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Analytik des Erkenntnißvermögens. 10 page

So sehen wir denn überall da, wo eine Verkümmerung bei Entstehung von Organismen nicht stattfand und später schädliche Einflüsse sich wenig bemerkbar machten, immer schöne Individuen. Die meisten Pflanzen wachsen wie nach einem künstlerischen Entwurf, und die Thiere sind, mit wenigen Ausnahmen, regelmäßig gebaut. Dagegen finden wir nur selten sehr schöne Menschen, weil nirgends der Kampf um’s Dasein erbitterter geführt wird als im Staate und Beschäftigung und Lebensweise selten die harmonische Ausbildung des Ganzen erlauben.

Hier ist auch der Kunsttrieb der Thiere zu nennen. In den Produkten des Kunsttriebs, die wir so sehr anstaunen und bewundern, bewundern wir im Grunde nur die harmonische, im ächten Willen (hier Instinkt) zurückgebliebene ganze Bewegung. So baut die Biene regelmäßige sechsseitige Zellen; auch der rohe Wilde giebt seiner Hütte, nicht mit dem Geiste, sondern auf dämonischen Antrieb, den Kreis oder das Quadrat oder das Sechseck zur Grundform.

Hierdurch werden wir auf das Subjektiv-Schöne zurückge|führt.

i125 Der Geist des Menschen, in dem doch allein das Subjektiv-Schöne vorhanden ist, ist, wie wir wissen, nur gespaltene Bewegung. Er ist ein Theil der früheren ganzen Bewegung, die durch und durch harmonisch war. So können wir denn sagen, daß das Subjektiv-Schöne nichts Anderes ist, als die nach einer besonderen Richtung hin entwickelte, für alle Bewegungen in der Welt zur Norm und zum Spiegel gewordene einseitig ausgebildete, harmonische Bewegung. Dieselbe ist gleichsam in ein Heiligthum gebracht worden, das die Dinge zwar umfluthen, aber in welches sie nicht eindringen können. Hier thront sie in gesicherter Ruhe und bestimmt souverän was ihr gemäß und nicht gemäß, d.h. was schön sei, was nicht.

 

8.

Betrachten wir die schönen Objekte in der Natur etwas näher, so treffen wir im unorganischen Reich, aus den angeführten Gründen, nur selten schöne feste Körper. Die »wohlgegründete« Erde ist als ein furchtbarer erstarrter Kampf anzusehen. Man findet nur ausnahmsweise reine und völlig ausgebildete Crystalle in der Natur. Sie zeigen deutlich, daß sie im Anschießen gedrückt, geschoben, gestoßen, und ihre Bestrebungen sonst noch beeinträchtigt worden sind.

Besonders schön ist die Bewegung geworfener runder Körper.

Einzelne Berge und Gebirgszüge zeichnen sich durch ihre reinen Contouren aus.

Das Wasser ist fast immer schön. Besonders schön ist das Meer, in der Ruhe wie in der Bewegung, wobei sein Hauptreiz in der Farbe liegt, die sich zwischen dem tiefsten Blau und dem hellsten Smaragdgrün bewegt. Auch ist die schöne Form der Wasserfälle zu nennen, überhaupt das Fließen.

Sehr schön ist die Luft und viele Erscheinungen in ihr: das blaue Himmelsgewölbe; die mannigfach gestalteten Wolken; die Farben des Himmels und des Gewölks beim Sonnenuntergang; das Alpenglühen und der blaue Duft der Ferne; der Zug der Wolken; der Regenbogen; das Nordlicht.



In der organischen Natur treten uns zuerst die verschiedenen regelmäßigen Zellen der Pflanzen entgegen; dann einzelne Bäume, wie Palmen, Pinien und Tannen; dann diejenigen Pflanzen, welche besonders deutlich, im Stand der Blätter und Zweige, symmetrische |

i126 Verhältnisse zeigen; dann viele Blätter und die Blüthen. Fast jede Blüthe ist schön durch die Anordnung ihrer Blätter, durch ihre regelmäßige Form und ihre Farben. So auch alle Früchte, welche sich ungestört entwickeln konnten.

Im Thierreich sind die Objekte zunächst schön durch ihren symmetrischen Bau. Das Thier, in der Mitte getheilt, bildet fast immer zwei gleiche Hälften. Das Gesicht hat zwei Augen, die in gleichem Abstand von der Mitte liegen. Die Nase ist in der Mitte, der Mund gleichfalls u.s.w. Die Beine, Flossen, Flügel sind immer in Paaren vorhanden.

Dann sind manche Gestalten oder Theile des Körpers hervorragend schön, wie einzelne Pferde, Hirsche, Hunde, wie der Hals des Schwans u.s.w.

Ferner ist auf die Farben des Fells, des Gefieders, der Panzer, der Augen und auf die graziöse Bewegung vieler Thiere, sowie auf die reinen Formen der Vogeleier aufmerksam zu machen.

Schön vor Allem aber ist der schöne Mensch. Beim Anblick eines vollkommen schönen Menschen bricht in unserem Herzen das Entzücken, wie eine Rosenknospe, auf. Er wirkt durch den Fluß der Linien, die Farbe der Haut, des Haars und der Augen, die Reinheit der Form, die Anmuth seiner Bewegungen und den Wohlklang der Stimme.

 

9.

Fassen wir zusammen, so ist also das Subjekt der Richter und bestimmt nach seinen Formen was schön sei, was nicht. Die Frage ist jetzt: Muß jeder Mensch ein schönes Objekt schön finden? Ohne Zweifel! Wenn auch das Subjekt souveräner Richter über das Schöne ist, so steht es doch ganz unter der Nothwendigkeit seiner Natur und muß jeden Grund des Schönen im Ding an sich als schön objektiviren: es kann nicht anders. Bedingung ist nur, daß der Wille des urtheilenden Subjekts sich im aesthetischen Zustande befinde, also vollkommen interesselos dem Objekt gegenüberstehe. Aendert der Wille diese Relation, stellt sich z.B. bei der Beurtheilung der Formen eines Weibes der Geschlechtstrieb hinter das erkennende Subjekt, so ist ein allgemein gültiges Urtheil nicht mehr möglich. Erhält sich dagegen der Wille in der Reinheit der aesthetischen Relation, so kann das Subjekt nur dann irren, wenn |

i127 es mangelhaft organisirt ist. Solche Menschen aber haben kein Stimmrecht.

Worauf es hier allein ankommt, ist die Ausbildung des sogenannten Schönheitssinnes (einer Modification der Urtheilskraft), der unbestechlich, nach den Gesetzen des Subjectiv-Schönen, sein Verdict fällt. Er tritt, wie die Urtheilskraft, in unzähligen Abstufungen auf und kann, wie diese, vervollkommnet werden, welche Abänderungen sich vererben. Er kann einseitig auftreten als Formensinn, Farbensinn, musikalisches Gehör; was er aber in vollkommener Beschaffenheit für schön erklärt, das ist schön, wenn auch eine Menge von Individuen mit schwachem Schönheitssinn, oder mit interessirtem Herzen, gegen sein Urtheil sich auflehnt. Als Mensch, der nach seinem Willen, seiner Neigung urtheilt, kann ich den Rhein dem Comersee vorziehen; als rein aesthetischer Richter muß ich hingegen dem letzteren den Vorzug geben.

Der ächte Schönheitssinn irrt nie. Er muß den Kreis über das Dreieck, das Rechteck über das Quadrat, das mittelländische Meer über die Nordsee, den schönen Mann über das schöne Weib stellen, er kann nicht anders urtheilen; denn er urtheilt nach klaren und unwandelbaren Gesetzen.

 

10.

Wir haben gesehen, daß der Grund des Schönen im Ding an sich, unabhängig vom Subjekt, die innere harmonische Bewegung ist, welche nicht schön, sondern nur harmonisch, gleichmäßig genannt werden darf. Nur ein Objekt kann schön sein. Erfassen wir uns nun unmittelbar im Selbstbewußtsein, als Ding an sich, oder erfassen wir den Willen eines anderen Menschen als in harmonischer Bewegung begriffen, welche hier auftritt als ein ganz eigenthümliches Zusammenwirken von Willen und Geist, so können wir sehr wohl von einem harmonischen Willen oder, wenn wir Willen und Geist, dem Sprachgebrauche gemäß, als Seele zusammenfassen, von einer harmonischen Seele sprechen. Hierfür setzt man jedoch gewöhnlich den Ausdruck »schöne Seele«. Dieser Ausdruck ist falsch. Dennoch wollen wir ihn, da er einmal eingebürgert ist, beibehalten. Man bezeichnet mit schöner Seele diejenige Idee Mensch, deren Wille zum Geiste in einem ganz besonderen Verhältnisse steht, so zwar, daß sie sich immer maßvoll bewegt. Verliert sie ihren Schwerpunkt durch |

i128 Niedergeschlagenheit oder Leidenschaft, so findet sie ihn bald wieder und nicht stoßweise, sondern fließend.

 

11.

Das Häßliche kann ich sehr leicht definiren. Häßlich ist Alles, was den Gesetzen des Subjektiv-Schönen nicht entspricht. Ein häßliches Objekt kann, wie ein schönes, überhaupt wie jedes Objekt, aesthetisch betrachtet werden.

 

12.

Das Erhabene wird gewöhnlich neben das Schöne als ein ihm Aehnliches, ihm Verwandtes gestellt, was unrichtig ist. Es ist ein besonderer Zustand des Menschen, und sollte man deshalb stets vom erhabenen Zustand eines Menschen sprechen. Er ist eine Doppelbewegung. Zuerst schwankt der Wille zwischen Todesfurcht und Todesverachtung, mit entschiedenem Uebergewicht der letzteren, und hat die letztere gesiegt, so tritt er in die aesthetische Contemplation ein. Das Individuum wird von einem Objekt abgestoßen, auf sich zurückgestoßen und strömt dann in Bewunderung aus.

Es ist dem erhabenen Zustand eigenthümlich, daß er sich in den meisten Fällen immer neu erzeugt, d.h. seine Theile durchläuft, oder mit anderen Worten, wir erhalten uns nur schwer in seinem letzten Theil. Immer wieder sinken wir aus der Contemplation in den Kampf zwischen Todesfurcht und Todesverachtung zurück und immer wieder werden wir, für eine längere oder kürzere Zeit, contemplativ.

Das Objekt, welches uns über uns selbst erhebt, ist nie erhaben. Jedoch, hält man dies fest, und bezeichnet nur deshalb gewisse Objekte als erhaben, weil sie uns leicht erhaben stimmen, so ist gegen die Benennung Nichts einzuwenden.

Die Objecte werden unter diesem Gesichtspunkte sehr richtig eingetheilt in:

1) Dynamisch-Erhabene und

2) Mathematisch-Erhabene.

Dynamisch erhaben sind alle Naturerscheinungen, welche den Kern des Menschen, seinen Willen zum Leben, bedrohen. In der Wüste, in Einöden, welche keinerlei Nahrung bieten können, am Ufer des stürmischen Meeres, vor ungeheuren Wasserfällen, bei Gewittern u.s.w. wird der Mensch leicht in den erhabenen |

i129 Zustand versetzt, weil er dem Tode in die Augen starrt, sich aber in großer oder voller Sicherheit weiß. Er erkennt die Gefahr deutlich, in der er schwebt; es entsteht jedoch in ihm, auf Grund seiner Sicherheit, die Täuschung, daß er der Gefahr trotzen würde, wenn sie auf ihn eindränge. Es ist ganz gleichgültig, aus welchen Ueberzeugungen er die vermeintliche Kraft schöpft, ob er an seine Unsterblichkeit glaubt, ob er sich von der Hand eines allgütigen Gottes gehalten weiß, ob er das Leben verachtet und den Tod ersehnt, oder ob in ihm gar kein Raisonnement stattfindet, und er sich unbewußt über die Gefahr erhebt.

Daß die meisten Menschen nur durch Täuschung erhaben gestimmt werden, ist leicht einzusehen. Vielen muß erst umständlich nachgewiesen werden, daß auch nicht im Entferntesten an eine Gefahr zu denken ist, und dennoch haben sie alsdann nicht einmal die Kraft, für ganz kurze Zeit in den contemplativen Zustand überzugehen, sondern sind in beständiger Angst und drängen zum Fortgehen. Wie Wenige vermögen sich ganz dem Genusse eines kräftigen Gewitters hinzugeben! Sie machen es, wie der habgierige Lotteriespieler, der unaufhörlich den unwahrscheinlichsten Fall erwägt. Ebenso wird nur äußerst selten ein Mensch auf offener See einen Sturm in ächt erhabener Stimmung auffassen. Ist der Sturm dagegen glücklich abgelaufen, so wird der Mensch das Einzelne, was er in der verzehrendsten Angst flüchtig erblickte, zusammenstellen und sich mit Behagen nachträglich über sich selbst erheben.

Mathematisch erhaben sind diejenigen Objekte, welche uns zu einem Nichts verkleinern, uns unsere Unbedeutendheit gegenüber dem Weltganzen zeigen und uns auf die Kürze und Vergänglichkeit unseres Lebens, im Gegensatz zur sogenannten Ewigkeit der Welt, oder, wie Cabanis sagt, zur éternelle jeunesse de la nature aufmerksam machen. Aus diesem Zustand der Demüthigung, der Angst, ja der Verzweiflung, erheben wir uns über uns selbst, je nach unserer Bildung, durch die verschiedenartigsten Betrachtungen und werden contemplativ. Der Idealist aus der Schule Kant’s richtet sich an dem Gedanken auf: Zeit und Raum sind in mir, das Weltall ist nur in meinem Kopfe so unermeßlich groß, das Ding an sich ausdehnungslos, und das Verfließen der Erscheinung in der Zeit ist eine Täuschung; der Pantheist denkt: ich bin selbst dieses ungeheuere Weltall und unsterblich: hae omnes creaturae in totum |

i130 ego sum et praeter me aliud ens non est; der fromme Christ denkt: alle meine Haare auf dem Kopfe sind gezählt, ich stehe in einer treuen Vaterhand.

 

13.

Der erhabene Zustand beruht auf der eingebildeten Willensqualität Festigkeit oder Unerschrockenheit und entsteht durch Selbsttäuschung. Ist aber ein Wille wirklich unerschrocken und fest, so inhärirt die Erhabenheit, welche hier einfach zu definiren ist als Todesverachtung, dem Ding an sich und man spricht mit Recht von erhabenen Charakteren.

Ich unterscheide drei Arten von erhabenen Charakteren:

1) den Helden,

2) den Weisen,

3) den weisen Helden.

Der Held ist sich in ernsten Lagen vollkommen bewußt, daß sein Leben wirklich bedroht ist, und obgleich er es liebt, steht er doch nicht an, es, wenn nöthig, zu lassen. Ein Held ist also jeder Soldat im Feuer, der die Furcht vor dem Tode überwunden hat, und Jeder, der sein Leben auf das Spiel setzt, um ein anderes zu retten.

Der Weise hat die Werthlosigkeit des Lebens erkannt, welche Jesus Sirach so treffend in die Worte faßt:

Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben vom Mutterleibe an, bis sie in die Erde begraben werden, die unser aller Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod;

und diese Erkenntnis) hat seinen Willen entzündet. Letzteres ist eine Bedingung sine qua non für den Weisen, den wir im Auge haben, weil die thatsächliche Erhebung über das Leben das einzige Kriterium der Erhabenheit ist. Die bloße Erkenntniß, daß das Leben werthlos sei, kann die süße Frucht der Resignation nicht zeitigen.

Der erhabenste Charakter ist der weise Held. Er steht auf dem Standpunkte des Weisen, erwartet aber nicht, wie dieser, resignirt den Tod, sondern betrachtet sein Leben als eine werthvolle Waffe, um für das Wohl der Menschheit zu kämpfen. Er stirbt mit dem Schwert in der Hand (im figürlichen oder wirklichen Sinne) für die Ideale der Menschheit, und in jeder Minute seines Daseins ist |

i131 er bereit, Gut und Blut für die Realisirung derselben hinzugeben. Der weise Held ist die reinste Erscheinung auf unserer Erde, sein bloßer Anblick erhebt die anderen Menschen, weil sie in der Täuschung befangen sind, sie hätten, eben weil sie auch Menschen sind, dieselbe Befähigung zu leiden und zu sterben für Andere, wie er. Er ist im Besitz der süßesten Individualität und lebt das ächte, selige Leben:

Denn sollte er groß Unglück han,

Was liegt daran?

 

14.

Dem erhabenen Zustand am nächsten verwandt ist der Humor. Ehe wir ihn jedoch bestimmen, wollen wir uns in das Wesen des Humoristen versenken.

Wir haben oben gefunden, daß der ächte Weise thatsächlich über dem Leben erhaben sein, daß sich sein Wille an der Erkenntniß der Werthlosigkeit des Lebens entzündet haben müsse. Ist nur diese Erkenntniß vorhanden, ohne daß sie gleichsam in das Blut, den Dämon, übergegangen ist, oder auch: erkennt der Wille, als Geist, daß er im Leben nie die Befriedigung finden wird, die er sucht, umschlingt er aber im nächsten Augenblick begierdevoll das Leben mit tausend Armen, so wird nie der ächte Weise in die Erscheinung treten.

Dieses merkwürdige Verhältniß zwischen Willen und Geist liegt nun dem Wesen des Humoristen zu Grunde. Der Humorist kann sich nicht auf dem klaren Gipfel, wo der Weise steht, dauernd erhalten.

Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder: woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre, die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich – auf welchem Wege ist ganz gleichgültig – klar über sich und die Welt geworden. Jeder von Beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des aesthetischen Zustands empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter; er hat gelebt in einem Aether von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt. Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der Ruhe des Grabes, billigen kann und |

i132 alles Andere als Thorheit verwerfen muß; aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel, und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kann ihn das Kind eines Engels und einer Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.

Aber was in ihm nicht weicht und wankt, was felsenfest steht, was er ergriffen hat und nicht mehr losläßt, das ist die Erkenntniß, daß der Tod dem Leben vorzuziehen, »daß der Tag des Todes besser als der Tag der Geburt ist«. Er ist kein Weiser, noch weniger ein weiser Held, aber er ist dafür derjenige, welcher die Größe dieser Edlen, die Erhabenheit ihres Charakters voll und ganz erkennt und das selige Gefühl, das sie erfüllt, ganz und voll nachfühlt. Er trägt sie als Ideal in sich und weiß, daß er, weil er ein Mensch ist, in sich das Ideal verwirklichen kann, wenn – ja wenn »die Sonne günstig steht zum Gruße der Planeten«.

Hieran und an der festen Erkenntniß, daß der Tod dem Leben vorzuziehen sei, richtet er sich aus seiner Unlust auf und erhebt sich über sich selbst. Nun ist er frei von der Unlust und jetzt, was sehr zu beachten ist, wird ihm der eigene Zustand, dem er entronnen ist, gegenständlich. Er mißt ihn an dem Zustande seines Ideals und belächelt die Thorheit seiner Halbheit: denn das Lachen entsteht allemal, wenn wir eine Diskrepanz entdecken, d.h. wenn wir irgend etwas an einem geistigen Maßstabe messen und es zu kurz oder zu lang finden. In die geniale Relation zu seinem eigenen Zustande getreten, verliert er jedoch nicht aus dem Auge, daß er in die belächelte Thorheit bald wieder zurückfallen wird, weil er die Macht seiner Liebe zur Welt kennt, und so lacht nur das eine Auge, das andere weint, nun scherzt der Mund, während das Herz blutet und brechen möchte, nun verbirgt sich unter der Maske der Heiterkeit der tiefste Ernst.

Der Humor ist demnach eine sehr merkwürdige und ganz eigenthümliche Doppelbewegung. Ihr erster Theil ist ein unlustvolles |

i133 Hin- und Herschwanken zwischen zwei Welten, und ihr zweiter Theil kein rein contemplativer Zustand. Auch in ihm schwankt der Wille zwischen der vollen Freiheit von Unlust und thränenvoller Wehmuth.

Das Gleiche ist der Fall, wenn der Humorist in die Welt blickt. An jede Erscheinung in ihr legt er still sein Ideal und keine deckt dasselbe. Da muß er lächeln. Aber alsbald erinnert er sich, wie mächtig das Leben anlockt, wie unsagbar schwer es ist ihm zu entsagen, da wir ja Alle durch und durch hungriger Wille zum Leben sind. Nun denkt, spricht oder schreibt er über Andere ebenso köstlich milde, wie er sich beurtheilt, und mit Thränen in den Augen, lächelnd, scherzend mit zuckenden Lippen, bricht ihm fast das Herz vor Mitleid mit den Menschen:

»Der Menschheit ganzer Jammer faßt ihn an.« (Goethe.)

Da der Humor in jedem Charakter, jedem Temperament auftreten kann, so wird er immer von individueller Färbung sein. Ich erinnere an den sentimentalen Sterne, den zerrissenen Heine, den trocknen Shakespeare, den gemüthvollen Jean Paul und den ritterlichen Cervantes.

Es ist klar, daß der Humorist mehr als irgend ein anderer Sterblicher dazu geeignet ist, ein echter Weiser zu werden. Zündet einmal die unverlierbare Erkenntniß auf irgend eine Art im Willen, so flieht der Scherz von den lächelnden Lippen und beide Augen werden ernst. Dann tritt der Humorist, wie der Held, der Weise und der weise Held, vom aesthetischen Gebiete ganz auf das ethische.

 

15.

Das Komische hat mehrere Berührungspunkte mit dem Schönen und einen mit dem Humor.

Ich theile das Komische ein in:

1) das Sinnlich-Komische,

2) das Abstrakt-Komische.

Beim Sinnlich- Komischen haben wir zu unterscheiden:

1) den subjektiven Maßstab,

2) das komische Objekt, und

3) den komischen Zustand des Willens.

Der subjektive Maßstab, die unerläßliche Bedingung für das Komische überhaupt, ist für das Sinnlich-Komische eine |

i134 Normal-Gestalt mit bestimmten Bewegungen (der Glieder, Mienen, Augen), beziehungsweise, wenn nur die, gleichsam vom Objekt abgelösten Bewegungen: Worte und Töne, beurtheilt werden, eine mittlere normale Art zu sprechen oder zu singen.

Beide Normen hängen, obgleich sie einen Spielraum in ziemlich weiten Grenzen haben, doch nicht von der Willkür ab. Sie sind ein flüssiges Mittleres, welches nicht auf mechanische Weise, sondern durch einen »dynamischen Effekt« aus allen Menschenarten und der natürlichen Art sich zu geben ihrer Individuen gewonnen wird. Hierin liegt schon die Verurtheilung jedes auf einseitige Weise gewonnenen Maßstabs. Es liegt aber auch darin der große Unterschied, der zwischen dem subjektiven Maßstab für das Sinnlich-Komische und dem für das Schöne besteht. Jener ist flüssig, dieser fest bestimmt. Ein Kreis, der an einer Stelle nur ganz unbedeutend aus der ein für alle Male bestimmten Form heraustritt, ist nicht mehr schön. Dagegen wird der ziemlich weite Spielraum für die Maßstäbe des Komischen dadurch ausgeglichen, daß ein Objekt nur dann komisch ist, wenn sich bei der Messung mit den Maßstäben auch eine ziemlich große Diskrepanz ergiebt, die selbstverständlich jenseit des Spielraums fallen muß.

Das Schöne, resp. das Häßliche, steht in gar keiner Beziehung zum Komischen. Es kann ein Objekt sehr schön und zugleich komisch sein; es kann sehr häßlich und doch nicht komisch sein; endlich kann es häßlich und komisch sein. Ferner ist zu bemerken, daß große körperliche Mißbildungen allerdings komisch wirken (wie das Lachen und der Spott der Rohen täglich zeigt), aber das Komische wird alsdann in feineren Naturen sofort vom Mitleid erstickt.

 

16.

Komisch ist nun jedes Objekt, das dem subjektiven Maßstab nicht entspricht, d.h. welches, an ihn gehalten, entweder derartig kurz ist oder derartig ihn überragt, daß sich eine erhebliche Diskrepanz ergiebt.

Wie der subjektive Maßstab des Schönen, mit Absicht auf Bestimmtheit, wesentlich von dem des Komischen verschieden ist, so findet also auch das Subjekt in einer ganz anderen Weise das Objekt komisch, als es dasselbe schön findet. Schön ist ein Objekt, wenn es dem Subjektiv-Schönen entspricht; komisch dagegen ist ein |

i135 Objekt, wenn es dem subjektiven Maßstab nicht entspricht. Das Komische ist demnach, in seiner Beziehung zum Maßstab, negativ wie das Häßliche, weshalb ich auch unterlassen muß, den subjektiven Maßstab zu bestimmen. Das Sinnlich-Komische wird am Besten an den komischen Objekten selbst abgelesen.

Ich theile das Sinnlich-Komische, wie das Subjektiv-Schöne, ein in das Komische:

1) des Raumes,

2) der Causalität,

3) der Substanz (der Materie),

4) der Zeit.

Das Komische des Raumes zeigt sich zunächst in großen Abweichungen der Gestalt vom normalen Typus der Menschen: also in unmäßig langen, kleinen, spindeldürren und dicken Individuen; dann in Theilen des Körpers, wie in langen oder platten, unförmlich dicken oder zu dünnen, spitzen Nasen; in Mäulern; in zu langen oder zu kleinen Ohren, Füßen, Händen, Beinen, Armen, Hälsen u.s.w. Die außerordentliche Zierlichkeit kleiner Hände, Füße und Ohren bewundert man immer mit einem Lächeln. Man denke nur an den überaus komischen Eindruck, den die Händchen und Füßchen von Säuglingen machen, weil wir sie (hier allerdings ganz unpassend) mit unseren Händen und Füßen vergleichen. Das Komische des Raumes zeigt sich ferner in thurmartigen Haargeflechten und in denjenigen Trachten der Weiber, welche entweder dem Individuum einen kolossalen Umfang geben (Reifröcke), oder einzelne Körpertheile als unnatürlich entwickelt zeigen sollen: Wespentaille, falsche Busen, cul de Paris. Schließlich erwähne ich das Gesichterschneiden, die Fratzen, die Masken und Karikaturen.

Das Komische der Causalität tritt hervor im schwerfälligen Uebergang von der Wirkung zur Ursache, also in der Dummheit; in der unzweckmäßigen oder überflüssigen Bewegung: heftiges Gestikuliren, steifes Herumschweifen mit den Armen, affektirte Handbewegungen, gespreizter, hölzerner Gang, Schwänzeln, linkische Verbeugungen, überhaupt linkische Manieren, chinesisches Ceremoniell, Umständlichkeit, Pedanterie; in verunglückten Bewegungen: Ausgleiten, Stolpern, mißlungene Sprünge; im unverhältnißmäßigen Aufwand von Kraft zur Erreichung eines Zwecks: Einschlagen offener Thüren, wie Lärm um Nichts, gewaltige Vorbereitungen und ein winziges Resultat, |

i136 große Einleitungen, fabelhafte Umschweife; in der Anwendung falscher Mittel zu einem beabsichtigten Zweck: falscher Gebrauch von Fremdwörtern, falsche Citate, unrichtiger Ausdruck in einer fremden Sprache sowohl, als in der Muttersprache, Steckenbleiben in der Rede; in der Nachahmung, welche zum Wesen des Nachahmenden nicht paßt: alle Affektation, europäischer Hofstaat, Hofceremoniell, Titulaturen etc. auf den Sandwichinseln, Männer in Frauen-, Frauen in Männerkleidern; endlich in der Unzweckmäßigkeit der Tracht.

Das Komische der Zeit tritt hervor im zu raschen oder zu langsamen Tempo der Sprache: Ueberstürzung der Worte, salbungsvolles Dehnen der Worte; im Stottern; im Herauspoltern; im abrupten Hervorstoßen von Worten; im Ableiern von Melodien.

Das Komische der Substanz zeigt sich in der schreienden Zusammenstellung auffallender Farben in der Kleidung; im grunzenden, näselnden, dumpfen, hohlen oder ganz dünnen, feinen Ton der Stimmen.

 

17.

Der komische Zustand ist eine Doppelbewegung, deren erster Theil die aesthetische Contemplation ist; denn steht das Individuum nicht in der interesselosen Relation zum komischen Objekt, so wird die Diskrepanz am subjektiven Maßstab es nur ärgern oder verstimmen. Der zweite Theil ist eine fröhliche Expansion des Willens, die sich äußerlich, je nach ihrer Intensität, in den Abstufungen vom leichten Lächeln bis zum krampfhaften, zwergfellerschütternden Lachen bewegt. Hier ist auch der Berührungspunkt des Komischen mit dem Humor; denn hier, wie dort, erweckt die Wahrnehmung einer Diskrepanz Heiterkeit in uns.

 

18.

Beim Abstrakt- Komischen ist zu unterscheiden:

1) der subjektive Maßstab;

2) die an ihm sich zeigende Incongruenz.

Der Begriff spielt beim Abstrakt- Komischen die Hauptrolle, obgleich auch hier immer nur mehr oder weniger deutlich realisirte Begriffe mit einander verglichen werden, also Vorstellungen, von denen die eine der Maßstab, die andere das Gemessene ist.


Date: 2014-12-29; view: 430


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