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V. Höhere Ansicht.

 

ii333u

So wäre ich denn da angekommen, wo ich darauf aufmerksam machen darf, daß ich nur deshalb über die beiden großen Ideale: Communismus und freie Liebe, so unbefangen und freimüthig sprechen konnte und durfte, weil sie meine Ideale nicht sind, weil ich etwas weit Besseres sowohl gelehrt, als auch in der Hand habe.

Ich verweise auf mein Hauptwerk und auf die Essays über den Budhaismus und das Christenthum in diesem zweiten Bande. Meine Ethik ist identisch mit der Ethik Budha’s und der des Heilands, welche beiden absolute Entsagung verlangen: Armuth (oder was dasselbe ist: bloße Befriedigung der Lebensnothdurft auch inmitten der Fülle) und Virginität.

Christus löste ein Band nach dem anderen durch Gebote vom Menschen ab: äußeren Besitz, Familienbande, eheliches Band, – und Budha that dasselbe, nachdem er sich selbst als leuchtendes Beispiel aufgestellt hatte: er entsagte dem Thron, verschenkte allen Besitz, wurde ein Bettler, und berührte von da ab kein Weib mehr. Auch erinnere ich an die wunderschöne Wessantara- Erzählung, wonach Budha sein Weib und seine liebreizenden Kinder als Almosen verschenkte.

ii334 Meine Philosophie blickt über den idealen Staat hinaus, blickt über Communismus und freie Liebe hinaus, und lehrt nach einer freien, leidfreien Menschheit den Tod der Menschheit. Im idealen Staate, d.h. in den Formen des Communismus und der freien Liebe, wird die Menschheit das »hippokratische Gesicht« zeigen: sie ist dem Untergang geweiht; und nicht nur sie, sondern auch das ganze Weltall. –

Himmel und Erde werden vergehen.

Christus.

Das Weltall wird ganz bestimmt zerstört.

Budha.

Ich weiß wohl, daß es Viele giebt, welche, wie der vortreffliche Riehl, sich zurücksehnen nach den festen Formen des Mittelalters, nach den gediegenen Ständen: nach einem tüchtigen reichen Adel, einem reichen Bürgerthum, nach Handwerkern auf schmalem, aber goldenem Boden, trotzigen Bauern; und nach der strengen Familienzucht in allen Ständen: nach Gottesfurcht, Ehrfurcht vor dem Alter, unbedingtem Gehorsam der Kinder. Aber war es denn die Folge einer Laune Einzelner, daß alle diese Formen, denen man, im Mittelalter stehend, »ewige« Dauer zusprechen mußte, mit der Zeit mürbe wurden und zerbrachen? oder war es der unerbittliche Gang der Menschheit nach dem göttlichen Gesetze, dem unwandelbaren heiligen Willen der Gottheit vor der Welt, welcher die stählernen Formen zerrieb? Der Weise erkennt dieses Gesetz und beugt sich in Demuth, ja mit inniger Freude, denn am Ende des Weges liegt der Tod der Menschheit, der ihrem vortrefflichsten und schönsten Leben vorzuziehen ist.

Im idealen Staate wird es der Menschheit wie dem König Lear zu Muthe sein, als all sein erlittenes, tiefes Weh unterging im Anblick seiner klaren Cordelia:

Wo war ich denn? wo bin ich? — Heller Tag? —

Man täuscht mich arg — ich stürbe wohl vor Mitleid,



Erblickt’ ich Andere so — wie ist mir doch?

Ich will nicht schwören, dies sei meine Hand —

Laß seh’n! — ich fühle diesen Nadelstich.

Wär’ ich doch überzeugt von meinem Zustand!

(Aufz. IV. Sc. VII.)

ii335 Und wie König Lear, so wird die Menschheit auch überzeugt werden von ihrem leidfreien Zustand, aber nur, um wie er, bald darauf in die Arme des Besseren zu sinken, d.h. zu sterben. Das Leben der Völker ist im Grunde ganz wie das Leben der Einzelnen und dieses ist im König Lear am concentrirtesten gespiegelt, Lear stirbt mit allen seinen Kindern: die Wurzel und die Krone sterben, der ganze Baum verdorrt. –

O du zertrümmert Meisterstück der Schöpfung! –

So nutzt das große Weltall einst sich ab

Zu Nichts.

(Aufz. IV. Sc. VI.)

Ich würde mir einen Mangel an Ehrerbietung gegen meine Lehrer, die zugleich meine treuesten Freunde sind, zu Schulden kommen lassen, wenn ich diesen Essay abschlösse, ohne des »göttlichen« Plato gedacht zu haben.

In seiner reifsten Gedankenfrucht, in den Büchern vom Staate, hat er sich in unübertrefflicher, dialogischer Darstellungsweise sehr eingehend mit der bestmöglichen Staatsverfassung beschäftigt und ist zu den überraschendsten Resultaten gelangt.

Das Wesentliche seiner Abhandlung ist, daß er den socialen Körper aus drei Bestandtheilen zusammensetzte: aus Handarbeitern im weitesten Sinne, aus Kriegern und Herrschern. Im Grunde aber liegen nur zwei Stände vor, denn die Herrscher wurden den Kriegern (Wächtern) entnommen.

Den Beherrschten schrieben die Herrscher nur die besten Gesetze vor: innerhalb der gesetzlichen Schranken konnte sich das Leben der Handarbeiter gestalten, wie es wollte. In dieser unteren Kaste bestand Privat- Eigenthum und Monogamie. In der oberen reineren Kaste dagegen bestand Besitzlosigkeit (Ernährung durch die untere Kaste) und Weibergemeinschaft.

Sämmtliche Kinder wurden vom Staate erzogen (schwächliche wurden getödtet), geprüft und nach der Prüfung solche der unteren Kaste, welche Befähigung zum Wächteramte hatten, in die obere Kaste, solche der oberen Kaste dagegen, welche keine hervorragenden Anlagen zeigten, in die untere versetzt.

Hierdurch wurde auf die schönste und gerechteste Weise die starre, aber nothwendige Schranke zwischen den beiden Ständen durchbrochen: die Mauer war gleichsam unvernichtbar, aber überspringbar.

Die Kindererziehung durch den Staat war mithin ein allgemeines Gesetz; dagegen waren der Communismus und die Polygamie Institute, welche nur die reinste Kaste umschlossen. Dadurch |

ii336 hat der »Göttliche« klar und deutlich ausgesprochen, daß sie reinere und edlere Formen seien, als das Privat- Eigenthum und die Monogamie.

Plato hatte einen außerordentlich feinen Kopf. So entging ihm auch nicht, daß die Bildung (gymnische und musische) die wohlthätigsten Folgen in progressiver Steigerung habe. Er wies darauf hin, daß gebildete Eltern begabte Kinder erzeugen, und diese wiederum, im reinen Aether der Bildung aufwachsend, edlere und geistig befähigtere Kinder erzeugen würden (De Rep. IV). Goethe sagt dasselbe mit den Worten:

Man könnt’ erzogene Kinder gebären,

Wenn die Eltern erzogen wären.

An diesem Staatsideal Plato’s kann man übrigens sehr deutlich den gewaltigen Fortschritt erkennen, den die Menschheit inzwischen gemacht hat. Plato glaubte mit Recht, daß sein Staat nur einen sehr kleinen Theil des griechischen Volkes umfassen könne: er machte einen bestimmten, sehr engen Umfang zur unerläßlichen Bedingung seines Staates. Außerdem glaubte er wohl schwerlich, daß sein Ideal je real werden könne. Heutzutage dagegen erstreckt sich die sociale Frage über alle Völker und man sucht die beste Form für die ganze Menschheit, um sie zu verwirklichen.

Das schwellt den Busen und freudestrahlend blickt die Seele aus hellen Augen.

Zum Schlusse noch eine Bemerkung.

Fragt man mich, ob ich Bürger eines idealen Staates sein wolle, so werde ich rund sagen: Nein!

Fragt man mich dagegen, ob ich Gut, Blut und Leben an die Verwirklichung eines idealen Staates setzen wolle, so werde ich ohne Umschweife und Limitation sagen: Ja!

Ich würde »nein« sagen, weil ich in Absicht auf mein individuelles Wohl gar kein Interesse an einem idealen Staate habe.

Ich würde dagegen »ja« sagen, weil die Erlösung der Menschheit vom idealen Staate abhängt.

Der Einzelne kann sich in den allerverrottetsten socialen Zuständen und in allen erdenklichen Staatsformen, in der absolutesten Monarchie sowohl, wie in der zügellosesten Republik erlösen; – |

ii337 die Masse nur im idealen Staate; denn erst muß sie Alles, was die Erde an Genüssen bieten kann, gekostet haben, um sich vom Leben an sich abwenden zu können. Diese Befriedigung der Genußsucht Aller ist aber nur im idealen Staate möglich. Weil dies nun der Fall ist und weil andererseits die Bestimmung der Menschheit die Erlösung ist, deshalb muß der ideale Staat in die Erscheinung treten und deshalb wird er auch real werden.

Uebrigens wäre es ein schwerer Irrthum zu glauben, daß die sociale Frage nur die unteren Klassen unter sich begreife: die Individuen der oberen Klassen sollen wider ihren Willen leidlos, die der unteren mit ihrem Willen leidlos gemacht werden. Die sociale Frage ist eine Bildungsfrage.

Wie zur Zeit Christi liegen die socialen Verhältnisse unserer Tage. Oben Zuchtlosigkeit, Aberglauben (Spiritismus), Ruhelosigkeit, Fäulniß, flehentlicher Ruf nach einem Motiv, das verinnerlichen kann, – unten Verzweiflung, Elend, Noth, wildes Geschrei nach Erlösung aus unerträglicher Lage.

Da können keine Kathedersocialisten, keine der liberalen Parteien und keine Knotenstockhelden helfen. Es kann auch nicht der reformirte Jesuitenorden, noch weniger der Freimaurerorden helfen. Der letztere umfaßt Gerechte und Ungerechte, Gute und Schlechte, und seine Wirksamkeit ist eine wesentlich limitirte, fast ausschließlich auf das Wohl seiner Mitglieder gerichtete. Es kann auch kein einzelner Stand, noch die Kirche helfen, denn diese muß unzählige Compromisse mit den Schwächen der Menschen, ihren Standesvorurtheilen und mit der Macht abschließen.

Ueberall herrscht Unwissenheit, und deshalb sind die Organe des Geistes verkümmert. Er legt das Ohr auf das Herz des Volkes und sagt: ich höre Nichts; er blickt in das Herz des Volkes und sagt: ich sehe Nichts; er legt die Hand auf die Brust des Volkes und sagt: sie ist behaglich warm, – wie man Wärme empfindet, wenn man einen Schneeball mit der Hand umspannt.

Was Noth thut, ist ein Bund der Guten und Gerechten, ein Bund, den nur Gute und Gerechte bilden und der seine Wirksamkeit auf alle Menschen richtet, oder mit einem Wort: Gralsritter, Templeisen, gluthvolle Diener des in der Taube verkörperten göttlichen Gesetzes: Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Keuschheit.

ii338 Schon vor Jahren hat Gutzkow geschrieben:

Unsere Zeit ist reif für eine neue Messias- Offenbarung. Was würden denn die Mächtigen beginnen mit einer Persönlichkeit, die alle Bedingungen eines großen Propheten in sich trüge? Sei er nur rein in seinen Anfängen, achtbar in seiner Bildung, begabt mit der Macht der Rede, sei er nur tief in seinen Studien, um vor dem Dünkel der Gelehrsamkeit nicht erschrecken zu müssen, sei er nur sittenrein in seinem Wandel, enthaltsam, bescheiden, fessele er die Menschen durch eine gewinnende Persönlichkeit und sei er ein großer Dichter des Lebens, der würdig ist, sein eigener Gegenstand zu sein, – wer wollte ihn dann in Banden halten, mürbe machen durch die kleinen Quälereien unserer Civilisation? Er wäre der Welt, was Christus den Juden war.

Es ist eine Stille in die Seelen der Welt eingetreten, die das Ohr schärft, das Wehen und Nahen der Gottheit zu vernehmen.

(Die Ritter vom Geiste.)

Wer wollte denn einem Bund von nur drei solcher reinen »Templeisen«, welche die Taube des heiligen Geistes in ihrer Brust und auf ihrer Brust trügen, widerstehen? Nicht die ganze Menschheit, die zum weichen Thone würde, dem sie mit lächelndem Munde und friedvollen Augen die Gestalt gäben, welche in ihrem Geiste und in ihrem Herzen wohnt: die Gestalt einer leidlosen Menschheit.

 

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Neunter Essay.

 


Date: 2015-01-02; view: 1062


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IV. Die allmälige Realisation der Ideale. | Der praktische Socialismus.
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