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II. Der Communismus.

 

ii280u

Ist nun der Communismus vollständige Aufhebung des Privat- Eigenthums?

Im Grunde ist er dies nicht. Tritt der Communismus in die Erscheinung, so wird alles Eigenthum der Einzelnen in die Hände der Gesammtheit, des Staates, gelegt und dieser verwaltet nur das Vermögen Aller und zwar derartig, wie wir später sehen werden, daß die Reichen keinerlei wirklicher Verlust trifft. Es bleibt mithin das Eigenthum bestehen und es geschieht nur Das, was Fürsten und sehr reiche Leute schon seit Beginn der Geschichte gethan haben und thun: sie bekümmern sich nicht um ihr Eigenthum, das Ein Mann auch gar nicht verwalten könnte, weil es zu groß ist; sie übergeben es Verwaltern und beziehen den Ertrag. Auch glaube man nicht, daß dieser Weg für die meisten Menschen ein ganz neuer wäre. Vom Augenblick an, wo der Staat in der mangelhaftesten Grundform gebildet wurde, betrat ihn die ganze Menschheit, um ihn nicht mehr zu verlassen. Denn was ist jede |

ii281 dem Staat gezahlte Steuer Anderes als ein Stück Eigenthums, das ihm für bestimmte Zwecke vom Einzelnen zur Verwaltung übergeben wird? Der Staat baut dafür Eisenbahnen, legt Chausseen an, hält Pferde und Postwagen, errichtet Telegraphen, unterhält ein Heer, läßt Recht sprechen, unterrichtet, regiert, kurz entrichtet von einem Stück Eigenthums eines jeden Einzelnen jahraus, jahrein jedem Einzelnen Zinsen, welche hundertmal mehr betragen als das geliehene Kapital, ja, eine Rente repräsentiren, welche gar nicht in Geld abgeschätzt werden kann; denn kann auch nur der leiseste Zweifel darüber bestehen, daß es sich um Vortheile handelt, welche sich der Einzelne, wenn er allein oder selbst in kleineren Gruppen stände, nie verschaffen könnte?

Wir wandeln also thatsächlich schon Alle auf dem Wege, an dessen Ende die Uebergabe alles Privat- Eigenthums in Eine Hand stattfinden wird. Jetzt opfern wir Stücke unseres Eigenthums, wozu auch, wie schon bemerkt, unsere Thätigkeit, also unsere ganze Person gehört: wir geben Theile unseres äußeren Besitzes und unseres Blutes hin, um Zinsen von unschätzbarem Werthe davon zu erhalten. Und schon hierin liegt ein deutlicher Fingerzeig auf das Glück des Communismus. Was wären wir ohne den Staat? Diese Frage sollte Jeder, Morgens und Abends, an sich stellen und sollte sie der Wahrheit gemäß beantworten: wilde Bestien, Tiger und giftige Schlangen. Bringt aber die Opferung eines kleinen Theils unserer Habe eine solche Fülle des Segens, wie muß es da erst sein, wenn wir diesem Zauberer, Staat genannt, alle unsere Habe und alle unsere Kraft geben?

Unser erstes Resultat ist also:

daß der reine Communismus das Privat- Eigenthum nicht aufhebt, sondern die Menschen nur zu Rentnern macht; ferner, daß der Weg zum Communismus gar nicht erst einzuschlagen ist: wir Alle wandeln schon darauf.



Das echte Sinnbild des Communismus ist der Bienenstock. Keiner einzelnen Biene gehört eine Wabe: alle Waben gehören allen Bienen und jede Biene hat den gleichen Antheil an dem süßen Honig.

Dies leitet uns zur anderen Frage über:

Wäre das Leben in einem solchen Staate gelähmt, wäre die Bewegung schwach und schleichend?

Alle Güter der menschlichen Gesellschaft haben einen Werth, |

ii282 der in Geld ausgedrückt werden kann, oder mit anderen Worten: das Geld ist der Repräsentant aller Güter. Was ist das eigentliche Gepräge des Geldes? Ist es das Bildniß eines Königs, eines Kaisers, einer Freiheitsgöttin? Nein! das kann es nicht sein. Sein eigentliches Gepräge ist:

Leben und Genuß.

Das Metall oder gar die erbärmlichen Papierfetzen mit den Zahlen 10, 100 oder 1000 sind todt und kalt. Gold, Silber, Kupfer, Nickel und Papiergeld würden den Hunger nicht stillen, die Geschlechtslust nicht befriedigen, die Vergnügungssucht nicht besänftigen, ob man sie auch haufenweise verschlänge oder sie jahrelang in Berührung mit unserem Körper brächte. (Ich sehe davon ab, daß das meistens fettige und schmutzige Papiergeld den Hungertod des Menschen einige Stunden hinausschieben könnte.) Dagegen stillen Nahrungsmittel unseren Hunger, kitzeln Burgunder, Rauenthaler, Champagner, Austern, Straßburger Gänseleber-Pasteten, Schnepfendreck, Geflügelcompositionen u.s.w. den Gaumen, (Alexander Dümas steckte einen Krammetsvogel in eine Schnepfe, die Schnepfe in eine Taube, die Taube in eine Ente, die Ente in eine Gans, die Gans in eine Truthenne und briet das Ganze, das sehr schmackhaft gewesen sein soll.) Ferner befriedigen Weiber, resp. Männer, die Geschlechtslust, und stillen Carossen, Reitpferde, Reisen in Italien, Griechenland und Egypten, Theater, Concerte, Bälle, Jagden u.s.w. unsere Vergnügungssucht. Und alle diese Dinge kann man für wenig oder viel Geld haben. Das Geld wird deshalb bewußt und dämonisch geliebt, begierdevoll ersehnt und krampfhaft festgehalten, wenn es in der Höhlung der Hand liegt, oder mit Argusaugen bewacht, wenn es in der Schatzkammer funkelt, resp. fettig glänzt (Papiergeld).

Der Mensch arbeitet also nicht des Geldes als Zwecks, sondern als Mittels wegen; er will sich ein Mittel erwerben, um seine Lebensnothdurft oder seine Genußsucht zu befriedigen.

Dies thut auch der Geizige; denn er häuft Schätze auf, entweder im Hinblick auf seine Lebensnothdurft, wenn er die Wechselfälle des Lebens erwägt, oder im Hinblick auf die Befriedigung seiner Genußsucht. Im letzteren Falle verschiebt er nur immer den Moment, wann er genießen will, und kommt nie dazu.

Das Eigenthum, resp. sein Repräsentant, das Geld, kann also an |

ii283 und für sich kein Motor im Leben der Menschheit sein. Die einzigen Motoren kommen von innen; sie sind: der Hunger und die Genußsucht. Der Dichter sagt:

Der Hunger und die Liebe

Erhalten das Getriebe.

Er hütete sich wohl zu sagen: das Eigenthum erhält das Getriebe. In seinem Vers habe ich nur den Motor Liebe zu bemäkeln. An seine Stelle müßte Begierde schlechthin oder Genußsucht (welche die Liebe in sich schließt) gesetzt werden; aber da würde der Reim fehlen und man muß selbst schon einmal einen Sonntagsritt auf dem Pegasus gemacht haben, um zu wissen, daß die Dichter mit sich und ihren kostbaren Reimen nicht spaßen lassen. Wir wollen deshalb schleunigst diesem gefährlichen Boden entfliehen.

Würde mithin das Privat- Eigenthum in Eine Hand, in die des Staates gelegt, so würde das Leben des Einzelnen nicht der mächtigsten Triebfeder beraubt werden. Nach wie vor würde den Magen des Menschen der Hunger peinigen, und in seiner Brust würde dämonisch wild die Genußsucht nach Befriedigung schreien. Die oben erwähnten Doctrinäre haben also nichts Anderes als ein albernes Gespenst gesehen. Der Communismus hat weder Hörner noch einen Pferdefuß. Nun wollen wir sehen, ob er nicht gar ein Engel mit wohlwollenden Augen ist.

Die Genüsse hat Schopenhauer sehr artig eingetheilt in Genüsse

der Reproductionskraft

der Irritabilität und

der Sensibilität.

Zu den ersteren zählt er: Essen, Trinken, Verdauen, Ruhe und Schlaf; zu denjenigen der zweiten Art: Wandern, Springen, Ringen, Tanzen, Fechten, Reiten, athletische Spiele, Jagd, Kampf und Krieg; zu den letzteren: Denken, Dichten, Bilden, Musiciren, Lernen, Lesen, Meditiren, Erfinden und Philosophiren.

Was mich außerordentlich verwundert, das ist, daß der große Mann unter den Genüssen der Reproductionskraft den geschlechtlichen Genuß, die Hauptsache, vergessen hat; denn darin muß man Goethe Recht geben, daß er die Liebe für den Hauptbestandtheil der Genußsucht hielt.

Sonst sind alle Hauptgenüsse aufgeführt und wir können das Schema unserer weiteren Betrachtung zum Grunde legen.

ii284 Prüfen wir nun die Genüsse in Beziehung auf die verschiedenen Klassen der heutigen Gesellschaft genau, so werden wir finden, daß diejenigen der Reproductionskraft vorzugsweise allgemein- menschliche sind, denn sie entspringen Bedürfnissen, welche mit dem Leben als solchem verknüpft sind und von deren Befriedigung die Erhaltung im Leben (Leben im weitesten Sinne, auch über die individuelle Lebensdauer hinaus genommen) abhängt.

Der geschlechtliche Genuß, die Hauptsache, wird dem Proletarier so gut wie dem König zu Theil. Ja, blicken wir tiefer, so ist auch die Ausschweifung dem Ersteren zugänglich. Der Unterschied, welchen man aufstellen könnte, ist ein Unterschied auf der Oberfläche und wird vom Proletarier nicht empfunden. Für den Wollüstling der höheren Gesellschaftsschichten ist brillante Kleidung, raffinirte Handwerksroutine und zuweilen auch Tournüre und geistige Bildung, ja Witz und Esprit der Courtisanen Bedingung für den Genuß. (Ich schweige von jenen Seltsamen, die, wie sie gern verfaultes Fleisch essen, so auch gern ihren Samen in lebendes Aas legen.) Der ausschweifende Proletarier dagegen legt gewöhnlich keinen Werth auf solche Ornamentik, weil er in Lumpen und Lappen geboren wurde und wild aufgewachsen ist.

Bei den anderen Genüssen der Reproductionskraft mit Ausnahme des Schlafs kann man dasselbe aussprechen, d.h. man kann sagen, daß sie jedem Menschen zu Theil werden und zugleich kann man auf der Oberfläche Unterschiede machen; denn die Regel ist, daß jeder Mensch sich satt ißt, über Durst trinkt, verdaut und auch einige Zeit mit offenen Augen ruht. Ferner steht fest, daß es sehr viele Fresser und Feinschmecker auch in den niederen Klassen giebt. Wer wird denn behaupten wollen, daß es einem Arbeiter, der sich in Schnaps oder Bier berauscht, sowohl während des Trinkens als im Rausche nicht eben so behaglich zu Muthe ist wie demjenigen, der sich in Sekt einen Zopf holt? Oder wer wird behaupten wollen, daß der Grad des Genusses, den ein moderner Lucullus empfindet, wenn er dem Gotte Bauch opfert und die kunstreich mit dem höchsten culinarischen Scharfsinn erdachten und bereiteten Massen dem viehisch gemästeten fettglänzenden Speckhalse hinunterwürgt, während die Augen selig halb geschlossen sind und der Saft an den Mundwinkeln herabträufelt, daß, sage ich, der Grad dieses Genusses geringer sei als derjenige des bäuerischen Schlemmers, der vor einer |

ii285 großen Schüssel mit Sauerkraut und Pökelfleisch, Leberklößen, frischem abgekochtem Schweinefleisch, Schweinebraten und Würsten aller Art sitzt und ein Stück nach dem anderen in den Schlund stopft, bis die Schüssel leer ist?

Auch bei der Ruhe sind nur oberflächliche Unterschiede zu machen. Den meisten Arbeitern genügt eine kurze Pause, weil sie ja doch mit ihrer freien Zeit nichts Besseres anzufangen wissen, als sie im Wirthshaus zu vergeuden. Außerdem wird nuten wie oben gehörig von Einzelnen gefaullenzt.

Der Schlaf endlich gehört, streng genommen, gar nicht hierher; denn die Hauptbedingung des Genusses ist helles Bewußtsein.

Und dennoch giebt es in Betreff der Genüsse der Reproductionskraft einen großen echten Unterschied zwischen Armen und Reichen. Er liegt aber in den Ausnahmen von den Regeln: Viele Armen können sich nicht satt essen und ihre Nahrung ist schlecht; viele Armen haben im Zusammenhang hiermit und ganz abgesehen von Gram und Kummer, der die Begattung gewöhnlich vereitelt, eine geringe Quantität Spermas; viele Armen haben anstatt des angenehmen Gefühls der Verdauung einen immer knurrenden Magen; viele Armen können sich keine fünf Minuten Ruhe gönnen, wenn sie nicht verhungern wollen; viele Armen haben Tage von zwanzig Stunden und Nächte von nur vier Stunden; viele Armen endlich sehnen sich nach den Tafelfreuden der Reichen, entweder weil sie vorübergehend das Bessere empfunden haben, oder aus dem lichten Tag des Reichthums in die öde Nacht des Elends gestoßen worden sind.

Betrachten wir die Genüsse der Irritabilität, so scheinen sogar die niederen Klassen entschieden im Vortheil zu sein; denn erstens leben die Bauern während des größten Theils des Jahres in Gottes freier Natur; dann wird in den unteren Schichten der Gesellschaft gewiß mehr und mit größerer Lust getanzt als in den oberen; ferner wird man doch nicht behaupten wollen, daß in den oberen Schichten jenes schöne entzückende Spiel der Muskelkräfte, welches man Keilerei nennt, so häufig wie im Proletariat und auf dem Lande sei; dann werden bestimmt von den Arbeitern mehr Vergnügungspartien gemacht als von den Reichen; außerdem erhalten viele dieser Genüsse erst die richtige süße Würze durch den Contrast mit harter Arbeit, von welcher Würze die meisten Reichen gar keine Ahnung haben; endlich sind im Heere alle Stände vertreten.

ii286 Indessen, was halten die frischen Bauernjungen und rüstigen Schneider, Schuster, Sattler, Klempner, Bäcker, Schmiede, Fleischer u.s.w., welche in der kleidsamen Uniform der Husaren, Ulanen, Dragoner und Kürassiere säbelrasselnd und sporenklirrend herumstolziren, von dem Genusse, den ihnen der Staat bereitet, indem er sie ohne Entgelt reiten lernen läßt und dann jedem Braven ohne Entgelt ein flottes Pferd zur Verfügung stellt? Sie lieben so sehr den knappen Rock, den rasselnden Säbel, die klirrenden Sporen, die wohlige Bewegung auf einem feurigen Andalusier, daß sie fast ohne Ausnahme, stellte man in ihren Willen zu gehen oder zu bleiben, in fünf Minuten Rock, Säbel, Sporen abgeworfen, ein herzliches Lebewohl der Stute oder dem Walachen zugerufen hätten und schon tausend Schritte von der Kaserne entfernt wären.

Aber auch hier wollen wir einen Unterschied zwischen Armen und Reichen in den Ausnahmen von der Regel machen. Viele Armen verzehren sich in Sehnsucht nach den berauschenden Festen und Bewegungen der Reichen; Viele, welche widerwillig die Reiteruniform tragen, möchten täglich reiten: sie lieben das Reiten, die wonnevolle Bewegung auf einem lebhaften Pferde, aber sie wollen den Genuß nicht mit dem militärischen Zwang und dem Druck der Vorgesetzten erkaufen; viele Armen können sich keinen Spaziergang gönnen und müssen mit dem kleinen Stückchen grauen oder blauen Himmels fürlieb nehmen, das sie, aus dem dumpfen Kellerloche oder aus der düsteren Wohnung im Hofe blickend, wahrnehmen.

Wenden wir uns schließlich zu den Genüssen der Sensibilität.

Auch hier darf man nicht die Armen und Niederen für »enterbt« halten. Sie musiciren und singen und jedenfalls singen sie mehr und fröhlicher als die Reichen; sie meditiren; sie philosophiren (in theologischen Geleisen oder über die metaphysische Materie); sie dichten (namentlich wenn man das Lügen, wie billig, für einen Zweig der »Dichtkunst« hält); sie lernen, lesen und erfinden.

Die Meisten auch – und das ist eine Hauptsache – wissen gar nicht, was ein echter geistiger Genuß ist, und zwar muß hier gesagt werden: die meisten Menschen, nicht die meisten Armen und Niederen. Den wahren geistigen Genuß empfinden heutzutage, geradeso wie in allen vergangenen Jahrhunderten, nur sehr, sehr Wenige. Man könnte ganz bestimmt Diejenigen in der ganzen Menschheit, welche im Besitze eines völlig durchgebildeten Geistes |

ii287 sind und sich deshalb vollständig selbst genügen, in einer halben Stunde bequem zählen.

Doch ist auch hier ein Unterschied zwischen Armen und Reichen zu machen. Der geistige Genuß beruht unverhältnißmäßig mehr als alle anderen Genüsse auf einem freundlichen Entgegenkommen der äußeren Verhältnisse. Die Diamanten müssen geschliffen werden, wenn sie blitzen und strahlen sollen, während man auf der anderen Seite sagen muß, daß ein roher Diamant, wenn er Bewußtsein hätte, sich unzweifelhaft als Diamant fühlen würde. So verkümmern denn Tausende und wiederum Tausende unter dem eisigen Hauche widriger Umstände mit dem nagenden Gefühle, daß sie sich und Anderen geglitzert und geleuchtet hätten, wenn sie geschliffen worden wären.

Aus diesen Betrachtungen schließen wir, daß in den gegenwärtigen socialen Verhältnissen:

1) die Genüsse über die ganze Menschheit ausgeschüttet sind;

2) die Befriedigung der Leibes Nothdurft aber, Stillung des Hungers, Ruhe, Bewegung, Schlaf, Vielen versagt ist, daß schreckliche Noth und furchtbares Elend besteht;

3) der Contrast zwischen den Genüssen der Reichen und Armen in das Herz Vieler der letzteren eine tiefe Wunde schlägt, daß also eine Illusion reales Leid in Vielen hervorruft;

4) die geistigen Genüsse, die reinsten und edelsten aller Genüsse, Wenigen in den oberen Schichten der Gesellschaft sowohl, als auch in den unteren zu Theil werden, weil in allen Schichten dem Strom der echten Bildung große Hindernisse entgegentreten. (Ausführlicheres später.)

Schon hieraus ergiebt sich unwiderleglich, daß alle Menschen mit wenigen Ausnahmen das größte Interesse daran haben, daß die gegenwärtige Lage der Dinge verändert werde. Es erheben ihre Hände gegen das gegenwärtige Reale im Staate:

1) die Hungrigen,

2) die Thoren,

3) die Ungebildeten in allen Schichten, getrieben von einer dämonischen Macht, welche ihnen ganz andere Ziele vorgaukelt, als sie thatsächlich bezweckt;

4) die Weisen, welche allen Menschen die Segnungen der Cultur gönnen, die ihnen so glückliche, so selige Stunden bereitet.

ii288 Lauter aber, als all dieses leidvolle und schwermüthige Rufen oder wüste wilde Geschrei von allen Seiten redet etwas, was ich in meinem Hauptwerk schon gehörig betonte, etwas, das trotz seiner Jedem vernehmbaren, klaren, deutlichen und dabei dröhnenden Worte fast immer unbeachtet bleibt: es ist der continuirliche Wechsel in den äußeren Verhältnissen.

Es ist dem Denker fast unbegreiflich, und er muß den Goethe’schen Ausspruch:

Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele als wir denken und wünschen,

zu Hülfe rufen, um sich zu beruhigen, daß das ätzend höhnende Wort über der heutigen Gesellschaft:

Heute oben – morgen unten

Heute Hammer – morgen Amboß

Heute reich – morgen arm

Heute Ueberfluß – morgen Mangel

so selten gelesen und wenn gelesen, so selten beherzigt wird.

Nehmen wir aus der Anzahl reicher Adeligen und reicher Bürger in der ganzen Welt hunderttausend Individuen fort, deren Reichthum unverwüstlich sein soll, – sowohl die Zahl als der angenommene Reichthum sind übertrieben, – so hat kein reicher Vater die Gewißheit, daß seine Kinder nicht eines Tages in’s Elend kommen werden.

Denkt er nur einen Moment lang über den Gang der Dinge innerhalb der Gesellschaft nach, läßt er nur flüchtig seine Erfahrungen am Geiste vorbeiziehen, so muß er, blickt er dabei auf seine fröhliche Kinderschaar, das Gefühl haben, als ob ein zweischneidiges Schwert durch seine Seele ginge; denn er muß die große Wahrscheinlichkeit anerkennen, daß diese lichten, klaren, unschuldigen, kleinen Wesen, die sich zur Stunde so heiter, so fröhlich und ausgelassen im Sonnenschein des Ueberflusses tummeln, einst von Thür zu Thüre schleichen und Brod erbetteln.

Und einer solchen Ordnung der Dinge gegenüber sollte ein Vernünftiger, weß Standes er auch sei, conservativ gesinnt sein?

Nun wollen wir weiter gehen.

Nehmen wir einen sehr reichen Mann, der sein Leben genießt. Er soll zehnfacher Millionär sein und 300,000 Mark jährlich für |

ii289 sich und seine Familie gebrauchen. Er versage sich und den Seinigen keinen Genuß; er sei ferner sehr wohlthätig; er gebe den Armen jährlich 50,000 Mark.

Warum legt er den Rest der Zinsen, der 200,000 Mark betragen soll, zurück und schlägt ihn zu seinem großen Kapital? Weil er den erwähnten Wechsel der Lagen fürchtet und sich und seine Kinder recht kräftig für eine Ordnung der Dinge machen will, die vom Geld regulirt wird.

Hat er ein anderes Motiv? Gewiß nicht. Denn kann er, können seine Kinder besser leben als sie leben? Kann er seine Zeugungskraft verzehnfachen? Kann er seinem Magen die Ausdehnung eines Ochsenleibes geben? Wenn er sich aber sagen muß, daß er mit dem heißesten Bemühen seine Genußfähigkeit nicht erhöhen kann, daß er sich mit dem besten Willen nicht mehr Genüsse, als er bereits hat, verschaffen kann, was für einen anderen Werth soll dann das erübrigte Geld für ihn haben, als den, seine Widerstandsfähigkeit gegen das immer drohende Elend zu erhöhen?

Jeder fühlt hier die ganze Schwere der furchtbaren Kette, deren Glieder sind: der Reiche spart todtes Geld, damit die Wahrscheinlichkeit, arm zu werden, immer geringer für ihn wird, und er kann arm werden, weil er in einer Gesellschaft lebt, die unter der Herrschaft des kalten Metalls und schmieriger Papierfetzen seufzt.

Wird diese Kette kühn abgestreift, indem man eine Ordnung der socialen Verhältnisse herbeiführt, worin einerseits Noth und Elend unmöglich sind, andererseits Jeder alle erdenkbaren Genüsse haben kann, so wird das Geld, das den Kaufpreis dieser Genüsse übersteigt, für Jeden nichts Anderes sein als Metall ohne Werth.

Denn ich wiederhole: Mehr als die Befriedigung von der Lebensnothdurft und aller Genußsucht, oder sagen wir lieber: mehr als die raffinirteste Befriedigung der Lebensnothdurft und die Stillung der raffinirtesten Genußsucht kann Niemand verlangen. Die körperliche Organisation setzt der Genußsucht unzerstörbare Schranken.

Der Baron von Rothschild liebt also seinen colossalen Reichthum an Papieren nicht an sich, der Reichskanzler von Bismarck nicht seinen wohlverdienten ausgedehnten Grundbesitz an sich, sondern nur der Sicherheit wegen in einer eminent gefahrvollen socialen Ordnung. (Andere Gründe, die man anführen könnte, |

ii290 fallen hier nicht in’s Gewicht, da sie schlechte Motive sind, die ich gleich brandmarken werde.)

Vergegenwärtigen wir uns jetzt, was mit Absicht auf Lebensnothdurft und Genußsucht der Menschen allein die Folge sein würde, wenn der reine Communismus in die Erscheinung träte, d.h. wenn alles vorhandene Kapital in die Hände des Staates überginge, wobei wir selbstverständlich annehmen, daß Jeder, nach wie vor, seinen Geschäften nachgeht.

Würden die Reichen weniger gut leben müssen? Würden sie auf Vergnügungen, auf Genüsse verzichten müssen? Nein, Sie könnten nach wie vor Champagner trinken, Austern, Kibitzeier, Schnepfendreck essen, in Carossen fahren, reiten, in’s Theater, in Concerte gehen oder mit einem Wort: sie könnten ihre Lebensnothdurft und ihre ganze Genußsucht nach wie vor befriedigen. Auf der anderen Seite dagegen gäbe es keine Hungrigen und keine Enterbten mehr, weder solche, die nur in ihrer Einbildung, noch solche, die thatsächlich enterbt sind, denn das Geld oder besser die Güter, welche die Reichen seither aufspeichern mußten, wegen des Wechsels im Leben, wegen des unaufhörlichen Auf und Nieder, hätten jetzt, in einem Staate, wo Noth und Elend unmöglich sind, gar keine Bedeutung mehr. Die Reichen würden ohne Schmerz ihren Besitz zu dem Zwecke geben, daß allen ihren Menschenbrüdern der gleiche Genuß wie ihnen zu Theil werde.

Natürlich giebt es viele Reichen, welche außer der Befriedigung aller ihrer Gelüste noch den Kitzel des Contrastes mit der Entbehrung der Armen, gleichsam Pfeffer und Salz für ihren Genuß, nöthig haben, um sich recht behaglich zu fühlen. Ferner giebt es viele Grundbesitzer, welche zur vollen Befriedigung das Bewußtsein: dies ist mein Forst, mein Schloß, mein Garten, mein Feld, – auch selbst dann haben müßten, wenn sie das Elend nicht zu fürchten hätten. Aber sie zählen nicht; denn erstens ist ihre Denkungsart verwerflich, dann ist dieselbe eine Frucht der gegenwärtigen Verhältnisse. Nehmt die Treibhauswärme dieser Verhältnisse fort, so kann die rohe unmoralische Denkungsart gar nicht entstehen. Der Mensch ist in erster Linie nur auf Stillung seiner Genußsucht bedacht, alles Andere ist ungesundes Beiwerk, schädlicher Auswuchs. Einem Jäger z.B. muß es ganz gleich sein, ob er auf eigenem Grund und Boden oder auf fremdem jagt. Er will die Stillung |

ii291 seiner Mordlust. Wollte er, wie gesagt, neben der Stillung der Mordlust noch das Bewußtsein haben, daß er den Forst, oder wie Levin Schücking einmal sehr treffend bemerkte, der Forst ihn besitze, so würde er eben zu jenen tristen Gesellen zählen, in denen man zu ihrem Besten solche Geschwüre mit Feuer und Schwert ausrotten müßte; denn gerade die Habsucht über Lebensnothdurft und Genuß hinaus, die nackte auri sacra fames (Virgil), der amor sceleratus habendi (Ovid), verhindert diese Thoren, glücklich zu sein.

Auch wäre es thöricht zu sagen: wie sollen für alle Menschen Leckereien, Equipagen, Reitpferde etc. herbeizuschaffen sein? Zunächst wollen nicht Alle dasselbe. Dann darf man mit Bestimmtheit darauf zählen, daß mehr als die Hälfte der Armen bald, sehr bald erkennen würden, daß kein Glück im Wohlleben liegt und die Seltenheit erst den echten Genuß macht. Wenn sie nur mehrmals in den Zaubergärten gewesen wären und wüßten, daß ihnen der Eintritt stets erlaubt ist, so würden sie aus angeborenem einfachem Sinn oder durch höhere Motive geläutert, kaum noch einmal hineingehen. Dies belegen am besten die reichen Familien unserer Periode. Es sind sehr wenige Reichen, welche schlemmen und Aufwand treiben. Wer Gelegenheit gehabt hat, das Familienleben in allen Schichten genau und in ausgedehntem Maße zu untersuchen, der wird gefunden haben, daß die meisten Reichen gut, aber sehr einfach leben. An die Stelle der strengen Sitte des Mittelalters ist die Veredelung durch Bildung getreten, die den Abscheu vor Ausschweifung im Gefolge hat.

Sollte aber trotzdem mehr Lüsternheit vorhanden sein, als befriedigt werden kann, so müßte eben der Staat regulirend eingreifen und das Vorhandene vertheilen, wobei, wie schon bemerkt, Keiner zu kurz käme, weil den Verlust an Quantität der Gewinn an Qualität (größere Intensität des Genusses) ausgleichen würde.

Der reine Communismus brächte also:

1) die Vernichtung aller Noth, alles Elends;

2) keine Entbehrung für die Reichen;

3) den Armen alle Genüsse des Reichen.

Dies wären die ersten guten Folgen der neuen socialen Ordnung, vorausgesetzt, daß die Staatsmaschine nach wie vor lebhaft functionire, welche Voraussetzung wir später prüfen werden.

ii292 Die nächsten Folgen wären:

1) Entleerung der meisten Zuchthäuser;

2) Ende aller gewaltsamen Revolutionen und aller Kriege.

Der Diebstahl ist bedingt durch individuelles Eigenthum oder genauer: durch individuelles Eigenthum, das sich nicht Jeder leicht verschaffen kann. Ich mache diese Beschränkung, um albernen Einwürfen vorzubeugen. Ein absoluter Communismus ist nicht möglich. Auch in einem Staate, der auf dem reinen Communismus beruht, wird doch immer mein Rock, mein Hut, mein Ring u.s.w. mein Eigenthum sein; aber – und das ist eben das Wichtige – es ist ein Eigenthum, das Niemand reizen kann, weil es sich Jeder sehr leicht verdienen kann.

Man darf also wohl sagen, daß in der neuen Ordnung der Dinge kein Diebstahl mehr stattfinden, daß es mithin keine Diebe mehr geben würde. Ferner würde es keine Raubmörder und keine Kindesmörder aus Noth mehr geben (auch erwähne ich der Selbstmörder aus Noth, obgleich sie nicht hierher gehören) und es blieben nur Mörder aus Eifersucht, Rache, Zorn etc., kurz Todtschläger aus hochgradiger Leidenschaftlichkeit.

Ferner: Jede Revolution ist bedingt durch heftiges Verlangen auf der einen, versagte Befriedigung auf der anderen Seite. In einer nivellirten Gesellschaft ist mithin eine Revolution undenkbar.

Schließlich: Ende aller Kriege.

Voltaire sagte:

Dans toutes les guerres il ne s’agit que de voler,

und es liegt allerdings, wenn auch nicht allen, so doch sehr vielen Kriegen die Habsucht als reine wirkende Ursache zu Grunde. In allen übrigen Kriegen aber – vom geschichtsphilosophischen Standpunkte aus muß man sagen: in allen Kriegen überhaupt – wird für den Culturfortschritt, für ideale Güter gestritten, deren volle Verwirklichung eben im Communismus stattfinden wird. Tritt dieser mithin ein, so ist auch faktisch der Krieg schlechthin unmöglich geworden.

Verweilen wir hier einen Augenblick, um uns in der Summe von Glück zu sonnen, die in den Worten liegt:

Keine Diebe mehr.

Keine Revolutionen und Kriege mehr.

Keine Noth mehr um das tägliche Brod.

ii293 Den Meisten aus den höheren Ständen ist wohl das entsetzliche Weh erspart geblieben, in der eigenen oder in einer befreundeten Familie auf die Trümmer eines Glücks zu starren, das ein mißrathener Sohn oder eine mißrathene Tochter mit frevelhafter Hand durch Diebstahl zerbrochen hat. Ich habe es in mir empfunden. Ich habe in einer mir nahe befreundeten Familie auf eine greise Mutter gesehen, die makellos grau geworden war, die vor Niemand, wer es auch war, je die Augen niedergeschlagen hatte, und welcher dann, als der Sohn die Züchtlingsjacke hatte anziehen müssen, der finsterste Winkel ihrer Wohnung nicht dunkel genug war. Ich habe auf Töchter dieser Mutter geblickt, die in der Blüthe der Jugend, unter dem giftigen Hauche des Verbrechens ihres Bruders, hinwelkten und verdorrten.

 

Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht,

Wohl über die schönen Blaublümelein,

Sie sind verwelket, verdorret.

 

Sie trugen einen Wurm in der Seele; sie gingen, als sie sich nach Jahren getrauten, das Haus zu verlassen, erst bei Nacht aus; dann gingen sie bei Tage dicht an den Häusern scheu hin, schamroth bis in die Haarwurzeln, als ob sie gestohlen hätten, als ob sie im Zuchthaus gesessen hätten und als ob sie ein unauslöschliches Brandmal auf der Stirne trügen. Das Mitleid der Freunde gellte wie Hohn in ihren Ohren; die Thränen ihrer Verwandten ließen die Wunden nicht vernarben. O Gott! O Gott! diese greise Mutter mit den gerötheten, starren, thränenlosen Augen und diese geknickten Mädchenblumen! Wie sie mich im Wachen und in meinen Träumen verfolgten!

Kein Eigenthum mehr – dann keine solchen Mütter und Kinder mehr.

Die Gräuel der Revolutionen, von jenen in den altgriechischen Staaten an bis zum Jahre 1848, brauche ich gewiß nicht zu schildern. Und doch sind sie Nichts im Vergleich mit dem tiefen Schmerze, den der Denker in sich empfindet, wenn er sich sagen muß: Was in allen diesen Revolutionen von unten her gewollt wurde, das trat gleich nach denselben, oder kurze Zeit nachher, in die Erscheinung und wurde real. Wären also die Forderungen der Unterdrückten mit etwas gutem Willen von den Unterdrückern gleich |

ii294 gewährt worden, so würden die Gräuel verhütet, kein Blut würde vergossen worden sein.

Und nicht nur muß der Denker sich dieses sagen, sondern sein gepeinigtes Ohr hört schon wieder Forderungen von unten herauf und von allen Seiten, und während sein elendmüdes Auge auf Blutlachen und rauchende Trümmer sieht, welche diese unerfüllten Forderungen bereits verursacht haben, ruft eine Stimme in ihm, die neu sein Herz zerreißt: Es sind nicht die letzten Blutlachen, nicht die letzten rauchenden Trümmer und dann – ja dann wird man doch bewilligen, was man versagte, denn das Verlangte liegt im Entwicklungsgange der Menschheit!

Kein Eigenthum mehr – dann keine Revolutionen mehr.

Soll ich die Narben aufreißen und einen Stachel in die vielen, noch immer offenen und blutenden Wunden bohren, welche in jeder deutschen und französischen Familie seit dem letzten Kriege vorhanden sind?

Wir wollen mit verhüllten Augen vorbeieilen.

Kein Eigenthum mehr – dann keine Kriege mehr.

Und nun: keine Sorge und Noth mehr.

Der große Goethe hat uns das Wesen der Sorge in einer Weise geschildert, daß, hätten wir nichts Anderes von ihm als diese Schilderung, wir ihm doch denselben Platz lassen müßten, worauf ihn seine sämmtlichen Werke erhoben haben. Ich setze sie einfach hierher:

Wen ich einmal mir besitze,

Dem ist alle Welt nichts nütze:

Ew’ges Düstre steigt herunter,

Sonne geht nicht auf noch unter;

Bei vollkommnen äuß’ren Sinnen

Wohnen Finsternisse drinnen;

Und er weiß von allen Schätzen

Sich nicht in Besitz zu setzen.

Glück und Unglück wird zur Grille;

Er verhungert in der Fülle;

Sei es Wonne, sei es Plage,

Schiebt er’s zu dem andern Tage,

Ist der Zukunft nur gewärtig,

Und so wird er niemals fertig.

ii295 Soll er gehen? Soll er kommen?

Der Entschluß ist ihm genommen;

Auf gebahnten Weges Mitte

Wankt er tastend halbe Schritte.

Er verliert sich immer tiefer,

Siehet alle Dinge schiefer,

Sich und Andre lästig drückend,

Athem holend und erstickend;

Nicht erstickt und ohne Leben,

Nicht verzweifelnd, nicht ergeben.

So ein unaufhaltsam Rollen,

Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,

Bald Befreien, bald Erdrücken,

Halber Schlaf und schlecht Erquicken,

Heftet ihn an seine Stelle

Und bereitet ihn zur Hölle.

(Faust, II. Theil.)

 

Sollte ich ferner wagen wollen, die Noth um’s tägliche Brod zu schildern, nachdem Thomas Hood gelebt hat?

Mit Fingern mager und müd,

Mit Augen schwer und roth,

In schlechten Hadern saß ein Weib,

Nähend für’s liebe Brot.

Stich! Stich! Stich!

Aufsah sie wirr und fremde;

In Hunger und Armuth flehentlich

Saug sie das Lied vom Hemde. –

 

»Schaffen! Schaffen! Schaffen!

Sobald der Haushahn wach!

Und Schaffen – Schaffen – Schaffen,

Bis die Sterne glüh’n durch’s Dach!

O, lieber Sklavin sein

Bei Türken und bei Heiden,

Wo das Weib keine Seele zu retten hat,

Als so bei Christen leiden!

 

ii296 Schaffen! Schaffen! Schaffen,

Bis das Hirn beginnt zu rollen!

Schaffen – Schaffen – Schaffen,

Bis die Augen springen wollen!

Saum und Zwickel und Band,

Band und Zwickel und Saum –

Dann über den Knöpfen schlaf’ ich ein

Und nahe sie fort im Traum.

 

O Männer, denen Gott

Weib, Mutter, Schwestern gegeben:

Nicht Linnen ist’s, was ihr verschleißt,

Nein, warmes Menschenleben!

Stich! Stich! Stich!

Das ist der Armuth Fluch:

Mit doppeltem Faden näh’ ich Hemd,

Ja, Hemd und Leichentuch.

 

Doch was red’ ich nur vom Tod,

Dem Knochenmanne? – Ha!

Kaum fürcht ich seine Schreckgestalt,

Sie gleicht meiner eigenen ja!

Sie gleicht mir, weil ich faste,

Weil ich lange nicht geruht.

O Gott, daß Brot so theuer ist

Und so wohlfeil Fleisch und Blut!

 

Schaffen – Schaffen – Schaffen!

Und der Lohn? Ein Wasserhumpen,

Eine Kruste Brot, ein Bett von Stroh,

Dort das morsche Dach und – Lumpen!

Ein alter Tisch, ein zerbroch’ner Stuhl,

Sonst nichts auf Gottes Welt!

Eine Wand so bar – ’s ist ein Trost sogar,

Wenn mein Schatten nur drauf fällt.

 

Schaffen – Schaffen – Schaffen –

Vom Früh- zum Nachtgeläut!

Schaffen – Schaffen – Schaffen,

Wie zur Straf’ gefang’ne Leut’.

ii297 Band und Zwickel und Saum,

Saum und Zwickel und Band,

Bis vom ewigen Bücken mir schwindlig wird,

Bis das Hirn mir starrt und die Hand!

 

Schaffen – Schaffen – Schaffen

Bei Dezembernebel fahl,

Und Schaffen – Schaffen – Schaffen

In des Lenzes sonnigem Strahl –

Wenn zwitschernd sich an’s Dach

Die erste Schwalbe klammert,

Sich sonnt und Frühlingslieder singt,

Daß das Herz mir zuckt und jammert.

 

O, draußen nur zu sein,

Wo Viol’ und Primel sprießen,

Den Himmel über mir

Und das Gras zu meinen Füßen!

Zu fühlen wie vordem,

Ach, eine Stunde nur,

Eh’ noch es hieß: Ein Mittagsmahl

Für ein Wandeln auf der Flur!

 

Ach ja, nur eine Frist,

Wie kurz auch – nicht zur Freude!

Nein, auszuweinen mich einmal

So recht in meinem Leide!

Doch zurück, ihr meine Thränen!

Zurück tief in’s Gehirn!

Ihr kämt mir schön! netztet beim Näh’n

Mir Nadel nur und Zwirn!« –

 

Mit Fingern mager und müd,

Mit Augen schwer und roth,

In schlechten Hadern saß ein Weib,

Nähend für’s liebe Brot.

Stich! Stich! Stich!

Aufsah sie wirr und fremde;

In Hunger und Armuth flehentlich –

O schwäng’ es laut zu den Reichen sich! –

Sang sie dies Lied vom Hemde.

 

ii298 Kein Eigenthum mehr, dann keine Sorge und keine Noth mehr. Ich bemerke jedoch, daß nur die Noth um’s tägliche Brod mit dem Eigenthum steht und fällt; die Sorge dagegen entspringt nur theilweise der juristischen Kategorie Eigenthum: bei dem Reichen krallt sie sich an den Wechsel der Lagen im heutigen Staatsorganismus, bei den Armen tritt sie aus dem Nebel des nächsten Tages. Ihr anderer Theil wurzelt in der Familie, wie ich bald zeigen werde.

Als letzte gute Folge der neuen socialen Ordnung wollen wir die allgemeine Bildung betrachten.

Ich habe schon oben betont, daß der echte, geistige Genuß, die wahre Bildung, kein Privilegium der oberen Stände ist, sondern in diesen so selten, wie in den unteren, angetroffen wird. Warum? Weil die meisten Reichen wegen des Wechsels der Lagen eben so sehr unter dem eisernen Druck der Arbeit seufzen, wie die Armen. Sie müssen von Morgens früh bis Abends spät immer nur an Vergrößerung ihres Reichthums denken, weil sie ja nicht wissen können, was geschieht, weil sie fürchten müssen, daß schon morgen Hiobsposten von allen Seiten, anstatt Berichte über gelungene Speculationen eintreffen werden. O welche entsetzliche, hastige Jagd nach Gold! Wie die Augen unheimlich funkeln und die Gedanken immer nur in der Richtung sich bewegen, wo das schimmernde Metall rollt und die Papierfetzen flattern! So haben sie denn, wie die Armen, keine Zeit, den Grund für den reinen Genuß zu legen. Einmal in einem bestimmten Berufe eingetreten, peitscht sie die jetzige Lage der Dinge immer voran, immer voran; und erhellt einmal einem Einzelnen ein greller Blitz die Nacht, so daß er mit fast übermenschlicher Kraft stehen bleibt und sagt: ich habe genug, da muß er die gewonnene Zeit im Spiel mit Kinkerlitzchen verplempern, weil er zu alt ist, um seiner Bildung noch das Fundament zu geben, welches conditio sine qua non des reinen geistigen Genusses ist.

So geht es ihnen Allen, denn, wie Stifter so hübsch sagt:

So jagen die Völker, ja fast die ganze Menschheit in zitternder Hast nach der Wechselmarter: Erwerben und Verzehren, indeß dem Menschen sein einzig Glück aus den Händen fällt: hold und selig zu spielen im Sonnenschein der Güte Gottes, wie der Vogel in den Lüften.

Ganz anders in unserem idealen Staate, in unserem Bienenstocke!

ii299 In demselben arbeitet Jeder nur für die Befriedigung seiner Lebensnothdurft und die Stillung seiner Genußsucht (resp. aus unserem jetzigen Standpunkte noch, auch für seine Familie). Er braucht nicht für den nächsten Tag zu sorgen, denn ist er am nächsten Tage gesund, so erarbeitet er sich in wenigen Stunden die Mittel für Alles, was sein Herz begehrt. Ist er dagegen krank, so ernährt ihn der Staat. So bleiben ihm denn, nachdem er die Schule verlassen hat, täglich mindestens acht Stunden für seine geistige Bildung, für die Erweiterung des in der Schule gelegten Fundaments für eigenes Denken, Musiciren, Bilden, Dichten, Meditiren, Philosophiren.

O, wie die Tausende und Tausende geschliffener Edelsteine, wenn es auch nicht lauter Diamanten sind, funkeln und blitzen werden! O, wie frei wird da der Mensch »im Sonnenschein der Güte Gottes spielen,« wie wohl wird ihm im Lichte der zusammengeflossenen Sonnen und Sterne erster Größe der vergangenen Zeiten sein, wie wird die Seele jubeln, wenn sie, wie Jean Paul sagt:

ausgewachsen wie der erschaffene Adam, mit durstigen offenen Sinnen, in dem herrlichen geistigen Universum sich herumdreht.

(Titan.)

Welche Fülle »saftvoller Seelen«, wie derselbe Dichter sagt, wird dann vorhanden sein, während, wie ich bereits oben bemerkte, jetzt in allen Ständen der ganzen Menschheit Diejenigen, welche solche ausgewachsenen »Joviskinder mit entsiegelten Augen« sind, in einer halben Stunde bequem gezählt werden könnten.

Ich fasse zusammen. Würde der reine Communismus zur Grundlage des Staates gemacht, so würde zunächst der Staat selbst ein reines, freies, schönes Werk der Gerechtigkeit und Menschenliebe sein. Es würde ferner die Noth, das entsetzliche Gespenst, mit Krallen triefend von Menschenblut und mit dem zerlumpten Gewand, naß von Thränen todtmüder Menschenaugen, aus den niederen Klassen für immer verjagt und der Sorge, ihrer Schwester, welche sowohl in den oberen wie in den unteren Schichten der Gesellschaft namenloses Unglück verbreitet, die schärfsten Giftzähne ausgebrochen werden. Dann würden die Verbrecher auf den Aussterbeetat gesetzt, weil zu neuen Verbrechen nur noch wenige Motive vorhanden wären, welche in Folge der zunehmenden Bildung, d.h. des Wachsthums guter Motive, immer schwächer würden, bis sie |

ii300 zuletzt ganz ausstürben. Schließlich würden Revolutionen und Kriege verschwinden und in allen Staaten das ganze Volk auf eine Bildungshöhe erhoben werden, in deren klarem Aether seither nur sehr wenige Bevorzugten ein reines, schönes, tiefbefriedigendes Lichtleben geführt haben.

Und alles Dieses, – was wohl zu bemerken ist, – würde in die Erscheinung treten, ohne daß die Reichen sich irgendwie einzuschränken oder Entbehrungen aufzulegen hätten; denn es ist ein national- ökonomischer Grundsatz von unbestrittener Gültigkeit, »daß innerhalb der Gesellschaft im Austausch der wechselseitigen Arbeitserzeugnisse und Leistungen die Kräfte des Menschen weit über seine Bedürfnisse hinausgehen.«

Darum: Auf, ihr Guten und Gerechten alle! Damit das berühmte Gedicht Düpont’s, das ich nicht umhin kann, diesem Essay einzuverleiben, endlich eine vergangene Periode charakterisire und nicht mehr ein Brandmal auf der Stirne der gegenwärtigen Gesellschaft sei:

 

Kaum kräht der Hahn zum ersten Mal,

So brennt schon uns’re Lampe wieder

Und neu beginnt die alte Qual

Und dröhnend fällt der Hammer nieder.

Für ewig ungewissen Lohn

Müh’n wir uns rastlos ab auf Erden;

Die Noth vielleicht kommt morgen schon,

Wie soll es erst im Alter werden?

 

Chor.

Liebt euch einander treu und heiß

Und lasset, ob die Schwerter blinken,

Ob uns des Friedens Palmen winken,

Im Kreis, im Kreis

Uns auf die Welterlösung trinken.

 

Mit hartem Grund und falscher Flut

Ist unser Loos ein ewig Ringen,

Und was darin an Schätzen ruht,

Wir sind es, die’s zu Tage bringen.

ii301 Wir schaffen Erz und Diamant,

Wir sä’n für jene, die genießen –

Wir armen Lämmer, welch Gewand

Schafft sich die Welt aus uns’ren Vließen!

 

Kommt uns das harte Werk zu gut,

Dem uns’re Hände rastlos dienen?

Wohin geht uns’res Schweißes Flut?

Wir sind nichts Andres als Maschinen!

Wir bau’n den Reichen ihre Stadt,

Die Pracht auf diesem Wandelsterne.

Wenn sie den Honig fertig hat,

Jagt man die Biene in die Ferne.

 

Es trinkt das fremde blasse Kind

Die reine Milch von uns’ren Frauen,

Und wenn sie groß geworden sind,

Sind sie zu stolz uns anzuschauen.

Das Herrenrecht der alten Welt

Erschreckt nicht mehr des Dorfes Bräute,

Allein dem Gold des Mäklers fällt

Noch jeder Hütte Kind zur Beute.

 

Wir müssen frierend unterm Dach,

Wo Käutzchen wimmern, Diebe kauern,

Im engen finsteren Gemach

Des Lebens lange Nacht vertrauern.

Und doch ist heiß auch unser Blut

Und labten uns, sowie die Reichen,

Der Sonne segensreiche Glut,

Die kühlen Schatten unter Eichen.

 

So oft in schöner Raserei

Wir blutig noch das Feld gedünget,

Hat sich die alte Tyrannei

Durch unsern Opfertod verjünget.

Spart euer Blut, spart eure Kraft!

Die Liebe muß das höchste bringen:

Der Hauch, der neue Welten schafft,

Wird bald die ganze Welt durchdringen.

ii302

Chor.

Liebt euch einander treu und heiß

Und lasset, ob die Schwerter blinken,

Ob uns des Friedens Palmen winken,

Im Kreis, im Kreis

Uns auf die Welterlösung trinken.

 

Jetzt stehen wir vor zwei Fragen:

1) Würde in einem solchen Staate das Individuum kräftige Triebfedern haben?

2) Würde überhaupt ein solcher Staat möglich sein?

oder mit anderen Worten: Wie würde sich die zweite Art des Eigenthums, die lebendige Arbeit, gestalten; denn im Bisherigen haben wir nur die Folgen der Concentration des Kapitals in den Händen des Staates erwogen.

Die erstere Frage haben wir bereits oben erledigt. Wir haben gefunden, daß sich der Mensch lediglich dem Erwerb widmet, dem Golde nachjagt, weil es der Repräsentant aller Genüsse ist und die Stillung der Nothdurft virtualiter in sich trägt. Der Mensch wird vom Hunger und dem Glückseligkeitstrieb gepeitscht, nicht vom Gelde, dem nur im gegenwärtigen Staate, weil es nur in diesem Mittel für die Befriedigung der gedachten Triebe ist, verlockender Reiz eigenthümlich ist. Kann der Mensch auf andere Weise, als durch Geld, seinen Hunger und seine Genußsucht stillen, so sinkt das Geld in die Kategorie aller anderen werthlosen chemischen Stoffe hinab.

Man sieht aber leicht ein, daß ein Werthzeichen in unserem idealen Staate vorhanden sein muß. Es ist jedoch nichts Anderes mehr als der Repräsentant der individuellen Arbeit oder des Anspruchs auf Leben. Man kann demnach das Papiergeld beibehalten, welches aber auf die Stufe von Marken herabsinkt. Trägt ein solcher Fetzen die Zahl 10, so bedeutet das z.B. Anspruch auf ein gutes Frühstück, ein gutes Mittagessen, ein gutes Abendbrod oder auch Quittung über eine Arbeit, die mit den gedachten Dingen belohnt wird. Trägt er die Zahl 100, so bedeutet das: Anspruch auf ein wohlriechendes Bad, ein Jagdvergnügen, einen Sitz im Theater, auf zwei Flaschen Sekt, zwei Dutzend Austern, auf Rehbraten, Kibitzeier, Gänseleberpastete und auf ein feines Schnäpschen.

ii303 Man glaube nicht, daß in einem solchen Staate gefaullenzt werde. Es würde aber auch nicht mehr gearbeitet werden als nöthig wäre und so soll es sein, weil nur auf diese Weise der Mensch ein Mensch ist. Jetzt sind die allermeisten Menschen in den oberen wie in den unteren socialen Schichten nichts Anderes als verdüsterte Unwissende, die kaum von den Thieren verschieden sind. Mit Naturnothwendigkeiten versöhnt sich der Mensch außerordentlich rasch. Es will Niemand ein Stück Mondes, weil er weiß, daß er es nie erhalten könnte; es will auch Niemand, daß sich die Erde von Osten nach Westen bewege, weil er weiß, daß keine Macht ihm diese Grille verwirklichen könnte. So weiß auch Jeder, daß er arbeiten muß, wenn er leben will.

Abgesehen nun von Denjenigen, welche die Regel bilden, welche gar nicht ohne Arbeit bestehen könnten, hätten wir nur jene, welche geborene Tagediebe sind. Aber ich frage: ist in einem Staate, der alle seine Bürger von Jugend auf mit dem klaren Element der Bildung umgiebt, ein Faullenzerleben möglich? In keiner Weise. Da würde schon die Beschämung allein wirken.

Sollten indessen trotz Allem Einige als Drohnen in unserem Bienenstocke leben wollen, so würde ihnen der Staat mit seiner Gewalt entgegentreten und sie einfach zur Arbeit zwingen.

Man könnte hier die niederen Arbeiten und die Berufsklassen als Hindernisse angeben.

In Betreff der ersteren, so steht fest, daß, je gebildeter der Mensch ist, desto einfacher auch sein Sinn ist. Es giebt ekelhafte Arbeiten, die jeder an seiner Person selbst, der Kaiser sowohl wie der Bettler, ausführen muß. Warum sollte es denn so schwer sein, einen schmutzigen Teller zu spülen, ein Zimmer zu kehren oder Stiefel zu wichsen? Es sind die schroffen Standesunterschiede, welche diesen harmlosen Beschäftigungen einen beschämenden Charakter geben. Sieht das Kind keine Standesunterschiede mehr, so wird es auch ganz unbefangen als Jüngling oder Jungfrau die niederen Arbeiten verrichten.

Die Berufsklassen nun würden sich ganz von selbst bilden. Es werden nicht alle Menschen als Geniale geboren. Es giebt viele Talente und viele Dummköpfe und der Eine hat zu dieser Thätigkeit, der Andere zu jener einen offenbaren und mächtigen Drang.

ii304 Gesetzt übrigens, dieser Drang wäre nicht vorhanden, so würde schon Jeder aus der Einsicht, daß gearbeitet werden muß, wenn das Leben an sich nicht gefährdet werden soll, an irgend Etwas die Hand legen. Glaubt man denn, daß es so schwer für einen Genialen oder nur für einen Gebildeten wäre, ein Handwerk auszuüben? Hat nicht Spinoza Brillengläser geschliffen, Kleanthes Wasser geschöpft, Paulus Teppiche gewirkt? Glaubt man, daß diese Herrlichen unglücklich gewesen seien, während sie sich auf diese Weise beschäftigten? Ich behaupte kühn, daß dem Spinoza, gerade während er die Gläser schliff, die schönsten Gedankenblitze das Gehirn durchzuckten, dem Kleanthes der Kern der Stoischen Philosophie im hellsten Lichte erschien, während er Wasser schöpfte, und Paulus die tiefsten Stellen seiner Briefe erdachte, während er das Weberschiffchen hin- und herwarf und die Hebel bewegte; denn gerade der Contrast in der Beschäftigung bildet die Atmosphäre für das Aufbrechen der Knospen des Geistes.

Ich habe einmal, während einer ganzen Woche, in der Fabrik meines Vaters den kranken Maschinenführer ersetzt und da die reine Thätigkeit eines Maschinenführers nicht viel mehr als ein geschäftiger Müßiggang ist, so studirte ich nebenbei die Upanischaden der Veden. Ich fühlte mich keineswegs »entwürdigt«, so wenig ich mich entwürdigt fühlte, als ich, noch im Heere dienend, mein Pferd und meine Waffen putzte. Ich empfand vielmehr im ersteren Falle lebhaften Stolz darüber, daß die Abwesenheit des »geprüften« Maschinenführers gar nicht gespürt wurde und als Soldat beschämte ich, so oft ich konnte, mit innigem Behagen meinen Burschen, der ein Schmierlappen und Tagedieb war.

Glaubt man ferner, daß man kein gutes Brod backen, keine guten Stiefel machen, keinen guten Rock verfertigen könne, wenn man die Herrlichkeiten des Golfs von Neapel gesehen hat und eine philosophische Bibliothek besitzt, deren Inhalt man im Kopfe trägt?

Das ist ja eben die süße Frucht der echten Bildung, daß sie alles Gespreizte, Affektirte, Zimperliche zerstört, die Leidenschaften dämpft, das Gemüth veredelt, und einen ruhigen, geduldigen, einfachen Sinn schenkt. Ich behaupte zuversichtlich, daß in einem solchen Staate die Genialen mit Freude auf das reine Wächteramt, das ihnen Plato in seinem Staate zuwies, verzichten würden, und sich in die Listen der Handwerker eintragen ließen. Sie würden |

ii305 gewiß mit Vergnügen einige Stunden im Tage an einem Palast bauen, oder Töpfe und Teller drehen, oder in einem Bazar verkaufen, oder Cigarren wickeln, oder Kohl pflanzen u.s.w. Warum denn nicht? Sie würden über diesen Handarbeiten schweben, das geistige Auge lichttrunken in goldene Ferne vertiefend.

Der reine Communismus ist nach allem Diesem nicht der Gedanke eines »Teufels«, der die Menschheit noch unglücklicher machen will, als sie schon ist, sondern der glühende Wunsch in eines Engels Herzen, das von Barmherzigkeit und Menschenliebe erfüllt und ausgedehnt wird.

An die Stelle der energischen, aber unglückseligen, fieberhaften Jagd nach Gold würde behagliche Arbeit und gesundes fröhliches Spiel »im Sonnenschein der Güte Gottes« treten: das denkbar frischeste, leichtfließendste Leben. Daß diesem Leben die Erlösung vom Leben überhaupt folgen muß, hat mit der Frage, ob der Communismus ein schlaffes oder ein rasch pulsirendes Leben erzeuge, gar Nichts zu thun. Wir haben gefunden, daß der Communismus zunächst muntere, fröhliche, arbeitsame Menschen hervorbringen würde und daß mithin von einem lahmen, hinschleichenden Leben im idealen Staate wegen des Communismus gar keine Rede sein kann. Ob die Menschen aber solche Menschen bleiben und ein solches Leben behalten wollen, ob die umfassendste Bildung sie nicht allmälig flügellahm und todtmüde macht – das ist eine Frage, die auf ein ganz anderes Gebiet gehört, das wir streifen werden.

Der reine Communismus würde das Paradies, in welchem seit Beginn der Cultur Einige immer lebten, allen Menschen öffnen und würde der Menschheit darin das denkbar beste Leben geben: sie wäre eine leidlose, wenn auch keine glückliche Menschheit.

 


Date: 2015-01-02; view: 776


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