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Im Visier der Kamera

Theater kennt keine Grenzen

Der Direktor des großen russischen Theaters aus Ufa mit der Dolmetscherin im Dialog. Know-How-Transfer und Gedankenaustausch im Renitenztheater.

Nach der Geschichte, die Aigul aus Baschkortostan nach Baden-Württemberg gebracht hat, öffnet eine weitere Begegnung neue Räume zwischen den Menschen aus Ost und West: Mikhail Rabinovich, der Direktor des Staatlichen Russischen Akademischen Dramatischen Theaters in Ufa, ist mit dem Dialog-Projekt "Berufliche Kompetenzen im europäischen Kontext: Ufa-Überlingen-Stuttgart" nach Stuttgart gekommen.

 

Von Gabriele Loges

 

Die Delegation des UNESCO-Komitees der russischen Republik Baschkortostan folgt den Spuren des Zeitgeistes mit Begegnungen in Kunst und Bildung, mit Künstlern und Kunstveranstaltungen. Die russische Delegation möchte die kulturelle Vielfalt auf den Bühnenbrettern in Baden-Württemberg kennenlernen. Mikhail Rabinovich sucht dabei auch neue Kontakte, Wege und Verbindungen für seine Theaterarbeit in Ufa.

 

Auf einigen Stationen werde ich als Autorin den Theaterdirektor begleiten. Auf diese Weise kann ich sehen, was er sieht, kann ihm zusehen, ihn fragen und ihm ein wenig näher kommen. Ich habe mich auf den Weg gemacht, ihn zu finden und seine Geschichte zu erzählen.

 

 

Bereits im letzten Jahr konnte Mikhail Rabinovich mit seinem Theaterensemble in Bad Wildbad im Schwarzwald sein derzeitiges Erfolgsstück aufführen. Heute wie damals haben Prof. Gerdi Sobek-Beutter aus Stuttgart und die UNESCO Baschkortostan diesen einzigartigen Kulturaustausch ermöglicht. Mit dem Gastspiel die "Blaue Kamee" (vgl. Verborgene Geschichten [2]), einem Musical über die Zarin Katharina die Große, hatten Mikhail Rabinovich und sein Ensemble einen fulminanten Erfolg. Die Mischung aus Tradition und Moderne, das Spiel um – wie es im Untertitel heißt – "Liebe, die über Macht, Intrige und Verrat triumphiert" kam auch beim deutschen Publikum bestens an. Die Inszenierung sagt auch etwas über den Intendanten des Stücks aus: Mikhail ist ein Mensch, der die Geschichte in die Zukunft einbindet, einer, der offen ist für das Neue, ohne das Alte zu vergessen oder gar zu verleugnen.

 

Die Themen der Menschen, so scheint es, sind international. Das Verstehen funktioniert in der Kunst oft ohne Worte, auch wir, Mikhail Rabinovich und ich, die wir beide mit Sprache arbeiten, müssen uns während dieser Begegnung häufig mit Bildern und Gesten behelfen, wir tun das, was auf den Bühnen der Welt eine Inszenierung bewerkstelligt – im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Im Visier der Kamera

Zusammen mit dem Regisseur Dieter Zimmermann von "zimmermannfilm" begleiten wir Mikhail Rabinovich zur Akademie Schloss Solitude, im Anschluss und auf Einladung von Matthias Kipp, Community Outreach des Stuttgarter Balletts, in das Ballett "Kameliendame". Wir besuchen die Theaterstücke "Homo Faber" und "Fragile", erhalten eine Führung im Kunstmuseum in der Rudolf-Steiner-Ausstellung, besuchen die Galerie Michael Sturm, in welcher zeitgenössische Malerei und Objektkunst präsentiert werden. Wir gehen mit Mikhail durch die Stadt Stuttgart und die Weißenhofsiedlung, zu der Musikgruppe "Tango Five" und ihrem Programm "Schluss mit lustig" sowie in das Theaterhaus mit dem Ensemble "Flöz-Family": "Ristorante Immortale".



 

Ein reichhaltiges Angebot mit vielen Kunstschaffenden, die gerne mit den Gästen aus Baschkortostan ins Gespräch kommen, steht auf dem Programm. Es entwickeln sich für Mikhail Rabinovich spannende Dialoge im Renitenztheater, im Schauspielhaus mit dem Chefdramaturgen Dr. Jörg Bochow und der Dramaturgin Anna Gubiani. Auch mit David de Villiers im Theaterhaus und in der "Akademie Schloss Solitude" mit dem Regisseur des Medienkunstwerks, einer Theaterminiatur über die Ressourcen Erdöl und Freundschaft "The Four of the Gas Station", Max Schumacher, tauschen sich die baschkirischen Gäste aus. Gegenseitiges Interesse und das Kennenlernen anderer Blickwinkel stehen auch bei privaten und öffentlichen Kultureinrichtungen, wie der "Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V." und der Stadt Stuttgart, im Mittelpunkt.

 

Im gemeinsamen Sehen und dem Austausch darüber – bei dem Mikhail und mir Menschen helfen, die sowohl russisch als auch deutsch sprechen – eröffnen sich uns Räume, nicht nur der Begegnung, sondern auch des Verstehens und der Zuneigung.

 

Mikhail Rabinovich ist ein weltoffener Mensch, der im letzten Weltkrieg geboren wurde, in diesem seinen Vater verloren hat und heute sagt: "Deutschland und die Deutschen sind ganz anders, als es mir von klein auf gesagt wurde."

 

Machen wir uns auf den Weg, das "Andere" mit ihm zu erkunden.

 

 

Austausch und Öffnung neuer Räume

 

 

Freundschaftlich begegnen und lächeln. Literatur verbindet. Wir finden unsere Schnittmenge. © G. Loges

Die Autorin wird mit offenen Armen empfangen. Auch wenn Mikhail Rabinovich und sie sich noch nicht kennen, versuchen beide es erst gar nicht mit dem höflichen "Sie". Zwei Menschen gehen aufeinander zu, wollen sich kennen lernen. Das Ballett "Die Kameliendame" vermittelt eine erste Annäherung. Das Theater ist ihr erstes gemeinsames Thema.

 

Die Geschichte einer Begegnung von Gabriele Loges

 

Wir treffen uns in der Stuttgarter Oper. Mikhail Rabinovich ist schon im Foyer, fotografiert mit seinem Handy den Ort des Geschehens. Ich erkenne ihn gleich und warte doch, bis Gerdi Sobek-Beutter alle Eintrittskarten für die "Kameliendame" des Stuttgarter Balletts verteilt hat und uns vorstellt.

 

Mikhails Frau Galina ist bei ihm und Elena Kondoianidi, seine Assistentin und rechte Hand. Die Begrüßung ist herzlich. Ich werde mit offenen Armen empfangen, auch wenn wir uns noch nicht kennen. Ich versuche es auf Französisch, er schüttelt den Kopf, auch Englisch ist nicht die Sprache seiner Kommunikation – nein, leider, ich spreche nicht russisch.

 

Trotzdem wird schnell deutlich, dass wir es erst gar nicht mit dem höflichen "Sie" versuchen. Wir wollen uns freundschaftlich begegnen und lächeln, das geht immer. Zuerst ein Gang durch die Wandelhalle: Beethoven, Mozart, Schiller, Goethe, Shakespeare, die Großen der Musik und der Literatur schauen uns von ihren Marmorsockeln herunter an. Mikhail grüßt zurück, stellt sich in Pose für ein Foto. Er ist offensichtlich kein Kind von Traurigkeit: Er bringt gerne seine Mitmenschen zum Lachen. Der Gong ruft ins Parkett, wir suchen unseren Eingang.

 

Die Sprache der Körper

 

Die "Kameliendame" von John Neumeier entführt uns ins 19. Jahrhundert: das Ballett nach dem Roman Alexandre Dumas' und der Musik von Frédéric Chopin spricht eine internationale Sprache. Die traurige Geschichte von der großen Liebe in liebloser Umgebung nimmt uns gefangen. Die Tänzerinnen und Tänzer drücken die Sprache des Herzens mit ihren Körpern aus. Das Gesprochene, das Erzählte ist das eigentliche Thema: Der Sohn erzählt dem Vater von seiner großen Liebe. Das Drama nimmt seinen Lauf. Der gekränkte und verlassene Liebhaber kränkt wiederum seine Angebetete. Mit letzter Kraft schreibt sie ihm von ihrer unverrückbaren Liebe. Aber die Worte erreichen ihn zu spät.

 

Wir gehen nach der Aufführung noch ein Glas Wein trinken. Dreimal setzen wir uns um. Wie kann man sich am besten unterhalten? Schließlich sitze ich ihm gegenüber, unsere Übersetzerin Lena, eine Studentin aus der russischen Partnerstadt Samara, neben ihm. Wir unterhalten uns über die Kraft des Gesagten und des Nichtgesagten in der "Kameliendame". Mikhail spricht mit mir russisch, als würde ich das, was er sagt, über den Klang seiner Worte verstehen. Bald verstehe ich ihn tatsächlich, obwohl ich froh bin, dass Lena zusätzlich übersetzt.

 

Für Mikhail Rabinovich ist Bertolt Brecht ein ganz wichtiger Theaterautor, auch Carlo Goldoni, Anton Tschechov, Maxim Gorki; als Prosaschreiber hat ihn schon früh Heinrich Böll beeindruckt. Wir werfen uns die Namen der Schriftsteller zu: Die Literatur verbindet uns, wir leben im gleichen Kulturraum. Wir haben unsere Schnittmenge gefunden.

 

Kriegsende. Geschichte dreidimensional und sichtbar

 

Es ist der 8. Mai: auf den Tag genau 66 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei uns wird der Tag nicht gefeiert – obwohl das Ende dieses Schreckens doch auch ein Grund zur Freude wäre. Vielleicht ist es die Scham über das Unmenschliche, das getan wurde, und gleichzeitig der Schmerz über den Verlust lieber Familienmitglieder. Den Deutschen wird an diesem Tag von Staats wegen Alltag verordnet.

 

Beim gemeinsamen Besuch im "Haus der Geschichte" und im Bereich "Erster und Zweiter Weltkrieg" wird der Leiter Dr. Thomas Schnabel den russischen Gästen erklären: "Damit die Faszination, die das Bildmaterial der Propagandafilme transportiert, gebrochen wird, haben wir die Dynamik der Filme herausgenommen, lassen sie einfach langsamer abspielen." Nachrichten ohne Bilder, so wird er später noch sagen, seien (fast) bedeutungslos, kämen beim heutigen Menschen nicht an.

 

Möglicherweise ist dies auch das Geheimnis und die Faszination der auf die Bühne gebrachten Literatur: Bilder liefern für Gedrucktes. Dramaturgen und Regisseure machen für ein größeres Publikum Geschichten dreidimensional und sichtbar.

Am nächsten Morgen fahren die russischen Gäste, das Kamerateam und ich auf die Hermann-Lenz-Höhe. Von hier aus gehen wir durch die Weißenhofsiedlung: einst modernste Architektur, dann zerstört und verlassen, heute ist das weltberühmte Architekturdenkmal des Bauhaus wieder ein besonderer Wohnort für die Stuttgarter und ein Beispiel für: "Ein Minimum an Form als Maximum an Freiheit".

 

Hermann Lenz, der in Stuttgart geborene Schriftsteller, war Soldat, setzte sich später mit dem Krieg und mit dem "Soldat-Sein" kritisch auseinander, musste auch in Russland kämpfen, war nach dem Krieg beim Schreiben einer, der bei sich blieb, "bodenständig" im besten Sinne des Wortes. Er suchte die Antworten in der Auseinandersetzung mit seiner Biographie, möglichst realistisch und wahrhaftig. Auf einer Bronzetafel am Ort stehen seine Worte: "Vor deiner Haut beginnt die Fremde."

 

Das Ich und die Gesellschaft

 

Mikhail Rabinovich telefoniert. Er ist fasziniert von den technischen Möglichkeiten, die die Gegenwart bietet. Wir beide besitzen dasselbe Mobiltelefon einer amerikanischen Firma. An diesem Morgen klingelt das Telefon besonders häufig: aus der baschkirischen Heimat kommen die üblichen Glückwünsche zum "Tag des Sieges". In Russland war es schon der 9. Mai 1945, an welchem die bedingungslose Kapitulation rechtskräftig wurde. Endlich war der Krieg vorbei, ein Grund zum öffentlichen und privaten Feiern.

 

Am Ende des Besuchs bei der "Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V.", die durch ihr besonderes Abonnentensystem ein verlässliches Publikum schafft und somit ein wichtiger Partner für die Theater ist, bedankt sich Mikhail Rabniovich bei Dr. Ute Harbusch für die ausführlichen Informationen mit den Worten: "Heute ist das Ende des Weltkriegs, in Russland sagen wir, es ist der Tag des Sieges – und wir wünschen uns, dass zwischen Russland und Deutschland ewig Frieden sein wird."

 

Biographie und Kunst – ein wechselseitiges Verhältnis

 

Im Haus der "Kulturgemeinschaft" begegnet Mikhail einem bedeutenden deutschen Künstler, dessen Erlebnisse und sein Kunstverständnis viel mit Russland zu tun haben: Joseph Beuys ist überdimensional im Eingangsbereich abgebildet.

 

Joseph Beuys erzählte selbst von seinen Erlebnissen in Russland: Als Soldat der Luftwaffe stürzte er 22jährig im März 1944 über der Krim ab. Der Pilot starb, er selbst wurde schwer verletzt. In einem Erdloch, so erzählt er, sei er von russischen Bauern gefunden und gepflegt worden. Wichtige Materialien seiner Kunstwerke sind Fett und Filz: Fett stehe für die Heilung der Wunden, Filz für die Wärme. Da er sich bei diesem Sturz sichtbare Narben am Kopf zugezogen hat, wird er später nur noch mit Filzhut aus dem Haus gehen. Dieser wird zu seinem Markenzeichen, wird in der Nachkriegszeit teilweise als Provokation empfunden und hat doch tiefe Wurzeln in seiner Biographie. Beuys zieht selbst immer wieder eine Linie zwischen Kunst und Leben, Vergangenem und Zukünftigem. Die Menschen haben geholfen, wo die Politik im sogenannten "Dritten Reich" versagte.

 

 

Mikhail Rabinovichs eigene Geschichte

 

Im "Haus der Geschichte" sehe ich Mikhail nachdenklich: Zwischen den Fotos der Weltkriege findet er seine eigene Geschichte. Hier in Deutschland hat er sie nicht gesucht. Zuhause war der Blick klar: Er wurde in eine jüdische Familie hineingeboren, mitten in eine Zeit, in welcher Juden von den Nazis nicht als Menschen gesehen wurden, in der die Osteuropäer in Deutschland als weniger "wertvoll" eingestuft wurden. Wer konnte in dieser schrecklichen Zeit und dort für die Deutschen freundschaftliche Gefühle hegen?

 

Ich frage danach, er nennt ein paar Daten, Eckpunkte seines Lebens: er ist im August 1940 geboren, damals bestand der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Zumindest nach außen, im Innern hatte Hitler längst geplant, die Sowjetunion zu überfallen. Im Juni 1941 ist es soweit. Mikhail war noch nicht ein Jahr alt, da war sein Vater bereits ein Opfer dieses Krieges.

 

Schaufenster, Rosen und Hoffnungswege

 

Wir gehen die Königsstraße hinauf. Man dürfe diese Zeit nicht als Maßstab nehmen, sagt Mikhail, heute sei alles anders. Im Schaufenster ist ein überdimensionierter Rosenstrauß abgebildet, er pflückt ihn und überreicht ihn mir, macht "Unsinn", möchte, dass wir lachen. Nur nicht zu ernst nehmen, dieses Leben – das scheint seine Überlebensstrategie, seine Hoffnung für die Zukunft zu sein.

 

 

er Blick hinter die Kulissen

 

 

Max Frisch: "Man macht sich ein Bildnis – das ist das Lieblose, der Verrat". © C. Gläsker

Das Staatstheater Stuttgart hat den Roman "Homo Faber" von Max Frisch als Theaterstück auf die Bühne gebracht. Der Blick hinter die Kulissen, das Gespräch zur Inszenierung und das Spiel auf der Bühne faszinierten.

 

"Homo Faber" von Max Frisch steht auf unserem Programm. Das Staatstheater Stuttgart hat den Roman zum 100. Geburtstag des Schweizer Autors Frisch als Theaterstück inszeniert. Die Bühnenfassung wurde in die Hand junger Talente gelegt. Mareike Mikat übernahm die Regie, Katrin Spira die Dramaturgie. Es ist das Zusammenspiel zwischen Tradition und Moderne, das diesen Roman aus dem Jahr 1957 so außergewöhnlich macht. Die Art, wie der Roman zu Wort kommt begeistert Mikhail und mich gleichermaßen.

 

Schon vor der Aufführung führt uns Dr. Jörg Bochow, der die russische Sprache über die Liebe gelernt hat, hinter die Kulissen. Mikhail fragt ihn nach den beweglichen Kulissen und der Tontechnik, überall sieht er neben der Kunst auch das Handwerk.

 

Auf Mikhail und seine Assistentin Elena macht das ideenreich gespielte Stück so großen Eindruck, dass sie es gerne in ihrem Theater sehen möchten. Die Verhandlungen laufen, es besteht der Wunsch und vielleicht auch die Möglichkeit, das Ensemble nach Ufa zu holen.

 

Mikhail, der den Stoff des Romans kennt, ihn jedoch noch nicht gelesen hat, ist auch ohne die Worte einzeln verstanden zu haben, von der Geschichte so berührt, dass er Zuhause sofort diesen Roman lesen möchte.

 

Im Schauspielhaus. Theater öffnet Räume

 

"Man macht sich ein Bildnis – das ist das Lieblose, der Verrat", lässt Max Frisch seine Figur Walter Faber im Roman sagen. Der Schauspieler stellt diesen Satz in den Raum. Es ist unser Thema: sich kein vorgefertigtes Bild machen, sondern selbst schauen, offen sein für das, was wir sehen. Sich von jemandem ein Bild machen, heißt ihn ein- und ausgrenzen. Beweglich und offen bleiben – da sind wir uns einig – ist jedoch für die Kunst wie für den Menschen wesentlich.

 

Lange noch begleitet diese Inszenierung unsere Gespräche: Wie können wir etwas sagen, damit es bei den unterschiedlichen Menschen "ankommt"?

 

Das Theater braucht den Menschen, aber noch mehr braucht der Mensch das Theater, sagte Mikhail am ersten Tag unserer Begegnung. Wenn der Theaterdirektor selbst im Publikum sitzt, dann ist er ein Zuschauer, ein guter, wie er betont.

 

Kunst in allen Facetten

 

"Was will der Künstler sagen?", fragt die Übersetzerin und Vertreterin des UNESCO-Komitees der russischen Republik Baschkortostan Venera Farganowa. Mehrere Eisenträger, wie man sie zum Bau eines Hauses brauchen könnte, liegen im Raum. Das "Was" weiß die junge Galeristin in der Stuttgarter Galerie Sturm nicht, aber "dass" er etwas sagen will, wird deutlich, auch deshalb, so sagt sie, weil der Betrachter weiß, dass eine Absicht hinter dem Tun des Künstlers steckt.

 

Mikhail geht durch die Räume, schaut, fotografiert, setzt sich mit der modernen Kunst in Beziehung. Ein Teppich aus getrockneten Rosen von Hermann de Vries zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich. Die Natur wird zum Kunstwerk. Rudolf Steiners Bauwerke haben Luftwurzeln.

 

"Kein Geist ohne Materie, keine Materie ohne Geist"

 

Im Kunstmuseum in der Ausstellung "Kosmos Rudolf Steiner" treffen Mikhail und ich wieder die Gedankenwelt Goethes und Steiners Versuch, die Ideen in der realen Welt umzusetzen: "Kein Geist ohne Materie, keine Materie ohne Geist." Auch an diesem Ort wird uns deutlich, dass die deutsch-russischen Grenzen fließend sind, dass "Integration" im Bereich der Kultur längst Realität ist. Rudolf Steiners Liebe zu Russland mündet in gelebtem Austausch: In den Waldorfschulen wird Russisch als Fremdsprache intensiv gepflegt. Die Lehrer fahren mit ihren Klassen regelmäßig nach Russland.

 

Ein Mann in der Ausstellung, der darauf Acht gibt, dass die Besucher den Kunstwerken nicht zu nahe kommen, hört, dass russisch gesprochen wird. Er gibt seine Anweisungen in seiner Heimatsprache. Schon vor vielen Jahren sei er nach Stuttgart gezogen, weil seine Kinder inzwischen hier leben. Auf der Treppe des gläsernen Kunstmuseums erzählt er mir, wie und warum er von Russland nach Deutschland gekommen ist, am Schluss bedankt er sich dafür, dass ich mich für seine Geschichte interessiert habe: "Ich kann selten von meiner Heimat erzählen, dort ist es so schön und doch lebe ich heute hier." Ganz meinerseits, sage ich: ich freue mich immer, hinter den Gesichtern, die Geschichten der Menschen zu finden. Doch die Zeit fliegt davon. Ich suche den Anschluss an meine Gruppe.

 

Immer wieder schauen Mikhail und ich uns an, verständigen uns mit Hilfe unserer Begleiter, reden in unseren Sprachen, zeigen auf etwas, das uns ins Auge fällt oder lachen einfach über etwas, was wir beide spontan verstehen. Wir gehen durch die Stadt, ins Stuttgarter Rathaus. Werner Stiefele vom Kulturamt wird vor den russischen Gästen sagen: "Kultur hält eine Gesellschaft zusammen, mehr als alles andere." Es ist ein globales, ein internationales Thema. Mikhail Rabinovich wird hinzufügen, wie wichtig es für ihn ist "Freunde im Theater zu finden", er hat ähnliche Probleme gefunden, er sieht und weiß, wie elementar die Kultur für die Gesellschaft in Baden-Württemberg wie in Baschkortostan ist.

 

Manchmal kommt Mikhail einfach auf mich zu, nimmt mich in den Arm. Es ist ein gutes Gefühl. Er hat ein großes Herz. Ihm näher zu kommen, ist ein Leichtes.

 


Date: 2015-12-11; view: 1236


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