischer Systeme für eine/n Beobachter/in intransparent bleiben müssen. Luhmann erklärt diese Intransparenz psychischer Systeme so, dass kein Bewusstsein ein anderes direkt beobachten bzw. an fremde Gedanken direkt anschließen kann.

Daher interessiert ihn besonders, wie soziales Verstehen und kommunikative Erreichbarkeit möglich sind. Er löst die Frage so, dass ein/e Beobachter/in eine Mitteilungsbeobachtung vor dem Hintergrund seines/ihres eigenen Referenzsystems deuten und so eine Differenz ausfindig machen wird. So funktioniert das Verstehen im Erkennen der Differenz zwischen dem System des Beobachters und der gemachten Mitteilung.

 

2. Kommunikation ist selbstreferentiell.

Wenn auf eine kommunikative Handlung eine weitere kommunikative Handlung folgt, prüft ein/e Mitteilende/r immer gleichzeitig, ob die vorherige Kommunikation verstanden wurde. Dadurch wird Kommunikation zu einem selbstreferentiellen Prozess. Kommt es beim Test des Verstehens zum Misserfolg, kann es zu einer Metakommunikation, also einer Kommunikation über die Kommunikation kommen.

 

3. Die Anschlussfähigkeit von Kommunikation ist ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Autopoiesis (=Selbsterzeugung) des sozialen Systems.

Erst das Anschlussverhalten einer Kommunikation kann Aufschluss darüber geben, ob eine Information im Rahmen einer Mitteilung verstanden wurde. Betrachtet man die Mitteilung zunächst als Anregung, ist die Kommunikation also erst durch die Reaktion des Empfängers (ego) beendet.

Hierin liegt der Grund, weshalb Luhmann Kommunikation nicht als Handlung betrachtet. Ähnlich wie bei Watzlawick wird hier also postuliert, dass Kommunikation erst beim Empfänger entsteht, unabhängig davon, was der oder die Mitteilende (alter) mitteilte oder mitteilen wollte.

 

4. Kommunikation ist durch Unwahrscheinlichkeitsniveaus charakterisiert

Drei Faktoren machen nach Luhmann gelingende Kommunikation unwahrscheinlich:

Die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens thematisiert die Gefahr, dass unzulängliche Wahrnehmungshorizonte Missverstehen hervorrufen können. Diese Gefahr wird durch Sprache reduziert, denn sie wird selten zufällig produziert. Im Gegenteil: Sprachliche Laute sind sofort in ihrer kommunikativen Funktion erkennbar und lassen daher eine Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung leicht zu.

Die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens von Adressat/innen bezieht sich auf die räumliche und zeitliche Extension der Kommunikation, beispielsweise bei der Weitergabe von Informationen an nicht anwesende Personen. Bei Adressat/innen außerhalb des Interaktionssystems wird es

unwahrscheinlich, ausreichende Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Chance, dies doch zu erreichen, sind die Verbreitungsmedien wie Zeitungen und Rundfunk. Sie ermöglichen eine umfassende Extension der Reichweite einer Kommunikation auch auf unbekannte Außenstehende.

Die Unwahrscheinlichkeit des Kommunikationserfolgs besteht dann, wenn Alter mit der Kommunikation ein bestimmtes Anschlussverhalten Egos erreichen will. Hierzu müssen sich beide auf dasselbe binäre Codesystem beziehen wie z.B. wahr/unwahr im Wissenschaftssystem,

bezahlt/nicht bezahlt im Wirtschaftssystem oder recht/unrecht im Rechtssystem. Diese Codierungen sind Teile von Programmen, die sicherstellen können, dass eine dauerhafte Übernahme von gemeinsam zu verwendenden Prämissen sozial erwünschtes Anschlussverhalten hervorruft.


Date: 2016-03-03; view: 1531


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