Diachron, d.h. im Schnitt durch die Sprachgeschichte betrachtet, sind unikale, also nur einmal vorhandene Einheiten, auch unikale Morpheme, Quasi- und Pseudomorpheme genannt, überkommene Relikte aus früheren Epochen. Ehemals Wörter (z.B. lind 'Schlange'), sind sie heute als selbstständige Einheiten veraltet, treten aber noch gebunden, sozusagen festgefroren, an eine bestimmte andere Einheit in Komposita oder expliziten Derivaten auf: So kommt Lind- heute nur noch in der Kombination Lindwurm vor, vgl. auch Schorn- in Schornstein, Him- in Himbeere, Brom- in Brombeere, -gall in Nachtigall, -gam in Bräutigam, Sint- in Sintflut, -flat in Unflat, -ginn in beginnen, -gess in vergessen, -hunz in verhunzen, -lier in verlieren, plötz- in plötzlich, led- in ledig, fäh- in fähig und deft- in deftig.
Synchron, d.h. auf einer Zeitebene betrachtet, sind unikale Einheiten gegenwartssprachlich lexikalisch völlig unverständliche Einheiten, die nicht mehr zur Bildung von Wörtern herangezogen werden. Unter diesem streng synchronen Aspekt verstehen Fleischer/Barz (1995) auch solche Einheiten als unikal, deren Bedeutung heute nicht mehr aus der tatsächlichen Basis erklärt werden kann: So ist z.B. gehören zwar sprachgeschichtlich wirklich auf hören zurückzuführen, lässt sich aber heute nicht mehr daraus erhellen. Dass hören heute gehören nicht mehr motiviert, liegt daran, dass das Derivat gehören umgedeutet wurde zu 'besitzen'.
Im Prinzip kann eine unikale Einheit auch wieder entunikalisiert werden: So könnte zu Nachtigall etwa Nachmittagsgall gebildet werden. Was -gall ursprünglich bezeichnet hat (german. galen 'singen', vgl. heute noch gellen), weiß inzwischen zwar nur noch der Sprachhistoriker, aber aus dem Kompositum lässt sich leicht neu motivieren, dass die Gall offenbar ein nachtaktiver Vogel ist. Daraus können sich weitere Kombinationen mit Gall ergeben; die Gall kann wieder so frei in der Wortbildung herumflattern wie potenziell auch alle anderen unikalen Einheiten: Du wirst es nicht glauben, aber neulich habe ich gesehn, wie sich eine hunzliche Nachmittagsgall eine Himbirne aus Schwestergams Garten stibitzt hat.
Das Fugenelement
Wortbildungsprodukte bestehen im Deutschen vor allem aus Wörtern, Konfixen und Wortbildungsaffixen, die miteinander kombiniert werden (z.B. Hutschachtel, Hochzeitstorte, Thermometer, mehrheitsfähig, öffentlich, identisch, bereden). Zwischen den segmentierbaren Einheiten, also z.B. zwischen Hut und Schachtel, befindet sich die Fuge: Hut [Fuge] Schachtel
Die Fuge ist meist leer (z.B. bei Hutschachtel, identisch, unschön, bereden, vergolden), mitunter aber durch ein Fugenelement ausgefüllt (z.B. bei Hochzeitstorte): Hochzeit [Fugen-s] torte.
Fugenelemente finden sich offenbar vor allem in nominalen und adjektivischen Komposita (z.B. Hochzeit-s-torte, Therm-o-meter, Strat-i-grafie, mehrheit-s-fähig, morph-o-syntaktisch). Die Fuge bei Verbkomposita ist bislang weniger exakt erforscht; soweit zu erkennen, ist sie immer leer.
Im Deutschen finden sich in Komposita die Fugenelemente
-i- (z.B. in Stratigrafie): Das aus dem Lateinischen entlehnte Fugenelement -i- wird extrem selten in Komposita, und zwar in solchen, die nur aus Konfixen bestehen, verwendet, z.B. Stratigrafie, Plastinaut. Es ist gegenwärtig in der deutschen Standardsprache kaum produktiv.
-o- (z.B. in Thermometer): In Komposita mit Konfixen griechischer Herkunft steht in der Regel das aus dem Griechischen entlehnte Fugenelement -o-, z.B. Thermometer, anglophil, morphosyntaktisch. Auch Komposita aus Konfixen und einheimischen Wörtern zeigen -o-, z.B. Filzokratie, Thermojacke. Das Fugen-o- wird derzeit nur in der Lehnwortbildung, also in der Wortbildung mit entlehnten Einheiten verwendet. Während bei der Wortbildung mit ausschließlich einheimischen Einheiten die erste Einheit die Verwendung des Fugenelements steuert, richtet sich die Verwendung des Lehn-o- offenbar nicht nur nach der ersten, sondern ebenso nach der zweiten Einheit: Das Fugen-o- tritt auf, ganz gleich, ob die erste oder die zweite Einheit eine Lehneinheit ist, vgl. Filzokratie und Thermojacke. Endet die erste Einheit auf -o-, fällt das Auslaut-o- mit dem Fugen-o- zusammen, z.B. Biotop, egoman.
-s- (z.B. Geschwindigkeitsrausch). Das frequente einheimischeFugenzeichen -s- entstand historisch aus einer Genitivform: Gottesbeweis ← Gottes Beweis. Von da wurde es ausgeweitet auf andere Fälle wie Einheitsbrei, in denen nach dem Paradigma kein Flexiv vorliegt. Es entstanden Analogiebildungen z.B. bei Feminina: Arbeitslohn - die Arbeit... Die Regularitäten für Fugenzeichen sind nicht ausformuliert und vielleicht nicht ausformulierbar, weil in verschiedenen Varietäten und der Sprachentwicklung scheinbar willkürlich mal Fugenzeichen auftauchen, mal nicht: Bahnhofapotheke vs. Bahnhofsapotheke, Verbandmaterial vs. Verbandsmaterial.
Das Fugenelement -s- steht in der Regel in Komposita nach Ersteinheiten mit folgenden Suffixen: -heit (z.B. Schönheitswahn, mehrheitsfähig), -ion (z.B. Unionsvertreter, emotionsstark), -ität (z.B. Identitätskrise, realitätsfern), -keit/ -igkeit (z.B. Flüssigkeitsdepot, höflichkeitshalber), -schaft (z.B. Freundschaftsdienst, gemeinschaftsfördernd), -ung (z.B. Heizungsmonteur, erwartungsgemäß). Darüber hinaus zeigt sich eine Tendenz, das Fugen-s- dann einzusetzen, wenn die Ersteinheit komplex ist, z.B. Hochzeit in Hochzeitstorte. Im Gegensatz dazu wird bei ähnlichen Komposita, deren Ersteinheit ein einsilbiges Wort ist, kein Fugen-s- verwendet (z.B. Zeitmaß). Hier richtet sich die Verwendung des Fugenelements offenbar ganz nach der Ersteinheit.
Mitunter zeigen sich regionale Unterschiede, etwa schweizerisch Abfahrtzeit gegenüber bundesdeutscher Abfahrtszeit, österreichisch Fabriksarbeiter gegenüber bundesdeutschem Fabrikarbeiter.
Fugenelemente kommen außerdem gelegentlich in expliziten Derivaten vor. Sie treten zwischen Basis und Suffix, z.B. in gelegen-t-lich, öffen-t-lich, Bekenn-t-nis. In der Forschungsliteratur ist umstritten, ob man von Derivationsfugenelementen überhaupt sprechen sollte. Elemente wie das -t- in öffentlich können statt als Fugenelement auch als so genanntes Interfix oder als Bestandteil einer Suffixvariante (-tlich) interpretiert werden.
Fugenelemente sind also semantisch leer und insofern Ausnahmen unter den Wortbildungseinheiten. Sie haben ausschließlich morphologische Funktionen; sie sind keine Einheiten, die Wörter bilden; sie sind lediglich auch noch irgendwie da. Verwendungsgründe für Fugenelemente sind u.a. die Erleichterung der Aussprache (z.B. Bekenntnis versus *Bekennnis, Hochzeitstorte versus *Hochzeittorte) und die Erleichterung der Rezeption eines komplexen Wortes.
Die Fugenelemente können mitunter bedeutungsdifferenzierend wirken, vgl. Landmann ('Bauer') gegenüber Landsmann ('aus derselben Gegend stammend').
2.6. Kombinationsmöglichkeiten der Wortbildungseinheiten
Die Wortbildungseinheiten des Deutschen sind also Wort, Konfix, Wortbildungsaffix, Satz, Phrase, unikale Einheit und Fugenelement. Folgende Kombinationsmöglichkeiten werden genutzt:
Ø Wort + Wort: Kurtisanenschuh
Ø Wort + Fugenelement + Wort: Hochzeitstorte
Ø Konfix + Fugenelement + Wort: Thermojacke
Ø Wort + Fugenelement + Konfix: kölnophil
Ø Konfix + Fugenelement + Konfix: Thermometer
Ø Wortbildungsaffix + Wort: ahistorisch
Ø Wort + Wortbildungsaffix: Schönheit
Ø Konfix + Affix: identisch
Ø Wort + Fugenelement + Affix: öffentlich
Ø Satz + Wort: ihr Das-darf-doch-nicht-wahr-sein-Grinsen
Ø Phrase + Wort: sein Aber-hallo-Gesicht
Ø Phrase + Affix: viertürig
Ø unikale Einheit + Wort: Himbeere
Ø Wort + unikale Einheit: Bräutigam
Ø Affix + unikale Einheit: vergeuden
Ø unikale Einheit + Affix: deftig
Außerdem sind Wörter, Sätze und Phrasen Ausgangsbasis in Wortbildungsprodukten wie: