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Difference between England and Canada

1. Möglichkeit und Vermittlung der Individuation.

Endlich finde ich einen Tropfen Wasser in der Wüste! Sie bekennen Seite 597:

Wer nie das Bedürfniß gehabt und die Schwierigkeit gefühlt hat, vom Standpunkte des Monismus (soll heißen: Pantheismus) aus die Individuation zu begreifen ....

Das wenigstens ist doch redlich und ehrlich.

Die Wahrheit des Herbart’schen Pluralismus liegt in der Behauptung, daß das Recht der Vielheit und Individualität gerade so weit reicht wie die Realität des Daseins überhaupt, seine Unwahrheit liegt in dem Verkennen der Phänomenalität aller Realität und alles Daseins.

(597. 598.)

Warum sagten Sie nicht lieber gleich: Idealität aller Realität? Denn Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß Ihre phänomenale Welt etwas Anderes sei, als die ideale Welt Kant’s? Eine Welt, welche Manifestation einer noch lebenden Einheit ist, muß nothwendigerweise Schein sein, wegen der »aufgehobenen Momente«, der Marionetten- Individuen. Ihre »objektiv (göttlich) gesetzte Erscheinungswelt« ist, wie die Welt der alten Brahmanen, ein Trugbild der Maja. Es ist auch, wie gesagt, gar nicht anders möglich. Aller consequente Pantheismus muß crasser empirischer Idealismus oder besser: reiner Illusionismus sein.

Hat man das Daseiende oder Existirende als objektive, d.h. vom auffassenden Bewußtseinssubjekt unabhängige (!) Erscheinung oder Manifestation des Ueberseienden oder Subsistirenden erkannt, dann sind Realität und (objektive) Phänomenalität als Wechselbegriffe erkannt, dann weiß man aber auch, daß die Vielheit, deren Recht so weit geht, wie die Realität der existirenden Welt, ebenso wie diese nur eine phänomenale, keine transscendent- metaphysische Geltung hat.

(598.)

Wie konnten Sie solchen schreienden, auf die »Niaiserie der deutschen Halbgebildeten« (Schopenhauer) berechneten Unsinn schreiben? Alles Objekt ist durch das Subjekt bedingt: dies ist ein Satz, der gar nicht angefochten werden kann. Sie aber machen eine objektive Welt vom Subjekt unabhängig.

ii621 Dem Objekt liegt, ohne blindes Zwischenglied, unmittelbar das Ding an sich, also von Ihrem Standpunkte aus der All-Eine unbewußte Geist zu Grunde. Sie dürfen sich drehen und wenden wie Sie wollen – immer wird das Individuum in Ihrer Philosophie eine todte Marionette, ja noch weniger als eine Luftspiegelung: es wird immer die reine Null sein.

Die Philosophie des Unbewußten ist also die wahre Versöhnung von Monismus (soll heißen: Pantheismus) und pluralistischem Individualismus .... indem sie beide (?) als aufgehobene Momente in sich vereinigt.

(599.)

Doch nicht, Herr von »Kurz und gut«! Es ist ganz gewiß keine Versöhnung zwischen Pantheismus und Pluralismus, wenn der erstere den letzteren einfach erwürgt, und das geschieht in Ihrer Philosophie des Unbewußten. Eine Versöhnung hat nur in meiner Philosophie durch eine gewesene, untergegangene, jetzt todte einfache Einheit stattgefunden; aber wie Vieles setzte dieses Resultat voraus, wovon Sie keine Ahnung hatten!



Die Individuen sind objektiv (!) gesetzte Erscheinungen, es sind gewollte Gedanken des Unbewußten oder bestimmte Willensacte desselben; die Einheit des Wesens bleibt unberührt durch die Vielheit der Individuen, welche nur Thätigkeiten (oder Combinationen von gewissen Thätigkeiten) des Einen Wesens sind.

(599.)

Das nennen Sie nun Versöhnung des Pantheismus mit dem pluralistischen Individualismus. Welche Dreistigkeit! Ich wiederhole es: Ihr Pantheismus erwürgt einfach die Individuen, – natürlich nur auf dem Papier.

Die Vielheit liegt nur in der Action und ist reale Vielheit nur insofern zugleich ein Aufeinandertreffen der Willensacte stattfindet. (Ein Atom wäre kein Atom). Hiermit ist aber zugleich gesagt, daß die Vielheit und Individuation (also auch die Realität, das Dasein und die Existenz) nur in der Aeußerung der metaphysischen Kraft, nur in der Action der Substanz, nur in der Manifestation des verborgenen Grundes, nur in der Objektivation des Willens, nur in der Erscheinung des Einen Wesens liegen.

(602. 603.)

Ich bedauere Sie von Herzen. Haben Sie jemals eine Kraft getrennt von ihrer Aeußerung, ihrer Action, wahrgenommen? |

ii622 In der Welt noch nie. Also können Sie ein solches Wunder nur in einer intellektualen mystischen Anschauung gesehen haben. Sie werden aber begreifen, daß in der redlichen Naturwissenschaft kein Platz für den Spiritismus ist. Noch einmal: ich bedauere Sie von Herzen.

Nur die objektive Erscheinung ist die wahre und unmittelbare Erscheinung des Wesens, die subjektive Erscheinung aber ist ein subjektiv gefärbtes und verzerrtes Abbild der objektiven Erscheinung.

(603.)

Sie lehren mithin:

1) Eine All-Einheit hinter der Welt

2) Eine phänomenale (objektive) Welt

3) Eine subjektive Welt;

was zu kritisiren ich unter meiner Würde halte. Ich wiederhole nur: »Kein Objekt ohne Subjekt« und constatire neuerdings Ihre Romantik. Sie wollen uns, trotz Kant’s siegreichem Kampf gegen Leibniz, auf eine »verworrene, unklare, mangelhafte« Vorstellungswelt, welche Letzterer (wie schon Plato) lehrte, zurückwerfen. O Sie Erzromantiker!

 

2. Der Individual-Charakter.

Wenn dieser Mensch nun aber Kinder zeugt, so wissen wir, daß nach dem Gesetze der Vererbung die von dem typischen Menschenhirne abweichenden eigenthümlichen Dispositionen seines Hirnes wahrscheinlich auf einige seiner Kinder mehr oder weniger vollständig übergehen.

(610.)

Der Charakter, d.h. der unbewußte Dämon, liegt also, Ihrer Philosophie gemäß, im Gehirn, was ich bereits beleuchtet habe. Ich habe Ihnen auch schon das Fehlerhafte dieser Cartesianischen Reminiscenz nachgewiesen, worauf ich Bezug nehme.

Ich füge nur noch hinzu, daß, während der Charakter im engeren Sinne (!) sich durch Kreuzung immer wieder ausgleicht, und im Wesentlichen für das Menschengeschlecht ziemlich auf derselben Stufe bleibt, ... die geistigen Anlagen und Fähigkeiten im Menschengeschlechte in einer fortwährenden Steigerung begriffen sind.

(613.)

Mit einem Wort: es fehlt Ihnen alle und jede tiefere Auffassung der Weltgeschichte. In demselben Maße als der Geist des |

ii623 Menschen in der fortschreitenden Cultur wächst, wird sein Wille geschwächt. Es findet eine Umbildung der Bewegungsfactoren statt. Mit der steigenden Sensibilität steigert sich auch die Irritabilität (Leidenschaftlichkeit) und der ganze Wille verliert dadurch an Solidität, dämonischer Sicherheit, an Ruhe und Kraft. Der Docht des menschlichen Wesens wird immer höher geschraubt, und dadurch wird die Lebensflamme immer intensiver, aber auf Kosten des Lebensöls.

Sie hingegen sagen: der Wille bleibt immer derselbe, d.h. Sie übersehen total das Hauptresultat der Bewegung der Menschheit.

 

XI. Die Allweisheit des Unbewußten und die
Bestmöglichkeit der Welt.

Das Unbewußte kann niemals irren, ja nicht einmal zweifeln oder schwanken, sondern wo der Eintritt einer unbewußten Vorstellung gebraucht wird, erfolgt derselbe momentan, den im Bewußtsein sich zeitlich auseinanderzerrenden Reflexionsproceß implicite in den Einen Moment des Eintrittes zusammenschließend, und zweifellos richtig.

(618.)

Wer giebt Ihnen das Recht, von der Beschaffenheit eines Denkens zu sprechen, das nicht menschliches Denken ist? Wo haben Sie ein solches anderartiges Denken beobachtet? – Im Mond? In der Sonne? – Mogha purisa!

Die unausgesetzten Eingriffe der Vorsehung sind selbst natürlich, d.h. nicht willkürlich, sondern gesetzmäßig, nämlich durch den ein für alle Mal feststehenden Endzweck und die augenblicklich vorliegenden Verhältnisse, in welche eingegriffen wird, mit logischer Nothwendigkeit bestimmt.

(619.)

Wir müssen die Weisheit des Unbewußten weit mehr noch da bewundern, wo dasselbe sich einen Theil seiner Eingriffe durch eigens dazu hergestellte Mechanismen oder auch durch geschickt benutzte schon vorhandene äußere Verhältnisse erspart, als da, wo dasselbe die vorhandenen Aufgaben durch fortwährendes (!) direktes Eingreifen in vortrefflichster Weise löst.

(ib.)

Solcher Art sind z.B. die Eingriffe des Unbewußten in menschlichen Gehirnen, welche den Verlauf der Geschichte auf allen Gebieten der Culturentwicklung im Sinne des vom Unbewußten beabsichtigten Zieles bestimmen und leiten.

(620.)

ii624 Welcher fruchtlose Kampf mit der Wahrheit! Wie einfach ist doch die Lösung des wichtigen Problems der einheitlichen Culturentwicklung, welche ich in meiner Philosophie gegeben habe! Was Sie wunderbare Vorsehung einer in der Welt steckenden Einheit nennen, resultirt einfach aus der Bewegung aller Individuen, welche vor der Welt in einer einfachen Einheit lagen und im Zerfall dieser Einheit einen ganz bestimmten Impuls erhielten. Ich darf wohl sagen, daß allererst durch mich die Naturforscher einen soliden, rein immanenten, spukfreien Boden erhalten haben. Nun bauet ruhig weiter, ihr Tapferen!

Die Kette der Finalität kann ihrer Natur nach nicht unendlich gedacht werden wie die der Causalität.

(621.)

Warum denn nicht, Herr von Hartmann? Allerdings liegt im Begriff Finalität ein Ende, ein Abschluß; aber warum nennen Sie den zukünftigen Theil der Causalität Finalität? Eine Welt, die nie zu einem Ziele kommt, sondern immer wieder aus alten Wesen neue erzeugt, ist sehr wohl denkbar. Ein endloses Werden enthält gar keinen logischen Widerspruch.

Das Ende des Weltprocesses erfordert viel tiefere Untersuchungen, als Sie anzustellen die geistige Kraft hatten, weshalb auch, wie ich Ihnen zeigen werde, das von Ihnen gelehrte Ende der Welt auf einem dreisten Machtspruch, nicht auf einem Beweise beruht.

Wir dürfen uns wohl mit Recht dem Vertrauen hingeben, daß die Welt so weise und trefflich, als nur irgend möglich ist, eingerichtet und geleitet werde, daß, wenn in dem allwissenden Unbewußten unter allen möglichen Vorstellungen die einer besseren Welt gelegen hätte, gewiß diese bessere statt der jetzt bestehenden zur Ausführung gekommen wäre.

(621.)

Wohl aber war es uns möglich, im Unbewußten die Existenz derjenigen Eigenschaften nachzuweisen, denen zufolge es die möglichen Welten gleichsam mit einem Blicke überschauen, und von diesen möglichen Welten diejenige realisiren mußte, welche den vernünftigsten Endzweck auf die zweckmäßigste Weise erreicht.

(ib.)

Indem ich dem Weiteren vorgreife, fasse ich kurz Ihre Lehre, in Betreff der Entstehung und des Endes der Welt, in Folgendem zusammen:

ii625 Vor der Welt existirte das All-Eine Unbewußte als eine untrennbare Verbindung des All-Einen Willens mit der Allweisen Idee. Der Wille war ruhender, potentia-Wille (velle et nolle potens); die Idee indifferent, d.h. überseiend, aber gleichgültig gegen Sein oder Nichtsein. Der Wille wurde plötzlich wollend (velle volens sed velle non potens) d.h. weil er eine absolut leere Form ist, so konnte er nur wollen, was ihm die Idee als Inhalt darreichte. Der Wille wollte lediglich aus seinem Uebersein in das Sein schlechthin eintreten, und so entstand die Welt.

Der Proceß des Weltlaufs ist nun, wie Sie lehren, die allmälige Rückkehr des Willens in die vorweltliche bewußtlose Potenzialität.

Sie sagen ferner, daß die Welt ein Irrthum, daß der Wille in der Welt unglücklich sei, daß er aber allmälig durch die Allweise Idee von dieser unglücklichen Existenz befreit und in seinen früheren leidlosen Zustand zurückgeführt werde.

Sie selbst, Herr von Hartmann, werfen auf Seite 542 die Frage auf: Warum hat Gott nicht den blind begangenen Fehler im ersten Moment, wo er sehend wurde, wieder gut gemacht und seinen Willen gegen sich selbst gekehrt?

Sie beantworten diese Frage dahin, daß die Idee unfrei und abhängig vom Willen sei, weshalb sie wohl das »Was«, das Ziel und den Inhalt des Willens, aber nicht sein »Daß und Ob« bestimmen könne.

Das »Ob« ist ganz willkürlich, in heller Verzweiflung von Ihnen gesetzt worden, denn der Wille ist, Ihrer Lehre nach, doch nur eine absolut leere Form, die realisiren muß, was ihr die Idee giebt.

Um obige Frage handelt es sich übrigens im Grunde gar nicht. Man muß vielmehr diese Frage stellen: Warum hat die Allweise Idee, als sie dem leeren Wollen des Willens gegenüberstand, nicht diesem sofort denjenigen Inhalt gegeben, welcher den Willen gleich wieder in die bewußtlose Potenzialität zurückgeführt hätte?

Diese Frage beantworten Sie mit dem Hinweis auf das schwache, armselige menschliche Bewußtsein, ohne welches die Erlösung nicht möglich sei, d.h. Sie überspringen die von Ihnen gelehrte gewaltige hellsehende Weisheit der Idee und heben das trübe Lichtlein des menschlichen Bewußtseins auf den Thron.

ii626 Was gäben Sie wohl darum, Herr von Hartmann, wenn Sie diesen Hinweis des unreifen Jünglings nicht auf Ihrem Mannesgewissen hätten?

Aber schon hieraus werden Sie ersehen, daß der Wille mehr als bloße Form, mehr als eine absolut leere Form sein muß, wenn die Welt im Sinne Ihrer Philosophie erklärt werden soll.

Es ergiebt sich ferner auch schon hieraus, daß die Welt gar kein blind begangener Fehler sein kann, sondern daß Etwas von einer vorweltlichen Einheit gewollt wurde, was sie nicht sofort, sondern erst durch einen Proceß erlangen konnte.

Hier sind anscheinend zwei Lösungen möglich. Entweder wollte Gott (die einfache Einheit) durch den Proceß der Welt Das, was das christliche Paradies ist, d.h. Gott wollte eine Pluralität reiner Wesen sein, oder er wollte das Nichtsein, d.h. – verstehen Sie mich erschöpfend – vollständige absolute Vernichtung, totale Befreiung von seinem Wesen.

Im ersteren Falle hätte Gott nur ein anderes Dasein als vorher gewollt; im letzteren dagegen wollte er absolutes Nichtsein.

Es ist aber klar, daß ein allmächtiger Gott das Erstere ohne Proceß, d.h. sofort hätte haben können.

Es bleibt also nur das Letztere, und dieses Letztere habe ich gelehrt, jedoch – worauf ich Sie wiederholt aufmerksam mache – nicht constitutiv, d.h. Bestimmtes über das Wesen Gottes aussagend, sondern bloß regulativ, zur bloßen Beurtheilung der Entstehung der Welt, ihres Verlaufs und ihres Endes.

Zu dieser Lehre könnten alle meine Vorgänger nicht gelangen, weil sie an die Sempiternität der Substanz glaubten. Diese Sempiternität der Substanz habe ich aber siegreich vernichtet, indem ich zunächst nachwies, daß die Substanz eine ideale Form sei (was schon Kant lehrte) und daß das Ding an sich reine Kraft sei, über welche a priori gar Nichts ausgesagt werden könne. Die Erfahrung aber lehrt im ganzen Weltall Schwächung der Kraft, allmälige Aufreibung, mithin auch totale Annihilation derselben am Ende des Weltprocesses. Die Welt ist eine endliche Kraftsumme und jeder Verlust an Kraft ist durch Nichts zu ersetzen, denn woher sollte ein Ersatz genommen werden?

ii627 Ohne Egoismus keine Individuation; mit Egoismus nothwendig sofort Verletzung des Anderen behufs des eigenen Vortheils, d.h. Unrecht, Böses, Unsittlichkeit u.s.f. Dies Alles ist also ein nothwendiges, um der Individuation willen unvermeidliches Uebel.

(624.)

Da nun aber das All-Eine letzten Endes nur insoweit an der Welt interessirt sein kann, als es mit seinem Wesen an ihr betheiligt ist, in ihr drin steckt, und da die Form der Erscheinung wohl wichtiger Durchgangspunkt, aber, abgesehen von ihrer Rückwirkung auf das Wesen selbst, unmöglich letzter Zweck sein kann, so werden auch Sittlichkeit und Gerechtigkeit als formelle Ideen in Bezug auf ihren teleologischen Werth für das Unbewußte nur nach einem solchen Maßstabe gemessen werden können, der ausschließlich ihre Wirkung auf dessen Wesen berücksichtigt.

Diesen giebt aber allein die durch Sittlichkeit und Unsittlichkeit, durch Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in sämmtlichen Betheiligten, handelnden wie leidenden Individuen, erzeugte Summe von Lust und Schmerz, denn diese erst sind etwas ganz Reales, nicht wie Sittlichkeit und Gerechtigkeit bloße Bewußtseinsideen.

(625.)

Wie wirbelt hier das Reife Anderer mit dem Unreifen Ihres Gepräges, Wahres und Falsches, Helles und Dunkles durcheinander! Es ist der reine Hexensabbath: es ist Alles unverdaute Masse, unreife Frucht, oder, wie Fichte sagte:

»halbe Philosophie und ganze Verworrenheit«.

Ich will Ihnen sagen, was die Wahrheit ist. Die Welt hat einen Verlauf – nichts weiter. Er ist weder gut, noch böse, weder moralisch, noch unmoralisch; er ist einfach ein nothwendiger unabänderlicher Proceß.

Der Richtung dieses Verlaufs gegenüber, d.h. dem göttlichen Gesetze: Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Keuschheit gegenüber ist aber jede menschliche Handlung entweder eine moralische oder eine unmoralische.

Ferner: der Egoismus ist gar kein Hinderniß der Moralität. In Betreff aller dieser schweren, nunmehr von mir gelösten philosophischen Probleme verweise ich Sie auf meine Ethik und Politik. –

ii628 Das Unbewußte ist das gemeinschaftliche Subjekt, welches sie (Lust und Schmerz) in allen (!) den verschiedenen Bewußtseinen fühlt (!!).

(625.)

Kein anderes Subjekt ist zum Fühlen (!!) des Schmerzes und der Lust da, als das All-Einige Unbewußte.

(626.)

Ach, Herr von Hartmann! »Der Menschheit ganzer Jammer« faßt mich bei dieser Stelle an. Wie war es möglich, frage ich mich händeringend, daß Sie so etwas schreiben konnten? Das Absolut- Unbewußte soll fühlen, soll Alles fühlen: die einzelnen Schmerzen und Freuden der Individuen also alle zugleich! – Welch ein Durcheinander von Lust und Schmerz! Sie müssen ferner, – wenn der Satz: »Kein anderes Subjekt ist zum Fühlen (!!) des Schmerzes und der Lust da, als das All-Einige Unbewußte« aus dem Wunderborn Ihrer eigenen Erfahrung geschöpft ist – ein Mensch von Eisen und Marmor sein und müssen noch nie einen hohlen Zahn, nie einen wunden Finger gehabt haben. Sie schmerzenloser Engel, Sie! – Sie gewaltiger Zauberer! –

Sollte sich ergeben, daß diese Welt ihrem Nichtsein vorzuziehen oder nachzustellen sei, so werden wir uns der Consequenz nicht verschließen, daß die Existenz der Welt einem unvernünftigen Act ihre Entstehung verdanke, werden aber nicht annehmen, daß die Vernunft selbst in diesem einen Punkte plötzlich unvernünftig geworden sei, sondern daß derselbe nur deshalb ohne Vernunft vollzogen sei, weil die Vernunft nicht bei ihm betheiligt war. Dies wird uns dadurch möglich, weil wir zwei Thätigkeiten im Unbewußten kennen, von denen die eine, der Wille, eben die an sich unlogische (nicht antilogische, sondern alogische) vernunftlose ist. Da wir nun rückwärts schon längst wissen, daß alle reale Existenz dem Willen ihre Entstehung verdankt, so wäre schon a priori nur Das zu bewundern, wenn diese Existenz als solche nicht unvernünftig wäre.

(628.)

Es ist immer so gewesen, seit Menschengedenken, Herr von Hartmann, daß der Mensch ein in sich gefundenes Princip so lange aufgeblasen hat, bis er es nicht mehr erkannte: dann nannte er es Gott. So auch Sie. Sie fanden einen bewußten Willen in sich (Willkür) und einen bestimmten Geist (ich überlasse Ihnen, letzterem ein genaueres Prädicat zu geben); Sie fanden ferner einen unbewußten Willen in sich und Gedanken, Vorstellungen, Gefühle, |

ii629 deren Entstehung Ihnen unbekannt war, die Sie als etwas Fertiges plötzlich im Lichte des Bewußtseins bemerkten – und flugs schwärmten Sie von einem All-Einen unbewußten Willen und einem Allweisen hellsehenden Geist, welche beide wie der Wille und der Geist in Ihnen, in Einer Person vereinigt sein sollen.

Das ist doch nur der alte Dreck;

Werdet doch gescheidter!

Tretet nicht immer denselben Fleck,

So geht doch weiter!

Dieses Goethe’sche Wort ist aber leicht zu sagen, schwer auszuführen. Wo soll denn ein Talent hingehen, wenn ihm kein Genialer eine Bahn gebrochen hat?

 

II. Die Unvernunft des Wollens und das Elend
des Daseins.

Mit den Capiteln dieses Abschnitts bin ich, wie ich Ihnen schon früher gesagt habe, im Ganzen sehr zufrieden. Ich spende Ihnen reichen Beifall und erkenne rückhaltlos Ihr großes Verdienst an, in Kreisen, welche dem schroffen unbeugsamen Schopenhauer verschlossen waren, einen energischen und tüchtigen Weckeruf aus der Posaune des Pessimismus gedonnert zu haben. Für diesen Weckeruf, mit dem Sie in die Reihe Derer getreten, deren Namen nicht vergessen werden darf, widme ich Ihnen einen Lorbeerkranz, und seien Sie versichert, daß derselbe Ihr Leben zieren und auf Ihrem Grabe noch lange frisch und grün bleiben wird. Auch werde ich da, wo Ihr Pessimismus allein berührt wird, immer Ihr wärmster Vertheidiger sein, getragen vom Geiste unseres gemeinsamen großen Meisters Schopenhauer.

Was ich aber im Allgemeinen nicht anerkennen kann, das ist, daß Sie in diesem Abschnitt von den Illusionen sprechen, als ob dieselben gar Nichts bewirkten, oder höchstens Unheil anrichteten, oder mit einem Wort: ich stehe wieder vor dem von Ihnen gelehrten »Fehltritt« Gottes (die alte immer offene Wunde alles Pantheismus’). Die Illusionen sind so nothwendig wie die Enttäuschungen. Dieselben gehen Hand in Hand und führen die Menschen zur Erlösung, d.h. sie schwächen, meiner Lehre gemäß, den Willen und erhöhen die Intelligenz und Irritabilität.

Und jetzt will ich einiges Specielle rügen.

ii630

Erstes Stadium der Illusion.

Das Glück wird als ein auf der jetzigen Entwicklungsstufe der Welt erreichtes, also dem heutigen Individuum im irdischen Leben erreichbares gedacht.

Sie führen die Genüsse der Kunst und Wissenschaft als Illusionen auf, was ich entschieden tadeln muß. Dieselben sind so rein und schön, daß, könnte der Mensch immer in ihnen verbleiben, das Leben das höchste Gut wäre.

 

Zweites Stadium der Illusion.

Das Glück wird als ein dem Individuum in einem transscendenten Leben nach dem Tode erreichbares gedacht.

Dieses ganze zweite Stadium der Illusion erkenne ich nicht an. Es ist überflüssig; denn was diese Illusion bewirkt, ist das denkbar Beste. Die Hoffnung des echten Christen auf ein jenseitiges Leben der Ruhe, Seligkeit und des Friedens ist doch nur das Symptom, daß diese Welt bereits überwunden, daß jede Illusion in dieser Welt zerstört ist. Mehr aber kann ein Pessimist der Schopenhauer’schen Schule nicht verlangen. Daß diese Welt überwunden werde: das allein ist Hauptsache.

Auch behaupten Sie in diesem Capitel, daß in allen großen Systemen der neuesten Philosophie von einer individuellen Fortdauer nicht die Rede sei, womit Sie die Oberflächlichkeit Ihrer Studien sehr prägnant zum Ausdruck brachten. Ich muß, allem Vorhergehenden nach, annehmen, daß Sie Fichte’s System zu den großen rechnen. Was sagte aber Fichte? Er sagte mit dem ihm eigenthümlichen, energischen litterarischen Despotismus:

Die Spaltung (des Einen freien Ich in Iche oder Individuen) ist ein Theil aus der zu mehreren Malen sattsam beschriebenen Spaltung der objektiven Welt in der Form der Unendlichkeit; gehört somit zur absoluten, durch die Gottheit selbst nicht aufzuhebenden Grundform des Daseins: wie in ihr ursprünglich das Sein sich brach, so bleibt es gebrochen in alle Ewigkeit; es kann daher kein durch diese Spaltung gesetztes, d.h. kein wirklich gewordenes Individuum jemals untergehen; welches nur im Vorbeigehen erinnert wird gegen Die|jenigen

ii631 unter unseren Zeitgenossen, welche, bei halber Philosophie und ganzer Verworrenheit, sich für aufgeklärt halten, wenn sie die Fortdauer der hier wirklichen Individuen in höheren Sphären leugnen.

(Werke V. 530.)

Sie sehen, Herr von Hartmann, daß Sie Ihre Vorgänger mit einer Leichtfertigkeit studirt haben, die ich nicht charakterisiren will, weil es nicht meine Absicht sein kann, so grausam wie Apollo (der Gott des Dreifußes, den Sie oft besteigen) zu sein, der bekanntlich am armen Marsyas nicht das kleinste Fetzchen Haut ließ.

Bald wird das Christenthum nur noch ein Schatten seiner mittelalterlichen Größe sein, wird wieder sein, was es im Entstehen ausschließlich war, der letzte Trost für die Armen und und Elenden.

(714.)

Sie haben, Herr von Hartmann, – das werden Sie inzwischen ganz bestimmt aus der Philosophie der Erlösung geschöpft haben, – die große und tiefe Lehre des genialen Heilands nicht zum tausendsten Theil begriffen. Sie war Ihnen, was der Katze der heiße Brei ist. Das Christenthum, d.h. sein Geist, sein Fundament, sein esoterischer Theil, geht erst mit der Menschheit unter. Glauben Sie es mir: ein Wissender giebt Ihnen die Versicherung.

 

Drittes Stadium der Illusion.

Das Glück wird als in der Zukunft des Weltprocesses liegend gedacht.

Wäre Stirner an die direkte philosophische Untersuchung der Idee des Ich herangetreten, so würde er gesehen haben, daß diese Idee ein ebenso wesenloser, im Gehirne entstehender Schein ist, wie etwa die Idee der Ehre oder des Rechts (!) und daß das einzige Wesen, welches der Idee der inneren Ursache (!) meiner Thätigkeit entspricht, etwas Nicht- Individuelles, das All-Einige Unbewußte ist, welches also ebenso gut der Idee des Peter von seinem Ich, als der Idee des Paul von seinem Ich entspricht. Auf diesem allertiefsten Grunde ruht nur die esoterische buddhistische Ethik, nicht die christliche.

(718.)

Sie sprechen hier die naseweiseste »unbewußte« Dummheit aus, welche je in einem menschlichen Gehirn ausgebrütet worden ist.

ii632 So weit Ihr wesentlich beschränkter Geist das Christenthum ergründen konnte, so weit ergründete er auch den exoterischen Theil des Budhaismus. Ich betone das Wort exoterisch, weil Ihnen, ohne Führer, der esoterische Theil immer gänzlich verschlossen sein wird.

Die exoterische Ethik Budha’s beruht auf der bestimmten Natur des Einzelwesens und ihrer Modification in einem realen Lebenslauf; eine esoterische budhaistische Ethik giebt es aber gar nicht; denn das vom esoterischen Budhaismus gelehrte einzige reale individuelle Ich hat nur einen nothwendigen Verlauf, wie ich Ihnen oben schon in Bezug auf die ganze Welt zeigte. Der esoterische Theil des Budhaismus ist nämlich Ding-an-sich- Idealismus oder Solipsismus.

Bei allem Quietismus liegt der epikuräische Grundzug auf der Hand: die Sucht, das Leben auf die der individuellen Constitution behaglichste Weise mit einem Minimum von Anstrengung und Unlust hinzubringen, unbekümmert um die dadurch verletzten Pflichten (!) gegen die Mitmenschen und gegen die Gesellschaft (!).

(719.)

In dem Selbstmörder und in dem Asketiker ist so wenig bewundernswürdige Selbstverleugnung wie in dem Kranken, der, um der Aussicht eines endlosen Zahnschmerzes zu entfliehen, sich vernünftiger Weise zu dem schmerzhaften Ausziehen des Zahnes entschließt.

(ib.)

Diesen Irrthum verzeihe ich Ihnen, denn nur ein Schelm kann mehr geben als er hat, wie das Sprüchwort sagt. Man darf nicht zu streng über Sie urtheilen.

Schon das allein würde den Quietismus zu einer Todsünde machen, daß ein allgemeineres Umsichgreifen desselben alle Errungenschaften der Cultur, welche die Menschheit sich so mühsam in Jahrtausenden erkämpft hat, wieder in Frage stellen und binnen Kurzem in stetig wachsenden Rückschritt verwandeln würde.

(720.)

Wie naiv! Wie paßt denn dies zu dem auch von Ihnen gelehrten, nothwendigen allweisen Entwicklungsgang der Welt? Et tu, Brute?

Wie der Egoismus im Ganzen, so werden auch diejenigen Triebe vom Bewußtsein restituirt, welche, wie Mitleid, Billigkeitsgefühl, |

ii633 einen Werth für das Ganze, oder, wie Liebe und Ehre, einen Werth für die Zukunft haben; sie werden nunmehr mit dem Bewußtsein des individuellen Opfers freiwillig um des Ganzen und des Processes willen übernommen.

(720.)

Der Wille, der Wille ist es, Herr von Hartmann, welcher, wie Schopenhauer unübertrefflich schön ausführte, das Urtheil fälscht. Sind Sie verheirathet? Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber wollten Sie heirathen, als Sie obige Stelle kunstvoll drechselten. Da mußte das Humboldt’sche »Verbrechen der Kindererzeugung« beschönigt werden. Die Wahrheit verhüllte ihr Antlitz, als Sie die schmachvolle Stelle schrieben.

Ferner: Ist der Beischlaf ein Opfer, das das Individuum bringt? Sie müssen – ich wiederhole es – ein ganz sonderbar organisirtes Wesen sein.

Je weiter die Welt kommt, desto drohender wird das Gespenst der Massenarmuth, desto furchtbarer bemächtigt sich jener Elenden das ganze Bewußtsein ihres Elends.

(722.)

Ihre Kenntniß der National-Ökonomie, wie überhaupt Ihre Geschichts- Philosophie, liegt vollständig im Argen. Herr Schulze-Delitzsch ist Ihr Götze auf socialem Gebiete. Schlafen Sie auf dem Ruhebette der Schulze’schen Weisheit ruhig weiter. Ich will Ihre süßen Träume nicht stören. Das wird einst Donner und Blitz für mich besorgen. –

Die Philosophie ist hart, kalt und fühllos wie Stein.

(736.)

Ihre Philosophie, Herr von Hartmann, die dem Individuum die Erlösung abspricht, ist hart, kalt und fühllos wie Stein: hierin stimme ich Ihnen zu. Die echte Philosophie aber, von der Sie keine Ahnung haben, ist eine göttliche Trösterin: sie ist mild, weich, warm. O Sie kleiner philosophischer Nero! Sie kleiner metaphysischer Caligula! Sie kleiner transscendenter Marat!

 

XIII. Das Ziel des Weltprocesses und die Bedeutung
des Bewußtseins.

Es läßt sich also ein tief eingreifender Antagonismus zwischen dem nach absoluter Befriedigung und Glückseligkeit strebenden Willen und der durch das Bewußtsein vom Triebe mehr und mehr sich emancipirenden Intelligenz nicht verkennen; je |

ii634 höher und vollkommener das Bewußtsein im Verlaufe des Weltprocesses sich entwickelt, desto mehr emancipirt es sich von der blinden Vasallenschaft, mit welcher es anfänglich dem unvernünftigen Wollen folgte, desto mehr durchschaut es die zur Bemäntelung dieser Unvernunft vom Triebe in ihm (!) erweckten Illusionen, desto mehr nimmt es gegenüber dem nach positivem Glück ringenden Willen eine feindselige Stellung ein, in welcher es ihn im historischen Verlauf Schritt für Schritt bekämpft, die Wälle der Illusionen, hinter denen er sich verschanzt, einen nach dem andern durchbricht, und nicht eher seine letzte Consequenz gezogen haben wird, bis es ihn völlig vernichtet hat.

(740.)

Diese haarsträubende Stelle will ich nicht beleuchten. Ich verweise Sie auf den Anfang dieser Kritik, Sie machen die Welt vor dem Auftreten des Bewußtseins fieberkrank und zweckwidrig. Das war sie aber nicht, so wenig als sie es im Jagen nach den Illusionen ist. Handlungen mit und ohne Vernunft, mit und ohne Bewußtsein, mit und ohne Illusion – alle Handlungen greifen in einander und drängen die Welt zur Erlösung. Ein Antagonismus zwischen Bewußtsein und Wille ist nicht möglich: es handelt sich nur um die Qual der Wahl zwischen verschiedenen Mitteln zum Einen Zweck.

Das Wesen des Bewußtseins ist Emancipation des Intellekts vom Willen, während im Unbewußten die Vorstellung nur als Dienerin des Willens auftritt, weil Nichts als der Wille da ist, dem sie ihre Entstehung verdanken kann, welche sie selber sich nicht zu geben vermag.

(741.)

Nachtreter im Schlimmen!

Im Reiche der Vorstellung waltet das Logische, Vernünftige ... woraus zu schließen ist, daß, wenn die Vorstellung erst den nöthigen Grad von Selbstständigkeit erlangt hat, sie allem Widervernünftigen (Antilogischen), was sie etwa in dem unvernünftigen (alogischen) Willen vorfindet, den Stab brechen und es zu vernichten suchen wird.

(741.)

Diese Stelle ist eine echte Giftblüthe auf dem Leichnam der Schelling’schen romantischen Philosophie.

Die Vorstellung ist, Ihrer Lehre gemäß, absolut passiv; der Wille absolut leere Form; das Bewußtsein nur Form. Und nun soll die Vorstellung, die Idee, plötzlich activ werden, soll Anti|pathie

ii635 empfinden, soll wollen! Sie machen einfach die Vorstellung zu Willen. O, Sie Tausendkünstler!

Wir haben gesehen, daß in der bestehenden Welt Alles auf das Weiseste und Beste eingerichtet ist, und daß sie als die beste von allen möglichen angesehen werden darf, daß sie aber trotzdem durchweg elend, und schlechter als gar keine sei. Dies war nur so zu begreifen, daß, wenn auch das »Was und Wie« in der Welt (ihre Essenz) von einer allweisen Vernunft bestimmt würde, doch das »Daß« der Welt (ihre Existenz) von etwas schlechthin Unvernünftigem gesetzt sein müsse, und dies konnte nur der Wille sein.

(742.)

Ganz unbegreiflich, Herr von Hartmann! Wenn der Wille nur das »Daß« setzt, die Vorstellung aber gar nichts Anderes als Vernunft kennt, hat und ist, so kann auch die Welt jederzeit nichts Anderes als realisirtes Vernünftiges, Gutes, Schönes, Wahres, Herrliches, Glückliches, Liebliches, Köstliches, Bezauberndes, Himmlisches u.s.w. sein.

Hier sehen Sie wieder, daß der Wille mehr als absolut leere Form und unabhängig von der Vorstellung sein muß, d.h. er muß furchtbare blinde Energie, muß eine Kraft sein, die Etwas will, die aber dieses Gewollte, eben durch sich selbst gehindert, nicht sofort erreichen kann; und dieses eine Einzige ist der absolute Tod. Alles Andere könnte die Kraft sofort erlangen, nur nicht die Vernichtung ihrer selbst.

Deshalb muß diese Kraft durch den Weltproceß abgetödtet werden. Diese Energie, d.h. die ihr Ziel in sich, ohne Vorstellung, tragende Kraft (Richtung der Wirksamkeit), dieser Wille zum Tode kommt seinem Ziele immer näher, je mehr er sich schwächt.

Sehen Sie, nun ist auf einmal Sinn in der Welt; aber in Ihrem Buche kann kein Sinn, sondern nur ein ohnmächtiges Herumwürgen mit der Wahrheit liegen, weil Sie den Willen zu einer absolut leeren Form machten, die ohne die Vorstellung Nichts vermag. Deshalb mußten Sie auch eine Welt construiren, in welcher die Pflanzen erkennen und fühlen, und die Pflastersteine denken. Was mögen wohl die »hellsehenden« Berliner Trottoir-Platten von Ihnen denken, wenn Sie – großer Denker! – sich über sie hinbewegen? O Sie sind groß! Sie sind sehr groß!

ii636 Die unbewußte Vorstellung hat zunächst und als solche keine Macht über den Willen, weil sie keine Selbstständigkeit gegen ihn hat; darum muß sie sich eines Kunstgriffes bedienen, die Blindheit des Willens benutzen und ihm an ihr einen solchen Inhalt geben, daß er durch eigenthümliche Umbiegung in sich selbst in der Individuation in einen Conflict mit sich selbst geräth, dessen Resultat das Bewußtsein, d.h. die Schaffung einer dem Willen gegenüber selbstständigen (!) Macht ist, in welcher sie nun den Kampf (!) mit dem Willen beginnen kann.

(743.)

Dieser blühende Unsinn bedarf keiner Verurtheilung: er richtet sich selbst.

Der All-Einige Wille fährt nach wie vor fort, das Leben zu packen, wo er dasselbe findet und packen kann.

(745.)

Darum ist das Streben nach individueller Willensverneinung eben so thöricht und nutzlos, ja noch thörichter als der Selbstmord, weil es langsamer und qualvoller doch nur dasselbe erreicht: Aufhebung dieser Erscheinung ohne das Wesen zu alteriren. Hiermit ist alle Askese und alles Streben nach individueller Willensverneinung als Verirrung erkannt und bewiesen (!), freilich als eine Verirrung nur im Wege, nicht im Ziele.

(ib.)

Was hälfe es z.B., wenn die Menschheit durch geschlechtliche Enthaltsamkeit ausstürbe? Die arme Welt bestände weiter, ja sogar das Unbewußte würde die nächste Gelegenheit benutzen müssen, einen neuen Menschen oder einen ähnlichen Typus zu schaffen, und der ganze Jammer ginge von vorne an.

(ib.)

Welche oberflächliche Naturbetrachtung! Welche »halbe Philosophie und ganze Verworrenheit«!

Ich habe in meinem Werke mit Recht constatirt, daß das Phänomen der Heiligkeit das allerbedeutsamste empirische Factum sei, an dem nur ein Rasender verächtlich vorbeisausen könne.

Ich habe ferner mit Recht constatirt, daß die herrlichste und schönste Erscheinung in der Menschheit der weise Held sei. Durch was unterscheidet er sich aber vom Heiligen? Nur durch den Wiedereintritt in die Welt, welcher er jedoch keine einzige Concession macht. Im Übrigen ist er ein Heiliger, d.h. er übt die Tugenden der Menschenliebe und Keuschheit in absoluter Weise aus.

ii637 Ich habe endlich nachgewiesen, daß die Verneinung des Willens zum Leben nicht der Gegensatz der Bejahung, sondern nur ein besseres Mittel zum Zwecke aller Wesen sei.

Thun Sie Buße, Herr von Hartmann. Ihre philosophische Sündenlast ist Schrecken und Mitleid erregend. –

Die Erlösung, die Umwandlung des Wollens in’s Nichtwollen ist auch nur als All-Einiger Act, nicht als individuelle, sondern nur als kosmisch- universale Willensverneinung zu denken.

(746.)

Die praktische Philosophie und das Leben brauchen einen positiven Standpunkt und dies ist die volle Hingabe der Persönlichkeit an den Weltproceß um seines Zieles, der allgemeinen Welterlösung willen.

(748.)

Der Instinkt wird noch weit kräftiger als im dritten Stadium der Illusion durch die bloße Aufhebung des Egoismus wieder in seine Rechte eingesetzt und die Bejahung des Willens zum Leben als das vorläufig allein Richtige proclamirt; denn nur in der vollen Hingabe an das Leben und seine Schmerzen, nicht in feiger persönlicher Entsagung und Zurückziehung ist etwas für den Weltproceß zu leisten.

(748.)

Und wie denken Sie sich diese Hingabe an das Allgemeine? Sie denken sich dieselbe, wie Sie schon oben unverblümt angedeutet haben, in folgender Weise: Wähle irgend einen Beruf, lerne irgend ein Handwerk, erwirb Geld, Gut, Ruhm, Macht, Ehre u.s.w., heirathe und zeuge Kinder; oder mit anderen Worten: Sie zerstören mit eigener Hand das einzige Verdienstvolle in Ihrem Werke: die Zergliederung der Illusion. Sie rathen urplötzlich Dem, der alle Illusion durchschaut hat: »Jage nach Illusionen«, als ob eine durchschaute Illusion noch eine Illusion sei und wirken könne. Der große geniale Herakleitos hatte ausgerufen: »Wehe euch Unglücklichen, die ihr nach dem Magen und den Schamtheilen messet das Glück!« und Sie sagen: Überwinde deinen Ekel, begatte dich, zeuge Kinder um der allgemeinen Welterlösung willen; miß »nach dem Magen und den Schamtheilen« dein Opfer für die Welterlösung.

Herr von Hartmann! Schon wieder erfaßt mich die Wehmuth.

Die von Ihnen geforderte Hingabe an das Allgemeine, welche man als den edelsten Kern Ihrer Philosophie gepriesen hat, ist |

ii638 also durchaus nicht edel: sie ist die Concession eines Talents an den Geist seines Zeitalters, nicht die kühne, freie, muthige Wahrheit, welche ein Genialer, sich als Bürger der Zukunft fühlend, allen seinen Zeitgenossen als Gesetz entgegenwirft. Die edle Hingabe an das Allgemeine ist die vom düsteren Herakleitos und von mir gelehrte, d.h. der entsagende Mensch tritt aus seinem äußeren Frieden (aus dem inneren kann er nicht gedrängt werden) heraus und blutet für die Menschheit, läßt sich von den Blinden, die er sowohl in den höchsten, als auch in den tiefsten gesellschaftlichen Schichten erlösen will, treten, schlagen, bespeien und an’s Kreuz schlagen.

Sie dagegen meinen, daß jeder Schuster und Schneider, der sich eine Familie gründet, jeder Börsenjobber, der um das goldene Kalb herumtanzt, kurz, Jeder, welcher lebt wie die allermeisten Menschen jetzt leben, ein weiser Held sei, ein weiser Held, der sich dem Weltproceß hingiebt. Sie setzen gleichsam eine Prämie auf Kindererzeugung und Unmoralität; denn Derjenige muß doch, nach Ihrer Lehre, der Verdienstvollste sein, welcher den Kampf und Streit in der Welt vermehrt.

Das Unvernünft’ge zu verbreiten,

Bemüht man sich nach allen Seiten;

Es täuschet eine kleine Frist,

Man sieht doch bald, wie schlecht es ist.

(Goethe.)

Die erste Bedingung zum Gelingen des Werkes (der Welterlösung) ist die, daß der bei Weitem größte Theil des in der bestehenden Welt sich manifestirenden Geistes in der Menschheit befindlich sei; denn nur dann kann die menschheitliche Willensverneinung den gesammten actuellen Weltwillen ohne Rest vernichten.

(750.)

Die zweite Bedingung für die Möglichkeit des Sieges ist, daß das Bewußtsein der Menschheit von der Thorheit des Wollens und dem Elend alles Daseins durchdrungen sei.

(751.)

Wir können diese zweite Bedingung noch dahin modificiren, daß nicht die ganze Menschheit, sondern nur ein so großer Theil derselben von diesem (pessimistischen) Bewußtsein durchdrungen zu sein braucht, daß der in ihr wirksame Geist die größere Hälfte des in der ganzen Welt thätigen Geistes ist.

(753.)

ii639 O glückseliges constitutionelles Zeitalter! Eine Majorität muß die Welt erlösen!

Aber haben Sie denn nicht bedacht, als Sie diese herrliche Phrase dichteten, daß Ihrer eigenen Lehre gemäß, der Wille sofort die Minorität »packen« (S. 745) und sie wahrscheinlich schon in einer einzigen Generation wieder zur Majorität machen mußte? Denn was sind die Individuen der ersten Majorität Anderes, als »aufgehobene Momente« des All-Einen Unbewußten?

Herr von Hartmann! Werden Sie mir übel nehmen, wenn ich Ihnen erkläre, daß mein Sessel im Zuschauerraume anfängt, für mich unbehaglich zu werden? Darf ich mich entfernen?

Sie bitten mich, noch einen Augenblick zu bleiben; Sie seien gleich mit Ihrem Gedicht fertig; es komme zum Schlusse eine prachtvolle Götterdämmerung, dann bengalische Weltbeleuchtung und ein kosmisches Feuerwerk.

Ich stamme von der Eva ab und bin deshalb – neugierig. So will ich denn bleiben. Fahren Sie gefälligst fort.

Es gehört mit zu der Signatur des Alterns der Menschheit, daß dem Wachsthum an intellektueller Klarheit nicht ein Wachsthum, sondern eine Verminderung der Energie des Gefühls und der Leidenschaft gegenüber steht.

(753.)

Ach, Herr von Hartmann, wie Sie die Welt und die Geschichte schlecht kennen!

Was hat Griechenland und Rom zu Fall gebracht? Die mit der gewachsenen Intelligenz auch gewachsene Leidenschaftlichkeit. Was vermehrt sich mit der Sensibilität? Die Irritabilität und das Leiden. Was ist mit jedem Genialen verbunden? Hochgradige Leidenschaftlichkeit.

Nur der ganze Wille, die Lebenskraft des Dämons, wird im Lauf der Menschheit schwächer; aber Sie haben ja nicht vom Dämon, sondern vom Gefühl und der Leidenschaft gesprochen.

Die dritte Bedingung ist eine genügende Communication unter der Erdbevölkerung, um einen gleichzeitigen gemeinsamen Entschluß derselben zu gestatten.

(753.)

Ein gleichzeitiger Majoritätsbeschluß! Ich wiederhole: O glückseliges constitutionelles Zeitalter, worin Alles durch Majoritäten geschlichtet und gerichtet wird!

ii640 So lange der vom Bewußtsein motivirte Oppositionswille noch nicht die Stärke des aufzuhebenden Weltwillens erreicht hat, so lange wird der stetig vernichtete Theil sich stetig wieder erneuen, gestützt auf den übrig bleibenden Theil, welcher die positive Richtung des Willens auch fernerhin sichert; sobald aber ersterer die gleiche Stärke wie letzterer erlangt hat, so ist kein Grund abzusehen, warum nicht beide sich vollständig paralysiren und auf Null reduciren, d.h. ohne Rest vernichten sollten.

(755.)

In Ihrem ganzen Werk haben Sie den Einzelwillen, wo Sie es konnten, maltraitirt, ja, Sie haben tausendmal in rasender Tollheit den Dolch auf ihn gezückt; der Dolch ist aber immer an der Hornhaut des Individuums abgeprallt. Endlich, als Sie sahen, daß Sie dem Individuum nicht beikommen konnten, wurden Sie zornig und erklärten es mit einem furchtbaren Wortschwall für ein »aufgehobenes Moment« im All-Einen Unbewußten. Jetzt auf einmal soll eine Majorität aufgehobener Momente, eine Masse von Nullen die Kraft haben, das allmächtige All-Eine Unbewußte zu zwingen, sich in sein »Überall und Nirgends« zurückzuziehen! –

Wie denken Sie sich die Götterdämmerung? –

Sie schweigen? – Gut, da bleibt mir nichts Anderes übrig, als mir dieselbe auszumalen.

Nachdem aus allen Erdtheilen in Berlin telegraphische Meldungen eingelaufen sind, worin die Anzahl Derjenigen, welche die Welt vernichten wollen, angegeben ist, addiren Sie die Willensverneiner und finden, daß die Majorität etwa 10,000 Menschen beträgt. Sie stoßen einen Freudeschrei aus und eilen alsbald in die Französische Straße, wo Sie, sagen wir 10,000 Depeschen aufgeben des Inhalts:

Morgen Mittag um zwölf Uhr präcise findet Welterlösung statt.

Alle haben sich gleichzeitig zu tödten.

Mordinstrument nach Belieben.

Der Mittag kommt und nun ermorden sich x Millionen Menschen. (Ich sage x Millionen, weil ich nicht wissen kann, wie groß die Menschheit sein muß, in welcher »der größte Theil des in der Welt sich manifestirenden Geistes« sich befinden soll. Sie werden |

ii641 dies schon längst auf Grund einer Wahrscheinlichkeitsberechnung gefunden haben; denn wie die in Ihrem Werke befindlichen Probabilitätsberechnungen beweisen, sind Sie ein ganz bedeutender Mathematiker. Vielleicht giebt uns Ihre nächste Schrift eine bestimmte Zahl an.)

Sofort beginnt die Götterdämmerung,

Der Mond nähert sich mehr und mehr der Erde. –

Die Minorität der Menschheit wird durch Feuer, das aus der berstenden Erde dringt, getödtet. –

Endlich stürzt der Mond auf die Erde. –

Beide Weltkörper zerbrechen in Milliarden Stücke. –

Diese Stücke tanzen dann der Sonne entgegen, welcher sich inzwischen die anderen Planeten genähert haben. –

Unser ganzes Sonnensystem ist schließlich ein ungeheures Flammenmeer, welches sich nach der Centralsonne bewegt, u.s.w., u.s.w., bis endlich Ruhe wird. Der All-Eine Wille und die Idee sind wieder überseiend geworden.

Wie schön! Wie erhaben, wie göttlich gedacht!

Wissen Sie, was die beste Illustration zum Entwicklungs- Pantheismus ist? Schwind’s Bildercyclus: die schöne Melusine.

Das erste und das letzte Bild zeigen die schöne Wasserfee im unbewegten Frieden ihres Nixenseins: still, ruhig, traurig aus ihrer Felsengrotte herausblickend. Zwischen diesen beiden Bildern liegt Freude und Trauer, Liebe und Leid, Glück und Unglück, Weh und Wonne, Schmerz und Wollust, Qual und Seligkeit: kurz, das seltsame Gemisch, das man Leben nennt und woran unser Herz so fest hängt.

Aber omne simile claudicat. In Schwind’s lieblicher Kunstschöpfung ist wenigstens Ein Mensch erlöst worden: der reuige Gemahl der schönen Nixe, der Ritter von Lusignan, dessen leidensvolle Pilgerfahrt an dem Herzen des geliebten Weibes, das er durch eigene Schuld verlor, ihren versöhnenden Abschluß durch den Tod findet. Und insofern ist allerdings Etwas durch den Proceß erreicht worden. In Ihrem Weltgemälde aber ist der Proceß ganz sinn- und resultatlos.

Ich wiederhole: Nicht für die cäsarische Macht über die ganze Erde möchte ich Ihre Philosophie des Unbewußten auf meinem Gewissen haben.

ii642

XIV. Die letzten Principien.

Wir sind in unseren bisherigen Untersuchungen immer wieder zwei Principien, Wille und Vorstellung, begegnet, ohne deren Annahme überhaupt Nichts zu erklären ist, und welche eben darum Principien, d.h. ursprüngliche Elemente sind, weil uns jeder Versuch, sie in einfachere Elemente zu zerlegen, von vornherein als ein aussichtsloser erscheint.

(757.)

Erinnern Sie sich gefälligst, Herr von Hartmann, daß es nur Ein Princip in der Welt giebt, und das ist der individuelle Wille, die Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung. Sein alleiniges Prädicat ist die Bewegung, in welcher die menschlichen Functionen des Gehirns mit eingeschlossen sind.

Ihre Philosophie ist natürlicher Dualismus, der schließlich mit offenbarer Gewalt zu Monismus gemacht wird. Doch was sage ich? Ihre Philosophie ist nicht Dualismus, sondern Principien- Pluralismus, wie ich Ihnen schon oben zeigte. Eigentlich haben Sie nicht weniger als vierzehn, sage vierzehn Principien aufgestellt, welche ich doch noch einmal aufzählen will:

1) Unbewußter Wille

2) Bewußter Wille

3) Unbewußte Vorstellung

4) Bewußte Vorstellung

5) Unbewußtes Denken

6) Bewußtes Denken

7) Unbewußtes Gefühl

8) Bewußtes Gefühl

9) Leib

10) All-Einer unbewußter Wille

11) All-Eine unbewußte Vorstellung

12) All-Eines unbewußtes Denken

13) All-Eines unbewußtes Gefühl

14) All-Einer Geist.

Wir setzten dieselben zunächst in der Weise voraus, wie der natürliche, am Gängelbande der deutschen Sprache gebildete Menschenverstand sie faßt, und veränderten, erweiterten und beschränkten dieselben dann nach Maßgabe, wie |

ii643 es das wissenschaftliche Erklärungsbedürfniß der Thatsachen forderte.

(757.)

Köstliches, naives, unbezahlbares Geständniß! Dieses offene Geständniß versöhnt mich vollkommen mit Ihnen.

Und darum will auch ich nicht müde werden, zur besseren Feststellung der letzten metaphysischen Principien mein Scherflein beizutragen, hoffend, daß recht bald ein Anderer komme, der es weiter bringt als ich.

(758.)

Ich glaube, daß dieser »Andere« schneller gekommen ist, als Sie erwarteten und Ihnen lieb ist.

Doch Dem sei wie ihm wolle, Sie sind nothwendig im Entwicklungsgang der Philosophie gewesen. Ihr mit Ernst festgehaltener pessimistischer Standpunkt sichert Ihnen, wie ich schon oben sagte, einen Ehrenplatz in der deutschen Nation. Ihr Pessimismus ist viel tiefer in’s Volk eingedrungen, als derjenige Schopenhauer’s, weil Sie sich dem Geist Ihres Zeitalters anbequemten, was Schopenhauer, als ein gesetzgebender Genialer, nicht thun konnte. Auch Ihre Schwäche, Ihr romantisches Traumorgan, mit dessen sophistischen Waffen Sie für die verlorenste Sache in der Welt, den Pantheismus kämpften, ist für die Wissenschaft nothwendig gewesen; denn ohne die mächtige Action nicht die mächtige Reaction: der Umschlag in den echten wissenschaftlichen Atheismus.

 

1. Rückblick auf frühere Philosophen.

Schelling’s Romantik hat in Ihnen ihre Auferstehung gefeiert. Es ist mir unbegreiflich, daß Ihnen Ihr guter Geist keine Warnung zugeflüstert hat, als Sie den falschen Weg betraten. Sie mußten sich sagen, daß Sie, wenn Sie dem großen Romantiker nachfolgen, das gleiche Schicksal wie ihn treffen wird. Wer spricht heutzutage noch von Schelling? Sie, ich und einige Gelehrten. Was ist von seiner Lehre als Ferment in die Massen gedrungen? Nichts. O, hätte Ihnen das Schicksal erst die Werke Schelling’s in die Hand gelegt, wann Sie gegen die Sirenentöne derselben gefeit gewesen wären! So aber desorganisirte Schelling Ihr junges Gehirn und Sie »rasten mit Vernunft«. Auf Ihrer Philosophie des Unbewußten sollte sich die verzückte Pythia auf dem Dreifuße, als bildliches Motto, befinden.

ii644

2. Der Wille.

Die Realität des Processes schließt die Endlichkeit desselben nach rückwärts, d.h. seinen Anfang vor einer von jetzt ab gerechneten endlichen Zeit ein. Der Anfangspunkt des Processes (mit und durch welchen erst die Zeit (!) anfängt) ist also der Grenzpunkt zwischen Zeit und zeitloser Ewigkeit.

(772.)

In dieser Stelle rächt sich wieder die in Ihrer Psychologie verleugnete Wahrheit. Nicht die Zeit hat mit der Welt angefangen, sondern die Bewegung. Die Zeit setzt ein denkendes Subjekt voraus; sie ist der subjektive Maßstab der Bewegung. Es muß demnach heißen:

Der Anfangspunkt des Processes ist also der Grenzpunkt zwischen Bewegung und absoluter Ruhe (Ewigkeit).

Die Zeit begann erst mit dem ersten denkenden Menschen.

Die Vorstellung kann von sich selbst nicht existentiell werden, nicht aus dem Nichtsein in’s Sein übergehen, denn sonst wäre sie ja Potenz oder Wille.

(773.)

Sie wollten offenbar sagen: »weltlich- existentiell« und »aus dem Übersein in das Sein«, was ich im Vorbeigehen bemerke.

Hier sind wir aber in einem Zirkel: das Wollen soll erst durch die Vorstellung existentiell werden, und die Vorstellung erst durch das Wollen.

(773.)

Es bleibt also nur die Annahme übrig, daß der Wille in einem zwischen reiner Potenz und wahrem Actus gleichsam in der Mitte stehendem Zustande auf die Vorstellung wirkt, in welchem er zwar bereits aus der latenten Ruhe der reinen Potenzialität herausgetreten ist, also dieser gegenüber sich schon actuell zu verhalten scheint, aber doch noch nicht zur realen Existenz, zur gesättigten Actualität gelangt ist, also von dieser aus betrachtet noch zur Potenzialität gehört. Nicht als ob dieser Zwischenzustand sich als zeitliches Intervall zwischen die vorweltliche Ruhe und den realen Weltproceß einschaltete, sondern er repräsentirt nur den Moment der Initiative .... Für diesen Zustand des Willens in der Initiative sagen wir: »leeres Wollen«.

(773. 774.)

Natürlich! »Denn eben wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.«

(Goethe.)

ii645 Das leere Wollen ist noch nicht, denn es liegt noch vor jener Actualität und Realität, welche wir allein unter dem Prädicat Sein zu befassen gewohnt sind; es weset aber auch nicht mehr bloß, wie der Wille an sich, als reine Potenz, denn es ist ja schon Folge von dieser, und verhält sich mithin zu ihr als Actus. Wenn wir das richtige Prädicat anwenden wollen, so können wir nur sagen: das leere Wollen wird, – das Werden in jenem eminenten Sinne gebraucht, wo es nicht Übergang aus einer Form in eine andere, sondern aus dem absoluten Nichtsein (!) (reinem Wesen [!]) in’s Sein bedeutet.

(774.)

Wenn der Wille an sich der wollen könnende (folglich auch nicht-wollen könnende oder velle et nolle potens) Wille ist, so ist das leere Wollen der Wille, der sich zum Wollen entschieden hat, (also nicht mehr nichtwollen kann), der wollen wollende, nun aber nicht wollen könnende, genauer: wollen nichtkönnende (velle volens, sed velle non potens) Wille, bis die Vorstellung hinzukommt, welche er wollen kann.

(774.)

Als leere Form kann es (das leere Wollen) erst wirklich existentiell werden, wenn es seine Erfüllung erlangt hat, diese Erfüllung kann es aber an sich selbst nicht finden, weil es eben nur Form und nichts weiter ist.

(775.)

Alle diese erhabenen Stellen richten sich selbst.

Der Zustand des leeren Wollens ist also ein ewiges Schmachten nach einer Erfüllung . . . d.h. es ist absolute Unseligkeit (?) Qual ohne Lust, selbst ohne Pause.

Auch ohne – – Nerven, Herr Doctor? (601)

Insoweit das leere Wollen nur momentaner Impuls ist, der sogleich die (mit ihm wesensidentische [!] also sich ihm gar nicht entziehen könnende) Idee als Inhalt ergreift, insoweit kommt es nicht zu einer solchen vorweltlichen Unseligkeit. Wohl aber kommt es zu einer außerweltlichen (!) Unseligkeit leeren Wollens neben dem erfüllten Weltwillen. Denn der Wille ist potentiell unendlich (!), und in demselben Sinne ist seine Initiative, das leere Wollen unendlich (!); die Idee aber ist endlich (!) ihrem Begriff nach (wenn schon unendlicher [!] Durchbildung in sich fähig), so daß auch nur ein endlicher Theil des leeren Wollens von ihr erfüllt werden kann (und nur eine endliche Welt entstehen kann).

(775. 776.)

ii646 Das ist nun Ihr Beweis für die Endlichkeit der Welt. Was soll ich aber gar zu Ihrem Durcheinander von »unendlich« und »endlich« auf dem Gebiete des Dinges an sich sagen? Ich sage:

»Redliche Naturforscher! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an Herrn von Hartmann.«

Und wieder faßt mich »der Menschheit ganzer Jammer an.« Man höre die folgende Stelle:

Es bleibt also ein unendlicher (!) Überschuß des hungrigen leeren Wollens neben und außer dem erfüllten Weltwillen bestehen, welcher nun in der That bis zur Rückkehr des gesammten Willens zur reinen Potenzialität rettungslos der Unseligkeit verfällt.

(776.)

Großer Herr von Hartmann! Das haben Sie wohl Alles in mystischer Verzückung gesehen? Möge Schopenhauer wieder einmal für mich reden:

Es läßt sich nichts Unphilosophischeres denken, als immerfort von Etwas zu reden, von dessen Dasein man erwiesenstermaßen keine Kenntniß und von dessen Wesen man gar keinen Begriff hat.

(Parerga I. 202.)

Doch fahren Sie fort.

Die Idee liegt dem Willen gleichsam vor der Nase.

(777.)

Wer hat Ihnen den Philosophenmantel gegeben? Glauben Sie wirklich im Ernste, daß auch nur Einer der großen Philosophen: Zoroaster, Budha, Salomo, Christus, Pluto, Herakleitos, Spinoza, Locke, Berkeley, Hume, Kant, Schopenhauer, Ihnen erlaubt haben würde, sein Schleppträger zu sein? Mit namenloser Verachtung würden sie Ihnen einen Wink gegeben haben, zu verschwinden. In so leichtfertiger plumper Weise wie Sie hat noch kein Philosoph über göttliche Dinge geschrieben. Genau so wie Sie philosophirte Bruder Miericke, der bekannte Glückseligkeitsapostel, der vor einigen Jahren mit seinen burlesken Stegreifpredigten das Publikum der Berliner Restaurants allabendlich zur stürmischsten Heiterkeit hinriß. Auch er sagte:

»Lieben Brüder! Das Glück liegt vor eurer Nase. Greifet nur in die Fülle, so werdet Ihr selig werden, lieben Brüder.«

ii647 Aus dieser Umarmung der beiden überseienden Principe, des zum Sein entschiedenen Seinkönnenden und des Reinseienden, wird also das Sein gezeugt; wie wir schon wissen, hat es vom Vater sein »Daß«, von der Mutter sein »Was und Wie.«

(777.)

Also: Ein einziges Wesen umarmt sich und zeugt! Großer Herr von Hartmann!

Wird also das existentielle Wollen plötzlich durch ein existentielles nichtwollen-Wollen zu Nichte, ... so hört selbstverständlich auch das leere wollen-Wollen (und wollen- Nichtkönnen) auf, und die Rückkehr in die reine an sich seiende Potenz ist vollzogen, der Wille ist wieder, was er vor allem Wollen war: wollen und nichtwollen könnender Wille; – denn das Wollen-Können freilich ist ihm auf keine Weise zu nehmen.

(778.)

Wie oben: Schwind’s Melusine.

Es giebt nämlich im Unbewußten weder eine Erfahrung, noch eine Erinnerung ... Ist dem aber so, und muß bei der Unmöglichkeit, eine Erinnerung im Unbewußten zu statuiren, die einschmeichelnde Illusion der Hoffnung auf endgültigen, wohl gar seine Endgültigkeit genießenden Frieden nach Schluß des Weltprocesses als frommer Wahn beseitigt werden, so bleibt unzweifelhaft die Möglichkeit offen, daß die Potenz des Willens noch einmal und von Neuem sich zum Wollen entscheidet, woraus dann sofort die Möglichkeit folgt, daß der Weltproceß sich schon beliebig oft (!) in derselben Weise abgespielt haben kann.

(779.)

Ja, Sie haben Recht, Herr von Hartmann: Ihre Philosophie ist »hart, kalt und fühllos wie Stein.« Ihr barer Unsinn kann auch keine Bekenner finden.

 

3. Die Vorstellung oder Idee.

So ist also die Idee als das rein Seiende primo loco ein bloßes Formalprincip (!), das formal Logische, und erst die angewandte Welt-Logik, nämlich die Anwendung auf das vorgefundene Antilogische erfüllt vermittelst dieser Bethätigung des Formalprincips behufs Aufhebung des in sich Widerspruchsvollen (?), die Idee mit dem Inhalt des Zwecks, und damit implicite zugleich mit dem ganzen idealen Apparat der Mittel zu |

ii648 diesem Zweck (d.h. dem idealen Inhalt der Welt in allen Stadien ihres Processes).

(783.)

Nun hätte ich endlich den klaren Gipfel Ihrer Philosophie erreicht. Also:


Date: 2015-01-02; view: 883


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X. Die Individuation. | 
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